Книга - Queste der Helden

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Queste der Helden
Morgan Rice


Ring der Zauberei #1
Nach einigen Nr. 1-Bestsellern pr sentiert Morgan Rice das Deb t einer bezaubernden neuen Fantasy-Serie. QUESTE DER HELDEN ist die epische Geschichte vom Erwachsenwerden eines besonderen Jungen, einem 14-jährigen aus einem kleinen Dorf am Rande des Königreichs des Rings. Thorgrin, dass er anders ist als die anderen. Er träumt davon, ein großer Krieger zu werden, sich des Königs Mannen anzuschließen und den Ring vor den Horden der Kreaturen auf der anderen Seite des Canyon zu beschützen. Als er das Kriegeralter erreicht und sein Vater es ihm nicht erlaubt, der Legion des Königs beizutreten, akzeptiert er kein Nein: er reist auf eigene Faust los, fest entschlossen, sich seinen Weg nach K nigshof zu bahnen und ernstgenommen zu werden. Thorgrin entdeckt, dass er mysteriöse Kräfte besitzt, die er nicht versteht; dass er eine besondere Gabe hat, und ein besonderes Schicksal. Er verliebt sich aussichtslos in die Tochter des Königs, und während ihre verbotene Romanze erblüht, muss er erfahren, dass er mächtige Rivalen hat. Mit seinen fein ausgearbeiteten Welten und Charakteren ist QUESTE DER HELDEN eine epische Saga von Freundschaft und Liebe, von Rivalen und Verehrern, von Rittern und Drachen, von Intrigen und politischen Machenschaften, vom Erwachsenwerden, von gebrochenen Herzen, von Täuschung, Ehrgeiz und Verrat. Es ist eine Phantasiegeschichte, die uns in eine Welt entführt, die wir nie vergessen werden, und die Leser jeden Alters und Geschlechts begeistern wird.







QUESTE DER HELDEN



(Band 1 im Ring der Zauberei)



Morgan Rice


Über Morgan Rice



Morgan Rice schrieb die Nr. 1 Bestseller-Serie THE VAMPIRE JOURNALS, eine achtteiligen Serie für Jugendliche, die bisher in sechs Sprachen übersetzt wurde und teilweise auch in Deutsch erhältlich ist.

Morgan schrieb auch den Nr. 1 Bestseller THE VAMPIRE LEGACY, eine Serie für Jugendliche, von der bisher zwei Bücher erschienen sind.

Morgan Rice schrieb auch die Nr. 1 Bestseller ARENA ONE und ARENA TWO, die ersten beiden Titel der post-apokalyptischen SURVIVAL Action-Thriller-Trilogie, die in der Zukunft angesiedelt ist.

Morgan schrieb auch die Nr. 1 Bestseller Fantasy-Serie DER RING DER ZAUBEREI, die bisher aus zehn Bänden besteht und teilweise auch in Deutsch erschienen ist.

Alle Bücher von Morgan Rice werden demnächst in deutscher Sprache erhältlich sein.

Bitte besuchen Sie auch www.morganricebooks.com. Morgan freut sich auf Ihren Besuch.


Ausgewählte Kommentare zu Morgan Rice



„Packte meine Aufmerksamkeit von Anfang an und ließ nicht locker... diese Geschichte ist ein fantastisches Abenteuer, von Beginn an rasant und actionreich. Es ist kein langweiliger Moment darin zu finden.“

--Paranormal Romance Guild {über Turned- Verwandelt}



„Eine ideale Geschichte für junge Leser. Morgan Rice leistet gute Arbeit, eine interessante Wendung herauszuarbeiten...erfrischend und ungewöhnlich, mit allen klassischen Elementen, die in vielen Serien paranormaler Geschichten für Jugendliche zu finden sind. Einfach zu lesen, doch extrem rasant...empfehlenswert für alle, die gerne paranormale Soft-Romanzen lesen. Bedingt jugendfrei.“

--The Romance Reviews (über Turned - Verwandelt)



„Vollgepackt mit Action, Romantik, Abenteuer und Spannung. Lasst es euch nicht entgehen, und verliebt euch ganz von Neuem.“

--vampirebooksite.com (über Turned - Verwandelt)



„Eine tolle Geschichte, und vor allem die Art von Buch, die man nachts nicht weglegen kann. Das Ende war ein Cliffhanger, der so spektakulär war, dass man sofort das nächste Buch kaufen möchte, nur um herauszufinden, wie es weitergeht.“

--The Dallas Examiner {über Loved - Geliebt}



„Morgan Rice erweist sich erneut als äußerst talentierte Geschichtenerzählerin...Dies wird eine große Bandbreite an Lesern ansprechen, darunter die jüngeren Fans des Vampir/Fantasy-Genres. Das Ende ist ein unerwarteter Cliffhanger, der schockieren wird.“

--The Romance Reviews (über Loved - Geliebt)


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Bücher von Morgan Rice



auf Deutsch erschienen

DER RING DER ZAUBEREI

QUESTE DER HELDEN (Band 1)



schon bald auf Deutsch erhältlich

A MARCH OF KINGS - MARSCH DER KÖNIGE (Band 2)

A FEAST OF DRAGONS - FESTMAHL DER DRACHEN (Band 3)

A CLASH OF HONOR - KAMPF DER EHRE (Band 4)

A VOW OF GLORY - SCHWUR DES RUHMS (Band 5)

A CHARGE OF VALOR - ANGRIFF DER TAPFERKEIT (Band 4)

A RITE OF SWORDS - RITUS DER SCHWERTER (Band 7)

A GRANT OF ARMS - GEWÄHR DER WAFFEN (Band 8)

A SKY OF SPELLS - HIMMEL DER ZAUBER (Band 9)

A SEA OF SHIELDS - MEER DER SCHILDE (Band 10)



schon bald auf Deutsch erhältlich

THE SURVIVAL TRILOGY

ARENA ONE: SLAVERUNNERS (Band 1)

ARENA TWO (Band 2)



auf Deutsch erschienen

THE VAMPIRE JOURNALS -

VERWANDELT (Band 1)

GELIEBT (Band 2)



schon bald auf Deutsch erhältlich

BETRAYED (Band 3)

DESTINED (Band 4)

DESIRED (Band 5)

BETROTHED (Band 6)

VOWED (Band 7)

FOUND (Band 8)

RESURRECTED (Band 9)

CRAVED (Band 10)


Copyright © 2013 Morgan Rice



Alle Rechte vorbehalten. Mit den im U.S. Copyright Act von 1976 erlaubten Ausnahmen ist es nicht gestattet, jeglichen Teil dieser Publikation in jeglicher Form oder über jegliche Mittel ohne die vorherige Erlaubnis des Autors zu vervielfältigen, verteilen oder übertragen, oder in einer Datenbank oder einem Abrufsystem zu speichern.



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Diese Geschichte ist frei erfunden. Namen, Figuren, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder ein Produkt der Phantasie des Autors oder werden im fiktionalen Sinne verwendet. Jegliche Ähnlichkeit mit existierenden Personen, tot oder lebendig, ist rein zufällig.


KAPITEL EINS (#u9f9b60e9-be82-55b0-b25a-e6d162b9a7e0)

KAPITEL ZWEI (#u19447842-a643-5f00-9a59-abcf8912d366)

KAPITEL DREI (#u88f934a7-b9c3-5bd4-9097-d7b61622f28a)

KAPITEL VIER (#u15d4bf28-50c4-5dcc-85da-edc625486185)

KAPITEL FÜNF (#ue440324a-3aed-53fb-b3c3-5873b79d6eb8)

KAPITEL SECHS (#u4daeb256-7ab3-5f93-a831-fcb3b5191eb0)

KAPITEL SIEBEN (#uf31943b7-2a20-568b-b8bb-976aa0fd8f13)

KAPITEL ACHT (#uf3ef0f3b-281a-5500-870c-c236a83b7ad0)

KAPITEL NEUN (#ubebf5a11-b69f-5bec-a99b-749289b3686b)

KAPITEL ZEHN (#u55cd68bf-af39-5d19-accc-7c943da114ac)

KAPITEL ELF (#ue0c394ab-106a-5469-88ca-a3ef29033c08)

KAPITEL ZWÖLF (#ufaf2b2fa-773d-5a76-b43d-3895f36a5bd8)

KAPITEL DREIZEHN (#ud4ab2040-46ba-58f6-8796-d532876d8fbf)

KAPITEL VIERZEHN (#ub65740e1-1ff1-59a3-b509-26b4980d3fe7)

KAPITEL FÜNFZEHN (#u971a1cd7-7e44-5284-8da7-e9e88fba5d88)

KAPITEL SECHZEHN (#u08cd6389-3369-5c33-b6ba-f9b7222bab93)

KAPITEL SIEBZEHN (#u42f2e187-5a92-511c-9265-d09e71077193)

KAPITEL ACHTZEHN (#ud9a4f451-3b88-5dfb-8901-2b313e52dce8)

KAPITEL NEUNZEHN (#u2e73eabd-f9ad-5157-9490-e2305a82433e)

KAPITEL ZWANZIG (#u747e0076-5c07-5ce2-bccb-2b0f9080a5c7)

KAPITEL EINUNDZWANZIG (#u066ab4df-0159-591d-8c8e-6c199319c31e)

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG (#uee1c4262-b75c-5f85-862f-4ebf255b95e5)

KAPITEL DREIUNDZWANZIG (#u24e4f940-174f-5065-8865-d411f5be40ac)

KAPITEL VIERUNDZWANZIG (#ue27f171a-5ad4-5874-82cf-c89832445743)

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG (#u4c272eac-1fb1-5d0b-aaa5-c3361856a75f)

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG (#uecd2cec3-d048-5a54-a5ec-f4066cb04c5c)

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG (#u26bb7409-9d6b-5cc1-a69c-9b7820fb5e91)

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG (#uc4eb60a3-c80e-5bef-bf4d-0ced627916dd)


"Das Haupt liegt übel, das eine Krone trägt."

—William Shakespeare

Heinrich IV., 2. Teil




KAPITEL EINS


Der Junge stand auf der höchsten Kuppe in den Tieflanden des Westlichen Königreichs des Rings, blickte nach Norden und betrachtete die erste der aufgehenden Sonnen. Soweit sein Auge reichte, erstreckten sich sanfte grüne Hügel wie Kamelhöcker, ein Auf und Ab von Tälern und Gipfeln. Das gebrannte Orange der Strahlen der ersten Sonne hing glitzernd im morgentlichen Nebel und verlieh dem Licht einen Zauber, der zur Stimmung des Jungen passte. Selten nur wachte er so früh auf oder wagte sich so weit von zu Hause fort, und niemals stieg er so hoch hinauf—er wusste, dass es den Zorn seines Vaters hervorrufen würde. Doch an diesem Tag kümmerte ihn das nicht. An diesem Tag missachtete er die Million an Regeln und Aufgaben, die ihn Zeit seiner vierzehn Jahre schon tyrannisierten. Denn dieser Tag war anders: es war der Tag, an dem sein Schickal angekommen war.

Der Junge—Thorgrin aus dem Westlichen Königreich der Südprovinz des Clan McLeod—und jenen, die er gern hatte, einfach als Thor bekannt—der Jüngste von vier Söhnen und am wenigsten vom Vater geliebt, war in Erwartung dieses Tages die ganze Nacht wach geblieben. Unruhig und schläfrig hatte er sich im Bett herumgeworfen, gewartet, und die erste Sonne beschworen, endlich aufzugehen. Denn ein Tag wie dieser kam nur einmal alle paar Jahre, und wenn er ihn verpasste, würde er für den Rest seiner Tage in diesem Dorf feststecken, dazu verdammt, die Schafherde seines Vaters zu hüten. Dieser Gedanke war ihm unerträglich.

Konskriptionstag. Es war der eine Tag, an dem die königliche Armee zur Anwerbung in die Provinzen ging und Freiwillige für die königliche Legion von Hand auswählte. Solange er schon lebte, hatte Thor von nichts anderem geträumt. Für ihn war nur eins im Leben von Bedeutung: den Silbernen anzugehören, dem königlichen Elitetrupp von Rittern, die mit dem feinsten Rüstzeug und den erlesensten Waffen in den gesamten Landen der zwei Königreiche ausgestattet waren. Und den Silbernen konnte man nicht angehören, ohne sich zuerst der Legion anzuschließen, der Kompanie von Knappen im Alter von vierzehn bis neunzehn Jahren. Und wenn man nicht gerade der Sohn eines Adeligen war, oder der eines ruhmreichen Kriegers, dann gab es keinen anderen Weg, sich der Legion anzuschließen.

Konskriptionstag war die einzige Ausnahme—ein rares Ereignis alle paar Jahre, wenn der Legion die Männer ausgingen und des Königs Mannen die Lande auf der Suche nach neuen Rekruten bereisten. Es war allseits bekannt, dass nur wenige aus dem einfachen Volk gewählt wurden—und dass noch weniger davon es bis in die Legion schafften.

Thor stand da, sein Blick auf den Horizont fixiert, auf der Suche nach dem kleinsten Anzeichen von Bewegung. Die Silbernen, wusste er, mussten über diese Straße kommen—es war die einzige Straße, die in sein Dorf führte—und er wollte der Erste sein, der sie erblickte. Um ihn herum protestierte seine Schafherde; ein Chor an nervtötenden Grunzern erhob sich, die Tiere wollten ihn dazu drängen, sie wieder den Berg hinunter zu führen, wo das Gras saftiger war. Er versuchte, den Lärm und den Gestank nicht zu beachten. Er musste sich konzentrieren.

Was all dies für ihn erträglich gemacht hatte, all die Jahre des Schafehütens, in denen er der der Lakai seines Vaters und seiner älteren Brüder gewesen war, in denen ihm stets die wenigste Liebe und die meiste Arbeit zugeteilt wurde, war der Gedanke, dass er eines Tages diesen Ort verlassen würde. Eines Tages, wenn die Silbernen kamen, würde er alle verblüffen, die ihn unterschätzt hatten, und würde ausgewählt werden. Mit einer zügigen Bewegung würde er sich auf ihre Kutsche schwingen und all dem hier Lebewohl sagen.

Thors Vater hatte ihn natürlich nie ernsthaft als einen Kandidaten für die Legion betrachtet - im Grunde hatte er ihn nie als einen Kandidaten für irgendetwas betrachtet. Stattdessen schenkte sein Vater seine Liebe und Aufmerksamkeit Thors älteren drei Brüdern. Der Älteste war neunzehn und die anderen kamen in jeweils einem Jahr Abstand, womit Thor gute drei Jahre jünger als alle anderen war. Ob es nun daran lag, dass sie im Alter näher zusammen lagen, oder daran, dass sie einander alle ähnelten und Thor ihnen nicht im Geringsten ähnlich sah—die drei hielten fest zusammen und nahmen Thors Existenz nur am Rande wahr.

Schlimmer noch, sie waren größer und breiter und stärker als er, und Thor, der wusste, dass er selbst nicht klein war, fühlte sich neben ihnen dennoch winzig, und seine muskulösen Beine schienen schwächlich verglichen mit ihren Eichenfass-Stampfern. Sein Vater machte keine Anstalten, irgendetwas davon rauszugleichen—tatsächlich schien es ihm sogar zu gefallen—und überließ Thor das Hüten der Schafe und Schärfen der Waffen, während es seinen Brüdern überlassen war, zu trainieren. Es wurde nie ausgesprochen, aber immer so verstanden, dass Thor sein Leben in der Reserve verbringen würde; gezwungen, seinen Brüdern dabei zuzusehen, wie sie Großes erreichen. Sein Schicksal, wenn es nach seinem Vater und seinen Brüdern ginge, wäre es, hier in diesem Dorf festzustecken und seiner Familie gerade die Hilfsarbeit zu bieten, die sie verlangte.

Schlimmer noch war, dass Thor spürte, wie seine Brüder ihn widersprüchlicherweise als Bedrohung empfanden, ihn sogar hassten. Thor konnte es in jedem ihrer Blicke sehen, in jeder Geste. Er verstand nicht, wie, aber er erregte etwas wie Angst oder Eifersucht in ihnen. Vielleicht lag es daran, dass er anders war als sie, nicht wie sie aussah oder mit den gleichen Manieren sprach wie sie; er kleidete sich nicht einmal wie sie, da sein Vater das Beste—die purpurnen und scharlachroten Roben, die vergoldeten Waffen—für seine Brüder zurückhielt, während für Thor die gröbsten Lumpen als Kleidung übrig blieben.

Dennoch machte Thor das Beste aus dem, was er hatte. Er fand Wege, seine Kleidung passend zu machen, band sein Hemd mit einem Tuch um seine Mitte und schnitt sich jetzt im Sommer die Ärmel ab, damit seine straffen Arme von der Luft umschmeichelt werden konnten. Zum Hemd passten Hosen aus grobem Leinen—sein einziges Paar—und Stiefel aus dem schlechtesten Leder, die er am Schienbein hochschnürte. Sie waren kaum mit dem Leder der Schuhe seiner Brüder zu vergleichen, aber er machte das Beste daraus. Er trug die typische Uniform eines Hirten.

Nur zeigte er ansonsten kaum die typisch Statur. Thor war groß und schlank; mit kräftigem Kiefer, einer edlen Kinn-Linie, hohen Wangenknochen und grauen Augen stand er da wie ein verlorener Krieger. Sein seidiges braunes Haar fiel in Wellen von seinem Kopf; es reichte ihm bis knapp unter die Ohren. Dahinter glitzerten seine Augen wie kleine Fische im Sonnenlicht.

Thors Brüder würden an diesem Morgen lange schlafen dürfen, eine herzhafte Mahlzeit vorgesetzt bekommen und mit den feinsten Waffen und dem Segen des Vaters zur Auswahl geschickt werden—während es ihm sogar verboten war, überhaupt teilzunehmen. Einmal hatte er versucht, das Thema seinem Vater gegenüber zur Sprache zu bringen. Es lief nicht gut. Sein Vater hatte die Unterhaltung kurz angebunden für beendet erklärt, und er hat es kein zweites Mal versucht. Es war einfach nicht gerecht.

Thor war entschlossen, das Schicksal zu verweigern, das sein Vater für ihn im Sinn hatte: beim ersten Anzeichen des königlichen Zuges würde er zum Haus zurückrennen, seinen Vater konfrontieren, und ob der es wollte oder nicht sich des Königs Mannen präsentieren. Er würde sich zur Auswahl stellen, genau wie die anderen. Sein Vater würde ihn nicht abhalten können. Beim Gedanken daran fühlte er einen Knoten in seinem Magen.

Die erste Sonne stieg höher, und als langsam die zweite Sonne in kühlem Grün aufging und einen helleren Schein auf den purpurnen Himmel warf, da konnte Thor sie sehen.

Er richtete sich auf; seine Haare sträubten sich, wie elektrisiert. Da am Horizont erschien die blasse Kontur einer Pferdekutsche, deren Räder Staub zum Himmel wirbelten. Sein Herz schlug schneller, als eine weitere sichtbar wurde; und dann noch eine. Sogar von der Ferne funkelten die goldenen Kutschen in den Sonnen wie Fische, die mit silbernem Rücken aus dem Wasser springen.

Als er zwölf von ihnen zählen konnte, hielt er es nicht länger aus. Mit pochendem Herzen in der Brust, zum ersten Mal in seinem Leben völlig auf seine Herde vergessend, drehte Thor sich um und stolperte den Hügel hinunter, fest entschlossen, sich von nichts aufhalten zu lassen, bis er sich präsentiert hatte.

*

Thor hielt kaum an, um Atem zu schöpfen, als er den Hügel hinab durch die Bäume raste. Er wurde von Zweigen zerkratzt, doch es kümmerte ihn nicht. Er kam zu einer Lichtung und konnte das Dorf sehen, wie es sich unter ihm erstreckte: ein schläfriges Städtchen am Land, vollgepackt mit einstöckigen Häuschen aus weißem Lehm mit strohgedeckten Dächern. Nicht mehr als einige Dutzend Familien waren darunter. Aus den Schornsteinen stieg Rauch auf, da die meisten von ihnen früh auf den Beinen waren und ihr Morgenmahl bereiteten. Es war ein idyllischer Ort, gerade weit genug—einen vollen Tagesritt—vom Königshof entfernt, um Durchreisende fernzuhalten. Nur eines unter vielen Bauerndörfern am Rande des Rings; eines von vielen Rädchen im Getriebe des Westlichen Königreichs.

Thor rannte das letzte Stück zum Dorfplatz, so schnell er konnte, und wirbelte die Erde hinter sich auf. Hühner und Hunde sprangen ihm aus dem Weg, und eine alte Frau, die vor ihrem Häuschen vor einem kochenden Wasserkessel saß, zischte ihn an.

"Langsam, Junge!" kreischte sie, als er vorbeiraste und eine Staubwolke in ihr Feuer wirbelte.

Aber Thor würde nicht langsamer werden—nicht für sie, nicht für irgendwen. Er bog in eine Seitenstraße ab, dann noch eine, und wand sich im Zick-Zack entlang des Weges, den er blind kannte, bis er zuhause angelangt war.

Es war eine kleine, unscheinbare Behausung, nicht anders als die anderen mit ihren weißen Lehmmauern und dem schrägen, strohgedeckten Dach. Wie die meisten hatte auch sie ein einziges Zimmer, das unterteilt war: sein Vater schlief auf der einen Seite, seinen drei Brüdern auf der anderen. Anders als die meisten hatte sie einen kleinen Hühnerstall hinten raus, und dies war das Exil, in das Thor zum Schlafen geschickt wurde. Anfangs hatte er sich mit seinen Brüdern ein Bett geteilt; doch mit der Zeit wurden sie größer und gemeiner und ausgrenzender, und ließen im demonstrativ immer weniger Platz. Zuerst war Thor noch verletzt, doch inzwischen genoss er sein eigenes Plätzchen und zog es vor, sich der Gegenwart der anderen fernzuhalten. Für ihn bestätigte es nur, dass sein Platz in dieser Familie im Exil war, wie er es immer schon gewusst hatte.

Thor lief auf seine Haustür zu und platzte hindurch, ohne anzuhalten.

"Vater!" rief er und schnappte nach Atem. "Die Silbernen! Sie kommen!"

Sein Vater und die drei Brüder saßen über den Frühstückstisch gebeugt, jetzt bereits in ihre feinsten Gewänder gekleidet. Bei seinen Worten sprang sie hoch und schossen an ihm vorbei, gegen seine Schulter stoßend auf ihrem eiligen Weg aus dem Haus und auf die Straße hinaus.

Thor folgte ihnen hinaus, und so standen sie alle da, Blick auf den Horizont gerichtet.

„Ich sehe niemanden“, antwortete Drake, der Älteste, in seiner tiefen Stimme. Mit den breitesten Schultern, das Haar kurz geschnitten wie seine Brüder, mit braunen Augen und dünnen, missbilligenden Lippen, blickte er mürrisch zu Thor hinunter, wie auch sonst immer.

„Ich auch nicht“, wiederholte Dross, nur ein Jahr jünger als Drake. Wie immer war er auf seiner Seite.

„Sie kommen!“, warf Thor zurück. „Ich schwörs!“

Sein Vater wandte sich zu ihm um und packte ihn kräftig an den Schultern.

„Und wie kannst du das wissen?“, forderte er.

„Ich habe sie gesehen.“

„Wie? Von wo?“

Thor zögerte; sein Vater hatte ihn ertappt. Natürlich wusste er, dass der einzige Ort, von dem aus Thor sie erblickt haben konnte, die Kuppe des Hügels war. Nun war Thor unsicher, was er sagen sollte.

„Ich... kletterte auf die Kuppe—“

„Mit der Herde? Du weißt, dass sie nicht so weit hinauf dürfen.“

„Aber heute war es doch etwas anderes. Ich musste einfach schauen.“

Sein Vater blickte ihn finster an.

„Lauf sofort hinein, hol die Schwerter deiner Brüder und poliere ihre Schwertscheiden, damit sie bestens aussehen, bevor des Königs Mannen hier sind.“

Sein Vater war mit ihm fertig und wandte sich wieder an die Brüder, die allesamt auf der Straße standen und Ausschau hielten.

„Meinst du, sie werden uns auswählen?“, fragte Durs, der Jüngste der drei, volle drei Jahre älter als Thor.

„Sie wären Narren, es nicht zu tun“, sagte sein Vater. „Dieses Jahr mangelte es ihnen an Mannen. Die Ausbeute war gering—ansonsten würden sie sich kaum hierher bemühen. Steht nur aufrecht, alle drei, Kinn hoch und Brust raus. Seht ihnen nicht direkt in die Augen, aber seht auch nicht weg. Seid stark und selbstbewusst. Zeigt keine Schwäche. Wenn ihr zur Legion des Königs gehören wollt, müsst ihr euch so verhalten, als wärt ihr bereits dabei.“

„Ja, Vater“, antworteten seine drei Jungs zugleich, und machten sich bereit.

Er wandte sich um und warf Thor einen stechenden Blick zu.

„Was tust du noch hier?“, fragte er. „Rein mit dir!“

Thor stand da, zerrissen. Er wollte seinem Vater gegenüber nicht ungehorsam sein, aber er musste mit ihm sprechen. Sein Herz raste, während er mit sich selbst rang. Er beschloss, es wäre am besten, zu gehorchen, die Schwerter zu bringen, und erst dann seinen Vater zu konfrontieren. Gleich mit Ungehorsam anzufangen, würde nicht hilfreich sein.

Thor rannte ins Haus, durch die Hintertüre hinaus, und weiter zum Waffenverschlag. Er fand die drei Schwerter seiner Brüder, jedes einzelne ein Objekt reinster Schönheit, gekrönt mit den feinsten Silbergriffen; wertvolle Geschenke, für die sich der Vater jahrelang abgerackert hatte. Er griff sich alle drei, wie immer überrascht von ihrem Gewicht, und lief mit ihnen zurück durchs Haus.

Er hastete zu seinen Brüdern, überreichte jedem von ihnen sein Schwert, und wandte sich dann an seinen Vater.

„Wie, ohne Polieren?“, sagte Drake.

Sein Vater drehte sich missbilligend zu ihm um, doch bevor er etwas sagen konnte, fing Thor zu sprechen an.

„Vater, bitte. Ich muss mit dir sprechen!“

„Ich sagte, polier—“

„Bitte, Vater!“

Sein Vater funkelte ihn an, mit sich selbst ringend. Er muss die Ernsthaftigkeit in Thors Gesicht erkannt haben, denn schließlich sagte er, „Nun?“

„Ich möchte mich melden. Mit den anderen. Zur Legion.“

Das Gelächter seiner Brüder erhob sich hinter ihm, und brennendes Rot fuhr ihm ins Gesicht.

Doch sein Vater lachte nicht; im Gegenteil, seine Mundwinkel verzogen sich noch weiter nach unten.

„Ist das so?“, fragte er.

Thor nickte energisch.

„Ich bin vierzehn. Ich bin berechtigt.“

„Vierzehn ist die Grenze“, warf ihm Drake abfällig über die Schulter zu. „Wenn Sie dich nehmen, wärst du der Jüngste. Meinst du wirklich, sie nehmen dich anstelle von jemandem wie mir, fünf Jahre über dir?“

„Du bist unverschämt“, sagte Durs. „Warst du schon immer.“

Thor drehte sich zu ihnen um. „Euch habe ich nicht gefragt“, sagte er.

Er wandte sich zurück an seinen Vater, der immer noch stirnrunzelnd dastand.

„Vater, bitte“, sagte er. „Gib mir eine Chance. Mehr möchte ich gar nicht. Ich weiß, ich bin jung, aber ich werde mich beweisen, mit der Zeit.“

Sein Vater schüttelte den Kopf.

„Du bist kein Soldat, Junge. Du bist nicht wie deine Brüder. Du bist ein Hirte. Dein Leben ist hier. Bei mir. Du wirst deine Pflichten erfüllen, und zwar gut. Man sollte nicht zu hoch träumen. Nimm dein Leben an, wie es ist, und lerne, es zu lieben.“

Thor fühlte, wie sein Herz brach, und sein Leben vor seinen Augen in sich zusammenbrach.

Nein, dachte er. Das kann nicht sein.

„Aber, Vater—“

„Schweig!“, schrie der, so schrill, dass es die Luft durchschnitt. „Es reicht mir mit dir. Hier kommen sie. Aus dem Weg mit dir, und benimm dich besser, solange sie hier sind.“

Sein Vater trat vor und schob Thor mit einer Hand zur Seite, als wäre er ein Stück von etwas, das er lieber nicht sehen wollte. Seine bullige Handfläche brannte sich auf Thors Brust.

Ein großes Gerummel kam auf, und das Dorfvolk strömte aus seinen Häusern, um die Straßen zu säumen. Eine größer werdende Staubwolke kündigte den Zug an, und Augenblicke später waren sie angekommen, ein Dutzend Pferdekutschen mit einem Lärm wie Donnergrollen.

Sie zogen in die Stadt ein wie eine plötzliche Armee, und hielten nahe an Thors Zuhause an. Da standen ihre Pferde nun, tänzelnd, schnaubend. Die Staubwolke brauchte zu lange, um sich zu setzen, und Thor versuchte aufgeregt, einen Blick auf ihre Rüstungen, ihr Waffenzeug zu erheischen. Nie zuvor war er den Silbernen so nahe gestanden, und sein Herz pochte.

Der Soldat auf dem vordersten Pferd stieg von seinem Hengst ab. Da stand er, ein richtiger, tatsächlicher Mann der Silbernen, bedeckt mit einer schimmernden Kettenrüstung, ein Langschwert an seinem Gürtel. Dem Aussehen nach war er in seinen Dreißigern, ein wahrer Mann, Bartstoppeln im Gesicht, Narben auf der Wange, und eine vom Kampf gekrümmte Nase. Er war der gewichtigste Mann, den Thor je gesehen hatte, zweimal so breit wie die anderen, mit einem Gehabe, das klar machte: ich habe das Kommando.

Der Soldat sprang auf die Lehmstraße hinunter, seine Sporen rasselten, als er sich den in Reih und Glied stehenden Jungen näherte.

Das ganze Dorf rauf und runter standen dutzende Jungen, stramm stehend, voller Hoffnung. Den Silbernen anzugehören bedeutete ein Leben in Ehre, in Kampf, in Ansehen, in Ruhm—zusammen mit Land, Titel und Reichtümern. Es bedeutete die beste Braut, das erlesenste Land, ein Leben voll Pracht. Es bedeutete Ehre für deine Familie, und ein Eintritt in die Legion war der erste Schritt dazu.

Thor betrachtete die großen goldenen Kutschen, und ihm war klar, dass sie nur eine gewisse Anzahl Rekruten fassen konnten. Das Königreich war groß, und sie mussten noch viele Städte besuchen. Er schluckte, als ihn die Erkenntnis traf, dass seine Chancen noch weitaus geringer waren als gedacht. Er würde alle diese anderen Jungen schlagen müssen—viele darunter beträchtliche Kämpfer—zusammen mit seinen eigenen drei Brüdern. Sein Herz sank.

Thor konnte kaum atmen, als der Soldat schweigend an der Reihe der hoffnungsvollen Anwärter entlangschritt und sie in Augenschein nahm. Er begann am entfernten Ende der Straße und umkreiste sie langsam. Natürlich kannte Thor all die anderen Jungen. Er wusste auch, dass manche von ihnen insgeheim gar nicht ausgewählt werden wollten, auch wenn ihre Familien sie gerne fortschicken würden. Sie hatten Angst; sie würden keine guten Soldaten abgeben.

Thor empfand brennende Demütigung. Er fand, er hätte es verdient, ausgewählt zu werden, genauso sehr wie alle anderen. Nur weil seine Brüder älter und größer und stärker waren, hieß das noch lange nicht, dass er kein Recht hatte, dazustehen und ausgewählt zu werden. Er fühlte brennenden Hass auf seinen Vater, und platze fast aus seiner Haut, als der Soldat sich näherte.

Der Soldat blieb, zum ersten Mal überhaupt, vor seinen Brüdern stehen. Er begutachtete sie von Kopf bis Fuß und schien beeindruckt. Er streckte die Hand aus, packte eine ihrer Schwertscheiden und zerrte an ihr, als würde er testen, wie fest sie war.

Er begann zu lächeln.

„Du hast dein Schwert bisher noch nie im Kampf benutzt, nicht wahr?“, fragte er Drake.

Thor sah Drake zum ersten Mal in seinem Leben nervös werden. Er schluckte.

„Nein, mein Herr. Aber ich habe es schon viele Male im Training benutzt, und ich hoffe—“

„Im Training!“

Der Soldat brüllte vor Lachen und drehte sich zu den anderen Soldaten um, die mit einstimmten. Allesamt lachten Sie Drake ins Gesicht.

Drake lief brennrot an. Dies war das erste Mal, dass Thor Drake bloßgestellt erlebte—üblicherweise war es Drake, der andere bloßstellte.

„Nun, so werde ich unseren Feinden gewiss sagen, dass sie dich fürchten sollten—du, der du dein Schwert im Training schwingst!“

Die Gruppe Soldaten lachte erneut.

Danach wandte sich der Soldat an seine anderen Brüder.

„Drei Jungen vom gleichen Schlag“, sagte er, und rieb die Stoppeln an seinem Kinn. „Das kann nützlich sein. Ihr seid alle von guter Größe. Doch unerprobt. Ihr werdet sehr viel Unterricht brauchen, wenn ihr die Ausbildung bestehen wollt.“

Er hielt inne.

„Ich denke, wir könnten Platz für euch finden.“

Er deutete mit dem Kopf zur hintersten Kutsche.

„Rein mit euch, und zwar hurtig. Bevor ich es mir anders überlege.“

Die drei Brüder von Thor rannten freudestrahlend zur Kutsche. Thor merkte, wie auch sein Vater vor Freude strahlte.

Er selbst blickte ihnen völlig geknickt hinterher.

Der Soldat drehte sich um und ging zum nächsten Haus weiter. Thor hielt es nicht länger aus.

„Hauptmann!“, rief er laut aus.

Sein Vater starrte ihn erbost an, aber Thor kümmerte das nicht länger.

Der Soldat blieb stehen, mit dem Rücken zu Thor, und drehte sich langsam um.

Thor machte zwei Schritte nach vorne, mit klopfendem Herzen, und streckte so weit er konnte seine Brust hinaus.

„Mich habt Ihr noch nicht begutachtet, Hauptmann“, sagte er.

Der Soldat blickte überrascht an Thor hoch und runter, als wäre er ein Witz.

„Ach, habe ich das nicht?“, fragte er und brach in Gelächter aus.

Auch seine Männer lachten schallend. Aber Thor war es egal. Dies war sein Augenblick. Jetzt oder nie.

„Ich möchte der Legion beitreten!“, sagte Thor.

Der Soldat drehte sich um und schritt auf Thor zu.

„Willst du das also?“

Er blickte amüsiert drein.

„Und hast du überhaupt schon dein vierzehntes Jahr erreicht?“

„Das habe ich, Hauptmann. Vor zwei Wochen.“

„Vor zwei Wochen!“

Der Soldat kreischte vor Lachen, wie auch die Männer hinter ihnen.

„Wenn das so ist, wird dein Anblick unsere Feinde bestimmt in Angst und Schrecken versetzen.“

Thor fühlte, wie er vor Schmach brannte. Er musste etwas tun. Er konnte nicht zulassen, dass es so endete. Der Soldat war bereits dabei, sich abzuwenden und wegzugehen—doch Thor konnte das nicht zulassen.

Thor trat vor und rief: „Hauptmann! Ihr macht einen Fehler!“

Ein entsetztes Raunen zog sich durch die Menge, als der Soldat stockte und sich langsam umdrehte.

Diesmal war sein Blick verärgert.

„Dummer Junge“, sagte sein Vater und packte Thor an der Schulter, „geh zurück ins Haus!“

„Das werde ich nicht!“, schrie Thor und schüttelte die Hand seines Vaters ab.

Der Soldat trat auf Thor zu, und sein Vater wich zurück.

„Weißt du, welche Strafe darauf steht, einen Silbernen zu beleidigen?“, fuhr ihn der Soldat an.

Thors Herz raste, aber er wusste, dass er jetzt nicht nachlassen konnte.

„Bitte verzeiht ihm, Hauptmann“, sagte sein Vater. „Er ist ein junges Kind, und—“

„Mit Euch rede ich nicht“, sagte der Soldat. Mit einem vernichtenden Blick zwang er Thors Vater, sich abzuwenden.

Der Soldat wandte sich zurück an Thor.

„Antworte mir!“, sagte er.

Thor schluckte, und brachte kein Wort heraus. So hatte er sich das in Gedanken nicht vorgestellt.

„Einen Silbernen zu beleidigen bedeutet, den König selbst zu beleidigen“, sagte Thor kleinlaut, brav die Passage aufsagend, die er auswendig gelernt hatte.

„Ja“, sagte der Soldat. „Was bedeutet, dass ich dir 40 Peitschenhiebe versetzen könnte, wenn ich wollte.“

„Ich wollte Euch keinesfalls beleidigen, Hauptmann“, sagte Thor. „Ich wollte bloß ausgewählt werden. Ich bitte Euch. Ich träume schon mein ganzes Leben davon. Bitte. Lasst mich zur Legion.“

Der Soldat stand da, und langsam wurde sein Blick sanfter. Nach einer langen Weile schüttelte er den Kopf.

„Du bist jung, Bursche. Du hast ein stolzes Herz. Aber du bist noch nicht soweit. Melde dich wieder, wenn du aus den Windeln bist.“

Mit diesen Worten wandte er sich um und stürmte davon, mit kaum einem Blick auf all die anderen Jungen. Schnell bestieg er sein Pferd.

Thor stand geknickt da und musste zusehen, wie der Zug sich in Bewegung setzte; so schnell sie gekommen waren, waren sie fort.

Das letzte, was Thor sah, waren seine Brüder, wie sie hinten in der letzten Kutsche saßen und zu ihm hinausblickten, missbilligend, spottend. Vor seinen Augen wurden sie davongekarrt, weg von hier, in ein besseres Leben.

Innen drin wollte Thor nur sterben.

Als sich um ihn herum die Aufregung langsam legte, zogen sich die Dorfbewohner in ihre Häuser zurück.

„Ist dir klar, wie dumm du da warst, närrischer Junge?“, fuhr Thors Vater ihn an und packte ihn an den Schultern. „Ist dir klar, dass du die Chancen deiner Brüder hättest zunichte machen können?“

Thor stieß seines Vaters Hände grob von sich weg, und sein Vater holte aus und schlug ihm den Handrücken quer übers Gesicht.

Thor fühlte den stechenden Schmerz und starrte seinen Vater wütend an. Zum allerersten Mal wollte ein Teil von ihm zurückschlagen. Aber er beherrschte sich.

„Und jetzt geh und hol mir meine Schafe zurück. Sofort! Und wenn du wieder da bist, erwarte bloß keine Mahlzeit von mir. Du wirst deine Mahlzeit heute Abend auslassen und darüber nachdenken, was du getan hast.“

„Vielleicht komme ich erst gar nicht zurück!“, schrie Thor, als er sich umdrehte und davonstürmte, weg von zuhause, in die Hügel.

„Thor!“, schrie sein Vater, und einige Dorfbewohner blieben stehen und schauten.

Thor fing zu laufen an, dann zu rennen—er wollte so weit wie es nur irgendwie ging von diesem Ort weg. Ihm fiel kaum auf, dass er weinte, sein Gesicht von Tränen überflutet wurde, nun, da jeder Traum, den er je gehabt hatte, in Scherben lag.




KAPITEL ZWEI


Thor wanderte stundenlang in den Hügeln herum, brodelnd vor Wut, bis er schließlich einen Hügel fand, auf dem er sich, Hände über den Beinen verschränkt, hinsetzte und auf den Horizont hinaus blickte. Er sah zu, wie die Kutschen verschwanden, während die Staubwolken noch stundenlang in der Luft hängen blieben.

Ein weiteres Mal würden sie nicht hierher kommen. Er war also dazu bestimmt, hier in diesem Dorf zu bleiben und noch viele Jahre auf eine neue Chance zu warten—falls sie überhaupt je wiederkommen würden. Falls sein Vater es je erlauben würde. Jetzt war er mit seinem Vater alleine im Haus, und sein Vater würde seinen Unmut mit Gewissheit in vollem Umfang an ihm auslassen. Er würde weiterhin der Lakai seines Vaters bleiben, die Jahre würden vergehen, und er würde genauso enden wie er, hier festsitzen, ein unbedeutendes Leben mit niederer Arbeit verbringen—während seine Brüder Ruhm und Ehre erwarben. Er brannte innerlich vor Empörung über diese gesamte Angelegenheit: das war nicht das Leben, das für ihn bestimmt war. Das wusste er einfach.

Thor zermarterte sich das Hirn nach Ideen, was er tun könnte; irgendeinen Weg, die Dinge zu ändern. Aber da war nichts. Dies waren die Karten, die ihm das Leben zugespielt hatte.

Nach stundenlangem Dasitzen gab er sich schließlich geschlagen, stand auf und bahnte sich seinen Weg zurück über die vertrauten Hügel, höher und höher hinauf. Unweigerlich zog es ihn zu seiner Schafherde zurück auf die hohe Kuppe. Während er so wanderte, sank die erste Sonne im Himmel tiefer und die zweite erreichte ihren höchsten Punkt, einen grünlichen Schimmer über die Landschaft legend. Thor spazierte ohne Eile dahin. Gedankenverloren zog er seine Steinschleuder von der Hüfte, deren Ledergriff durch jahrelangen Gebrauch gut abgegriffen war. Er langte in den Beutel, den er an der Hüfte trug, und fühlte sich durch seine Sammlung von Steinen, einer glatter als der andere, von den feinsten Bachufern von Hand verlesen. Manchmal schoss er auf Vögel, manchmal auf Nagetiere. Es war eine Angewohnheit, die ihm über die Jahre in Fleisch und Blut übergegangen war. Zu Beginn hatte er noch an allem vorbeigeschossen. Dann traf er erstmals ein bewegtes Ziel; seitdem hatte er nie wieder ein Ziel verfehlt. Das Schießen mit der Steinschleuder war inzwischen zu einem Teil von ihm geworden—und es half ihm, etwas von seiner Wut abzubauen. Seine Brüder konnten vielleicht mit einem Schwerthieb einen Baumstamm durchschlagen—aber sie würden niemals einen Vogel im Flug mit einem Stein erwischen.

Gedankenlos legte Thor einen Stein in die Schleuder, zog mit all seiner Kraft und schoss, während er sich in Gedanken ausmalte, er würde ihn auf seinen Vater schleudern. Er traf den Ast eines weit entfernten Baumes und brach ihn sauber ab. Seit er einmal festgestellt hatte, dass seine Schüsse auf sich bewegende Tiere diese töten konnten, zielte er nicht mehr auf Lebewesen, erschrocken vor seiner eigenen Kraft und nicht gewillt, Leid zuzufügen; nun waren Äste seine Opfer. Außer natürlich, ein Fuchs hatte es auf seine Herde abgesehen; auf Dauer hatten sie gelernt, sich fernzuhalten. Thors Schafe waren demnach die sichersten im Dorf.

Thor dachte an seine Brüder, wo sie wohl gerade waren, und brodelte. Nach einem Tagesritt würden sie in Königshof angekommen sein. Er konnte es sich bildlich vorstellen. Er sah sie vor sich, wie sie unter großer Fanfare ankamen, von Leuten in ihren feinsten Kleidern begrüßt wurden. Von Kriegern; Silbernen. Sie würden eingeschrieben werden, einen Schlafplatz in der Legionskaserne zugewiesen bekommen, einen Trainingsplatz in den Feldern des Königs, die feinsten Waffen. Jeder von ihnen würde einem berühmten Ritter als Knappe zugewiesen werden. Eines Tages würden sie selbst Ritter sein, ihr eigenes Pferd erhalten, ihr eigenes Wappen, und selbst Knappen haben. Sie würden an allen Festivitäten teilnehmen und an der Tafel des Königs speisen. Es war ein Leben wie aus einem Traum. Und es war ihm durch die Finger geglitten.

Thor wurde richtig schlecht, und er zwang sich, nicht mehr an all das zu denken. Aber es gelang ihm nicht. Ein Teil von ihm, ganz tief vergraben, schrie ihm unentwegt zu. Er befahl ihm, nicht aufzugeben; bestand darauf, dass er ein höheres Schicksal hatte als das hier. Er wusste zwar nicht, was genau es sein sollte, aber er wusste: hier war es nicht. Er konnte spüren, dass er anders war. Vielleicht sogar etwas Besonderes. Dass niemand ihn verstand. Und dass sie alle ihn unterschätzten.

Thor erreichte die höchste Kuppe und konnte seine Herde sehen. Gut erzogen, wie sie waren, standen sie immer noch alle beieinander, zufrieden an jedem Grashalm kauend, den sie finden konnten. Er zählte sie durch, nach den roten Markierungen Ausschau haltend, die er auf ihren Rücken angebracht hatte. Als er fertig war, erstarrte er. Ein Schaf fehlte.

Er zählte noch einmal durch, und noch einmal. Er konnte es nicht glauben: eines war verschwunden.

Thor hatte noch nie ein Schaf verloren, und sein Vater würde ihn diesen Vorfall nie vergessen lassen. Schlimmer noch, er konnte den Gedanken daran nicht ausstehen, dass eines seiner Schafe alleine und verlassen der Wildnis ausgesetzt war. Er ertrug es nicht, unschuldige Wesen jeder Art leiden zu sehen.

Thor eilte auf den höchsten Punkt der Kuppe und suchte den Horizont ab, bis er es weitab, einige Hügel entfernt sehen konnte: das verlorene Schaf mit der roten Markierung am Rücken. Es war das Wilde in der Herde. Sein Herz sank, als er feststellte, dass das Schaf nicht nur davongelaufen, sondern ausgerechnet nach Westen gelaufen war, Richtung Schattwald.

Thor schluckte. Schattwald war verboten—nicht nur für Schafe, sondern für Menschen. Es lag außerhalb der Dorfgrenze, und solange er schon laufen konnte, wusste Thor, dass er dort nicht hin durfte. Daran hatte er sich auch gehalten. Legenden besagten, dass es den sicheren Tod bedeuten würde, dort hinzugehen, in die Wälder ohne markierte Pfade und voller wilder Tiere.

Thor blickte zum Himmel hinauf, der bereits dämmrig wurde, und rang mit sich selbst. Er konnte sein Schaf nicht im Stich lassen. Er glaubte, wenn er schnell wäre, könnte er es noch rechtzeitig zurückholen.

Nach einem letzten Blick zurück fuhr er herum und verfiel in einen schnellen Lauf Richtung Westen, nach Schattwald, über dem sich dichte Wolken zusammenzogen. Er hatte ein ungutes Gefühl, doch seine Beine trugen ihn scheinbar wie von selbst. Er spürte, dass es kein Zurück mehr gab, selbst wenn er gewollt hätte.

Es war, als würde er in einen Alptraum hineinlaufen.

*

Thor preschte ohne zu zögern die Hügelkette hinunter, unter das dichte Blätterdach von Schattwald hinein. Der Pfad endete, wo der Wald begann, und er betrat unmarkiertes Gebiet. Sommerblätter knirschten unter seinen Füßen.

Von dem Moment an, als er den Wald betrat, war er in Dunkelheit gehüllt; das Licht verschleiert von den Fichten, die hoch über ihn aufragten. Es war hier drin auch kälter, und als er über die Grenze trat, fühlte er ein Frösteln. Es kam nicht nur von der Dunkelheit oder der Kälte—es kam von etwas anderem. Etwas, das er nicht benennen konnte. Es war ein Gefühl, als würde er...beobachtet werden.

Thor blickte hinauf zu den uralten Ästen, knorrig, dicker als er selbst, die sich im Wind bewegten und ächzten. Er hatte kaum fünfzig Schritte in den Wald hinein getan, als er sonderbare Tierlaute hörte. Er drehte sich zurück und konnte kaum die Stelle erkennen, an der er hereingekommen war; er fühlte sich jetzt schon, als würde es keinen Weg hinaus geben. Er zögerte.

Schattwald lag immer schon am äußersten Rand des Dorfes, aber ebenso am äußersten Rand von Thors Bewusstsein, als etwas Tiefes, Geheimnisvolles. Kein Hirte, der je ein Schaf an den Wald verloren hatte, hatte es je gewagt, ihm nachzugehen. Auch nicht sein Vater. Die Geschichten über diesen Ort waren zu dunkel, zu beständig.

Aber irgendetwas war an diesem Tag anders; brachte Thor dazu, dass es ihn nicht mehr bekümmerte, dass er die Vorsicht in den Wind schoss. Ein Teil von ihm wollte Grenzen austesten, so weit von zuhause fortgehen wie möglich, und es zulassen, dass das Leben ihn hinführte, wo es wollte.

Er wagte sich weiter vor, dann hielt er an, unsicher, wohin er gehen musste. Er fand geknickte Zweige—Anzeichen dafür, dass sein Schaf hier vorbeigekommen sein musste—und er folgte dieser Richtung. Nach einer Weile wechselte er die Richtung erneut.

Bevor eine Stunde vergangen war, hatte er sich hoffnungslos verlaufen. Er versuchte, die Richtung zu finden, aus der er gekommen war—aber er war sich nicht mehr sicher. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in seinem Magen aus, doch seiner Ansicht nach gab es nur einen Weg hier raus, und zwar vorwärts; und so zog er weiter.

In der Ferne erblickte Thor eine Säule aus Sonnenlicht und bahnte sich einen Weg darauf zu. Er fand sich vor einer kleinen Lichtung wieder und blieb an ihrem Rande wie angewurzelt stehen: Er konnte nicht glauben, was er da vor sich sah.

Da, mit dem Rücken zu Thor, in eine lange, blaue Robe aus Satin gehüllt, stand ein Mann. Nein—kein Mann, das konnte Thor von weitem spüren. Er war etwas anderes. Ein Druide vielleicht. Er stand groß und aufrecht da, den Kopf mit einer Kapuze bedeckt, völlig still, als würde ihn nichts in der Welt bekümmern.

Thor stand da und wusste nicht, was er tun sollte. Er hatte von Druiden gehört, aber noch nie war er einem begegnet. Den Verzierungen an seiner Robe, den aufwändig gearbeiteten goldenen Bordüren zufolge, war dies kein einfacher Druide: dies waren königliche Abzeichen. Vom Hof des Königs selbst. Thor konnte es nicht begreifen. Was machte ein königlicher Druide hier?

Nach einer gefühlten Ewigkeit drehte sich der Druide langsam um und sah ihn an, und Thor erkannte das Gesicht sofort. Es verschlug ihm den Atem. Dies war eines der bekanntesten Gesichter im Königreich: der Leibdruide des Königs. Argon, seit Jahrhunderten schon Ratgeber der Könige des Westlichen Königreichs. Was er hier, weitab vom königlichen Hof, mitten in Schattwald suchte, war ein Rätsel. Thor fragte sich, ob er es sich nur einbildete.

„Deine Augen täuschen dich nicht“, sprach Argon, seinen festen Blick direkt auf Thor gerichtet.

Seine Stimme war tief, uralt, als ob die Bäume selbst sprechen würden. Seine großen, durchscheinenden Augen schienen Thor zu durchleuchten, ihn zu messen. Er fühlte eine immense Energie von ihm ausgehen—als würde er im Angesicht der Sonne stehen.

Thor fiel sofort auf ein Knie und beugte den Kopf.

„Mein Herr“, sagte er. „Es tut mir leid, Euch gestört zu haben.“

Ein Mangel an Respekt gegenüber einem königlichen Ratgeber würde zu Gefangenschaft oder Tod führen. Das war Thor von Geburt an eingeschärft worden.

„Steh auf, Kind“, sprach Argon. „Wenn ich wollte, dass du kniest, hätte ich es dir gesagt.“

Thor stand langsam auf und blickte ihn an. Argon trat einige Schritte näher. Er stand da und starrte ihn an, bis es Thor langsam unangenehm wurde.

„Du hast die Augen deiner Mutter“, sprach Argon.

Das traf Thor unvorbereitet. Er hatte seine Mutter nie kennengelernt und war außer seinem Vater nie jemandem begegnet, der sie gekannt hatte. Man hatte ihm gesagt, sie wäre bei seiner Geburt gestorben; etwas, wofür Thor sich stets schuldig gefühlt hatte. Er hatte immer den Verdacht gehabt, dass dies der Grund war, warum seine Familie ihn nicht leiden konnte.

„Ihr müsst mich mit jemandem verwechseln“, sagte Thor. „Ich habe keine Mutter.“

„Hast du nicht?“, fragte Argon lächelnd. „Du wurdest von einem Mann allein zur Welt gebracht?“

„Ich wollte sagen, Herr, dass meine Mutter bei der Geburt starb. Ich denke, Ihr verwechselt mich.“

„Du bist Thorgrin vom Clan der McLeod. Der Jüngste von vier Brüdern. Der eine, der nicht ausgewählt wurde.“

Thors Augen öffneten sich weit. Er wusste kaum, was er davon halten sollte. Dass jemand von Argons Stand wissen konnte, wer er war—das war mehr, als er begreifen konnte. Er konnte sich nicht einmal vorstellen, dass ihn irgendjemand außerhalb des Dorfs kannte.

„Woher...wisst Ihr das?“

Argon lächelte zurück, antwortete aber nicht.

Thor war plötzlich von Neugier erfüllt.

„Woher...“, fügte Thor hinzu, nach Worten ringend, „...woher kennt Ihr meine Mutter? Kanntet Ihr sie? Wer war sie?“

Argon wandte sich ab und ging davon.

„Fragen für ein andermal“, sprach er.

Thor sah ihm verwirrt nach. Es war eine äußerst verwirrende und rätselhafte Begegnung, und alles ging so schnell. Er beschloss, dass er Argon nicht einfach gehen lassen konnte, und eilte ihm nach.

„Was macht Ihr hier?“, fragte Thor, ihm nacheilend. Argon bewegte sich mit seinem Stab, einem uralten Ding aus Elfenbein, trügerisch schnell. „Ihr habt doch bestimmt nicht auf mich gewartet, oder?“

„Auf wen sonst?“, frage Argon.

Thor musste sich beeilen, mit ihm mitzuhalten, und folgte ihm in den Wald hinein, die Lichtung hinter sich zurücklassend.

„Aber warum ich? Woher wusstet Ihr, dass ich hier sein würde? Was wünscht Ihr von mir?“

„So viele Fragen“, sprach Argon. „Du füllst die Luft. Du solltest lieber zuhören.“

Thor folgte ihm, während sie weiter durch den dichten Wald zogen, und tat sein Bestes, still zu bleiben.

„Du kommst auf der Suche nach einem verlorenen Schaf hierher“, stellte Argon fest. „Ein edles Vorhaben. Doch du verschwendest deine Zeit. Sie wird nicht überleben.“

Thors Augen öffneten sich weit.

„Woher wisst Ihr das?“

„Ich kenne Welten, die du niemals kennen wirst, Junge. Zumindest jetzt noch nicht.“

Thor wunderte sich, während er ihm hinterher wanderte.

„Doch du willst nicht zuhören. Das ist deine Natur. Dickköpfig. Wie deine Mutter. Du wirst deinem Schaf nachgehen, fest entschlossen, sie zu retten.“

Thor errötete darüber, wie Argon seine Gedanken las.

„Du bist ein temperamentvoller Junge“, fügte er hinzu. „Willensstark. Zu stolz. Positive Züge. Doch eines Tages könnten sie dein Untergang sein.“

Argon stieg langsam eine moosbedeckte Anhöhe hinauf, Thor hinterher.

„Du möchtest der Legion des Königs beitreten“, sprach Argon.

„Ja!“, antwortete Thor aufgeregt. „Gibt es irgendeinen Weg für mich? Könnt Ihr das ermöglichen?“

Argon lachte, ein tiefer, hohler Laut, der Thor einen Schauer über den Rücken jagte.

„Ich kann alles und nichts ermöglichen. Dein Schicksal ist bereits geschrieben. Doch liegt es an dir, es zu wählen.“

Thor verstand nicht.

Sie erreichten den Gipfel der Anhöhe, und als sie oben waren, blieb Argon stehen und sah ihn an. Thor stand nur wenige Fuß entfernt, und Argons Energie brannte durch ihn.

„Dein Schicksal ist von Bedeutung“, sprach er. „Gib es nicht auf“.

Thors Augen weiteten sich. Sein Schicksal? Von Bedeutung? Er fühlte, wie ihn eine Welle an Stolz ergriff.

„Ich verstehe nicht. Ihr sprecht in Rätseln. Ich bitte Euch, erzählt mir mehr.“

Plötzlich war Argon verschwunden.

Thor konnte es kaum glauben. Er blickte sich in alle Richtungen um, horchte, wunderte sich. Hatte er sich das alles nur eingebildet? War es eine Art Trugbild?

Thor drehte sich herum und untersuchte den Wald; von seinem Blickpunkt oben auf der Anhöhe aus konnte er weiter sehen als zuvor. Während er sich umsah, bemerkte er Bewegung in der Ferne. Er hörte ein Geräusch und war sich sicher, dass es sein Schaf war.

Er stolperte die moosbewachsene Anhöhe hinunter und eilte in Richtung des Geräuschs, zurück durch den Wald. Während er lief, konnte er seine Begegnung mit Argon nicht abschütteln. Er konnte kaum begreifen, dass sie stattgefunden hatte. Was machte der Druide des Königs ausgerechnet an diesem Ort? Er hatte auf ihn gewartet. Aber warum? Und was hatte er gemeint, sein Schicksal?

Je mehr Thor versuchte, es zu entwirren, umso weniger verstand er es. Argon hatte ihn einerseits gewarnt, nicht weiterzugehen, und ihn zugleich verleitet, es doch zu tun. Während er lief, spürte Thor eine wachsende Vorahnung, als ob etwas Bedeutungsschweres bevorstehen würde.

Er bog um einen Baum und blieb wie erstarrt stehen, als er den Anblick vor ihm sah. Seine schlimmsten Alpträume wurden in einem einzigen Augenblick bestätigt. Die Haare standen ihm zu Berge und ihm wurde klar, dass es ein schwerer Fehler gewesen war, so tief nach Schattwald vorzudringen.

Ihm gegenüber, gerade dreißig Schritte entfernt, stand ein Sybold. Schwerfällig, muskelbepackt, auf allen Vieren beinahe so groß wie ein Pferd, war dies das meistgefürchtete Tier in Schattwald, wenn nicht gar im gesamten Königreich. Thor hatte noch nie einen gesehen, aber die Legenden hatte er gehört. Er ähnelte einem Löwen, war jedoch größer, breiter, sein Fell ein tiefes Scharlachrot und seine Augen leuchtend gelb. Der Legende nach kam seine scharlachrote Farbe vom Blut unschuldiger Kinder.

Thor hatte in seinem Leben erst von wenigen Sichtungen dieses Ungeheuers gehört, und selbst die wurden nicht als besonders glaubwürdig angesehen. Das lag wohl daran, dass niemand je eine Begegnung tatsächlich überlebt hatte. Manche betrachteten den Sybold als den Gott der Wälder, und als ein Omen. Wofür er ein Omen sein sollte, davon hatte Thor keine Ahnung.

Er machte einen vorsichtigen Schritt zurück.

Der Sybold stand da, sein riesiges Maul halb geöffnet; von seinen Fangzähnen tropfte der Speichel, und er starrte Thor mit seinen gelben Augen an. In seinem Maul hing, schreiend und mit baumelndem Kopf, Thors verlorenes Schaf, sein Körper zur Hälfte von den Fangzähnen durchstoßen. Es war so gut wie tot. Der Sybald schien das Töten seiner Beute zu genießen, ließ sich Zeit; es schien, als würde es ihm Spaß machen, es zu quälen.

Thor konnte die Schreie nicht ertragen. Das Schaf zappelte hilflos herum, und er fühlte sich verantwortlich.

Thors erster Impuls war, sich umzudrehen und davonzulaufen; doch er wusste jetzt schon, dass es aussichtslos war. Dieses Ungeheuer konnte alles einholen. Davonlaufen würde es bloß ermutigen. Und er konnte sein Schaf nicht auf diese Weise sterben lassen.

Er stand da, vor Angst halb gelähmt, und wusste, er musste irgendetwas unternehmen.

Seine Reflexe setzten ein. Langsam griff er in seinen Beutel, holte einen Stein heraus und legte ihn in die Schleuder. Mit zitternder Hand zog er an, machte einen Schritt nach vorne und schoss.

Der Stein segelte durch die Luft und traf sein Ziel. Der Schuss saß perfekt. Er traf das Schaf ins Auge und fuhr ihm direkt durchs Gehirn.

Das Schaf erschlaffte. Tot. Thor hatte diesem Tier sein Leiden erspart.

Der Sybold blickte erzürnt um sich, wütend, dass Thor sein Spielzeug getötet hatte. Langsam öffnete er seine immensen Kiefer und ließ das Schaf herausfallen. Mit einem dumpfen Schlag landete es am Waldboden. Dann richtete er seine Augen auf Thor.

Er knurrte, ein tiefer, bösartiger Laut, der aus seinem Bauch heraus grollte.

Als er langsam auf ihn zupirschte, legte Thor mit rasendem Herzen den nächsten Stein in seine Schleuder, holte aus, und bereitete den nächsten Schuss vor.

Der Sybold stürmte auf ihn zu, schneller als alles, was Thor in seinem Leben je gesehen hatte. Thor trat vor und schoss den Stein, betete, dass er treffen würde, wohl wissend, dass er keine Zeit für einen weiteren Schuss hätte, bevor das Tier ihn erreichte.

Der Stein traf das Ungeheuer genau ins rechte Auge und schlug es aus seinem Kopf. Es war ein grandioser Schuss; ein geringeres Tier hätte er in die Knie gezwungen.

Doch dies war kein geringeres Tier. Das Ungeheuer war nicht aufzuhalten. Es kreischte über die Verletzung, wurde aber nicht einmal langsamer. Auch mit nur einem Auge, auch mit einem Stein in seinem Gehirn, stürmte es ungebremst und blindwütig auf Thor zu. Es gab nichts, was Thor tun konnte.

Einen Augenblick später hatte ihn das Ungeheuer erreicht. Es holte mit seiner riesigen Klaue aus und zog sie ihm über die Schulter.

Thor schrie auf und fiel hin. Es fühlte sich an, als würden drei Messer durch sein Fleisch schneiden. Sofort quoll heißes Blut daraus hervor.

Das Ungeheuer drückte ihn mit allen Vieren zu Boden. Sein Gewicht war enorm, als würde ein Elefant auf seiner Brust stehen. Thor konnte spüren, wie sein Brustkorb zerdrückt wurde.

Das Ungeheuer warf den Kopf zurück, riss sein Maul weit auf, entblößte dabei seine Fangzähne und senkte sie langsam zu Thors Hals hinunter.

Während es näherkam, streckte Thor die Arme hoch und packte es am Hals; es war, als würde er reinsten Muskel packen. Thor konnte seinen Griff kaum halten. Als die Hauer sich immer näher senkten, fingen seine Arme zu zittern an. Er fühlte den heißen Atem im ganzen Gesicht, fühlte, wie Speichel auf seinen Hals tropfte. Ein Grollen ertönte tief aus der Brust des Tieres und brannte sich in Thors Ohren. Er wusste, er würde sterben.

Thor schloss die Augen.

Bitte, oh Gott. Gib mir Kraft. Hilf mir, diese Kreatur zu bekämpfen. Bitte. Ich flehe dich an. Ich tue alles, was du verlangst. Ich werde hoch in deiner Schuld stehen.

Und dann passierte etwas. Thor fühlte eine enorme Hitze in seinem Körper aufsteigen, durch seine Adern schießen, wie ein Kraftfeld, das ihn durchfloss. Er öffnete seine Augen und sah etwas Verblüffendes: aus seinen Handflächen strahlte ein gelbes Licht, und als er sie zurück in den Hals des Ungeheuers drückte, war er unglaublicherweise stark genug, es in Schach zu halten.

Thor drückte fester, bis er das Untier tatsächlich von sich drückte. Seine Kraft wuchs immer weiter und er fühlte sich wie eine Kanonenkugel aus Energie. Einen Augenblick später flog das Untier durch die Luft—Thor hatte es gute zehn Fuß weit geworfen. Es landete auf dem Rücken.

Thor setzte sich auf; er verstand nicht, was gerade passiert war.

Das Ungeheuer kam wieder auf die Beine. Blind vor Wut griff es erneut an—doch diesmal fühlte Thor sich verändert. Die Energie durchfloss ihn; er fühlte sich mächtiger, als er je zuvor gewesen war.

Als das Ungeheuer auf ihn springen wollte, ging Thor in die Hocke, packte es am Bauch und warf es mit seinem eigenen Schwung weiter.

Das Ungeheuer flog ein Stück durch den Wald, krachte gegen einen Baum und brach am Boden zusammen.

Thor blickte sich staunend um. Hatte er gerade einen Sybold geworfen?

Das Ungeheuer blinzelte zweimal, dann richtete es seinen Blick auf Thor. Es griff erneut an.

Diesmal packte Thor das Ungeheuer im Sprung an der Kehle. Beide gingen zu Boden, das Ungeheuer kam auf Thor zu liegen. Doch Thor rollte weiter, bis er auf dem Tier saß. Er hatte es fest am Hals gepackt, würgte es mit beiden Hände, während das Untier immer wieder versuchte, den Kopf zu heben und ihn mit seinen Fangzähnen zu erwischen. Es verfehlte ihn knapp. Thor, von neuer Kraft erfüllt, grub seine Hände fester in den Sybold-Hals und ließ nicht locker. Er ließ die Energie frei durch sich hindurchfließen. Und schon bald fühlte er sich wundersamerweise stärker als das Ungeheuer.

Er war auf dem besten Weg, den Sybold zu erwürgen. Schließlich erschlaffte das Ungeheuer.

Erst nach einer weiteren vollen Minute ließ Thor los.

Langsam und außer Atem stand er auf, starrte völlig erstaunt hinunter, und hielt sich den verletzten Arm. Er konnte nicht glauben, was gerade geschehen war. Hatte er, Thor, gerade einen Sybold getötet?

Er glaubte, dass dies ein Zeichen war—gerade heute, dem Tag aller Tage. Er spürte, dass gerade etwas Bedeutendes geschehen war. Gerade eben hatte er das berüchtigtste und meistgefürchtete Ungeheuer seines Königreichs getötet. Im Alleingang. Ohne Waffen. Es schien unwirklich. Niemand würde es ihm glauben.

So stand er erschüttert da und wunderte sich, welche Kraft da über ihn gekommen war, was dies bedeutete, wer er wirklich war. Die einzigen Menschen, die solche Kräfte bekanntlich besaßen, waren Druiden. Doch waren sein Vater und seine Mutter keine Druiden, also konnte er keiner sein.

Oder konnte er das?

Thor spürte plötzlich eine Anwesenheit hinter ihm, wirbelte herum und fand Argon, der da stand und auf das Tier hinunterblickte.

„Wie kommt Ihr hierher?“, fragte Thor verblüfft.

Argon ignorierte ihn.

„Habt Ihr gesehen, was passiert ist?“, fragte Thor, der es selbst noch nicht ganz glaubte. „Ich weiß nicht, wie ich das gemacht habe.“

„Und doch weißt du es“, antwortete Argon. „Tief drinnen weißt du es. Du bist anders als die anderen.“

„Es war wie...eine Flut an Energie“, sagte Thor. „Wie eine Stärke, von der ich nicht wusste, dass ich sie hatte“.

„Das Energie-Feld“, sagte Argon. „Der Tag wird kommen, an dem du es wohl kennen wirst. Vielleicht lernst du gar, es zu kontrollieren.“

Thor hielt sich seine Schulter; der Schmerz war unerträglich. Er sah hinunter und fand seine Hand blutüberströmt. Er fühlte sich schwindlig und machte sich Sorgen, was passieren würde, wenn die Wunde nicht versorgt würde.

Argon trat drei Schritte vor, packte Thors freie Hand und drückte sie fest auf die Wunde. Er hielt sie dort fest, lehnte sich zurück und schloss die Augen.

Thor spürte, wie ein Gefühl der Wärme durch seinen Arm floss. In Sekunden trocknete das klebrige Blut auf seiner Hand und er konnte fühlen, wie der Schmerz langsam nachließ.

Er sah hinunter und konnte es nicht glauben: er war geheilt. Was übrig blieb, waren drei Narben, wo die Krallen ihn geschnitten hatten—doch sie sahen aus, als wären sie mehrere Tage alt. Sie waren zugewachsen. Da war kein Blut mehr.

Thor blickte Argon staunend an.

„Wie habt Ihr das gemacht?“, fragte er.

Argon lächelte.

„Ich, gar nicht. Du hast das gemacht. Ich habe deiner Kraft nur die Richtung gewiesen.“

„Aber ich habe keine Heilkräfte“, antwortete Thor verdutzt.

„Nicht?“, erwiderte Argon.

„Ich verstehe nicht. Nichts von all dem ergibt irgendeinen Sinn“, sagte Thor mit wachsender Ungeduld. „Ich bitte Euch, erklärt es mir.“

Argon blickte zur Seite.

„Manche Dinge musst du mit der Zeit lernen.“

Thor fiel etwas ein.

„Heißt das, ich kann mich der Legion des Königs anschließen?“, fragte er aufgeregt. „Wenn ich einen Sybold töten kann, werde ich mich doch bestimmt den anderen Jungen gegenüber behaupten können.“

„Natürlich kannst du das“, antwortete er.

„Aber sie haben meine Brüder ausgewählt—mich haben sie nicht ausgewählt.“

„Deine Brüder hätten dieses Ungeheuer nicht töten können.“

Thor starrte zurück und dachte nach.

„Aber sie haben mich bereits abgewiesen. Wie kann ich ihnen noch beitreten?“

„Seit wann braucht ein Krieger eine Einladung?“, fragte Argon.

Seine Worte hinterließen einen tiefen Eindruck. Thor fühlte, wie sein ganzer Körper warm wurde.

„Meint Ihr damit, ich soll einfach auftauchen? Uneingeladen?“

Argon lächelte.

„Du erschaffst dein Schicksal. Andere können das nicht.“

Thor blinzelte—und einen Augenblick später war Argon verschwunden.

Thor konnte es nicht glauben. Er drehte sich in alle Richtungen und durchsuchte den Wald, doch er fand keine Spur von ihm.

„Hier drüben!“, ertönte eine Stimme.

Thor fuhr herum und sah einen riesigen Felsbrocken vor sich stehen. Er glaubte, dass die Stimme von oben gekommen war, und kletterte sofort hinauf.

Zu seiner Verwunderung fand er oben von Argon keine Spur.

Von diesem Aussichtspunkt aus konnte er jedoch über die Wipfel von Schattwald sehen. Er konnte sehen, wo Schattwald endete, sah die zweite Sonne in einem dunklen Grün untergehen und dahinter die Straße, die nach Königshof führte.

„Die Straße wartet nur auf dich“, erklang die Stimme. „Wenn du es wagst.“

Thor wirbelte herum, konnte aber nichts sehen. Es war nur eine Stimme, die wie ein Echo widerhallte. Doch er wusste, dass Argon irgendwo da draußen war und ihn aufstachelte. Und er spürte tief in seinem Inneren, dass er recht hatte.

Ohne einen weiteren Augenblick zu zögern, kletterte Thor vom Felsen und machte sich auf den Weg durch den Wald und auf die Straße.

Seinem Schicksal entgegen.




KAPITEL DREI


König MacGil—wohlbeleibt, mit breiter Brust, einem von zu viel Grau durchzogenen Bart und dazu passendem, langem Haar, und einer breiten Stirn, die von zu vielen Schlachten zerfurcht war—stand mit seiner Königin auf der oberen Brustwehr seiner Burg und sah dem Aufleben der Festlichkeiten des heutigen Tages zu. Sein königlicher Grund und Boden erstreckte sich vor ihm in all seiner Pracht, so weit das Auge reichte; eine blühende Stadt, von alten steinernen Befestigungsanlagen ummauert. Königshof. Untereinander durch ein Labyrinth an verwinkelten Straßen verbunden standen steinerne Bauten jeglicher Form und Größe—für die Krieger, die Fürsorger, die Pferde, die Silbernen, die Legion, die Wache, die Kaserne, das Waffenlager, die Rüstkammer—und zwischen ihnen hunderte Behausungen für die Vielzahl seiner Untertanen, die sich für ein Leben innerhalb der Stadtmauern entschieden hatten. Dazwischen erstreckten sich viele Hektar Grasflächen, königliche Gärten, steingesäumte Plätze, sprudelnde Brunnen. Königshof wurde schon seit Jahrhunderten fortlaufenden Verbesserungsarbeiten unterzogen, durch seinen Vater, und dessen Vater zuvor—und hatte nun den Gipfel seiner Pracht erreicht. Ohne Zweifel war es die sicherste Hochburg im Westlichen Königreich des Rings geworden.

MacGil war mit den besten und treuesten Kriegern gesegnet, die je ein König gesehen hatte, und zu seinen Lebzeiten hatte noch niemand einen Angriff gewagt. Als der siebte MacGil auf dem Thron hatte er diesen während der zwei-und-dreißig Jahre seiner Herrschaft gut gehalten, war ein guter und weiser König gewesen. Das Land hatte unter seiner Herrschaft großes Wachstum erfahren, er hatte die Größe seiner Armee verdoppelt, seine Städte ausgebaut, seinem Volk Wohlstand beschert, und nicht eine Beschwerde war unter seinem Volk zu hören. Er war bekannt als der großzügige König, und nie zuvor hatte es eine Zeit von solchem Wohlstand und Frieden gegeben als die, seitdem er den Thron bestiegen hatte.

Und gerade das war widersprüchlicherweise der Grund, warum MacGil des Nächtens wach lag. Denn MacGil wusste, wie die Geschichte verlief: in sämtlichen Zeitaltern hatte es noch nie einen so langen Zeitraum ohne Krieg gegeben. Er fragte sich nicht länger, ob ein Angriff kommen würde—sondern wann. Und von wem.

Die größte Gefahr drohte natürlich von außerhalb des Rings, von jenem Imperium unzivilisierter Wilder, das die außerhalb gelegenen Wildlande beherrschte und alle Völker außerhalb des Rings, über dem Canyon, unterworfen hatte. Für MacGil und die sieben Generationen vor ihm hatten die Wildlande nie eine direkte Bedrohung dargestellt: dank der einzigartigen Geografie seines Königreichs, das geformt wie ein vollkommener Kreis—ein Ring—vom Rest der Welt durch einen tiefen Canyon von einer Meile Breite getrennt war, und dazu geschützt war von einem Energie-Schild, das seit der Zeit des ersten MacGil aktiv war, hatten sie von den Wildlanden nicht viel zu befürchten. Die wilden Völker hatten viele Male versucht, anzugreifen, das Schild zu durchdringen, den Canyon zu überqueren; nicht einmal waren sie erfolgreich gewesen. Solange er und sein Volk innerhalb des Rings blieben, gab es keine Bedrohung von außen.

Das bedeute jedoch nicht, dass es keine Bedrohung von innen gab. Und das war es, was MacGil in letzter Zeit den Schlaf raubte. Das war auch der wahre Hintergrund der Festlichkeiten an diesem Tag: die Vermählung seiner ältesten Tochter. Eine Vermählung, die speziell dafür arrangiert worden war, seine Feinde zu besänftigen, den zerbrechlichen Frieden zwischen dem Östlichen und dem Westlichen Königreich des Rings zu erhalten.

Zwar maß der Ring gute fünfhundert Meilen in jede Richtung, doch war er in der Mitte durch einen Gebirgszug geteilt. Die Hochlande. Auf der anderen Seite der Hochlande lag das Östliche Königreich, welches die zweite Hälfte des Rings beherrschte. Und dieses Königreich, seit Jahrhunderten regiert von ihren Rivalen, den McClouds, hatte schon immer versucht, seinen zerbrechlichen Waffenstillstand mit den MacGils zu zerschmettern. Die McClouds waren ein unzufriedener Schlag, uneins mit ihrem Schicksal, davon überzeugt, ihre Seite des Königreichs läge auf weniger fruchtbarem Boden. Sie fochten auch die Hochlande an, bestanden darauf, dass die gesamte Gebirgskette ihnen gehörte, wo jedoch zumindest die Hälfte davon im Besitz der MacGils war. Es gab ewige Auseinandersetzungen an den Grenzen, und beständig drohte eine Invasion.

Die Gedanken daran versetzten MacGil in üble Laune. Die McClouds sollten doch froh sein: sie lebten in Sicherheit innerhalb des Rings, vom Canyon geschützt; sie saßen auf vorzüglichem Land und hatten nichts zu befürchten. Sie sollten sich doch einfach mit ihrer Hälfte des Rings zufrieden geben. Nur deswegen, weil MacGil seine Armee so stark vergrößert hatte, wagten die McClouds erstmals in der Geschichte keinen Angriff. Aber MacGil, als der weise König, der er war, spürte etwas am Horizont lauern; er wusste, dass dieser Friede nicht von Dauer sein konnte. So hatte er diese Vermählung seiner ältesten Tochter mit dem ältesten Prinzen der McClouds arrangiert. Und nun war der Tag gekommen.

Unter seinen Augen strömten Tausende Gefolgsleute herein, in bunte Tuniken gekleidet, aus allen Ecken des Königreichs, von beiden Seiten der Hochlande. Beinahe der gesamte Ring, und alle strömten sie ins Innere seiner Mauern. Sein Volk hatte monatelang an den Vorbereitungen gearbeitet, unter der Anweisung, dass alles wohlhabend aussehen müsse—und stark. