Книга - Vorher Schadet Er

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Vorher Schadet Er
Blake Pierce


Ein Mackenzie White Krimi #14
Von Blake Pierce, dem #1 Bestseller Autor von VERSCHWUNDEN (einem #1 Bestseller mit über 1000 ausgezeichneten Bewertungen) erscheint nun das vierzehnte Buch der mitreißenden Mystery-Reihe um Mackenzie White.

VORHER SCHADET ER ist der vierzehnte Band der Mackenzie White Mystery Reihe, die mit dem Nummer-Eins-Bestseller BEVOR ER TÖTET (Buch #1) beginnt – einem kostenlosen Download mit über 600 Fünf-Sterne-Rezensionen.



Im ländlichen Utah werden mehrere Leichen gefunden – junge Frauen, die Mitglieder einer fundamentalistischen Polygamisten-Kommune gewesen sind. Kann Mackenzie White die dichten Reihen der Kommune durchdringen, um herauszufinden, wer für den Tod der Frauen verantwortlich ist? Und kann sie dem Täter auf die Spur kommen und ihn aufhalten, bevor es zu spät ist?



Ein dunkler Psychothriller mit mitreißender Spannung: VORHER SCHADET ER ist der vierzehnte Band der neuen, fesselnden Reihe mit einer Figur, die wir alle bereits liebgewonnen haben. Ein richtiger Schmöker eben, den Sie kaum aus der Hand legen wollen werden.





Blake Pierce

VORHER SCHADET ER




VORHER SCHADET ER




(EIN MACKENZIE WHITE MYSTERY—BUCH 14)




B L A K E   P I E R C E



Blake Pierce

Blake Pierce ist der USA Today Bestseller-Autor der RILEY PAGE Mystery-Serie, die sechzehn Bücher (und es werden noch mehr) umfasst. Blake Pierce ist auch der Autor der Mystery-Serie MACKENZIE WHITE, die dreizehn Bücher umfasst (Tendenz steigend); der Mystery-Serie AVERY BLACK, die sechs Bücher umfasst; der Mystery-Serie KERI LOCKE, die fünf Bücher umfasst; der Mystery-Serie DAS MAKING OF RILEY PAIGE, die fünf Bücher umfasst (Tendenz steigend); der Mystery-Serie KATE WISE, die sechs Bücher umfasst (Tendenz steigend); der psychologischen Krimireihe CHLOE FINE, die fünf Bücher umfasst (Tendenz steigend); der psychologischen Krimireihe JESSE HUNT, die fünf Bücher umfasst (Tendenz steigend); der psychologischen Krimireihe AU PAIR, die zwei Bücher umfasst (Tendenz steigend); der Krimireihe ZOE PRIME, die zwei Bücher umfasst (Tendenz steigend); der neuen Krimireihe ADELE SHARP; sowie der neuen und heimeligen Mystery-Serie EUROPEAN VOYAGE.



Als begeisterter Leser und lebenslanger Fan der Mystery- und Thriller-Genres liebt es Blake, von Ihnen zu hören. Besuchen Sie www.blakepierceauthor.com (http://www.blakepierceauthor.com/), um mehr zu erfahren und in Kontakt zu bleiben.








Copyright © 2020 durch Blake Pierce. Alle Rechte vorbehalten. Außer wie im US-amerikanischen Urheberrechtsgesetz von 1976 erlaubt, darf kein Teil dieser Veröffentlichung in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln reproduziert, verteilt oder übertragen werden oder in einer Datenbank oder einem Abfragesystem ohne die vorherige Genehmigung des Autors gespeichert werden. Dieses eBook ist nur für Ihren persönlichen Genuss lizenziert. Dieses eBook darf nicht weiterverkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch für eine andere Person freigeben möchten, erwerben Sie bitte für jeden Empfänger eine zusätzliche Kopie. Wenn Sie dieses Buch lesen und es nicht gekauft haben oder es nicht für Ihre Verwendung erworben wurde, geben Sie es bitte zurück und kaufen Sie Ihre eigene Kopie. Danke, dass Sie die harte Arbeit dieses Autors respektieren. Dieses Buch ist reine Fiktion. Namen, Charaktere, Geschäfte, Organisationen, Orte, Ereignisse und Ereignisse sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen lebenden oder toten Personen ist völlig zufällig. Buchumschlagsbild Copyright Robsonphoto, mit Lizenz von Shutterstock.com



BÜCHER VON BLAKE PIERCE

ADELE SHARP MYSTERY-SERIE

NICHTS ALS STERBEN (Buch #1)

NICHTS ALS RENNEN (Buch #2)

NICHTS ALS VERSTECKEN (Buch #3)



DAS AU-PAIR

SO GUT WIE VORÜBER (Band #1)

SO GUT WIE VERLOREN (Band #2)

SO GUT WIE TOT (Band #3)



ZOE PRIME KRIMIREIHE

GESICHT DES TODES (Band #1)

GESICHT DES MORDES (Band #2)

GESICHT DER ANGST (Band #3)



JESSIE HUNT PSYCHOTHRILLER-SERIE

DIE PERFEKTE FRAU (Band #1)

DER PERFEKTE BLOCK (Band #2)

DAS PERFEKTE HAUS (Band #3)

DAS PERFEKTE LÄCHELN (Band #4)

DIE PERFEKTE LÜGE (Band #5)

DER PERFEKTE LOOK (Band #6)

DIE PERFEKTE AFFÄRE (Band #7)

DAS PERFEKTE ALIBI (Band #8)



CHLOE FINE PSYCHOTHRILLER-SERIE

NEBENAN (Band #1)

DIE LÜGE EINES NACHBARN (Band #2)

SACKGASSE (Band #3)

STUMMER NACHBAR (Band #4)

HEIMKEHR (Band #5)

GETÖNTE FENSTER (Band #6)



KATE WISE MYSTERY-SERIE

WENN SIE WÜSSTE (Band #1)

WENN SIE SÄHE (Band #2)

WENN SIE RENNEN WÜRDE (Band #3)

WENN SIE SICH VERSTECKEN WÜRDE (Band #4)

WENN SIE FLIEHEN WÜRDE (Band #5)

WENN SIE FÜRCHTETE (Band #6)

WENN SIE HÖRTE (Band #7)



DAS MAKING OF RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

BEOBACHTET (Band #1)

WARTET (Band #2)

LOCKT (Band #3)

NIMMT (Band #4)

LAUERT (Band #5)

TÖTET (Band #6)



RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

VERSCHWUNDEN (Band #1)

GEFESSELT (Band #2)

ERSEHNT (Band #3)

GEKÖDERT (Band #4)

GEJAGT (Band #5)

VERZEHRT (Band #6)

VERLASSEN (Band #7)

ERKALTET (Band #8)

VERFOLGT (Band #9)

VERLOREN (Band #10)

BEGRABEN (Band #11)

ÜBERFAHREN (Band #12)

GEFANGEN (Band #13)

RUHEND (Band #14)

GEMIEDEN (Band #15)

VERMISST (Band #16)

AUSERWÄHLT (Band #17)



EINE RILEY PAIGE KURZGESCHICHTE

EINST GELÖST



MACKENZIE WHITE MYSTERY-SERIE

BEVOR ER TÖTET (Band #1)

BEVOR ER SIEHT (Band #2)

BEVOR ER BEGEHRT (Band #3)

BEVOR ER NIMMT (Band #4)

BEVOR ER BRAUCHT (Band #5)

EHE ER FÜHLT (Band #6)

EHE ER SÜNDIGT (Band #7)

BEVOR ER JAGT (Band #8)

VORHER PLÜNDERT ER (Band #9)

VORHER SEHNT ER SICH (Band #10)

VORHER VERFÄLLT ER (Band #11)

VORHER NEIDET ER (Band #12)

VORHER STELLT ER IHNEN NACH (Band #13)

VORHER SCHADET ER (Band #14)



AVERY BLACK MYSTERY-SERIE

DAS MOTIV (Band #1)

LAUF (Band #2)

VERBORGEN (Band #3)

GRÜNDE DER ANGST (Band #4)

RETTE MICH (Band #5)

ANGST (Band #6)



KERI LOCKE MYSTERY-SERIE

EINE SPUR VON TOD (Band #1)

EINE SPUR VON MORD (Band #2)

EINE SPUR VON SCHWÄCHE (Band #3)

EINE SPUR VON VERBRECHEN (Band #4)

EINE SPUR VON HOFFNUNG (Band #5)




KAPITEL EINS


Schritt für Schritt stolperte sie weiter und ihre Füße rutschten in den offenen Sandalen hin und her, als sie über das feuchte Feld rannte. Es war mittlerweile Nacht geworden und Dunstschleier bedeckten den Boden dort, wo es nachmittags geregnet hatte. Sie fragte sich, ob das bisschen Feuchtigkeit in ihren Sandalen für ihren Tod verantwortlich sein würde.

Man hatte sie gefunden, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie.

Ihre einzige Chance, diese Nacht zu überleben, war Amy. Sie musste sie erreichen. Laut ihrer Berechnung waren es noch etwa drei Kilometer. Aber um die Nachbarschaft zu erreichen, in der Amy wohnte, würde sie dieses dämliche, nasse Feld überqueren müssen.

Vom ständigen Ausrutschen genervt, hielt sie lange genug an, um sich die Sandalen auszuziehen. Hätte sie mehr Zeit für die Vorbereitung gehabt, würde sie nun Turnschuhe tragen. Aber es war alles so schnell gegangen …

Sie hielt die Sandalen in der rechten Hand und rannte weiter. Sie kam nun etwas einfacher vorwärts, doch ihre zarten Füße begannen sofort, sich über die harte Erde unter dem Gras zu beschweren. Doch sie ignorierte den Schmerz und rannte so schnell sie konnte weiter. Sie musste es zu Amy schaffen.

Kurz warf sie einen Blick nach hinten und sah lediglich die treppenförmige Silhouette des Waldes – Bäume verschiedener Größe, die in der Dunkelheit wie ein seltsames Diagramm wirkten. Wenn ihr jemand folgte, dann konnte sie es nicht sehen. Aber sie war nicht naiv genug, zu glauben, niemanden auf ihrer Fährte zu haben. Sicherlich suchte jemand nach ihr, um sicherzugehen, dass sie es niemandem erzählte.

Das Feld endete abrupt und sie sprang über den Graben auf eine zweispurige Straße. Als sie auf dem Asphalt landete, schlitterte sie ein wenig und der Teer grub sich in ihre Fersen. Sie sah nach rechts in Richtung der Straßenlaternen, die in der Ferne leuchteten. Amy würde dort sein. Irgendwo inmitten des Leuchtens. Dieses Wissen gab ihren schmerzenden Beinen neue Kraft – obwohl sie bereits mehrere Kilometer durch den Wald und über die Felder gerannt war, um hier anzukommen.

Sie rannte die Straße entlang und vermutete, noch mindestens einen knappen Kilometer vor sich zu haben, bevor sie das Leuchten der Straßenlaternen erreichen würde. Sie dachte an ihr Handy, das sie irgendwo im Wald verloren hatte. Wie einfach wäre es, einfach anrufen zu können. Vor Frust hätte sie am liebsten geweint.

Und als sie weiterrannte, erlaubte sie sich, zu weinen. Sie rannte und weinte und suchte tief in ihren Lungen nach dem nächsten Atemzug.

Irgendwie schaffte sie es, die Wohngegend zu erreichen. Ihre Beine waren wie Wackelpudding und sie war so außer Atem, dass sie kleine schwarze Feuerwerksexplosionen vor Augen hatte. Aber das war in Ordnung, denn sie hatte es geschafft. Sie würde zu Amy gehen. Und Amy würde wissen, was zu tun war. Sie war sich nicht sicher, ob es überhaupt Sinn machte, die Polizei zu kontaktieren, aber das würde womöglich keine Rolle spielen. Sie musste lediglich mit Amy sprechen. Und der bloße Gedanke daran verschaffte ihr Erleichterung.

Als sie sich ihrem Haus näherte, musste sie sich davon abhalten, nach Amy zu rufen. Nur noch vier oder fünf Häuser, dann wäre sie sicher. Die aufsteigenden Nebelschwaden des Regens am Nachmittag dämpften das Licht der Straßenlaternen und die ganze Nachbarschaft sah aus, als entstamme sie einem Horrorfilm. Doch Amys Haus wartete wie ein Leuchtturm auf sie.

Sie konzentrierte sich so sehr auf die Form der Häuser, dass sie den aufjaulenden Motor hinter sich nicht hörte. Als sie endlich auf den Wagen aufmerksam wurde, blickte sie nach hinten. Das Auto kam ohne Licht auf sie zugerast. Sie versuchte, sich nach rechts zu werfen, doch das brachte nicht viel.

Der Wagen erwischte sie an ihrer rechten Seite. Kurz fühlte sie sich wie betäubt, als sie einen Meter über dem Boden einen Überschlag machte. Doch der Schmerz kam mit rasender Wut zurück, als sie auf dem Asphalt landete. Ihr Kopf schlug gegen die Straße und die Welt wurde schwarz.

Deshalb konnte sie das Gesicht der Person nicht sehen, die mitten in der Straße angehalten hatte, ausgestiegen war und nun mit einem Messer in der Hand auf sie zukam.

Sie wusste, dass die Person ihr die Kehle durchtrennte, aber die Schmerzen in ihrem Kopf und ihrem Rücken waren so stark, dass sie nichts davon spürte.

Während der Mörder zurück zum Wagen ging, entwich ihr das Leben mit rasendem Tempo.

Der Wagen war bereits verschwunden, als sie auf der regenbedeckten Fahrbahn ihren letzten Atemzug nahm.




KAPITEL ZWEI


Die Wohnung roch nach Rosmarin und Zitrone. Das Abendessen kochte auf dem Herd, die erste Flasche Wein war geöffnet worden und Spotify spielte The Cure. Jeder willkürliche Besucher hätte vermutlich gedacht, dass Mackenzie White einen fantastischen Nachmittag hatte. Nicht sichtbar jedoch war ihr innerlicher Kampf und die Aufregung. Ihre Nerven waren – wie ihr Magen auch – gereizt.

Das Hühnchen war fertig und der Spargel im Ofen. Mackenzie nippte an ihrem Rotwein und versuchte, eine Beschäftigung zu finden. Ellington saß mit Kevin auf dem Wohnzimmerboden und las ihm vor. Er sah zu ihr auf und verdrehte die Augen. Als er einen passenden Zeitpunkt zur Unterbrechung erreichte – der winzige Hundewelpe in der Geschichte war erneut unter den Zaun gekrabbelt – nahm er Kevin in den Arm und betrat mit ihm zusammen die Küche.

„Es ist nur deine Mutter“, sagte er. „Du tust ja so, als bekämen wir Besuch von der Steueraufsichtsbehörde oder so.“

„Du kennst sie nicht“, meinte Mackenzie.

„Ist sie dir ähnlich?“

„Bis auf die Tatsache, dass sie uns verlassen hat, schon.“

„Dann bin ich mir sicher, dass sie in Ordnung ist. Sag mir einfach, wieviel Charme ich versprühen soll.“

„Nicht zu viel. Sie wird deine Witze nicht verstehen.“

„Dann nehme ich es zurück“, sagte Ellington. „Ich kann die Frau jetzt schon nicht ausstehen.“ Er gab Kevin einen Kuss auf die Stirn und zuckte mit den Schultern. „Sie hat allerdings ein Recht darauf, ihren Enkel kennenzulernen. Bist du denn überhaupt nicht froh, dass sie ein Teil der Familie sein will?“

„Ich will ja froh sein. Aber es fällt mir schwer, ihr zu vertrauen.“

„Das verstehe ich“, meinte Ellington. „Mir wird auch nicht gerade warm ums Herz, wenn ich an meine Mom denke.“

„Aber zumindest stand sie sofort vor der Tür, als du ein Kind bekamst, oder?“

„Das stimmt. Aber wir sollten nicht davon ausgehen, dass das gut ist. Es könnte Jahre dauern, bevor wir verstehen, welchen traumatischen Einfluss das auf Kevin hatte.“

„Ich mache keine Witze, E. Die Frau ist schädlich. Sie ist …“

Sie war sich nicht sicher, wie sie den Satz beenden sollte, also verstummte sie. Was ist sie? Egoistisch wäre ein passendes Wort. Unreif ein anderes. Die Frau hatte sich nach dem Tod ihres Mannes quasi abgeschottet und dadurch Mackenzie und ihre Schwester ohne Mutterfigur zurückgelassen.

„Sie ist deine Mutter“, erwiderte Ellington. „Und ich freue mich, sie kennenzulernen.“

„Ich werde dich später an diese Worte erinnern.“

Sie küssten sich und Ellington kehrte ins Wohnzimmer zurück, um weiter von den Fehltritten des winzigen Hundewelpen vorzulesen. Mackenzie hörte zu, während sie erneut an ihrem Wein nippte und dann begann, den Tisch zu decken. Sie schielte auf die Uhr und bemerkte, dass nur sechs Minuten verblieben, bevor ihre Mutter sich angekündigt hatte. Sie musste zugeben, dass das Abendessen köstlich roch und Kevin niedlicher aussah als je zuvor. Für ihren Geschmack wuchs er viel zu schnell. Er zog sich bereits selbst hoch und flitzte durch die Wohnung. Sie rechneten jeden Tag mit seinen ersten Schritten.

Daran ließ sich gut festmachen, wieviel Zeit seit ihrem letzten Treffen mit ihrer Mutter vergangen war. Ihr Sohn würde bald laufen und ihre Mutter hatte ihn …

Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre Gedankengänge. Sie sah Ellington erschrocken an, woraufhin er grinste. Dann nahm er Kevin wieder in den Arm und streckte ihr seine freie Hand entgegen. Seit etwa einer Woche trug er keinen Gips mehr und es tat gut, ihm dabei zuzusehen, beide Arme zu benutzen.

Sie nahm seine Hand und er zog sie an sich. „Du hast es mit den härtesten Kerlen aufgenommen, die unsere Gesellschaft zu bieten hat“, erinnerte er sie. „Sicherlich kannst du auch diese Situation bewältigen.“

Sie nickte und gemeinsam gingen sie zur Tür. Als sie die Tür öffneten, musste Mackenzie kurz ihre Gedanken sammeln.

Ihre Mutter sah umwerfend aus. Sie schien sich in den letzten Monaten seit ihrem Treffen gemacht zu haben. War es bereits ein Jahr her? Mackenzie war sich nicht sicher. Ihre Mutter sah gesund und sogar glücklich aus. Ihr Haar war zurechtgemacht und sie könnte gut als dreiundvierzig statt dreiundfünfzig durchgehen.

„Hey Mom“, sagte Mackenzie. „Du siehst gut aus.“

„Du auch.“ Sie sah an Mackenzie vorbei zu Ellington, der Kevin im Arm hielt. „Es tut mir leid“, sagte sie. „Wir kennen uns noch nicht.“

Ellington und ihrer Mutter dabei zuzusehen, sich die Hand zu geben, war irgendwie unwirklich. Und als Mackenzie beobachtete, wie Kevin die fremde Frau an der Tür studierte, brach ihr kurz das Herz. Sie hatte ihrer Mutter von etwa einem Jahr in Nebraska von ihrem Enkelkind erzählt. Es war eine offene Einladung gewesen, sie zu besuchen – und erst jetzt hatte sie sie angenommen. Mackenzie rechnete ihr jedoch an, ihr Angebot, die Flugtickets zu bezahlen, abgelehnt zu haben.

„Komm rein, Mom“, sagte Mackenzie.

Patricia White betrat die Wohnung ihrer Tochter, als gehe sie in eine Art Kathedrale – mit Ehrfurcht und Respekt. Sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, sah sie erst Kevin und dann mit Tränen in den Augen Mackenzie an.

„Kann ich ihn halten?“

„Du bist seine Großmutter“, sagte Mackenzie. „Natürlich kannst du ihn halten.“

Als Ellington ihr Kevin überreichte, tat er das ohne zu zögern. Er beobachtete den ehrfürchtigen und dankbaren Ausdruck seiner Schwiegermutter genauso gespannt wie Mackenzie. Während Mackenzie sich freute, Kevin in den Armen ihrer Mutter zu sehen, fühlte es sich noch immer unwirklich an.

„Er sieht dir sehr ähnlich“, sagte Patricia zu ihrer Tochter.

„Und das ist auch gut so“, meinte Ellington kichernd.

Mackenzie führte ihre Mutter weiter in die Wohnung hinein bis ins Wohnzimmer, wo sie sich setzten. Mackenzie und Ellington sahen sich dabei kurz über Patricias Kopf hinweg an. Ellington schenkte ihr einen Hab-ichs-dir-doch-gesagt-Blick, den sie mit einem mürrischen Stirnrunzeln beantwortete.

„Du hast doch nicht etwa schon in ein Hotel eingecheckt, oder?“, fragte Mackenzie.

„Doch. Hab meine Sachen schon hingebracht.“ Während sie sprach, sah sie Kevin ununterbrochen an. Mackenzie wusste nicht, ob sie ihre Mutter je so strahlend gesehen hatte.

„Das hättest du nicht tun müssen. Ich habe dir doch gesagt, dass du gerne bei uns übernachten kannst.“

„Ich weiß“, sagte sie und nahm schließlich den Blick von ihrem Enkel, während sie ihn auf ihren Knien hüpfen ließ. „Aber ihr seid beide beruflich eingespannt und ich wollte nicht im Weg sein. Außerdem habe ich heute Abend einen Whirlpool in meinem Zimmer und kann morgen ein bisschen Sightseeing machen. Ich war zuvor noch nie in DC, also …“

Sie verstummte und erklärte die Unterhaltung damit für beendet. Und was Mackenzie betraf, war sie das auch.

„Nun, das Abendessen ist so gut wie fertig“, sagte Mackenzie. „Noch ein paar Minuten. Der Tisch ist schon gedeckt, wir können also ins Esszimmer umziehen.“

Das taten sie auch – Patricia trug Kevin im Arm, während Ellington den Hochstuhl an den Tisch schob. Als sie saßen, schenkte Ellington sich selbst und Patricia Wein ein, während Mackenzie nach und nach das Essen servierte. Sie hatte schon immer ein Händchen fürs Kochen gehabt, blieb aber bei den einfachen Gerichten. Heute hatte sie ein schlichtes Vier-Zutaten-Hühnchen mit Rosmarin und Zitrone zubereitet, dazu gab es Kartoffeln und Spargel. Patricia sah sie überrascht an.

„Du kannst kochen?“, fragte sie.

„Ein bisschen. Definitiv nicht überdurchschnittlich.“

„Sie ist bescheiden“, meinte Ellington.

„Das war sie schon immer.“

Und das Abendessen begann, einfach so. Die Unterhaltung war zwar ein bisschen holprig, aber nicht unangenehm. Ellington redete am meisten und erzählte Patricia mehr über sich – wo er aufgewachsen war, seit wann er als Agent arbeitete und seine Version, wie die Beziehung mit ihrer Tochter ins Rollen gekommen war. Mackenzie war überrascht, wie viel es ihr bedeutete, dass ihrer Mutter ihre Kochkünste komplementiert hatte. Während des Essens saß Kevin in seinem Hochstuhl und aß kleine Hühnchen-Stücke, die Mackenzie ihm abschnitt. Er wurde immer besser darin, selbst mit den Händen zu essen, dennoch landete ein großer Teil des Essens auf dem Boden.

Als sowohl die Teller als auch die Weinflasche leer waren, begriff Mackenzie, dass der Abend möglicherweise nicht so katastrophal enden würde, wie sie befürchtet hatte. Ellington säuberte Kevin und gab ihm ein paar Joghurtdrops, bevor er den Tisch abräumte. Mackenzie saß ihrer Mutter gegenüber, während Ellington in der Küche die Spülmaschine einräumte.

„Ich nehme an, dass du in letzter Zeit nicht mit deiner Schwester gesprochen hast“, meinte Patricia.

„Nein. Bei unserem letzten Treffen hast du erwähnt, dass sie in Los Angeles ist, oder?“

„Ja. Und wenn sich das geändert haben sollte, weiß ich nichts davon. Ich könnte schwören, dass sie sich seit deinen Ermittlungen im Falle eures Vaters weiter zurückgezogen hat. Ich habe nie verstanden, wie sie …“

Sie wurde von einem Klopfen an der Wohnungstür unterbrochen – was seltsam war, da Mackenzie und Ellington kaum Besuch bekamen.

„Babe, kannst du aufmachen?“, rief Ellington aus der Küche. „Ich stecke bis zu den Ellbogen im Spülwasser.“

„Entschuldige mich kurz, Mom“, sagte Mackenzie und stand auf. Sie kniff Kevin spielerisch in die Nase, als sie an ihm vorbeiging. Es überraschte sie, wie ausgesprochen gut der Abend lief. Ja, vielleicht könnte man sogar sagen, dass sie den Besuch ihrer Mutter genoss.

Mit federnden Schritten ging sie zur Tür. Doch als sie sie öffnete, verschwand das Federn und die Realität überrollte sie.

„Hallo Mackenzie“, sagte die Frau an der Tür.

Mackenzie setzte ein falsches Lächeln auf, das irgendwie nicht zu passen schien. „Hey E“, rief sie über die Schulter nach hinten. „Deine Mom ist hier.“




KAPITEL DREI


Mackenzie hatte wirklich nichts gegen Frances Ellington. Sie war sogar eine Art Retter in der Not gewesen und hatte auf Kevin aufgepasst, als Mackenzie zur Arbeit zurückgekehrt war. Es schadete auch nicht, dass Kevin seine Oma E über alles liebte. Doch die Vorstellung, beide Großmütter zur selben Zeit am selben Ort zu haben war unglaublich beunruhigend. Mackenzie glaubte, beide Frauen gut genug zu kennen, um zu wissen, dass dieses Aufeinandertreffen einem Pulverfass ähnelte, das den Hügel hinunterrollte, wo ein immer größer werdendes Feuer tobte.

Langsam und schüchtern führte Mackenzie Frances ins Esszimmer. Als Kevin sie erblickte, leuchteten sein Augen auf und er streckte die Arme aus. Hinter ihr betrat Ellington mit perplexem Gesicht das Zimmer.

„Mom … was machst du hier?“

„Ich war in der Gegend und dachte, ich lad euch beide zum Abendessen ein – aber ich scheine zu spät zu kommen.“

„Das hättest du gewusst, wenn du angerufen hättest.“

Frances ignorierte ihren Sohn und schenkte Patricia, die sie am Tisch erblickt hatte, ein großes Lächeln. „Ich bin übrigens Frances Ellington.“

„Und ich bin Patricia White“, sagte Patricia. „Wie schön, Sie kennen zu lernen.“

Dann wurde alles still. Die Spannung war greifbar. Selbst Kevin schien erstaunt zu sein; er sah sich im Zimmer um, als stimme etwas nicht. Erst als sein Blick schließlich bei Mackenzie hängenblieb und sie ihn breit angrinste, wirkte er zufrieden.

„Nun, wenn wir schon alle hier sind, kann ich auch den Nachtisch rausholen“, verkündete Ellington. „Es ist nicht viel, nur eine Eistorte, die mich gestern im Supermarkt angelacht hat.“

„Das klingt fantastisch“, sagte Frances, als sie sich auf den Stuhl neben Kevin setzte. Kevin schenkte ihr nun seine ungeteilte Aufmerksamkeit und seine neue Großmutter war vergessen.

