Книга - Bestimmt

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Bestimmt
Morgan Rice


Weg der Vampire #4
BESTIMMT ist das vierte Buch der Bestseller Serie DER WEG DER VAMPIRE, die mit dem kostenlosen Buch GEWANDELT beginnt (Band #1) . In BESTIMMT (Band #4 der Weg Der Vampire) findet sich Caitlin Paine in der Vergangenheit wieder. Sie ist auf einem Friedhof auf der Flucht vor einem Haufen von Dorfbewohnern, und sucht Zuflucht im alten Kloster von Assisi, in der italienischen Provinz Umbrien. Dort erfährt sie ihr Schicksal und ihre Mission: ihre Vater und den uralten Schild der Vampire zu finden, um die Menschheit zu retten. Doch Caitlins Herz sehnt sich immer noch nach ihrer verlorenen Liebe Caleb. Sie versucht verzweifelt herauszufinden, ob er die Zeitreise überlebt hat. Sie erfährt, dass sie für ihre Mission nach Florenz reisen muss, doch wenn sie ihrem Herz folgen will, muss sie nach Venedig gehen. Sie wählt Venedig. Sie ist überwältigt von dem, was sie vorfindet. Das Venedig des 18. Jahrhunderts ist ein unwirklicher Ort. Männer und Frauen tragen aufwendige Kostüme und Masken, und feiern ein endloses verschwenderisches Fest. Sie ist überglücklich, als sie einige ihrer engsten Freunde wiederentdeckt und sie sie in ihrem Zirkel willkommen heißen. Begeistert begleitet sie sie zum Großen Ball in Venedig, dem wichtigsten Kostümball des Jahres, und hofft dort Caleb zu finden. Doch Caitlin ist nicht die einzige, die durch die Zeit reisen kann: Bald kommt auch Kyle an, und ist entschlossen sie zu jagen und ein für alle Mal zu töten. Auch Sam kommt in der Vergangenheit an und ist entschlossen seine Schwester zu retten, bevor es zu spät ist. Auf dem Ball sucht Caitlin überall, doch kann kein Zeichen von Caleb finden. Bis zum letzten Tanz. Sie tanzt mit einem maskierten Mann, der ihr Herz berührt, und sie ist sich sicher, dass er es ist. Doch als die Tanzpartner getauscht werden, verliert sie ihn wieder aus den Augen. Oder doch nicht?





Morgan Rice

Bestimmt Band #4 Der Weg Der Vampire




AUSGEWÄHLTE STIMMEN ZU DEN BÜCHERN VON MORGAN RICE

„Hat mich von Anfang an gefesselt und es hörte nicht auf … Diese Geschichte ist ein erstaunliches Abenteuer, von Anfang an voller Tempo und Action. Nicht ein Moment Langeweile.“

–-Paranormal Romance Guild {über Turned}



„Ein großartiger Plot und genau diese Art Buch, die man nachts nicht weglegen kann. Das Ende ist ein so spektakulärer Cliffhanger, dass man sofort das nächste Buch kaufen will, um herauszufinden, was als nächstes passiert.“

–-The Dallas Examiner{über Loved}



„Ein Buch, das Locker mit Bis(s) zum Morgengrauen und den Vampire Readings mithalten kann. Man will einfach bis zur letzten Seite weiterlesen! Wenn Sie Abenteuer, Liebe und Vampire lieben, ist dieses Buch das Richtige für Sie!“

–-vampirebooksite.com {regarding Turned}



„Eine ideale Story für jüngere Leser. Morgan Rice ist gut darin, einem Buch, was ein typisches Vampirmärchen hätte werden können, einen originellen Twist zu verleihen. Der erfrischende und einzigartige Roman hat die klassischen Elemente übernatürlicher Storys für junge Erwachsene.“

–-The Romance Reviews {regarding Turned}



„Rice ist einfach fantastisch darin, Dich von Anfang an in die Geschichte hineinzuziehen. Seine Beschreibungen gehen weit über das bloße Ausmalen von Szenen hinaus … Nett geschrieben und liest sich extrem schnell. Ein guter Anfang für eine neue Vampirserie, die sicher ein Hit bei allen Lesern wird, die leichte und zugleich unterhaltsame Kost mögen.“

–-Black Lagoon Reviews {über Turned}



„Voller Action, Romantik, Abenteuer und Spannung. Das Buch ist eine wundervolle Ergänzung für die Serie. Man will sofort mehr von Morgan Rice lesen.“

–-vampirebooksite.com {über Loved}



„Morgan Rice beweist sich wieder einmal als extrem talentierte Geschichtenerzählerin … Das Buch gefällt sicher vielen Lesern, auch jüngeren Fans des Vampir-/Fantasygenres. Der unerwartete Cliffhanger lässt einen schockiert zurück.“

–-THE ROMANCE REVIEWS{über Loved}


Über Morgan Rice

Morgan Rice schrieb die Nr. 1 Bestseller Serie DER WEG DER VAMPIRE, eine elfteilige Serie für junge Leser. Ihrer Feder entstammt auch die Nr. 1 Bestseller Serie TRILOGIE DES ÜBERLEBENS, eine post-apokalyptischer Thriller-Serie aus derzeit zwei Büchern (man darf auf das Dritte gespannt sein) und die epische Fantasy-Serie DER RING DER ZAUBEREI, das derzeit aus dreizehn Büchern besteht und die Bestsellerlisten anführt.

Morgans Bücher gibt es als Audio oder Print-Editionen die in vielen Sprachen erschienen sind: Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Japanisch, Chinesisch, Schwedisch, Holländisch, Türkisch, Ungarisch, Tschechisch und Slowakisch – mehr Sprachen werden folgen.

Morgan freut sich, von ihren Lesern zu hören, darum besuchen Sie bitte www.morganricebooks.com (http://www.morganricebooks.com/) um sich für Email-Updates zu registrieren. Erhalten sie ein kostenloses Buch, Geschenke, laden sie die kostenlose App herunter und erhalten sie exklusiv die neusten Nachrichten. Oder folgen Sie Morgan auf Facebook und Twitter. Morgan freut sich auf Ihren Besuch!


Bücher von Morgan Rice




DER RING DER ZAUBEREI


QUESTE DER HELDEN (Band #1)


MARSCH DER KÖNIGE (Band #2)


LOS DER DRACHEN (Band #3)


RUF NACH EHRE (Band #4)


SCHWUR DES RUHMS (Band #5)


ANGRIFF DER TAPFERKEIT(Band #6)


demnächst auf Deutsch erhältlich


A RITE OF SWORDS – RITUS DER SCHWERTER (Band #7)


A GRANT OF ARMS – GEWÄHR DER WAFFEN (Band #8)


A SKY OF SPELLS – HIMMEL DER ZAUBER (Band #9)


A SEA OF SHIELDS – MEER DER SCHILDE (Band #10)


A REIGN OF STEEL – REGENTSCHAFT DES STAHLS (Band #11)


A LAND OF FIRE – LAND DES FEUERS (BAND #12)


A RULE OF QUEENS – DIE HERRSCHAFT DER KÖNIGINNEN (BAND #13)




DIE TRILOGIE DES ÜBERLEBENS


ARENA EINS: DIE SKLAVENTREIBER (BAND #1)


demnächst auf Deutsch erhältlich


ARENA TWO –  ARENA ZWEI (Band #2)




DER WEG DER VAMPIRE


GEWANDELT (Band #1 Der Weg Der Vampire)


VERGÖTTERT (Band #2 Der Weg Der Vampire)


VERRATEN (Band #3 Der Weg Der Vampire)


BESTIMMT (Band #4 Der Weg Der Vampire)


BEGEHRT (Band #5 Der Weg Der Vampire)


demnächst auf Deutsch erhältlich


BETROTHED – VERMÄHLT (Band #6)


VOWED – GELOBT (Band #7)


FOUND  – GEFUNDEN (Band #8)


RESURRECTED  – ERWECKT (Band #9)


CRAVED  – ERSEHNT (Band #10)


FATED  – BERUFEN (Band #11)










Hören (https://itunes.apple.com/de/artist/morgan-rice/id417552527?mt=11&uo=4) im Audiobuch-Format an!


Copyright © 2014 von Morgan Rice



Alle Rechte vorbehalten. Außer entsprechend den Ausnahmen des U.S. Copyright Act von 1976 darf kein Teil dieser Veröffentlichung kopiert, vertrieben oder in irgendeiner Form oder durch irgendwelche Mittel übertragen werden, auch nicht in einer Datenbank oder in einem Datenabfragesystem gespeichert werden, ohne, das seine vorherige Erlaubnis durch den Autor vorliegt.



Dieses Ebook ist nur für Ihren persönlichen Gebrauch lizensiert. Dieses Ebook darf nicht weiterverkauft oder an Dritte weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Ebook mit jemand anderem teilen möchten, kaufen Sie bitte ein zusätzliches Exemplar für jeden weiteren Leser. Wenn Sie dieses Buch lesen, obwohl Sie es nicht gekauft haben, oder es nicht ausschließlich für Ihren Gebrauch gekauft wurde, geben Sie es bitte zurück und erwerben ein eigenes Exemplar. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit des Autors respektieren.



Dieses Werk ist fiktional. Namen, Figuren, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle entstammen entweder der Imagination des Autors oder werden fiktional verwendet. Jede eventuelle Ähnlichkeit zu realen Personen, lebendig oder tot, ist rein zufällig.



BAUMHAUS TASCHENBUCH Band 1015 Vollständige Taschenbuchausgabe Baumhaus Taschenbuch in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG Deutsche Erstausgabe Für die Originalausgabe: Copyright © 2011 by Morgan Rice Titel der amerikanischen Originalausgabe: „Destined – Book #4 in The Vampire Journals“ Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © [Jahr] by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln Lektorat: Beate Christmann, Pulheim



FAKT:

Im Jahr 2009 wurde auf der kleinen Insel Lazzaretto Nuovo in der Lagune von Venedig das erste unversehrte Skelett eines mutmaßlichen Vampirs gefunden. Der Vampir, eine Frau, die im sechzehnten Jahrhundert an der Pest gestorben war, wurde mit einem Stein im Mund aufgefunden – diese Tatsache beruhte auf dem mittelalterlichen Glauben, dass Vampire hinter Seuchen wie der Pest steckten. Man hatte damals geglaubt, dass man den Untoten einen Stein zwischen die Zähne rammen musste, um sie am Blutsaugen zu hindern – damit sie dann verhungerten.


FAKT:

Venedig im siebzehnten Jahrhundert war anders als alle anderen Orte auf der Erde – es war einzigartig. Aus aller Welt strömten die Menschen dorthin, um in prachtvollen Kostümen und Masken die zahlreichen verschwenderischen Feste und Bälle zu besuchen. Es war auch normal, in voller Kostümierung durch die Straßen zu spazieren. Erstmals in der Geschichte gab es keine Ungleichheit der Geschlechter mehr. Die Frauen, die bis dahin von den Obrigkeiten unterdrückt wurden, konnten sich jetzt als Männer verkleiden und auf diese Weise überall Zutritt erlangen …


O mein Herz! Mein Weib!
Der Tod, der deines Odems Balsam sog,
Hat über deine Schönheit nichts vermocht.
Noch bist du nicht besiegt: der Schönheit Fahne
Weht purpurn noch auf Lipp' und Wange dir;

    William Shakespeare
    Romeo und Julia

(Fünfter Aufzug, Dritte Szene; Aus der Übersetzung von August Wilhelm von Schlegel)




1. Kapitel


Assisi, Umbrien, 1790



Als Caitlin Paine langsam wach wurde, herrschte um sie herum tiefste Dunkelheit. Sie öffnete die Augen, um festzustellen, wo sie war, aber das führte zu nichts. Auch als sie ihre Hände und Arme bewegen wollte, hatte sie keinen Erfolg. Es fühlte sich an, als wäre sie mit etwas Weichem zugedeckt, aber sie wusste nicht, was das sein konnte. Auf jeden Fall war es schwer und drückte sie nieder – und es schien von Minute zu Minute schwerer zu werden.

Als sie zu atmen versuchte, stellte sie fest, dass ihre Atemwege blockiert waren.

Voller Panik atmete sie durch den Mund ein, aber irgendetwas geriet dabei tief in ihren Hals. Der Geruch der Substanz stieg ihr in die Nase, und schließlich begriff sie, was es war: Erde. Sie war mit Erde zugedeckt, sie bedeckte ihr Gesicht, ihre Augen und ihre Nase und drang in ihren Mund ein. Ihr ganzer Körper wurde davon niedergedrückt, der Druck wuchs von Sekunde zu Sekunde und drohte sie zu ersticken.

Weil sie nicht mehr atmen konnte und nichts sah, verlor Caitlin vollkommen die Nerven. Voller Panik versuchte sie mit ganzer Kraft, ihre Arme und Beine zu bewegen. Schließlich gelang es ihr, ihre Arme ein kleines bisschen anzuheben. Als sie sich weiter abmühte, konnte sie sie immer weiter heben, bis sie schließlich die Oberfläche durchbrach. Mit frischen Kräften schlug sie wild um sich, bis sie ihren Oberkörper befreit hatte.

Nach einer Weile schaffte sie es, sich aufzusetzen, und wischte sich beinahe hysterisch die Erde aus dem Gesicht, von den Wimpern, von der Nase und vom Mund. Endlich konnte sie wieder Luft holen.

Voller Dankbarkeit atmete sie in tiefen Zügen ein. Dann begann sie zu keuchen und hustete sich beinahe die Lunge aus dem Leib. Dabei flogen ihr Erdreste aus Mund und Nase.

Als Nächstes versuchte sie, ihre immer noch schmutzverkrusteten Augen zu öffnen, um zu sehen, wo sie überhaupt war. Die Sonne ging gerade unter. Die Gegend war ländlich, und Caitlin lag in einem Erdhügel auf einem kleinen Dorffriedhof. Als sie aufsah, blickte sie in die fassungslosen Gesichter von rund einem Dutzend Dorfbewohnern, die in ärmliche Lumpen gekleidet waren. Völlig schockiert starrten sie auf Caitlin hinunter. Neben ihr stand ein Totengräber, ein kräftiger Mann, der sich ganz auf seine Arbeit konzentrierte. Er hatte sie noch nicht bemerkt und blickte auch nicht auf, als er eine Schaufel voll Erde in ihre Richtung warf.

Noch bevor Caitlin reagieren konnte, traf die Erde sie mitten ins Gesicht und bedeckte erneut ihre Augen und ihre Nase. Schnell wischte sie sich den Dreck aus dem Gesicht und mühte sich mit aller Kraft, ihre Beine aus der frischen, schweren Erde zu ziehen.

Endlich wurde auch der Totengräber auf sie aufmerksam. Als er die nächste Schaufel voll in ihre Richtung befördern wollte, entdeckte er sie und sprang entsetzt zurück. Die Schaufel fiel ihm aus der Hand, und langsam ging er rückwärts.

Ein lauter Schrei durchbrach die Stille. Er kam von einer Dorfbewohnerin – das schrille Kreischen einer alten, abergläubischen Frau. Sie starrte hinunter auf das, was eigentlich Caitlins Leiche sein sollte, die sich jetzt aus der Erde erhob. Die Frau schrie und schrie.

