Книга - Festmahl der Drachen

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Festmahl der Drachen
Morgan Rice


Ring der Zauberei #3
FESTMAHL DER DRACHEN (Band 3 im Ring der Zauberei) entführt uns tiefer in Thors epische Reise auf dem Weg, ein Krieger zu werden, als er über die Feuersee reist, um die Insel der Nebel zu erreichen, die den Drachen gehört. An diesem gnadenlosen Ort, Heimat der höchsten Elite an Kriegern auf der Welt, werden Thors Kräfte und Fertigkeiten während seiner Ausbildung noch vertieft. Auch seine Freundschaften vertiefen sich, während sie zusammen Widrigkeiten trotzen, die weit über ihre Vorstellungskraft hinausgehen. Doch während sie sich unvorstellbaren Monstern gegenüber sehen, wandeln sich die Hundert schnell von einer Trainingsübung in eine Angelegenheit von Leben und Tod. Nicht alle werden überleben. Unterwegs werden Thors Träume, zusammen mit seinen rätselhaften Begegnungen mit Argon, ihn weiterhin plagen – ihn dazu drängen, mehr darüber zu erfahren, wer er ist; wer seine Mutter ist; und was die Quelle seiner Kräfte ist. Was ist sein Schicksal? Zuhause im Ring wird alles immer schlimmer. Während Kendrick eingekerkert wird, findet Gwendolyn sich damit betraut, ihn zu retten – den Ring zu retten, indem sie ihren Bruder Gareth stürtzt. Gemeinsam mit ihrem Bruder Godfrey jagt sie nach Hinweisen zum Mörder ihres Vaters, und unterwegs kommen sich die beiden viel näher, verbunden in ihrer Aufgabe. Doch Gwendolyn findet sich in tödlicher Gefahr wieder, als sie zu tief nachbohrt, und es kann sein, dass die Sache ihr über den Kopf wächst.







F E S T M A H L



D E R



D R A C H E N



(Band 3 im Ring der Zauberei)



Morgan Rice


Über Morgan Rice



Morgan schrieb auch die Nr. 1 Bestseller Fantasy-Serie DER RING DER ZAUBEREI, die bisher aus zehn Bänden besteht und teilweise auch auf Deutsch erschienen ist.

Morgan Rice schrieb die Nr. 1 Bestseller-Serie THE VAMPIRE JOURNALS, eine zehnteiligen Serie für Jugendliche, die bisher in sechs Sprachen übersetzt wurde und teilweise bereits auf Deutsch erhältlich ist.

Morgan Rice schrieb auch die Nr. 1 Bestseller ARENA ONE und ARENA TWO, den ersten beiden Titeln der post-apokalyptischen SURVIVAL Action-Thriller-Trilogie, die in der Zukunft angesiedelt ist.

Sämtliche Bücher von Morgan Rice werden demnächst in deutscher Sprache erhältlich sein.

Bitte besuchen Sie auch www.morganricebooks.com (http://www.morganricebooks.com). Morgan freut sich auf Ihren Besuch.


Ausgewählte Kommentare zu Morgan Rice



„Rice leistet gute Arbeit, den Leser von Beginn an in die Geschichte hineinzuziehen, mit wunderbaren Beschreibungen, die über das reine Zeichnen des Hintergrundes hinausgehen....schön geschrieben und extrem schnell zu lesen.“

--Black Lagoon Reviews (über Turned - Verwandelt)



„Eine ideale Geschichte für junge Leser. Morgan Rice leistet gute Arbeit, eine interessante Wendung herauszuarbeiten...erfrischend und ungewöhnlich, mit allen klassischen Elementen, die in vielen Serien paranormaler Geschichten für Jugendliche zu finden sind. Die Serie dreht sich um ein Mädchen...ein außergewöhnliches Mädchen!...Einfach zu lesen, doch extrem rasant...empfehlenswert für alle, die gerne paranormale Soft-Romanzen lesen. Bedingt jugendfrei.“

--The Romance Reviews (über Turned - Verwandelt)



„Packte meine Aufmerksamkeit von Anfang an und ließ nicht locker... diese Geschichte ist ein fantastisches Abenteuer, von Beginn an rasant und actionreich. Es ist kein langweiliger Moment zu finden.“

--Paranormal Romance Guild {über Turned- Verwandelt}



„Vollgepackt mit Action, Romantik, Abenteuer und Spannung. Lasst es euch nicht entgehen, und verliebt euch ganz von Neuem.“

--vampirebooksite.com (über Turned - Verwandelt)



„Eine tolle Geschichte, und vor allem die Art von Buch, die man nachts nicht weglegen kann. Das Ende war ein Cliffhanger, der so spektakulär war, dass man sofort das nächste Buch kaufen möchte, nur um herauszufinden, wie es weitergeht.“

--The Dallas Examiner {über Loved - Geliebt}



„Ein Buch, das TWILIGHT und VAMPIRE DIARIES Konkurrenz macht, und dazu führen wird, dass man bis zur letzten Seite nicht genug davon bekommt! Wer Abenteuer, Liebe und Vampire mag, liegt mit diesem Buch genau richtig!“

--Vampirebooksite.com (über Turned - Verwandelt)



„Morgan Rice erweist sich erneut als äußerst talentiert im Geschichtenerzählen...Dies wird eine große Bandbreite an Lesern ansprechen, darunter die jüngeren Fans des Vampir/Fantasy-Genres. Das Ende ist ein unerwarteter Cliffhanger, der Sie schockieren wird.“

--The Romance Reviews (über Loved - Geliebt)


Bücher von Morgan Rice



auf Deutsch erschienen

DER RING DER ZAUBEREI

QUESTE DER HELDEN (Band 1)

MARSCH DER KÖNIGE (Band 2)

FESTMAHL DER DRACHEN (Band 3)

schon bald auf Deutsch erhältlich

A CLASH OF HONOR - KAMPF DER EHRE (Band 4)

A VOW OF GLORY - SCHWUR DES RUHMS (Band 5)

A CHARGE OF VALOR - ANGRIFF DER TAPFERKEIT (Band 4)

A RITE OF SWORDS - RITUS DER SCHWERTER (Band 7)

A GRANT OF ARMS - GEWÄHR DER WAFFEN (Band 8)

A SKY OF SPELLS - HIMMEL DER ZAUBER (Band 9)

A SEA OF SHIELDS - MEER DER SCHILDE (Band 10)



schon bald auf Deutsch erhältlich

THE SURVIVAL TRILOGY

ARENA ONE: SLAVERUNNERS (Band 1)

ARENA TWO (Band 2)



auf Deutsch erschienen

THE VAMPIRE JOURNALS -

VERWANDELT (Band 1)

GELIEBT (Band 2)



schon bald auf Deutsch erhältlich

BETRAYED (Band 3)

DESTINED (Band 4)

DESIRED (Band 5)

BETROTHED (Band 6)

VOWED (Band 7)

FOUND (Band 8)

RESURRECTED (Band 9)

CRAVED (Band 10)











(http://www.amazon.com/Quest-Heroes-Book-Sorcerers-Ring/dp/B00F9VJRXG/ref=la_B004KYW5SW_1_13_title_0_main?s=books&ie=UTF8&qid=1379619328&sr=1-13)

Hören (http://www.amazon.com/Quest-Heroes-Book-Sorcerers-Ring/dp/B00F9VJRXG/ref=la_B004KYW5SW_1_13_title_0_main?s=books&ie=UTF8&qid=1379619328&sr=1-13) Sie sich die RING DER ZAUBEREI-Serie im Hörbuch-Format an!



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Audible (http://www.audible.com/pd/Sci-Fi-Fantasy/A-Quest-of-Heroes-Audiobook/B00F9DZV3Y/ref=sr_1_3?qid=1379619215&sr=1-3)

iTunes (https://itunes.apple.com/us/audiobook/quest-heroes-book-1-in-sorcerers/id710447409)


Copyright © 2013 Morgan Rice



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Diese Geschichte ist frei erfunden. Namen, Figuren, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder ein Produkt der Phantasie des Autors oder werden im fiktionalen Sinne verwendet. Jegliche Ähnlichkeit mit existierenden Personen, tot oder lebend, ist rein zufällig.


INHALT



KAPITEL EINS (#u4ac7834b-7186-5f41-8f0a-0ac6397cc7b6)

KAPITEL ZWEI (#ub00db656-709b-5368-bea9-ffd338fe0295)

KAPITEL DREI (#u4bb8b59e-c2a7-5552-96b0-cd77690c89eb)

KAPITEL VIER (#u9bc6cbad-b9eb-58a9-948c-2423b01085b3)

KAPITEL FÜNF (#ueec1e2ab-d6f7-554b-9c70-46de86cbc6d4)

KAPITEL SECHS (#u569cc20b-5204-57b8-9e1a-ffe980f61eef)

KAPITEL SIEBEN (#ue4ba0302-bc87-5a86-b0e9-1cf60c3da8b8)

KAPITEL ACHT (#ua1201521-7d97-55d3-90e3-a56fc7756b49)

KAPITEL NEUN (#ubc5ffa7e-a943-588b-8a40-64a3c35a0590)

KAPITEL ZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ELF (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWÖLF (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL FÜNFZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)


„Komm nicht dem Zorn des Drachens in die Quere.“

—William Shakespeare

König Lear




KAPITEL EINS


König McCloud ritt über den Abhang der Hochlande, an der Spitze des Sturmangriffs in die MacGil-Hälfte des Rings, mit hunderten Mann in seinem Gefolge; fest an sein Pferd geklammert galoppierte er den Berg hinunter. Er hob seine Peitsche und schnalzte sie dem Pferd kräftig aufs Leder: sein Pferd brauchte keinen Antrieb, aber es machte ihm Freude, es trotzdem zu peitschen. Er genoss es, Tieren Schmerz zuzufügen.

McCloud sabberte geradezu, als er den Anblick vor ihm betrachtete: ein idyllisches MacGil-Dorf, die Männer in den Feldern, unbewaffnet, die Frauen zuhause an den Wäscheleinen, kaum bekleidet in dieser Sommerhitze. Die Haustüren standen offen; Hühner liefen frei herum; Kessel brodelten bereits zum Abendessen. Er dachte an den Schaden, den er anrichten würde; die Beute, die er einholen würde; die Frauen, die er ruinieren würde—und sein Lächeln wurde breiter. Er konnte förmlich das Blut schmecken, das er gleich vergießen würde.

Sie stürmten und stürmten, die Pferde breiteten sich grollend wie Donner über die Landschaft, und endlich wurden sie entdeckt: die Dorfwache, ein armseliger Möchtegern-Soldat, ein junger Bursche mit einem Speer, stand auf, als er etwas näherkommen hörte, und drehte sich zu ihnen herum. McCloud konnte deutlich das Weiße in seinen Augen sehen, die Furcht und Panik in seinem Gesicht; an diesem verschlafenen Außenposten hatte dieser Junge wahrscheinlich noch nie in seinem Leben eine Schlacht gesehen. Er war jämmerlich unvorbereitet.

McCloud verlor keine Zeit: er wollte das erste Todesopfer einfordern, wie in jeder Schlacht. Seine Männer kannten ihn gut genug, um das ihm zu überlassen.

Er peitschte sein Pferd erneut, bis es aufschrie und schneller wurde, den anderen immer weiter voraus. Er hob den Speer seiner Vorfahren, ein schweres Teil aus Eisen, holte aus und schleuderte ihn.

Wie immer traf er in sein Ziel: der Junge hatte sich kaum ganz herumgedreht, als der Speer ihn im Rücken traf, direkt durch ihn hindurchfuhr und ihn mit einem Zischen an einen Baum heftete. Blut schoss aus seinem Rücken hervor, genug, um McCloud den Tag zu versüßen.

McCloud stieß einen kurzen Jubelschrei aus, während sie den Sturmangriff fortsetzten, quer über die erlesenen Ländereien der MacGils, durch die gelben Getreidehalme, die sich im Wind bogen und seinem Pferd bis an die Schenkel reichten, und auf das Dorftor zu. Es war ein fast zu schöner Tag, ein zu schönes Bild für die Zerstörung, die sie gleich anrichten würden.

Sie preschten durch das ungeschützte Tor in das Dorf, diesen Ort, der so dumm war, an den Ausläufern des Rings zu liegen, so nah an den Hochlanden. Sie hätten es besser wissen sollen, dachte McCloud verächtlich, während er seine Axt schwang und das Holzschild niederschnitt, das den Ort kennzeichnete. Er würde ihn schon bald umbenennen.

Seine Mannen fielen in den Ort ein und überall um ihn herum erhoben sich die Schreie von Frauen, Kindern, alten Männern; jedem, der an diesem gottverlassenen Ort gerade zu Hause anzutreffen war. Es waren wahrscheinlich einhundert gottverlassene Seelen, und McCloud war fest entschlossen, jede einzelne von ihnen bezahlen zu lassen. Er hob seine Axt hoch über den Kopf und nahm eine bestimmte Frau aufs Korn, die mit dem Rücken zu ihm um ihr Leben rannte, versuchte, die Sicherheit ihres Heims zu erreichen. Es sollte nicht sein.

McClouds Axt traf sie in der Wade, wie er es beabsichtigt hatte, und sie ging mit einem Schrei zu Boden. Er hatte sie nicht töten wollen: nur verstümmeln. Immerhin wollte er sie lebend, um sich später mit ihr zu vergnügen. Er hatte sie gut ausgewählt: eine Frau mit langem, ungezügeltem blondem Haar und schmalen Hüften, kaum über achtzehn. Sie würde ihm gehören. Und wenn er mit ihr fertig war, dann würde er sie vielleicht töten. Oder vielleicht auch nicht; vielleicht würde er sie als seine Sklavin behalten.

Er jauchzte vor Freude, während er auf sie zuritt und neben ihr vom laufenden Pferd sprang, auf ihr landete und sie zu Boden riss. Er rollte mit ihr durch den Staub, fühlte den Aufprall auf der Straße und lächelte, während er das Gefühl genoss, am Leben zu sein.

Endlich hatte sein Leben wieder einen Zweck.




KAPITEL ZWEI


Kendrick stand im Auge des Sturms: im Waffensaal, flankiert von Dutzenden seiner Brüder, allesamt abgehärtete Mitglieder der Silbernen, und blickte ruhig auf Darloc, den Kommandanten der königlichen Garde, die auf diese unglückselige Mission geschickt worden war. Was hatte sich Darloc dabei gedacht? Hatte er wirklich geglaubt, dass er in den Waffensaal spazieren und Kendrick, das beliebteste Mitglied der königlichen Familie, vor den Augen all seiner Waffenbrüder festnehmen konnte? Hatte er tatsächlich geglaubt, die anderen würden tatenlos danebenstehen und das zulassen?

Er hatte die Loyalität der Silbernen zu Kendrick weit unterschätzt. Selbst, wenn Darloc mit legitimen Gründen für seine Festnahme angekommen wäre—und das waren sie definitiv nicht—bezweifelte Kendrick stark, dass seine Brüder zulassen würden, dass er davongeschleppt würde. Sie waren loyale Freunde fürs Leben, und loyal bis in den Tod. Das war das Credo der Silbernen. Er hätte genauso reagiert, wenn irgendeiner seiner Brüder bedroht würde. Immerhin hatten sie alle gemeinsam trainiert, zusammen um ihr Leben gekämpft.

