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Gefunden
Morgan Rice


Weg der Vampire #8
In GEFUNDEN (Band #8 der Weg der Vampire) erwachen Caitlin und Caleb im antiken Israel, im Jahr 33 nach Christus, und sind erstaunt, sich im Zeitalter Christi wiederzufinden. Das antike Israel ist ein Ort von heiligen Stätten, uralten Synagogen, verlorenen Reliquien. Es ist der spirituell am stärksten geladene Ort im Universum – und im Jahr 33 nach Christus, dem Jahr seiner Kreuzigung, ist es auch die spirituell am stärksten geladene Zeit. Im Herzen seiner Hauptstatt Jerusalem liegt der Heilige Tempel Salomons, in dem sich das Allerheiligste und die Bundeslade befinden. Und in jenen Straßen wird Christus seine letzten Schritte zu seiner Kreuzigung tun. Jerusalem wimmelt von Menschen aller Religionen und Glaubensrichtungen, unter dem wachsamen Auge römischer Soldaten und ihres Statthalters Pontius Pilatus. Die Stadt hat auch eine dunkle Seite, mit labyrinthartigen Straßen und einem Irrgarten von Gassen, die zu verborgenen Geheimnissen und heidnischen Tempeln führen. Caitlin hat nun endlich alle vier Schlüssel, doch sie muss immer noch ihren Vater finden. Ihre Suche führt sie nach Nazareth, nach Kapernaum, nach Jerusalem, auf einer mystischen Spur von Geheimnissen und Hinweisen in den Fußstapfen Christi. Sie führt sie auch auf den uralten Ölberg, zu Aiden und seinem Clan, und zu noch mächtigeren Geheimnissen und Reliquien, als sie je gekannt hatte. An jeder Biegung ist ihr Vater nur einen Schritt entfernt. Doch es ist ein Rennen gegen die Zeit: Auch Sam, der dunklen Seite zugewandt, ist in dieser Zeit gelandet, und als er sich mit Rexius, dem Anführer des bösen Clans, verbündet, wird es zum Wettlauf gegen Caitlin um das Schild. Rexius schreckt vor nichts zurück, um Caitlin und Caleb zu zerstören, und mit Sam an seiner Seite und einer neuen Armee hinter sich ist er im Vorteil.





Morgan Rice

Gefunden (Band 8 im Weg Der Vampire)




Ausgewählte Kommentare zu DER WEG DER VAMPIRE



„Rice leistet gute Arbeit, den Leser von Beginn an in die Geschichte hineinzuziehen, mit wunderbaren Beschreibungen, die über das reine Zeichnen des Hintergrundes hinausgehen....schön geschrieben und extrem schnell zu lesen.“

    --Black Lagoon Reviews (über Turned – Gewandelt)



„Eine ideale Geschichte für junge Leser. Morgan Rice leistet gute Arbeit, eine interessante Wendung herauszuarbeiten…erfrischend und ungewöhnlich. Die Serie dreht sich um ein Mädchen…ein außergewöhnliches Mädchen!…Einfach zu lesen, doch extrem rasant… Bedingt jugendfrei.“

    --The Romance Reviews (über Turned – Gewandelt)



„Packte meine Aufmerksamkeit von Anfang an und ließ nicht locker… diese Geschichte ist ein fantastisches Abenteuer, von Beginn an rasant und actionreich. Es ist kein langweiliger Moment zu finden.“

    --Paranormal Romance Guild {über Turned- Gewandelt}



„Vollgepackt mit Action, Romantik, Abenteuer und Spannung. Lasst es euch nicht entgehen, und verliebt euch ganz von Neuem.“

    --vampirebooksite.com (über Turned – Gewandelt)



„Eine tolle Geschichte, und vor allem die Art von Buch, die man nachts nicht weglegen kann. Das Ende war ein Cliffhanger, der so spektakulär war, dass man sofort das nächste Buch kaufen möchte, nur um herauszufinden, wie es weitergeht.“

    --The Dallas Examiner {über Loved – Vergöttert}



„Ein Buch, das TWILIGHT und VAMPIRE DIARIES Konkurrenz macht, und dazu führen wird, dass man bis zur letzten Seite nicht genug davon bekommt! Wer Abenteuer, Liebe und Vampire mag, liegt mit diesem Buch genau richtig!“

    --vampirebooksite.com (über Turned – Gewandelt)



„Morgan Rice erweist sich erneut als äußerst talentiert im Geschichtenerzählen…Dies wird eine große Bandbreite an Lesern ansprechen, darunter die jüngeren Fans des Vampir/Fantasy-Genres. Das Ende ist ein unerwarteter Cliffhanger, der Sie schockieren wird.“

    --The Romance Reviews (über Loved – Vergöttert)



Über Morgan Rice

Morgan Rice schrieb die Nr. 1-Bestseller DER WEG DER VAMPIRE, eine bisher elf Teile umfassende Jugend-Serie, die großteils bereits auf Deutsch erschienen ist; die Nr. 1-Bestseller-Serie THE SURVIVAL TRILOGY, ein postapokalyptischer Thriller, der aus bisher zwei Bänden besteht; und die epische Nr. 1-Bestseller-Fantasy-Serie DER RING DER ZAUBEREI, die bisher aus dreizehn Bänden besteht und großteils bereits auf Deutsch erhältlich ist.

Morgans Bücher sind als Hörbuch und gedruckte Ausgaben erschienen, und Übersetzungen der Bücher sind auf Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Japanisch, Chinesisch, Spanisch, Holländisch, Türkisch, Ungarisch, Tschechisch und Slowakisch erschienen (mit weiteren Sprachen in Arbeit).

Sämtliche Bücher von Morgan Rice werden demnächst in deutscher Sprache erhältlich sein.

Bitte besuchen Sie auch www.morganricebooks.com (http://www.morganricebooks.com/), wo Sie sich in die E-Mail-Liste eintragen, ein Gratis-Buch und andere kleine Geschenke erhalten, die Gratis-App herunterladen, exclusiv aktuelle Neuigkeiten erfahren, sowie über Facebook und Twitter Kontakt halten können. Morgan freut sich auf Ihren Besuch!



Bücher von Morgan Rice

DER RING DER ZAUBEREI

QUESTE DER HELDEN (Band #1)

MARSCH DER KÖNIGE (Band #2)

LOS DER DRACHEN (Band #3)

RUF NACH EHRE (Band #4)

SCHWUR DES RUHMS (Band #5)

ANGRIFF DER TAPFERKEIT(Band #6)

A RITE OF SWORDS – RITUS DER SCHWERTER (Band #7)

A GRANT OF ARMS – GEWÄHR DER WAFFEN (Band #8)

A SKY OF SPELLS – HIMMEL DER ZAUBER (Band #9)

A SEA OF SHIELDS – MEER DER SCHILDE (Band #10)

demnächst auf Deutsch erhältlich

A REIGN OF STEEL – REGENTSCHAFT DES STAHLS (Band #11)

A LAND OF FIRE – LAND DES FEUERS (BAND #12)

A RULE OF QUEENS – DIE HERRSCHAFT DER KÖNIGINNEN (BAND #13)



DIE TRILOGIE DES ÜBERLEBENS

ARENA EINS: DIE SKLAVENTREIBER (BAND #1)

ARENA TWO –  ARENA ZWEI (Band #2)



DER WEG DER VAMPIRE

GEWANDELT (Band #1 Der Weg Der Vampire)

VERGÖTTERT (Band #2 Der Weg Der Vampire)

VERRATEN (Band #3 Der Weg Der Vampire)

BESTIMMT (Band #4 Der Weg Der Vampire)

BEGEHRT (Band #5 Der Weg Der Vampire)

BETROTHED – VERMÄHLT (Band #6)

VOWED – GELOBT (Band #7)

FOUND  – GEFUNDEN (Band #8)

demnächst auf Deutsch erhältlich

RESURRECTED  – ERWECKT (Band #9)

CRAVED  – ERSEHNT (Band #10)

FATED  – BERUFEN (Band #11)












Hören (http://www.amazon.com/Turned-Book-1-Vampire-Journals/dp/B006M6VYJM/ref=tmm_aud_title_0) Sie sich die VAMPIRE JOURNALS-Serie im Hörbuch-Format an!


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Copyright © 2014 Morgan Rice

Alle Rechte vorbehalten. Mit den im U.S. Copyright Act von 1976 erlaubten Ausnahmen ist es nicht gestattet, jeglichen Teil dieser Publikation in jeglicher Form oder über jegliche Mittel ohne die vorherige Erlaubnis des Autors zu vervielfältigen, verteilen oder übertragen, oder in einer Datenbank oder einem Abrufsystem zu speichern.

Dieses Ebook ist ausschließlich für den persönlichen Gebrauch zugelassen. Dieses Ebook darf nicht weiterverkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit einer anderen Person teilen möchten, erwerben Sie bitte ein zusätzliches Exemplar für jeden Empfänger. Wenn Sie dieses Buch lesen und nicht gekauft haben, oder es nicht ausschließlich für Ihren Gebrauch gekauft wurde, geben Sie es bitte zurück erwerben Sie Ihr eigenes Exemplar. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit des Autors respektieren.

Diese Geschichte ist frei erfunden. Namen, Figuren, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder ein Produkt der Phantasie des Autors oder werden im fiktionalen Sinne verwendet. Jegliche Ähnlichkeit mit existierenden Personen, tot oder lebend, ist rein zufällig.

Cover-Model: Jennifer Onvie. Cover-Fotografie: Adam Luke Studios, New York. Cover-Makeup-Artist: Ruthie Weems. Falls Sie gerne Kontakt zu einem dieser Künstler aufnehmen möchten, kontaktieren Sie bitte Morgan Rice.



FAKT:

Obwohl das genaue Datum von Jesus' Tod ungewiss bleibt, wird weithin angenommen, dass er am 3. April im Jahr 33 n.Chr. starb.


FAKT:

Die Synagoge von Kapernaum (Israel), eine der ältesten der Welt, ist einer der wenigen verbleibenden Orte, an denen Jesus gelehrt hat. Dort war es auch, wo er einen Mann heilte, der „einen Geist eines unreinen Teufels“ hatte.


FAKT:

Die heutige Kirche vom Heiligen Grab in Jerusalem, eine der geheiligtsten Kirchen der Welt, wurde am Schauplatz von Jesus' Kreuzigung erbaut, und an der angeblichen Stelle seiner Auferstehung. Doch bevor die Kirche erbaut wurde, stand die ersten 300 Jahre nach seiner Kreuzigung paradoxerweise an jener Stelle ein heidnischer Tempel.


FAKT:

Nach dem Letzten Abendmahl wurde Jesus von Judas im alten Garten von Gethsemane verraten.


FAKT:

Sowohl das Judentum als auch das Christentum besagen, dass eine Apokalypse stattfinden wird, ein Ende aller Tage, während derer ein Messias kommen wird und während derer jene, die gestorben sind, auferstehen werden. Das Judentum besagt, dass beim Kommen des Messias die ersten, die auferstehen werden, diejenigen sein werden, die am Ölberg begraben sind.


„Ich will dir deine Lippen küssen. Ach, vielleicht
Hängt noch ein wenig Gift daran und läßt mich
An einer Labung sterben.
O willkommner Dolch!“

    --William Shakespeare, Romeo und Julia
    (Deutsch von A. W. von Schlegel)






KAPITEL EINS


Nazareth, Israel

(April im Jahr 33 des Herrn)



In Caitlins Kopf tobten rasende, unruhige Träume. Sie sah ihre beste Freundin Polly von einer Klippe stürzen; sie streckte die Hand aus und versuchte, sie zu fassen, doch sie verfehlte ihre Hand knapp. Sie sah ihren Bruder Sam, wie er vor ihr davonlief, durch ein endloses Feld; sie jagte ihm nach, doch egal, wie schnell sie rannte, sie konnte ihn nicht fangen. Sie sah Kyle und Rynd, wie sie vor ihren Augen ihre Clansmitglieder abschlachteten, in Stücke hackten, und das Blut über sie spritzte. Dieses Blut wandelte sich in einen blutroten Sonnenutergang, der über ihrer Hochzeitszeremonie mit Caleb hing. Nur dass bei dieser Hochzeit sie beide die einzigen anwesenden Personen waren, die letzten, die noch auf der Welt übrig waren, und am Rand einer Klippe vor dem blutroten Himmel standen.

Und dann sah sie ihre Tochter Scarlet in einem kleinen Holzboot sitzen, alleine auf dem endlosen Meer, in unruhigen Wassern treibend. Scarlet streckte die vier Schlüssel hoch, die Caitlin brauchte, um ihren Vater zu finden. Doch vor ihren Augen öffnete Scarlet die Hand und ließ sie ins Wasser fallen.

„Scarlet!“, versuchte Caitlin zu schreien.

Doch kein Laut kam hervor, und vor ihren Augen trieb Scarlet weiter und weiter von ihr davon, aufs Meer hinaus, hinein in die riesigen Sturmwolken, die sich am Horizont ballten.

„SCARLET!“,

schrie Caitlin Paine, aus dem Schlaf schreckend. Sie setzte sich keuchend auf und blickte sich um, um ihre Lage zu erfassen. Es war dunkel hier drin, die einzige Lichtquelle eine kleine Öffnung etwa zwanzig Meter entfernt. Es wirkte, als wäre sie in einem Tunnel. Oder vielleicht einer Höhle.

Caitlin fühlte etwas Hartes unter sich und blickte hinunter, um festzustellen, dass sie auf dem Erdboden lag, auf kleinen Steinen. Es war heiß hier drin, staubig. Wo immer sie war, dies war kein schottisches Klima. Es fühlte sich heiß an, trocken—als wäre sie in einer Wüste.

Caitlin saß da, rieb sich den Kopf, blinzelte in die Dunkelheit, versuchte, sich zu erinnern, zwischen Träumen und Realität zu unterscheiden. Ihre Träume waren so lebhaft, und ihre Realität so surreal, dass es immer schwieriger wurde, den Unterschied zu erkennen.

Während sie langsam zu Atem kam und die grässlichen Visionen abschüttelte, wurde ihr langsam klar, dass sie wieder zurück war. Am Leben, irgendwo. In irgendeiner neuen Zeit, an einem neuen Ort. Sie spürte die Schmutzschicht auf ihrer Haut, in ihrem Haar, ihren Augen, und sie fühlte sich, als bräuchte sie ein Bad. Es war so heiß hier drin, dass das Atmen schwer fiel.

Caitlin spürte eine vertraute Beule in ihrer Tasche, rollte sich herum und sah erleichtert, dass ihr Tagebuch die Reise überstanden hatte. Sofort prüfte sie ihre andere Tasche und ertastete ihre vier Schlüssel, dann griff sie sich an den Hals und fühlte ihre Halskette. Alles hatte die Reise überstanden. Eine Welle der Erleichterung schwappte über sie.

Dann erinnerte sie sich. Sofort wirbelte Caitlin herum, um zu sehen, ob Caleb und Scarlet es mit ihr zurück geschafft hatten.

Sie konnte einen Umriss in der Finsternis erkennen, eine reglose Gestalt, und zunächst hielt sie es für ein Tier. Doch als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten, erkannte sie, dass es eine menschliche Form war. Sie erhob sich langsam, ihr Körper schmerzend und steif vom Liegen auf den Steinen, und näherte sich.

Sie durchquerte die Höhle, kniete nieder und stieß sanft die Schulter der großen Gestalt an. Sie konnte bereits erahnen, wer es war: er musste sich nicht erst umdrehen, bevor sie es wusste. Sie konnte es vom anderen Ende der Höhle aus spüren. Es war, wusste sie erleichtert, ihre einzig wahre Liebe. Ihr Ehemann. Caleb.

Als er sich auf den Rücken rollte, betete sie, dass er es wohlbehalten hierher geschafft hatte. Dass er sich an sie erinnerte.

Bitte, dachte sie. Bitte. Nur ein letztes Mal. Lass Caleb die Reise überlebt haben.

Als Caleb sich herumdrehte, sah sie erleichtert, dass seine Gesichtszüge intakt waren. Sie konnte keine Anzeichen von Verletzungen sehen. Als sie genauer hinsah, war sie noch mehr erleichtert darüber, dass er atmete, seine Brust sich in langsamem Rhythmus hob und senkte—und dann sah sie seine Augenlider zucken.

Sie stieß einen riesigen Erleichterungsseufzer aus, als seine Augen aufflatterten.

„Caitlin?“, fragte er.

Caitlin brach in Tränen aus. Ihr Herz flog höher, und sie beugte sich vor und umarmte ihn. Sie hatten es gemeinsam zurück geschafft. Er war am Leben. Mehr brauchte sie nicht. Sie würde nicht mehr als das von der Welt erwarten.

Er erwiderte ihre Umarmung, und sie hielt ihn lange Zeit fest und fühlte die Muskeln unter seiner Haut spielen. Eine Welle der Erleichterung schwappte über sie. Sie liebte ihn mehr, als sie sagen konnte. Sie waren schon zu so vielen Zeiten und Orten zusammen zurückgereist, hatten so viel gemeinsam erlebt, die Höhen und Tiefen, hatten so sehr gelitten und auch gefeiert. Sie dachte an all die Male, die sie einander beinahe verloren hätten, das eine Mal, als er sich nicht an sie erinnerte, als er vergiftet wurde… die Hindernisse in ihrer Beziehung schienen niemals zu enden.

Und nun, endlich, hatten sie es geschafft. Sie waren wieder zusammen, für die letzte Reise in die Vergangenheit. Hieß das, sie würden auf ewig zusammen sein?, fragte sie sich. Sie hoffte es, mit jeder Faser ihres Wesens. Keine weiteren Zeitreisen. Diesmal waren sie endgültig zusammen.

Caleb sah älter aus, als er sie ansah. Sie starrte in seine glühenden brauen Augen und konnte die Liebe spüren, die durch ihn floss. Sie wusste, dass er das Gleiche dachte wie sie.

Während sie in seine Augen blickte, kamen all die Erinnerungen hereingeflutet. Sie dachte an ihre letzte Reise, an Schottland. Alles kam wie ein grässlicher Traum über sie. Zuerst war es so wunderschön gewesen. Die Burg, all ihre Freunde zu sehen. Die Hochzeit. Mein Gott, die Hochzeit. Es war das Schönste, was sie sich je erhoffen konnte. Sie blickte auf ihren Finger hinunter und sah ihren Ring. Er war immer noch da. Der Ring hatte die Reise überstanden. Dieses Symbol ihrer Liebe hatte überlebt. Sie konnte es kaum glauben. Sie war wirklich verheiratet. Und mit ihm. Sie nahm es als ein Zeichen: wenn der Ring es in die Vergangenheit geschafft hatte, durch alles hindurch, wenn der Ring überleben konnte, so konnte es auch ihre Liebe.

Der Anblick des Rings auf ihrem Finger breitete seine volle Wirkung aus. Caitlin hielt inne und spürte nach, wie es sich anfühlte, eine verheiratete Frau zu sein. Es fühlte sich anders an. Solider, dauerhafter. Sie hatte Caleb immer geliebt, und sie hatte auch gespürt, dass er sie ebenso liebte. Sie hatte immer das Gefühl gehabt, dass ihre Verbindung für immer sein würde. Doch nun, da es amtlich war, fühlte sie sich anders. Sie fühlte, dass sie beide wahrhaft eins geworden waren.

Caitlin erinnerte sich dann daran zurück, was nach der Hochzeit passiert war: wie sie Scarlet, Sam und Polly zurücklassen mussten. Wie sie Scarlet im Ozean gefunden hatten, Aiden gesehen und die schrecklichen Neuigkeiten gehört hatten. Polly, ihre beste Freundin, tot. Sam, ihr einziger Bruder, auf immer für sie unerreichbar geworden, der dunklen Seite zugewandt. Ihre Clansfreunde abgeschlachtet. Es war fast mehr, als sie ertragen konnte. Sie konnte sich das Grauen nicht vorstellen, oder ein Leben ohne Sam—oder Polly.

Mit einem Ruck wandten sich ihre Gedanken Scarlet zu. Plötzlich von Panik erfüllt zog sie sich von Caleb zurück und suchte die Höhle ab, unsicher, ob auch sie es zurück geschafft hatte.

Caleb musste zur selben Zeit den gleichen Gedanken gehabt haben, denn er riss weit die Augen auf.

„Wo ist Scarlet?“, fragte er, ihre Gedanken lesend wie immer.

Caitlin wandte sich herum und rannte in jede Ecke der Höhle, suchte die dunklen Spalten ab nach irgendeinem Umriss, inrgendeiner Form, irgendeiner Spur von Scarlet. Doch da war nichts. Sie suchte panisch, kreuz und quer durch die Höhle mit Caleb, jeden Zentimeter durchkämmend.

Aber Scarlet war nicht da. Sie war ganz eifnach nicht da.

Caitlins Herz sank. Wie konnte das sein? Wie war es möglich, dass sie und Caleb die Reise zurück geschafft hatten, aber nicht Scarlet? Konnte das Schicksal so grausam sein?

Caitlin drehte sich herum und rannte auf das Sonnenlicht zu, auf den Ausgang der Höhle. Sie musste nach draußen, sehen, was da draußen war, ob es irgendeine Spur von Scarlet gab. Caleb rannte neben ihr, und sie beide rannten an den Rand der Höhle, in die Sonne hinaus, und standen am Eingang.

Caitlin blieb ruckartig stehen, und gerade rechtzeitig: eine kleine Plattform ragte aus der Höhle hervor und fiel dann ab, geradewegs einen steilen Berghang hinunter. Caleb bremste neben ihr. Da waren sie, auf einem schmalen Grat stehend und in die Tiefe blickend. Irgendwie, erkannte Caitlin, waren sie im Inneren einer Berghöhle gelandet, auf über hundert Metern Höhe. Es gab keinen Weg hinauf oder hinunter. Und wenn sie noch einen weiteren Schritt machten, würden sie über hundert Meter in die Tiefe stürzen.

Unter ihnen ausgebreitet lag ein enormes Tal, das sich so weit das Auge reichte in den Horizont erstreckte. Es war eine ländliche Wüstenlandschaft, gespickt mit felsigen Vorsprüngen und hier und da einer Palme. In der Ferne waren sanfte Hügel zu sehen, und direkt unter ihnen lag ein Dorf, das aus Steinhäusern und unbefestigten Straßen bestand. Hier in der Sonne war es sogar noch heißer, unerträglich grell und heiß. Caitlin erkannte langsam, dass sie an einem anderen Ort und Klima waren als Schottland. Und danach urteilend, mit welch einfachen Mitteln das Dorf unter ihnen erbaut war, waren sie auch in einer anderen Zeit.

Verteilt inmitten all der Erde, dem Sand und Stein waren Anzeichen von Ackerbau, gelegentliche Grünflächen. Manche davon waren von Weingärten bedeckt, die in fein säuberlichen Reihen auf den steilen Abhängen wuchsen, und in ihnen standen Bäume, die Caitlin nicht erkannte: kleine, uralt aussehende Bäume mit krummen Ästen und silbrigen Blättern, die in der Sonne schimmerten.

„Olivenbäume“, sagte Caleb, der wieder ihre Gedanken las.

Olivenbäume?, wunderte sich Caitlin. Wo um alles in der Welt waren sie?

Sie blickte zu Caleb hinüber, ahnend, dass er Ort und Zeit erkennen konnte. Sie sah, wie sich seine Augen weiteten und wusste, dass dem so war—und dass er überrascht war. Er starrte auf die Aussicht hinaus, als wäre sie ein lange verlorener Freund.

„Wo sind wir?“, fragte sie, fast davor zurückscheuend, es wissen zu wollen.

Caleb betrachtete das Tal vor ihnen, dann schließlich drehte er sich herum und sah sie an.

Leise sagte er: „Nazareth.“

Er hielt inne und ließ es auf sich wirken.

„Dem Dorf nach zu urteilen sind wir im ersten Jahrhundert“, sagte er und blickte sie mit ehrfürchtigem Ausdruck an, seine Augen vor Aufregung funkelnd. „Es sieht tatsächlich so aus, als wären wir zu Lebzeiten von Christus gelandet.“




KAPITEL ZWEI


Scarlet spürte eine Zunge über ihr Gesicht lecken und öffnete die Augen in blendendem Sonnenlicht. Die Zunge hörte nicht auf, und bevor sie auch nur hingesehen hatte, wusste sie, dass es Ruth war. Sie öffnete die Augen gerade weit genug, um es zu bestätigen: Ruth beugte sich über sie, winselte und wurde nur noch aufgeregter, als Scarlet ihre Augen öffnete.

Scarlet verspürte einen stechenden Schmerz, als sie versuchte, ihre Augen weiter zu öffnen; vom blendenden Sonnenlicht getroffen füllten sich ihre Augen mit Tränen, empfindlicher als je zuvor. Sie hatte schlimme Kopfschmerzen und zwängte ihre Augenlider gerade weit genug auseinander, um zu sehen, dass sie irgendwo auf einer Pflasterstraße lag. Menschen eilten an ihr vorbei und sie konnte sehen, dass sie inmitten einer geschäftigen Stadt war. Menschen eilten hin und her, in alle Richtungen herrschte reges Treiben, und sie konnte das Lärmen einer Menschenmasse zur Mittagszeit hören. Während Ruth immer weiter winselte, saß sie da und versuchte, sich zu erinnern, herausfinden, wo sie war. Doch sie hatte keine Ahnung.

Bevor Scarlet erfassen konnte, was passiert war, spürte sie plötzlich, wie ein Fuß sie in die Rippen stieß.

„Weg hier!“, kam eine tiefe Stimme. „Du kannst hier nicht schlafen.“

Scarlet blickte hinüber und sah eine Römersandale neben ihrem Gesicht. Sie blickte hoch und sah einen römischen Soldaten über ihr stehen, in eine kurze Tunika gekleidet, mit einen Gürtel um die Hüften, von dem ein Kurzschwert hing. Er trug einen kleinen, mit Federn bestückten Messinghelm.

Er beugte sich vor und stieß sie erneut mit seinem Fuß an. Es tat Scarlet im Magen weh.

„Hast du gehört, was ich gesagt habe? Weg hier, oder ich sperre dich ein.“

Scarlet wollte gehorchen, doch als sie die Augen weiter öffnete, tat ihr die Sonne zu sehr weh und sie war desorientiert. Sie versuchte, auf die Beine zu kommen, doch es fühlte sich an, als bewegte sie sich in Zeitlupe.

Der Soldat holte aus und trat sie kräftig in die Rippen. Scarlet sah es kommen und machte sich darauf gefasst, unfähig, schnell genug zu reagieren.

Scarlet hörte ein Knurren und sah Ruth mit gesträubtem Fell auf den Soldat losgehen. Ruth fing seinen Knöchel in der Luft ab und grub ihre scharfen Eckzähne mit aller Kraft hinein.

Der Soldat schrie auf, und seine Schreie erfüllten die Luft, während Blut von seinem Knöchel floss. Ruth ließ nicht los, schüttelte ihn mit aller Kraft, und der Ausdruck des Soldaten, noch vor einem Augenblick so hochmütig, wandelte sich zu Angst.

Er griff nach seiner Schwertscheide und zog das Schwert heraus. Er hob es hoch und war kurz davor, es auf Ruths Rücken heruntersausen zu lassen.

In dem Moment spürte Scarlet es. Es war, als würde sich eine Kraft ihres Körpers bemächtigen, als wäre eine andere Macht, ein anderes Wesen, in ihr. Ohne zu verstehen, was sie tat, trat sie plötzlich in Aktion. Sie konnte es nicht kontrollieren und sie verstand nicht, was geschah.

Scarlet sprang auf die Füße, ihr Herz vor Adrenalin pochend, und schaffte es, das Handgelenk des Soldaten in der Luft zu packen, gerade als er mit dem Schwert zuschlug. Sie spürte, wie eine nie geahnte Kraft durch sie floss, während sie seinen Arm festhielt. Selbst mit all seiner Kraft konnte er sich nicht rühren.

Sie drückte sein Handgelenk zusammen und schaffte es, so fest zuzudrücken, dass er, während er schockiert zu ihr hinunterblickte, schließlich sein Schwert fallen ließ. Es landete klirrend auf dem Kopfsteinpflaster.

„Schon gut, Ruth“, sagte Scarlet sanft, und Ruth ließ allmählich seinen Knöchel locker.

Scarlet stand da und hielt das Handgelenk des Soldaten fest, sodass er in ihrem tödlichen Griff gefangen war.

„Bitte, lass mich los“, flehte er.

Scarlet spürte die Kraft, die sie durchfloss, und spürte, wenn sie wirklich wollte, konnte sie ihn ernsthaft verletzen. Doch das wollte sie nicht. Sie wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden.

Langsam lockerte Scarlet ihren Griff und ließ ihn los.

Der Soldat, mit Furcht in den Augen, als wäre er gerade einem Dämonen begegnet, drehte sich herum und rannte davon, ohne sich damit aufzuhalten, sein Schwert aufzuheben.

„Komm mit, Ruth“, sagte Scarlet, die das Gefühl hatte, dass er mit Verstärkung zurückkommen würde, und daher nicht verweilen wollte.

Einen Augenblick später rannten die beiden in die dichte Menge. Sie eilten durch die schmalen, verwinkelten Gassen, bis Scarlet eine Nische im Schatten fand. Sie wusste, dass die Soldaten sie hier nicht finden würden, und sie wollte eine Minute für sich, um sich zu sammeln und herauszufinden, wo sie waren. Ruth hechelte neben ihr, während Scarlet in der Hitze Atem schöpfte.

Scarlet war erschrocken und verblüfft über ihre eigenen Kräfte. Sie wusste, dass etwas anders war, doch sie konnte nicht vollständig verstehen, was mit ihr passierte; sie verstand auch nicht, wo alle anderen waren. Es war so heiß hier, und sie war in einer belebten Stadt, die sie nicht kannte. Es sah so gar nicht aus wie das London, in dem sie aufgewachsen war. Sie blickte auf die vorbeihuschenden Menschen hinaus, in Roben, Togas und Sandalen gekleidet, mit großen Körben voll Feigen und Datteln auf ihren Köpfen und Schultern, manche von ihnen mit Turbanen auf dem Kopf. Sie sah altertümliche Steinbauten, schmale, verwinkelte Gassen, gepflasterte Straßen, und wunderte sich, wo um alles in der Welt sie sein konnte. Dies war definitiv nicht Schottland. Alles hier wirkte so primitiv, dass es sich anfühlte, als wäre sie tausende Jahre zurückgereist.

Scarlet blickte um sich und hoffte auf eine Spur von ihren Eltern. Sie sah sich jedes vorbeiziehende Gesicht genau an und hoffte, wünschte, dass eines von ihnen stehenbleiben und sich ihr zuwenden würde.

Doch sie waren nirgendwo zu sehen. Und mit jedem vorbeiziehenden Gesicht fühlte sie sich mehr und mehr alleine.

Scarlet überkam langsam ein Gefühl der Panik. Sie verstand nicht, wie sie alleine hier angekommen sein konnte. Wie konnten sie sie nur so zurücklassen? Wo konnten sie sein? Hatten sie es selbst zurückgeschafft? War sie ihnen nicht wichtig genug, um nach ihr zu suchen?

Je länger Scarlet dastand, beobachtete und wartete, um so klarer wurde es ihr. Sie war alleine. Völlig alleine in einer fremden Zeit, an einem fremden Ort. Selbst wenn sie hier waren, hätte sie keine Ahnung, wo sie nach ihnen suchen sollte.

Scarlet blickte auf ihr Handgelenk hinunter, auf das uralte Armband mit dem baumelnden kleinen Kreuz, das man ihr gegeben hatte, kurz bevor sie Schottland verließen. Als sie im Hof dieser Burg gestanden hatten, hatte einer dieser alten Männer in den weißen Roben die Hand ausgestreckt und es ihr über das Handgelenk gestreift. Sie fand es sehr hübsch, aber sie wusste nicht, was es war oder was es bedeutete. Sie hatte das Gefühl, dass es eine Art Hinweis sein könnte, doch hatte keine Ahnung, wofür.

Sie spürte Ruth gegen ihr Bein streifen und sie beugte sich hinunter, drückte ihr einen Kuss auf den Kopf und umarmte sie. Ruth winselte ihr ins Ohr und leckte sie ab. Zumindest hatte sie Ruth. Ruth war wie eine Schwester für sie, und Scarlet war so dankbar, dass sie es mit ihr hierher geschafft hatte, und so dankbar, dass sie sie vor diesem Soldaten beschützt hatte. Es gab niemanden, den sie mehr liebte.

Als Scarlet an den Soldaten zurückdachte, an ihre Begegnung, erkannte sie, dass ihre Kräfte tiefer sein mussten, als sie gedacht hatte. Sie konnte nicht verstehen, wie sie, ein kleines Mädchen, ihn überwältigt haben konnte. Sie spürte irgendwie, dass sie sich veränderte, oder sich bereits verändert hatte, zu etwas, das sie zuvor nicht gewesen war. Sie erinnerte sich daran, wie ihre Mutter es ihr in Schottland erklärt hatte. Doch sie verstand es immer noch nicht so richtig.

Sie wünschte, es würde alles einfach weggehen. Sie wollte einfach nur normal sein, wollte, dass die Dinge alle wieder normal waren, so wie früher. Sie wollte einfach nur ihre Mama und ihren Papa; sie wollte die Augen schließen und wieder in Schottland sein, in der Burg mit Sam und Polly und Aiden. Sie wollte wieder bei ihrer Hochzeitszeremonie sein; sie wollte, dass alles in der Welt wieder in Ordnung war.

Doch wenn sie die Augen öffnete, war sie immer noch hier, ganz allein mit Ruth in dieser fremden Stadt, dieser fremden Zeit. Sie kannte keine Menschenseele. Niemand schien ihr freundlich gesinnt. Und sie hatte keine Ahnung, wohin sie gehen sollte.

Schließlich hielt es Scarlet nicht länger aus. Sie musste weiterziehen. Sie konnte sich hier nicht ewig verstecken und warten. Wo immer ihre Mama und Papa auch waren, dachte sie, irgendwo da draußen mussten sie sein. Sie verspürte einen Hungerstich und hörte Ruth winseln, und sie wusste, dass auch sie Hunger hatte. Sie musste tapfer sein, sagte sie sich. Sie musste da hinaus und versuchen, sie zu finden—und versuchen, für sie beide Nahrung zu finden.

Scarlet trat auf die geschäftige Gasse hinaus, nach Soldaten Ausschau haltend; sie entdeckte Gruppen von ihnen in der Ferne, die die Straßen patrouillierten, doch sie schienen nicht speziell nach ihr zu suchen.

Scarlet und Ruth zwängten sich in die Menschenmassen, hin und her gedrängt, während sie die verwinkelten Gassen entlangspazierten. Es war hier so überfüllt, und die Leute drängten sich in alle Richtungen. Sie kamen an Händlern mit Holzkarren vorbei, die Obst und Gemüse feilboten, Laibe von Brot, Flaschen von Olivenöl und Wein. Sie waren in den vollen Gassen dicht aneinandergedrängt und schrien um Kundschaft. Zu allen Seiten feilschten die Leute mit ihnen.

Als wäre es noch nicht voll genug, waren die Straßen auch mit Tieren gefüllt—Kamelen und Eseln und Schafen und allen Arten von Vieh—die von ihren Besitzern getrieben wurden. Zwischen ihnen hindurch rannten wilde Hühner, Hähne und Hunde. Sie rochen grässlich und machten den lärmenden Marktplatz nur noch lauter, mit ihrem ständigen Wiehern und Blöken und Bellen.

Scarlet konnte spüren, wie Ruths Hunger beim Anblick dieser Tiere größer wurde, kniete sich hinunter und packte sie im Nacken, um sie zurückzuhalten.

„Nein, Ruth!“, sagte Scarlet mit fester Stimme.

Ruth gehorchte widerwillig. Scarlet tat es leid, doch sie wollte nicht, dass Ruth diese Tiere anfiel und unter diesen Leuten große Unruhe stiftete.

„Ich finde Futter für dich, Ruth“, sagte Scarlet. „Versprochen.“

Ruth winselte zur Antwort, und Scarlet verspürte selbst einen Hungerstich.

Scarlet eilte an den Tieren vorbei, führte Ruth weitere Gassen entlang, die sich an Händlern vorbeiwanden, und in weitere Gassen hinein. Dieses Labyrinth schien nicht enden zu wollen, und Scarlet konnte selbst den Himmel kaum sehen.

Endlich fand Scarlet einen Händler mit einem riesigen Brocken gebratenem Fleisch. Sie konnte es von Weitem riechen, der Geruch sickerte ihr in alle Poren; sie blickte hinunter und sah, dass Ruth zu ihm hochblickte und sich die Lippen leckte. Sie blieb gaffend davor stehen.

„Willst du'n Stück kaufen?“, fragte der Händler, ein großer Mann mit einer blutbefleckten Schürze.

Scarlet wollte ein Stück mehr als alles andere. Doch als sie in ihre Taschen griff, fand sie absolut kein Geld darin. Sie griff sich an ihr Armband, und mehr als alles andere wollte sie es abnehmen und diesem Mann verkaufen, um eine Mahlzeit zu erstehen.

Doch sie zwang sich dazu, es nicht zu tun. Sie spürte, dass es wichtig war, und so brachte sie ihre gesamte Willenskraft auf, um sich zurückzuhalten.

Stattdessen schüttelte sie langsam und traurig den Kopf zur Antwort. Sie packte Ruth und führte sie fort von dem Mann. Sie konnte Ruth winseln und protestieren hören, doch sie hatten keine Wahl.

Sie zogen weiter, und schließlich endete das Labyrinth in einem hellen und sonnigen, weit offenen Hauptplatz. Scarlet war vom freien Himmel beeindruckt. Nach all diesen Gässchen fühlte er sich wie das Geräumigste an, das sie je gesehen hatte, mit tausenden Menschen, die darin umhertrieben. In seiner Mitte stand ein Steinbrunnen, und der Platz war von einer enormen Steinmauer umrahmt, die sich über hundert Meter in die Luft erhob. Jeder Stein war so dick, dass sie insgesamt zehnmal so groß war wie sie. Vor dieser Mauer standen hunderte Menschen, klagend und betend. Scarlet hatte keine Ahnung, warum, oder wo sie war, doch sie spürte, dass sie im Zentrum der Stadt war, und dass dies ein sehr heiliger Ort war.

„He du!“, kam eine fiese Stimme.

Scarlet spürte, wie sich die Haare in ihrem Nacken aufstellten, und drehte sich langsam herum.

Da saß eine Gruppe von fünf Jungs auf einem Steinvorsprung und starrte auf sie hinunter. Sie waren von Kopf bis Fuß dreckig und in Lumpen gekleidet. Sie waren Jugendliche, vielleicht 15 Jahre alt, und sie konnte die Gemeinheit in ihren Gesichtern sehen. Sie konnte spüren, dass sie auf Ärger hofften, und dass sie gerade ihr nächstes Opfer ausgemacht hatten; sie fragte sich, ob es offensichtlich war, wie alleine sie war.

Unter ihnen war ein wilder Hund, riesig, tollwütig wirkend, und doppelt so groß wie Ruth.

„Was machst du hier draußen ganz alleine?“, fragte der Anführer spöttisch, zum Gelächter der anderen vier. Er war muskulös und sah dümmlich aus, mit breiten Lippen und einer Narbe auf der Stirn.

Als sie sie ansah, fühlte Scarlet, wie ein neuer Sinn über sie kam, einer, den sie nie zuvor erfahren hatte: es war ein erhöhter Sinn der Intuition. Sie wusste nicht, was geschah, doch plötzlich konnte sie klar und deutlich ihre Gedanken lesen, spürte ihre Gefühle, kannte ihre Absichten. Sie fühlte sofort, glasklar, dass sie nichts Gutes im Schilde führten. Sie wusste, dass sie ihr schaden wollten.

Ruth knurrte neben ihr. Scarlet konnte eine gröbere Konfrontation kommen spüren—und genau das wollte sie vermeiden.

Sie bückte sich und fing an, Ruth davonzuführen.

„Komm mit, Ruth“, sagte Scarlet, während sie sich herumdrehte und anfing, davonzugehen.

„He Mädel, ich rede mit dir!“, schrie der Junge.

Im Davongehen blickte Scarlet über die Schulter zurück und sah, wie die Fünf vom Stein sprangen und begannen, ihr nachzugehen.

Scarlet fing zu laufen an, zurück in die Gassen, und wollte so viel Abstand wie möglich zwischen sich und diese Jungen bringen. Sie dachte an die Auseinandersetzung mit dem römischen Soldaten zurück und fragte sich einen Moment lang, ob sie stehenbleiben und versuchen sollte, sich zu verteidigen.

Doch sie wollte nicht kämpfen. Sie wollte niemandem wehtun. Oder irgendein Risiko eingehen. Sie wollte einfach nur Mama und Papa finden.

Scarlet bog in eine menschenleere Gasse ein. Sie blickte hinter sich, und in wenigen Momenten konnte sie die Gruppe Jungen ihr nachjagen sehen. Sie waren nicht weit hinter ihr, und sie holten schnell auf. Zu schnell. Ihr Hund rannte mit ihnen, und Scarlet konnte sehen, dass sie sie in wenigen Augenblicken eingeholt haben würden. Sie würde einen guten Haken schlagen müssen, um sie abzuhängen.

Scarlet bog um eine weitere Ecke und hoffte, einen Ausweg zu finden. Doch da blieb ihr das Herz stehen.

Es war eine Sackgasse.

Scarlet drehte sich langsam herum, Ruth an ihrer Seite, und stellte sich den Jungen. Sie waren nun vielleicht drei Meter entfernt. Sie wurden langsamer, als sie näherkamen, nahmen sich Zeit, genossen den Moment. Sie standen lachend da, mit grausamen Grinsern auf dem Gesicht.

„Sieht aus, als hättest du Pech gehabt, kleines Mädchen“, sagte der Anführer.

Scarlet dachte genau das Gleiche.




KAPITEL DREI


Sam erwachte unter rasenden Kopfschmerzen. Er hielt sich mit beiden Händen den Kopf und versuchte, den Schmerz so loszuwerden. Doch es gelang ihm nicht. Es fühlte sich an, als würde die ganze Welt auf seinen Schädel eindonnern.

Sam versuchte, die Augen zu öffnen, um herauszufinden, wo er war, und dabei wurde der Schmerz unerträglich. Blendendes Sonnenlicht spiegelte von Felsen in der Wüste wider und zwang ihn, seine Augen abzuschirmen und den Kopf zu senken. Er spürte, dass er auf felsigem Wüstenboden lag, spürte die trockene Hitze, spürte den Staub, der ihm ins Gesicht stieg. Er krümmte sich wie ein Fötus zusammen und hielt seinen Kopf fester, versuchte, den Schmerz zu vertreiben.

Erinnerungen kamen zurück.

Zuerst an Polly.

Er erinnerte sich an Caitlins Hochzeitsnacht. Die Nacht, in der er Polly einen Antrag gemacht hatte. Wie sie Ja gesagt hatte. Die Freude auf ihrem Gesicht.

Er erinnerte sich an den folgenden Tag. Wie er zur Jagd gegangen war. Wie er sich auf ihren gemeinsamen Abend gefreut hatte.

Er erinnerte sich daran, wie er sie gefunden hatte. Am Ufer. Im Sterben. Wie sie ihm von ihrem Baby erzählt hatte.

Wellen von Trauer schlugen über ihm zusammen. Es war mehr, als er bewältigen konnte. Es war wie ein schrecklicher Alptraum, der sich wiederholt in seinem Kopf abspielte, einer, den er nicht abschalten konnte. Er fühlte sich, als wäre alles, wofür es sich für ihn noch zu leben gelohnt hatte, von ihm genommen worden in einem einzigen großen Moment. Polly. Das Baby. Das Leben, wie er es kannte.

Er wünschte sich, er wäre in jenem Moment gestorben.

Dann erinnerte er sich an seine Vergeltung. Seine Rage. Wie er Kyle getötet hatte.

Und an den Moment, der alles verändert hatte. Er erinnerte sich daran, wie Kyles Geist in ihn gefahren war. Er erinnerte sich an das unbeschreibliche Gefühl der Rage, das Gefühl, dass der Geist und die Seele einer anderen Person ihm aufgedrängt wurden, ihn ganz und gar besessen hatten. Es war der Moment, in dem Sam aufhörte, zu sein, wer er war. Es war der Moment, in dem er zu jemand anderem wurde.

Sam öffnete seine Augen zur Gänze und er spürte, er wusste, dass sie glühend rot waren. Er wusste, dass sie nicht länger ihm gehörten. Er wusste, dass es nun Kyles Augen waren.

Er spürte Kyles Hass, spürte Kyles Macht, die durch ihn strömten, durch jede Faser seines Körpers, von seinen Zehen durch die Beine hoch in seine Arme, bis hin zu seinem Kopf. Er spürte Kyles Zerstörungsdrang durch seinen Körper pulsieren, wie etwas Lebendiges, wie etwas, das in seinem Körper feststeckte und das er nicht herausbekommen konnte. Er fühlte sich, als hätte er nicht länger die Kontrolle über sich selbst. Ein Teil von ihm vermisste den alten Sam, vermisste, wer er gewesen war. Doch ein anderer Teil von ihm wusste, er würde nie wieder diese Person sein.

Sam hörte ein fauchendes, klapperndes Geräusch und öffnete die Augen. Er lag mit dem Gesicht voran am Wüstenboden, und als er hochblickte, sah er eine Klapperschlange ihn nur wenige Zentimeter entfernt anzischen. Die Augen der Klapperschlange blickten direkt in Sams, wie im Gespräch mit einem Freund, eine ähnliche Energie verspürend. Er konnte spüren, dass die Rage der Schlange seiner eigenen ähnlich war—und dass sie kurz davor stand, anzugreifen.

Doch Sam fürchtete sich nicht. Im Gegenteil—er fühlte sich von einer Rage erfüllt, die derer der Schlange nicht nur gleich war, sondern größer. Und dazu passende Reflexe.

In dem Sekundenbruchteil, in dem die Schlange sich bereitmachte, zuzuschnappen, kam Sam ihr zuvor: er streckte seine Hand aus, packte die Schlange in der Luft am Hals und hielt sie nur zwei Zentimeter von seinem Gesicht entfernt so fest, dass sie ihn nicht beißen konnte. Sam hielt die Augen der Schlange auf seiner Augenhöhe, starrte sie so nahe an, dass er ihren Atem riechen konnte, ihre langen Giftzähne nur zwei Zentimeter entfernt, danach lechzend, in Sams Hals zu fahren.

Doch Sam überwältigte sie. Er drückte fester und fester zu und quetschte ihr langsam das Leben aus. Sie erschlaffte in seiner Hand, zu Tode erdrückt.

Er holte aus und schleuderte sie über den Wüstenboden.

Sam sprang auf die Füße und nahm seine Umgebung in sich auf. Um ihn herum war Staub und Steine—ein endloses Stück Wüste. Er drehte sich herum und bemerkte zwei Dinge: das erste war eine Gruppe kleiner Kinder, in Lumpen gekleidet, die neugierig zu ihm hochblickten. Als er zu ihnen herumwirbelte, stoben sie auseinander, eilten davon, als hätten sie ein wilden Tier dabei beobachtet, wie es aus dem Grab stieg. Sam spürte Kyles Wut durch ihn strömen, und ihm war danach, sie alle zu töten.