„Frances passt hin und wieder auf ihn auf“, erklärte Mackenzie ihrer Mutter. Sie hoffte, mit ihrem einfachen Statement in kein Fettnäpfchen getreten zu sein, denn in ihren Ohren klang es fast wie eine Anschuldigung. Sie passt hin und wieder auf ihn auf, weil sie sich von Anfang an dazu entschieden hat, ein Teil seines Lebens zu sein. So klang es zumindest in Mackenzies Ohren.

Ellington brachte die Torte und begann, sie anzuschneiden. Als er Kevin ein kleines Stück gab, reagierte dieser sofort damit, kichernd mit seiner Hand auf den Kuchen einzuschlagen. Das wiederum sorgte für Gelächter bei beiden Großmüttern und eine weitere Kuchenattacke Kevins.

„Halt mal“, meinte Patricia. „Ist er nicht ein bisschen zu klein für Kuchen?“

„Nein“, erwiderte Mackenzie. „Kevin liebt Eis.“

„Ich kann mich nicht erinnern, dir so jung Eis gegeben zu haben.“

Mackenzie traute sich nicht, es auszusprechen, aber ihr kam sofort ein Gedanke in den Sinn: Ich bin überrascht, dass du dich überhaupt an meine Kindheit erinnern kannst.

„Oh ja“, sagte Frances. „Erdbeereis isst er am liebsten. Aber nicht Schokolade. Sie sollten sein Gesicht sehen, wenn er etwas Schokoladiges versucht.“

Mackenzie beobachtete das Gesicht ihrer Mutter und erkannte die Frau wieder, die sie einmal gewesen war. Sie wirkte enttäuscht und auch peinlich berührt. Sofort wurde ihre Haltung abwehrend und Mackenzie wusste, dass die Situation heikel werden würde, wenn sie sich weiter in diese Richtung bewegten.

„Mach dir keine Sorgen, Mom“, meinte Mackenzie. „Er isst auch ganz viele gesunde Sachen.“

„Ich habe euch nicht in Frage gestellt. Ich war lediglich … neugierig. Es ist schon eine Weile her, seitdem ich ein Kind aufgezogen habe …“

„Ist es nicht seltsam?“, sagte Frances. „Man glaubt, damit fertig zu sein, vom Zauber der Kinder umgarnt zu werden, wenn sie das Haus verlassen und dann – bam – wirst du Oma.“

„Ich nehme an, das stimmt“, sagte Patricia und sah Kevin an. Sie streckte eine Hand aus, die er sofort packte und ihren Zeigefinger mit Vanilleeis bedeckte.

„Und wie du siehst, ist er ziemlich gut darin, zu teilen“, meinte Frances.

Patricia kicherte und wurde mit einem großen Lächeln Kevins belohnt. Mackenzie konnte die Tränen in den Augen ihrer Mutter sehen, die gleichzeitig fröhlich lachte. Und als ihr Lachen eine höhere Oktave annahm, kicherte Kevin mit ihr mit, als hätten sie gerade einen Insiderwitz geteilt.

„Ich nehme an, dass er seinen Humor von eurer Seite der Familie hat“, sagte Frances. „Gott weiß, dass meine Kinder nie viel gelacht haben.“

„Hey“, sagte Ellington. „Viele Leute denken, dass ich witzig bin! Nicht war, Mac?“

„Ich weiß nicht“, antwortete sie. „Kenne ich die?“

Er verdrehte die Augen, als ihre Mütter auf seine Kosten loslachten. Kevin machte mit und patschte weiter mit der Hand gegen die Eistorte, während er sich ein Stück in den Mund schob.

Es ist fast wie bei einer dieser Fernsehsendungen, in denen unerklärliche Dinge geschehen, dachte Mackenzie, als sie den Austausch beobachtete. Ihre Mütter kamen tatsächlich miteinander aus. Und das ganz ungezwungen. Natürlich war noch nicht viel Zeit vergangen, aber irgendwie fühlte es sich natürlich an. Es fühlte sich – Gott möge ihr beistehen – richtig an.

Sie war sich bewusst, dass sie erstaunt aussah, aber sie konnte nicht anders. Wer weiß, wie lange sie noch weiter gestarrt hätte, wenn das Telefon nicht geklingelt und sie aus ihrer Trance befreit hätte. Sie nahm die Chance, den Tisch zu verlassen, freudig an, eilte zu ihrem Handy auf dem Küchentresen und wunderte sich nicht einmal, wer wohl am anderen Ende wartete.

Das änderte sich, als sie den Namen ihres Chefs, McGrath, auf dem Bildschirm der Anrufererkennung sah. Es war bereits nach siebzehn Uhr und ein Anruf zu dieser Uhrzeit bedeutete gewöhnlich, dass ein paar geschäftige Tage auf sie warteten. Sie nahm ab und schielte durch den Flur in den Essbereich, in der Hoffnung, Ellingtons Blick aufzufangen. Doch der sprach gerade mit seiner Mutter und befreite Kevins Hände und sein Gesicht von Eis.

„Agent White“, antwortete sie.

„Hey White.“ McGraths Stimme war so nüchtern wie immer. Es war schwer, seine Stimmung anhand dieser zwei Worte festzumachen. „Ich glaube, einen Fall zu haben, der wie gemacht für Sie beide ist. Allerdings ist es etwas eilig. Sie müssten sich noch heute Abend vorbereiten und dann morgen früh im Flieger Richtung Utah sitzen.“

„Das ist in Ordnung, aber warum kümmern sich die Kollegen vor Ort nicht darum?“

„Es handelt sich um besondere Umstände. Ich werde alles erklären, wenn Sie hier im Büro sind. Wie schnell können Sie hier sein?“

Sie war ein bisschen enttäuscht von sich selbst, Erleichterung darüber zu empfinden, den Abend vorzeitig verlassen zu können – schließlich handelte es sich um eine gültige Ausrede, dem seltsamen Zusammentreffen den Rücken zuzukehren.

„Tatsächlich sogar ziemlich schnell“, sagte sie. „Wir haben gerade automatische Babysitter vor Ort.“

„Sehr gut. Dann in einer halben Stunde?“

„Perfekt“, sagte sie. Sie beendete den Anruf und während sie noch immer ins Esszimmer starrte und versuchte, die Situation zu begreifen, rief sie: „Hey E? Kannst du mal kurz kommen?“

Vielleicht war es ihre Stimme oder die einfache Annahme, dass sie stets lediglich aus Geschäftsgründen angerufen wurden, denn Ellington kam sofort und grinste erwartungsvoll.

„Arbeit?“, fragte er.

„Ja.“

„Prima“, meinte Ellington. „Denn ehrlich gesagt finde ich es ziemlich unheimlich, was hier gerade abgeht.“

„Wem sagst du das!“

Um seinen Punkt zu unterstreichen, kicherten plötzlich beide Mütter im Esszimmer um die Wette und wurden vom hellen Lachen ihres Sohnes begleitet.




KAPITEL VIER


Obwohl es sich seltsam anfühlte, Kevin mit beiden Großmüttern alleine zu lassen, konnte Mackenzie nicht leugnen, dass es ihr warm ums Herz wurde, als sie daran dachte, dass ihre Mutter endlich etwas Zeit mit ihrem Enkelkind verbringen konnte. Ihre einzige Sorge war, dass die sture und eher egoistische Seite ihrer Mutter zum Vorschein kommen könnte. Würde sie ihre Abwehrhaltung einnehmen, wenn klar wurde, dass Kevin und Frances bereits miteinander vertraut waren? Sie war überrascht, dass keiner die Situation mit Sorge zu betrachten schien, als sie sich gemeinsam mit Ellington durch die leeren Flure des FBI Hauptquartiers begab und auf McGraths Büro zusteuerte.

Beim Betreten des Raumes war offensichtlich, dass er kurz davor war, Feierabend zu machen. Er steckte einige Akten in seine Tasche und schien sogar ziemlich gut gelaunt zu sein.

„Danke für Ihre Spontanität“, sagte er.

„Kein Problem“, meinte Ellington. „Sie haben uns damit sogar eine Art Gefallen gemacht.“

„Tatsächlich?“

„Familienzusammenführung“, meinte Mackenzie.

„Also geht es mich nichts an. Dann werde ich die Sache mal auf den Punkt bringen. Wir haben eine tote Frau drüben in Utah. Das FBI wurde dazu gerufen, weil die Frau laut örtlicher Polizei keine Identität hat. Keine Aufzeichnungen, keine Sozialversicherungsnummer, keine Geburtsurkunde, keine bekannte Adresse – nichts.“

„Warum Agenten aus DC schicken, statt die Kollegen vor Ort in Salt Lake City einzuspannen?“, fragte Mackenzie.

„Ich kenne nicht alle Details, aber die Zweigstelle dort scheint ein bisschen in der Klemme zu sitzen. Es gab wohl in der Vergangenheit Probleme mit gewissen geschützten Persönlichkeiten. Die Zweigstelle in Salt Lake City muss deshalb wohl unglaublich vorsichtig sein, wenn es um Ermittlungen in dieser Gegend geht.“

„Das klingt ziemlich ungenau“, meinte Ellington.

„Nun, mehr kann ich gerade nicht anbieten. Es gab einen Interessenskonflikt und vor Gericht wurde dann festgestellt, dass das FBI im Unrecht gewesen war. Also hat Salt Lake City heute hier angerufen, um nach ein paar DC Agenten zu fragen, die dort diskret an dem Fall arbeiten können. Aufgrund der Natur des Mordes scheinen Sie beide die perfekte Wahl zu sein – ich bin mir sicher, dass Sie den Fall problemlos lösen können. Fliegen Sie hin und finden Sie heraus, um wen es sich bei der Frau handelt und wer sie umgebracht hat. Und warum. Dann übergeben Sie die Sache der örtlichen Polizeidienststelle und kommen nach Hause.“

„Und was ist die Natur des Mordes?“, fragte Ellington.

„Ich werde Ihnen die ausführlichen Berichte zuschicken lassen. Aber es scheint, als wäre die junge Frau mitten in der Nacht vor etwas davongerannt. Die Arbeitsthese ist, dass sie dabei von einem Fahrzeug angefahren wurde. Im Anschluss hat man ihr die Kehle durchgeschnitten. Auf ihrem Mund befand sich außerdem ein Stück Klebeband, aber der Gerichtsmediziner denkt, dass das nach ihrem Tod angebracht wurde.“

Mackenzie stimmte ihm zu – der Fall schien wirklich genau das Richtige für sie zu sein. Und sie war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte.

„Wann sollen wir dort sein?“, fragte Ellington.

„Ich habe Ihnen beiden einen Flug für morgen früh um viertel nach fünf gebucht. Bitte nehmen Sie diesen Flug wahr und sehen Sie sich den Tatort spätestens gegen Mittag an. Ich weiß, dass die Kinderbetreuung in diesem Fall ein Problem darstellen könnte, aber …“

„Ausnahmsweise glaube ich, dass wir das regeln können“, meinte Ellington.

„Warte. Ich weiß nicht, ob …“

„Geht es um die Familienzusammenführung?“, fragte McGrath. Er hatte seine Tasche mittlerweile verschlossen und betrachtete sehnsüchtig die Tür.

„Ja, Sir.“

„Wie gesagt – das geht mich nichts an. Wenn es mit der Kinderbetreuung ein Problem gibt und nur einer von Ihnen fliegen kann, geben Sie mir Bescheid.“

Mit diesen Worten deutete er zur Tür.


***

„Ich muss was loswerden“, sagte Mackenzie auf dem Rückweg zur Wohnung. „Ich habe mich bei unserem letzten Fall nicht unbedingt damit wohlgefühlt, Kevin bei deiner Mutter zu lassen. Ein paar Stunden hier und da sind kein Problem. Damit komme ich klar. Aber gleich mehrere Tage …“

„Oh, das kann ich nachvollziehen. Aber um ehrlich zu sein, gefällt es mir auch nicht gerade, ihn mehrere Tage lang bei deiner Mutter zu lassen.“

„Oh Gott, nein.“

„Wenn dich die Vorstellung wirklich stört, ihn bei meiner Mutter zu lassen, kann ich den pflichtbewusste Ehemann spielen und hierbleiben. Klingt nach einem einfachen Fall und …“

„Nein. McGrath hat uns tatsächlich beide gebeten, hinzufliegen. Als Team. Noch vor drei Monaten hielt er es für eine schlechte Idee, uns zusammen rauszuschicken, wir müssen also irgendetwas richtig machen. Wenn er uns diese Chance schon gibt, sollten wir sie annehmen.“

„Das sehe ich auch so“, meinte Ellington.

„Also, was tun wir?“

Für einen kurzen Moment schwiegen sie beide, doch dann begann Ellington langsam, zu sprechen. Er sprach vorsichtig, als wolle er sichergehen, dass jedes Wort stimmte – oder dass er tatsächlich meinte, was er von sich gab. „Wie wahrscheinlich ist es, dass beide zur gleichen Zeit hier sind?“, fragte er. „Wirklich, denke mal darüber nach. Die Chancen stehen unheimlich schlecht. Und keiner von uns beiden vertraut ihnen einzeln …“

„Du willst sie als Team babysitten lassen?“

„Es könnte funktionieren. Du hast gesehen, wie gut sie sich verstehen. Und Gott, Kevin sah aus, als befände er sich im Oma-Paradies.“

„Wird deine Mom beleidigt sein?“, fragte sie.