Kendrick konnte die Anspannung fühlen, die in der schweren Stille hing, als die Silbernen ihre Waffen gegen das kleine Dutzend der Königlichen Garde richteten, die von einem Fuß auf den anderen traten und mit jedem Moment betretener dreinblickten. Es muss ihnen klar gewesen sein, dass es in einem Massaker enden würde, wenn auch nur einer von ihnen zum Schwert griff—und sie waren weise genug, dass niemand es versuchte. Sie alle standen da und erwarteten den Befehl ihres Kommandanten Darloc.

Darloc schluckte und blickte äußerst nervös drein. Er erkannte, dass sein Auftrag hoffnungslos war.

„Es scheint, Ihr seid nicht mit ausreichend Männern gekommen“, erwiderte Kendrick ruhig und lächelte. „Ein Dutzend der Königlichen Garde gegen ein Hundert der Silbernen. Eure Sache ist hoffnungslos.“

Darloc wurde abwechselnd rot und bleich. Er räusperte sich.

„Mein Herr, wir alle dienen demselben Königreich. Es ist nicht mein Wunsch, Euch zu bekämpfen. Ihr habt recht: dies ist ein Kampf, den wir nicht gewinnen können. So ihr es uns gebietet, werden wir diesen Ort verlassen und zum König zurückkehren.

Doch Ihr wisst, dass Gareth einfach nur mehr Männer nach Euch senden würde. Andere Männer. Und Ihr wisst, wohin dies führen würde. Ihr könntet sie alle töten—doch wollt Ihr wirklich das Blut Eurer Brüder an den Händen haben? Wollt Ihr wirklich einen Bürgerkrieg anfachen? Für Euch würden Eure Männer ihr Leben riskieren, jeden töten. Doch ist das ihnen gegenüber gerecht?“

Kendrick starrte zurück und dachte darüber nach. Darlocs Argumente waren gut. Er wollte nicht, dass auch nur einer seiner Männer seinetwegen zu Schaden kam. Er verspürte ein übermächtiges Verlangen, sie alle vor jeglichem Blutvergießen zu schützen, egal, was das für ihn bedeuten würde. Und wie furchtbar sein Bruder Gareth auch war, und wie schlecht er auch als Herrscher war, wollte Kendrick keinen Bürgerkrieg—zumindest nicht um seinetwillen. Es gab andere Wege; direkte Konfrontation, so hatte er gelernt, war nicht immer der effektivste.

Kendrick streckte die Hand aus und drückte sanft das Schwert seines Freundes Atme zu Boden. Er wandte sich an die anderen Silbernen. Er war vor Dankbarkeit dafür überwältigt, dass sie zu seiner Verteidigung gekommen waren.

„Meine Gefährten der Silbernen“, verkündete er. „Ich bin geehrt von eurer Verteidigung, und ich versichere euch, sie ist nicht umsonst. Wie ihr mich alle kennt, hatte ich nichts mit dem Tod meines Vaters, unseres ehemaligen Königs, zu tun. Und sobald ich seinen wahren Mörder finde, wobei die Natur dieses Haftbefehls in mir schon einen Verdacht erweckt, werde ich der Erste sein, der Rache übt. Dies ist eine fälschliche Beschuldigung. Andererseits möchte ich nicht der Anstoß für einen Bürgerkrieg sein. Und so bitte ich euch, senkt eure Waffen. Ich werde ihnen gestatten, mich friedlich abzuführen, denn ein Bewohner des Rings soll einen anderen nie bekämpfen. Wenn die Gerechtigkeit lebt, dann wird die Wahrheit zu Tage treten—und ich werde umgehend zu euch zurückkehren.“

Die Gruppe der Silbernen senkte langsam und zögerlich die Waffen, während Kendrick sich zurück an Darloc wandte. Kendrick trat vor und ging an Darlocs Seite auf die Türe zu, umringt von der königlichen Garde. Kendrick schritt stolz und aufrecht in ihrer Mitte. Darloc versuchte nicht, ihm Fesseln anzulegen—vielleicht aus Respekt, oder aus Furcht, oder weil Darloc wusste, dass er unschuldig war. Kendrick würde sich selbst in sein neues Gefängnis führen. Doch er würde nicht klein beigeben. Irgendwie würde er seinen Namen reinwaschen, sich aus dem Kerker befreien—und den Mörder seines Vaters töten. Selbst, wenn es sein eigener Bruder war.




KAPITEL DREI


Gwendolyn stand in den Eingeweiden der Burg, ihr Bruder Godfrey neben ihr, und starrte Steffen an, der von einem Fuß auf den anderen trat und mit den Händen rang. Er war ein seltsamer Vogel—nicht nur wegen seines verkrümmten, buckeligen Rückens, sondern auch, weil er von Nervosität erfüllt schien. Seine Augen zuckten immerzu hin und her, und seine Hände packten einander, als wäre er vor Schuld geplagt. Er schaukelte im Stehen, trat von einem Fuß auf den anderen und summte mit tiefer Stimme vor sich hin. All die Jahre hier unten, dachte Gwen bei sich, all die Jahre der Isolation, hatten ihn offenbar zu einem Sonderling geformt.

Gwen wartete gespannt darauf, dass er sich endlich öffnete und enthüllte, was ihrem Vater zugestoßen war. Doch Sekunden wurden zu Minuten, Schweiß sammelte sich auf Steffens Brauen, er schaukelte sich immer dramatischer hin und her, und nichts kam hervor. Das dichte, schwere Schweigen zog sich weiter in die Länge, lediglich von seinen Summgeräuschen durchbrochen.

Gwen fing schon selbst an, hier unten zu schwitzen—die schwelenden Flammen von den Feuerstellen standen an diesem Sommertag zu nahe. Sie wollte, dass das hier ein Ende hatte, wollte diesen Ort verlassen und nie wieder zurückkehren. Sie betrachtete Steffen eingehend und versuchte, seinen Ausdruck zu entziffern; zu entschlüsseln, was ihm durch den Kopf ging. Er hatte versprochen, ihnen etwas zu erzählen, doch nun war er verstummt. Während sie ihn betrachtete, schien es, als würde er es sich anders überlegen. Er hatte sichtlich Angst; er hatte etwas zu verbergen.

Endlich räusperte sich Steffen.

„Etwas fiel in jener Nacht den Abfluss herunter, ich gebe es zu“, begann er, den Augenkontakt vermeidend und zu Boden blickend, „aber ich bin nicht sicher, was es war. Es war aus Metall. Wir trugen in jener Nacht den Nachttopf hinaus und ich hörte, wie etwas im Fluss landete. Etwas, das anders war. Also“, sagte er, räusperte sich mehrmals und rang weiter seine Hände, „Ihr seht, was immer es war, es wurde von den Fluten davongespült.“

„Bist du sicher?“, forderte Godfrey.

Steffen nickte energisch.

Gwen und Godfrey tauschten einen Blick aus.

„Konntest du zumindest einen Blick darauf werfen?“, drängte Godfrey.

Steffen schüttelte den Kopf.

„Aber du erwähntest einen Dolch. Wie konntest du wissen, dass es ein Dolch war, wenn du es nicht sehen konntest?“, fragte Gwen. Sie war sicher, dass er log; sie wusste bloß nicht, warum.

Steffen räusperte sich.

„Das sagte ich, weil ich einfach annahm, dass es ein Dolch war“, antwortete er. „Es war klein und aus Metall. Was sollte es sonst gewesen sein?“

„Aber hast du am Boden des Topfes nachgesehen?“ fragte Godfrey. „Nachdem du ihn entleert hast? Vielleicht ist es immer noch am Boden des Topfes.“

Steffen schüttelte den Kopf.

„Ich habe den Boden überprüft“, sagte er. „Das tue ich immer. Da war nichts. Leer. Was immer es war, es wurde davongespült. Ich sah, wie es davonschwamm.“

„Wenn es aus Metall war, wie konnte es dann schwimmen?“, fragte Gwen.

Steffen räusperte sich, dann zuckte er die Schultern.

„Der Fluss ist geheimnisvoll“, antwortete er. „Die Fluten sind stark.“

Gwen warf Godfrey einen skeptischen Blick zu und konnte an seinem Ausdruck erkennen, dass er Steffen genauso wenig glaubte.

Gwen wurde langsam ungeduldig. Und jetzt war sie auch ratlos. Noch vor wenigen Augenblicken wollte Steffen ihnen alles erzählen, wie er es versprochen hatte. Doch anscheinend hatte er es sich plötzlich anders überlegt.

Gwen machte einen Schritt auf ihn zu und starrte ihn grimmig an; sie spürte, dass dieser Mann etwas zu verbergen hatte. Sie setzte ihre härteste Miene auf und fühlte dabei die Stärke ihres Vaters durch sich fließen. Sie war entschlossen, herauszubekommen, was er wusste—besonders, wenn es ihr helfen würde, den Mörder ihres Vaters zu finden.

„Du lügst“, sagte sie mit kalter, stählerner Stimme, und die Kraft, die darin lag, überraschte sie selbst. „Weißt du, welche Strafe darauf steht, ein Mitglied der königlichen Familie anzulügen?“

Steffen rang seine Hände und hüpfte geradezu auf der Stelle auf und ab, blickte einen Moment zu ihr hoch und wandte rasch den Blick wieder ab.

„Es tut mir leid“, sagte er. „Es tut mir leid. Bitte, ich habe nichts mehr zu sagen.“

„Du hast uns vorhin gefragt, ob du dem Gefängnis entgehen könntest, wenn du uns sagst, was du weißt“, sagte sie. „Doch du hast uns gar nichts gesagt. Warum würdest du uns diese Frage stellen, wenn du uns nichts zu sagen hast?“

Steffen leckte sich über die Lippen und blickte zu Boden.

„Ich... ich... ähm“, setzte er an, und stockte. Er räusperte sich. „Ich war besorgt...dass ich in Schwierigkeiten geraten würde, dass ich nicht gemeldet habe, dass ein Gegenstand den Abfluss herunterkam. Das ist alles. Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was es war. Es ist weg.“

Gwen kniff die Augen zusammen, starrte ihn an und versuchte, diesem seltsamen Geschöpf auf den Grund zu gehen.

„Was genau ist deinem Meister passiert?“, frage sie, nicht locker lassend. „Uns wurde gesagt, dass er vermisst wird. Und dass du etwas damit zu tun haben sollst.“

Steffen schüttelte wieder und wieder den Kopf.

„Er ist fortgegangen“, antwortete Steffen. „Mehr weiß ich nicht. Es tut mir leid. Ich weiß nichts, dass Euch weiterhelfen könnte.“

Plötzlich ertönte ein lautes, zischendes Geräusch am anderen Ende des Raumes, und sie blickten sich um und sahen, wie Mist den Abfluss herunterkam und in den riesigen Nachttopf platschte. Steffen lief durch den Raum zum Topf hinüber. Er stand daneben und sah zu, wie er sich mit Mist aus den oberen Gemächern füllte.

Gwen blickte zu Godfrey, der ihren Blick erwiderte. Auch sein Gesichtsausdruck war ratlos.

„Was er auch immer verbirgt“, sagte sie, „er wird es nicht preisgeben.“

„Wir könnten ihn einsperren lassen“, sagte Godfrey. „Das bringt ihn vielleicht zum Reden.“

Gwen schüttelte den Kopf.

„Das glaube ich nicht. Nicht bei dem da. Er hat offensichtlich enorme Angst. Ich denke, es hat etwas mit seinem Meister zu tun. Er ist eindeutig zwiegespalten von irgendetwas, und ich glaube nicht, dass es mit Vaters Tod zu tun hat. Ich denke, er weiß etwas, das uns weiterhelfen könnte—aber ich spüre, dass er nur ganz zumachen wird, wenn wir ihn in die Ecke drängen.“

„Also was sollen wir tun?“, fragte Godfrey.

Gwen stand da und grübelte. Sie erinnerte sich an eine Freundin aus ihrer Kindheit, die einmal beim Lügen erwischt wurde. Sie erinnerte sich, dass ihre Eltern sie von allen Seiten unter Druck setzten, die Wahrheit zu sagen, doch sie tat es nicht. Erst Wochen später, als alle sie endlich in Ruhe ließen, trat sie freiwillig hervor und verriet alles. Gwen spürte die gleiche Stimmung von Steffen ausgehen; dass er nur noch verschlossener werden würde, wenn er in die Ecke gedrängt würde; dass er den Freiraum brauchte, aus eigenen Stücken mit der Wahrheit hervorzurücken.

„Geben wir ihm Zeit“, sagte sie. „Suchen wir woanders weiter. Sehen wir, was wir herausfinden können, und kommen wir auf ihn zurück, wenn wir mehr in der Hand haben. Ich denke, er wird sich öffnen. Er ist nur noch nicht so weit.“

Gwen beobachtete ihn am anderen Ende des Raumes, wie er den Mist begutachtete, der den Kessel füllte. Sie fühlte sich sicher, dass er sie zum Mörder ihres Vaters führen würde. Sie wusste nur nicht, wie. Sie fragte sich, welche Geheimnisse sich in den Tiefen seines Verstandes verbargen.

Er war ein sehr eigenartiger Geselle, dachte Gwen. Wahrlich sehr eigenartig.




KAPITEL VIER


Thor versuchte, Luft zu holen und dem Wasser auszuweichen, das seine Augen, Nase und Mund bedeckte und von allen Seiten auf ihn herunterströmte. Nachdem er quer über das ganze Schiff gerutscht war, hatte er es schließlich geschafft, die hölzerne Reling zu packen und sich mit aller Kraft daran zu klammern, während das erbarmungslose Wasser sein Bestes gab, seinen Griff zu lockern. Jeder Muskel in seinem Körper zitterte, und er wusste nicht, wie lange er sich noch festhalten konnte.

Um ihn herum taten es ihm seine Brüder gleich, klammerten sich ums nackte Leben an alles, was sie fassen konnten, während das Wasser sie vom Schiff spülen wollte. Irgendwie schafften sie es, durchzuhalten.

Der Lärm war ohrenbetäubend und er hatte Schwierigkeiten, mehr als ein paar Fuß weit zu sehen. Trotz des Sommertages war der Regen kalt, und das Wasser schickte ein Frösteln durch seinen Körper, das er nicht abschütteln konnte. Kolk stand mit grimmiger Miene da, die Hände in die Hüften gestützt, als wäre er immun gegen die Regenwand, und bellte um sich.

„ZURÜCK AN EURE SITZE!“, schrie er. „RUDERT!“

Kolk selbst setzte sich hin und fing zu rudern an, und in wenigen Momenten rutschten und krochen die Jungen über das Deck auf die Bänke zu. Thors Herz pochte, als er selbst losließ und sich über das Deck mühte. In seinem Hemd winselte Krohn, als Thor ausrutschte und hart auf dem Deck aufschlug.

Er kroch den Rest des Weges und war schon bald wieder an seinem Sitz.

„BINDET EUCH FEST!“, schrie Kolk.

Thor blickte nach unten auf die geknoteten Seile unter seiner Bank, und endlich verstand er, wofür sie gut waren: er nahm eines auf und band es sich ums Handgelenk, somit fest mit der Bank und dem Ruder verbunden.

Es funktionierte. Er rutschte nicht mehr. Und schon bald konnte er zu rudern beginnen.

Um ihn herum fingen die Jungen wieder zu rudern an, Reece auf der Bank vor ihm, und Thor spürte, wie das Schiff sich in Bewegung setzte. Nach wenigen Minuten lichtete sich der Regenwall über ihnen.