Die Reaktionen der übrigen Anwesenden waren unterschiedlich. Einige drehten sich einfach um und liefen fluchtartig davon. Andere blieben wie erstarrt stehen und schlugen sprachlos die Hand vor den Mund. Aber einige Männer, die Fackeln in den Händen hielten, schwankten offensichtlich zwischen Furcht und Zorn. Als sie zögernd ein paar Schritte auf Caitlin zumachten, erkannte sie an ihren Mienen und an den erhobenen Fackeln, dass sie sich auf sie stürzen wollten.

Wo bin ich?, fragte sie sich verzweifelt. Wer sind diese Leute?

Obwohl sie vollkommen verwirrt war, war sie trotzdem noch geistesgegenwärtig genug, um zu begreifen, dass sie schnell handeln musste.

Schnell schob sie mit hektischen Bewegungen die Erde zur Seite, die ihre Beine immer noch niederdrückte. Doch weil das Erdreich nass und schwer war, ging es nur langsam voran. Sie fühlte sich unwillkürlich an einem Strandbesuch mit ihrem Bruder Sam erinnert, als er sie bis zum Hals im Sand eingegraben hatte, sodass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Obwohl sie ihn angefleht hatte, sie wieder zu befreien, hatte er sie stundenlang warten lassen.

Plötzlich bekam sie Angst. Sehr große Angst.

»Bitte, helfen Sie mir!«, rief Caitlin und versuchte, Blickkontakt mit einer der Frauen in der Menge aufzubauen, weil sie auf ein mitfühlendes Gesicht hoffte.

Doch sie fand keines. Stattdessen sah sie nur Schock und Furcht.

Und Wut. Mehrere Männer, die mit landwirtschaftlichen Geräten bewaffnet waren, kamen immer näher. Caitlin blieb nicht mehr viel Zeit.

Jetzt versuchte sie, die Männer direkt anzusprechen.

»Bitte!«, rief sie. »Es ist nicht so, wie ihr denkt! Ich bin vollkommen ungefährlich. Bitte, tut mir nichts! Helft mir hier raus!«

Doch damit schien sie ihnen anscheinend nur noch mehr Mut zu machen.

»Tötet die Vampirfrau!«, rief ein Dorfbewohner aus der Menge. »Tötet sie noch einmal!«

Auf diese Aufforderung reagierten die Leute mit begeistertem Gebrüll. Der Mob wollte ihren Tod.

Ein großer, brutal wirkender Kerl, der offensichtlich mutiger war als die anderen, kam bis auf wenige Schritte auf sie zu. Kalt sah er auf sie hinunter, dann schwang er seine Spitzhacke hoch in die Luft. Er zielte direkt auf ihr Gesicht.

»Dieses Mal wirst du sterben!«, schrie er und holte aus.

Caitlin schloss die Augen und beschwor tief aus ihrem Inneren die Wut herauf. Sie war sehr ursprünglich, diese Wut, und jetzt spürte Caitlin, wie sie ihren ganzen Körper durchströmte. Auf einmal brannte sie vor Hitze. Es war einfach nicht fair, dass sie auf diese Weise sterben sollte – dass man sie angriff, obwohl sie so hilflos war. Schließlich hatte sie ihnen nichts getan. Es ist einfach nicht fair, hallte es in ihrem Kopf wider, während ihre Wut immer heißer wurde.

Als der Mann seine Kreuzhacke niedersausen ließ, kam endlich die Kraftexplosion, die sie brauchte. In einer einzigen fließenden Bewegung sprang sie aus dem Erdhaufen und fing den Holzstiel der Spitzhacke mitten im Schwung ab.

Die Menge stöhnte entsetzt auf und ging bestürzt einige Schritte rückwärts. Caitlin hielt die Hacke immer noch fest und sah, dass ihr Angreifer jetzt vor Angst zitterte. Noch bevor er überhaupt reagieren konnte, riss sie ihm mit einem Ruck das Gerät aus der Hand, sprang in die Höhe und trat ihm kräftig gegen die Brust. Daraufhin flog er mehrere Meter durch die Luft, landete mitten in der Gruppe der Dorfbewohner und riss einige von ihnen mit sich zu Boden.

Nun hob Caitlin die Hacke hoch in die Luft, lief schnell ein paar Schritte auf die Leute zu, setzte ihr grimmigstes Gesicht auf und knurrte wütend.

Völlig entsetzt schlugen die Dorfbewohner die Hände vors Gesicht und kreischten vor Furcht. Einige flüchteten in den Wald, die Übrigen duckten sich hilflos.

Genau das war es, was Caitlin hatte erreichen wollen: Sie hatte sie so sehr in Angst und Schrecken versetzt, dass sie zu keiner Handlung mehr fähig waren. Schnell ließ sie das Gerät fallen und lief an ihnen vorbei, überquerte ein Feld und verschwand Richtung Sonnenuntergang.

Während sie lief, wartete sie voller Hoffnung darauf, dass ihre Vampirfähigkeiten zurückkehrten, ihre Flügel wieder wuchsen und sie sich einfach in die Luft erheben und davonfliegen konnte.

Doch sie hatte kein Glück, es geschah nichts – aus welchem Grund auch immer.

Habe ich es verloren?, fragte sie sich. Bin ich wieder ein Mensch?

Ihre Laufgeschwindigkeit war nur die eines normalen Menschen, auch an ihrem Rücken spürte sie nichts, keine Flügel, so sehr sie es sich auch wünschte. War sie wieder genauso schwach und wehrlos wie alle anderen?

Noch bevor sie die Antwort herausfinden konnte, hörte sie Lärm hinter sich, der allmählich lauter wurde. Als sie einen Blick über die Schulter warf, sah sie den Mob, der hinter ihr herjagte. Sie schrien und schwangen Fackeln, landwirtschaftliche Geräte und Knüppel; einige hoben im Laufen Steine auf.

Bitte, lieber Gott, betete sie. Lass diesen Albtraum enden. Wenigstens so lange, bis ich herausgefunden habe, wo ich bin und bis ich meine Kräfte wiedergefunden habe.

Als sie an sich heruntersah, fiel ihr zum ersten Mal ihre Kleidung auf. Sie trug ein langes, schwarzes Kleid, das mit wunderschönen Stickereien verziert war. Es reichte ihr bis zu ihren Zehen. Das Kleid war für einen offiziellen Anlass geeignet – wie beispielsweise eine Beerdigung –, aber ganz gewiss nicht für einen schnellen Spurt. Weil es ihre Beinfreiheit behinderte, beugte sie sich hinunter und riss es über den Knien ab. Danach konnte sie schon besser laufen.

Aber sie war immer noch nicht schnell genug, außerdem spürte sie, wie sie müde wurde. Die Menschenmenge hinter ihr dagegen schien über endlose Energien zu verfügen, denn sie kam immer näher.

Plötzlich traf etwas sie am Hinterkopf, und sie taumelte vor Schmerz. Als sie die Hand hob, um die Stelle zu ertasten, spürte sie Blut. Die Leute warfen mit Steinen nach ihr.

Mehrere Steine flogen an ihr vorbei, doch dann wurde sie ein weiteres Mal schmerzhaft getroffen, diesmal am Rücken. Der Mob war nur noch wenige Meter entfernt.

In der Ferne sah sie einen steilen Hügel, auf dem sich eine große mittelalterliche Kirche mit einem Kloster erhob. Dort wollte sie Schutz suchen. Hoffentliche schaffte sie es noch bis zu der Kirche.

Doch als der nächste Stein gegen ihre Schulter prallte, wurde ihr klar, dass ihr Plan nicht aufgehen würde. Der Hügel war zu weit entfernt, ihre Kräfte ließen nach, und ihre Verfolger hatten sie schon fast eingeholt. Ihr blieb keine andere Wahl, als sich der Menge zu stellen und zu kämpfen. Was für eine Ironie! Nachdem sie jede Menge Vampirschlachten überstanden und sogar eine Zeitreise überlebt hatte, würde sie jetzt vielleicht von einer Gruppe dämlicher Dorfbewohner getötet werden.

Caitlin blieb abrupt stehen, drehte sich um und stellte sich dem Mob. Wenn sie schon sterben sollte, dann wollte sie wenigstens im Kampf fallen.

Mit geschlossenen Augen atmete sie tief durch. Als sie sich konzentrierte, blieb die Welt um sie herum stehen. Sie spürte das Gras unter ihren nackten Füßen, während sich ganz langsam, aber sicher eine urtümliche Kraft in ihr ausbreitete und über sie hinwegspülte. Mit aller Macht zwang sie sich, sich an die Wut zu erinnern, an ihre angeborene Urkraft. Einst hatte sie mit übermenschlicher Kraft trainiert und gekämpft, und jetzt wollte sie mit ihrem bloßen Willen erreichen, dass diese Kraft zurückkehrte. Sie hatte das sichere Gefühl, dass die Macht noch irgendwo tief in ihrem Inneren schlummerte.

Während sie so dort stand, fielen ihr sämtliche Schlägertypen und Idioten ein, denen sie in ihrem Leben begegnet war. Sie dachte an ihre Mutter, die ihr nicht einmal Freundlichkeit entgegengebracht hatte. Sie erinnerte sich an diese Schläger in New York, die Jonah und sie durch die Straßen gejagt hatten. Sie dachte an diese Idioten in der Hütte im Hudson Valley, die Sams Freunde gewesen waren. Und sie erinnerte sich daran, wie Cain sie auf Pollepel Island willkommen geheißen hatte. Anscheinend gab es immer und überall brutale Menschen, die auf Streit aus waren. Und es hatte ihr noch nie etwas genützt, vor ihnen davonzulaufen. Also musste sie sich der Situation stellen und kämpfen.

Während sie den Gedanken über die Ungerechtigkeit von all dem nachhing, baute sich die Wut in ihr auf. Sie verdoppelte sich, dann verdreifachte sie sich, bis ihre Adern anschwollen und ihre Muskeln beinahe zu bersten schienen.

Genau in diesem Moment wurde sie von dem Mob umzingelt. Ein Dorfbewohner zückte seinen Knüppel und zielte auf ihren Kopf. Mit ihrer wiederentdeckten Stärke duckte Caitlin sich gerade noch rechtzeitig, bückte sich, packte den Mann und warf ihn über ihre Schulter. Er flog mehrere Meter durch die Luft und landete auf dem Rücken im Gras.

Der nächste Mann holte mit einem großen Stein aus, den er ihr auf den Kopf schlagen wollte, doch sie packte sein Handgelenk und verdrehte es, bis er den Stein fallen ließ. Schreiend sank er auf die Knie.

Ein dritter Dorfbewohner schwang seine Hacke in ihre Richtung, doch sie war zu schnell: Sie wirbelte herum und packte das Gerät noch in der Luft. Dann riss sie es ihm aus der Hand, holte aus und schlug ihn damit auf den Kopf.

Die Hacke mit dem knapp zwei Meter langen Stiel war genau das, was sie brauchte. Sie schwang sie in einem weiten Kreis und schlug alle in Reichweite nieder. Auf diese Weise hatte sie sich in kürzester Zeit einen komfortablen Freiraum geschaffen. Als sie sah, wie ein weiterer Mann mit einem großen Stein ausholte, schleuderte sie die Hacke in seine Richtung und schlug ihm damit den Stein aus der Hand.

Dann lief sie mitten durch die verblüffte Menge, riss einer alten Frau die Fackel aus der Hand und schwang sie wild um sich. Als es ihr gelang, einen Teil des hohen, trockenen Grases in Brand zu setzen, ergriffen viele Dorfbewohner schreiend die Flucht. Nachdem die Feuerwand groß genug geworden war, warf sie die Fackel mitten zwischen die Leute. Sie landete auf dem Rücken eines Mannes, und im Handumdrehen standen er und sein Nachbar in Flammen. Einige Leute kreisten die beiden schnell ein, um das Feuer zu ersticken.

Diese Ablenkung nutzte Caitlin, um ihr Heil in der Flucht zu suchen. Schließlich hatte sie kein Interesse daran, jemanden zu verletzen – sie wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden, um durchzuatmen und herauszufinden, wo sie sich überhaupt befand.

Sie rannte den Hügel zur Kirche hinauf. Bald erkannte sie, dass sie die Verfolger dank ihrer wiedergefundenen Kraft und Schnelligkeit abhängen konnte. Hoffentlich war das Kirchenportal nicht abgeschlossen.

Die Abenddämmerung brach allmählich herein, und auf dem Marktplatz und entlang der Klostermauern wurden Fackeln angezündet. Als sie näherkam, entdeckte sie einen Nachtwächter weit oben auf den Zinnen des Klosters. Furcht breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er zu ihr hinunterblickte. Dann hielt er eine brennende Fackel hoch über seinen Kopf und schrie: »Ein Vampir! Ein Vampir!«

Gleichzeitig begannen die Kirchenglocken zu läuten. Aus allen Richtungen strömten Leute herbei, während der Nachtwächter immer weiter rief und die Glocken läuteten. Es war eine regelrechte Hexenjagd – alle Leute schienen es auf Caitlin abgesehen zu haben.

Sie lief so schnell, dass ihre ganze Brust schmerzte. Heftig keuchend erreichte sie die große Eichentür der Kirche – gerade noch rechtzeitig. Mit einem Ruck öffnete sie einen Türflügel, huschte hinein und schlug die Tür mit einem Knall hinter sich zu.

Dann sah sie sich verzweifelt um und entdeckte schließlich einen Hirtenstab, mit dem sie die zweiflügelige Tür kurzerhand verbarrikadierte.

Im selben Augenblick krachte es gewaltig, als Dutzende von Händen gegen die schwere Tür hämmerten. Sie erbebte, gab aber nicht nach. Der Hirtenstab hielt – zumindest jetzt noch.

Schnell ließ Caitlin ihren Blick durch den Raum schweifen. Glücklicherweise war die Kirche leer. Sie war riesengroß und wurde von einer sehr hohen Gewölbedecke überspannt. Der Ort wirkte kalt und leer. Hunderte von Kirchenbänken standen auf dem Marmorboden aufgereiht; über dem Altar brannten mehrere Kerzen.

Plötzlich hatte sie das Gefühl, als hätte sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung am anderen Ende der Kirche wahrgenommen.

Das Hämmern an der Tür wurde lauter, und das dicke Holz erzitterte. Caitlin wurde wieder aktiv und lief den Gang entlang auf den Altar zu. Als sie ihn erreicht hatte, entdeckte sie, dass sie recht gehabt hatte: Da war jemand.

Mit dem Rücken zu ihr kniete ein Priester ganz ruhig vor dem Altar.

Caitlin wunderte sich, warum er nicht auf den Lärm reagierte und ihre Anwesenheit einfach ignorierte. Wie konnte er so tief ins Gebet versunken sein? Hoffentlich würde er sie nicht dem Mob ausliefern.

»Hallo?«, sagte Caitlin.

Doch er drehte sich nicht um.