Doch das Zweite, was ihm auffiel, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Eine Stadtmauer. Eine enorme Steinmauer, die sich über hundert Meter in die Lüfte erhob und sich in die Ewigkeit erstreckte. In dem Moment erkannte Sam: er war in den Vororten einer uralten Stadt aufgewacht. Vor ihm stand ein riesiges gewölbtes Tor, unter dem dutzende Menschen hinein und heraus strömten, in primitive Kleidung gehüllt. Sie wirkten, als befänden sie sich im römischen Zeitalter, in schlichte Roben oder Tuniken gekleidet. Auch Vieh strömte hinein und hinaus, und Sam konnte schon von hier die Hitze und den Lärm der Menge hinter den Mauern spüren.

Sam machte ein paar Schritte auf das Tor zu, und dabei stoben die Kinder auseinander, als würden sie vor einem Monster davonlaufen. Er fragte sich, wie furchteinflößend er aussah. Doch es war ihm eigentlich egal. Er verspürte den Drang, diese Stadt zu betreten und herauszufinden, warum er hier gelandet war. Doch anders als der alte Sam verspürte er keinen Drang, sie zu erforschen: vielmehr verspürte er den Drang, sie zu zerstören. Diese Stadt in Stücke zu hauen.

Ein Teil von ihm versuchte, es abzuschütteln, den alten Sam zurückzubringen. Er zwang sich dazu, an etwas zu denken, das ihn zurückbringen könnte. Er zwang sich dazu, an seine Schwester Caitlin zu denken. Doch es war vernebelt; er konnte ihr Gesicht nicht mehr wirklich hervorrufen, so sehr er es auch versuchte. Er versuchte, seine Gefühle für sie hervorzurufen, ihre gemeinsame Mission, ihren Vater. Er wusste tief drin, dass sie ihm immer noch wichtig war, dass er ihr immer noch helfen wollte.

Doch dieser kleine Teil von ihm war schon bald überwältigt von dem neuen, bösartigen Teil. Er erkannte sich selbst kaum wieder. Und der neue Sam zwang ihn, seine Gedanken aufzugeben und weiterzugehen, direkt in die Stadt hinein.

Sam marschierte durch das Stadttor und rempelte dabei die Leute aus dem Weg. Eine alte Frau, die einen Korb auf ihrem Kopf balancierte, kam ihm zu nahe, und er stieß ihr so kräftig gegen die Schulter, dass sie hinfiel, ihr der Korb vom Kopf gestoßen wurde und Obst sich überall verteilte.

„He“, schrie ein Mann. „Sieh nur, was du angerichtet hast! Entschuldige dich bei ihr!“

Der Mann marschierte auf Sam zu und machte den dummen Fehler, die Hand auszustrecken und ihn am Mantel zu packen. Der Mann hätte erkennen sollen, dass es ein Mantel war, den er nicht kannte, schwarz und aus Leder, und hauteng. Der Mann hätte erkennen sollen, dass Sams Kleidung aus einem anderen Jahrhundert stammte—und dass Sam der letzte Mann war, dem er in die Quere geraten wollte.

Sam blickte auf die Hand des Mannes hinunter, als wäre sie ein Insekt, dann packte er ihn am Handgelenk und verdrehte es mit der Kraft von hundert Männern. Die Augen des Mannes weiteten sich vor Angst und Schmerz, während Sam immer weiter drehte. Schließlich drehte sich der Mann zur Seite und ging in die Knie. Sam drehte jedoch weiter, bis er ein grässliches Krachen hörte und der Mann mit gebrochenem Arm aufschrie.

Sam holte aus und schaltete den Mann aus, indem er ihm kräftig ins Gesicht trat, womit er bewusstlos zu Boden fiel.

Eine kleine Gruppe Passanten hatte das beobachtet, und sie machten Sam weitläufig Platz, als er weiterging. Niemand schien sehr erpicht darauf, auch nur in seine Nähe zu geraten.

Sam ging weiter, direkt in das Gedränge hinein, und war schon bald von einer neuen Menge umringt. Er fügte sich in den endlosen Strom von Menschen, die die Stadt erfüllten. Er war nicht sicher, wohin er gehen sollte, doch er verspürte diese neuen Gelüste, die ihn übermannten. Er spürte die Lust zu trinken durch ihn strömen. Er wollte Blut. Er wollte ein frisches Todesopfer.

Sam ließ sich von seinen Sinnen leiten und spürte, wie er in eine bestimmte Gasse geführt wurde. Als er in sie einbog, wurde die Gasse schmaler, dunkler, höher, abgeschottet vom Rest der Stadt. Es war sichtlich ein schäbiger Stadtteil, und während er weiterzog, wurden die Leute immer fragwürdiger.

Bettler, Säufer und Prostituierte füllten die Straßen, und Sam rempelte mehrere schurkische, fette Männer, unrasiert, mit fehlenden Zähnen, die an ihm vorüberstolperten. Er achtete darauf, dass er sie besonders kräftig anrempelte, um sie in alle Richtungen umzuwerfen. Sie alle waren weise genug, ihn nicht weiter herauszufordern als empört „He!“ zu rufen.

Sam ging weiter und fand sich schon bald auf einem kleinen Platz wieder. Da in der Mitte, mit den Rücken zu ihm, standen etwa ein Dutzend Männer im Kreis und jubelten. Sam kam heran und drängte sich durch, um zu sehen, weswegen sie jubelten.

In der Mitte des Kreises waren zwei Hähne, die einander in Stücke rissen, blutüberströmt. Sam sah, dass die Männer Wetten abgaben, altertümliche Münzen tauschten. Hahnenkämpfe. Der älteste Sport der Welt. So viele Jahrhunderte waren vergangen, und doch hatte sich nichts wirklich geändert.

Sam hatte genug. Er wurde unruhig, und er verspürte den Drang, etwas Chaos anzurichten. Er marschierte in die Mitte des Rings, direkt auf die beiden Vögel zu. Dabei schrie die Menge empört auf.

Sam ignorierte sie. Stattdessen packte er einen der Hähne an der Gurgel, hob ihn hoch und wirbelte ihn über seinem Kopf. Es krachte, und er spürte ihn in seiner Hand erschlaffen, sein Genick gebrochen.

Sam spürte seine Eckzähne ausfahren und grub die Zähne in den Körper des Hahnes. Er saugte das Blut gierig auf, und es rann ihm übers Gesicht, die Wangen hinunter. Endlich warf er den Vogel unbefriedigt davon. Der andere Hahn machte sich davon, so schnell er konnte.

Die Menge starrte Sam sichtlich schockiert an. Doch dies waren raue, grobe Typen, nicht von der Sorte, die einfach davonlaufen würde. Sie verzogen die Gesichter und bereiteten sich auf einen Kampf vor.

„Du hast unseren Wettkampf ruiniert!“, schnappte einer von ihnen.

„Dafür wirst du bezahlen!“, schrie ein anderer.

Mehrere bullige Männer zogen kurze Dolche hervor und stürzten sich auf Sam, direkt auf ihn einstechend.

Sam zuckte kaum. Er sah alles wie in Zeitlupe passieren. Mit Reflexen, die eine Million Mal schneller waren, streckte er einfach die Hand aus, fing das Handgelenk des Mannes in der Luft ab und drehte es ihm im gleichen Schwung herum, bis er ihm den Arm gebrochen hatte. Dann holte er aus und trat dem Mann in die Brust, sodass er in den Kreis zurückflog.

Einem weiteren Mann, der auf ihn zukam, stürzte sich Sam entgegen und kam ihm zuvor. Er kam nahe an ihn heran, und bevor der Mann reagieren konnte, hatte er seine Zähne bereits in der Kehle des Mannes versenkt. Sam trank mit tiefen Schlucken, Blut spritzte überall umher und der Mann schrie vor Schmerzen. In wenigen Momenten hatte er ihm das Leben ausgesaugt, und der Mann brach am Boden zusammen.

Die anderen starrten, völlig entsetzt. Endlich schien ihnen klar zu sein, dass ein Monster unter ihnen war.

Sam trat einen Schritt auf sie zu, und sie alle drehten sich herum und rannten davon. Sie verschwanden wie Fliegen, und nur einen Moment später war Sam der Einzige am Platz.

Er hatte sie alle besiegt. Doch das war Sam nicht genug. Es gab kein Ende für das Blut und den Tod und die Zerstörung, die er begehrte. Er wollte jeden Mann in dieser Stadt töten. Selbst dann würde es nicht ausreichen. Sein Mangel an Befriedigung frustrierte ihn ohne Ende.

Er lehnte sich zurück, reckte das Gesicht zum Himmel und brüllte. Es war das Brüllen eines Tieres, das endlich freigelassen worden war. Sein Schmerzensschrei erhob sich in die Luft, hallte von den Steinmauern Jerusalems wider, lauter als die Glocken, lauter als die klagenden Gebete. Einen kurzen Moment lang brachte es die Mauern zum Beben, beherrschte die gesamte Stadt—und von einem Ende zum anderen hielten ihre Einwohner inne und horchten hin und lernten das Fürchten.

In dem Augenblick wussten sie: ein Monster war unter ihnen.




KAPITEL VIER


Caitlin und Caleb kletterten den steilen Berghang hinunter auf das Dorf Nazareth zu. Es war felsig, und sie rutschten mehr als wanderten den steilen Hang hinunter, Staub dabei aufwirbelnd. Auf dem Weg änderte sich das Gelände, der nackte Fels wich kleinen Flecken von Gräsern, hier und da einer Palme, dann richtigen Wiesen. Schließlich fanden sie sich in einem Olivenhain wieder und spazierten durch Reihen von Olivenbäumen, weiter hinab auf die Ortschaft zu.

Caitlin sah sich die Äste genauer an und sah tausende kleiner Oliven in der Sonne schimmern, und bewunderte, wie schön sie waren. Je näher sie dem Ort kamen, umso fruchtbarer waren die Bäume. Caitlin blickte hinunter und hatte von diesem Aussichtspunkt einen Blick auf das Tal und das Dorf aus der Vogelperspektive.

Ein kleines Dorf, eingebettet in gewaltige Täler, konnte man Nazareth kaum eine Stadt nennen. Es schien nur ein paar hundert Einwohner zu haben, nur ein paar Dutzend kleiner Gebäude, ebenerdig und aus Stein erbaut. Einige von ihnen schienen aus einem weißen Kalkstein gebaut, und in der Ferne konnte Caitlin enorme Kalksteinbrüche um die Stadt herum sehen, in denen Dorfbewohner vor sich hin hämmerten. Sie konnte das sanfte Klingen ihrer Hämmer selbst aus dieser Entfernung schallen hören, und konnte den hellen Kalkstein-Staub in der Luft hängen sehen.

Nazareth war von einer niedrigen, verwinkelten Steinmauer umgeben, die vielleicht drei Meter hoch war und selbst in dieser Zeit bereits uralt aussah. In ihrer Mitte war ein breiter, offener Torbogen. Am Tor standen keine Wachen, und Caitlin nahm an, dass es keinen Grund dazu gab; immerhin war dies eine kleine Stadt mitten im Nirgendwo.

Caitlin musste sich fragen, warum sie wohl in dieser Zeit und an diesem Ort erwacht waren. Warum Nazareth? Sie dachte darüber nach, was sie über Nazareth wusste. Sie erinnerte sich vage daran, einmal etwas darüber gelernt zu haben, doch sie konnte sich einfach nicht erinnern. Und warum im ersten Jahrhundert? Es war so ein dramatischer Sprung vom mittelalterlichen Schottland, und sie stellte fest, dass sie Europa vermisste. Diese neue Landschaft mit ihren Palmen und der Wüstenhitze war ihr so fremd. Mehr als alles andere fragte sich Caitlin, ob Scarlet hinter diesen Mauern war. Sie hoffte—sie betete—dass es so war. Sie musste sie finden. Eher würde sie nicht zur Ruhe kommen.

Caitlin trat mit Caleb durch das Stadttor und betrat die Stadt mit einem erwartungsvollen Gefühl. Sie konnte ihr Herz beim Gedanken daran, Scarlet zu finden, pochen spüren—und beim Gedanken daran, herauszufinden, warum sie überhaupt an diesen Ort geschickt worden waren. Konnte ihr Vater darin auf sie warten?

Als sie die Stadt betraten, verschlug ihr ihre Lebendigkeit den Atem. Die Straßen waren erfüllt von herumrennenden Kindern, kreischend und spielend. Hunde liefen wild umher, und auch Hühner. Schafe und Ochsen teilten sich die Straßen, schlenderten umher, und außerhalb jedes Heims stand ein Esel oder Kamel an einen Pfahl gebunden. Dorfbewohner spazierten gemütlich umher, in primitive Tuniken und Roben gekleidet, mit Körben voll Waren über ihren Schultern. Caitlin fühlte sich, als hätte sie eine Zeitmaschine betreten.

Während sie die engen Straßen entlang wanderten, vorbei an kleinen Häusern, an alten Frauen, die von Hand Wäsche wuschen, hielten die Leute an und starrten. Caitlin erkannte, dass sie so fehl am Platz aussehen mussten, wie sie diese Straßen entlanggingen. Sie blickte auf ihre moderne Kleidung hinunter—ihren engen, ledernen Kampfanzug—und fragte sich, was diese Leute wohl von ihr dachten. Sie mussten denken, dass sie eine Außerirdische war, die vom Himmel heruntergefallen war. Sie konnte es ihnen nicht verübeln.

Vor jedem Haus stand jemand, der Essen zubereitete, Waren verkaufte oder sein Handwerk ausübte. Sie passierten mehrere Zimmermanns-Familien, der Mann vor dem Heim sitzend, sägend, hämmernd, Dinge bauend von Betten über Kästchen bis hin zu hölzernen Achsen für Pflüge. Vor einem der Häuser baute ein Mann ein riesiges Kreuz, über einen Meter dick und drei Meter lang. Caitlin erkannte, dass es ein Kreuz war, das für eine Kreuzigung gedacht war. Sie schauderte und blickte weg.

Als sie in eine weitere Straße einbogen, war der gesamte Block gefüllt mit Schmieden. Überall flogen Hämmer auf Ambosse, und das Klirren von Metall hallte durch die Straße, jeder Schmied das Echo des nächsten. Es gab auch Lehmgruben mit hohen Flammen, über denen Platten von rotglühendem Metall schwelten, auf denen Hufeisen, Schwerter und alle Arten von Metallarbeiten gefertigt wurden. Caitlin bemerkte die Gesichter von Kindern, schwarz vom Ruß, die an der Seite ihrer Väter saßen und ihnen bei der Arbeit zusahen. Ihr taten die Kinder leid, die in so jungem Alter schon arbeiten mussten.

Caitlin suchte überall nach einem Anzeichen von Scarlet, von ihrem Vater, irgendeinem Hinweis darauf, warum sie hier waren—doch sie fand nichts.

Sie bogen in eine weitere Straße ein, und diese war von Steinmetzen erfüllt. Hier meißelten Männer an großen Kalkstein-Brocken herum, schufen Statuen, Keramik und riesige flache Pressen. Zuerst erkannte Caitlin nicht, wofür diese gut waren.

Caleb deutete auf sie.

„Das sind Weinpressen“, sagte er, wie immer ihre Gedanken lesend. „Und Olivenpressen. Sie werden eingesetzt, um die Trauben und Oliven zu zerdrücken und so den Wein und das Öl zu gewinnen. Siehst du diese Kurbeln?“

Caitlin sah genauer hin und bewunderte die Handwerkskunst, die langen Kalksteinplatten, die feine Metallkunst der Zahnräder. Sie war davon überrascht, wie fortgeschritten ihre Maschinen waren, selbst für diese Zeit. Sie war auch überrascht davon, wie alt das Weinbau-Handwerk war. Hier war sie, tausende Jahre in der Vergangenheit, und die Leute stellten immer noch flaschenweise Wein her, Olivenöl, genau wie sie es im 21. Jahrhundert taten. Und während sie zusah, wie die Glasflaschen langsam mit Wein und Öl befüllt wurden, erkannte sie, dass sie genau wie die Weinflaschen und Olivenöl-Flaschen aussahen, die sie selbst verwendet hatte.