Während er ruderte und ruderte, seine Haut von diesem seltsamen Regen brannte und jeder Muskel in seinem Körper schmerzte, ließ das Regengeräusch schließlich nach und Thor fühlte immer weniger Wasser auf seinen Kopf niederprasseln. Nach wenigen weiteren Augenblicken kamen sie unter sonnenklaren Himmel.

Thor blickte sich schockiert um: es war absolut trocken und hell. Etwas so Merkwürdiges hatte er noch nie erlebt: die Hälfte des Schiffs stand unter einer trockenen, leuchtenden Sonne, während die andere noch begossen wurde, während sie aus dem Rest des Regenwalls hervorkam.

Endlich lag das ganze Schiff unter dem klaren blauen und gelben Himmel, und die warme Sonne brannte auf sie herunter. Es war nun ruhig, der Regenwall verschwand rasch, und seine Waffenbrüder warfen einander verdutzte Blicke zu. Es war, als wären sie durch einen Vorhang in eine andere Welt gesegelt.

„HALT!“, schrie Kolk.

Um Thor herum ließen die Jungen mit einem gemeinsamen Aufseufzen ihre Ruder fallen und schnappten nach Luft. Thor tat es ihnen gleich; er fühlte jeden Muskel in seinem Körper zittern und war dankbar für die Pause. Er ließ sich nach vorne fallen, schnappte nach Luft und versuchte, seine schmerzenden Muskel zu entspannen, während das Schiff durch diese neuen Gewässer glitt.

Endlich hatte Thor sich erholt und stand auf, um sich umzublicken. Er blickte auf das Wasser hinunter und sah, dass es die Farbe geändert hatte: es war nun ein helles, leuchtendes Rot. Sie waren in einem anderen Ozean angelangt.

„Die Drachensee“, sagte Reece neben ihm, der ebenso gebannt hinunterstarrte. „Man sagt, es ist rot vom Blut seiner Opfer.“

Thor betrachtete das Wasser. Es blubberte an manchen Stellen, und in der Ferne tauchten seltsame Geschöpfe kurz aus den Fluten hoch, um wieder abzutauchen. Keine von ihnen blieb lange genug sichtbar, dass er einen guten Blick auf sie werfen konnte, doch er wollte sein Glück nicht herausfordern, indem er sich weiter vorlehnte.

Thor versuchte verwirrt, alles zu erfassen. Alles hier auf dieser Seite des Regenwalls schien so fremd, so anders. Es lag sogar ein leichter roter Nebel in der Luft, der tief über dem Wasser schwebte. Er betrachtete den Horizont und sah dutzende kleiner Inseln, die wie Trittsteine über den Horizont verteilt waren.

Eine starke Brise kam auf und Kolk trat vor und bellte:

„SETZT DIE SEGEL!“

Thor sprang gemeinsam mit den anderen Jungen in Aktion, packte Taue und zog an ihnen, um die Brise einzufangen. Die Segel füllten sich und ein Windstoß trug sie vorwärts. Thor spürte, wie das Schiff sich unter ihnen schneller bewegte als je zuvor, und sie fuhren auf die Inseln zu. Das Schiff schwankte über riesige, sanfte Wellen, die aus dem Nichts aufkamen und sich sanft auf und ab bewegten.

Thor spazierte zum Bug, lehnte sich gegen die Reling und hielt Ausschau. Reece tauchte neben ihm auf, und O’Connor auf seiner anderen Seite. Nebeneinander standen sie da, und Thor sah zu, wie die Inselkette rasch näherkam. Sie standen lange Zeit schweigend da, und Thor genoss die feuchte Brise, während sein Körper sich entspannte.

Schließlich stellte Thor fest, dass sie auf eine bestimmte Insel zusteuerten. Sie wurde größer, und Thor fröstelte, als er erkannte, dass sie das Ziel ihrer Reise war.

„Die Insel der Nebel“, sagte Reece ehrfürchtig.

Thor betrachtete sie staunend. Langsam wurde ihre Gestalt erkennbar—sie war felsig und zerfurcht, karg, und erstreckte sich über mehrere Meilen in beide Richtungen, lang und schmal, geformt wie ein Hufeisen. Riesige Wellen krachten gegen ihre Küste, ihr Grollen sogar von hier zu hören, und warfen sich schäumend gegen enorme Felsbrocken. Ein winziger Streifen Festland war hinter den Felsen zu sehen, und dahinter eine Klippenwand, die sich senkrecht hoch in die Lüfte erhob. Thor konnte nichts sehen, wo ihr Schiff sicher anlegen konnte.

Ein roter Nebel, der wie Tau über der ganzen Insel hing und in der Sonne funkelte, trug zur Merkwürdigkeit dieses Ortes bei. Er verlieh ihm eine Atmosphäre, die nicht ganz geheuer war. Thor konnte etwas Unmenschliches, Unirdisches an diesem Ort verspüren.

„Man sagt, sie hat Millionen Jahre überstanden“, fügte O’Connor hinzu. „Sie ist älter als der Ring. Sogar älter als das Imperium.“

„Sie gehört den Drachen“, fügte Elden hinzu, der sich neben Reece gesellt hatte.

Thor sah zu, wie die zweite Sonne plötzlich am Himmel versank; in wenigen Momenten wandelte sich der Tag von sonnig und hell zu beinahe Sonnenuntergang, und der Himmel färbte sich rot und violett. Er konnte es nicht glauben: noch nie hatte er gesehen, dass die Sonne sich so schnell bewegte. Er fragte sich, was in diesem Teil der Welt sonst noch alles anders war.

„Wird diese Insel von einem Drachen bewohnt?“, fragte Thor.

Elden schüttelte den Kopf.

„Nein. Ich habe gehört, dass er in der Nähe lebt. Man sagt, der rote Nebel entsteht aus dem Atem des Drachen. Er atmet bei Nacht auf einer benachbarten Insel, und der Wind trägt es herüber und bedeckt die Insel bei Tag.“

Thor hörte ein plötzliches Geräusch; zuerst klang es wie ein tiefes Grollen, wie Donner, lange und laut genug, um das Schiff zum Erbeben zu bringen. Krohn, der immer noch in seinem Hemd lag, duckte den Kopf und winselte.

Die anderen wirbelten alle herum, und auch Thor drehte sich herum und hielt Ausschau; irgendwo am Horizont glaubte er, den blassen Umriss von Flammen erkennen zu können, die in den Sonnenuntergang flackerten und dann in einer Wolke schwarzen Rauchs verschwanden, wie der Ausbruch eines kleinen Vulkans.

„Der Drache“, sagte Reece. „Wir sind nun in seinem Revier.“

Thor schluckte und staunte.

„Aber wie können wir hier dann in Sicherheit sein?“, fragte O’Connor.

„Ihr seit nirgendwo in Sicherheit“, ertönte eine dröhnende Stimme.

Thor wirbelte herum und sah Kolk da stehen, Hände in die Hüften gestützt und über ihre Schultern hinweg den Horizont betrachtend.

„Das ist der Zweck der Hundert: jeden Tag in Lebensgefahr zu verbringen. Dies ist keine Übung. Der Drache lebt in der Nähe, und es gibt nichts, was ihn davon abhält, anzugreifen. Es ist unwahrscheinlich, dass er es tun wird, da er habsüchtig den Schatz auf seiner eigenen Insel bewacht, und Drachen nicht gerne ihre Schätze unbewacht lassen. Doch ihr werdet ihn brüllen hören und bei Nacht seine Flammenstöße sehen. Und wenn wir ihn irgendwie erzürnen, gibt es keine Gewissheit, was alles passieren kann.“

Thor hörte ein weiteres tiefes Grollen, sah einen weiteren Flammenstoß am Horizont und sah die Insel immer näher kommen, umspült von tosenden Wellen. Er blickte zu den steilen Klippen hoch, einer schieren Felswand, und fragte sich, wie sie jemals nach oben auf ihr flaches und trockenes Land gelangen würden.

„Aber ich kann nirgends sehen, wo ein Schiff anlegen könnte“, sagte Thor.

„Das wäre zu einfach“, schoss Kolk zurück.

„Und wie kommen wir dann auf die Insel?“, fragte O’Connor.

Kolk grinste auf sie hinunter; es war ein fieses Grinsen.

„Ihr schwimmt“, sagte er.

Einen Moment lang fragte sich Thor, ob er scherzte; doch dann erkannte er an seinem Gesichtsausdruck, dass es ihm ernst war. Thor schluckte.

„Schwimmen?“, wiederholte Reece ungläubig.

„Diese Wasser strotzen vor Ungeheuern!“, sagte Elden.

„Oh, das ist das geringste Problem“, fuhr Kolk fort. „Diese Fluten sind tückisch; diese Wirbel können euch in die Tiefe reißen; diese Wellen werden euch gegen diese scharfen Felsen schmettern; das Wasser ist heiß; und wenn ihr es an den Felsen vorbei geschafft habt, müsst ihr einen Weg finden, diese Klippen hoch auf festen Boden zu klettern. Wenn die Meereskreaturen euch nicht vorher erwischen. Willkommen in eurem neuen Zuhause.“

Thor stand mit den anderen an der Reling und starte auf das schäumende Meer hinunter. Das Wasser wirbelte unter ihm wie ein lebendiges Wesen, die Strömungen wurden jede Sekunde stärker, schaukelten das Boot und erschwerten es ihm, das Gleichgewicht zu halten. Unter ihm tosten die aufgewühlten Fluten, ein helles Rot, das das Blut der Hölle selbst zu enthalten schien. Schlimmer noch: wie Thor bei näherer Beobachtung feststellte, wurden diese Gewässer alle paar Fuß getrübt vom Auftauchen eines weiteren Seeungeheuers, das hervorkam, mit langen Zähnen schnappte und wieder untertauchte.

Ihr Schiff senkte plötzlich den Anker, weitab vom Ufer, und Thor schluckte. Er blickte zu den Felsen hoch, die die Insel umringten, und fragte sich, wie sie es von hier dorthin schaffen sollten. Das Tosen der Wellen kam jede Sekunde näher, und die anderen mussten rufen, um gehört zu werden.

Er sah zu, wie mehrere kleine Ruderboote zu Wasser gelassen und dann von den Kommandanten weit vom Schiff weggeführt wurden, gut dreißig Schritt entfernt. Sie würden es ihnen nicht einfach machen: sie würden schwimmen müssen, um sie zu erreichen.

Beim Gedanken daran wurde Thor flau im Magen.

„SPRINGT!“, schrie Kolk.

Zum ersten Mal verspürte Thor Angst. Er fragte sich, ob ihn das zu einem geringeren Legionär machte, einem geringeren Krieger. Er wusste, dass Krieger zu allen Zeiten furchtlos sein sollten, doch er musste sich eingestehen, dass er gerade Furcht verspürte. Er hasste die Tatsache und wünschte, es wäre anders. Doch so war es.

Als Thor sich aber umblickte und um sich herum verängstigte Gesichter sah, war er erleichtert. Überall um ihn herum standen die Jungen starr vor Angst an der Reling und starrten auf das Wasser hinunter. Ein Junge war gar so eingeschüchtert, dass er bibberte. Es war der Junge, der an dem Tag mit dem Schild-Training so viel Angst gehabt hatte und gezwungen worden war, Runden zu laufen.

Kolk musste das gespürt haben, denn er kam über das Schiff auf ihn zu. Kolk schien unbeeindruckt, als der Wind sein Haar zurückwarf; mit finsterer Miene schritt er vorwärts, als würde er die Natur selbst bezwingen wollen. Er kam neben ihm zu stehen und sein Gesicht verzog sich noch mehr.

„SPRING!“, schrie Kolk.

„Nein!“, antwortete der Junge. „Ich kann nicht! Ich tu’s nicht! Ich kann nicht schwimmen! Bringt mich nach Hause zurück!“

Kolk trat an den Jungen heran, als dieser von der Reling zurückwich, packte ihn hinten am Hemd und hob ihn in die Luft.

„Dann wirst du das Schwimmen lernen!“, zischte Kolk und warf dann vor Thors ungläubigen Augen den Jungen über Bord.

Der Junge flog schreiend durch die Luft und stürzte gut fünfzehn Fuß tief auf die schäumenden Fluten zu. Er landete mit einem Platschen und trieb dann mit zappelnden Armen an die Oberfläche.

„HILFE!“, schrie er.

„Was ist das erste Gesetz der Legion?“, rief Kolk an die anderen Jungen an Bord gewandt, den Jungen im Wasser ignorierend.

Thor war die richtige Antwort vage bewusst, doch er war zu abgelenkt vom Anblick des Jungen, der unter ihm ertrank, um zu antworten.

„Einem anderen Legionär in Not beizustehen!“, schrie Elden hervor.

„Und ist er in Not?“, schrie Kolk und zeigte auf den Jungen hinunter.

Der Junge hob die Arme, tauchte im Wasser auf und ab, und die anderen Jungen standen am Deck, starrten und hatten zu viel Angst, um hinunterzuspringen.

In dem Moment geschah etwas Seltsames mit Thor. Während er sich auf den ertrinkenden Jungen konzentrierte, wurde alles andere unwichtig. Thor dachte nicht länger an sich selbst. Der Gedanke, dass er ertrinken könnte, kam ihm gar nicht erst. Das Meer, die Ungeheuer, die Strömung...all das verblasste. Das Einzige, woran er denken konnte, war, jemand anderen zu retten.

Thor kletterte auf die breite Eichenreling, ging in die Knie, und ohne nachzudenken sprang er hoch in die Luft und stürzte sich kopfüber in das blubbernde Rot der Gewässer unter ihm.




KAPITEL FÜNF


Gareth saß auf seines Vaters Thron im Großen Festsaal und ließ seine Hände über die glatten hölzernen Armlehnen gleiten, während er die Szenerie vor ihm betrachtete: tausende seiner Untertanen waren in den Raum gepfercht; aus allen Ecken des Rings waren die Menschen angereist, um diesem einmaligen Ereignis beizuwohnen: zu sehen, ob er das Schicksalsschwert ziehen konnte. Zu sehen, ob er der Auserwählte war. Das Volk hatte seit den Jugendtagen seines Vaters keine Gelegenheit mehr gehabt, einer Schwertziehung beizuwohnen—und es schien, als ob niemand es verpassen wollte. Aufregung hing wie eine Wolke in der Luft.

Gareth selbst war vor Anspannung ganz benommen. Während er zusah, wie sich der Raum immer weiter füllte, mehr und mehr Menschen sich hereindrängten, fragte er sich, ob die Ratgeber seines Vaters doch recht hatten; ob es eine schlechte Idee gewesen war, die Schwertziehung im Großen Festsaal abzuhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sie hatten ihn beschworen, es in der kleinen, privaten Schwertkammer zu versuchen; sie argumentierten, dass es so weniger Zeugen geben würde, falls er scheitern sollte. Doch Gareth traute den Leuten seines Vaters nicht; er fühlte sich seines Schicksals sicherer als die alte Garde seines Vaters, und er wollte, dass das gesamte Königreich seinem Triumph beiwohnen und miterleben konnte, dass er der Auserwählte war, während es passierte. Er wollte den Augenblick für alle Zeiten festgehalten haben. Der Augenblick, an dem sein Schicksal sich verwirklichte.