Caitlin ging eilig auf die andere Seite, von wo aus sie ihm ins Gesicht sehen konnte. Er war ein älterer Mann mit weißem Haar, sauber rasiert, und seine leuchtend blauen Augen schienen in Leere zu blicken. Nicht einmal jetzt sah er zu ihr auf. Doch sie spürte etwas. Trotz ihrer derzeitigen Notlage wusste sie, dass er anders war – er war wie sie, er war ein Vampir.

Das Hämmern am Kirchenportal wurde immer lauter, und als eine Türangel brach, sah Caitlin sich voller Angst um. Der Mob war äußerst zielstrebig, und sie wusste nicht, wohin sie flüchten sollte.

»Helfen Sie mir, bitte!«, flehte sie.

Einige Augenblicke lang betete er einfach weiter, dann sagte er schließlich, ohne sie anzusehen: »Wie können sie töten, was bereits tot ist?«

Das Splittern von Holz war zu hören.

»Bitte!«, drängte sie. »Liefern Sie mich ihnen nicht aus.«

Langsam erhob er sich, ruhig und gelassen, und zeigte auf den Altar. »Dort drin«, erklärte er. »Hinter dem Vorhang befindet sich eine Geheimtür. Geh!«

Ihr Blick folgte seinem Finger, aber sie sah nur ein großes Podest, das mit meinem seidenglänzenden Tuch bedeckt war. Schnell lief sie darauf zu, zog das Tuch zur Seite und fand die Geheimtür. Sie öffnete sie und quetschte sich in den winzigen Hohlraum.

Nachdem sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, spähte sie durch einen winzigen Spalt nach draußen. Der Priester eilte zu einer Seitentür und stieß sie mit erstaunlicher Kraft auf.

Genau in dem Moment flog das Hauptportal auf, und der Mob ergoss sich in die Kirche.

Schnell machte Caitlin die Tür einen Spalt weit auf und zog den Vorhang wieder ganz zu. Dabei hoffte inständig, dass niemand sie bemerkt hatte. Durch einen schmalen Spalt im Holz und im Vorhang konnte sie erkennen, dass die Leute den Gang entlangrasten und direkt auf sie zuzustürmen schienen.

»Dort entlang!«, rief der Priester. »Die Vampirfrau ist in diese Richtung geflüchtet!«

Dabei zeigte er auf die Seitentür. Die Menge stürzte an ihm vorbei und verschwand wieder in der Nacht.

Einige Augenblicke später hatten auch die letzten Verfolger die Kirche verlassen, und es kehrte wieder Ruhe ein.

Der Priester machte die Tür hinter ihnen zu und schloss sie ab.

Als seine Schritte auf Caitlin zukamen, öffnete sie zitternd vor Furcht und Kälte die geheime Tür.

Er schob den Vorhang zur Seite und sah auf sie hinunter.

Dann streckte er ihr freundlich eine Hand entgegen.

»Caitlin«, sagte er lächelnd. »Wir haben schon sehr lange auf dich gewartet.«




2. Kapitel


Rom, 1790



Kyle stand in der Dunkelheit und atmete heftig. Es gab nur wenige Dinge, die er mehr hasste als enge Räume. Als er die Hand ausstreckte und die Steinwände fühlte, die ihn umgaben, brach ihm der kalte Schweiß aus. Er war gefangen, es gab fast nichts Schlimmeres für ihn.

Er holte aus und schlug mit der Faust ein Loch in die Steinwand. Als sie in Stücke zersprang, musste er seine Augen vor dem Tageslicht schützen.

Wenn Kyle etwas noch mehr hasste, als gefangen zu sein, dann war es helles Tageslicht, das ihn direkt traf, ohne dass er seine Hautfolie angelegt hatte. Schnell sprang er über den Steinschutt und suchte Schutz hinter einer Mauer.

Jetzt atmete er erst einmal tief durch, wischte sich den Staub aus den Augen und musterte orientierungslos seine Umgebung. Das Unangenehme an Zeitreisen war, dass man nie genau wusste, wo man landen würde. Er hatte es seit Jahrhunderten nicht mehr ausprobiert, und er hätte es auch jetzt nicht getan, gäbe es da nicht diesen quälenden Stachel in seinem Fleisch, diese Caitlin.

Nachdem sie New York verlassen hatte, war es Kyle ziemlich bald klar geworden, dass er seinen Krieg nur zum Teil gewonnen hatte. Solange sie immer noch frei herumlief und nach dem Schutzschild suchte, konnte er nie wirklich zur Ruhe kommen. Er war so kurz davor gewesen, den Krieg zu gewinnen, die gesamte Menschheit zu versklaven und der Herrscher aller Vampire zu werden. Doch sie, dieses jämmerliche, kleine Mädchen, stand ihm im Weg. Solange es diesen Schutzschild gab, war seine Macht nicht vollkommen. Also hatte er keine andere Wahl, als Caitlin aufzuspüren und zu töten. Und wenn das bedeutete, dass er eine Zeitreise unternehmen musste, dann würde er auch das tun.

Schnell zog Kyle eine Hautfolie aus der Tasche und wickelte seine Arme, den Hals und den Rumpf ein. Dann sah er sich um und stellte fest, dass er sich in einem Mausoleum befand – es wirkte irgendwie römisch. Rom.

Seit einer Ewigkeit war er nicht mehr in Rom gewesen. Doch er war nicht ganz sicher, ob es wirklich in Rom war – durch das Zerschlagen des Marmors hatte er so viel Staub aufgewirbelt hatte, dass er nicht richtig sehen konnte. Erneut atmete er tief durch, sammelte seine Kräfte und ging nach draußen.

Er hatte recht gehabt, es war tatsächlich Rom. Als er die italienischen Zypressen sah, war ihm klar, dass es kein anderer Ort sein konnte. Er stand mitten auf dem Forum Romanum, vor ihm erstreckten sich das grüne Gras, die Hügel und Täler und die Ruinen der antiken Bauwerke Roms. Der Anblick weckte Erinnerungen – hier hatte er viele Leute getötet, als das Forum Romanum noch genutzt wurde, und einmal war er beinahe selbst ums Leben gekommen. Bei dem Gedanken lächelte er. Er mochte diesen Ort.

Außerdem war er perfekt für seine Zwecke geeignet. Das Pantheon war nicht weit entfernt, was bedeutete, dass er in kürzester Zeit bei den Richtern des Großen Rates von Rom vorsprechen konnte. Sie standen dem mächtigsten Vampirclan in Rom vor, und von ihnen würde er alle Antworten bekommen, die er brauchte. Sehr bald würde er wissen, wo Caitlin sich aufhielt, und wenn alles gut lief, bekäme er auch die Erlaubnis, sie zu töten.

Nicht, dass er eine Erlaubnis brauchen würde. Das war bloß Höflichkeit, Vampir-Etikette, die Befolgung von Jahrtausende alten Traditionen. Man bemühte sich immer um eine Genehmigung, wenn man jemanden auf dem Territorium eines anderen Clans töten wollte.

Doch selbst wenn sie sein Ersuchen ablehnen würden, würde er sich nicht von seinem Plan abhalten lassen. Das könnte die Dinge für ihn schwieriger gestalten, aber er würde einfach jeden töten, der sich ihm in den Weg stellte.

Kyle atmete die Luft Roms tief ein und fühlte sich sofort heimisch. Er war zu lange nicht mehr hier gewesen. Das New York der Neuzeit, die Vampirpolitik und die moderne Zeit hatten ihn zu sehr in Anspruch genommen. Das hier entsprach viel mehr seinem Stil. Als er in der Ferne Pferde und unbefestigte Straßen sah, vermutete er, dass er wahrscheinlich im achtzehnten Jahrhundert gelandet war. Perfekt. Rom war städtisch, aber noch sehr naiv und hatte noch zweihundert Jahre aufzuholen.

Als Kyle seinen Körper genau untersuchte, stellte er fest, dass er diesmal die Reise in die Vergangenheit ziemlich gut überstanden hatte. Bei vorhergehenden Reisen war er wesentlich mitgenommener gewesen und hatte mehr Zeit zur Erholung gebraucht. Nicht so bei dieser Reise – er fühlte sich stärker als je zuvor und war bereit, sofort loszulegen. Er spürte, dass seine Flügel sehr bald wachsen würden, und er direkt zum Pantheon fliegen könnte, wenn er wollte.

Doch er war noch nicht bereit, denn er hatte sich zu lange keinen Urlaub mehr gegönnt. Daher wollte er sich ein wenig umsehen und sich erinnern, wie es gewesen war, hier zu leben.

Mit unglaublicher Geschwindigkeit sprang Kyle den Hügel hinunter und hatte das Forum im Handumdrehen hinter sich gelassen. Dann mischte er sich unter die Menschen auf den belebten, vollen Straßen Roms.

Staunend stellte er fest, dass Rom sogar schon zweihundert Jahre früher überfüllt gewesen war.

Langsam ließ er sich im Gedränge mittreiben. Auf dem breiten Boulevard, der noch unbefestigt war, eilten Tausende von Menschen in alle Richtungen. Überall sah man Pferde aller Größen und Formen, außerdem von Pferden gezogene Karren, Fuhrwerke und Kutschen. Die Straßen stanken nach menschlichen Ausdünstungen und Pferdemist. Jetzt erinnerte Kyle sich wieder an die fehlende Kanalisation und die mangelhafte Körperhygiene – es war der Gestank alter Zeiten. Er machte ihn regelrecht krank.

Kyle wurde ständig angerempelt, während die Menschenmenge immer dichter wurde. Menschen aller Rassen und Klassen hasteten hin und her. Er wunderte sich über die primitiven Fassaden der Läden, in denen altmodische italiensche Hüte feilgeboten wurden. Kleine Jungen in Lumpen kamen auf ihn zu und boten Obst zum Verkauf an. Manche Dinge änderten sich einfach nie.

Dann bog Kyle in eine schmale, heruntergekommene Gasse ein, an die er sich gut erinnerte. Er hoffte, dass sie noch das war, was sie einst gewesen war. Zu seinem Entzücken wurde er nicht enttäuscht – an den Hauswänden lehnten Prostituierte, die ihn alle ansprachen, als er vorbeiging.

Kyle grinste breit.

Als er sich einer der Damen näherte – einer großen, vollbusigen Frau mit rotgefärbtem Haar und zu viel Make-up -, streckte sie die Hand aus und streichelte sein Gesicht.

»Hey, großer Junge«, sagte sie, »willst du dich ein bisschen amüsieren? Wie viel hast du denn?«

Kyle lächelte, legte den Arm um sie und bugsierte sie eine Seitengasse.

Sie folgte ihm bereitwillig.

Sobald sie um die Ecke gebogen waren, sagte sie: »Du hast meine Frage nicht beantwortet. Wie viel Geld hast …«

Noch bevor sie die Frage beenden konnte, hatte Kyle ihr bereits die Zähne in den Hals gebohrt.

Als sie schreien wollte, hielt er ihr mit der freien Hand den Mund zu und zog sie dichter an sich. Er trank und trank. Sobald das Menschenblut durch seine Adern strömte, fühlte er sich prächtig. Er war völlig ausgedörrt und dehydriert gewesen. Die Zeitreise hatte ihn erschöpft, und diese Mahlzeit war genau das, was er brauchte, um ihm neue Kraft zu geben.

Der Körper der Frau erschlaffte, doch er trank immer weiter. Schließlich war er restlos gesättigt und ließ die Frau einfach fallen.

Als er sich umdrehte, um weiterzugehen, tauchte ein großer, unrasierter Mann vor ihm auf, dem ein Zahn fehlte. Er zog einen Dolch aus seinem Gürtel und blickte auf die tote Frau zu Kyles Füßen. Dann zog er eine Grimasse und warf Kyle einen drohenden Blick zu.

»Die Frau hat mir gehört«, sagte er dann. »Hoffentlich hast du wenigstens genug Geld dabei.«

Damit trat er zwei Schritte näher und holte mit seinem Dolch aus.

Kyle reagierte blitzschnell, wich der Waffe aus und packte den Mann am Handgelenk. Mit einer einzigen fließenden Bewegung brach er dem Angreifer den Arm. Bevor der Mann auch nur einen Laut von sich geben konnte, hatte Kyle sich den Dolch geschnappt und seinem Gegner die Kehle durchgeschnitten. Auch diese Leiche ließ er einfach auf die Straße fallen.

Dann betrachtete er den Dolch, ein hübsches kleines Ding mit einem Elfenbeingriff, und nickte beifällig – gar nicht so übel. Er steckte die Waffe in seinen Gürtel und wischte sich mit dem Handrücken das Blut vom Mund ab. Dann atmete er tief durch, marschierte zufrieden die Gasse entlang und bog wieder in die Hauptstraße ein.

Oh, wie sehr hatte er Rom vermisst!




3. Kapitel


Nachdem der Priester das Hauptportal verbarrikadiert und alle anderen Eingänge abgeschlossen hatte, ging Caitlin mit ihm zusammen durch die Kirche. Da die Sonne inzwischen untergegangen war, zündete er eine Fackel nach der anderen an, die dann allmählich den riesigen Raum erhellten.

Als Caitlin aufblickte, bemerkte sie zahlreiche große Kreuze an den Wänden – sie fragte sich verwundert, warum sie sich hier so wohlfühlte. Sollten Vampire nicht eigentlich Angst vor Kirchen haben? Und vor Kreuzen? Dann fiel ihr das Zuhause des Whitetide Clans in New York ein – in The Cloisters – und all die Kreuze, die dort an den Wänden hingen. Caleb hatte ihr erzählt, dass manche Vampirgeschlechter Kirchen als Wohnorte bevorzugten. Er hatte er ihr einen langen Monolog über die Geschichte der Vampirgeschlechter und ihre Beziehung zum Christentum gehalten, doch sie hatte damals nicht besonders aufmerksam zugehört, weil sie so verliebt in ihn gewesen war. Jetzt wünschte sie, sie hätte besser aufgepasst.

Der Vampirpriester führte Caitlin durch eine Seitentür, hinter der sich eine Steintreppe befand. Sie stiegen die Stufen hinunter und gingen einen mittelalterlichen Gewölbegang entlang. Unterwegs zündete ihr Begleiter weitere Fackeln an.

»Ich glaube nicht, dass sie zurückkommen«, meinte er und verriegelte eine weitere Tür. »Sie werden die Umgebung nach dir absuchen, und wenn sie dich nicht finden, gehen sie bestimmt nach Hause. Das machen sie immer so.«

Caitlin hatte das Gefühl, in Sicherheit zu sein, und war dem Mann sehr dankbar für seine Hilfe. Natürlich fragte sie sich, warum er ihr überhaupt geholfen und sein eigenes Leben für sie riskiert hatte.

»Weil ich von deiner Art bin«, sagte er, drehte sich um und sah sie direkt an. Der stechende Blick seiner blauen Augen schien sie förmlich zu durchbohren.

Wieder einmal hatte Caitlin vergessen, wie leicht Vampire die Gedanken anderer lesen konnten. Doch einen Moment lang hatte sie gar nicht daran gedacht, dass er ein Vampir war.