Eine Gruppe Kinder rannte an ihr vorbei, spielte Fangen, lachte, und dabei wirbelten Staubwolken hoch und bedeckten Caitlins Füße. Sie blickte hinunter und stellte fest, dass die Straßen in diesem Dorf nicht befestigt waren—es war wahrscheinlich, überlegte sie, zu klein, um sich gepflasterte Straßen leisten zu können. Und doch wusste sie, dass Nazareth für irgendetwas berühmt war, und es störte sie, dass sie sich nicht daran erinnern konnte, wofür. Wieder einmal hätte sie sich selbst dafür treten können, dass sie im Geschichtsunterricht nicht besser aufgepasst hatte.

„Es ist die Stadt, in der Jesus lebte“, sagte Caleb, ihre Gedanken lesend.

Caitlin spürte, wie sie wieder einmal rot wurde, als er ihre Gedanken mit solcher Leichtigkeit aus ihrem Kopf pflückte. Sie hielt nichts vor Caleb zurück, und doch wollte sie nicht, dass er ihre Gedanken las, wenn es darum ging, wie sehr sie ihn liebte. Das könnte ihr peinlich werden.

„Er lebt hier?“, fragte sie.

Caleb nickte.

„Falls wir zu seiner Zeit angekommen sind“, sagte Caleb. „Wir sind eindeutig im ersten Jahrhundert. Das sehe ich an ihrer Kleidung, an der Architektur. Ich war schon einmal hier. Diesen Ort und diese Zeit vergisst man nicht so schnell.“

Caitlins Augen weiteten sich bei dem Gedanken.

„Meinst du wirklich, er könnte jetzt gerade hier sein? Jesus? Herumspazieren? In dieser Zeit, an diesem Ort? In dieser Stadt?“

Caitlin konnte es kaum erfassen. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie sie um die Ecke biegen und beiläufig Jesus auf der Straße begegnen könnte. Der Gedanken daran schien unvorstellbar.

Caleb runzelte die Stirn.

„Ich weiß nicht“, sagte er. „Ich spüre nicht, dass er jetzt hier wäre. Vielleicht haben wir ihn verpasst.“

Caitlin war bei dem Gedanken ganz aus der Fassung. Sie blickte mit einem neuen Gefühl der Ehrfurcht um sich.

Kann es sein, dass er hier ist?, fragte sie sich.

Sie war sprachlos, und ihre Mission fühlte sich mit einem Mal umso wichtiger an.

„Es kann sein, dass er hier ist, in diesem Zeitraum“, sagte Caleb. „Aber nicht unbedingt in Nazareth. Er reiste viel. Bethlehem. Nazareth. Kapernaum—und natürlich Jerusalem. Ich weiß nicht einmal mit Sicherheit, ob wir in seiner genauen Zeit sind oder nicht. Aber wenn wir das sind, könnte er überall sein. Israel ist groß. Wenn er hier wäre, in dieser Stadt, würden wir das spüren.“

„Was meinst du damit?“, fragte Cailtin neugierig. „Wie würde es sich anfühlen?“

„Ich kann es nicht erklären. Aber du würdest es wissen. Es ist seine Energie. Sie ist anders als alles, was du je zuvor erlebt hast.“

Plötzlich kam Caitlin ein Gedanke.

„Bist du ihm je tatsächlich begegnet?“, fragte sie.

Caleb schüttelte langsam den Kopf.

„Nein, nicht aus der Nähe. Einmal war ich zur gleichen Zeit in der gleichen Stadt. Und die Energie war überwältigend. Anders als alles, was ich zuvor je gefühlt habe.“

Wieder einmal staunte Caitlin darüber, was Caleb bereits alles gesehen hatte, all die Zeiten und Orte, die er erlebt hatte.

„Es gibt nur einen Weg, es herauszufinden“, sagte Caleb. „Wir müssen herausfinden, welches Jahr es ist. Aber das Problem damit ist natürlich, dass bis lange nach Jesus' Tod niemand die Jahre gezählt hat, wie wir es tun. Immerhin basiert unser Kalenderjahr auf dem Jahr seiner Geburt. Und zu seinen Lebzeiten zählte niemand die Jahre basierend auf seinem Geburtsjahr—die meisten Leute wussten nicht einmal, wer er war! Also wenn wir die Leute fragen, welches Jahr es ist, werden sie uns für verrückt halten.“

Caleb blickte sich sorgfältig um, als würde er nach Hinweisen suchen, und Caitlin tat es ihm gleich.

„Ich habe schon das Gefühl, dass er in dieser Zeit lebt“, sagte Caleb langsam. „Nur nicht an diesem Ort.“

Caitlin betrachtete das Dorf mit neuem Respekt.

„Aber dieses Dorf“, sagte sie, „es scheint so klein, so bescheiden. Es ist nicht wie eine große, biblische Stadt, wie ich sie mir vorgestellt hätte. Es sieht nicht anders aus als jede beliebige Wüstenstadt.“

„Du hast recht“, antwortete Caleb, „aber so ist der Ort, an dem er lebte. Es war nicht irgendein großartiger Ort. Es war hier, unter diesen Leuten.“

Sie gingen weiter und bogen schließlich um eine Ecke, die sie auf einen kleinen Platz in der Dorfmitte führte. Es war ein schlichter kleiner Platz, um den herum kleine Gebäude standen und in dessen Mitte sich ein Brunnen befand. Caitlin blickte sich um und entdeckte ein paar ältere Herren im Schatten sitzen, Spazierstöcke haltend, auf den leeren, staubigen Dorfplatz starrend.

Sie gingen auf den Brunnen zu. Caleb drehte an der rostigen Kurbel, und langsam zog das verwitterte Seil einen Eimer Wasser hoch.

Caitlin fasste hinein, nahm das kalte Wasser mit hohlen Händen auf und spritzte es sich ins Gesicht. Es fühlte sich in der Hitze so erfrischend an. Sie bespritzte ihr Gesicht erneut, dann ihr langes Haar, und kämmte es mit den Fingern. Es war staubig und fettig, und das kalte Wasser fühlte sich himmlisch an. Sie würde alles für eine Dusche geben. Dann beugte sie sich vor, nahm noch mehr Wasser mit den Händen auf und trank es. Ihre Kehle war ausgetrocknet, und es war genau, was sie brauchte. Caleb tat es ihr nach.

Schließlich lehnten sich beide an den Brunnen und betrachteten den Platz. Es schien keine besonderen Gebäude zu geben, keine besonderen Kennzeichnungen oder Hinweise darauf, wohin sie gehen sollten.

„Also wohin jetzt?“, fragte sie schließlich.

Caleb blickte herum, blinzelte ins Sonnenlicht und hielt sich die Hand vor die Augen. Er wirkte genauso ratlos wie sie.

„Ich weiß es nicht“, sagte er trocken. „Ich bin überfragt.“

„An anderen Zeiten und Orten“, fuhr er fort, „schien es, als wären unsere Hinweise stets in Klostern oder Kirchen zu finden gewesen. Aber in dieser Zeitperiode gibt es keine Kirche. Es gibt kein Christentum. Es gibt keine Christen. Erst nach Jesus' Tod gründeten die Leute eine Religion nach ihm. In dieser Zeitperiode gibt es nur einen Glauben. Jesus' Glauben: Das Judentum. Immerhin war Jesus jüdisch.“

Caitlin versuchte, das alles zu verarbeiten. Es war alles so komplex. Wenn Jesus Jude war, überlegte sie, hieß das, er würde zum Beten in eine Synagoge gehen. Plötzlich hatte sie einen Einfall.

„Dann ist vielleicht der beste Ort für die Suche der Ort, an dem Jesus betete. Vielleicht sollten wir nach einer Synagoge suchen.“

„Ich glaube, du hast recht“, sagte Caleb. „Immerhin war die einzige andere ausgeübte Religion zu jener Zeit, wenn man es überhaupt so nennen kann, das Heidentum—die Anbetung von Götzenbildern. Und ich bin sicher, dass Jesus nicht in einem heidnischen Tempel beten würde.“

Caitlin blickte sich erneut in der Stadt um, kniff die Augen zusammen und suchte nach einem Gebäude, das einer Synagoge ähneln könnte. Doch sie fand keines. Es waren alles schlichte Wohnstätten.

„Ich sehe nichts“, sagte sie. „Alle Gebäude sehen für mich gleich aus. Es sind nichts als kleine Häuser.“

„Ich auch nicht“, sagte Caleb.

Es folgte eine lange Stille, während Caitlin versuchte, alles zu verarbeiten. In ihrem Kopf rasten die Möglichkeiten.

„Meinst du, dass mein Vater und das Schild irgendwie mit all dem hier in Verbindung stehen?“, fragte Caitlin. „Meinst du, dass es mich zu meinem Vater führen wird, wenn wir dahin gehen, wo Jesus war?“

Caleb kniff die Augen zusammen und schien lange Zeit nachzudenken.

„Ich weiß nicht“, sagte er schließlich. „Aber es ist eindeutig, dass dein Vater ein äußerst großes Geheimnis hütet. Ein Geheimnis nicht nur für die Art der Vampire, sondern für die gesamte Menschheit. Ein Schild, oder eine Waffe, die die Natur der gesamten Menschheit ändern wird, für alle Zeit. Es muss äußerst mächtig sein. Und es scheint mir, wenn irgendjemand dazu gedacht war, uns zu helfen, zu deinem Vater zu finden, dann würde dies jemand äußerst Mächtiger sein. Wie Jesus. Für mich würde das Sinn ergeben. Vielleicht müssen wir, um den einen zu finden, den anderen finden. Immerhin ist es dein Kreuz, das uns so viele der Schlüssel offenbart hat, die uns hierher gebracht haben. Und beinahe alle unsere Hinweise haben wir in Kirchen und Klöstern gefunden.“

Caitlin versuchte, alles zu erfassen. War es möglich, dass ihr Vater Jesus kannte? War er einer seiner Jünger? Der Gedanke daran war atemberaubend, und die geheimnisvolle Aura um ihn wurde immer tiefer.

Sie saß am Brunnen und blickte sich ratlos in dem schläfrigen Dörfchen um. Sie hatte keine Ahnung, wo sie überhaupt zu suchen anfangen sollte. Überhaupt nichts stach besonders hervor. Und noch dazu wollte sie immer dringender Scarlet finden. Ja, sie wollte ihren Vater mehr als je zuvor finden; sie spürte die vier Schlüssel praktisch in ihrer Tasche brennen. Doch sie konnte keine offensichtliche Stelle erkennen, um sie einzusetzen—und es war schwer, sich auf ihn zu konzentrieren, solange sich ihre Gedanken um Scarlet drehten. Der Gedanke daran, dass sie ganz alleine da draußen war, zerriss sie in Stücke. Wer wusste schon, ob sie überhaupt in Sicherheit war?

Doch dann wiederum hatte sie auch keine Ahnung, wo sie nach Scarlet suchen sollte. Sie verspürte eine zunehmende Hoffnungslosigkeit.

Plötzlich erschien ein Schafhirte im Tor und schritt langsam auf den Dorfplatz hinaus, gefolgt von seiner Schafherde. Er trug eine lange, weiße Robe mit einer Kapuze, die seinen Kopf vor der Sonne schützte, und ging auf sie zu, einen Stab in der Hand. Zuerst dachte Caitlin, dass er direkt auf sie zu kam. Doch dann erkannte sie: der Brunnen. Er war einfach nur auf etwas zu trinken aus, und sie waren im Weg.

Als er hereinkam, scharten sich die Schafe um ihn herum, erfüllten den Dorfplatz, alle auf den Brunnen zu. Sie mussten gewusst haben, dass es Tränkzeit war. In wenigen Augenblicken fanden sich Caitlin und Caleb inmitten der Herde wieder, und die zarten Tiere schubsten sie zur Seite, damit sie zum Wasser gelangen konnten. Ihr ungeduldiges Blöken erfüllte die Luft, während sie darauf warteten, dass ihr Hirte sie versorgte.

Caitlin und Caleb machten Platz, als der Hirte auf den Brunnen herantrat, die rostige Kurbel drehte und langsam den Eimer heraufholte. Als er sich daranmachte, ihn herauszuheben, ließ er die Kapuze fallen.

Caitlin war überrascht darüber, wie jung er war. Er hatte dichtes blondes Haar, einen blonden Bart und hellblaue Augen. Er lächelte, und sie konnte die Sonnenfalten auf seinem Gesicht sehen, um seine Augen herum, und konnte die Wärme und Güte von ihm ausstrahlen spüren.

Er nahm den übervollen Eimer, und trotz des Schweißes auf seiner Stirn, trotz der Tatsache, dass er durstig wirkte, drehte er sich herum und goss den ersten Krug Wasser in den Trog am Fuß des Brunnens. Die Schafe drängten sich heran, blökend und einander aus dem Weg schubsend, während sie tranken.

Caitlin überkam das seltsamste Gefühl, dass dieser Mann vielleicht etwas wusste, dass er vielleicht aus gutem Grund ihren Weg gekreuzt hatte. Wenn Jesus in dieser Zeit lebte, überlegte sie, vielleicht hatte dieser Mann dann von ihm gehört?

Caitlin verspürte einen Schub von Nervosität, als sie sich räusperte.

„Entschuldigung?“, fragte sie.

Der Mann drehte sich zu ihr herum und blickte sie an, und sie konnte die Intensität seiner Augen spüren.

„Wir sind auf der Suche nach jemandem. Ich frage mich, ob Sie vielleicht wissen, ob er hier lebt.“

Der Mann kniff die Augen zusammen, und Caitlin bekam dabei das Gefühl, als würde er direkt durch sie sehen. Es war unheimlich.

„Er lebt“, antwortete der Mann, als würde er ihre Gedanken lesen. „Aber er ist nicht länger an diesem Ort.“

Caitlin konnte es kaum glauben. Es war also wahr.

„Wohin ist er gegangen?“, fragte Caleb. Caitlin hörte die Eindringlichkeit in seiner Stimme und konnte spüren, wie dringend er es wissen wollte.

Der Mann richtete seinen Blick auf Caleb.

„Na, nach Galiläa natürlich“, erwiderte der Mann, als wäre das offensichtlich. „Ans Meer.“

Caleb kniff die Augen zusammen.

„Kapernaum?“, fragte Caleb vorsichtig.

Der Mann nickte zur Antwort.

Calebs Augen weiteten sich verstehend.

„Viele Anhänger sind auf dem Pfad“, sagte der Mann kryptisch. „Suchet, so werdet ihr finden.“

Der Hirte senkte plötzlich den Kopf, wandte sich um und ging davon, die Schafe hinter ihm her. Bald schon hatte er den Platz durchquert.

Caitlin konnte ihn nicht gehen lassen. Noch nicht. Sie musste mehr erfahren. Und sie hatte das Gefühl, dass er etwas zurückhielt.

„Warten Sie!“, rief sie aus.

Der Hirte hielt an, drehte sich herum und starrte sie an.

„Kennen Sie meinen Vater?“, fragte sie.

Zu Caitlins Überraschung nickte der Mann langsam.

„Wo ist er?“, fragte Caitlin.

„Es liegt an dir, das herauszufinden“, sagte er. „Du bist diejenige, die die Schlüssel trägt.“

„Wer ist er?“, fragte Caitlin, es unbedingt wissen wollend.

Langsam schüttelte der Mann den Kopf.

„Ich bin nur ein Hirte auf meinem Weg.“

„Aber ich weiß nicht einmal, wo ich suchen soll!“, erwiderte Caitlin verzweifelt. „Bitte. Ich muss ihn finden.“

Der Hirte fing langsam zu lächeln an.

„Stets ist der beste Ort zum Suchen genau da, wo du bist“, sagte er.

Und damit bedeckte er seinen Kopf, drehte sich herum und durchquerte den Platz. Er trat durch den Torbogen und einen Augenblick später war er verschwunden, seine Schafe hinterher.

Stets ist der beste Ort zum Suchen genau da, wo du bist.

Seine Worte hallten Caitlin durch den Kopf. Irgendwie ahnte sie, dass es mehr war als nur eine Allegorie. Je mehr sie darüber nachdachte, umso mehr hatte sie das Gefühl, es war wortwörtlich gemeint. Als wollte er ihr sagen, dass es genau hier einen Hinweis gab, wo sie stand.

Caitlin drehte sich plötzlich herum und suchte den Brunnen ab, die Stelle, an der sie gesessen hatten. Nun spürte sie etwas.

Stets ist der beste Ort zum Suchen genau da, wo du bist.

Sie kniete nieder und fuhr mit den Händen über die uralte, glatte Steinmauer. Sie fühlte sie der Länge nach ab, immer überzeugter, dass da etwas war, dass sie an einen Hinweis geführt worden war.

„Was tust du?“, fragte Caleb.

Caitlin suchte krampfhaft, untersuchte alle Risse in allen Steinen, fühlte, dass sie auf der richtigen Spur war.

Schließlich, halb um den Brunnen herum, hielt sie inne. Sie fand eine Ritze, die etwas größer war als die anderen. Gerade groß genug, um ihren Finger hineinzustecken. Der Stein um sie herum war einfach ein klein wenig zu glatt, und die Ritze einfach ein klein wenig zu groß.

Caitlin fasste hinein und versuchte, ihn herauszubekommen. Bald schon fing der Stein zu wackeln an, dann bewegte er sich. Der Stein lockerte sich und ließ sich aus der Brunnenmauer ziehen. Dahinter, stellte sie erstaunt fest, lag ein kleines Versteck.

Caleb kam näher, über ihre Schulter gebeugt, als sie in die Dunkelheit hineinfasste. Sie spürte etwas Kaltes und Metallisches in ihrer Hand und holte es langsam hervor.

Sie hob ihre Hand ins Licht und öffnete sie langsam.

Sie konnte nicht glauben, was sich darin befand.




KAPITEL FÜNF


Scarlet stand mit Ruth am Ende der Sackgasse, mit dem Rücken zur Wand, und musste ängstlich zusehen, wie die fiesen Kerle ihren Hund auf sie hetzten. Augenblicke später ging der riesige wilde Hund auf sie los, knurrte und zielte direkt auf ihre Kehle. Alles ging so schnell, dass Scarlet kaum wusste, was sie tun sollte.

Bevor sie reagieren konnte, fauchte Ruth plötzlich und stürzte sich auf den Hund. Sie sprang in die Luft und traf auf halber Strecke auf den Hund, und versenkte ihre Zähne in seinem Hals. Ruth landete auf ihm und drückte ihn zu Boden. Der Hund muss doppelt so groß wie Ruth gewesen sein, und doch hielt Ruth ihn mühelos fest und ließ ihn nicht hochkommen. Sie drückte mit aller Kraft ihre Zähne zusammen und schon bald hörte der Hund auf, sich zu wehren, und war tot.

„Du kleines Miststück!“, schrie der Anführer wütend.

Er sprang aus der Gruppe hervor und ging direkt auf Ruth los. Er hob einen Stock, der an einem Ende zu einer Speerspitze geschnitzt war, und schlug damit direkt auf Ruths ungeschützten Rücken zu.

Scarlets Reflexe setzten ein und sie sprang in Aktion. Ohne überhaupt nachzudenken lief sie auf den Jungen los und fing seinen Stock in der Luft ab, knapp bevor er Ruth damit traf. Dann zog sie ihn an sich, holte aus und trat ihm kräftig in die Rippen.

Er beugte sich vornüber und sie trat erneut zu, diesmal ins Gesicht mit einem Rundum-Tritt. Es wirbelte ihn herum und er landete mit dem Gesicht voran auf dem Steinboden.

Ruth drehte sich herum und ging auf den Trupp Jungs los. Sie sprang hoch in die Luft und bohrte ihre Zähne in den Hals eines der Jungen, und drückte ihn zu Boden. Somit blieben nur noch drei von ihnen übrig.

Scarlet stand da, ihnen zugewandt, und plötzlich durchzog sie ein neues Gefühl. Sie fühlte sich nicht länger ängstlich; sie wollte nicht länger vor diesen Jungen davonlaufen; sie wollte sich nicht länger zusammenkauern und verstecken; sie wollte nicht länger von Mama und Papa beschützt werden.

Etwas in ihr schaltete um, als sie eine unsichtbare Linie überschritt, einen Knackpunkt. Sie fühlte, zum ersten Mal in ihrem Leben, dass sie niemand anderen brauchte. Alles, was sie brauchte, war sie selbst. Anstatt den Moment zu fürchten, genoss sie ihn nun.

Scarlet spürte, wie sie von Wut durchflossen wurde, die aus ihren Zehenspitzen aufstieg, durch ihren Körper, bis in die Haarspitzen. Es war eine elektrische Emotion, die sie nicht verstand, eine, die sie noch nie zuvor erlebt hatte. Sie wollte nicht länger vor diesen Jungs davonlaufen. Sie wollte auch nicht, dass sie davonkamen.

Nun wollte sie Rache.

Während die drei Jungs dastanden und schockiert starrten, griff Scarlet an. Alles ging so schnell, dass sie es kaum verarbeiten konnte. Ihre Reflexe waren so viel schneller als die der Jungs, als würden sie sich in Zeitlupe bewegen.

Scarlet sprang in die Luft, höher als je zuvor, und trat den Jungen in der Mitte mit beiden Füßen in die Brust. Er flog rücklings wie eine Kanonenkugel durch die Gasse, bis er in die Mauer krachte und zusammenbrach.

Bevor die anderen beiden noch reagieren konnten, wirbelte sie herum und schlug einem von ihnen den Ellbogen ins Gesicht, dann trat sie dem anderen in die Magengrube. Beide gingen bewusstlos zu Boden.

Scarlet stand mit Ruth da und atmete schwer. Sie blickte sich um und sah alle fünf Jungs um sie herum ausgestreckt liegen und sich nicht bewegen. Und dann erkannte sie: sie war der Sieger.

Sie war nicht länger die Scarlet, die sie einst gekannt hatte.


*

Scarlet streunte stundenlang durch die Gassen, Ruth an ihrer Seite, und brachte so viel Abstand wie sie nur konnte zwischen sich und diese Jungs. Sie bog in eine Gasse nach der anderen in der Hitze, verlief sich im Labyrinth der schmalen Seitengassen in der Altstadt von Jerusalem. Die Mittagssonne brannte auf sie herunter, und sie fühlte sich langsam schwindelig davon; sie fühlte sich auch schwindelig vom Mangel an Nahrung und Wasser. Sie konnte Ruth neben sich schwer hecheln hören, während sie sich durch die Menge schlängelten, und sie konnte sehen, dass auch sie litt.

Ein Kind kam an Ruth vorbei und packte sie am Rücken, zerrte spielerisch an ihr, aber zu fest. Ruth drehte sich herum und schnappte nach ihm, knurrte und fletschte die Zähne. Das Kind schrie, fing zu weinen an und rannte davon. Es sah Ruth nicht ähnlich, sich so zu verhalten; normalerweise war sie so duldsam. Doch es schien, als würden die Hitze und der Hunger auch ihr zusetzen. Sie spiegelte auch Scarlets eigene Wut und ihren Frust wieder.

So sehr sie sich bemühte, wusste Scarlet nicht, wie sie ihre restlichen Wutgefühle abschalten sollte. Es war, als wäre etwas in ihr entfesselt worden, und sie konnte es nicht wieder zügeln. Sie spürte ihre Adern pochen, die Wut pulsieren, und als sie an einem Händler nach dem anderen vorbeikam, die alle Arten von Speisen anboten, die sie und Ruth sich nicht leisten konnten, wurde ihr Zorn nur noch größer. Ihr wurde auch langsam klar, dass das, was sie durchmachte, ihre intensiven Hungerschmerzen, keine gewöhnlichen Hungergefühle waren. Es war etwas anderes, erkannte sie. Etwas Tieferes, Primitiveres. Sie wollte nicht einfach Nahrung. Sie wollte Blut. Sie hatte den Drang, zu trinken.

Scarlet wusste nicht, was mit ihr passierte, und sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Sie konnte einen Brocken Fleisch riechen und drückte sich durch die Menge, direkt darauf zu, und starrte es an. Ruth drängte sich neben sie.

Scarlet drängelte sich einen Weg bis ganz nach vorne, und dabei schubste ein missbilligender Mann in der Menge sie zurück.

„He Mädchen, pass auf, wo du hintrittst!“, schnappte er.

Ohne überhaupt nachzudenken drehte Scarlet sich herum und schubste den Mann. Er war mehr als doppelt so groß wie sie, doch er flog nach hinten und warf mehrere Obststände um, während er zu Boden fiel.

Er rappelte sich schockiert wieder auf, blickte Scarlet an und versuchte, dahinterzukommen, wie ein so kleines Mädchen ihn so überwältigen konnte. Dann, mit einem ängstlichen Blick, war er weise genug, sich abzuwenden und davonzueilen.

Der Verkäufer blickte grimmig zu Scarlet hinunter, nichts Gutes ahnend.

„Du willst Fleisch?“, schnappte er. „Hast du das Geld, dafür zu bezahlen?“

Aber Ruth konnte sich nicht länger zusammenreißen. Sie sprang vor, grub ihre Zähne in den riesigen Fleischbrocken, riss ein Stück heraus und verschlang es. Bevor noch irgendjemand reagieren konnte, sprang sie noch einmal vor und schnappte nach einem weiteren Bissen.

Diesmal schlug der Händler mit seiner Hand zu, so fest er konnte, auf Ruths Nase zielend.

Doch Scarlet spürte es kommen. Tatsächlich passierte etwas Neues mit ihrem Gefühl für Geschwindigkeit und Zeit. Als die Hand des Händlers langsam herunterfuhr, schoss Scarlets Hand von selbst hoch, beinahe ohne ihr Zutun, und packte das Handgelenk des Händlers, knapp bevor er Ruth traf.

Der Händler blickte auf Scarlet hinunter, mit weit aufgerissenen Augen, schockiert, dass ein so kleines Mädchen so fest zupacken konnte. Scarlet drückte das Handgelenk des Mannes zusammen, fester und fester, bis sein ganzer Arm zu zittern begann. Sie blickte grimmig zu ihm hoch, unfähig, ihre Wut unter Kontrolle zu halten.

„Fass ja nicht meinen Wolf an“, fauchte Scarlet dem Mann entgegen.

„Es…tut mir leid“, sagte der Mann, sein Arm vor Schmerzen zitternd, seine Augen weit vor Schreck.

Endlich lockerte Scarlet ihren Griff und eilte vom Stand davon, Ruth an ihrer Seite. Während sie sich beeilte, so weit wie möglich weg zu kommen, hörte sie ein Pfeifen hinter sich, dann hektische Rufe nach der Wache.

„Weg hier, Ruth!“, sagte Scarlet, und die beiden eilten die Gasse hinunter davon und verloren sich in der Menge. Zumindest hatte Ruth nun gefressen.

Doch Scarlets eigener Hunger war überwältigend, und sie wusste nicht, ob sie ihn noch viel länger in Zaum halten konnte. Sie wusste nicht, was mit ihr passierte, doch als sie eine Straße nach der anderen hinunterliefen, stellte sie fest, dass sie die Hälse der Menschen untersuchte. Sie fokussierte auf ihre Adern, sah ihr Blut pulsieren. Sie ertappte sich dabei, wie sie sich die Lippen leckte und den Wunsch—den Drang—verspürte, ihre Zähne hineinzubohren. Sie dachte mit Begierde daran, ihr Blut zu trinken, und ertappte sich dabei, sich auszumalen, wie es sich anfühlen würde, wenn das Blut ihre Kehle hinunterrann. Sie konnte es nicht verstehen. War sie überhaupt noch menschlich? Verwandelte sie sich in ein wildes Tier?

Scarlet wollte niemandem wehtun. Im Kopf versuchte sie, sich zurückzuhalten.

Doch im Körper wurde sie von etwas überwältigt. Es stieg aus ihren Zehenspitzen hoch, in ihre Beine, durch ihren Oberkörper bis an ihren Scheitel und in die Fingerspitzen. Es war ein Verlangen. Ein unaufhaltsames, unstillbares Verlangen. Es übernahm ihre Gedanken, sagte ihr, was sie denken sollte, wie sie handeln sollte.

Plötzlich entdeckte Scarlet etwas: in der Ferne, irgendwo hinter ihr, jagte ein Trupp römischer Soldaten hinter ihr her. Ihr neues, hochempfindliches Gehör warnte sie durch den Laut ihrer Sandalen, die über den Steinboden klapperten. Sie wusste Bescheid, obwohl sie noch mehrere Häuserblocks entfernt waren.

Das Geräusch der Sandalen auf dem Stein reizte sie nur noch mehr; die Laute mischten sich in ihrem Kopf mit den Rufen der Händler, den lachenden Kindern, den bellenden Hunden… Es wurde ihr alles zu viel. Ihr Gehörsinn wurde zu intensiv, und sie war zu genervt von all dem Lärm. Auch die Sonne fühlte sich kräftiger an, als würde sie nur auf sie hinunterbrennen. Es war alles zu viel. Sie fühlte sich, als stünde sie unter dem Mikroskop der Welt und würde gleich explodieren.

Plötzlich lehnte sich Scarlet zurück, vor Wut überschwappend, und spürte etwas Neues mit ihren Zähnen geschehen. Sie spürte, wie ihre beiden Schneidezähne sich ausdehnten, spürte lange, scharfe Hauer hervorwachsen und aus ihnen hervorstehen. Sie wusste kaum, was das Gefühl war, doch sie wusste, dass sie sich verwandelte, in etwas, das sie kaum wiedererkennen oder kontrollieren konnte. Plötzlich entdeckte sie einen großen, fetten, betrunkenen Mann durch die Gasse stolpern. Scarlet wusste, dass sie entweder trinken musste, oder selbst sterben. Und etwas in ihr wollte überleben.

Scarlet hörte sich fauchen und war schockiert. Der Laut, so urgewaltig, erschreckte selbst sie. Sie fühlte sich, als wäre sie außerhalb ihres Körpers, als sie hochsprang und durch die Luft direkt auf den Mann zusprang. Sie sah wie in Zeitlupe zu, wie er sich ihr zu drehte, die Augen vor Angst weit aufgerissen. Sie spürte, wie sich ihre beiden Vorderzähne in sein Fleisch bohrten, in die Adern an seinem Hals. Und einen Augenblick später spürte sie sein heißes Blut in ihre Kehle rinnen, ihre Adern füllen.

Sie hörte den Mann schreien, für nur einen Moment. Denn eine Sekunde später lag er zusammengebrochen am Boden, und sie war auf ihm und saugte all sein Blut aus ihm. Langsam spürte sie ein neues Leben, eine neuer Energie, ihren Körper durchdringen.

Sie wollte zu trinken aufhören, diesen Mann am Leben lassen. Doch das konnte sie nicht. Sie brauchte das. Sie musste überleben.

Sie musste trinken.




KAPITEL SECHS


Sam rannte durch die Gassen von Jerusalem, fauchend, rot vor Zorn. Er wollte zerstören, alles in Sicht zerfetzen. Als er an einer Reihe Händler vorbeilief, streckte er die Hand aus und streifte ihre Buden, und sie fielen um wie Dominosteine. Er rempelte Leute absichtlich an, so fest er konnte, und warf sie in alle Richtungen um. Er war wie eine Abrissbirne, außer Kontrolle, warf sich durch die Gasse und schmiss alles um, was ihm im Weg war.

Chaos folgte; Schreie erhoben sich. Menschen fingen an, ihn zu bemerken, und sie flüchteten oder sprangen ihm aus dem Weg. Er war wie ein Güterzug der Zerstörung.

Die Sonne machte ihn wahnsinnig. Sie brannte auf seinen Kopf herunter, als wäre sie etwas Lebendiges, und erfüllte ihn mit immer mehr Rage. Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, was wahre Rage war. Nichts schien ihn zufriedenzustellen.

Er sah einen großen, schlanken Mann und warf sich auf ihn, ihm die Zähne in den Hals bohrend. Dies alles geschah innerhalb eines Sekundenbruchteils; er saugte ihm das Blut aus und eilte dann weiter, seine Zähne in einen weiteren Hals bohrend. Er zog von einer Person zur nächsten, versenkte seine Zähne und saugte ihr Blut. Er bewegte sich so schnell, dass niemandem Zeit blieb, zu reagieren. Sie sackten alle zu Boden, einer nach dem anderen, und er hinterließ einen Pfad von ihnen. Er befand sich in einem Fressrausch, und er konnte spüren, wie sein Körper von ihrem Blut anschwoll. Und es war noch nicht genug.

Die Sonne brachte ihn an den Rand des Wahnsinns. Er brauchte Schatten, und zwar schnell. Er entdeckte ein großes Gebäude in der Ferne, ein offiziell wirkender, kunstvoll gestalteter Palast aus Kalkstein mit Säulen und riesigen gewölbten Toren. Ohne nachzudenken platzte er über den Vorhof und stürmte darauf zu, und trat das Tor auf.

Es war kühler hier drin, und endlich konnte Sam wieder atmen. Alleine die Sonne von seinem Kopf zu bekommen machte einen Unterschied. Er konnte seine Augen öffnen, und langsam passten sie sich an.

Sam entgegen starrten die verblüfften Gesichter von dutzenden Menschen. Die meisten von ihnen saßen in kleinen Becken, einzelnen Badewannen, während andere herumspazierten, barfuß auf dem Steinboden. Sie waren alle nackt. Und da erkannte Sam: er befand sich in einem Badehaus. Einem römischen Badehaus.

Die Decken waren hoch und gewölbt, Licht einlassend, und der Raum war von großen, gewölbten Säulen durchzogen. Der Boden war aus glänzendem Marmor, und kleine Becken füllten den weiten Raum. Leute lagen faul herum, sichtlich entspannend.

Das heißt, bis sie ihn sahen. Sie setzten sich hastig auf, und ihre Mienen wurden ängstlich.

Sam hasste den Anblick dieser Menschen—dieser faulen, reichen Leute, die herumgammelten, als hätten sie keine Sorgen auf der Welt. Er würde sie alle bezahlen lassen. Er warf den Kopf in den Nacken und brüllte.

Der Großteil der Menge war klug genug, sich davonzumachen, zu ihren Handtüchern und Roben zu eilen und so schnell wie möglich hier raus zu kommen.

Doch sie hatten nicht den Hauch einer Chance. Sam warf sich nach vorne, sprang die Näheste von ihnen an und versenkte seine Zähne in ihrem Hals. Er saugte ihr das Blut aus und sie brach auf dem Boden zusammen und kullerte in eine Badewanne, die sich rot färbte.

Er tat dies wieder und wieder, von einem Opfer zum nächsten springend, Männer wie Frauen. Schon bald war das Badehaus mit Leichen gefüllt, überall schwammen Tote, all die Becken waren rot gefärbt.

Plötzlich krachte es am Tor, und Sam wirbelte herum, um zu sehen, was es war.

Der Eingang war voll mit dutzenden römischen Soldaten. Sie trugen offizielle Uniformen—kurze Tuniken, Römersandalen, federbesetzte Helme—und führten Schilde und Kurzschwerter. Einige weitere führten Pfeil und Bogen. Sie legten an und zielten auf Sam.

„Bleib, wo du bist!“, schrie der Anführer.

Sam fauchte und drehte sich herum, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und fing an, auf sie zuzumarschieren.

Die Schüsse kamen. Dutzende Pfeile schossen durch die Luft, direkt auf ihn zu. Sam konnte sie in Zeitlupe glitzernd sehen, ihre silbernen Spitzen direkt auf ihn zu.

Doch er war schneller als sogar ihre Pfeile. Bevor sie ihn erreichen konnten, war er bereits hoch in die Luft gesprungen und machten einen Salto über sie alle hinweg. Mit Leichtigkeit durchquerte er den gesamten Raum—fünfzehn Meter—bevor die Bogenschützen auch nur ihre Hände locker ließen.

Sam kam mit den Füßen voran heruntergeschossen und trat den Mittleren von ihnen mit solcher Kraft in die Brust, dass er die gesamte Gruppe umstieß wie eine Reihe Dominosteine. Ein Dutzend Soldaten gingen zu Boden.

Bevor die anderen reagieren konnten, hatte sich Sam zwei Schwerter aus den Händen der Soldaten geschnappt. Er wirbelte und schnitt in alle Richtungen.

Sein Ziel war perfekt. Er schnitt einen Kopf nach dem anderen ab, dann drehte er sich herum und durchstieß den Überlebenden das Herz. Er schnitt sich durch die Menge wie durch Butter. In wenigen Sekunden waren dutzende Soldaten leblos zu Boden gesackt.

Sam fiel auf die Knie und bohrte jedem von ihnen seine Zähne ins Herz, trank und trank. Er kniete auf allen Vieren, vornübergebeugt wie ein Tier, schlemmte ihr Blut, immer noch im Versuch, seine Rage zu erfüllen, die grenzenlos war.

Dann war Sam fertig, aber immer noch nicht zufrieden. Er fühlte sich, als müsste er ganze Armeen bekämpfen, Massen der Menschheit auf einmal töten. Er würde wochenlang schlemmen müssen. Und selbst dann würde es nicht genug sein.

„SAMSON!“, kreischte eine fremde Frauenstimme.

Sam blieb wie angewurzelt stehen. Es war eine Stimme, die er schon jahrhundertelang nicht mehr gehört hatte. Es war eine Stimme, die er beinahe vergessen hatte, eine, von der er nie gedacht hatte, dass er sie je wieder hören würde.

Nur eine Person auf dieser Welt hatte ihn je Samson genannt.

Es war die Stimme seiner Schöpferin.

Da über ihm, auf ihn hinabblickend, ein Lächeln auf ihrem wunderschönen Gesicht, stand Sams erste wahre Liebe.

Da stand Samantha.




KAPITEL SIEBEN


Caitlin und Caleb flogen gemeinsam durch den klaren blauen Wüstenhimmel, nordwärts über das Land Israel, auf das Meer zu. Unter ihnen breitete sich die Landschaft aus, und Caitlin beobachtete, wie sich das Gelände unter ihnen veränderte, je weiter sie flogen. Da waren riesige Flecken Wüste, weit ausladende Gebiete von sonnengetrocknetem Lehm, gespickt mit Steinen, Felsbrocken, Bergen und Höhlen. Es gab kaum Menschen, abgesehen von dem gelegentlichen Schafhirten, von Kopf bis Fuß in Weiß gekleidet, eine Kapuze über dem Kopf, um ihn vor der Sonne zu schützen, seine Herde nicht weit hinter ihm folgend.

Doch je weiter sie nordwärts flogen, um so mehr änderte sich das Terrain. Die Wüste wich sanften Hügeln, und auch die Farben änderten sich, von trockenem, staubigem Braun zu üppigem Grün. Olivenhaine und Weingärten spickten die Landschaft. Doch immer noch waren nur wenige Menschen zu sehen.

Caitlin dachte über ihre Entdeckung in Nazareth nach. In diesem Brunnen hatte sie zu ihrem Schock einen kleinen, wertvollen Gegenstand gefunden, den sie nun in ihrer Hand festklammerte: einen goldenen Davidstern von der Größe ihrer Handfläche. Quer darüber war in kleiner, altertümlicher Schrift ein einzelnes Wort graviert: Kapernaum.

Es war für sie beide klar gewesen, dass dies eine Botschaft war, um ihnen zu sagen, wohin sie als Nächstes gehen mussten. Aber warum Kapernaum?, fragte sich Caitlin.

Sie wusste von Caleb, dass Jesus dort einige Zeit verbracht hatte. Hieß das, er würde sie dort erwarten? Und würde auch ihr Vater dort sein? Und, wie sie zu hoffen wagte, Scarlet?

Caitlin durchsuchte die Landschaft unter sich. Sie war erstaunt, wie unterbevölkert Israel zu dieser Zeit war. Sie war überrascht, wenn sie gelegentlich über ein Haus flog, da die Wohnstätten so spärlich gesät waren. Dies war immer noch ein ländliches, leeres Land. Die einzigen Städte, die sie gesehen hatte, waren eher Ortschaften, und selbst diese waren primitiv, fast alle Gebäude schlicht ebenerdig oder mit einem Stockwerk, und aus Stein erbaut. Sie hatte keine nennenswerten befestigten Straßen gesehen.

Als sie flogen, schwang sich Caleb zu ihr und griff nach ihrer Hand. Es fühlte sich gut an, ihn zu spüren. Sie musste sich fragen, zum millionsten Mal, warum sie hier und jetzt gelandet waren. So weit zurück. So weit weg. So anders als Schottland, als alles, was sie kannte.

Sie spürte tief im Inneren, dass dies die Endstation ihrer Reise war. Hier. Israel. Es war ein so mächtiger Ort zu jener Zeit, dass sie die Energie von allem ausstrahlen spüren konnte. Alles fühlte sich für sie spirituell geladen an, als würde sie in einem enormen Energiefeld wandeln und leben und atmen. Sie wusste, dass ihr etwas Bedeutsames bevorstand. Doch sie wusste nicht, was. War ihr Vater wirklich hier? Würde sie ihn jemals finden? Es war so frustrierend für sie. Sie hatte alle vier Schlüssel. Er sollte hier sein, dachte sie, und auf sie warten. Warum musste sie immer noch so weitersuchen?

Noch drängender waren ihre Gedanken an Scarlet. Sie blickte auf jeden Ort hinunter, den sie passierten, und suchte nach einem Anzeichen von ihr, von Ruth. Einen Moment lang fragte sie sich, ob sie es vielleicht nicht geschafft hatte—doch rasch schob sie diese Gedanken beiseite und weigerte sich, zuzulassen, dass sie so negativ dachte. Sie konnte den Gedanken an ein Leben ohne Scarlet nicht ertragen. Sollte sich herausstellen, dass Scarlet tatsächlich fort war, wusste sie nicht, ob sie die Kraft haben würde, weiterzumachen.

Caitlin spürte den Davidstern in ihrer Hand brennen und dachte erneut darüber nach, wohin sie wohl unterwegs waren. Sie wünschte, sie wüsste mehr über das Leben Jesu; sie wünschte, sie hätte die Bibel als Kind aufmerksamer gelesen. Sie versuchte, sich zu erinnern, doch sie wusste wirklich nur die Grundlagen: Jesus hatte an vier Orten gelebt: Bethlehem, Nazareth, Kapernaum und Jerusalem. Sie hatten Nazareth gerade hinter sich gelassen und waren nun auf dem Weg nach Kapernaum.

Sie fragte sich, ob sie auf einer Schnitzeljagd waren, seinen Fußstapfen folgend, ob er vielleicht einen Hinweis für sie bereithielt, oder ob einer seiner Anhänger einen Hinweis darauf hatte, wo ihr Vater war, oder das Schild. Sie fragte sich wieder einmal, wie alles zusammenhängen konnte. Sie dachte an all die Kirchen und Klöster, die sie durch die Jahrhunderte besucht hatte, und spürte, dass da ein Zusammenhang bestand. Doch sie war nicht sicher, was es war.

Das Einzige, was sie über Kapernaum sicher wusste, war, dass es ein kleines, bescheidenes Fischerdörfchen in Galiläa war, an der Nordwestküste von Israel. Doch sie hatten schon seit Stunden keine Städte mehr passiert—tatsächlich war kaum überhaupt eine Menschenseele in Sicht gewesen—und sie hatte keine Spur von Wasser gesehen—noch viel weniger von einem Meer.

Dann, gerade als sie das dachte, flogen sie über einen Berggipfel hinweg, und als sie ihn überquert hatten, breitete sich die andere Seite des Tals vor ihr aus. Es raubte ihr den Atem. Da, sich endlos erstreckend, war ein schimmernder Ozean. Es war ein tieferes Blau, als sie je gesehen hatte, und es glitzerte geradezu in der Sonne, wie eine Schatzkiste. Daran angrenzend war ein prachtvoller Strand weißen Sandes, und die Wellen rauschten darüber, so weit das Auge reichte.

Caitlin verspürte aufgeregte Spannung. Sie waren in die richtige Richtung unterwegs; solange sie sich am Ufer hielten, würden sie nach Kapernaum gelangen.

„Da“, kam Calebs Stimme.

Sie folgte seinem Finger, kniff die Augen zusammen und blickte auf den Horizont hinaus, und konnte es gerade so erkennen: in der Ferne lag ein kleines Dorf. Es war kaum eine Stadt, kaum überhaupt eine Ortschaft. Da waren vielleicht zwei Dutzend Häuser und ein größeres Gebäude in die Küste eingebettet. Als sie näherkamen, kniff Caitlin die Augen zusammen, betrachtete es näher, doch konnte kaum jemanden sehen: nur ein paar wenige Dorfbewohner waren auf den Straßen unterwegs. Sie fragte sich, ob das an der Mittagssonne lag oder daran, dass es unbewohnt war.

Caitlin hielt Ausschau nach einem Anzeichen von Jesus selbst, doch sah nichts. Wichtiger noch, sie spürte nichts. Wenn es wahr war, was Caleb gesagt hatte, würde sie seine Energie von Weitem spüren können. Doch sie spürte keine ungewöhnliche Energie. Wieder einmal fragte sie sich, ob sie im richtigen Hier und Jetzt waren. Vielleicht hatte dieser Mann unrecht gehabt: vielleicht war Jesus vor Jahren schon verstorben. Oder vielleicht war er noch nicht einmal geboren.

Plötzlich schwang Caleb sich abwärts, auf das Dorf zu, und Caitlin folgte. Sie fanden eine unauffällige Stelle zum Landen, außerhalb der Stadtmauer, in einem Hain von Olivenbäumen. Dann schritten sie durch das Stadttor.

Sie gingen durch das kleine, staubige Dorf, und es war heiß; alles briet in der Sonne. Die wenigen herumschlendernden Bewohner schienen sie kaum zu bemerken; sie waren anscheinend nur darauf aus, Schatten zu finden und sich Luft zuzufächeln. Eine alte Dame trat an den Dorfbrunnen, hob einen großen Schöpflöffel hoch und trank, dann wischte sie sich den Schweiß von der Stirn.

Wie sie so die kleinen Straßen durchquerten, wirkte der Ort vollständig verlassen. Caitlin hielt nach irgendeinem Anzeichen Ausschau, irgendetwas, das sie zu einem Hinweis führen konnte, einer Spur von Jesus, oder ihrem Vater, oder dem Schild, oder Scarlet—doch sie fand nichts.

Sie wandte sich an Caleb.

„Was nun?“, fragte sie.

Caleb blickte ahnungslos zurück. Er schien genauso ratlos zu sein wie sie.

Caitlin drehte sich herum, betrachtete die Dorfmauern, die bescheidene Bauweise, und wie sie so durch den Ort blickte, bemerkte sie einen schmalen, ausgetretenen Pfad, der zum Meer führte. Als sie den Pfad hinunterblickte, durch ein Stadttor hinaus, sah sie in der Ferne das Schimmern des Ozeans.

Sie stupste Caleb an, und auch er sah es und folgte ihr, als sie die Stadt verließ und auf das Ufer zuwanderte.

Als sie sich der Küste näherten, sah Caitlin drei kleine, bunte Fischerboote, wettergegerbt, halb gestrandet im Sand, in den Wellen schaukeln. In einem saß ein Fischer, und neben den anderen beiden, knöcheltief im Ozean, standen zwei weitere Fischer. Es waren ältere Herren mit grauem Haar und dazu passenden Bärten, und Gesichtern, die ebenso wettergegerbt waren wie ihre Boote, sonnengebräunt, mit tiefen Falten. Sie trugen weiße Roben und weiße Kapuzen zum Schutz vor der Sonne.

Caitlin sah zu, wie zwei von ihnen ein Netz einholten und es langsam durch die Wellen zogen. Sie zerrten daran, kämpften mit den Wellen, und ein kleiner Junge sprang aus einem der Boote und rannte zum Netz, um ihnen zu helfen, es einzuholen. Als es das Ufer erreichte, sah Caitlin, dass sie dutzende Fische gefangen hatten, die zappelten und sprangen. Der Junge quietschte vor Freude, während die alten Männer unberührt schienen.

Caitlin und Caleb hatten sich ihnen so leise genähert—besonders mit dem Wellenrauschen im Hintergrund—dass sie sie immer noch nicht bemerkt hatten. Caitlin räusperte sich, um sie nicht zu erschrecken.

Sie alle wirbelten zu ihr herum, und sie konnte sehen, wie überrascht sie waren. Sie konnte es ihnen nicht verdenken: sie mussten ein schockierender Anblick sein, sie beide, von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, in moderner Kampfmontur in Leder. Sie mussten ausgesehen haben, als wären sie direkt vom Himmel gefallen.

„Es tut uns leid, Sie zu stören“, fing Caitlin an, „aber sind wir in Kapernaum?“, fragte sie den, der ihr am Nächsten stand.

Er blickte von ihr au Caleb, dann zurück zu ihr. Langsam nickte er zur Antwort.

„Wir suchen jemanden“, fuhr Caitlin fort.

„Und wer soll das sein?“, fragte der andere Fischer.

Caitlin war kurz davor, „meinen Vater“ zu sagen, doch sie hielt sich zurück, da sie erkannte, dass das nutzlos sein würde. Wie sollte sie ihn schon beschreiben? Sie wusste nicht einmal, wer er war oder wie er aussah.

Also nannte sie stattdessen die einzige Person, die ihr einfiel, die sie erkennen könnten: „Jesus.“

Sie rechnete fast damit, dass sie sie verspotten würden, sie auslachen, sie ansehen, als wäre sie verrückt—oder dass sie keine Ahnung haben würden, wer Jesus war.

Doch zu ihrer Überraschung schienen sie von ihrer Frage nicht überrascht; sie nahmen sie ernst.

„Er ist vor zwei Wochen abgereist“, sagte einer von ihnen.

Caitlins Herz setzte kurz aus. Also. Es stimmte. Er lebte tatsächlich. Sie waren tatsächlich in seiner Zeit. Und er war wirklich hier gewesen, in diesem Dorf.

„Und alle seine Anhänger mit ihm“, sagte der andere. „Nur die alten Leute wie wir und die Kinder blieben zurück.“

„Also ist er echt?“, fragte Caitlin schockiert. Sie konnte es immer noch kaum glauben; es war fast zu viel, um es zu erfassen.

Der Junge trat nahe an Caitlin heran.

„Er hat die Hand meines Opas wieder gut gemacht“, sagte der Junge. „Schau nur. Er hatte Lepra. Jetzt ist er gesund. Zeig es ihr, Opa“, sagte der Junge.

Der alte Mann drehte sich langsam herum und zog den Ärmel zurück. Seine Hand sah völlig normal aus. Genauer gesagt, als Caitlin genau hinsah, wirkte es, als würde eine Hand deutlich jünger aussehen als die andere. Es war unheimlich. Er hatte die Hand eines 18jährigen. Rosig und gesund—als hätte man ihm eine neue Hand gegeben.

Caitlin konnte es nicht glauben. Jesus war echt. Er konnte wirklich Leute heilen.

Die Hand dieses Mannes anzusehen, der einst ein Leprakranker war, sie völlig geheilt zu sehen, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Es machte alles real. Zum ersten Mal hatte sie Hoffnung, dass sie ihn wirklich finden würde, und wirklich ihren Vater finden könnte, und das Schild. Und dass sie sie zu Scarlet führen konnten.

„Wisst ihr, wohin er gegangen ist?“, fragte Caleb.

„Jerusalem, soweit wir gehört haben“, rief einer der anderen Fischer über das Rauschen der Wellen hinweg.

Jerusalem, dachte Caitlin. Es fühlte sich so weit weg an. Sie waren den ganzen Weg hierher nach Kapernaum geflogen. Und nun schien es, als wäre das völlig sinnlos gewesen. Nach all dem würden sie umkehren und mit leeren Händen davonziehen müssen.

Doch sie konnte den Davidstern in ihrer Hand brennen spüren, und sie war sich sicher, dass es einen Grund geben musste, warum sie nach Kapernaum geschickt worden waren. Sie hatte das Gefühl, dass da noch mehr war, was sie finden mussten.

„Einer seiner Apostel ist noch hier“, sagte ein Fischer. „Paulus. Ihn könnt ihr fragen. Es kann sein, dass er genau weiß, wohin sie unterwegs sind.“

„Wo ist er?“, fragte Caitlin.

„Da, wo sie sich alle aufgehalten haben. In der alten Synagoge“, sagte der Mann. Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter hinweg.

Caitlin blickte über ihre Schulter und sah auf einem Hügel, den Ozean überblickend, einen wunderschönen kleinen Tempel aus Kalkstein. Selbst in dieser Zeit sah er bereits uralt aus. Mit kunstvollen Säulen verziert blickte er über das Meer hinaus, mit direktem Ausblick auf die rauschenden Wellen. Selbst von hier konnte Caitlin spüren, dass es ein heiliger Ort war.

„Es war die Synagoge von Jesus“, sagte einer der Männer. „Dort verbrachte er all seine Zeit.“

„Danke“, sagte Caitlin und machte sich auf, auf sie zuzugehen.

Als sie losging, streckte der Mann die Hand aus und packte sie mit seiner neuen, gesunden Hand am Arm. Caitlin blieb stehen und sah ihn an. Sie konnte die Energie spüren, die durch seine Hand in ihren Arm pulsierte. Es war anders als alles, was sie je gefühlt hatte. Es war eine heilende, tröstliche Energie.

„Du bist nicht von hier, nicht wahr?“, fragte der Mann.

Caitlin spürte ihn in ihre Augen blicken und konnte erkennen, dass er etwas ahnte. Ihr wurde klar, dass es sinnlos war, ihn anlügen zu wollen.

Langsam schüttelte sie den Kopf. „Nein, das bin ich nicht.“

Er starrte sie eine lange Zeit an, dann nickte er langsam, zufriedengestellt.

„Du wirst ihn finden“, sagte er zu ihr. „Ich kann es spüren.“


*

Caitlin und Caleb wanderten den Strand hinauf, neben ihnen das Wellenrauschen, der Geruch von Salz schwer in der Luft. Die kühle Brise war erfrischen, besonders nach so viel Zeit in der Wüstenhitze. Sie stiegen einen kleinen Hügel hinauf, auf dessen Kuppe die uralte Synagoge eingebettet war.

Caitlin blickte auf, als sie sich näherten: aus abgetragenem Kalkstein erbaut, schien es, als stünde sie schon seit tausenden Jahren hier. Sie konnte die Energie spüren, die von dem Ort ausging; dies war ein heiliger Ort, das konnte sie jetzt schon feststellen. Sein großes gewölbtes Tor stand offen und knarrte im Wind, von der Meeresbrise hin und her bewegt.

Auf ihrem Weg den Hügel hinauf passierten sie kleine Grüppchen von Wildblumen, die scheinbar direkt aus dem Felsen heraus wuchsen, in einer Reihe bunter Wüstenfarben. Es waren die schönsten Blumen, die Caitlin je gesehen hatte, so unerwartet, so unwahrscheinlich an diesem kargen Ort.

Sie erreichten die Hügelkuppe und gingen direkt auf das Tor zu. Caitlin spürte den Davidstern in ihrer Tasche brennen und sie wusste, das war es.

Sie blickte hoch und sah über dem Torbogen, in den Stein eingebettet, einen riesigen goldenen Davidstern, von hebräischen Buchstaben umringt. Es war erstaunlich, darüber nachzudenken, dass sie kurz davor stand, einen Ort zu betreten, an dem Jesus so viel Zeit verbracht hatte. Irgendwie hatte sie erwartet, eine Kirche zu betreten—aber das ergab natürlich, wenn sie genauer nachdachte, keinen Sinn, da Kirchen natürlich nicht bis nach seinem Tod gebaut wurden. Es schien seltsam, sich Jesus in einer Synagoge vorzustellen—aber immerhin wusste sie, dass er Jude gewesen war, und ein Rabbi, also ergab es durchaus Sinn.

Doch welche Relevanz hatte all das für die Suche nach ihrem Vater? Nach dem Schild? Sie fühlte zunehmend, dass all dies verbunden war, all die Jahrhunderte und Zeiten und Orte, all das Suchen in den Klostern und Kirchen, all die Schlüssel, all die Kreuze. Sie hatte das Gefühl, dass es einen durchgehenden roten Faden gab, direkt vor ihren Augen. Und doch wusste sie nicht, was es war.

Sichtlich gab es an dem, was sie finden musste, irgend ein heiliges, spirituelles Element. Was ihr auch seltsam erschien, denn immerhin war dies die Welt der Vampire. Doch dann wiederum, als sie so darüber nachdachte, wurde ihr klar, dass dies ebenso ein spiritueller Krieg war, zwischen übernatürlichen Kräften von Gut und Böse, von jenen, die die menschliche Art beschützen wollten und jenen, die ihr schaden wollten. Und sichtlich würde was immer sie finden würde riesige Auswirkungen haben, nicht nur auf die Art der Vampire, sondern auch auf die Art der Menschen.

Sie blickte auf die offenstehende Türe und fragte sich, ob sie einfach hineinspazieren sollten.

„Hallo?“, rief Caitlin aus.

Sie wartete einige Sekunden, ihre Stimme widerhallend. Keine Antwort.

Sie sah Caleb an. Er nickte, und sie konnte sehen, dass auch er das Gefühl hatte, sie wären am richtigen Ort. Sie legte ihre Hand auf die uralte Holztüre und drückte sanft dagegen. Sie öffnete sich knarrend, und sie betraten das verdunkelte Gebäude.

Es war kühler hier drin, geschützt von der Sonne, und Caitlin brauchte einen Moment, bis ihre Augen sich angepasst hatten. Langsam taten sie das, und sie betrachtete den Raum vor ihr.

Er war prachtvoll, anders als alles, was sie je gesehen hatte. Er war nicht protzig wie so viele andere Kirchen, die sie gesehen hatte; es war vielmehr ein bescheidenes Gebäude, aus Marmor und Kalkstein erbaut, verziert mit Säulen und mit kunstvollen Schnitzereien an der Decke. Es gab keine Kirchenbänke, keine Sitzplätze—nur einen großen offenen Raum. Am anderen Ende stand ein schlichter Altar—doch an Stelle eines darüber hängenden Kreuzes war da ein Davidstern. Dahinter stand ein kleiner goldener Schrank, in den Abbildungen von zwei großen Schriftrollen graviert waren.

Nur ein paar wenige kleine gewölbte Fenster durchbrachen die Wände, und obwohl Sonnenlicht stellenweise hereinströmte, war es doch düster. Dieser Ort war so still, so ruhig. Caitlin konnte nur das ferne Rauschen der Wellen hinter sich hören.

Caitlin und Caleb tauschten einen Blick aus, dann schritten sie langsam durch den Raum, dem Altar entgegen. Ihre Schritte schallten auf dem Marmor, und Caitlin wurde das Gefühl nicht los, dass sie beobachtet wurden.

Sie erreichten das Ende des Raumes und standen vor dem goldenen Schränkchen. Caitlin studierte die Diagramme, die in das Gold graviert waren: sie waren so detailreich, so komplex, dass sie sie an diese Kirche in Florenz erinnerten, den Duomo mit seinen goldenen Toren. Es schien, als hätte auch hier jemand sein Leben damit verbracht, dies zu gravieren. Zusätzlich zu den Abbildungen der Schriftrollen waren hebräische Buchstaben überall rundum eingebettet. Caitlin fragte sich, was sich darin befand.

„Die Torah“, kam eine Stimme.

Cailtin wirbelte herum, schockiert darüber, eine andere Stimme zu hören. Sie verstand nicht, wie irgendjemand so leise hätte sein können, es schaffen konnte, von ihnen unentdeckt zu bleiben—und wie irgendjemand darüberhinaus ihre Gedanken lesen konnte. Nur eine äußerst besondere Person konnte dies bewerkstelligen. Entweder ein Vampir, oder eine heilige Person, oder beides.

Auf sie zu kam ein Mann in weißer Robe und zurückgeschlagener Kapuze, mit langem, zerzaustem hellbraunem Haar und einem passenden Bart. Er hatte wunderschöne blaue Augen und ein mitfühlendes Gesicht, das von einem Lächeln erhellt wurde. Er wirkte alterslos, vielleicht Mitte 40, und kam mit einem leichten Hinken auf sie zu, einen Gehstock in der Hand.

„Es sind die Schriftrollen des Alten Testaments. Die fünf Bücher Mose. Das ist es, was hinter diesen goldenen Türen liegt.“

Er kam weiter auf sie zu, bis er nur wenige Schritt entfernt war, dann blieb er vor Caitlin und Caleb stehen. Er starrte direkt auf sie, und Caitlin konnte die Intensität spüren, die von ihm ausging. Dies war sichtlich keine gewöhnliche Person.

„Ich bin Paulus“, sagte er, ohne die Hand auszustrecken, die stattdessen auf seinem Gehstock ruhte.

„Ich bin Caitlin, und dies ist mein Ehemann Caleb“, antwortete sie.

Er lächelte breit.

„Ich weiß“, antwortete er.

Caitlin kam sich dumm vor. Es war offensichtlich, dass dieser Mann, der so einfach ihre Gedanken lesen konnte, viel mehr über sie wusste, als sie über ihn. Es war ein unheimliches Gefühl, dass all diese Leute, in all diesen Jahrhunderten und Orten, von ihr wussten, alle auf sie warteten. Es gab ihr noch stärker das Gefühl, einen Zweck zu haben, eine Mission. Doch es machte es umso frustrierender für sie, dass sie nicht wusste, was diese war, oder wohin sie als Nächstes gehen musste.





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In GEFUNDEN (Band #8 der Weg der Vampire) erwachen Caitlin und Caleb im antiken Israel, im Jahr 33 nach Christus, und sind erstaunt, sich im Zeitalter Christi wiederzufinden. Das antike Israel ist ein Ort von heiligen Stätten, uralten Synagogen, verlorenen Reliquien. Es ist der spirituell am stärksten geladene Ort im Universum – und im Jahr 33 nach Christus, dem Jahr seiner Kreuzigung, ist es auch die spirituell am stärksten geladene Zeit. Im Herzen seiner Hauptstatt Jerusalem liegt der Heilige Tempel Salomons, in dem sich das Allerheiligste und die Bundeslade befinden. Und in jenen Straßen wird Christus seine letzten Schritte zu seiner Kreuzigung tun. Jerusalem wimmelt von Menschen aller Religionen und Glaubensrichtungen, unter dem wachsamen Auge römischer Soldaten und ihres Statthalters Pontius Pilatus. Die Stadt hat auch eine dunkle Seite, mit labyrinthartigen Straßen und einem Irrgarten von Gassen, die zu verborgenen Geheimnissen und heidnischen Tempeln führen. Caitlin hat nun endlich alle vier Schlüssel, doch sie muss immer noch ihren Vater finden. Ihre Suche führt sie nach Nazareth, nach Kapernaum, nach Jerusalem, auf einer mystischen Spur von Geheimnissen und Hinweisen in den Fußstapfen Christi. Sie führt sie auch auf den uralten Ölberg, zu Aiden und seinem Clan, und zu noch mächtigeren Geheimnissen und Reliquien, als sie je gekannt hatte. An jeder Biegung ist ihr Vater nur einen Schritt entfernt. Doch es ist ein Rennen gegen die Zeit: Auch Sam, der dunklen Seite zugewandt, ist in dieser Zeit gelandet, und als er sich mit Rexius, dem Anführer des bösen Clans, verbündet, wird es zum Wettlauf gegen Caitlin um das Schild. Rexius schreckt vor nichts zurück, um Caitlin und Caleb zu zerstören, und mit Sam an seiner Seite und einer neuen Armee hinter sich ist er im Vorteil.

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