Gareth war mit Flair in den Saal getreten, in Begleitung seiner Berater hindurchstolziert, bestückt mit seiner Krone und seinem Mantel, das Zepter in der Hand—er wollte, dass ihnen allen bewusst war, dass er, nicht sein Vater, der wahre König, der wahre MacGil war. Wie er es erwartet hatte, hatte es nicht lange gedauert, bis es sich für ihn so angefühlt hatte, dass dies sein Schloss war, seine Untertanen. Er wollte, dass sein Volk es nun zu spüren bekam und diese Machtdemonstration weithin zu sehen war. Nach dem heutigen Tage würden sie mit Bestimmtheit wissen, dass er ihr einer und einziger wahrer König war.

Doch jetzt, da Gareth alleine auf dem Thron saß und auf die leeren Eisenstützen in der Mitte des Saales blickte, in die das Schwert gelegt werden würde, beleuchtet von einem Sonnenstrahl, der durch die Decke hereinbrach, war er sich nicht mehr sicher. Die Schwere dessen, was er gleich tun würde, fing an, ihn zu bedrücken; es würde ein nicht umkehrbarer Schritt sein, und es würde kein Zurück geben. Was, wenn er tatsächlich scheiterte? Er versuchte, es aus seinen Gedanken zu bannen.

Am anderen Ende des Saals öffnete sich knarrend die riesige Tür, und mit einem aufgeregten Wispern legte sich langsam erwartungsvolles Schweigen über den Raum. Herein marschierten ein Dutzend der stärksten Männer am Hof, die das Schwert zusammen geschultert hatten und allesamt unter seinem Gewicht ächzten. Sechs Männer standen zu beiden Seiten und trugen das Schwert in langsamem Marsch Schritt für Schritt seinem Liegeplatz entgegen.

Gareths Herz schlug schneller, während er zusah, wie es näherkam. Für einen kurzen Augenblick flackerte Unsicherheit auf—wenn diese zwölf Männer, größer als alle, die er je gesehen hatte, es kaum tragen konnten, welche Chance hatte er dann? Doch er versuchte, diese Gedanken zur Seite zu schieben—immerhin ging es bei dem Schwert um Schicksal, nicht um Kraft. Und er zwang sich dazu, nicht zu vergessen, dass es sein Schicksal war, hier zu sein, der Erstgeborene der MacGils zu sein, König zu sein. Er suchte in der Menge nach Argon; aus irgendeinem Grund verspürte er plötzlich ein dringendes Bedürfnis, seinen Rat einzuholen. Dies war der Moment, in dem er ihn am meisten brauchte. Aus irgendeinem Grund konnte er an niemand anderen denken. Doch natürlich war er nirgends zu finden.

Endlich hatte das Dutzend Männer die Mitte des Saales erreicht, trugen das Schwert in den Sonnenstrahl und platzierten es auf den eisernen Stützen. Es landete mit einem schallenden Klirren, und der Klang breitete sich in Wellen durch den ganzen Saal. Im Saal herrschte absolute Stille.

Instinktiv teilte sich die Menge, um Platz zu machen, damit Gareth heruntersteigen und versuchen konnte, es zu ziehen.

Langsam erhob sich Gareth von seinem Thron und kostete den Moment aus, all diese Aufmerksamkeit. Er konnte spüren, wie alle Augen auf ihn gerichtet waren. Er wusste, ein Augenblick wie dieser würde nie wieder kommen, in dem das gesamte Königreich ihm so vollkommen gebannt zusah, so eingehend jede seiner Bewegungen analysierte. Er hatte diesen Moment in Gedanken so oft durchlebt, schon seit seiner Jugend, und nun war er gekommen. Er wollte, dass es langsam ging.

Er stieg bedächtig die Treppe vor dem Thron hinunter, Stufe für Stufe, jeden Schritt voll auskostend. Er schritt den roten Teppich entlang, fühlte, wie weich er unter seinen Füßen war, kam immer näher an die Lichtsäule, an das Schwert. Es war, als würde er in einem Traum wandeln. Er fühlte sich, als hätte er seinen Körper verlassen. Ein Teil von ihm fühlte sich, als wäre er diesen Teppich schon viele Male entlanggeschritten; immerhin hatte er das Schwert im Traum schon eine Million Mal gezogen. Er fühlte nur noch stärker, dass es ihm bestimmt war, es zu ziehen; dass er seinem Schicksal entgegenschritt.

In Gedanken konnte er schon sehen, wie es ablaufen würde: er würde tapfer vortreten, eine Hand ausstrecken, und während seine Untertanen sich gespannt vorbeugten, würde er es mit einem Ruck dramatisch hoch über sein Haupt erheben. Sie alle würden den Atem anhalten und sich zu Boden werfen und ihn zum Auserwählten erklären, dem bedeutendsten MacGil-König, der je regierte, der Eine, dem es bestimmt war, auf immer zu regieren. Sie würden bei dem Anblick vor Freude weinen. Sie würden vor Furcht vor ihm zurückschrecken. Sie würden Gott danken, dass sie zu dieser Zeit am Leben waren, um dies zu erleben. Sie würden ihn als einen Gott anbeten.

Gareth kam auf das Schwert zu, das nun wenige Fuß entfernt war, und er fühlte, wie er innerlich bebte. Er trat in das Sonnenlicht, und obwohl er das Schwert schon viele Male zuvor gesehen hatte, war er von seiner Schönheit überwältigt. Es war ihm noch nie gestattet gewesen, ihm so nahe zu sein, und er war überrascht. Es war ein durchdringender Anblick. Mit einer langen, glänzenden Klinge, aus einem Material gefertigt, das noch niemand entschlüsselt hatte, hatte es den am aufwändigsten gearbeiteten Griff, den er je gesehen hatte; von feinem, seidenartigem Gewebe umhüllt, besetzt mit allen Arten von Edelsteinen, und geprägt mit dem Siegel des Falken. Als er einen Schritt nähertrat und direkt über ihm schwebte, spürte er die mächtige Energie, die es verströmte. Es schien zu pulsieren. Er konnte kaum atmen. In nur einem Augenblick würde es in seiner Hand liegen. Hoch über seinem Haupt. Im Sonnenlicht glänzen, vor den Augen der Welt.

Er, Gareth, der Große.

Gareth streckte die rechte Hand nach vorne und legte sie auf den Griff. Langsam krümmte er die Finger herum, fühlte jeden Edelstein, jeden Umriss, während er es elektrisiert fasste. Eine durchdringende Energie strahlte durch seine Handfläche, seinen Arm hinauf, durch seinen Körper. Er hatte so etwas noch nie gefühlt. Dies war sein Augenblick. Sein Moment für die Ewigkeit.

Gareth würde kein Risiko eingehen: er streckte auch die andere Hand aus und legte sie um den Griff. Er schloss die Augen, sein Atem wurde flach.

So es die Götter wollen, lasst zu, dass ich es ziehe. Gebt mir ein Zeichen. Zeigt mir, dass ich König bin. Zeigt mir, dass ich zum Herrschen bestimmt bin.

Gareth betete still, auf Antwort wartend, auf ein Zeichen, auf den perfekten Augenblick. Doch Sekunden verstrichen, ganze zehn Sekunden, vor den aufmerksamen Augen des gesamten Königreichs, und er konnte nichts vernehmen.

Dann, plötzlich, sah er das Gesicht seines Vaters, das ihn wütend anblickte.

Gareth öffnete entsetzt die Augen und versuchte, das Bild aus seinen Gedanken zu bannen. Sein Herz pochte, und er fühlte, dass dies ein furchtbares Omen war.

Der Moment war gekommen, jetzt oder nie.

Gareth lehnte sich vor, und mit all seiner Kraft setze er an, das Schwert zu ziehen. Er gab alles, was er hatte, bis sein gesamter Körper sich vor Anstrengung verkrampfte.

Das Schwert rührte sich nicht. Er hätte genauso gut versuchen können, das Fundament der Welt zu bewegen.

Gareth versuchte es noch stärker, und weiter und weiter. Schließlich stöhnte und schrie er merklich.

Augenblicke später brach er zusammen.

Die Klinge hatte sich keinen Fingerbreit bewegt.

Ein schockiertes Raunen breitete sich durch den Raum, als er am Boden aufschlug. Mehrere Berater eilten ihm zu Hilfe, um nachzusehen, ob es ihm gut ginge, und er stieß sie grob von sich. Beschämt und verlegen richtete er sich aus eigener Kraft wieder auf die Beine.

Gedemütigt blickte sich Gareth unter seinen Untertanen um, um zu sehen, wie sie ihn nun betrachten würden.

Sie hatten sich bereits abgewandt und verließen nach und nach den Saal. Gareth konnte die Enttäuschung in ihren Gesichtern erkennen; konnte sehen, dass er nur ein weiteres erfolgloses Spektakel in ihren Augen war. Nun wussten sie alle, jeder Einzelne von ihnen, dass er nicht ihr wahrer König war. Er war nicht der bestimmte und auserwählte MacGil. Er war ein Nichts. Nur ein weiterer Prinz, der den Thron an sich gerissen hatte.

Gareth fühlte, wie er vor Scham brannte. Er hatte sich noch nie so alleine gefühlt wie in diesem Moment. Alles, was er sich je erträumt hatte, seit seiner Kindheit, war eine Lüge gewesen. Eine Einbildung. Er hatte sein eigenes Märchen geglaubt.

Und es hatte ihn unter sich begraben.




KAPITEL SECHS


Gareth marschierte in seinem Gemach auf und ab. In seinem Kopf rasten die Gedanken. Er war fassungslos, dass er es nicht geschafft hatte, das Schwert zu ziehen, und versuchte, die Auswirkungen dessen zu erfassen. Er fühlte sich wie betäubt. Er konnte kaum glauben, dass er dämlich genug gewesen war, zu versuchen, das Schwert zu ziehen, das Schicksalsschwert, das die letzten sieben Generationen lang kein MacGil erfolgreich gezogen hatte. Wie war er auf die Idee gekommen, dass er besser sein würde als seine Vorfahren? Warum hatte er angenommen, dass es ihm anders ergehen würde?

Er hätte es wissen sollen. Er hätte vorsichtig sein sollen, hätte sich niemals selbst überschätzen sollen. Er hätte sich damit zufriedengeben sollen, den Thron seines Vaters zu haben. Warum musste er es drauf ankommen lassen?

Nun wusste jeder seiner Untertanen, dass er nicht der Auserwählte war; seine Herrschaft würde nun dadurch getrübt sein; vielleicht würden sie nun auch mehr Gründe haben, ihn des Mordes an seinem Vater zu verdächtigen. Er konnte jetzt schon sehen, dass sie ihn anders ansahen als zuvor, als wäre er ein wandelnder Geist, als würden sie sich bereits darauf vorbereiten, bald einen neuen König zu haben.

Schlimmer noch, zum ersten Mal in seinem Leben war sich Gareth seiner selbst nicht ganz sicher. Sein ganzes Leben lang hatte er sein Schicksal deutlich vor sich gesehen. Er war sich sicher gewesen, dass er dazu bestimmt war, den Platz seines Vaters einzunehmen, zu herrschen und das Schwert zu führen. Sein Selbstvertrauen war bis auf die Grundfesten erschüttert. Nun war er sich gar nichts mehr sicher.

Was am schlimmsten war: er konnte nicht aufhören, dieses Bild vom Gesicht seines Vaters vor sich zu sehen, das ihm erschienen war, bevor er das Schwert zog. War dies seine Rache gewesen?

„Bravo“, ertönte eine langsame, sarkastische Stimme.

Gareth wirbelte herum, erschrocken, dass noch jemand außer ihm im Zimmer war. Er erkannte die Stimme sofort; es war eine Stimme, die ihm über die Jahre zu vertraut geworden war, und die er gelernt hatte, zu verachten. Es war die Stimme seiner Gemahlin.

Helena.

Da stand sie, in einer entfernten Ecke des Raumes, und betrachtete ihn, während sie an ihrer Opium-Pfeife sog. Sie nahm einen tiefen Zug, hielt den Atem an und blies dann langsam aus. Ihre Augen waren blutunterlaufen und er konnte sehen, dass sie schon zu lange geraucht hatte.

„Was tust du hier?“, fragte er.

„Dies ist immerhin mein Brautgemach“, erwiderte sie. „Ich kann hier alles tun, was ich will. Ich bin deine Frau und deine Königin. Vergiss das nicht. Ich regiere dieses Königreich nicht weniger als du. Und nach deinem Debakel heute würde ich den Ausdruck regieren eher locker sehen.“

Gareths Gesicht brannte rot auf. Helena hatte schon immer eine Gabe besessen, ihn mit dem tiefsten Tiefschlag zu treffen, im unpassendsten Moment. Er hasste sie mehr als jede andere Frau in seinem Leben. Er konnte kaum fassen, dass er je eingewilligt hatte, sie zu heiraten.

„Meinst du?“, zischte Gareth und marschierte wutentbrannt auf sie zu. „Du vergisst, dass ich König bin, Weib, und dich einsperren lassen kann, genauso wie jeden anderen in meinem Reich, egal, ob du meine Frau bist oder nicht.“

Sie lachte ihn aus, ein spöttisches Schnauben.

„Und weiter?“, fuhr sie zurück. „Sollen sich deine Untertanen dann über deine sexuellen Vorlieben den Kopf zerbrechen? Nein, das bezweifle ich doch sehr stark. Nicht in der intriganten Welt von Gareth. Nicht im Kopf eines Mannes, dem es wichtiger ist als jedem anderen, was die anderen von ihm halten.“

Gareth blieb vor ihr stehen und erkannte, dass sie eine Art hatte, durch ihn durchzublicken, die ihn bis auf die Knochen nervte. Er verstand ihre Drohung und sah ein, dass es zwecklos war, mit ihr zu streiten. Und so stand er schweigend da, wartend, die Hände zu Fäusten geballt.

„Was willst du von mir?“, sagte er langsam, versuchte, sich unter Kontrolle zu halten und nichts Unüberlegtes zu tun. „Du kommst doch nur dann zu mir, wenn du etwas willst.“

Sie lachte, trocken und spöttisch.

„Wenn ich etwas will, dann nehme ich es mir. Ich bin nicht hier, um dich um etwas zu bitten. Sondern eher, um dir etwas zu sagen: dein gesamtes Königreich ist gerade Zeuge geworden, wie du versagt hast, das Schwert zu ziehen. Was bedeutet das für uns?“

„Was meinst du, uns?“, fragte er und war sich nicht sicher, worauf sie hinauswollte.

„Dein Volk weiß nun, was ich immer schon gewusst habe: dass du ein Versager bist. Dass du nicht der Auserwählte bist. Herzlichen Glückwunsch. Zumindest ist es hiermit offiziell.“

Er blickte sie erzürnt an.

„Mein Vater ist ebenso gescheitert, das Schwert zu ziehen. Das hielt ihn nicht davon ab, erfolgreich als König zu regieren.“

„Aber es hat sich auf sein Königtum ausgewirkt“, schnappte sie zurück. „Auf jeden Augenblick davon.“

„Wenn du so unglücklich bist mit meinen Unfähigkeiten“, fauchte Gareth, „warum verschwindest du nicht einfach von hier? Verlass mich! Verlass unseren Scherz von einer Ehe. Ich bin jetzt König. Ich brauche dich nicht länger.“

„Gut, dass du diesen Punkt zur Sprache bringst“, sagte sie, „denn genau das ist der Grund meines Besuches. Ich möchte, dass du unsere Ehe offiziell beendest. Ich will eine Scheidung. Da ist ein Mann, den ich liebe. Ein richtiger Mann. Einer deiner Ritter, genauer gesagt. Er ist ein Krieger. Wir sind verliebt, es ist wahre Liebe. Anders als jede Liebe, die ich je kannte. Lass dich von mir scheiden, damit ich diese Affäre nicht länger verheimlichen muss. Ich möchte, dass unsere Liebe öffentlich sein kann. Und ich will mich mit ihm verheiraten.“

Gareth starrte sie schockiert an. Er fühlte sich ausgehöhlt, als wäre ein Dolch in sein Herz gestoßen worden. Warum musste Helena auftauchen? Warum ausgerechnet jetzt? Es war zu viel für ihn. Es fühlte sich an, als würde die Welt ihn treten, während er am Boden lag.