„Das bezweifle ich. Und deine?“

„Nein. Gott, sie wird sich geehrt fühlen, dass ich sie überhaupt in Betracht ziehe. Hast du ihr Gesicht gesehen, als ich ihr sagte, dass wir beide kurz wegmüssen und ihnen solange den Kleinen anvertrauen?“

„Ja, habe ich.“ Er dachte eine Weile darüber nach, während sie die Kreuzung erreichten, an der sie links abbiegen mussten, um ihre Wohnung zu erreichen. „Also – wenn das Haus bei unserer Rückkehr nicht in Flammen steht, fragen wir die beiden?“

Mackenzie geriet bei dem Gedanken kurzzeitig in Panik. Sie erinnerte sich an den kurzen Besuch bei ihrer Mutter von ein paar Monaten und wie diese langsam wieder auf die Beine zu kommen und sich verantwortlich zu verhalten schien. Vielleicht waren ihr Besuch hier und ihr Wunsch, endlich ihren Enkelsohn zu sehen, ein Wendepunkt. Und wenn Mackenzie sichergehen wollte, dass ihre Mutter auch weiterhin auf dem richtigen Weg blieb, war es dann nicht ihre Verantwortung als Tochter, genau das zu tun? Ein paar Tage mit ihrem dreizehn Monate alten Enkelkind würden sicherlich helfen.

Als sie den Aufzug ihres Wohngebäudes betraten, griff Mackenzie nach Ellingtons Hand. „Bist du damit einverstanden? Sicher?“

Er wirkte verwirrt, nickte aber. „Ja. Ich weiß, dass es seltsam ist, aber ja. Ich denke, es wird schon klappen. Was ist mit dir?“

„Geht mir genauso.“

Sie betraten die Wohnung etwa achtzig Minuten nachdem sie sie verlassen hatten. Frances wischte gerade den Küchentresen ab, während Patricia auf dem Boden mit Kevin spielte. Sie beschäftigten sich gerade mit dem ‚See’n’Say‘ – einem seiner Lieblingsspielzeuge. Ihre Mutter auf dem Boden beim Spielen zu sehen, machte sie auf eine Art und Weise glücklich, mit der sie nicht gerechnet hatte. Sie nickte Ellington zu, als sie das Wohnzimmer betraten, um ihn anzuweisen, das Sprechen zu übernehmen.

„Also … Mom? Ms. White?“

„Oh nein, bitte nenn mich Patricia.“

„Okay … Mom und Patricia. Mackenzie und ich haben gerade die Möglichkeit erhalten, gemeinsam an einem Fall zu arbeiten. Das haben wir natürlich schon zuvor gemacht, aber seit der Hochzeit ist unser Arbeitgeber etwas vorsichtig damit geworden, uns als Team loszuschicken. Dieses Mal wurden wir aber gemeinsam angefragt.“

„Nun, das ist wundervoll“, meinte Frances.

„Das ist es. Problem: Der Fall ist in Utah. Und wir müssen morgen früh um fünf im Flieger sitzen.“

Zum ersten Mal seit ihrer Rückkehr blickte Patricia auf. Ihre Aufmerksamkeit hatte sie bisher ausschließlich auf Kevin gerichtet. „Etwas Gefährliches?“, fragte sie.

„Nicht gefährlicher als sonst“, sagte Mackenzie. „Aber wir erwähnen es, weil wir wissen, wie unwahrscheinlich es ist, euch beide hier zu haben. Also, Mom … du hattest geplant, lediglich zwei Tage in der Stadt zu bleiben, oder?“

„Ja, das ist richtig.“

„Und du“, meinte Ellington und nickte seiner Mutter zu, „bist unangekündigt vorbeigekommen, was mich zu der Annahme verleitet, dass du in nächster Zeit keine Pläne hast. Ist das richtig?“

„Ich hatte vor, morgen nach Hause zu gehen, aber konkrete Pläne habe ich nicht, nein.“

„Kannst du dein Hotelzimmer canceln und dir die Kosten rückerstatten lassen, Mom?“, fragte Mackenzie.

Patricia schien zu verstehen, auf was die beiden hinauswollten. Sie sah Kevin an, lächelte breit und betrachtete dann erneut ihre Tochter. „Mackenzie … ich weiß nicht. Sicher, ich will. Natürlich will ich. Aber bist du dir sicher?“

„Es ginge um euch beide“, meinte Mackenzie. „Wenn Frances bereit dafür ist. Ich denke, dass es sich höchstens um zwei oder drei Tage handelt. Seid ihr beide damit einverstanden?“

Die Tränen, die über das Gesicht ihrer Mutter liefen, reichten Mackenzie als Antwort. Patricia nickte und stand auf. Als sie das Zimmer durchquerte und ihre Tochter umarmte, wusste Mackenzie kaum, wie sie reagieren sollte. Sie umarmte ihre Mutter ebenfalls, war sich aber unsicher, was es bedeutete, dass es sich ein bisschen erzwungen und ungeschickt anfühlte. War es wirklich schon so lange her, seitdem sie sich aufgrund von Emotionen statt sozialer Notwendigkeit umarmt hatten?

„Auf mich könnt ihr auch zählen“, sagte Frances. „Ich habe zwar nur genug Kleidung für ein oder zwei Tage dabei, aber ich kann ja waschen.“

„Mackenzie, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll“, sagte Patricia. „Es ist schon so lange her, seitdem ich mich um ein Baby gekümmert habe und …“

„Es ist wie Fahrradfahren“, versicherte Frances ihr. „Und Klein-Kevin ist ein Engel. Macht überhaupt keine Probleme.“

„Wir werden euch einen Zeitplan aufstellen“, sagte Mackenzie.

„Zusammen mit den Telefonnummern für Arzt, Feuerwehr und Giftnotruf“, scherzte Ellington.

Als niemand lachte, zog er eine Grimasse und verließ langsam das Zimmer. Kevin, der noch immer auf dem Boden saß, war der einzige, der darauf reagierte, in dem er seinen Kopf streckte, um zu sehen, wo sein Daddy hingegangen war.

„Denkst du, du kommst klar, kleiner Mann?“, fragte Mackenzie und setzte sich neben ihn auf den Boden.

Zur Antwort lächelte er wie immer und sah mit großen, hellen Augen seine Mutter und die zwei älteren Frauen hinter ihr an.




KAPITEL FÜNF


Etwa nach der Hälfte der Flugzeit nach Utah – Mackenzie trank bereits ihre zweite Tasse bitteren Flugzeugkaffees – wurde sie erstmals unruhig. Sie sah aus dem Fenster, wo das frühe Morgenlicht den Horizont erleuchtete und dann zu Ellington.

„Hast du immer noch ein gutes Gefühl dabei?“, fragte sie ihn.

„Ja. Warum? Hast du deine Meinung geändert?“

„Nein. Aber ich kenne meine Mutter. Es ist offensichtlich, dass sie ihr Leben verbessern möchte und ich hoffe, dass die Zeit mit Kevin ihr dabei hilft, diese Veränderungen umzusetzen. Aber ich kenne sie. Ich weiß, wie stur sie sein kann. Ich weiß, wie schnell sie abwehrend wird. Und ich kann nicht anders, als mich zu fragen, ob unsere Mütter die Wohnung in ein Wrestling-Cage-Match verwandeln werden.“

„So lange sie Kevin am Leben lassen, ist das in Ordnung. Übrigens – ich würde auf deine Mom setzen.“

Sie konnte sehen, dass auch er sich ein bisschen sorgte, aber versuchte, der starke Ehemann zu sein, auf den sie sich stützen konnte. Während ihrer Ehe und den vorangegangenen Jahren der Partnerschaft hatte er gelernt, wann er diese Rolle einnehmen musste und wann es besser war, es ihr zu überlassen, stark zu sein. Beide Rollen meisterte er mittlerweile gut und vor allem wusste er, wann er sich wie zu verhalten hatte. Sie seufzte und sah wieder aus dem Fenster, während sie seine Hand hielt.

„Hey Mac? Es ist wirklich in Ordnung. Es wird sogar richtig gut werden. Das alles gehört zum Familie-Sein dazu. Schwiegermütter, Verwandte, alles.“

„Ich weiß. Aber heute ist es meine Mom. Was, wenn meine Schwester morgen vor der Tür steht und plötzlich Tante sein will?“

„Dann wirst du sie lassen müssen. Oder zumindest wirst du ihr die Chance geben müssen, es zu versuchen.“

„Oh, aber du kennst Stephanie nicht…“

„Und deine Mutter habe ich auch erst gestern kennengelernt. Trotzdem sind wir hier in der Luft, während sie und meine Mutter unten auf unseren Sohn aufpassen. Darf ich ehrlich sein?“

„Bitte.“

„Ich glaube, du machst dir Sorgen, weil du dir keine Sorgen machst. Wir sind beide geschockt, wie natürlich sich alles anfühlt. Vielleicht müssen wir uns einfach entspannen und uns auf den Fall konzentrieren. Unsere Mütter haben uns aufgezogen und aus uns ist schließlich auch was geworden.“

„Ist es das wirklich?“, fragte sie schmunzelnd.

„Ich denke schon.“

Mackenzie nippte weiter an ihrem Kaffee und tat dann genau das, was Ellington vorgeschlagen hatte: Sie leitete ihre Gedanken von den überraschenden Wendungen zuhause zurück zu ihrem Fall.


***

Mit dem Mietwagen fuhren sie fünfundzwanzig Kilometer aus Salt Lake City heraus und schafften es, McGraths Wunsch, gegen Mittag dort zu sein, um eine Stunde zu unterbieten. Die Stadt, wo die Frau ohne Identität ermordet worden war, nannte sich Fellsburg und war sowohl klein als auch niedlich. Es war eine vornehmere Gegend, die aufgrund ihrer Nähe zu Salt Lake City zu florieren schien. Mackenzie vermutete, dass der Großteil der Einwohner täglich in die Stadt pendelte, um dort zu arbeiten und erst abends wieder zurück in eine der vielen Wohngegenden Fellsburgs kehrte.

Ellington folgte den Anweisungen und Unterlagen, die McGrath ihnen per E-Mail zugesandt hatte und fuhr in einen Ortsteil namens Plainsview. Wie die anderen beiden Trabantenstädte, die sie zuvor durchquert hatten, stand auch dort ein zweistöckiges, nullachtfünfzehn Haus samt gepflegtem Vorgarten neben dem anderen. Die Straßenlaternen, die der Sicherheit dienen sollten, standen nur dreißig Meter voneinander entfernt.

Sie mussten nicht weit nach Plainsview hineinfahren. Bereits vier Häuser nach dem Ortseingang stand ein Polizeiwagen an der Straßenseite. Es handelte sich um den Beamten, der das Treffen arrangiert hatte, nachdem Mackenzie ihn vom Flughafen aus angerufen hatte, um ihre Ankunft anzukündigen. Er stieg bereits aus dem Streifenwagen aus, als Ellington hinter ihm parkte.

Die drei trafen sich zwischen den Autos und stellten sich vor. Dienstmarke und Anstecknadel an seiner Brust wiesen ihn als Sheriff Burke aus.

„Hallo“, sagte Burke. „Danke für Ihr Kommen. Ich bin Sheriff Declan Burke.“

Mackenzie und Ellington nannten ihre Namen und schüttelten ihm die Hand. Mackenzie schätzte Burke auf etwa fünfzig. Er trug einen dicken Bart, der mal wieder gestutzt werden könnte. Sein Gesicht wirkte hart und er versteckte seine Augen hinter einer Fliegersonnenbrille, obwohl der Morgen nicht übermäßig hell war.

„Wurde die Leiche hier gefunden?“, fragte Mackenzie.

„Genau. Dort drüben.“ Burke deutete nach rechts.

„Laut Bericht hatte sie nichts außer einem Führerschein bei sich, ist das korrekt?“

„Ja und ein Paar Sandalen. Sie waren nass, nachdem es an dem Tag leicht geregnet hatte. Zuerst nahm ich an, dass ihr die Schuhe beim Zusammenstoß mit dem Auto von den Füßen gerutscht waren. Aber der Gerichtsmediziner wies darauf hin, dass die Schürfwunden und Schnitte an ihren Füßen indizieren, dass sie die Sandalen schon zuvor ausgezogen hat, um möglicherweise schneller rennen zu können.“

„Irgendeine Ahnung, wie weit sie gerannt ist?“, fragte Ellington.

„Noch nicht wirklich“, sagte Burke. „Etwa zweieinhalb Kilometer von hier entfernt ist ein Feld, das Anzeichen darauf liefert, dass es in derselben Nacht durchquert wurde. Aber wildes Gras und Unkraut machen es unmöglich, mit Sicherheit zu sagen, ob es sich um diese Frau gehandelt hat – oder um ein menschliches Wesen im Allgemeinen. Hätte auch ein Reh sein können.“

„Und niemand hier hat etwas gesehen?“, fragte Mackenzie. Sie blickte die leicht abschüssige Straße hinunter zu den hübschen Häusern. Es war schwer, zu glauben, dass niemand etwas beobachtet hatte.

„Meine Männer und ich haben jeden Hausbesitzer auf dieser Straße befragt. Eine Nachteule behauptet, eine alte Limousine ohne Licht in der Nachbarschaft gesehen zu haben. Aber ein Kennzeichen haben wir keins.“

„Was ist mit dem Mädchen?“, meinte Ellington. „Wissen wir überhaupt nichts zu ihrer Identität?“

„Nein. Der Führerschein war gefälscht. Und dazu noch ziemlich überzeugend. Natürlich haben wir ihre Fingerabdrücke genommen und ihr Blut getestet. Aber im System wurden keine Treffer gefunden.“

„Das macht keinen Sinn“, kommentierte Ellington.