»Nicht alle von uns fürchten sich vor Kirchen«, erklärte er und beantwortete damit ihre unausgesprochene Frage. »Du weißt doch, dass das Vampirvolk gespalten ist. Wir – die Gattung der Guten – brauchen Kirchen. Wir blühen darin auf.«

Als sie in einen anderen Gang einbogen und eine weitere Treppe hinunterstiegen, fragte Caitlin sich, wohin er sie führte. So viele Fragen schwirrten ihr im Kopf herum, dass sie gar nicht wusste, welche sie zuerst stellen sollte.

»Wo bin ich?«, fragte sie schließlich und merkte, dass das ihre ersten Worte waren, seit sie sich begegnet waren. Jetzt purzelten ihr die Fragen förmlich aus dem Mund. »Welches Land ist das hier? In welchem Jahr sind wir?«

Als er lächelte, bildeten sich in seinem Gesicht feine Fältchen. Er war klein und zierlich, hatte weißes Haar, war glattrasiert und wirkte irgendwie großväterlich. Sein Priestergewand war aufwendig gearbeitet, und für einen Vampir sah er sehr alt aus. Neugierig fragte sie sich, wie viele Jahrhunderte er wohl schon auf der Erde verbracht haben mochte. Er strahlte Güte und Wärme aus, und sie fühlte sich in seiner Gegenwart ausgesprochen wohl.

»So viele Fragen«, erwiderte er schließlich lächelnd. »Ich verstehe, dass all das viel für dich ist. Nun, fangen wir damit an, dass du in Umbrien bist, in der kleinen Stadt Assisi.«

Sie zerbrach sich den Kopf und versuchte sich zusammenzureimen, wo das sein konnte.

»In Italien?«, fragte sie schließlich.

»Ja, in der Zukunft wird diese Region Teil eines Landes namens Italien sein«, entgegnete er, »aber jetzt noch nicht. Wir sind zurzeit noch unabhängig. Vergiss nicht«, fuhr er lächelnd fort, »du bist nicht mehr im einundzwanzigsten Jahrhundert – wie du wahrscheinlich schon aus der Kleidung und dem Verhalten dieser Dorfbewohner geschlossen hast.«

»Welches Jahr ist denn jetzt?«, fragte Caitlin leise – beinahe fürchtete sie sich vor der Antwort. Ihr Herz schlug deutlich schneller.

»Du bist im achtzehnten Jahrhundert«, antwortete er. »Genauer gesagt, im Jahr 1790.«

1790. In Assisi. In Umbrien. In Italien.

Der Gedanke überwältigte sie. Alles fühlte sich unwirklich an – so, als würde sie träumen. Sie konnte kaum glauben, dass das wirklich passierte, dass sie tatsächlich hier war, an diesem Ort und zu dieser Zeit. Und dass das Zeitreisen wirklich funktionierte.

Außerdem war sie ein bisschen erleichtert: Italien im Jahr 1790 klang nicht so übel – wenn man bedachte, wo und in welchem Jahrhundert sie sonst noch hätte landen können. Schließlich war das achtzehnte Jahrhundert nicht in der Urzeit.

»Warum wollten diese Leute mich umbringen? Und wer sind Sie?«

»Trotz des Fortschritts ist diese Zeit immer noch ein wenig primitiv und abergläubisch«, erklärte er. »Sogar in dieser Epoche des Luxus' und der Dekadenz gibt es leider immer noch eine Menge gewöhnlicher Bürger, die in großer Angst vor uns leben.

Siehst du, das kleine Bergdorf Assisi ist für uns immer schon eine Hochburg gewesen. Es wird häufig von Vampiren aufgesucht, das ist immer schon so gewesen. Unsere Gattung ernährt sich nur von ihrem Vieh. Doch im Laufe der Zeit fällt das den Dorfbewohnern dann auf.

Manchmal entdecken sie einen von uns, und dann wird die Lage unerträglich. Also lassen wir uns hin und wieder von ihnen beerdigen. Wir lassen sie ihre dummen, kleinen Menschenrituale durchführen und geben ihnen das Gefühl, sie wären uns losgeworden. Und wenn sie nicht hinsehen, erheben wir uns einfach wieder und kehren in unser Leben zurück.

Doch manchmal erhebt sich ein Vampir zu früh oder wird dabei beobachtet – dann kommt der Mob. Das geht vorüber, wie immer. Zwar lenkt ein solcher Zwischenfall unerwünschte Aufmerksamkeit auf uns, aber zum Glück immer nur vorübergehend.«

»Es tut mir leid«, sagte Caitlin, die jetzt ein schlechtes Gewissen hatte.

»Mach dir keine Gedanken«, erwiderte er. »Das war deine erste Zeitreise, du hattest noch nicht alles unter Kontrolle. Man braucht ein paar Versuche, bis man sich daran gewöhnt hat. Selbst die Besten von uns können ihr Wiederauftauchen nicht perfekt steuern. Es ist immer schwer zu sagen, wann und wo genau man landet. Aber du hast deine Sache gut gemacht«, fügte er hinzu und legte ihr sanft eine Hand auf den Arm.

Sie bogen in einen Gang mit einer niedrigen Gewölbedecke ein.

»Außerdem hast du dich auch gut aus der Affäre gezogen«, fuhr er fort. »Schließlich bist du in die Kirche gekommen.«

Caitlin erinnerte sich, wie sie die Kirche gesehen hatte, als sie über das Feld gerannt war.

»Es ist mir einfach nur logisch erschienen, zur Kirche zu laufen«, antwortete sie. »Sie war das erste Gebäude, das mir ins Auge gefallen ist, außerdem wirkt sie wie eine Festung.«

Lächelnd schüttelte er den Kopf. »In der Welt der Vampire gibt es keine Zufälle«, sagte er. »Alles ist vorherbestimmt. Ein Gebäude, das auf dich sicher wirkt, kann einem anderen durchaus unsicher vorkommen. Nein, du hast dich aus einem bestimmten Grund für diesen Ort entschieden. Aus einem ganz bestimmten Grund. Du solltest mich finden.«

»Aber Sie sind doch ein Priester.«

Er schüttelte ganz leicht den Kopf. »Du bist noch so jung, du hast noch so viel zu lernen. Wir haben unsere eigene Religion, unsere eigene religiöse Überzeugung. Sie unterscheidet sich gar nicht mal so sehr von der der Kirche. Man kann ein Vampir sein und trotzdem ein Leben im Dienste der Religion führen. Vor allem unsere Vampirgattung«, fügte er hinzu. »Ich unterstütze sogar täglich das Seelenleben der Menschen. Schließlich verfüge ich im Gegensatz zu den Menschenpriestern über die Weisheit von Jahrtausenden auf diesem Planeten. Glücklicherweise wissen die Menschen nicht, dass ich kein Mensch bin. Sie halten mich einfach für den Gemeindepriester.«

In Caitlins Kopf drehte sich alles, während sie versuchte, diese Informationen zu verarbeiten. Das Bild eines Vampirpriesters war in ihren Augen widersinnig. Die Vorstellung, dass es eine Vampirreligion gab, die innerhalb der Kirche praktiziert wurde, kam ihr sehr seltsam vor.

Doch so faszinierend das Ganze auch war, so war es trotzdem nicht das, was sie wirklich interessierte. Sie wollte Informationen über Caleb haben. Hatte er die Reise überlebt? Wo war er jetzt?

Und sie wollte unbedingt wissen, was mit ihrem Kind war. War sie noch schwanger, hatte das Baby überlebt?

In der Hoffnung, dass der Priester ihre unausgesprochenen Fragen beantworten würde, dachte sie sehr intensiv daran.

Doch er ging nicht auf ihre Gedanken ein.

Obwohl sie ganz sicher war, dass er wusste, was sie dachte, zog er es vor, ihre Fragen nicht zu beantworten. Damit zwang er sie, ihre Fragen laut zu stellen. Doch wahrscheinlich wusste er auch, dass sie Angst vor den Antworten hatte.

»Und was ist mit Caleb?«, fragte sie schließlich mit bebender Stimme. Um sich nach ihrem Kind zu erkundigen, war sie zu nervös.

Sein Lächeln verblasste, als er ganz leicht zusammenzuckte.

Furcht breitete sich in ihr aus.

Bitte, dachte sie. Bitte keine schlechten Nachrichten.

»Manche Dinge musst du selbst herausfinden«, antwortete er schließlich. »Manche Dinge darf ich dir nicht sagen. Du musst diese Reise unternehmen, ganz allein du.«

»Aber ist er hier?«, fragte sie voller Hoffnung. »Hat er es geschafft?«

Der Priester presste die Lippen zusammen. Er ließ die Frage unbeantwortet im Raum stehen – für eine gefühlte Ewigkeit.

Als sie schließlich vor einer weiteren Treppe stehen blieben, drehte er sich zu ihr um und sah sie an. »Ich wünschte, ich könnte dir mehr sagen«, erklärte er. »Wirklich.«

Dann hob er seine Fackel höher und stieg die Stufen hinunter.

Sie betraten einen langen Gewölbegang, dessen Decken mit Gold verziert und exquisit gestaltet waren. Sie waren vollständig mit Fresken in leuchtenden Farben überzogen, und die Bögen dazwischen waren vergoldet. Die Decken leuchteten förmlich.

Das Gleiche traf auf den Boden zu. Er bestand aus wunderschönem, rosa Marmor und sah aus, als wäre er frisch geputzt worden. Diese unterirdische Ebene der Kirche war prachtvoll und sah aus wie eine antike Schatzkammer.

»Wow«, stieß Caitlin unwillkürlich hervor. »Was ist das für ein Ort?«

»Es ist ein Ort voller Wunder. Du bist in der Kirche zum heiligen Franz von Assisi. Sie ist für uns ein sehr heiliger Ort. Die Leute – sowohl Menschen als auch Vampire – pilgern von weither zu diesem Ort. Franz von Assisi war der Schutzpatron der Tiere und auch aller Lebewesen, die keine Menschen sind – dazu gehören auch die Vampire. Es heißt, dass an diesem Ort Wunder geschehen. Seine Energie beschützt uns hier.

Du bist nicht durch Zufall hier gelandet«, fuhr er fort. »Dieser Ort stellt ein Portal für dich dar, er ist der Startpunkt für deinen Weg, deine Pilgerreise.«

Er drehte sich um und sah sie an.

»Du hast immer noch nicht begriffen«, fuhr er fort, »dass du dich auf einer Reise befindest. Und manche Pilgerreisen dauern Jahre und gehen über sehr weite Strecken.«

Caitlin dachte nach. Sie fühlte sich überwältigt. Eigentlich wollte sie gar keine Reise machen. Sie wollte nach Hause, zusammen mit Caleb, und wieder gesund und munter im einundzwanzigsten Jahrhundert sein – diesen ganzen Albtraum hier wollte sie am liebsten schnell hinter sich lassen. Wie satt sie es war, immer unterwegs zu sein, ständig auf der Flucht, pausenlos auf der Suche. Sie wollte einfach nur ein normales Leben führen, das Leben eines ganz normalen Teenagers.

Doch dann gebot sie sich selbst Einhalt, denn es führte zu nichts, wenn sie diese Gedanken weiterverfolgte. Die Dinge hatten sich endgültig geändert, und nichts würde mehr so sein wie zuvor. Sie rief sich ins Gedächtnis, dass der Wandel jetzt ihre neue Normalität war. Nie wieder würde sie das alte, durchschnittliche Menschenmädchen Caitlin sein. Inzwischen war sie älter und weiser. Und auch wenn ihr der Gedanke nicht behagte – sie war auf einer ganz speziellen Mission, die sie einfach akzeptieren musste.

»Aber worin besteht meine Pilgerschaft?«, wollte Caitlin wissen. »Was ist meine Bestimmung? Wohin genau reise ich überhaupt?«

Er ging voraus zum Ende des letzten Ganges und blieb dann vor einem großen, kunstvoll verzierten Grabmal stehen.

Als Caitlin die Energie spürte, die von dem Grab ausging, war ihr sofort klar, dass es sich um das Grab des heiligen Franz von Assisi handeln musste. Durch die bloße Nähe zu der Grabstätte wurden ihre Kräfte aufgeladen – sie wurde zunehmend stärker und hatte das Gefühl, bald wieder sie selbst zu sein. Erneut fragte sie sich, ob sie als Mensch oder als Vampir zurückgekehrt war. Sie vermisste ihre Kräfte sehr.

»Du bist immer noch ein Vampir«, sagte der Priester. »Mach dir keine Sorgen. Es dauert einfach eine Weile, bis du wieder du selbst wirst.«

Obwohl es ihr peinlich war, dass sie schon wieder vergessen hatte, ihre Gedanken zu schützen, fühlte sie sich durch seine Worte getröstet.

»Du bist eine ganze besondere Person, Caitlin«, sagte er eindringlich. »Wir Vampire brauchen dich dringend. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass ohne dich unsere ganze Gattung und auch die Menschheit vom Aussterben bedroht sind. Wir brauchen dich. Wir brauchen deine Hilfe.«

»Aber was soll ich denn tun?«, fragte sie verzagt.

»Wir sind darauf angewiesen, dass du den Schutzschild findest«, erklärte er. »Und um dem Schild auf die Spur zu kommen, musst du zuerst deinen Vater aufspüren. Nur er – einzig und allein er – weiß, wo es ist. Und um ihn zu finden, musst du deinen Clan suchen. Deinen richtigen Clan.«

»Aber ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll«, erwiderte sie. »Ich weiß ja nicht mal, warum ich an diesem Ort und in dieser Zeit gelandet bin. Warum Italien? Warum im Jahr 1790?«

»Die Antworten auf diese Fragen musst du selbst herausfinden. Aber ich kann dir versichern, dass es ganz besondere Gründe dafür gibt, warum du in dieser Zeit wieder aufgetaucht bist. Du wirst ganz spezielle Leute treffen und ganz besondere Aufgaben erfüllen. Und dieser Ort hier und diese Zeit werden dich zu dem Schild führen.«

Caitlin überlegte.

»Aber ich weiß doch gar nicht, wo mein Vater ist. Und ich weiß immer noch nicht, wo ich anfangen soll.«

Lächelnd sah er sie an. »Doch, du weißt es«, widersprach er. »Das ist dein Problem, du vertraust deiner Intuition nicht. Du musst lernen, tief in deinem Inneren zu suchen. Probier es aus, jetzt gleich. Schließ die Augen und atme tief und gleichmäßig.«

Caitlin tat, was er ihr geraten hatte.

»Stell dir die Frage: Wohin muss ich als Nächstes gehen?«

Caitlin zerbrach sich den Kopf, doch nichts geschah.

»Lausche dem Geräusch deines Atems. Werde innerlich ganz ruhig.«

Als Caitlin seiner Anweisung folgte und es tatsächlich schaffte, sich zu konzentrieren und gleichzeitig zu entspannen, blitzten in ihrem Kopf plötzlich Bilder auf. Schließlich schlug sie die Augen wieder auf und sah ihn an.

»Ich sehe zwei Orte«, sagte sie. »Florenz und Venedig.«

»Gut«, antwortete er. »Sehr gut.«

»Aber ich bin verwirrt. Wohin soll ich denn jetzt zuerst gehen?«

»Bei einer Reise gibt es keine falsche Wahl. Jeder Weg bringt uns nur an einen anderen Ort. Die Entscheidung liegt ganz bei dir. Deine Bestimmung ist sehr stark, aber trotzdem hast du Willensfreiheit. Du kannst bei jedem Schritt wählen. Jetzt zum Beispiel stehst du vor einer sehr wichtigen Entscheidung. In Florenz wirst du deinen Verpflichtungen nachkommen und dem Schutzschild ein Stück näherkommen. Das ist das, was gebraucht wird. Doch in Venedig geht es um eine Herzensangelegenheit. Also musst du zwischen deiner Mission und deinem Herzen wählen.«

Caitlins Herz schlug schneller.

Herzensangelegenheit. Hieß das, dass Caleb in Venedig war?

Ihr Herz zog sie nach Venedig, doch ihr Verstand sagte ihr, dass Venedig der Ort war, an dem sie sein sollte, um ihren Auftrag zu erfüllen.

Sie fühlte sich hin- und hergerissen.

»Du bist jetzt eine erwachsene Frau«, fuhr der Priester fort. »Du triffst deine Wahl. Doch wenn du der Stimme deines Herzens folgst, wird Leid daraus entstehen«, warnte er. »Der Weg des Herzens ist nie leicht – und auch nie so, wie man es erwartet.«

»Ich bin völlig durcheinander«, gestand sie hilflos.

»Wir arbeiten am besten, wenn wir träumen«, sagte er. »Nebenan befindet sich ein Kloster, in dem du übernachten kannst. Triff deine Entscheidung einfach morgen. Bis dahin wirst du auch wieder vollkommen wiederhergestellt sein.«

»Danke«, sagte sie, ergriff seine Hand und drückte sie.

Als er sich umdrehte, um zu gehen, schlug ihr Herz heftig. Es gab noch eine letzte Frage, die sie ihm unbedingt stellen musste – die wichtigste von allen. Aber ein Teil von ihr hatte große Angst davor. Zitternd öffnete sie den Mund, um zu sprechen, aber er war so trocken, dass kein Ton herauskam.

Er ging den Gang entlang und war schon fast verschwunden, als sie schließlich den Mut aufbrachte.

»Warten Sie!«, rief sie. Dann fügte sie leiser hinzu: »Bitte, ich habe noch eine Frage.«

Er blieb stehen, wandte sich jedoch nicht zu ihr um. Er schien zu wissen, was sie fragen wollte.

»Mein Baby«, stieß sie mit bebender Stimme hervor. »Hat er … sie … es überlebt? Die Reise? Bin ich noch schwanger?«

Jetzt drehte er sich langsam um und sah sie an. Dann senkte er den Blick.

»Es tut mir leid«, antwortete er dann so leise, dass sie ihn kaum verstand. »Du bist in die Vergangenheit gereist. Kinder können nur vorwärtsgehen. Dein Kind lebt, aber nicht in dieser Zeit, sondern in der Zukunft.«

»Aber …«, widersprach sie aufgewühlt. »Ich dachte, Vampire können nur in die Vergangenheit reisen, nicht in die Zukunft.«

»Das stimmt. Ich fürchte, dein Kind lebt ohne dich in einer anderen Zeit an einem anderen Ort.« Erneut schlug er die Augen nieder. »Es tut mir so leid«, fügte er hinzu.

Mit diesen abschließenden Worten drehte er sich um und verschwand endgültig.

Und Caitlin fühlte sich, als hätte ihr jemand einen Dolch mitten ins Herz gestoßen.




4. Kapitel


Caitlin saß in einem kahlen Zimmer des Franziskanerklosters und sah aus dem offenen Fenster in die Nacht hinaus. Irgendwann hatte sie schließlich aufgehört zu weinen. Es war schon Stunden her, seit der Priester sie verlassen hatte, seit sie die Nachricht über ihr verlorenes Kind erfahren hatte. Sie hatte es nicht geschafft, den Tränenstrom zu stoppen oder die Gedanken an das Leben, das sie hätte führen können, zu verdrängen. Der Verlust war einfach zu schmerzhaft.

Doch nach vielen Stunden hatte sie sich ausgeweint, und die Tränen auf ihren Wangen waren getrocknet. Jetzt blickte sie aus dem Fenster und atmete tief ein und aus.

Umbrien breitete sich vor ihr aus, von ihrem Aussichtspunkt hoch oben auf einer Anhöhe konnte sie die Hügel von Assisi sehen. Der Vollmond schien und spendete genug Helligkeit, sodass sie erkennen konnte, wie wunderschön die Landschaft war. Kleine Landhäuschen waren wie kleine Tupfen zwischen den Feldern verteilt, und aus den Schornsteinen stieg Rauch auf. Schon jetzt spürte sie, dass diese Epoche ruhiger und entspannter war als das einundzwanzigste Jahrhundert.

Dann drehte Caitlin sich um und betrachtete ihr kleines Zimmer, das nur durch den Mondschein und eine kleine Kerze in einem Wandhalter erhellt wurde. Wände, Decke und Boden waren aus Stein, und in einer Ecke stand ein einfaches Bett. Sie wunderte sich darüber, dass es anscheinend ihr Schicksal war, immer wieder in einem Kloster zu landen. Der Ort war vollkommen anders als Pollepel, doch trotzdem erinnerte der kleine, mittelalterliche Raum sie an ihr Zimmer auf Pollepel Island. Beide Räume waren darauf ausgelegt, sich selbst zu finden.

Als Caitlin den Boden genauer betrachtete, entdeckte sie in der Nähe des Fensters zwei Einbuchtungen. Sie waren einige Zentimeter voneinander entfernt und hatten die Form von Knieabdrücken. Neugierig fragte sie sich, wie viele Nonnen hier wohl schon vor dem Fenster gekniet und gebetet hatten. Wahrscheinlich wurde diese Kammer schon seit Jahrhunderten benutzt.

Caitlin ging zu dem schmalen Bett und legte sich darauf. Eigentlich handelte es sich nur eine Steinplatte mit einer dünnen Strohschicht darauf. Als sie versuchte, es sich ein wenig bequemer zu machen, indem sie sich auf die Seite rollte, fühlte sie plötzlich etwas. Etwas steckte unter ihrem Kleid – sie griff darunter und zog es hervor. Entzückt stellte sie fest, dass es ihr Tagebuch war.

Sie war sehr glücklich, ihren guten alten Freund an ihrer Seite zu haben, offensichtlich war das Buch das Einzige, das die Zeitreise überlebt hatte. Als sie diesen realen, greifbaren Gegenstand an sich drückte, begriff sie endgültig, dass sie nicht bloß träumte. Sie war tatsächlich hier, alles war wirklich geschehen.

Ein moderner Stift rutschte zwischen den Seiten heraus und fiel in ihren Schoß. Nachdenklich hob sie ihn hoch und musterte ihn.

Ja, das war es. Genau das musste sie jetzt tun: schreiben, verarbeiten. Die Ereignisse waren so schnell aufeinandergefolgt, dass sie kaum Zeit zum Luftholen gehabt hatte. Deshalb hatte sie das Bedürfnis, alles noch einmal in Gedanken durchzuspielen und sich jede Einzelheit ins Gedächtnis zurückzurufen. Wie war sie an diesen Ort gelangt? Was war genau geschehen? Wie ging es jetzt weiter?

Sie war sich nicht ganz sicher, ob sie die Antworten überhaupt noch kannte – doch sie hoffte, dass sie sich durch das Niederschreiben an alles erinnern würde.

Vorsichtig blätterte Caitlin die etwas brüchigen Blätter um, bis sie eine leere Seite fand. Dann setzte sie sich auf, lehnte sich an die Wand, zog die Knie hoch und begann zu schreiben.


* * *

Wie bin ich hier gelandet? In Assisi? In Italien? Im Jahr 1790? Einerseits scheint es nicht lange her zu sein, dass ich noch im einundzwanzigsten Jahrhundert war und in New York das normale Leben eines Teenagers führte. Andererseits kommt es mir wie eine Ewigkeit vor … Wie hat noch mal alles angefangen?

Das Erste, das mir einfällt, sind die extremen Hungerattacken – zuerst hatte ich gar nicht kapiert, woher die Schmerzen kamen. Ich erinnere mich an Jonah, die Carnegie Hall, meine erste Blutmahlzeit. Meine unerklärliche Verwandlung in einen Vampir. Ein Halbblut haben sie mich genannt. Zu dem Zeitpunkt wäre ich am liebsten gestorben. Schließlich hatte ich nie etwas anderes gewollt, als so zu sein wie alle anderen.

Dann war da Caleb. Er hat mich vor dem bösen Clan gerettet. Sein eigener Clan wohnt in The Cloisters. Doch sie haben mich rausgeworfen, weil Beziehungen zwischen Menschen und Vampiren verboten sind. Ich war wieder allein – zumindest, bis Caleb mich wieder gerettet hat.

Meine Suche nach meinem Vater und dem mythenhaften Schwert, mit dessen Hilfe die Menschheit und die Vampire vor einem schrecklichen Krieg bewahrt werden können, führte Caleb und mich von einem historischen Ort zum nächsten. Wir fanden das Schwert, aber es wurde uns wieder weggenommen. Wie immer wartete schon Kyle, um für Unheil zu sorgen.

Dann wurde mir allmählich klar, was aus mir geworden war. Außerdem entdeckten Caleb und ich unsere Liebe füreinander. Nachdem das Schwert gestohlen worden war und nachdem man mich niedergestochen hatte, lag ich im Sterben, aber Caleb verwandelte mich und rettete mir damit wieder einmal das Leben.

Doch dann entwickelten sich die Dinge nicht so, wie ich geglaubt hatte. Ich sah Caleb mit seiner Exfrau Sera und befürchtete gleich das Schlimmste. Obwohl ich damit falsch lag, war es bereits zu spät. Er flüchtete und begab sich in Gefahr. Inzwischen kam ich auf Pollepel Island wieder zu Kräften, trainierte fleißig und gewann Freunde – Vampirfreunde. So gute Freunde hatte ich vorher nie gehabt. Vor allem mit Polly verstand ich mich gut. Und mit Blake – er steckte voller Rätsel und sah blendend aus. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte mir mein Herz gestohlen. Doch ich kam gerade noch rechtzeitig wieder zur Vernunft. Dann erfuhr ich, dass ich schwanger war, und beschloss Caleb zu suchen und vor dem Vampirkrieg zu retten.

Leider kam ich zu spät. Mein eigener Bruder Sam täuschte uns, betrog mich und ließ mich glauben, er wäre ein anderer. Er war schuld daran, dass ich glaubte, Caleb wäre nicht Caleb – und ich tötete unwissentlich meine große Liebe. Mit dem Schwert. Mit meinen eigenen Händen. Das kann ich mir niemals verzeihen.

Danach brachte ich Caleb nach Pollepel und versuchte, ihn wiederzubeleben, koste es, was es wolle. Ich hatte Aiden gesagt, ich würde alles dafür tun und wäre bereit, alles zu opfern. Schließlich bat ich Aiden, uns auf eine Zeitreise in die Vergangenheit zu schicken.

Er hatte mich gewarnt, dass mein Plan möglicherweise schiefgehen könnte. Das würde bedeuten, dass wir vielleicht nicht zusammen sein würden. Trotzdem bestand ich auf meinem Vorhaben, ich musste es einfach tun.

Und jetzt bin ich hier. Allein, an einem fremden Ort in einem vergangenen Jahrhundert. Mein Kind ist weg, und vielleicht habe ich auch Caleb endgültig verloren.

War es ein Fehler, diese Zeitreise zu unternehmen?

Obwohl ich weiß, dass ich meinen Vater und mit ihm den Schutzschild finden muss, bin ich nicht sicher, ob ich die Kraft dazu haben werde – wenn Caleb nicht an meiner Seite ist.

Ich bin völlig durcheinander und weiß nicht, was ich als Nächstes tun soll.

Bitte, lieber Gott, hilf mir …

Als die Sonne wie ein riesiger Ball am Horizont aufging, rannte Caitlin durch die Straßen New Yorks. Es herrschte Weltuntergangsstimmung. Autos standen kreuz und quer auf den Straßen, Leichen lagen herum, und überall bot sich ein Bild der Verwüstung. Sie rannte und rannte, immer weiter – die Straßen hatten offensichtlich kein Ende.

Während sie lief, schien die Welt sich um ihre Achse zu drehen. Dabei verschwanden allmählich die Gebäude, die Landschaft veränderte sich, die Straßen wurden zu unbefestigten Wegen, und aus dem Asphalt wurde eine Hügellandschaft. Sie hatte das Gefühl, in die Vergangenheit zu laufen, von einer modernen Zeit in ein früheres Jahrhundert. Wenn sie noch schneller laufen würde, könnte sie ihren Vater finden, ihren echten Vater – irgendwo dort hinten am Horizont.



Als sie die kleinen Ortschaften auf dem Land hinter sich ließ, schienen diese sich hinter ihr aufzulösen.

Bald war nur noch ein Feld mit weißen Blumen übrig. Voll Entzücken entdeckte sie am Horizont ihren Vater – ganz offensichtlich erwartete er sie schon.

Wie immer zeichnete sich seine Silhouette gegen die Sonne ab, doch diesmal war er näher als sonst. Sie konnte sogar seinen Gesichtsausdruck erkennen. Er wartete mit einem Lächeln auf sie und streckte bereits die Arme nach ihr aus.

Schließlich erreichte sie ihn, und er schloss sie in seine Arme. Er drückte sie ganz fest gegen seinen muskulösen Körper.

»Caitlin«, sagte er liebevoll. »Weißt du eigentlich, wie nahe du mir bist? Weißt du, wie sehr ich dich liebe?«

Doch noch bevor sie antworten konnte, sah sie aus dem Augenwinkel eine Gestalt. Auf der anderen des Blumenfeldes stand Caleb und streckte eine Hand nach ihr aus.

Sofort ging sie einige Schritte in seine Richtung, dann blieb sie stehen und sah ihren Vater an.

Er streckte ihre ebenfalls die Hand entgegen.

»Komm zu mir nach Florenz«, forderte ihr Vater sie auf.

Sie drehte sich zu Caleb um.

»Komm zu mir nach Venedig«, bat er.

Unentschlossen blickte sie zwischen den beiden hin und her. Sie war hin- und hergerissen, welchen Weg sie einschlagen sollte.


* * *

Mit einem Ruck schreckte Caitlin aus dem Schlaf hoch und saß auf einmal senkrecht im Bett.

Verwirrt sah sie sich in der kleinen Kammer um, bis ihr schließlich klar wurde, dass sie geträumt hatte.

Die Sonne ging gerade auf, und sie ging zum Fenster und sah hinaus. Das Städtchen Assisi wirkte im frühen Morgenlicht so friedlich und war wunderschön. Es war noch niemand draußen, doch vereinzelt stieg schon Rauch aus dem einem oder anderen Schornstein auf. Leichter Dunst lag wie eine dünne Wolke über den Feldern und brach das Sonnenlicht.

Plötzlich fuhr Caitlin herum, als mit einem leisen Knarren die Tür aufging. Unwillkürlich ballte sie die Fäuste, während sie sich auf einen unwillkommenen Besucher einstellte.

Doch als die Tür sich weiter öffnete, wurden ihre Augen ganz groß vor Freude.

Es war Rose, die die Tür mit ihrer Nase aufschob.

»Rose!«, rief Caitlin entzückt aus.

Der kleine Wolf rannte durch die Kammer und sprang in Caitlins Arme. Dann leckte er ihr die Freudentränen aus dem Gesicht.

Schließlich lehnte sie sich zurück und betrachtete Rose. Sie hatte zugenommen und war deutlich gewachsen.

»Wie hast du mich gefunden?«, fragte Caitlin.

Erneut leckte der Wolf ihr über das Gesicht und winselte.

Caitlin setzte sich auf die Bettkante, streichelte das Tier und dachte scharf nach: Wenn Rose die Zeitreise geschafft hatte, dann war Caleb vielleicht genauso erfolgreich gewesen. Sie fühlte sich ermutigt.

Ihr Kopf sagte ihr, dass sie nach Florenz gehen sollte, um ihre Suche fortzusetzen. Der Schlüssel zu ihrem Vater und dem Schild lag dort.

Aber ihr Herz tendierte zu Venedig.

Denn wenn auch nur geringste Chance bestand, dass Caleb dort war, musste sie das unbedingt herausfinden. Sie musste einfach.

Also traf sie ihre Entscheidung, hob Rose hoch und sprang mit Anlauf aus dem Fenster.

Sie wusste, dass sie sich vollständig erholt hatte und ihre Flügel sich daher entfalten würden.

So war es dann auch.

Kurz darauf flog Caitlin durch die Morgenluft über die Hügel von Umbrien und schlug den Weg nach Norden ein, nach Venedig.




5. Kapitel


Kyle spazierte die schmalen Straßen des alten Stadtteils von Rom entlang. Es war gerade Geschäftsschluss, und die Ladenbesitzer sperrten ihre Läden zu. Die Zeit des Sonnenuntergangs hatte er immer schon am liebsten gemocht, denn zu dieser Tageszeit wurde er zunehmend stärker. Sein Blut pulsierte schneller, und mit jedem Schritt nahm seine Kraft zu. Er war so glücklich, wieder in den überfüllten Straßen von Rom zu sein, vor allem in diesem Jahrhundert. Die armseligen Menschen waren noch Hunderte von Jahren von jeglicher Überwachungstechnologie entfernt. Daher könnte er, wenn er wollte, diesen Ort völlig entspannt und sorglos auseinandernehmen, ohne sich vor Entdeckung zu fürchten.

Nun bog er in die Via Del Seminario ein, die bald in einen großen, alten Platz mündete, die Piazza Della Rotonda.

Dort blieb Kyle stehen, schloss die Augen und atmete tief durch. Es fühlte sich so gut an, endlich wieder hier zu sein. Direkt vor ihm stand das Gebäude, das er jahrhundertelang als sein Zuhause betrachtet hatte, einer der bedeutendsten Vampirstandorte auf der Welt: das Pantheon.

Zufrieden stellte Kyle fest, dass das Pantheon aussah wie immer, ein massives, altes Bauwerk aus Stein, dessen hinterer Bereich aus einer großen Kuppel bestand, während vorne riesige, imposante Steinsäulen das Bild dominierten. Tagsüber war es selbst im achtzehnten Jahrhundert für Besucher geöffnet. Horden von Menschen waren dort täglich zu sehen.

Doch nachts, nachdem die Tore für die Öffentlichkeit geschlossen worden waren, traten die eigentlichen Eigentümer, die eigentlichen Bewohner des Gebäudes auf den Plan: der Große Vampirrat.

Vampire von kleinen und großen Clans strömten aus allen Winkeln der Erde zusammen, um den Sitzungen beizuwohnen, die die ganze Nacht andauerten. Der Rat traf Entscheidungen in allen möglichen Angelegenheiten, erteilte Genehmigungen oder entzog sie wieder. Nichts passierte in der Welt der Vampire ohne ihre Kenntnis und – jedenfalls in den meisten Fällen – ohne ihre Zustimmung.

Alles passte perfekt. Das Gebäude war ursprünglich ein Tempel zu Verehrung heidnischer Götter gewesen. Es war immer schon ein Ort der Verehrung und der Versammlung der dunklen Vampirmächte gewesen. Jeder, der Augen im Kopf hatte, konnte die Oden an heidnische Götter, die Fresken, Gemälde und Statuen überall sehen. Jeder menschliche Besucher, der sich die Zeit nahm, die Mission des Ortes zu lesen, musste einfach verstehen, worin dessen wahrer Zweck bestand.

Und als wäre das noch nicht genug, waren auch noch alle bedeutenden Vampire dort begraben. Das Ganze war ein lebendes Mausoleum, der perfekte Ort für Kyle und seinesgleichen, um ihn als ihr Zuhause zu betrachten.

Als Kyle die Stufen hinaufstieg, hatte er das Gefühl, nach Hause zu kommen. Er marschierte geradewegs auf die riesengroße, eiserne Flügeltür zu und betätigte forsch viermal den Metalltürklopfer – das Signal für Vampire – und wartete dann.

Kurz darauf wurde die schwere Tür einen Spalt breit geöffnet, und Kyle sah ein unbekanntes Gesicht. Die Tür öffnete sich gerade eben weit genug, um Kyle einzulassen, dann wurde sie schnell wieder zugemacht.

Der große, kräftige Wachposten – er war noch größer als Kyle – sah auf ihn hinunter.

»Wirst du erwartet?«, fragte er misstrauisch.

»Nein.«

Kyle ignorierte den Wachposten einfach und ging an ihm vorbei. Doch dann spürte er plötzlich einen eiskalten Griff an seinem Arm und blieb stehen. Kochend vor Wut drehte er sich um.

Der fremde Vampir war genauso wütend.

»Ohne Termin kommt hier niemand rein«, knurrte er. »Du musst wieder gehen und ein anderes Mal wiederkommen.«

»Ich gehe hin, wohin ich will«, erwiderte Kyle schäumend vor Wut. »Und wenn du mich nicht auf der Stelle loslässt, wirst du es bitter bereuen.«

Der Wachposten erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken, und gab keinen Deut nach.

»Wie ich sehe, ändern manche Dinge sich nie «, sagte plötzlich jemand. »Es ist in Ordnung, du kannst ihn loslassen.«

Der Griff um Kyles Arm lockerte sich, und als er sich umdrehte, sah er ein vertrautes Gesicht: Es war Lore, einer der Hauptberater des Großen Rates. Lächelnd sah er Kyle an und schüttelte langsam den Kopf.

»Kyle«, sagte er dann, »ich hätte nicht gedacht, dass ich dich noch mal wiedersehen würde.«

Immer noch kochend vor Wut zog Kyle seine Jacke glatt und nickte bedächtig. »Ich muss etwas mit dem Rat besprechen«, erwiderte er. »Und es duldet keinen Aufschub.«

»Tut mir leid, alter Freund«, fuhr Lore fort, »der Terminplan für heute ist komplett. Einige Vampire warten schon seit Monaten. Anscheinend gibt es in jedem Winkel der Welt dringende Probleme. Aber wenn du nächste Woche wiederkommst, kann ich vielleicht dafür sorgen …«

Jetzt trat Kyle einen Schritt vor. »Du verstehst mich nicht«, widersprach er angespannt. »Ich bin nicht aus dieser Zeit gekommen, sondern aus der Zukunft – von heute ausgehend in zweihundert Jahren. Aus einer ganz anderen Welt. Es geht um alles – wir stehen kurz vor dem Sieg, dem Gesamtsieg. Und wenn ich nicht sofort mit dem Großen Rat sprechen kann, wird das schwerwiegende Folgen für uns alle haben.«

Lores Lächeln verblasste, als er begriff, wie ernst es Kyle damit war. Nach einem kurzen angespannten Schweigen räusperte er sich schließlich und forderte ihn auf: »Komm mit.«

Als er sich umdrehte und ging, folgte Kyle ihm dicht auf den Fersen.

Der lange, breite Gang mündete in einen großen, offenen Saal. Er hatte eine hohe Kuppeldecke, und der Boden bestand aus glänzendem Marmor. Der Raum war rund, und am Rand befanden sich kunstvoll verzierte Säulen sowie Statuen, die auf Sockeln platziert waren.

An den Wänden standen Hunderte von Vampiren aus allen Teilen der Welt und von allen möglichen Clans. Kyle wusste, dass die meisten von ihnen Söldner und genauso böse waren wie er selbst. Geduldig beobachteten sie, wie der Große Rat, der am anderen Ende des Saales an der Richterbank saß, seine Urteile fällte. Die Luft vibrierte vor gespannter Erwartung.

Kyle trat ein und nahm die Szene in sich auf. Es war die richtige Entscheidung gewesen, sich an den Rat zu wenden. Natürlich hätte er sich auch dagegen entscheiden und Caitlin auf eigene Faust aufspüren können, doch der Rat verfügte über geheime Informationsquellen und würde ihn sicherlich schneller zu ihr führen. Zudem brauchte er ihre offizielle Genehmigung, denn Caitlin war nicht nur eine persönliche Angelegenheit für ihn, sondern eine Sache von äußerster Wichtigkeit für die gesamte Vampirwelt. Wenn der Rat ihn unterstützte – und dessen war er sich vollkommen sicher -, dann würde er nicht nur ihre Genehmigung bekommen, sondern auch auf ihre Ressourcen zurückgreifen können. Er könnte sie schneller töten und um so schneller wieder zurückkehren, um den Krieg zu Ende zu führen.

Ohne ihre Billigung wäre er nichts weiter als ein abtrünniger Einzelgänger. Eigentlich würde das Kyle nichts ausmachen, aber er wollte nicht ständig auf der Hut sein müssen: Wenn er gegen ihren Willen handelte, würden sie ihm vielleicht Jäger auf den Hals hetzen, die ihn töten sollten. Obwohl er zuversichtlich war, dass er gut auf sich aufpassen konnte, wollte er keine Zeit und keine Energie darauf verschwenden.

Doch falls sie sein Begehren abweisen sollten, war er bereit, alles zu tun, um Caitlin trotzdem zur Strecke zu bringen.

Letztendlich war das Ganze nur eine weitere Formsache unter endlos vielen anderen Formsachen. Diese Etikette war sozusagen der Klebstoff, der für den Zusammenhalt unter den Vampiren sorgte – aber trotzdem ärgerte Kyle sich maßlos darüber.

Als er nun in den Saal hineinging, musterte er die Ratsmitglieder. Sie sahen genauso aus, wie er sie in Erinnerung hatte. Die zwölf Richter des Großen Rates saßen erhöht auf einem Podium und trugen schlichte, schwarze Roben mit schwarzen Kapuzen, die auch ihre Gesichter bedeckten. Trotzdem wusste Kyle, wer diese Männer waren. Im Laufe der Jahrhunderte hatte er oft genug vor ihnen gestanden. Einmal – nur ein einziges Mal – hatten sie ihre Kapuzen abgesetzt, sodass er ihre unheimlichen, greisenhaften Gesichter hatte sehen können. Er zuckte innerlich zusammen, als er daran dachte. Sie waren hässliche Geschöpfe der Nacht.

Doch sie bildeten den Großen Rat und hatten immer schon hier residiert, seit das Pantheon erbaut worden war. Dieses Bauwerk war geradezu ein Teil von ihnen, und niemand, nicht einmal Kyle, wagte es, das Gericht in Frage zu stellen. Dafür war ihre Macht einfach zu groß, die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einfach zu unermesslich. Selbst wenn Kyle versuchen würde, einen oder zwei der Richter zu töten, würden sie ihm ihre Armeen, die überall auf der Welt saßen, auf den Hals hetzen. Irgendwann würden sie ihn dann doch zur Strecke bringen.

Die zahlreichen Vampire im Saal waren gekommen, um Zeugen der Urteilsverkündungen zu sein und ihre eigene Audienz zu erwarten. Sie stellten sich immer ordentlich in einem großen Kreis an den Wänden auf und ließen das Zentrum des Raumes frei. Dort befand sich jeweils nur eine einzige Person – diejenige, die gerade vor Gericht stand.

Im Augenblick war das ein armer Kerl, der vor Furcht zitterte, während er auf die undurchschaubaren Kapuzen starrte und den Urteilsspruch der Richter erwartete. Kyle wusste, wie es sich anfühlte, an diesem Fleck zu stehen – es war alles andere als angenehm. Wenn ihnen die Angelegenheit nicht gefiel, wegen der man sich an sie gewendet hatte, konnte es sein, dass sie den Antragsteller aus einer Laune heraus einfach töteten. Man durfte das Ganze nie auf die leichte Schulter nehmen – es ging immer um Leben und Tod.

»Warte hier«, flüsterte Lore Kyle zu und verschwand dann in der Menge. Kyle blieb am Rand des Saals stehen und wartete.

Während Kyle den Burschen beobachtete, der gerade vor dem Richtergremium stand, nickte einer der Richter ganz leicht, und sofort tauchten zwei Vampire auf. Sie ergriffen die Person vor dem Gremium an beiden Armen.

»Nein! NEIN!«, schrie der Mann.

Doch es nützte ihm nichts. Sie zerrten ihn davon, obwohl er schrie und sich wehrte. Er wusste, dass ihm der Tod bevorstand und dass nichts, was er sagen oder tun könnte, etwas daran ändern würde. Offensichtlich hatte er den Rat um etwas gebeten, was nicht ihre Billigung fand. Die Schreie des armen Kerls hallten im Saal wider. Schließlich wurde er nach draußen geführt, und die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss. Daraufhin kehrte im Saal wieder Ruhe ein.

Kyle spürte die Anspannung, die in der Luft lag, als die anderen Vampire Blicke wechselten und den Augenblick fürchteten, wenn sie selbst an der Reihe waren.

Lore näherte sich einem Saaldiener, der sich in der Nähe des Richtertisches aufhielt, und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Saaldiener ging zu einem der Richter, kniete erst ehrerbietig nieder und flüstert ihm dann etwas zu.

Der Richter wandte ganz leicht den Kopf, und der Mann zeigte in Kyles Richtung. Trotz der großen Entfernung spürte Kyle, wie sich der stechende Blick des Richters, dessen Augen hinter der Kapuze verborgen waren, auf ihn richtete. Unwillkürlich lief ihm ein Schauder den Rücken hinunter. Schließlich stand er hier vor dem wahrhaft Bösen.

Als der Saaldiener nickte, war das Kyles Zeichen.

Er bahnte sich einen Weg durch das Gedränge und ging auf den Richtertisch zu. Auf dem bewussten Fleck mitten im Saal blieb er stehen. Er wusste, dass direkt über ihm ein Loch in der Decke war, ein Rundfenster, über dem der Himmel zu sehen war. Tagsüber fiel ein Lichtstrahl durch die Öffnung herein; jetzt am Abend war das einfallende Licht nur sehr schwach. Der Raum wurde hauptsächlich durch die Fackeln erhellt.

Kyle kniete nieder und verbeugte sich. Er verharrte in dieser Position, bis er angesprochen wurde – so verlangte es die Vampiretikette.

»Kyle vom Blacktide Clan«, sagte einer der Richter bedächtig. »Es ist kühn von dir, ohne Vorankündigung an uns heranzutreten. Du weißt, dass du die Todesstrafe riskierst, falls dein Ersuchen nicht auf unsere Zustimmung stoßen sollte.«

Es handelte sich nicht um eine Frage, sondern um eine Feststellung. Kyle kannte die möglichen Konsequenzen, doch er fürchtete sich nicht vor dem Ausgang dieser Angelegenheit.

»Dessen bin ich mir bewusst, mein Meister«, antwortete er bloß.

Nach einer kurzen Pause, in der nur das Rascheln der Richterroben zu hören war, richtete der Richter wieder das Wort an Kyle: »Dann sprich. Schildere uns dein Anliegen.«

»Ich komme gerade aus einer anderen Zeit, die zweihundert Jahre in der Zukunft liegt.«

Ein lautes Murmeln erhob sich unter den Anwesenden. Ein Saaldiener stieß seinen Stab dreimal auf den Boden und rief laut: »Ruhe!«

Schließlich beruhigte sich die Menge wieder.

Kyle fuhr fort: »Wie alle anderen von uns unternehme auch ich Zeitreisen nicht leichtfertig. Es geht um eine sehr dringende Angelegenheit. In der Zukunft, in der Zeit, in der ich normalerweise lebe, ist ein Krieg ausgebrochen – ein glorreicher Vampirkrieg. Er hat in New York begonnen und wird sich von dort aus weiter ausbreiten. Es ist die Vampirapokalypse, von der wir immer schon geträumt haben. Untere Gattung – die Bösen – werden daraus schließlich als Sieger hervorgehen. Die gesamte Menschheit wird ausgelöscht werden – die verbleibenden Menschen werden versklavt. Außerdem werden wir alle guten Vampirclans vernichten, alle, die sich uns in den Weg stellen.

Ich weiß das so genau, weil ich diesen Krieg anführe.«

Erneut erhob sich lautes Gemurmel, bis der Saaldiener wieder mit seinem Stab für Ruhe sorgte.

»Doch mein Sieg ist noch nicht vollständig«, rief Kyle über den Lärm. »Ein Stachel steckt noch in meinem Fleisch, es gibt eine Person, die alles zerstören kann, was wir erreicht haben. Sie allein kann unsere glorreiche Zukunft ruinieren. Diese junge Frau stammt von einem besonderen Geschlecht ab, und jetzt ist sie eben in diese Zeit hier gereist, wahrscheinlich, um mir zu entkommen. Ich bin hergekommen, um sie zu finden und zu töten. Bis mir das gelungen ist, liegt eine ungewisse Zukunft vor uns allen.

Jetzt bitte ich Euch um die Erlaubnis, sie zu töten, hier und in Eurer Zeit. Außerdem bitte ich Euch, mich bei der Suche nach ihr zu unterstützen.«

Kyle senkte den Kopf und wartete. Sein Herz schlug schneller. Natürlich lag es auch in ihrem Interesse, ihm zu helfen, er sah keinen Grund, warum sie sein Gesuch ablehnen sollten. Doch diese Kreaturen, die schon seit Millionen von Jahren lebten und sogar noch älter waren als er, waren vollkommen unberechenbar. Ihre Absichten ließen sich nie erraten, und ihre Entscheidungen wirkten so willkürlich wie der Wind.

Während er wartete, wurde die Stille immer lastender.

Endlich war ein Räuspern zu hören.

»Natürlich wissen wir, von wem du sprichst«, sagte einer der Richter mit rauer Stimme. »Du meinst Caitlin vom Pollepel Clan. Eigentlich stammt sie einem anderen, viel mächtigeren Clan ab. Ja, es stimmt, sie ist gestern in unserer Zeit eingetroffen. Selbstverständlich wissen wir das. Und wenn wir sie töten wollten, glaubst du nicht, wir hätten das selbst erledigt?«

Kyle hütete sich, die Frage zu beantworten. Schließlich kannte er ihren Stolz. Er würde sie einfach zu Ende reden lassen.

»Doch wir bewundern deine Entschlossenheit und deinen Krieg in der Zukunft«, fuhr der Richter fort. »Ja, das bewundern wir sehr.«

Erneut legte sich ein lastendes Schweigen über den Saal.

»Wir erlauben dir, sie aufzuspüren«, fuhr der Vampir schließlich fort, »doch wenn du sie findest, wirst du sie nicht töten, sondern sie gefangen nehmen und zu uns bringen. Wir möchten sie lieber selbst umbringen und dabei zusehen, wie sie ganz langsam stirbt. Sie ist eine perfekte Kandidatin für die Spiele.«

Kyle spürte, wie er vor Wut wieder zu kochen begann. Die Spiele. Natürlich. Etwas anderes interessierte diese kranken, alten Vampire nicht. Jetzt fiel es ihm wieder ein: Sie hatten das Kolosseum in eine Sportarena verwandelt, in der Vampire gegen Vampire antraten, Vampire gegen Menschen oder Vampire gegen wilde Tiere. Sie liebten es, dabei zuzusehen, wie sie alle sich gegenseitig in Stücke rissen. Das Spiel war grausam, und in gewisser Weise gefiel es Kyle.

Aber es war nicht das, was er für Caitlin wollte. Er wollte sie tot sehen, und damit basta. Zwar hätte er nichts dagegen, wenn sie gefoltert würde, doch gleichzeitig wollte er auch keine Zeit verschwenden und auf keinen Fall irgendetwas dem Zufall überlassen. Natürlich hatte bisher niemand die Spiele überlebt oder war geflüchtet, aber man konnte nie wissen.

»Aber meine Meister«, protestierte Kyle, »wie Ihr bereits gesagt habt, stammt Caitlin von einer sehr mächtigen Familie ab und ist daher wesentlich gefährlicher und schwerer fassbar, als man sich vorstellen kann. Ich erbitte Eure Erlaubnis, sie auf der Stelle töten zu dürfen. Es steht zu viel auf dem Spiel.«

»Du bist noch jung«, mischte sich ein anderer Richter ein, »und deshalb verzeihen wir dir, dass du unser Urteil in Frage gestellt hast. Jeden anderen hätten wir auf der Stelle töten lassen.«

Kyle senkte den Kopf. Ihm wurde klar, dass er zu weit gegangen war. Niemand widersprach den Richtern – niemals.

»Sie ist in Assisi. Dorthin wirst du als Nächstes gehen, beeil dich und lass dich nicht aufhalten. Nun, da du es erwähnt hast, freuen wir uns schon richtig auf das Schauspiel.«

Kyle drehte sich um und wollte gehen.

»Und Kyle«, rief einer von ihnen ihm nach.

Er wirbelte herum.

Der Oberrichter zog seine Kapuze zurück und enthüllte die hässlichste Fratze, die Kyle je gesehen hatte – sie war vollständig mit Warzen und Beulen überzogen. Dann öffnete er den Mund und lächelte ein grässliches Lächeln, bei dem scharfe, gelbe Zähne zu sehen waren. Seine schwarzen Augen funkelten, als sein Grinsen noch breiter wurde. »Das nächste Mal, wenn du ohne Vorankündigung hier auftauchst, wirst du derjenige sein, der ganz langsam sterben wird.«




6. Kapitel


Caitlin flog über die idyllische Region Umbrien und bewunderte die üppig grünen Hügel und Täler, die im frühen Morgenlicht lagen. Kleine Bauernhöfe mit gemauerten Häuschen, umgeben von vielen Morgen Land, lagen verstreut in der Landschaft. Aus den Schornsteinen stieg Rauch auf.

Als sie weiter sie nach Norden kam und die Toskana erreichte, veränderte sich das Bild, die Hügel wurden zu Bergen. So weit der Blick reichte, sah sie Weinberge an den steilen Hängen. Arbeiter mit großen Strohhüten waren bereits so früh am Morgen an der Arbeit und kümmerten sich um die Reben. Dieses Land war unglaublich schön, und am liebsten wäre sie gleich gelandet, um sich in einem dieser kleinen Farmhäuschen häuslich niederzulassen.

Doch sie hatte noch einiges zu tun; also setzte sie ihren Flug nach Norden fort. Rose hatte sich in ihrem Hemd zusammengerollt. Dann spürte Caitlin, dass sie sich Venedig näherte – sie fühlte sich wie ein Magnet davon angezogen. Je näher sie kam, desto heftiger schlug ihr Herz vor gespannter Erwartung. Schon jetzt ahnte sie, dass sie Leute treffen würde, die sie von früher kannte, doch sie wusste noch nicht, wer es sein würde. Sie spürte auch noch nicht, ob Caleb sich in Venedig aufhielt und ob er überhaupt noch lebte.

Caitlin hatte immer schon von einer Reise nach Venedig geträumt. Sie hatte Fotos der Kanäle und der Gondeln gesehen und sich immer vorgestellt, dass sie eines Tages in diese Stadt reisen würde, vielleicht mit jemandem zusammen, den sie liebte. Ja, sie hatte sich sogar schon ausgemalt, wie sie in einer dieser Gondeln einen Heiratsantrag erhalten würde. Doch nie hatte sie damit gerechnet, auf diese Weise nach Venedig zu kommen.

Plötzlich schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass das Venedig, das sie jetzt besuchen würde, ganz anders sein könnte als die Stadt auf den Fotos aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert. Wahrscheinlich würde Venedig kleiner, weniger fortschrittlich und viel dörflicher sein. Außerdem würde wohl weniger los sein.

Doch bald erkannte sie, dass sie mit ihrer Einschätzung vollkommen falsch lag.

Als sie schließlich den Stadtrand erreichte, entdeckte sie voller Staunen, dass die Stadt unter ihr selbst aus dieser Höhe eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Bildern aus modernen Zeiten aufwies. Sie erkannte den berühmten, historischen Baustil, die Vielzahl kleiner Brücken, die Windungen der Kanäle. In der Tat war sie regelrecht schockiert, dass das Venedig des Jahres 1790 sich kaum – zumindest dem äußeren Anschein nach – von dem Venedig des einundzwanzigsten Jahrhunderts unterschied.

Doch als sie länger darüber nachdachte, verstand sie den Grund dafür. Die Architektur Venedig war nicht bloß einhundert oder zweihundert Jahre alt, sondern viele hundert Jahre. Ihr fiel eine Geschichtsstunde in der Highschool ein, in der es um den Bau von Kirchen in Venedig im zwölften Jahrhundert gegangen war. Jetzt wünschte sie sich, sie hätte damals besser aufgepasst. Die Stadt Venedig unter ihr war auch im Jahr 1790 schon mehrere Jahrhunderte alt.

Caitlin fühlte sich durch den Gedanken getröstet. Zuerst hatte sie sich vorgestellt, dass das Leben im Jahr 1790 wie auf einem anderen Planet sein würde, doch jetzt war sie erleichtert, dass einige Dinge sich gar nicht so sehr verändert hatten. Der einzige Unterschied, der ihr unmittelbar ins Auge fiel, war die Tatsache, dass auf den Kanälen natürlich keine Motorboote unterwegs waren. Es gab keine Schnellboote, keine großen Fähren, keine Kreuzfahrtschiffe. Stattdessen wimmelte es auf den Wasserstraßen von großen Segelschiffen, deren Masten viele Meter in die Höhe ragten.

Was Caitlin auch überraschte, das waren die Menschenmassen. Als sie sich tiefer sinken ließ und nur noch in einer Höhe von etwa dreißig Metern über die Stadt flog, erkannte sie, dass die Straßen sogar jetzt in den frühen Morgenstunden voller Menschen waren. Und auch auf den Wasserstraßen herrschte Hochbetrieb. Verblüfft stellte sie fest, dass in dieser Stadt mehr los war als auf dem Times Square. Dabei war sie davon ausgegangen, dass in früheren Zeiten weniger Menschen lebten und die Erde weniger dicht bevölkert war. Wahrscheinlich hatte sie sich auch in diesem Punkt geirrt.

Nachdem sie die Stadt mehrmals umkreist hatte, fiel ihr auf, dass Venedig nicht nur auf einer Insel, sondern auf vielen lag. Dutzende von Inseln erstreckten sich in alle Richtungen, und alle waren bebaut. Die Hauptinsel war jedoch deutlich zu erkennen, weil ihre Bebauung am dichtesten war. Doch die kleineren Inseln schienen ebenfalls eine wichtige Rolle zu spielen.

Auch die Farbe des Wassers erstaunte sie sehr: Es war von einem tiefen, leuchtenden Blau. Es war so klar und unwirklich blau, wie sie es irgendwo in der Karibik erwartet hätte.

Als sie erneut über den Inseln kreiste und versuchte, sich zu orientieren und einen guten Landeplatz auszukundschaften, bereute sie es, dass sie die Stadt nie im einundzwanzigsten Jahrhundert besucht hatte. Nun ja, zumindest bot sich ihr jetzt die Gelegenheit.

Momentan fühlte sie sich ein wenig überfordert, weil keine Ahnung hatte, wo sie mit der Suche nach Leuten, die sie einst gekannt hatte, beginnen sollte – falls sie überhaupt hier waren. Törichterweise hatte sie angenommen, Venedig wäre deutlich kleiner und idyllischer. Selbst von hier oben wurde ihr klar, dass man tagelang in dieser Stadt herumirren konnte.

Leider gab es auf der Hauptinsel keine Möglichkeit, irgendwo unauffällig zu landen. Zu viele Menschen drängten sich in den Straßen und auf den Plätzen, und schließlich wollte sie keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sie wusste ja nicht, welche Clans dort unten wohnten, ob sie ein Eindringen in ihr Revier übel nahmen und ob sie zu den Guten oder den Bösen gehörten. Außerdem hatte sie keine Ahnung, ob die Menschen hier – wie in Assisi – auf der Hut vor Vampiren waren und Jagd auf sie machen würden. Das Letzte, was sie jetzt brauchen konnte, war ein Mob, der sie umbringen wollte.

Am Ende entschloss sie sich, auf dem Festland zu landen, weit weg von der Insel. Dort hatte sie große Schiffe voller Leute gesehen, die offensichtlich vom Festland nach Venedig übersetzten. Diesen Weg würde sie auch nehmen, zumindest würde sie dann direkt mitten im Herzen der Stadt ankommen.

Unauffällig landete Caitlin hinter einem kleinen Wäldchen auf dem Festland, nicht weit entfernt von der Bootsanlegestelle. Sie setzte Rose ab, die sofort hinter den nächsten Busch lief, um ihr Geschäft zu erledigen. Als sie fertig war, blickte sie zu Caitlin auf und jaulte. Caitlin las in ihren Augen, dass sie hungrig war, und stellte fest, dass es ihr genauso ging.

Das Fliegen hatte sie ermüdet, und daraus schloss sie, dass sie sich immer noch nicht vollständig von der Zeitreise erholt hatte. Außerdem hatte sie sich richtig Appetit geholt – jedoch nicht auf menschliches Essen.

Als sie sich umsah, konnte sie kein Wild entdecken, aber sie hatte keine Zeit, auf die Suche zu gehen. Vom Boot her ertönte ein lauter Pfiff und kündigte den Ablegevorgang an. Rose und Caitlin würden warten müssen und sich später um die Nahrungsnahme kümmern.

Plötzlich bekam Caitlin Heimweh und vermisste die Sicherheit und die Geborgenheit von Pollepel. Außerdem hatte sie Sehnsucht nach Caleb, der immer die Führung übernommen hatte, wenn es nötig gewesen war. In seiner Gegenwart hatte sie fortwährend das Gefühl gehabt, alles würde sich zum Guten wenden. Als sie jetzt ganz auf sich gestellt war, war sie sich dessen nicht mehr so sicher.


* * *

Caitlin und Rose gingen auf das nächstgelegene Schiff zu. Es war ein großes Segelschiff, eine Gangway verband das Deck mit dem Ufer. Das Boot war bereits voller Leute, die letzten Passagiere gingen gerade die Gangway hinauf. Caitlin und Rose beeilten sich, bevor die Rampe eingezogen wurde.

Doch dann wurde sie überraschend von einer großen, fleischigen Hand aufgehalten, die ihr unsanft den Weg versperrte. »Fahrkarte«, sagte jemand unfreundlich.

Ein großer, muskelbepackter Mann starrte finster auf sie hinunter. Er war ein ungehobelter, unrasierter Klotz und roch unangenehm.

In Caitlin stieg Verärgerung auf. Sie war ohnehin schon gereizt, weil sie nichts gegessen hatte, und nahm es dem Mann übel, dass er sie aufhalten wollte.

»Ich habe keine«, antwortete sie knapp. »Können Sie mich nicht einfach durchlassen?«

Der Mann schüttelte entschieden den Kopf und wandte sich ab. »Keine Fahrkarte, keine Bootsfahrt«, erwiderte er.

Als ihre Verärgerung wuchs, zwang sie sich, an Aiden zu denken. Was hätte er ihr jetzt geraten? Atme tief durch und entspann dich. Benutze deinen Kopf, nicht deinen Körper. Er hätte sie daran erinnert, dass sie stärker war als dieser Mensch. Er hätte ihr gesagt, sie solle sich konzentrieren und ihre inneren Talenten nutzen.

Also schloss sie die Augen und konzentrierte sich auf ihre Atmung. Dann sammelte sie sich und richtete ihre Gedanken auf diesen Mann.

Du wirst uns auf das Boot lassen. Du wirst auf diese Fahrkarte verzichten.

Als sie die Augen wieder aufschlug, erwartete sie, dass er vor ihr stehen und ihr die Überfahrt kostenlos anbieten würde. Doch zu ihrer Enttäuschung tat er es nicht. Stattdessen ignorierte er sie einfach und löste die letzten Taue.

Es funktionierte nicht. Entweder hatte sie ihre Fähigkeit verloren, die Gedanken von anderen zu kontrollieren, oder sie war noch nicht wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte. Oder vielleicht war sie einfach zu erschöpft und ruhte zu wenig in sich selbst.

Plötzlich fiel ihr etwas ein: ihre Taschen. Schnell durchsuchte sie sie und fragte sich, ob sie vielleicht etwas aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert mitgebracht hatte. Erleichtert zog sie einen Zwanzigdollarschein hervor.

»Hier«, sagte sie und reichte ihm den Schein.

Er nahm ihn, befühlte ihn und hielt ihn hoch, um ihn genauer zu untersuchen.

»Was ist das denn?«, fragte er dann. »Das kenne ich nicht.«

»Das ist ein Zwanzigdollarschein«, erklärte Caitlin und begriff gleichzeitig, wie dämlich sie war. Natürlich, woher sollte er den Schein kennen? Er stammte aus Amerika, außerdem würde es diese Währung erst in zweihundert Jahren geben.

Voller Angst wurde ihr klar, dass das Geld nutzlos war.

»Abfall«, sagte sie und schob den Schein wieder in die Tasche.

Dann sah sie erschrocken, dass das Boot jeden Moment ablegen würde. Schnell griff sie wieder in die Tasche und brachte ein bisschen Kleingeld zum Vorschein. Sie nahm eine Vierteldollarmünze und gab sie ihm.

Diesmal wirkte der Mann schon interessierter, nahm die Münze und hielt sie ans Licht. Doch trotzdem war er immer noch nicht überzeugt und gab ihr das Geld zurück.

»Komm zurück, wenn du richtiges Geld hast«, knurrte er. Dann warf er einen Blick auf Rose und fügte hinzu: »Und ohne Hund.«

Caitlin dachte an Caleb. Vielleicht war er da drüben in Venedig, ganz knapp außer Reichweite – nur eine kurze Bootsfahrt entfernt. Sie war so wütend, dass dieser Kerl sie nicht zu ihm ließ. Schließlich hatte sie ja Geld, es war nur nicht seine Währung. Außerdem sah das Schiff nur bedingt seetüchtig aus, und es befanden sich bereits Hunderte von Passagieren darauf. Kam es da wirklich auf eine einzige Fahrkarte an? Es war einfach nicht fair.

Als er Caitlin die Münze zurückgab, packte er sie ganz plötzlich mit seiner großen, schweißnassen Hand am Handgelenk. Er warf ihr einen anzüglichen Blick zu und grinste verschlagen. Dabei konnte sie sehen, dass ihm mehrere Zähne fehlten, und sie roch seinen schlechten Atem.

»Wenn du kein Geld hast, kannst du auch auf eine andere Weise bezahlen«, schlug er vor, während sein unangenehmes Grinsen noch breiter wurde.

Als er die andere Hand ausstreckte und ihre Wange berührte, reagierte Caitlin reflexartig und schlug ihm kräftig auf die Finger, bevor sie ihr Handgelenk aus seinem Griff befreite. Überrascht stellte sie fest, wie stark sie wieder geworden war.

Der Mann war offensichtlich verblüfft, dass eine zierliche, junge Frau so viel Kraft hatte. Sein Grinsen verschwand schlagartig, und sein Gesichtsausdruck wurde finster. Dann spuckte er ihr vor die Füße. Angewidert sah Caitlin, dass etwas davon auf ihren Schuhen gelandet war.

»Du kannst froh sein, dass ich kein Kleinholz aus dir mache«, knurrte er, bevor er sich abrupt umdrehte und das letzte Tau löste.

Wut überkam Caitlin, und das Blut schoss ihr ins Gesicht. Waren Männer überall gleich? Zu jeder Zeit, in jeder Epoche? War das ein Vorgeschmack darauf, was sie hinsichtlich der Behandlung von Frauen hier erwartete? Als sie daran dachte, was sich Frauen alles gefallen lassen mussten, wurde sie noch wütender. Auf einmal hatte sie das dringende Bedürfnis, stellvertretend für alle Frauen einzutreten.

Der Kerl beugte sich immer noch vor und war mit dem Tau beschäftigt, als sie schnell mit dem Fuß ausholte und ihm kräftig in den Hintern trat. Im hohen Bogen flog er mit dem Kopf zuerst ins Meer, das sich rund fünf Meter unterhalb befand. Das Wasser spritzte auf, als er mit einem lauten Platschen aufschlug.

Dann lief Caitlin schnell mit Rose die Gangway hinauf und bahnte sich einen Weg durch die Menge.

Sie hoffte, dass niemand den Vorfall beobachtet hatte, weil alles so schnell geschehen war. Offensichtlich war das der Fall, denn die Besatzung zog die Gangway ein, und das Schiff setzte seine Segel.

Caitlin blickte über die Reling ins Wasser und konnte den Mann erkennen, dessen Kopf immer wieder auftauchte. Er ballte die Faust und schrie: »Stoppt das Schiff! Stoppt das Schiff!«

Doch seine Schreie wurden vom Jubel der aufgeregten Passagiere übertönt, die sich freuten, als das Schiff endlich ablegte.

Schließlich bemerkte ein Besatzmitglied den Mann im Wasser, rannte an die Reling und folgte mit dem Blick dem ausgestreckten Zeigefinger, der in Caitlins Richtung deutete.

Caitlin wartete nicht ab, was passieren würde, sondern tauchte in der Menge unter. Geduldig schob sie sich immer weiter und hoffte, dass man Rose und sie nicht entdecken würde.

Das Boot nahm zunehmend Fahrt auf. Nach einer Weile atmete Caitlin tief durch, als ihr klar wurde, dass niemand sie zu suchen schien.

Allmählich wurde sie ruhiger und bahnte sich wieder einen Weg zurück an die Reling.

In der Ferne konnte sie brutalen Kerl erkennen, der sich gerade aus dem Wasser hievte – aber jetzt war er nur noch ein kleiner Punkt am Horizont. Caitlin lächelte zufrieden – das geschah ihm recht.

Als sie sich umdrehte, entdeckte sie, dass Venedig näherrückte.

Ihr Lächeln wurde noch strahlender, während sie an der Reling lehnte und die kühle Meeresbrise ihr Haar zurückwehte. Die Temperatur an diesem warmen Maitag war perfekt, und die Salzluft war erfrischend. Rose sprang neben ihr in die Höhe und stützte sich mit den Vorderpfoten auf die Reling. Sie schien den Ausblick und die frische Luft ebenfalls zu genießen.

Caitlin hatte Schiffe immer schon geliebt. Leider hatte sie noch nie ein echtes, historisches Segelschiff gesehen – und schon gar nicht war sie auf einem gesegelt. Lächelnd korrigierte sie sich selbst in Gedanken: Das hier war kein historisches Schiff. Im Jahr 1790 war es hochmodern. Beinahe hätte sie bei dem Gedanken laut aufgelacht.

Die großen Holzmasten ragten in den Himmel. Fasziniert sah sie zu, wie die Matrosen sich in einer Reihe aufstellten und an den dicken Tauen zogen. Viele Meter schweren Segeltuchs wurden gehisst – das dicke Material knatterte im Wind. Die Arbeit war schwer, und die Matrosen schwitzten in der Sonne, während sie sich mit aller Kraft abmühten.

So wurde das also gemacht. Caitlin war beeindruckt, wie effizient die Männer Hand in Hand arbeiteten. Es war kaum zu glauben, wie schnell dieses überfüllte Schiff durch das Wasser glitt, und das ohne einen modernen Motorantrieb. Sie fragte sich, was der Kapitän dieses Segelschiffes wohl sagen würde, wenn sie ihm von den Schiffsmotoren des einundzwanzigsten Jahrhunderts erzählen würde. Wahrscheinlich würde er sie für verrückt erklären.

Rund sechs Meter unter ihr rauschte das Wasser vorbei, kleine Wellen schlugen gegen Schiffswand. Das Wasser war einfach wunderbar klar und blau.

Die Menschen um sie herum versuchten, ebenfalls einen Platz an der Reling zu ergattern, um aufs Wasser hinauszublicken. Ihr fiel auf, wie einfach gekleidet viele von ihnen waren, die meisten trugen eine Tunika und Sandalen, manche waren sogar barfuß. Andere jedoch waren elegant angezogen, und ganz offensichtlich versuchten sie, sich von den Massen fernzuhalten. Einige Leute trugen kunstvolle Masken mit langen, vorspringenden Nasen. Sie lachten und rempelten sich gegenseitig an – offenbar waren sie betrunken.

Als sie sich genauer umsah, stellte sie fest, dass eine ganze Reihe Passagiere Weinflaschen dabei hatten und so früh am Morgen schon angeheitert wirkten. Auf dem ganzen Schiff herrschte ausgelassene Feierstimmung, als wären die Leute auf dem Weg zu einem großen Fest.

Caitlin beschloss, ganz nach vorne zum Bug des Schiffes zu gehen, und drängte sich erneut durch die Menge – vorbei an Eltern, die ihre Kinder auf dem Arm trugen. Dann hatte sie es geschafft und konnte nun die Aussicht genießen, die sie sich gewünscht hatte. Neugierig beugte sie sich vor, während das Schiff zügig auf Venedig zuhielt.

Der ungehinderte Blick auf die Stadt raubte ihr den Atem. Sie erkannte die Konturen, die wunderschönen, historischen Gebäude, die alle mit dem Fronten zum Wasser zeigten. Einige Fassaden waren wirklich prachtvoll und mit allen möglichen Verzierungen versehen. Viele Häuser hatten Bogenelemente und Bogenfenster, und erstaunlicherweise befanden sich viele Haustüren auf Wasserniveau. Es war einfach unglaublich. Man konnte buchstäblich mit dem Boot bis vor die Haustüren fahren und in die Häuser eintreten.

Mitten zwischen den Gebäuden ragten Kirchturmspitzen empor, und hin und wieder war eine Kuppel am Horizont zu erkennen. Diese Stadt war in einem großartigen Baustil – prachtvoll und sehr kunstvoll – errichtet worden. Die Stadt stand nicht nur am Wasser, sondern sie umarmte es förmlich.

Und überall gab es kleine Bogenbrücken, die die Häuserzeilen miteinander verbanden, und in der Mitte befand sich ein großer Platz. Überall spazierten Menschen herum oder saßen am Ufer und beobachteten die vorüberfahrenden Schiffe.





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BESTIMMT ist das vierte Buch der Bestseller Serie DER WEG DER VAMPIRE, die mit dem kostenlosen Buch GEWANDELT beginnt (Band #1) . In BESTIMMT (Band #4 der Weg Der Vampire) findet sich Caitlin Paine in der Vergangenheit wieder. Sie ist auf einem Friedhof auf der Flucht vor einem Haufen von Dorfbewohnern, und sucht Zuflucht im alten Kloster von Assisi, in der italienischen Provinz Umbrien. Dort erfährt sie ihr Schicksal und ihre Mission: ihre Vater und den uralten Schild der Vampire zu finden, um die Menschheit zu retten. Doch Caitlins Herz sehnt sich immer noch nach ihrer verlorenen Liebe Caleb. Sie versucht verzweifelt herauszufinden, ob er die Zeitreise überlebt hat. Sie erfährt, dass sie für ihre Mission nach Florenz reisen muss, doch wenn sie ihrem Herz folgen will, muss sie nach Venedig gehen. Sie wählt Venedig. Sie ist überwältigt von dem, was sie vorfindet. Das Venedig des 18. Jahrhunderts ist ein unwirklicher Ort. Männer und Frauen tragen aufwendige Kostüme und Masken, und feiern ein endloses verschwenderisches Fest. Sie ist überglücklich, als sie einige ihrer engsten Freunde wiederentdeckt und sie sie in ihrem Zirkel willkommen heißen. Begeistert begleitet sie sie zum Großen Ball in Venedig, dem wichtigsten Kostümball des Jahres, und hofft dort Caleb zu finden. Doch Caitlin ist nicht die einzige, die durch die Zeit reisen kann: Bald kommt auch Kyle an, und ist entschlossen sie zu jagen und ein für alle Mal zu töten. Auch Sam kommt in der Vergangenheit an und ist entschlossen seine Schwester zu retten, bevor es zu spät ist. Auf dem Ball sucht Caitlin überall, doch kann kein Zeichen von Caleb finden. Bis zum letzten Tanz. Sie tanzt mit einem maskierten Mann, der ihr Herz berührt, und sie ist sich sicher, dass er es ist. Doch als die Tanzpartner getauscht werden, verliert sie ihn wieder aus den Augen. Oder doch nicht?

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