Zu seiner Überraschung musste Gareth feststellen, dass er doch tiefe Gefühle für Helena hegte, denn als er von ihren eigenen Lippen hörte, dass sie eine Scheidung wollte, passierte etwas in ihm. Es störte ihn. Trotz allem wurde ihm dadurch klar, dass er keine Scheidung von ihr wollte. Wenn es von ihm ausging, war das eine Sache; doch wenn es von ihr ausging, war das etwas anderes. Er wollte nicht, dass sie bekam, was sie wollte, und schon gar nicht so einfach.

Vor allem aber fragte er sich, wie eine Scheidung sein Königtum beeinflussen würde. Ein geschiedener König würde zu viele Fragen aufwerfen. Und trotz allem verspürte er Eifersucht gegenüber diesem Ritter. Und war gekränkt darüber, wie sie ihm seine mangelnde Männlichkeit unter die Nase rieb. Er wollte Rache üben. An ihnen beiden.

„Das kannst du nicht haben“, schnappte er. „Du bist an mich gebunden. Du steckst für immer fest als meine Ehefrau. Ich werde dich nie gehen lassen. Und sollte ich diesem Ritter je begegnen, mit dem du mich betrügst, werde ich ihn foltern und hinrichten lassen.“

Helena fauchte ihn an.

„Ich bin nicht deine Ehefrau! Du bist nicht mein Ehemann. Du bist kein Mann. Unsere Verbindung ist unheilig. Das war sie von dem Tag an, an dem sie geknüpft wurde. Es war eine arrangierte Partnerschaft für Machtzwecke. Die ganze Sache ekelt mich an—hat sie schon immer. Und es hat meine einzige Möglichkeit ruiniert, wirklich verheiratet zu sein.“

Sie keuchte vor aufsteigender Wut.

„Du wirst mir diese Scheidung geben, oder ich werde vor dem gesamten Königreich enthüllen, was für eine Art Mann du wirklich bist. Du entscheidest.“

Mit diesen Worten drehte ihm Helena den Rücken und marschierte durch den Raum und zur offen Tür hinaus, die sie einfach hinter sich offen stehen ließ.

Gareth stand alleine in dem steinernen Gemach, lauschte dem Echo ihrer Schritte und spürte einen kalten Schauer durch seinen Körper ziehen, den er nicht abschütteln konnte. Gab es noch irgendetwas Handfestes, an das er sich halten konnte?

Während Gareth bebend dastand und die offene Tür anstarrte, kam zu seiner Überraschung eine weitere Gestalt durch sie herein. Er hatte kaum Zeit gehabt, seine Unterhaltung mit Helena zu verdauen, alle ihre Drohungen zu verarbeiten, als ein allzu vertrautes Gesicht hereinspazierte. Firth. Der übliche Sprung in seinem Schritt fehlte, als er zaghaft ins Zimmer trat, mit einem schuldbewussten Ausdruck auf dem Gesicht.

„Gareth?“, fragte er mit unsicherer Stimme.

Firth starrte ihn mit weiten Augen an, und Gareth konnte sehen, wie schlecht er sich fühlte. Er sollte sich auch schlecht fühlen, dachte Gareth. Immerhin war es Firth gewesen, der es ihm in den Kopf gesetzt hatte, das Schwert zu ziehen; der ihn schlussendlich davon überzeugt hatte; der ihn glauben gemacht hatte, dass er mehr war, als er war. Ohne Firths Einflüsterungen, wer weiß? Vielleicht hätte Gareth nie versucht, es zu ziehen.

Gareth wandte sich ihm brodelnd zu. In Firth hatte er endlich etwas gefunden, an dem er seine gesamte Wut auslassen konnte. Immerhin war Firth derjenige gewesen, der seinen Vater getötet hatte. Es war Firth, dieser dämliche Stalljunge, der ihn überhaupt in dieses ganze Schlamassel gebracht hatte. Nun war er nichts als ein weiterer gescheiterter Nachfolger in der MacGil-Linie.

„Ich hasse dich“, brodelte Gareth. „Was habe ich jetzt von deinen Versprechungen? Was habe ich von deinem Vertrauen, dass ich das Schwert ziehen kann?“

Firth schluckte und blickte nervös drein. Er war sprachlos. Es war deutlich, dass er nichts zu sagen hatte.

„Es tut mir leid, mein Herr“, sagte er. „Ich habe mich geirrt.“

„Du hast dich in vielen Dingen geirrt“, schnappte Gareth.

In der Tat, je mehr Gareth darüber nachdachte, umso klarer wurde ihm, wie sehr sich Firth geirrt hatte. Tatsächlich, wenn Firth nicht gewesen wäre, wäre sein Vater heute noch am Leben—und Gareth würde nicht in diesem Schlamassel stecken. Das Gewicht des Königtums würde nicht auf seinem Haupt lasten, all diese Dinge würden nicht so schieflaufen. Gareth sehnte sich nach einfacheren Tagen, als er nicht König war; als sein Vater noch lebte. Er verspürte ein plötzliches Verlangen, dass alles wieder so wäre, wie es früher war. Aber das konnte er nicht. Und Firth war an allem schuld.

„Was tust du hier?“, drängte Gareth.

Firth räusperte sich, sichtlich nervös.

„Ich hörte...Gerüchte...Getuschel unter den Dienern. Mir ist zu Ohren gekommen, dass dein Bruder und deine Schwester Fragen stellen. Sie wurden im Dienstbotenquartier gesichtet. Wo sie den Abfluss nach der Mordwaffe durchsuchten. Dem Dolch, mit dem ich deinen Vater erstochen habe.“

Gareths Körper wurde bei diesen Worten eiskalt. Er war vor Schock und Furcht erstarrt. Konnte dieser Tag noch schlimmer werden?

Er räusperte sich.

„Und was haben sie gefunden?“, fragte er mit trockener Kehle, aus der er die Worte kaum herausbrachte.

Firth schüttelte den Kopf.

„Das weiß ich nicht, mein Herr. Ich weiß nur, dass sie etwas verdächtig finden.“

Gareth verspürte einen neu aufwallenden Hass auf Firth, von einer Kraft, die er nicht für möglich gehalten hatte. Wenn er nicht so ein Tollpatsch wäre, wenn er die Waffe ordentlich entsorgt hätte, wäre er jetzt nicht in dieser Lage. Firth hatte ihm eine Schwachstelle hinterlassen.

„Ich werde dies nur einmal sagen“, sagte Gareth, näherte sich Firth, bis sie Gesicht an Gesicht standen, und warf ihm den härtesten Blick zu, den er aufbringen konnte. „Ich will dein Gesicht nie wieder sehen. Verstehst du mich? Verlasse meine Gegenwart und komm nie wieder zurück. Ich werde dir einen Posten weit weg von hier zuweisen. Und wenn du je wieder einen Fuß in diese Burg setzt, versichere ich dir, ich werde dich verhaften lassen.

UND JETZT RAUS!“, kreischte Gareth.

Mit Tränen in den Augen rannte Firth aus dem Zimmer. Seine Schritte hallten ihm lange nach, als er durch den Korridor davonlief.

Gareths Gedanken trieben zurück zum Schwert, zu seinem misslungenen Versuch. Er wurde das Gefühl nicht los, dass er ein großes Unglück für sich selbst in Bewegung gesetzt hatte. Er fühlte sich, als hätte er sich gerade selbst eine Klippe hinuntergestoßen und würde von diesem Zeitpunkt an nur seinen Fall vor Augen haben.

Er stand wie mit dem Stein verwurzelt in der dröhnenden Stille der Gemächer seines Vaters, bebend, und fragte sich, was um alles in der Welt er da angezettelt hatte. Noch nie hatte er sich so allein gefühlt, so von Selbstzweifeln geplagt.

Fühlte sich so das Königsein an?

*

Gareth rannte die steinerne Wendeltreppe hinauf, ein Geschoss nach dem anderen, und eilte auf die äußerste Brüstung der Burg hinauf. Er brauchte Frischluft. Er brauchte Zeit und Platz zum Nachdenken. Er brauchte einen Blickpunkt über sein Königreich, eine Möglichkeit, seinen Hof zu sehen, sein Volk, und sich daran zu erinnern, dass all das ihm gehörte. Und dass, trotz all der alptraumhaften Ereignisse des Tages, er immer noch König war.

Gareth hatte seine Bediensteten fortgeschickt und war alleine hochgelaufen, eine Treppe nach der anderen, schwer keuchend. Er hielt an einem Treppenabsatz an, beugte sich vornüber und schöpfte Luft. Tränen rannen seine Wangen hinunter. Er sah immerzu das Gesicht seines Vaters, das ihm an jeder Ecke vorwurfsvoll entgegenblickte.

„Ich hasse dich!“, schrie er in die Leere.

Er hätte schwören können, dass er zur Antwort spöttisches Gelächter hören konnte. Das Gelächter seines Vaters.

Gareth musste von hier weg. Er rannte weiter, so schnell er konnte, bis er endlich oben angekommen war. Er platzte durch die Tür, und die frische Sommerluft traf sein Gesicht.

Er holte tief Luft, kam zu Atem, genoss den Sonnenschein in der warmen Brise. Er nahm seinen Mantel ab, den Mantel seines Vaters, und warf ihn zu Boden. Er war zu heiß—und er wollte ihn nicht länger tragen.

Er eilte an den Rand der Brüstung und krallte sich an die Steinmauer, schwer atmend, auf seinen Hof hinunterblickend. Er konnte die nie enden wollende Menschenmenge sehen, die aus der Burg hervorsickerte. Sie verließen die Zeremonie. Seine Zeremonie. Er konnte ihre Enttäuschung von hier oben nahezu spüren. Sie sahen so klein aus. Er grübelte darüber nach, dass sie alle unter seiner Herrschaft standen.

Doch wie lange noch?

„Königtümer sind merkwürdige Angelegenheiten“, ertönte eine uralte Stimme.

Gareth wirbelte herum und sah überrascht, dass Argon nur wenige Fuß von ihm entfernt stand, in einen weißen Umhang mit Kapuze gehüllt, seinen Stab in der Hand. Er starrte auf ihn zurück und ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel—doch seine Augen lächelten nicht. Sie glühten, blickten geradewegs durch ihn durch, und sie machten Gareth nervös. Sie sahen zu viel.

Es gab so viele Dinge, die Gareth Argon sagen wollte, ihn fragen wollte. Doch nun, da er bereits gescheitert war, das Schwert zu ziehen, fiel ihm nichts mehr davon ein.

„Warum hast du es mir nicht gesagt?“, flehte Gareth mit Verzweiflung in der Stimme. „Du hättest mir sagen können, dass ich nicht dazu bestimmt war, es zu ziehen. Du hättest mir die Blamage ersparen können.“

„Und warum sollte ich das tun?“, fragte Argon.

Gareth funkelte ihn an.

„Du bist kein wahrer königlicher Ratgeber“, sagte er. „Du hättest meinem Vater aufrichtig Rat gegeben. Doch nicht mir.“

„Vielleicht war er aufrichtigen Rates würdig“, erwiderte Argon.

Gareths Wut vertiefte sich. Er hasste diesen Mann. Und er gab ihm die Schuld.

„Ich will dich nicht um mich haben“, sagte Gareth. „Ich weiß nicht, warum mein Vater dich angestellt hat, aber ich will dich nicht in Königshof haben.“

Argon lachte - ein hohler, beängstigender Laut.

„Dein Vater hat mich nicht angestellt, närrischer Junge“, sagte er. „Noch sein Vater vor ihm. Es ist meine Bestimmung, hier zu sein. Tatsächlich kann man wohl sagen, ich hätte sie angestellt.“

Argon trat plötzlich einen Schritt nach vor und es wirkte, als würde er in Gareths Seele starren.

„Kann man dasselbe von dir behaupten?“, fragte Argon. „Ist es deine Bestimmung, hier zu sein?“

Seine Worte trafen Gareth, schickten einen Schauer durch ihn. Genau das war es, was Gareth sich selbst fragte. Gareth fragte sich, ob es eine Drohung war.

„Wer durch Blut herrscht, wird mit Blut regieren“, verkündete Argon, und mit diesen Worten drehte er ihm flink den Rücken zu und zog von dannen.

„Warte!“, schrie Gareth, der nicht länger wollte, dass er wegging; er brauchte Antworten. „Was meinst du damit?“

Gareth wurde das Gefühl nicht los, dass Argon ihm die Botschaft übermittelte, dass er nicht lange regieren würde. Er musste wissen, ob er das damit gemeint hatte.

Gareth rannte ihm nach, doch als er näherkam, verschwand Argon vor seinen Augen.

Gareth blickte sich in alle Richtungen um, doch er sah nichts. Er hörte nur ein hohles Gelächter irgendwo in den Lüften.

„Argon!“, schrie Gareth.

Er drehte sich erneut herum, dann blickte er in den Himmel hinauf, sank auf ein Knie und warf den Kopf in den Nacken. Er kreischte:

„ARGON!“




KAPITEL SIEBEN


Erec marschierte an der Seite des Herzogs mit Brandt und einem Dutzend der herzoglichen Gefolgschaft durch die engen Gassen von Savaria, eine wachsende Menschentraube hinter sich herziehend, dem Haus des Dienstmädchens entgegen. Erec hatte darauf bestanden, dass er sie umgehend kennenlernen wollte, und der Herzog wollte ihm persönlich den Weg weisen. Und wo der Herzog hinging, folgte ihm jedermann. Erec warf einen Blick auf die große und wachsende Gefolgschaft und war peinlich berührt, als er feststellte, dass er die Wohnstatt dieses Mädchens mit dutzenden Leuten im Schlepptau erreichen würde.

Seit er sie zum ersten Mal erblickt hatte, hatte Erec an nicht viel anderes denken können. Wer war dieses Mädchen, fragte er sich, die so nobel schien, und doch als Dienstmagd am Herzogshof arbeitete? Warum war sie so hastig vor ihm geflohen? Wie kam es, dass in all seinen Jahren, bei all den königlichen Damen, denen er begegnet war, diese die einzige war, die sein Herz berührt hatte?

Sein Leben lang von Adel umgeben, selbst der Sohn eines Königs, konnte Erec andere Adelige in einem Augenblick erkennen—und er spürte von dem Moment an, da er sie erspäht hatte, das sie von weitaus höherem Stand war als dem, den sie derzeit einnahm. Er brannte vor Neugier darauf, zu wissen, wer sie war, woher sie kam und was sie hier machte. Er brauchte eine weitere Gelegenheit, sie zu Gesicht zu bekommen, um zu sehen, ob er es sich eingebildet hatte, oder ob seine Gefühle gleichbleiben würden.

„Meine Diener berichten, dass sie in den Vororten der Stadt lebt“, erklärte der Herzog unterwegs. Während sie durch die Straßen zogen, öffneten die Leute auf allen Seiten die Fensterläden und blickten hinunter, erstaunt von der Anwesenheit des Herzogs und seines Gefolges in den Straßen des gemeinen Volkes.

„Scheinbar ist sie Dienstmagd bei einem Gastwirt. Niemand kennt ihren Ursprung, woher sie kommt. Man weiß nur, dass sie eines Tages in unsere Stadt kam und als Schuldmagd bei jenem Wirten anfing. Ihre Vergangenheit, so scheint es, ist ein Mysterium.“

Sie bogen in eine weitere Seitengasse, und die Pflastersteine unter ihnen wurden etwas unebener, die kleinen Behausungen rückten näher zusammen und wurden baufälliger, je weiter sie gingen. Der Herzog räusperte sich.

„Ich nahm sie als Dienstmagd für besondere Anlässe an den Hof auf. Sie ist ruhig, bleibt für sich. Niemand weiß viel über sie. Erec“, sagte der Herzog schließlich und legte Erec eine Hand auf den Arm, „seid Ihr Euch ganz sicher? Diese Frau, wer immer sie ist, ist nur ein gewöhnliches Weib. Ihr habt die Wahl unter allen Frauen des Königreichs.“

Erec blickte ihn mit der gleichen Intensität an.

„Ich muss dieses Mädchen wiedersehen. Mir ist egal, wer sie ist.“

Der Herzog schüttelte verständnislos den Kopf und sie alle zogen weiter, bogen in eine Straße nach der anderen, passierten gewundene, enge Gassen. Je weiter sie kamen, wurde dieser Teil von Savaria immer schäbiger, die Straßen mit Betrunkenen gefüllt, von Dreck gesäumt, voller Hühner und streunender Hunde. Sie passierten eine Taverne nach der anderen, und das Geschrei der Kundschaft war auf den Straßen zu hören. Mehrere Betrunkene stolperten vor ihnen her, und als die Nacht hereinbrach, wurden die Straßen mit Fackeln erleuchtet.

„Macht Platz für den Herzog!“, rief sein Oberdiener aus, eilte vor ihm her und schob Trunkenbolde zur Seite. Die gesamte Straße entlang wichen zwielichtige Gestalten zur Seite und sahen staunend zu, wie der Herzog mit Erec an seiner Seite vorbeizog.

Endlich erreichten sie ein kleines, bescheidenes Wirtshaus aus Stuck mit einem aufragenden Schindeldach. Es sah aus, als könnte es vielleicht 50 Gäste in der ebenerdigen Taverne fassen, mit ein paar Gästezimmern im oberen Stock. Die Vordertür hing schief in der Angel, ein Fenster war zerbrochen, die Lampe am Eingang hing schief und die Flamme darin flackerte aus Mangel an Wachs. Das Geschrei von Betrunkenen quoll aus den Fenstern hervor, während sie sich alle vor der Türe versammelten.

Wie konnte ein so feines Mädchen an solch einem Ort arbeiten?, wunderte sich Erec entsetzt, als er das Geschrei und Gegröle von drinnen hörte. Sein Herz brach beim Gedanken daran; an die Demütigungen, die sie an einem solchen Ort wohl erleiden musste. Es ist nicht gerecht, dachte er. Er fühlte sich fest entschlossen, sie vor all dem zu retten.

„Warum müsst Ihr nur an den schlimmstmöglichen Ort kommen, um eine Braut zu wählen?“, fragte der Herzog, an Erec gewandt.

Auch Brandt wandte sich an ihn.

„Letzte Chance, mein Freund“, sagte Bandt. „Hinter uns wartet eine ganze Burg voll königlicher Damen.“

Doch Erec schüttelte entschlossen den Kopf.

„Öffnet die Tür“, befahl er.

Ein Diener des Herzogs eilte vor und riss sie auf. Der Gestank von abgestandenem Bier wogte hervor und ließ ihn angewidert zurückschrecken.

Im Inneren hingen Betrunkene über dem Tresen, saßen an hölzernen Tischen, schrien übermäßig laut, lachten, spotteten und stießen einander herum. Es waren grobe Kerle, das konnte Erec auf den ersten Blick sehen, mit zu großen Bäuchen, unrasierten Wangen und ungewaschener Kleidung. Keiner von ihnen ein Krieger.

Erec machte mehrere Schritte hinein, den Raum nach ihr durchsuchend. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine Frau wie sie an so einem Ort arbeiten konnte. Er fragte sich, ob er vielleicht zur falschen Behausung gekommen war.

„Entschuldigt, mein Herr, ich bin auf der Suche nach einer Dame“, sagte Erec zu dem Mann, der neben ihm stand, hoch und breit, mit großem Bauch und unrasiertem Gesicht.

„Bist du das?“, rief der Mann spottend aus. „Nun, da bist du hier falsch! Dies ist kein Freudenhaus. Aber dort gegenüber ist eins—und wie ich höre, haben sie dort feine, runde Frauen!“

Der Mann lachte Erec übermäßig laut ins Gesicht, und einige seiner Kumpanen fielen mit ein.

„Es ist kein Freudenhaus, nach dem ich suche“, erwiderte Erec wenig belustigt, „sondern eine einzelne Frau; eine, die hier arbeitet.“

„Du meinst wohl das Dienstmädel des Wirten“, rief ein anderer aus, ein weiterer großer, betrunkener Mann. „Sie ist wahrscheinlich hinten irgendwo und schrubbt den Boden. Zu schade—ich wünschte, sie wäre hier oben, auf meinem Schoß!“

Die Männer brüllten vor Lachen los, überwältigt von ihren eigenen Witzen, und Erec lief beim Gedanken daran rot an. Er schämte sich für sie. Dafür, dass sie all diese Kerle bedienen musste—es war eine Erniedrigung, über die er gar nicht nachdenken wollte.

„Und du bist…?“, ertönte eine neue Stimme.

Ein Mann trat vor, noch breiter als die anderen, mit dunklem Bart und Augen, die Mundwinkel tief nach unten gezogen, einem breiten Kiefer, umringt von mehreren zwielichtigen Gesellen. Er hatte mehr Muskeln als Fett an sich, und er kam bedrohlich auf Erec zu, eindeutig sein Revier verteidigend.

„Versuchst du, mein Dienstmädel zu klauen?“, forderte er. „In dem Fall, raus mit dir!“

Er trat vor und packte nach Erec.

Doch Erec, von Jahren des Trainings abgehärtet, der größte Ritter des Königreichs, hatte Reflexe jenseits der Vorstellungskraft dieses Mannes. In dem Augenblick, als seine Hand Erec berührte, sprang er in Aktion, packte sein Handgelenk, wirbelte ihn blitzschnell herum, packte ihn am Hemdrücken und stieß ihn quer durch den Raum.

Der große Mann flog wie eine Kanonenkugel, und er riss mehrere Männer mit sich zu Boden, wo sie in der kleinen Stube allesamt mit einem Krachen wie Kegel aufschlugen.

Der ganze Raum verfiel in Schweigen, als jedermann stehen ließ, was er gerade tat, um zuzusehen.

„KÄMPFT! KÄMPFT!“, riefen die Männer im Chor.

Der Wirt stolperte verwirrt auf die Beine, dann ging er mit einem Schrei auf Erec los.

Diesmal wartete Erec nicht ab. Er trat vor, um seinem Angreifer entgegenzutreten, hob einen Arm und schlug dem Mann direkt mit dem Ellbogen ins Gesicht, was ihm die Nase brach.

Der Wirt stolperte zurück, dann brach er zusammen und landete mit dem Hintern auf dem Boden.

Erec trat vor, richtete ihn auf und hob ihn dann trotz seiner Größe hoch über seinen Kopf. Er machte mehrere Schritte und warf den Mann von sich, der durch die Luft flog und den halben Raum mit sich zu Boden riss.

Alle Männer im Raum standen wie angewurzelt, stellten ihren Sprechchor ein, wurden still, erkannten langsam, dass unter ihnen jemand Besonderer war. Der Barmann aber kam plötzlich mit einer hoch erhobenen Glasflasche auf ihn zugestürmt, die er auf Erec zielte.

Erec hatte damit gerechnet und seine Hand lag schon am Schwert—doch bevor Erec es ziehen konnte, trat sein Freund Brandt neben ihm hervor, zog einen Dolch von seinem Gürtel und hielt dem Barmann dessen Spitze an die Kehle.

Der Barmann lief geradewegs darauf zu und blieb wie angewurzelt stehen, als die Klinge kurz davor war, seine Haut zu durchstoßen. Er stand mit vor Angst weit aufgerissenen Augen da, schwitzte, die Flasche hing wie erstarrt in der Luft. Die Auseinandersetzung hatte den Raum so still werden lassen, dass man eine Stecknadel fallen hören konnte.

„Fallenlassen“, befahl Brandt.

Der Barmann tat es, und die Flasche zersprang am Boden.

Erec zog sein Schwert mit einem hellen, metallischen Klirren, ging auf den Wirten zu, der ächzend am Boden lag, und setzte es ihm an die Kehle.

„Ich werde dies nur einmal sagen“, verkündete Erec. „Schmeiß dieses gesamte Gesindel aus diesem Raum. Sofort. Ich verlange eine Audienz mit der Dame. Alleine.“

„Der Herzog!“, rief jemand aus.

Der ganze Raum drehte sich herum und erkannte endlich den Herzog, der von seinen Leuten flankiert am Eingang stand. Sie alle beeilten sich, ihre Kappen zu ziehen und ihre Köpfe zu beugen.

„Wenn der Raum nicht leer ist, wenn ich mit dem Sprechen fertig bin“, verkündete der Herzog, „werde ich jeden Einzelnen von euch hier umgehend einsperren lassen.“

Der Raum brach in Hektik aus, als alle Männer darin sich aufmachten, hinauszuhuschen, am Herzog vorbei und bei der Vordertür hinaus, ihre halbvollen Bierflaschen stehen lassend, wo sie waren.

„Und raus mit dir genauso“, sagte Brandt zum Barmann, senkte den Dolch, packte ihn am Haar und schob ihn durch die Tür hinaus.

Der Raum, in dem noch vor wenigen Augenblicken ein solch lärmendes Chaos geherrscht hatte, stand nun leer und still, mit Ausnahme von Erec, Brandt, dem Herzog und ein Dutzend seiner engsten Männer. Sie schlossen die Tür hinter sich mit einem heftigen Knall.

Erec wandte sich an den Wirten, der immer noch benommen am Boden saß und sich Blut von der Nase wischte. Erec packte ihn am Hemd, hob ihn mit beiden Händen hoch und setzte ihn auf eine der leerstehenden Bänke.

„Du hast mir das Geschäft für den ganzen Abend ruiniert“, beklagte sich der Wirt. „Dafür wirst du bezahlen.“

Der Herzog trat vor und zog ihm den Handrücken übers Gesicht.

„Ich kann dich dafür hinrichten lassen, dass du die Hand gegen diesen Mann erhoben hast“, schalt der Herzog. „Weißt du nicht, wer er ist? Dies ist Erec, der beste Ritter des Königs, der Kämpe der Silbernen. Wenn er so will, kann er dich selbst töten, jetzt gleich.“

Der Wirt blickte zu Erec hoch, und zum ersten Mal zog echte Angst über sein Gesicht. Er bebte nahezu auf seinem Sitz.

„Ich hatte keine Ahnung. Ihr habt Euch nicht angekündigt.“

„Wo ist sie?“, forderte Erec ungeduldig.

„Sie ist hinten und schrubbt die Küche. Was wollt Ihr von ihr? Hat sie etwas von Euch gestohlen? Sie ist nichts weiter als eine Schuldmagd, eine Dienerin.“

Erec zog seinen Dolch und hielt ihn dem Mann an die Kehle.

„Nenne sie noch einmal ‚Dienerin‘“, warnte Erec, „und du kannst dir sicher sein, ich schneide dir die Kehle durch. Verstehst du das?“, fragte er hart, während er die Klinge in die Haut des Mannes drückte.

Die Augen des Mannes füllten sich mit Tränen, und er nickte langsam.

„Bring sie her, und mach schnell“, befahl Erec und riss ihn auf die Beine, und versetzte ihm einen Stoß, der ihn quer durch den Raum schubste, auf die Hintertür zu.

Als der Wirt draußen war, hörte man das Klirren von Töpfen hinter der Tür, gedämpftes Schreien, und dann, wenige Augenblicke später, öffnete sich die Tür und heraus traten mehrere Frauen, in Lumpen, Kittel und Hauben gekleidet, von Küchenschmutz bedeckt. Es waren drei ältere Frauen um die sechzig, und für einen Moment fragte sich Erec, ob der Wirt wusste, von wem er gesprochen hatte.

Und dann trat sie heraus—und Erecs Herz blieb ihm in der Brust stehen.

Er konnte kaum atmen. Sie war es.

Sie trug eine Schürze, die mit Fettflecken übersät war, und hatte ihren Kopf tief gesenkt, zu beschämt, um hochzublicken. Ihr Haar war hochgebunden, von einem Tuch bedeckt, ihre Wangen klebten vor Dreck—und doch war Erec von ihr absolut hingerissen. Ihre Haut war so jung, so perfekt. Sie hatte hohe, feine Wangenknochen, eine kleine, sommersprossige Nase und volle Lippen. Sie hatte eine hohe, adelige Stirn, und ihr wunderschönes blondes Haar lugte unter der Haube hervor.

Sie blickte zu ihm hoch, nur einen kurzen Augenblick lang, und ihre großen, wunderschönen mandelgrünen Augen, die mit dem Licht die Farbe änderten, erst kristallblau und dann wieder zurück, fesselten ihn an Ort und Stelle. Er stellte überrascht fest, dass er jetzt sogar noch faszinierter von ihr war als zuvor, als er ihr zum ersten Mal begegnete.

Hinter ihr kam der Wirt hervor, mürrisch, immer noch Blut von seiner Nase wischend. Das Mädchen trat zaghaft vor, umringt von diesen älteren Damen, auf Erec zu und knickste, als sie nahe war. Erec erhob sich vor ihr, und einige Gefolgsleute des Herzogs taten es ihm nach.

„Mein Herr“, sagte sie mit sanfter, süßer Stimme, die Erecs Herz erfüllte. „Bitte sagt mir, was ich getan habe, um Euch zu kränken. Ich weiß nicht, was es ist, doch es tut mir leid; was immer ich getan habe, um das Erscheinen des Herzogshofs zu begründen.“

Erec lächelte. Ihre Worte, ihre Sprache, der Klang ihrer Stimme—all das erfrischte ihn. Er wollte nicht, dass sie je wieder zu sprechen aufhörte.

Erec hob seine Hand, um ihr Kinn zu berühren und es hochzuheben, bis ihre sanften Augen die seinen trafen. Sein Herz raste, als er ihr in die Augen blickte. Es war, als würde er im tiefblauen Meer versinken.

„Meine Dame, Ihr habt nichts Kränkendes getan. Ich glaube nicht, dass Ihr je in der Lage wärt, zu kränken. Ich komme nicht im Ärger—sondern aus Liebe. Seit ich Euch erblickte, konnte ich an nichts anderes mehr denken.“

Das Mädchen wirkte aus der Fassung gebracht, und sie ließ augenblicklich ihren Blick zu Boden sinken und blinzelte einige Male. Sie rang ihre Hände und sah nervös aus, überwältigt. Sie war eindeutig nicht an das hier gewöhnt.

„Ich bitte Euch, meine Dame. Verratet mir Euren Namen.“

„Alistair“, antwortete sie demütig.

„Alistair“, wiederholte Erec überwältigt. Es war der schönste Name, den er je vernommen hatte.

„Doch weiß ich nicht, was es Euch nützt, ihn zu kennen“, fügte sie leise hinzu, immer noch zu Boden blickend. „Ihr seid ein hoher Herr. Ich bin nichts als eine Dienstmagd.“

„Sie ist genauer gesagt meine Dienstmagd“, sagte der Wirt garstig, während er vortrat. „Sie steht in meiner Schuld. Sie hat vor Jahren den Vertrag unterschrieben. Für sieben Jahre hat sie sich verpflichtet. Im Gegenzug gebe ich ihr Kost und Logis. Sie ist im dritten Jahr. Ihr seht also, dies ist alles Zeitverschwendung. Sie gehört mir. Sie ist mein Eigentum. Die hier nehmt Ihr nicht mit. Sie gehört mir. Versteht Ihr das?“

Erec verspürte einen Hass auf diesen Wirten jenseits von allem, was er je für einen Menschen empfunden hatte. Er war beinahe geneigt, sein Schwert zu ziehen, ihn ins Herz zu stechen und es hinter sich zu bringen. Doch so sehr der Mann es auch vielleicht verdient hätte, wollte Erec nicht das Königliche Recht brechen. Immerhin sprachen seine Handlungen direkt für den König.

„Das Königliche Recht ist das Königliche Recht“, sagte Erec mit fester Stimme zu dem Mann. „Ich habe nicht vor, es zu brechen. Wie dem auch sei, morgen beginnen die Turniere. Und ich bin berechtigt, wie jeder Mann, mir eine Braut zu wählen. Und es soll hier und jetzt bekannt sein, dass ich Alistair wähle.“

Ein Raunen zog durch den Raum, während alle einander schockierte Blicke zuwarfen.

„Das heißt“, fügte Erec hinzu, „wenn sie zustimmt.“

Erec blickte mit pochendem Herzen zu Alistair, die ihr Gesicht weiter zu Boden gesenkt hielt. Er konnte sehen, wie sie errötete.

„Stimmt Ihr zu, meine Dame?“, fragte er.

Das Zimmer wurde still.

„Mein Herr“, sagte sie leise, „Ihr wisst nichts darüber, wer ich bin, woher ich komme, warum ich hier bin. Und ich fürchte, dies sind Dinge, die ich Euch nicht verraten kann.“

Erec starrte verwirrt zurück.

„Warum könnt Ihr mir das nicht sagen?“

„Ich habe niemandem davon erzählt, seit meiner Ankunft. Ich legte einen Eid ab.“

„Aber warum?“, drängte er, überaus neugierig.

Doch Alistair hielt nur ihr Gesicht gesenkt und schwieg.

„Es ist wahr“, fügte eine der Dienerinnen hinzu. „Die da hat uns nie erzählt, wer sie ist. Oder warum sie hier ist. Sie weigert sich. Wir versuchen es seit Jahren.“

Erec fand sie zutiefst rätselhaft—doch das machte sie nur umso geheimnisvoller.

„Wenn ich nicht wissen darf, wer Ihr seid, so sei es“, sagte Erec. „Ich respektiere Euren Eid. Doch das wird meine Zuneigung zu Euch nicht ändern. Meine Dame, wer immer Ihr seid, sollte ich dieses Turnier gewinnen, so werde ich Euch als meinen Preis wählen. Euch, aus allen Frauen in diesem gesamten Königreich. Ich frage Euch erneut: stimmt Ihr zu?“

Alistair hielt ihren Blick fest zu Boden gerichtet, und Erec sah, wie Tränen über ihre Wangen strömten.

Plötzlich kehrte sie um und rannte aus dem Zimmer hinaus, die Tür hinter sich zuziehend.

Erec stand mit den anderen in verdutztem Schweigen. Er wusste kaum, wie er ihre Reaktion messen sollte.

„Ihr seht also, Ihr verschwendet Eure Zeit, und meine“, sagte der Wirt. „Sie hat Nein gesagt. Also fort mit Euch.“

Erec verzog das Gesicht.

„Sie hat nicht Nein gesagt“, warf Brandt ein. „Sie hat gar nicht geantwortet.“

„Es steht ihr zu, sich Zeit zu nehmen“, sagte Erec zu ihrer Verteidigung. „Immerhin gibt es einiges zu überlegen. Sie kennt mich ebenso wenig.“

Erec stand da und überlegte hin und her, was er tun sollte.

„Ich werde die Nacht hier verbringen“, verkündete Erec schließlich. „Du wirst mir hier ein Zimmer geben, am anderen Ende von ihrem Flur. Am Morgen, bevor das Turnier beginnt, werde ich sie erneut fragen. Wenn sie zustimmt, und wenn ich gewinne, soll sie meine Braut sein. Wenn dies geschieht, werde ich sie aus ihrer Schuld bei dir freikaufen, und sie wird diesen Ort mit mir verlassen.“

Dem Wirten war es deutlich zuwider, Erec unter seinem Dach zu haben, doch er wagte nicht, zu widersprechen; so stürmte er aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

„Seid Ihr sicher, dass Ihr hierzubleiben wünscht?“, fragte der Herzog. „Kommt doch mit uns zurück zur Burg.“

Erec nickte ernsthaft.

„Ich bin mir noch nie in meinem Leben einer Sache so sicher gewesen.“




KAPITEL ACHT


Thor stürzte durch die Luft und landete kopfüber in den stürmischen Fluten der Feuersee. Er tauchte ein und sank tiefer, und stellte überrascht fest, dass das Wasser heiß war.

Unter der Oberfläche öffnete Thor kurz die Augen—und wünschte, er hätte es nicht getan. Er bekam einen kurzen Blick auf alle Arten von fremden und hässlichen Meeresbewohnern, klein und groß, mit ungewöhnlichen und grotesken Gesichtern. Dieser Ozean wimmelte vor ihnen. Er betete, dass sie ihn nicht angreifen würden, bevor er sich auf das Ruderboot in Sicherheit bringen konnte.

Thor tauchte nach Luft schnappend auf und fing sofort an, nach dem ertrinkenden Jungen zu suchen. Er bemerkte ihn gerade rechtzeitig: er zappelte mit den Armen, ging unter, und in nur wenigen weiteren Sekunden würde er mit Sicherheit ertrunken sein.

Thor fasste um ihn herum, packte ihn am Schlüsselbein und fing an, mit ihm zu schwimmen, darauf achtend, ihrer beider Köpfe über dem Wasser zu halten. Thor hörte ein Jaulen und Winseln und sah schockiert Krohn hinter sich auf sie zukommen: er musste ihm ins Wasser nachgesprungen sein. Der Leopard paddelte auf Thor zu und winselte. Thor fühlte sich furchtbar, Krohn so in Gefahr zu sehen—doch seine Hände waren voll und es gab nicht viel, was er tun konnte.

Thor versuchte, sich nicht umzusehen, nicht auf das wallende rote Wasser zu achten oder auf die merkwürdigen Kreaturen, die um ihn herum auftauchten und wieder verschwanden. Eine hässlich aussehende Kreatur, violett mit vier Armen und zwei Köpfen, tauchte in der Nähe auf, fauchte ihn an und tauchte dann unter; Thor zuckte zusammen.

Er sah sich um und entdeckte das Ruderboot etwa zwanzig Schritt weit entfernt, und schwamm hektisch darauf zu, mit einem Arm und beiden Beinen, während er den Jungen mit sich zog. Der Junge zappelte und schrie, leistete Widerstand, und Thor fürchtete, er würde ihn mit sich mit in die Tiefe reißen.

„Halt still!“, schrie Thor unwirsch und hoffte, der Junge würde auf ihn hören.

Endlich tat er das auch. Thor war kurz erleichtert—bis er ein Platschen neben sich hörte und zur anderen Seite blickte: direkt neben ihm tauchte eine weitere Kreatur auf, klein mit gelbem Kopf und vier Tentakeln. Sie hatte einen kantigen Kopf und schwamm knurrend und zitternd auf ihn zu. Sie sah aus wie eine Klapperschlange, die im Meer lebt, nur dass ihr Kopf zu eckig war. Thor verkrampfte sich, als sie näherkam, und rechnete fest damit, gebissen zu werden—doch dann riss sie plötzlich ihr Maul weit auf und spuckte ihm Meerwasser entgegen. Thor blinzelte und versuchte, es aus den Augen zu bekommen.

Die Kreatur umkreiste sie schwimmend, wieder und wieder, und Thor verdoppelte seine Mühen, schwamm schneller, versuchte, zu entkommen.

Thor kam gut voran, war dem Boot schon näher, als plötzlich eine weitere Kreatur auf seiner anderen Seite auftauchte. Sie war lang, schmal und orange, mit zwei Klauen am Maul und dutzenden kleiner Beine. Sie hatte auch einen langen Schwanz, den sie in alle Richtungen peitschte. Sie ähnelte einem aufrecht stehenden Hummer. Sie flitzte wie ein Wasserläufer auf der Wasseroberfläche herum und summte immer näher auf Thor zu, drehte sich zur Seite und peitschte mit ihrem Schwanz. Der Schwanz traf Thor am Arm und der Stich ließ ihn vor Schmerz aufschreien.

Die Kreatur summte hin und her, griff wieder und wieder an. Thor wünschte, er könnte sein Schwert ziehen und sie angreifen—doch er hatte nur eine Hand frei, und die brauchte er zum Schwimmen.

Krohn, der neben ihm schwamm, drehte sich herum und knurrte die Kreatur an, ein haarsträubender Laut, und als Krohn furchtlos auf sie zuschwamm, bekam das Biest Angst und verschwand unter der Wasseroberfläche. Thor seufzte erleichtert auf—bis die Kreatur plötzlich auf seiner anderen Seite wieder auftauchte und erneut auf ihn losging. Krohn drehte sich nach ihr um und jagte sie herum, versuchte, sie zu fangen, schnappte mit seinen Kiefern nach ihr, und verfehlte sie immer wieder.

Thor schwamm um sein Leben, wohl wissend, dass der einzige Weg aus diesem Schlamassel war, diesem Meer zu entkommen. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der er fester schwamm als je zuvor in seinem Leben, war er dem Ruderboot nahe, das heftig zwischen den Wellen schaukelte. Als er ankam, erwarteten ihn dort zwei Legionäre, um ihm zu helfen; ältere Jungen, die sonst nie mit Thor und seinen Klassenkameraden sprachen. Immerhin lehnten sie sich nun herunter und streckten ihm eine helfende Hand aus.

Thor half zuerst, den Jungen aufs Boot zu hieven. Die älteren Jungen packten ihn an den Armen und zerrten ihn ins Boot.

Dann packte Thor Krohn um den Bauch und warf ihm aus dem Wasser hoch und in das Boot. Krohn rutschte und schabte auf allen vier Pfoten über die Holzplanken, klatschnass und zitternd. Er schlitterte über den nassen Boden quer durchs Boot. Dann sprang er sofort wieder hoch, kehrte um und rannte zurück an die Kante, auf der Suche nach Thor. Dort stand er, blickte suchend aufs Wasser hinunter und winselte.

Thor streckte die Hand aus und ergriff die Hand eines der Jungen, und zog sich gerade selbst aufs Boot, als er plötzlich spürte, wie sich etwas Starkes und Muskulöses um seinen Fuß und seine Schenkel wickelte. Er blickte nach unten, und sein Herz erstarrte, als er eine giftgrüne, tintenfischartige Kreatur sah, die einen Tentakel um sein Bein schlang.

Thor schrie vor Schmerz auf, als er Stacheln spürte, die sich in sein Fleisch bohrten.

Thor wurde klar, dass bald etwas geschehen musste, oder er war erledigt. Mit seiner freien Hand griff er an seinen Gürtel, zog einen kleinen Dolch, lehnte sich vor und schnitt nach dem Tentakel. Doch der Tentakel war so dick, dass der Dolch ihn nicht einmal durchstoßen konnte.

Es machte das Vieh wütend. Plötzlich kam der Kopf der Kreatur an die Oberfläche—grün, augenlos, mit zwei Kiefern übereinander an seinem langen Hals—riss Reihen an rasiermesserscharfen Zähnen auseinander und ging auf Thor los. Thor spürte, wie ihm das Blut im Bein abgeschnitten wurde, und wusste, er musste schnell handeln. Trotz der Bemühungen des älteren Jungen, ihn festzuhalten, rutschte Thors Griff und er sank zurück ins Wasser.

Krohn jaulte und jaulte, sein Fell sträubte sich, und er beugte sich vor, als würde er ins Wasser springen wollen. Doch sogar Krohn musste eingesehen haben, dass es zwecklos sein würde, dieses Ding anzugreifen.

Einer der älteren Jungen trat vor und schrie:

„DUCK DICH!“

Thor zog den Kopf ein, und der Junge warf einen Speer. Er zischte durch die Luft, doch verfehlte, flog harmlos vorbei und versank im Wasser. Die Kreatur war zu schmal und zu schnell.

Plötzlich sprang Krohn vom Boot und zurück ins Wasser, und landete mit offenem Maul und gefletschten scharfen Zähnen am Hals der Kreatur. Krohn packte zu und schwang die Kreatur von einer Seite auf die andere, ohne loszulassen.

Doch es war ein verlorener Kampf: die Haut der Kreatur war zu zäh, und sie war zu kräftig. Die Kreatur schleuderte Krohn von einer Seite zur anderen, bevor sie ihn schließlich ins Wasser beförderte. Inzwischen zog sich ihr Griff um Thors Bein fester; es war wie ein Schraubstock, und Thor fühlte, wie er an Sauerstoff verlor. Die Tentakel brannten so schlimm, dass es sich für Thor anfühlte, als würde sein Bein gleich vom Körper gerissen werden.

In einem letzten, verzweifelten Versuch ließ Thor die Hand des Jungen los und nutzte den Schwung, um nach dem Schwert an seinem Gürtel zu greifen.

Doch er bekam es nicht rechtzeitig zu fassen; er rutschte aus, wirbelte herum und fiel mit dem Gesicht voran ins Wasser.

Thor spürte, wie er davongeschleppt wurde, weg vom Boot, von der Kreatur ins Meer hinausgezogen. Sie schleppte ihn rückwärts, schneller und schneller, und während er hilflos um sich herum griff, musste er zusehen, wie das Ruderboot vor ihm verschwand. Das Nächste, was er mitbekam, war, dass er hinunter unter die Wasseroberfläche gezogen wurde, hinunter in die Tiefen der Feuersee.




KAPITEL NEUN


Gwendolyn rannte auf die offene Wiese, ihr Vater, König MacGil, neben ihr. Sie war klein, vielleicht zehn Jahre alt, und auch ihr Vater war viel jünger. Sein Bart war kurz, zeigte noch keine Anzeichen des Grau, das er später in seinem Leben tragen würde, und seine Haut war frei von Falten, jugendhaft, strahlend. Er war glücklich, sorglos, und lachte unbeschwert, während er sie an der Hand hielt und mit ihr durch die Wiese lief. Dies war der Vater, den sie in Erinnerung hatte; der Vater, den sie kannte.

Er hob sie hoch und warf sie sich über die Schulter, wirbelte sie herum, lachte immer lauter, und sie kicherte hysterisch. Sie fühlte sich in seinen Armen so sicher, und sie wollte, dass diese Zeit zusammen nie enden würde.

Doch als ihr Vater sie wieder absetzte, passierte etwas Seltsames. Urplötzlich legte sich die Dämmerung über den sonnigen Nachmittag. Als Gwens Füße den Boden berührten, standen sie nicht länger in Wiesenblumen, sondern steckten bis zu den Knöcheln in Schlamm. Ihr Vater lag nun ein paar Fuß von ihr entfernt auf seinem Rücken im Schlamm—und war älter, viel älter, zu alt—und er steckte fest. Noch weiter entfernt lag seine Krone im Schlamm und funkelte.

„Gwendolyn“, ächzte er. „Meine Tochter. Hilf mir.“

Er hob eine Hand aus dem Schlamm hoch und streckte sie verzweifelt nach ihr aus.

Sie wurde überwältigt von dem Drang, ihm zu helfen, und sie versuchte, zu ihm zu gelangen und seine Hand zu fassen. Doch ihre Füße rührten sich nicht. Sie blickte hinunter und sah, wie der Schlamm um sie herum fest wurde, trocknete, Risse bildete. Sie zappelte und strampelte und versuchte, freizukommen.

Gwen blinzelte und stand plötzlich auf der Brüstung der Burg, auf Königshof hinunterblickend. Etwas stimmte nicht: unter ihr sah sie nicht die übliche Pracht und Festlichkeit, sondern einen ausgedehnten Friedhof. Wo einst der strahlende Glanz von Königshof lag, erstreckten sich nun frische Gräber, so weit das Auge reichte.

Sie hörte das Schlurfen von Füßen, und ihr Herz blieb stehen, als sie sich umdrehte und einen Attentäter, in einen schwarzen Umhang mit Kapuze gehüllt, auf sie zukommen sah. Er lief auf sie zu, zog die Kapuze vom Kopf und enthüllte ein groteskes Gesicht mit einem fehlenden Auge, eine dicke, gezackte Narbe über der Augenhöhle. Er knurrte, hob die Hand und erhob einen glänzenden Dolch, dessen Griff rot leuchtete.

Er bewegte sich zu schnell, und sie konnte nicht rechtzeitig reagieren. Sie machte sich gefasst; wusste, dass sie sogleich getötet werden würde, wenn er den Dolch mit ganzer Kraft auf sie niedersausen ließ.

Er hielt plötzlich inne, nur wenige Fingerbreit von ihrem Gesicht entfernt, und sie öffnete die Augen und sah ihren Vater da stehen, als Leichnam, der den Arm des Mannes in der Luft gefangen hielt. Er drückte die Hand des Mannes zusammen, bis er den Dolch fallen ließ, dann hob er ihn über die Schultern und warf ihn von der Brüstung. Gwen hörte ihn schreien, als er über die Kante in die Tiefe stürzte.

Ihr Vater drehte sich zu ihr um und starrte sie an; er packte sie fest mit seinen verwesenden Händen an den Schultern und hatte einen gestrengen Ausdruck auf dem Gesicht.

„Es ist hier nicht sicher für dich“, warnte er. „Du bist nicht sicher!“, schrie er, und seine Finger gruben sich viel zu fest in ihre Schultern, und sie schrie auf.

Schreiend wachte Gwen auf. Sie saß schnurgerade im Bett und blickte sich in ihrem Gemach um, überall einen Angreifer vermutend.

Doch ihr begegnete nichts als Stille—die schwere, starre Stille vor dem Morgengrauen.

Schweißgebadet und keuchend sprang sie vom Bett, in ihr spitzenbesetztes Nachtgewand gehüllt, und schritt im Zimmer umher. Sie eilte zum kleinen Steinbecken hinüber und klatschte sich Wasser ins Gesicht, wieder und wieder. Sie lehnte sich gegen die Wand, spürte den kalten Stein unter ihren nackten Füßen an diesem warmen Sommermorgen, und versuchte, sich zusammenzunehmen.

Der Traum hatte sich allzu echt angefühlt. Sie spürte, dass es mehr war als nur ein Traum—eine aufrichtige Warnung ihres Vaters, eine Botschaft. Sie verspürte den Drang, Königshof zu verlassen, jetzt gleich, und niemals zurückzukehren.

Sie wusste, dass dies etwas war, was sie nicht tun konnte. Sie musste sich zusammenreißen, ihre Gedanken sammeln. Doch mit jedem Blinzeln sah sie das Gesicht ihres Vaters, spürte seine Warnung. Sie musste etwas unternehmen, um den Traum abzuschütteln.

Gwen blickte hinaus und sah gerade die erste Sonne aufsteigen, und dann fiel ihr der einzige Ort ein, der ihr helfen konnte, ihre Fassung zurückzuerlangen. Der Königsfluss. Ja, dort musste sie hin.

*

Gwendolyn tauchte wieder und wieder in die eiskalten Fluten des Königsflusses, hielt sich die Nase zu und duckte ihren Kopf unter Wasser. Sie saß in dem kleinen, natürlichen Becken, das sich in den Felsen geformt hatte und in den oberen Quellen versteckt lag, und das sie als Kind gefunden und seither oft besucht hatte. Sie hielt ihren Kopf unter Wasser und verweite dort, fühlte den kühlen Strom durch ihr Haar fließen, über ihre Kopfhaut, spürte, wie das Wasser ihren nackten Körper umspülte und reinigte.

Sie hatte diese verborgene Stelle eines Tages inmitten einer Ansammlung von Bäumen hoch oben am Berg versteckt gefunden; eine kleine Flachstelle, wo der Strom des Flusses sich verlangsamte und ein Becken gebildet hatte, das tief und still war. Über ihr rann der Fluss herein, und unter ihr rann er weiter hinunter—doch hier auf diesem Plateau war nur eine ganz schwache Strömung im Wasser. Das Becken war tief, die Felsen glatt, und der Ort so gut versteckt, dass sie unbeschwert nackt baden konnte. Sie kam im Sommer fast jeden Morgen hierher, wenn die Sonne aufging, um ihren Kopf freizubekommen. Besonders an Tagen wie heute, wenn sie wie so oft von Träumen geplagt war, war es ihr liebster Zufluchtsort.

Es war so schwer für Gwen, zu wissen, ob es nur ein Traum war oder etwas mehr. Woher konnte sie wissen, wann ein Traum eine Botschaft war, ein Omen? Woher wissen, ob es nur ihr Verstand war, der ihr einen Streich spielte, oder ob ihr eine Chance gegeben wurde, zu handeln?

Gwendolyn tauchte nach Luft auf, atmete den warmen Sommermorgen ein, hörte die Vögel um sie herum in den Bäumen zwitschern. Sie lehnte sich gegen den Felsen zurück, ihr Körper bis zum Hals eingetaucht, und saß auf einem natürlichen Vorsprung im Wasser und dachte nach. Sie hob die Hände und klatschte sich Wasser ins Gesicht, dann ließ sie die Finger durch ihr langes, rotblondes Haar gleiten. Sie blickte auf die kristallklare Wasseroberfläche hinunter, in der sich der Himmel spiegelte und die zweite Sonne, die bereits langsam aufstieg, die Bäume, die sich über das Becken bogen, sowie ihr eigenes Gesicht. Ihre mandelförmigen Augen, leuchtend blau, blickten sie aus ihrem von Wellen bewegten Spiegelbild heraus an. Sie konnte etwas von ihrem Vater in ihnen erkennen. Sie wandte sich ab und dachte weiter über ihren Traum nach.

Sie wusste, es war gefährlich für sie, nach der Ermordung ihres Vaters in Königshof zu bleiben, mit all den Spionen und Intrigen—und besonders mit Gareth als König. Ihr Bruder war unberechenbar. Rachsüchtig. Paranoid. Und sehr, sehr eifersüchtig. Er sah jeden als Bedrohung an—sie ganz besonders. Es konnte alles passieren. Sie wusste, dass sie hier nicht sicher war. Niemand war das.

Doch sie war nicht jemand, der davonlief. Sie brauchte Gewissheit darüber, wer der Mörder ihres Vaters war, und wenn es Gareth war, konnte sie nicht davonlaufen, bevor nicht der Gerechtigkeit Genüge getan war. Sie wusste, dass der Geist ihres Vaters nicht ruhen würde, bis derjenige erwischt war, der ihn ermordet hatte. Gerechtigkeit war sein Leben lang sein Motto gewesen, und gerade er hatte es verdient, sie selbst in seinem Tod zu erfahren.

Gwen dachte wieder an ihre und Godfreys Begegnung mit Steffen. Sie war sich sicher, dass Steffen etwas verbarg und fragte sich, was es war. Ein Teil von ihr fühlte, dass er sich mit der Zeit von selbst öffnen würde. Doch was, wenn er das nicht tat? Sie verspürte einen Drang, den Mörder ihres Vaters zu finden—doch sie wusste nicht, wo sie noch suchen sollte.

Schließlich erhob sich Gwendolyn von ihrem Sitz unter dem Wasser, kletterte nackt ans Ufer, zitterte in der Morgenluft, versteckte sich hinter einem dicken Baum und holte ihr Handtuch von einem Ast, wie sie es immer tat.

Doch als sie sich danach ausstreckte, stellte sie mit Schrecken fest, dass ihr Handtuch nicht da war. Nackt und nass stand sie da und verstand nicht, was vor sich ging. Sie war sich sicher, dass sie es dort aufgehängt hatte, so wie immer.

Als sie verdutzt und zitternd dastand und versuchte, zu begreifen, was passiert war, spürte sie eine Bewegung hinter sich. Es ging so schnell—ein Huschen—und einen Augenblick später stellte sie mit stockendem Herzen fest, dass ein Mann hinter ihr stand.

Alles ging zu schnell. In wenigen Sekunden war der Mann, der wie in ihrem Traum in einen schwarzen Umhang mit Kapuze gehüllt war, hinter ihr. Er packte sie von hinten, streckte eine knochige Hand aus und hielt ihr damit den Mund zu, ihre Schreie erstickend, während er sie festhielt. Mit der anderen Hand fasste er um ihre Mitte, zog sie an sich heran und hob sie vom Boden hoch.

Sie trat in die Luft und versuchte zu schreien, bis er sie absetzte, weiterhin fest in seinem Griff. Sie versuchte, aus seiner Umklammerung freizukommen, doch er war zu stark. Er holte aus und Gwen sah, dass er einen Dolch mit einem leuchtend roten Griff hielt—derselbe wie in ihrem Traum. Es war also doch eine Warnung gewesen.

Sie spürte, wie die Klinge gegen ihre Kehle gepresst wurde, und er hielt sie so fest, dass jede Bewegung in alle Richtungen einen Schnitt durch den Hals zur Folge haben würde. Tränen flossen über ihre Wangen, während ihr das Atmen schwer fiel. Sie war so wütend auf sich selbst. Sie war so dumm gewesen. Sie hätte achtsamer sein sollen.

„Erkennst du mein Gesicht?“, fragte er.

Er lehnte sich vorwärts, und sie konnte seinen heißen, schrecklichen Atem auf ihrer Wange spüren und sah sein Gesicht. Ihr Herz blieb stehen—es war der gleiche Mann wie in ihrem Traum, der Mann mit dem fehlenden Auge und der Narbe.

„Ja“, antwortete sie mit zitternder Stimme.

Es war ein Gesicht, das sie nur zu gut kannte. Sie kannte seinen Namen nicht, doch sie wusste, dass er ein Vollstrecker war. Ein niederträchtiger Kerl, einer von mehreren, die sich um Gareth herum scharten, seit er ein Kind war. Er war Gareths Bote. Gareth schickte ihn zu jedem, dem er einen Schrecken einjagen wollte—oder ihn foltern oder töten.

„Du bist der Köter meines Bruders“, zischte sie ihn trotzig an.

Er lächelte und entblößte seine Zahnlücken.

„Ich bin sein Bote“, sagte er. „Und meine Botschaft kommt mit einer besonderen Waffe, damit du dich leichter daran erinnerst. Seine Botschaft an dich heute ist, dass du aufhören sollst, Fragen zu stellen. Du wirst sie besonders gut lernen, denn wenn ich mit dir fertig bin, wird die Narbe, die ich auf deinem Gesicht hinterlasse, dich dein ganzes Leben lang daran erinnern.“

Er schnaubte, dann hob er das Messer hoch und begann, es auf ihr Gesicht zuzuführen.

„NEIN!“, kreischte Gwen.

Sie machte sich gefasst auf den lebensverändernden Schnitt.

Doch als die Klinge niederfuhr, passierte etwas. Plötzlich krächzte ein Vogel, stürzte vom Himmel herunter und flog direkt auf den Mann zu. Sie blickte hoch und erkannte ihn im letzten Augenblick.

Estopheles.

Sie schwang sich Krallen voran herunter und zerkratzte dem Mann das Gesicht, als er den Dolch abwärts zog.

Die Klinge hatte gerade begonnen, Gwens Wange mit einem schmerzhaften Stechen aufzuschlitzen, als sich plötzlich ihre Richtung änderte; der Mann schrie auf, ließ die Klinge fallen und hob die Arme. Gwen sah ein weißes Licht im Himmel aufblitzen, die Sonne hinter den Ästen hervorscheinen, und als Estopheles davonflog, wusste sie, wusste es einfach, dass ihr Vater den Falken geschickt hatte.

Sie verschwendete keine Zeit. Sie wirbelte herum, holte aus, und wie ihre Lehrer ihr beigebracht hatten, trat sie dem Mann kräftig in die Magengrube, mit ihrem nackten Fuß perfekt ins Ziel treffend. Er kippte um, erfuhr die Kraft ihrer Beine, als sie ihren Tritt direkt durch ihn sandte. Es war ihr von klein auf eingebläut worden, dass sie nicht stark sein musste, um einen Angreifer abzuwehren. Sie musste nur ihre stärksten Muskeln einsetzen—ihre Schenkel. Und genau zielen.





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FESTMAHL DER DRACHEN (Band 3 im Ring der Zauberei) entführt uns tiefer in Thors epische Reise auf dem Weg, ein Krieger zu werden, als er über die Feuersee reist, um die Insel der Nebel zu erreichen, die den Drachen gehört. An diesem gnadenlosen Ort, Heimat der höchsten Elite an Kriegern auf der Welt, werden Thors Kräfte und Fertigkeiten während seiner Ausbildung noch vertieft. Auch seine Freundschaften vertiefen sich, während sie zusammen Widrigkeiten trotzen, die weit über ihre Vorstellungskraft hinausgehen. Doch während sie sich unvorstellbaren Monstern gegenüber sehen, wandeln sich die Hundert schnell von einer Trainingsübung in eine Angelegenheit von Leben und Tod. Nicht alle werden überleben. Unterwegs werden Thors Träume, zusammen mit seinen rätselhaften Begegnungen mit Argon, ihn weiterhin plagen – ihn dazu drängen, mehr darüber zu erfahren, wer er ist; wer seine Mutter ist; und was die Quelle seiner Kräfte ist. Was ist sein Schicksal? Zuhause im Ring wird alles immer schlimmer. Während Kendrick eingekerkert wird, findet Gwendolyn sich damit betraut, ihn zu retten – den Ring zu retten, indem sie ihren Bruder Gareth stürtzt. Gemeinsam mit ihrem Bruder Godfrey jagt sie nach Hinweisen zum Mörder ihres Vaters, und unterwegs kommen sich die beiden viel näher, verbunden in ihrer Aufgabe. Doch Gwendolyn findet sich in tödlicher Gefahr wieder, als sie zu tief nachbohrt, und es kann sein, dass die Sache ihr über den Kopf wächst.

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