„Deshalb haben wir Sie gerufen“, sagte Burke. „Ich nehme an, Sie haben die Fotos der Leiche am Tatort zu Gesicht bekommen?“

„Ja“, antwortete Mackenzie. „Schwarzes Klebeband über ihrem Mund. Der Gerichtsmediziner glaubt, dass es nach ihrem Tod dort angebracht wurde.“

„Korrekt. Wir haben das Klebeband nach Fingerabdrücken untersucht, aber nichts gefunden.“

Mackenzie hatte das Klebeband auf den Fotos am Abend zuvor und auch im Flugzeug lange betrachtet. Vielleicht hatte es einen symbolischen Hintergrund? Wollte der Mörder die Frau darauf hinweisen, auch nach ihrem Tod schweigen zu müssen? Aber warum? Was hatte sie zu sagen?

„Ohne Identität wird es so gut wie unmöglich sein, Freunde oder Familienmitglieder zu informieren“, meinte Ellington.

„Ja. Wir haben nichts. Also übergebe ich den Fall gerne an Sie. Brauchen Sie noch etwas von mir?“

„Ja, tatsächlich“, antwortete Mackenzie. „Wurden auf dem Führerschein auch keine Fingerabdrücke gefunden?“

„Nur die des Mädchens.“

„Wie gut ist das forensische Labor auf Ihrem Revier?“

„Nicht supermodern, aber besser als in den meisten Städten dieser Größe.“

„Ihr Forensiker soll sich den Führerschein noch einmal genauer ansehen. Und zwar auch unter einem Mikroskop mit UV-Licht. Manche Fälscher statten ihre Werke mit winzigen Signaturen oder Kennzeichnungen aus. Die sind immer gut versteckt, aber manchmal sind sie da. Eine Art heimlicher, kleiner Mittelfinger an Leute wie uns.“

„Das werde ich tun“, sagte Burke. „Sonst noch etwas?“

Mackenzie wollte gerade Ellington nach seiner Meinung fragen, als sie vom Klingeln ihres Handys unterbrochen wurde. Es war zwar stummgeschaltet, doch sie alle konnten das Vibrieren in ihrer Jackentasche hören. Sie drehte sich um und zog das Handy aus ihrer Tasche. Irritiert und auch ein bisschen alarmiert stellte sie fest, dass es ihre Mutter war. Fast entschied sie sich, den Anruf zu ignorieren, doch der Gedanke an sie und Frances bei Kevin beunruhigte sie.

Sie ging ein paar Schritte zur Seite und beantwortete den Anruf. Sie fürchtete bereits die Neuigkeiten, die am anderen Ende der Leitung auf sie warteten.

„Hey Mom. Ist alles in Ordnung?“

„Ja, alles gut. Kevin geht es gut.“

„Warum rufst du dann an? Du weißt, dass ich gerade mit der Arbeit am Fall begonnen habe, oder?“

„Ja. Aber ich muss einfach etwas wissen. Ist Frances immer so herrisch?“

„Was meinst du damit?“

„Sie kommandiert gerne herum. Ich weiß, dass sie Kevin besser kennt als ich, aber sie tut so, als wisse sie alles über ihn. Und sie stellt alles, was ich tue, infrage.“

„Deshalb rufst du an?“

„Ja. Es tut mir leid, Mackenzie, ich …“

„Ihr seid beide erwachsen und werdet einen Weg finden, miteinander zu arbeiten. Ich muss jetzt los. Bitte Mom, ruf nicht wieder an, wenn es nicht dringend ist.“

„Okay.“ Ihre Stimme klang verletzt und enttäuscht, aber Mackenzie ignorierte es.

Sie legte auf und wandte sich wieder Ellington und Burke zu. Burke sah sie fast entschuldigend an, als er zurück zu seinem Streifenwagen ging. „Ich habe Ihrem Partner gerade erzählt, dass wir für Sie beide ein Büro auf dem Revier eingerichtet haben. Ich muss mich noch um ein paar andere Dinge kümmern, also fühlen Sie sich einfach wie zuhause. Und rufen Sie mich gerne direkt an, wenn es etwas Dringendes gibt.“

Er wirkte erleichtert, den Tatort verlassen zu können, als er in seinen Wagen stieg. Er winkte ihnen noch kurz zu, bevor er wegfuhr und sie an dem Straßenabschnitt zurückließ, wo die mysteriöse Frau ermordet worden war.

„Wichtiger Anruf?“, fragte Ellington.

„Es war meine Mutter.“

„Oh. Alles in Ordnung?“

„Ja. Sie hat nur angerufen, um mir zu sagen, dass das Wrestling-Match offiziell begonnen hat.“




KAPITEL SECHS


Als sie auf dem Revier eintrafen, ging Mackenzie zuerst die Original-Berichte durch, um sich die Fotos des Tatorts anzusehen. Bisher hatten sie und Ellington lediglich digitale Kopien erhalten. Sie verteilte die Fotos auf dem großen Tisch, der den Großteil des Platzes in ihrer Büronische einnahm und beugte sich darüber. Während sie die Bilder betrachtete, machte sich Ellington auf seinem Handy Notizen.

Das Mädchen war noch ziemlich jung gewesen, vermutlich nicht älter als zwanzig, dachte Mackenzie. Sie war blond und hatte ein Gesicht, das die meisten wohl als hübsch einstufen würden. Aber sie hatte etwas an sich, was selbst in ihrem emotionslosen, leeren Gesicht erkennbar war und Mackenzie glaubte, dass es sich bei dem Mädchen möglicherweise um eine Ausreißerin oder Vagabundin gehandelt haben könnte. Das – oder sie hatte erst kürzlich etwas traumatisches erlebt. Ihre Haut hatte eine Färbung, die auf Schmutz oder harte Lebensumstände schließen ließ.

„Keine Identität“, sagte sie und sprach dabei mehr zu sich selbst als mit Ellington. „Ich frage mich, ob sie im Zeugenschutzprogramm war.“

„Zeugenschutzprogramm?“, fragte Ellington. „Ist das nicht etwas weit hergeholt? Vor allem, da ihr Führerschein vermutlich gefälscht ist.“

„Naja, sie hat keinen richtigen Ausweis und ist vor irgendetwas davongerannt. Wenn sie im Zeugenschutzprogramm und auf der Flucht war, würde uns das zumindest einen Anhaltspunkt geben. Vielleicht hat jemand aus ihrer Vergangenheit sie gefunden.“

„Und genau deshalb liebe ich dich“, sagte Ellington. „Du untersuchst lieber eine Theorie, die weder Hand noch Fuß hat, als zuzugeben, dass wir nicht wissen, wo wir anfangen sollen.“

„Man kann immer irgendwo anfangen“, sagte Mackenzie, die noch immer die Fotos betrachtete. „Nur manchmal ist der erste Anhaltspunkt der schwerste.“

Sie zog ihr Handy heraus, während ihr Blick zwischen ihrem Telefonbuch und den Fotos des toten Mädchens auf dem Tisch hin und her wanderte.

„Wen rufst du an?“, fragte Ellington.

„Ich werde mich vom Büro in DC zum Polizeirevier der US Marshals durchstellen lassen, um vielleicht eine Liste zu bekommen.“

Ellington, der von dem Vorschlag offensichtlich überrascht war, nickte amüsiert. „Ja, viel Glück damit.“

Während der Anruf beantwortet, sie in die Warteschleife geleitet und dann schließlich zum Büro der Marshals durchgestellt wurde, sah sie sich weiter die Bilder an. Die Verletzungen, die vom Zusammenstoß mit dem Fahrzeug stammten, waren auf den Bildern nicht sichtbar, aber der brutale Spalt in ihrer Kehle blendete sie. Der Teer unter ihr war ein bisschen feucht und glitzerte, was das dunkle Rot, das aus ihrem Hals trat, fast surreal wirken ließ.

„Hier spricht die Stellvertretung des Chiefs, Manning“, ertönte eine raue Stimme am anderen Ende der Leitung. „Mit wem spreche ich?“

„Special Agent Mackenzie White vom FBI. Ich arbeite an einem Fall in Salt Lake City und glaube, dass eine junge Frau involviert ist, die Teil des Zeugenschutzprogramms war. Wir haben absolut keine Identität. Ihre Fingerabdrücke sind in keinem System und der Führerschein, der bei ihrer Leiche gefunden wurde, ist ein Fake. Es ist ein Schuss ins Dunkle, aber ich hoffe, dass sie möglicherweise in Ihrem System ist.“

„Agent White, Sie wissen, dass ich Ihnen die Identitäten der Menschen, die unter unserem Schutz stehen, nicht geben darf. Das würde mindestens ein Dutzend verschiedener Gesetze und Richtlinien brechen.“

„Dessen bin ich mir bewusst. Aber was, wenn ich Ihnen ein Bild schicke? Mit einer Gesichtserkennungssoftware sind Sie vielleicht in der Lage, etwas herauszufinden …“

„Entschuldigung, aber selbst, wenn Sie nur vermuten, dass sie Teil des Zeugenschutzprogramms war, würde das Verschicken eines Fotos bereits mehrere Regeln brechen.“

„Da es sich um ein Tatortfoto handelt, denke ich, dass es erlaubt ist“, keifte Mackenzie. „Man hat sie mit einem Fahrzeug angefahren und ihr dann die Kehle aufgeschnitten. Ich schicke Ihnen also kein Glamour-Foto.“

Manning seufzte tief und Mackenzie wusste, dass sie ihren Willen bekommen würde. „Schicken Sie mir das Bild und ich werde es durch die Gesichtserkennungssoftware laufen lassen. Natürlich kann ich nichts versprechen. Aber ich werde sehen, was ich tun kann.“

„Danke.“

„Wir melden uns, sobald wir können.“ Er gab ihr die Informationen durch, wohin sie das Foto schicken sollte und legte dann auf.

Ellington hatte sich während ihrem Telefonat mit Manning den Bericht des Gerichtmediziners genauer angesehen. „Hast dich durchgesetzt, hm?“

„Hast du je daran gezweifelt?“

Er schüttelte den Kopf und überreichte ihr den gerichtsmedizinischen Bericht. „Das ist der aktuellste Report, ganz frisch, nur etwa fünf Stunden alt. Irgendwie interessant, findest du nicht auch?“

Sie überflog die offensichtlichen Inhalte des Berichts, bis sie die aktuellsten Ergebnisse fand. Was sie las, war tatsächlich interessant. Die Updates des Gerichtsmediziners und auch das medizinische Gutachten gaben an, dass das Opfer in der Vergangenheit mehrere Knochenbrüche erlitten hatte, die nicht richtig verheilt waren. Zwei Rippen, das linke Handgelenk und ein Wulstbruch am rechten Arm. Der Mediziner hatte notiert, dass die Knochen im linken Handgelenk vermutlich nie korrekt gerichtet worden waren.

„Denkst du an Misshandlung?“, fragte Mackenzie.

„Ich denke, dass sie vor jemandem weggelaufen ist und in der Vergangenheit Knochenbrüche erlitten hat, die nicht behandelt wurden. Also ja – Misshandlung oder vielleicht sogar noch dunkler. Ich frage mich, ob sie vielleicht gefangen gehalten wurde. Sie sieht nicht unbedingt gesund aus. Laut Bericht wiegt sie gerade mal fünfzig Kilo. Und du siehst es in ihrem Gesicht auf den Bildern … sie sieht irgendwie … ich weiß nicht …“

„Verhärtet aus“, beendete Mackenzie seinen Satz.

„Ja, das ist ein gutes Wort.“

„Also vielleicht war sie eine Gefangene und hat es geschafft, ihrem Schänder zu entkommen. Und als er sie erwischt hat, kam es ihm wohl gelegener, sie einfach umzubringen, als erneut gefangen zu nehmen.“

„Aber die Sorglosigkeit der Tat – der Schänder musste gewusst haben, dass sie keine Identität besitzt.“

Das war ein guter Punkt, über den beide schweigend nachdachten. Mackenzie dachte an ein Mädchen, das erst durch ein feuchtes Feld und dann auf die regennasse Straße rannte. Sie war barfuß gewesen, hatte ihre Sandalen in der Hand getragen. Das Szenario stellte sie vor zwei Fragen, aber sie war sich nicht sicher, welche wichtiger war.

Die erste war, woher sie kam und wovor sie wegrannte.

Die zweite Frage allerdings schien dringender zu sein: „Wo wollte sie hin?“, fragte Mackenzie laut. „Es kann kein Zufall sein, dass sie sich diese Wohngegend ausgesucht hat. Ich weiß, dass es keine Beweise dafür gibt, dass sie das Feld durchquert hat, von dem Sheriff Burke gesprochen hat. Aber was, wenn? Sie hätte in jede Richtung gehen können, hat sich aber für diese Nachbarschaft entschieden. Also warum?“

Ellington lächelte und nickte, während er sich von ihrem Enthusiasmus anstecken ließ. „Warum finden wir es nicht heraus?“




KAPITEL SIEBEN


Zum Glück war es Samstag und die meisten Autos der Nachbarschaft standen entweder in Einfahrten oder offenstehenden Garagen. Sie erreichten Plainsview um 15.10 Uhr und parkten dort, wo sie sich zuvor mit Sheriff Burke getroffen hatten. Es war ein sonniger Märznachmittag, nicht wirklich kalt, aber auch nicht warm. Trotzdem erwartete Mackenzie nicht, Probleme damit zu haben, Anwohner zu finden, mit denen sie sprechen konnten.

„Du übernimmst die rechte Seite, ich die linke“, sagte Ellington, als sie aus dem Wagen ausstiegen.

Mackenzie nickte. Sie wusste, dass die meisten Partner sich dagegen entschieden, sich aufzuteilen. Doch sie und Ellington vertrauten einander auf einem Level, das dieses Vorgehen erlaubte. Dieses Vertrauen entstammte nicht nur ihrer starken Partnerschaft als Teamkollegen, sondern auch dem Verbundenheitsgefühl verheirateter Menschen. Sie trennten sich ohne Trara und begaben sich auf ihre jeweilige Straßenseite.

Das erste Haus auf Mackenzies Seite war ein Kinderspiel, da Mutter und Tochter sich im Vorgarten aufhielten. Die Tochter war vielleicht sechs Jahre alt und fuhr mit ihrem Dreirad den Gehweg hoch und runter. Die Mutter saß auf der Veranda und tippte auf ihrem Handy. Als Mackenzie näherkam, blickte sie auf und lächelte.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie. Ihr Ton ließ erkennen, dass sie überhaupt nicht helfen wollte, vor allem wenn Mackenzie vorhatte, etwas zu verkaufen.

Mackenzie entfernte sich ein paar Schritte von dem kleinen Mädchen, während sie ihre Marke herauszog und sich vorstellte. „Ich bin Agent Mackenzie White vom FBI. Mein Partner und ich befragen die Nachbarschaft, um Informationen bezüglich eines Unfalls mit Fahrerflucht vor zwei Tagen zu finden.“

„Ich habe der Polizei bereits gesagt, dass ich nichts gesehen habe“, sagte sie. „Man geht scheinbar davon aus, dass sich der Vorfall nach Mitternacht ereignet hat und meine Familie schläft bereits um 23 Uhr.“

„Wissen Sie, wer die Leiche gefunden hat?“

„Nicht sicher. Es sind einige Gerüchte im Umlauf und ich weiß nicht, welchem ich glauben soll. Nach einer Weile hört man einfach auf, zuzuhören, verstehen Sie?“

„Würden Sie einer der Gerüchtequellen zutrauen, die Wahrheit zu sagen?“

„Ich fürchte nicht.“

„Nun, dann danke, dass Sie sich Zeit genommen haben.“

Sie drehte sich um und winkte dem kleinen Mädchen zu, während sie auf das nächste Haus zuging. Sie klopfte drei Mal, erhielt aber keine Antwort. Beim dritten Haus war es dasselbe. Erst beim vierten Haus wurde die Tür sofort geöffnet, nachdem sie geklingelt hatte.

Mackenzie stand vor einer älteren Frau, vielleicht um die sechzig Jahren alt. Sie hielt eine Flasche Reinigungsmittel und einen Staubwedel in der Hand. Rockmusik aus den 70ern spielte im Hintergrund; Peter Frampton, wenn Mackenzies doch ziemlich beeindruckendes Musikwissen sie nicht täuschte. Ihre Gedanken waren offensichtlich bei ihrer Putzarbeit, doch sie schenkte Mackenzie dennoch ein Lächeln.

„Es tut mir leid, dass ich störe“, sagte Mackenzie. „Ich bin Agent White vom FBI.“ Sie zog ihre Marke heraus und die Frau starrte Mackenzie an, als hätte sie gerade einen Zaubertrick aufgeführt. „Ich befrage die Nachbarschaft, um Informationen zum Unfall mit Fahrerflucht zu finden, der sich vor zwei Tagen auf dieser Straße ereignet hat.“

„Oh, natürlich“, sagte die Frau. Und sofort war ihre Putzarbeit vergessen. „Haben Sie den Verantwortlichen denn schon gefunden?“

„Noch nicht. Deshalb sind wir hier, um Hinweise zu finden. Haben Sie in jener Nacht etwas gesehen oder gehört?“

„Nein. Ich denke nicht, dass überhaupt jemand etwas mitbekommen hat. Und das ist ja das Erschreckende an der Sache.“

„Weshalb?“

„Nun, wir befinden uns hier in einer sehr friedlichen Nachbarschaft. Aber gleichzeitig sind wir auch mitten im Nirgendwo. Ja, Salt Lake City ist weniger als dreißig Kilometer von hier entfernt, aber wir fühlen uns hier dennoch nicht wie in einer Großstadt.“

„Welche Gerüchte sind im Umlauf?“, fragte Mackenzie.

„Ich habe nichts gehört. Die Sache ist zu dunkel, um darüber zu sprechen.“ Sie ging einen Schritt weiter auf Mackenzie zu, um mit verschwörerischer Stimme sprechen zu können. „Ich habe das Gefühl, diese Nachbarschaft glaubt, dass die ganze Sache sich in Luft auflöst, wenn wir einfach nicht darüber sprechen. Dass jeder es einfach wieder vergessen wird.“

Mackenzie nickte. Sie hatte bereits mehrere Fälle in Städten wie dieser bearbeitet. Doch sie wusste auch, dass der Klatsch und Trasch in genau diesen kleinen Nachbarschaften seine Wurzeln hatte und weit reichen konnte.

Aber als sie ihre Tour durch die Straße fortsetzte, war sie sich nicht sicher, ob das auch für Plainsview zutreffen würde. Die Bewohner begegneten ihr mit zwei verschiedenen Einstellungen: Es gab die, die sich vom Besuch des FBI irritiert fühlten, weil sie bereits mit der Polizei gesprochen hatten. Und die, die sich um die Sicherheit in ihrer Nachbarschaft fürchteten, nachdem nun auch das FBI involviert war.

Das achte Haus, das sie erreichte, wirkte ziemlich unscheinbar. In den Beeten blühten keine Blumen und der Mulch hatte sich schon lange verfärbt. Obwohl auf der Veranda Möbel standen, befanden sich diese in einem verfallenen Zustand. Einer der Stühle hing voller Spinnenweben. Das Gebäude war lediglich zwei Häuser von der Kreuzung entfernt und obwohl es nicht herausstach, vermutete Mackenzie, dass sich die älteren Hausbesitzer der Nachbarschaft möglicherweise daran störten.

Sie klopfte an der Tür und hörte leise Schritte im Inneren. Weitere zehn Sekunden vergingen, bevor jemand erschien. Und auch dann wurde die Tür nur einen Spalt weit geöffnet. Eine junge Frau schielte heraus; ihre dunklen Augen betrachteten Mackenzie prüfend. Vermutlich handelte es sich um eine argwöhnische Frau.

„Ja?“, fragte die junge Frau.

Mackenzie zeigte ihre Marke und ihren Ausweis und nahm sofort eine seltsame Spannung wahr. Alle anderen Nachbarn hatten die Türen weit geöffnet, doch diese Frau wirkte, als wolle sie die Tür als Schutzschild benutzen. Vielleicht war sie eine der Anwohnerinnen, die sich dafür entschieden hatten, mit absoluter Angst auf den Mord zu reagieren.

„Ich bin Agent White vom FBI. Ich hatte gehofft, Ihnen ein paar Fragen zu dem Unfall mit Fahrerflucht vor zwei Tagen stellen zu können.

„Mir?“, fragte die Frau verwirrt.

„Nein, nicht nur Ihnen. Mein Partner und ich gehen von Tür zu Tür, um mit allen Anwohnern zu sprechen. Verzeihen Sie mir die Frage, aber Sie sehen noch sehr jung aus. Sind Ihre Eltern zuhause?“ Ein kurzes, irritiertes Flackern erschien im Gesicht der Frau. „Ich bin zwanzig Jahre alt“, sagte sie. „Ich wohne mit zwei Mitbewohnern zusammen.“

„Oh, das tut mir leid. Also … ist Ihnen in jener Nacht etwas Interessantes aufgefallen?“

„Nein. Ich meine, ich habe gehört, dass sich der Vorfall sehr spät ereignet hat. Normalerweise schlafe ich bereit gegen 22 oder 23 Uhr.“

„Und Sie haben nichts gehört?“

„Nein.“

Die Frau öffnete die Tür noch immer nicht weiter. Sie sprach außerdem ziemlich schnell. Mackenzie glaube nicht, dass die Frau etwas versteckte, aber sie verhielt sich auf eine Art und Weise, die Mackenzie aufmerksam machte.

„Wie heißen Sie?“, fragte sie.

„Amy Campbell.“

„Amy, sind Ihre Mitbewohner zuhause?“

„Eine, ja. Die andere ist unterwegs und macht Besorgungen.“

„Wissen Sie, ob sie in der Nacht des Vorfalls etwas gesehen oder gehört haben?“

„Nein, haben sie nicht. Wir haben darüber gesprochen, um etwas herauszufinden. Aber wir haben in der Nacht alle bereits um halb elf geschlafen.“

Mackenzie wollte gerade darum bitten, eintreten zu dürfen, entschied sich aber dagegen. Amy schien die Situation offensichtlich nicht zu behagen und es machte keinen Sinn, ihre Angst zu verschlimmern. Der Moment der Anspannung zwischen ihnen verging und Mackenzie sah, dass sich hinter Amy etwas bewegte. Eine weitere Frau ging den Flur entlang und bog dann links in ein Zimmer ab. Sie schien etwa in Amys Alter zu sein und hatte ein kantiges Gesicht. Ihre Haare, die braun zu sein schienen, waren lose zusammengebunden. Mackenzie hielt sich davon ab, nach ihr zu fragen, um Amy nicht zu verlieren.

„Woher wussten Sie von dem Mord?“, fragte Mackenzie.

„Von der Polizei. Die kam an jenem Morgen vorbei und hat genau dieselben Fragen gestellt.“

„Und Sie haben ihnen dieselben Antworten gegeben?“

„Ja. Wirklich. Ich habe nichts gesehen, nichts gehört. Ich wünschte, helfen zu können, denn es ist wirklich furchtbar … aber ich habe geschlafen.“

In diesem Kommentar nahm Mackenzie Emotionen wahr. Amy war entweder traurig oder verzweifelt – was Sinn machte, schließlich war auf dieser Straße vor zwei Nächten etwas Schreckliches geschehen. Trotzdem verhielt sie sich seltsamer als die anderen Nachbarn, mit denen Mackenzie gesprochen hatte. Sie griff in ihre Jackentasche und zog eine Visitenkarte heraus. Als sie sie Amy überreichte, nahm die junge Frau sie geschwind entgegen.

„Rufen Sie mich an, wenn Ihnen oder Ihren Mitbewohnerinnen etwas einfällt – oder wenn Sie mitbekommen, dass Ihre Nachbarn etwas erwähnen. Können Sie das tun?“

„Ja. Viel Glück, Agent.“

Amy Campbell schloss schnell die Tür und ließ Mackenzie alleine auf der schmutzigen Veranda zurück. Langsam ging sie die Stufen herunter und dachte nach.

Eine Zwanzigjährige mietet ein Haus in einer Nachbarschaft wie dieser … das ist irgendwie seltsam. Aber wenn sie Mitbewohner hat, besteht die Möglichkeit, dass sie alle an einer Universität in Salt Lake City studieren. Vielleicht ist es hier billiger und schöner als in den Wohnheimen auf dem Campus.

Während die ganze Situation ihr noch immer merkwürdig vorkam, musste sie sich daran erinnern, dass in dieser Straße ein grausamer Mord verübt worden war. Jeder ging anders damit um – vor allem Mädchen im College-Alter, die wussten, dass das Opfer in ihrem Alter gewesen war.

Mackenzie dachte darüber nach, während sie zurück auf die Straße ging. Dabei fielen ihr auf der Betonplatte, die Amy Campbells Einfahrt darstellte, zwei Autos auf. Beide waren ziemlich alt, bei einem schien es sich um einen 2005 Pontiac zu handeln, der so aussah, als würde er beim nächsten Kontakt mit einem Schlagloch auseinanderfallen.

Bevor sie weiterlief, nahm Mackenzie ihr Handy aus der Tasche. Sie notierte sich Amys Namen und ihre Adresse. Es war nur eine Ahnung, aber nur allzu oft zahlten sich Mackenzies Ahnungen am Ende aus.

Sie steckte ihr Handy zurück in die Jackentasche und ging weiter die Straße entlang, um an weiteren Türen zu klopfen.




KAPITEL ACHT


Acht Minuten und drei Häuser später wurde Mackenzies Tour durch die Trabantenstadt Plainsview von einem Anruf unterbrochen. Sheriff Burke am anderen Ende hatte am Telefon eine noch rauere Stimme. Es war eine dieser emotionslosen Stimmen, die es so gut wie unmöglich machten, die Laune des Gesprächspartners einzuschätzen.

„Ich habe gerade einen Anruf vom Forensik-Labor erhalten. Eine Art versteckter Signatur wurde unter dem UV-Licht nicht gefunden. Dafür aber ein halber Daumenabdruck, der nicht dem Mädchen gehört.“

„Irgendwelche Ergebnisse?“

„Ja, ich habe den Abdruck gerade durchs System laufen lassen. Er gehört einem Typen namens Todd Thompson. Ein Kollege durchleuchtet ihn gerade.“

„Also keine Signatur … es besteht also immer noch die Möglichkeit, dass der Führerschein legal hergestellt wurde.“

„Das macht noch immer keinen Sinn. Der Name auf dem Dokument passt nicht zu unseren Akten. Genau wie ihre Fingerabdrücke. Wenn das Bild auf dem Führerschein nicht fast exakt wie sie aussehen, hätte ich getippt, dass sie ihn irgendwo gestohlen hat.“

„Vielleicht könnten wir nach Einträgen von Frauen suchen, die innerhalb des letzten Monats einen Verlust ihrer Handtaschen oder Führerscheine gemeldet haben.“

„Das haben wir bereits am ersten Tag gemacht. Wir sind einigen Meldungen hinterher, aber es kam nichts dabei raus. Wir haben außerdem versucht … Moment, meine Kollegin hat Ergebnisse bezüglich Todd Thompson. Ich werde Sie auf laut stellen, Agent White.“

Etwas raschelte und klickte, dann ertönte eine zweite Stimme. Es handelte sich dabei um eine Frau, die genauso ernst wie Burke klang, dabei aber mehr Gefühle zeigte. Sie wirkte aufgeregt; vermutlich, weil sie vermutete, dass ihre Entdeckungen den Fall aufklären würden.

„Eine einfache Suche der Aufzeichnungen zeigt, dass Todd Thompson aus Salt Lake City stammt. Er ist dreiundfünfzig Jahre alt und – halten Sie sich fest – arbeitet bei der Kraftfahrzeugbehörde.“

Die Kfz-Behörde warf ein neues Licht auf die bizarre Führerscheingeschichte. Mackenzie konnte fast hören, wie die Zahnräder in ihrem Kopf einrasteten.

„Haben Sie eine Adresse?“

„Ja. Ich kann den Bericht einscannen und Ihnen schicken, sobald wir aufgelegt haben.“

„Perfekt.“

Sie beendeten den Anruf und Mackenzie blickte in die Richtung, aus der sie gekommen war. Die Stelle, wo sich der Vorfall ereignet hatte, war nun außer Sichtweite und Teil eines anderen Häuserblocks. Sie sah über die Straße und erkannte Ellington, der bereits ein Haus Vorsprung hatte. Er sprach gerade durch geöffnete Tür mit einem älteren Herrn. Sie war sich sicher, dass er mehr als glücklich wäre, die Befragung abzuschließen.

Sie eilte über die Straße, um ihn auf den neuesten Stand zu bringen, während eine kühle Nachmittagsbrise durch die Nachbarschaft wehte.


***

Dem Bericht zufolge, den Burke und seine Kollegin ihr geschickt hatten, waren in Todd Thompsons Akte ein paar Kleinigkeiten vermerkt worden. Zwei unbezahlte Parktickets (was Mackenzie, aufgrund seines Berufs, schon fast ein bisschen lustig fand) und eine Anklage wegen Beihilfe zu Einbruch von vor fast dreißig Jahren. Ansonsten schien Todd Thompsons sauber zu sein. Außer der Tatsache eben, dass sich sein Daumenabdruck auf dem möglicherweise gefälschten Führerscheindokument einer Frau ohne Identität zu befinden schien.

Mackenzie brachte Ellington auf den neuesten Stand, während sie zurück in die Stadt fuhren. Außerdem berichtete sie ihm von ihrer seltsamen Begegnung mit Amy Campbell. Wie sich herausstellte, war es der interessanteste Besuch aller neunzehn Anwohner gewesen. Ellington stimmte ihr zu, dass Amys Laune schlichtweg die Reaktion auf den Mord einer Frau ihres Alters nur wenige hundert Meter von ihrem Haus sein könnte.

Als sie die Stadt erreichten und zum Wohnsitz Todd Thompsons fuhren, hatte beide das Gefühl, mit diesem Besuch Licht ins Dunkle ihres Falles bringen zu können. Mackenzie sprach es nicht aus, aber sie wollte so schnell wie möglich zurück nach Hause. Der Anruf ihrer Mutter hatte sie mehr beunruhigt, als sie zugeben wollte und plötzlich fühlte sie sich albern, zu glauben, ihre Mutter könnte auf ihr Kind aufpassen, ohne selbst im Mittelpunkt stehen zu wollen.

Es wurde gerade dunkel, als Ellington vor Thompsons Apartmentgebäude parkte. Er lebte in einer der schöneren Gegenden der Stadt und das Wohngebäude befand sich am Ende einer Straße. Es überblickte einen kleinen Park sowie einen Marktplatz, wo am Wochenende Bauern- oder Kunsthandwerksmärkte veranstaltet wurden. Als sie das Gebäude betraten, packten einige Verkäufer gerade ihre Produkte ein.

Mackenzie klopfte an der Tür der Wohnung im zweiten Stock und fragte sich, an wie viele Türen sie heute schon geklopft hatte. Elf? Zwölf? Sie war sich nicht sicher.

„Einen Moment“, rief die heitere Stimme eines Mannes von der anderen Seite. Als die Tür schließlich geöffnet wurde, begrüßte sie nicht nur ein afroamerikanischer Mann mittleren Alters, sondern auch der Geruch von thailändischem Essen.

„Sind Sie Mr. Todd Thompson?”, fragte Ellington.

„Das bin ich“, sagte er. Er wirkte zuerst verwirrt, aber als er sah, wie beide Agenten nach ihren Dienstmarken griffen, schien er zu verstehen. Als Mackenzie seinen Gesichtsausdruck sah, begriff sie, dass Mr. Thompson schon seit einer Weile mit ihrem Besuch gerechnet haben musste.

„Wir sind vom FBI“, sagte Mackenzie. „Wir untersuchen den Mord einer jungen Frau, der sich etwa dreißig Kilometer entfernt von hier ereignet hat. Da wir Ihren Fingerabdruck auf dem Führschein der Dame gefunden haben, würden wir es zu schätzen wissen, wenn Sie uns reinlassen würden.“

Thompson nickte, machte einen Schritt zur Seite und ließ sie hinein. Mackenzie war sich nun noch sicherer, dass er mit ihrem Erscheinen gerechnet hatte. Seltsamerweise schien er aber keine Angst zu haben. Das bewies er noch deutlicher, als er die Tür hinter ihnen schloss und sich sofort an den kleinen Tisch in der Küche zu seinem thailändischen Take-Out setzte.

„Verzeihen Sie meine Anmerkung“, meinte Mackenzie, „aber es scheint Sie nicht aufzuregen, Besuch vom FBI zu empfangen.“

„Vor allem, da Beweise vorliegen, dass Sie den Führerschein einer jetzt toten Frau in den Händen gehabt haben“, fügte Ellington hinzu.

„Wann wurde sie getötet?“, fragte Thompson. Er klang traurig und sein Blick schweifte in die Ferne, als er begann, zu essen.

„Sie wissen wirklich nicht, von wem wir sprechen?“

„Nein. Aber ich weiß von den Führerscheinen.“

„Plural?“, fragte Mackenzie.

Thompson nahm einen weiteren Bissen, ließ dann die Plastikgabel ins Essen fallen und schob den Teller von sich. Er seufzte tief, während er die Agenten mit traurigen Augen ansah. „Ja“, sagte er. „Es sind vermutlich einige davon im Umlauf.“

„Sie ergeben keinen Sinn, Mr. Thompson“, sagte Mackenzie. „Warum erzählen Sie uns nicht, wie Ihr Daumenabdruck auf dem gefälschten Führerschein einer toten Frau gelandet ist?“

„Weil ich ihn gemacht habe. Obwohl ich ein Puder verwendet habe, dass Fingerabdrücke verhindern soll. Haben Sie UV-Licht verwendet?“

„Das haben wir.“

„Verdammt. Nun, naja … ich habe den Führerschein hergestellt.“

„Bei der Kfz-Behörde, nehme ich an?“, fragte Mackenzie.

„Ja.“

„Hat die junge Frau Sie dafür bezahlt? Der Name auf dem Führerschein war Marjorie Hikkum.“

„Nein. Es ist immer dieselbe Frau, die mich bezahlt.“

Der lässige Erzählton Thompsons begann, Mackenzie zu irritieren. Ellingtons angespannter Kiefer verriet ihr, dass auch er ärgerlich wurde.

„Mr. Thompson, bitte erklären Sie uns, wovon zum Teufel Sie sprechen.“

„Ich machte das jetzt seit etwa drei Jahren. Die Frau kommt, gibt vor, ein Problem zu haben und schiebt mir etwas Geld zu. Fünfhundert Dollar pro Führerschein. Eine Woche später gebe ich ihr, was sie bestellt hat.“

„Sie verstehen, wie unglaublich illegal das ist, nicht wahr?“, fragte Ellington.

„Das tue ich. Aber diese Frau … sie versucht, etwas Gutes zu tun. Sie besorgt diese Identitäten, weil sie den Mädchen helfen möchte.“

„Welchen Mädchen?“, fragte Ellington und bellte dabei fast.

Thompson sah sie verwirrt an. Er brauchte einen Moment, um zu verstehen, was vor sich ging. Dann sah er sie entschuldigend an. „Verdammt. Tut mir leid. Sie haben nach den Ausweisen und einer toten Frau gefragt, da nahm ich an, dass Sie bereits Bescheid wissen. Die Dokumente, die ich herstelle, sind für die Frauen, die es schaffen, der verrückten Farm auf der anderen Seite von Fellsburg zu entkommen.“

„Welche verrückte Farm?“, fragte Mackenzie.

Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft wirkte Thompson nun ehrlich besorgt. Er verzog das Gesicht und schüttelte leicht den Kopf. „Ich habe kein gutes Gefühl dabei, darüber zu sprechen. Zu viel Macht dort, wissen Sie?“

„Nein, tun wir nicht.“ Aber sie erinnerte sich an McGraths Anmerkung einer Art religiösen Gemeinschaft in der Gegend, was auch der Grund für die Abneigung der Kollegen vor Ort gewesen war, sich dem Fall anzunehmen.

„Nun, Mr. Thompson, ich mache das nicht gerne“, meinte Ellington, „aber Sie haben bereits gestanden, Ausweise gefälscht zu haben. Wir könnten Sie dafür verhaften und sichergehen, dass Sie mindestens sechs Monate im Bundesgefängnis verbringen. Je nachdem, an wen Sie verkauft haben, könnte es noch schlimmer enden. Aber wenn Sie uns erzählen, wer diese Frauen sind, die Ausweise brauchen und uns in dem Fall unterstützen, könnten wir ein Auge zudrücken. Wir würden allerdings darauf bestehen, dass Sie damit aufhören, in einer Regierungseinrichtung wie der Kfz-Behörde Dokumente zu fälschen, aber das wäre auch alles.“

Thompson wirkte peinlich berührt, überhaupt in die Falle gegangen zu sein. Sein verzagter Gesichtsausdruck verwandelte sich in ein geschlagenes Grinsen. „Besteht die Möglichkeit, meinen Namen außen vor zu lassen?“

„Solange es die Umstände nicht diktieren, sehe ich keinen Grund, ihn zu erwähnen“, meinte Mackenzie. „Haben Sie Angst, jemand könnte Rache üben wollen?“

„Bei diesen Leuten weiß man nie.“ Als er sah, dass die Agenten noch immer keine klare Vorstellung davon hatten, wovon er redete, seufzte er und fuhr fort. „Diese Frau kommt und kauft Ausweise. Sie besorgt sie für Frauen, die versuchen, die Gemeinschaft zu verlassen. Mithilfe der Identitäten kommen sie wieder auf die Beine und sind in der Lage, mit ein paar wenigen Besitztümern ein neues Leben zu beginnen. Ein normales Leben.“

„Was ist die Gemeinschaft?“, fragte Ellington.

„Eine religiöse Kommune etwa fünfundzwanzig Kilometer von Fellsburg entfernt, also etwa vierzig Minuten von hier. Viele Leute wissen davon, aber kaum einer redet darüber. Und wenn, dann als Gruselgeschichte beim Lagerfeuer oder auch in Form von Witzen.“

„Irgendeine Idee, warum die Frauen, die sich dieser Gemeinschaft anschließen, fliehen müssen?“

Thompson zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht mit Sicherheit. Und das ist die Wahrheit. Wirklich, ich weiß nicht mehr über den Ort als jeder andere hier auch. Ich stelle lediglich Ausweise her und verkaufe sie.“

„Sie wissen nichts darüber, was dort praktiziert wird?“

„Den Gerüchten zufolge ist es eine Art Polygamisten-Kult. Einige der Männer haben scheinbar drei oder vier Frauen. Sie sollen sehr religiös sein – aber eher Richtung Altes Testament.“

„Und was ist mit dieser Frau, die die Ausweise kauft? Was wissen Sie über sie?“

„Nicht allzu viel. Als sie sich an mich wandte und fragte, ob ich an einer Nebeneinkunft interessiert wäre, war eine ihrer Regeln, keine Fragen zu stellen. Ich habe es für Unsinn gehalten, aber dann hat sie fünfhundert Dollar über den Tisch geschoben. Und sehen Sie … ich bin fast sechzig und habe immer noch Schulden. Ich kann diese Art von Geld einfach nicht liegenlassen.“

„Sie wissen nicht einmal ihren Namen?“, fragte Ellington.

„Nein, tut mir leid.“

„Können Sie sie beschrieben?“

„Eher jünger. Zwischen fünfundzwanzig und dreißig, wenn ich schätzen müsste. Attraktiv. Braunhaarig, trägt eine Lesebrille.“

„Fällt Ihnen noch etwas anderes ein?“, fragte Mackenzie. „Irgendetwas?“

„Ich habe einmal ihren Wagen gesehen. Sie war nur drei Mal bei mir. Beim zweiten Mal bin ich einige Sekunden nach ihr aus dem Eingangsbereich geeilt. Ich habe ihr durch die Glasscheibe hinterhergesehen. Sie ist eilig über den Parkplatz gelaufen und in ihren Wagen gestiegen. Einen alten, roten Sedan, glaube ich.“

„Plant sie ihre Meetings mit Ihnen?“, fragte Ellington.

„Nope.“

Sie redeten weiter, doch Mackenzie hörte nur noch Bruchstücke. Sie dachte noch immer über etwas nach, das Thompson erwähnt hatte. Einen alten, roten Sedan, glaube ich.

In Amy Campbells Einfahrt war ein älterer, roter Wagen gestanden. Ein Pontiac. Eigentlich würde Mackenzie das nichts weiter als einen Zufall nennen. Aber Amy hatte sich seltsam verhalten – verängstigt und argwöhnisch. Sicherlich würde es sich lohnen, ihr einen weiteren Besuch abzustatten.

„Mr. Thompson, vielen Dank für Ihre Zeit“, sagte Mackenzie. „Wir werden wegen den falschen Führerscheinen ein Auge zudrücken, aber Sie müssen aufhören, sie herzustellen.“

„Sie haben gesagt, dass ein Mädchen tot ist, oder? Und sie trug einen meiner Ausweise bei sich?“

„So scheint es zu sein.“

„Dann bin ich fertig. Kein Geld in der Welt bringt mich dazu, mit so etwas zu tun haben zu wollen.“

Mackenzie und Ellington gingen Richtung Tür. Ellington gab Thompson eine seiner Visitenkarten mit der Anweisung, sie zu kontaktieren, sollte die Frau mit ihm in Kontakt treten. Er blieb leicht verärgert zurück – vermutlich grübelte er über die Tatsache nach, dass die tote Frau lediglich einen seiner falschen Ausweise bei sich getragen hatte.

„Was ist dir eingefallen?“, fragte Ellington, als sie zurück zum Wagen eilten. „Du hast die Unterhaltung ziemlich schnell beendet. Außerdem hattest du diesen Blick im Gesicht.“

„Welchen Blick?“

„Den, den du jetzt gerade auch hast – wie ein Kind, das ein weiteres Geschenk unter dem Weihnachtsbaum entdeckt hat.“

„Seine Beschreibung des Wagens. Ein älterer, roter Sedan. Eines der Häuser, das ich besucht habe, hatte ein solches Auto in der Einfahrt stehen. Amy Campbell. Sie war nervös, argwöhnisch und hat nicht einmal die Andeutung gemacht, mich ins Haus lassen zu wollen.“

„Sieht so aus, als hätten wir unsere erste Spur.“

„Vielleicht“, meinte Mackenzie.

Es fühlte sich richtig an. Aber die Art des Falles und Amys Verhalten verrieten ihr, dass sie vermutlich noch ein paar zusätzliche Vorkehrungen treffen mussten, um sicherzugehen, dass es sich nicht nur um einen Zufall handelte. Sie hasste es, so Zeit zu verschwenden, andererseits durfte sie nicht vergessen, dass die Chance bestand, dass auch diese Gemeinschaft involviert war.

Sie selbst hatte noch nie damit zu tun gehabt, doch sie hatte Fallstudien und Berichte gelesen, in denen religiöse Gruppen Fälle zu tickenden Zeitbomben machen konnten. Und wenn sie das vermeiden konnte, war Mackenzie mehr als gewillt, ein paar zusätzliche, zeitintensive Schritte zu gehen.




KAPITEL NEUN


Sie fuhren zurück auf die Polizeiwache Fellsburgs, wo im Großraumbüro gerade Schichtwechsel war. Es war fast zwanzig Uhr an einem Samstagabend – eine geschäftige Zeit für jedes Polizeirevier, egal wo. Burke war nirgendwo aufzufinden, also begaben sie sich zu ihrem Arbeitsplatz im hinteren Teil des Gebäudes. Es war verlockend, einfach ein Motel zu suchen und dort weiter zu arbeiten, aber beide wussten, besseren Zugang zu Akten und Informationen zu haben, solange sie im Revier waren.

Zuerst durchsuchten sie die Polizeidatenbank nach Informationen bezüglich Amy Campbell. Ihre Akte war sauber; nicht einmal ein Strafzettel war zu finden. Da sie sich von der Datenbank keine weitere Unterstützung versprachen, rief Ellington im Büro in DC an, um Amy Campbell aus Fellsburg, Utah gründlich durchleuchten zu lassen.

Anschließend richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf die mysteriöse, religiöse Kommune, die als Gemeinschaft bekannt war. Es war nicht schwer, Informationen zu finden – eine einfache Googlesuche reichte aus. Das einzige Problem war, dass die vielen Treffer sich ständig wiederholten. Sie erfuhren lediglich, dass es sich um eine religiöse Gemeinschaft in den Wäldern zwischen Fellsburg und der Kleinstadt Hoyt handelte.

Man ging davon aus, dass zwischen 1200 und 1500 Menschen dort lebten. Sie besetzten ein kleines Stück Land in den Wäldern, das aus kleinen, hüttenartigen Gebäuden und Fußwegen bestand, welche die Häuser mit der Kirche und anderen Gemeinschaftsgebäuden verbanden.

„Sieh dir das an“, sagte Ellington und klopfte auf seinen Laptop.

Er hatte die Polizeidatenbank befragt und zwei Fotos gefunden. Bei einem handelte es sich um eine Luftaufnahme, die aus einem tieffliegenden Flugzeug fotografiert worden war. Das gesamte Gelände der Gemeinschaft war darauf sichtbar. Es erinnerte Mackenzie an amische oder mennonitische Gruppen. Einige Maisfelder befanden sich auf der rechten Seite des Gebiets, links war eine Weide, die vermutlich von Ziegen bewohnt wurde. Allerdings war das aus der Entfernung schwer zu erkennen.

Das zweite Bild war schwarz-weiß und ziemlich verschwommen. Es war offensichtlich aus einem Versteck am Waldboden aufgenommen worden. Das Bild zeigte zwei Gebäude, von denen Mackenzie annahm, dass es Wohnhäuser waren. Außerdem waren vier Personen sichtbar – zwei Kinder und zwei Frauen. Die Frauen trugen einfache Kleider, ihr Haar war zu zusammengebunden.

Mackenzie suchte nach weiteren Informationen zu dem Gebiet, fand aber nicht viel. Die Gemeinschaft existierte seit den späten 1970ern und hielt sich bedeckt. Bis auf ein paar Schlagzeilen in örtlichen Zeitungen hatten sie nie auf sich aufmerksam gemacht. Außer ihren eher übereifrigen, religiösen Ansichten schien es sich um eine gewöhnliche, religiöse Gruppe zu handeln, die sich von der Außenwelt isolierte. Die Tatsache, dass Polygamie praktiziert wurde, warf einen Schatten auf die Gemeinschaft. Doch dies war für Mackenzie kein Grund zur automatischen Annahme, die Gruppe untersuchen zu müssen. Fähigere und erfahrenere Agenten waren bereits in diese Falle getappt.

Während sie nach weiteren Informationen suchte, vibrierte ihr Handy auf dem Tisch neben ihr. Sie erkannte die Vorwahl DCs, aber nicht die Nummer. „Agent White“, antwortete sie.

„Agent White, hier spricht Assistant Chief Manning vom Büro der Marshals. Wir haben das Foto untersucht und durchs System laufen lassen. Die linke Gesichtsseite war relativ klar zu erkennen gewesen. Allerdings hat die Datenbank des Zeugenschutzprogramms nichts ausgespuckt. Es besteht eine neunundneunzigprozentige Chance, dass die Frau nicht im Zeugenschutz war.“

Die Enttäuschung war groß, aber verging schnell. Sie war sich ohnehin nicht wirklich sicher gewesen, auf der richtigen Spur zu sein. Aber wenn sich ihre Idee als korrekt herausgestellt hätte, wäre der Fall um einiges einfacher gewesen.

„Trotzdem danke“, sagte Mackenzie und legte auf. Sie wandte sich Ellington zu und sagte: „Unsere mysteriöse Frau war nicht im Zeugenschutzprogramm.“

„Das macht die Sache ein bisschen komplizierter.“

Mackenzie nickte und schloss ihren Laptop. Sie hatte etwa fünfundzwanzig Artikel über die Gemeinschaft gelesen und die Informationen begannen, sich zu wiederholen. Sie sah zu Ellington und sagte: „Hat es im Zusammenhang mit der Gemeinschaft keine einzige Verhaftung oder Störung der öffentlichen Ordnung gegeben?“

„Zumindest steht in der Datenbank der letzten zwanzig Jahre nichts davon.“

„Ich frage mich, ob Burke Geschichten oder Gerückte kennt.“

Bevor sie ihre Unterhaltung fortsetzen konnten, vibrierte ihr Handy erneut. Dieses Mal allerdings kürzer – eine Nachricht und kein Anruf. Sie nahm es in die Hand und rauchte sofort, als sie sah, dass es sich beim Absender um ihre Mutter handelte.

War mir nicht sicher, ob es schon zu spät für euch ist, stand in der Nachricht. Kannst du anrufen?

„E … ich werde meine Mutter umbringen.“

„Wenn jemand fragt – ich habe versucht, es dir auszureden. Aber … wann?“

Sie verdrehte die Augen, um ihn wissen zu lassen, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, um Witze zu machen. Fast entschied sie, die Nachricht zu ignorieren, schließlich hatte sie schon genug, um das sie sich Sorgen machen musste. Aber sie wusste, dass ihre Mutter ihr so lange schreiben würde, bis Mackenzie schließlich nachgab. Außerdem bestand die geringe Chance, dass sie eine legitime Frage zu Kevins Bedürfnissen hatte.

Sie rief ihre Mutter an und drückte ihren Stuhl vom Schreibtisch weg. Selbst der geringe Abstand zwischen Arbeit und Zuhause half ihr dabei, in ihre Mutterrolle zu schlüpfen.

Sie war nicht überrascht, dass Patricia White sofort abnahm. Ihre Stimme klang gedämpft. Mackenzie malte sich aus, wie sie sich in Ellingtons Arbeitszimmer oder das Gästezimmer verkrochen hatte, damit Frances sie nicht hören konnte.

„Danke, dass du anrufst“, sagte Patricia.

„Ist mit Kevin alles in Ordnung?“

„Ja.“

„Ist die Wohnung intakt?“

„Na … natürlich. Mackenzie …“

„Was ist es dann, Mom?“

Am anderen Ende der Leitung blieb es kurz still, dann wurde das Schweigen vom verletzten Ton ihrer Mutter gebrochen. „Ich verstehe es einfach nicht. Wir hatten gestern einen so schönen Nachmittag. Wir haben uns gut verstanden, lecker gegessen und ich hatte das Gefühl, dass wir beide uns irgendwie wiedergefunden haben.“

„Das dachte ich auch. Aber es ist das zweite Mal, dass du mich anrufst, während ich arbeite. Und ich schwöre, wenn du wieder lediglich über Frances ablästern willst, dann …“

„Na, was soll ich denn machen? Sie untergräbt mich die ganze Zeit. Und es ist ja schon schlimm genug, dass Kevin sie bevorzugt …“

„Er bevorzugt sie, weil sie ihm vertraut ist. Mom, bist du sicher, dass sie dich untergräbt oder gibt sie dir lediglich ein paar Anhaltspunkte, wie man ein Kind zufriedenstellen kann, das sie besser kennt?“

„Vielleicht war das ein Fehler.“

„Was? Dein Enkelkind kennen zu lernen?“

„Teilweise. Aber nicht nur. Es ist einfach …“

Mackenzie hatte kein Mitleid mit ihrer Mutter. Überhaupt nicht. Aber sie wusste auch, dass es möglicherweise kein Zurück mehr geben würde, sollte ihre Mutter erneut an den dunkeln Ort der schlechten Entscheidungen zurückkehren, der ihr Leben seit einem Jahrzehnt kontrolliert hatte. Sie befand sich in einem Dilemma: Sollte sie ihrer Mutter sagen, was sie hören musste? Oder sollte sie sie befriedigen?

So sehr Mackenzie es auch verabscheute, nahm sie an, sie wohl befriedigen zu müssen.

„Mom. Ich werde dich um einen Gefallen bitten. Bitte bleibe und halte durch, bis wir zurück sind. Weißt du was? Tu es nicht für mich, sondern für Kevin. Willst du, dass er dich kennenlernt? Dann bleibe in seine Nähe. Gib ihm einen Grund, sich an dich zu erinnern.“

Ein nervöses Kichern ertönte am anderen Ende der Leitung. „Du hast recht“, sagte sie. „Es wäre dumm von mir, herzufliegen und wegen einer Kleinigkeit aufzugeben und ins Hotel zurückzukehren.“

„Das hast du gesagt, nicht ich.“

„Tut mir leid, dass ich dich gestört habe.“

„Schon in Ordnung. Aber in Zukunft meldest du dich bitte nur noch, wenn etwas nicht stimmt.“

„Das werde ich. Gute Nacht, Mackenzie.“

Sie legte auf und Mackenzie schluckte all die Emotionen herunter, die darum kämpften, an die Oberfläche zu gelangen. Da war Wut, Traurigkeit und Mitleid. Sie konnte sich für kein Gefühl entscheiden, also begnügte sich mit ruhiger Gleichmütigkeit.

„Schon eine von beiden tot?“, fragte Ellington.

„Nein, noch nicht.“ Sie blickte auf den Tisch, zu den Laptops und Polizeiakten – dann stand sie auf. „Sollen wir hier verschwinden?“





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Von Blake Pierce, dem #1 Bestseller Autor von VERSCHWUNDEN (einem #1 Bestseller mit über 1000 ausgezeichneten Bewertungen) erscheint nun das vierzehnte Buch der mitreißenden Mystery-Reihe um Mackenzie White.

VORHER SCHADET ER ist der vierzehnte Band der Mackenzie White Mystery Reihe, die mit dem Nummer-Eins-Bestseller BEVOR ER TÖTET (Buch #1) beginnt – einem kostenlosen Download mit über 600 Fünf-Sterne-Rezensionen.

Im ländlichen Utah werden mehrere Leichen gefunden – junge Frauen, die Mitglieder einer fundamentalistischen Polygamisten-Kommune gewesen sind. Kann Mackenzie White die dichten Reihen der Kommune durchdringen, um herauszufinden, wer für den Tod der Frauen verantwortlich ist? Und kann sie dem Täter auf die Spur kommen und ihn aufhalten, bevor es zu spät ist?

Ein dunkler Psychothriller mit mitreißender Spannung: VORHER SCHADET ER ist der vierzehnte Band der neuen, fesselnden Reihe mit einer Figur, die wir alle bereits liebgewonnen haben. Ein richtiger Schmöker eben, den Sie kaum aus der Hand legen wollen werden.

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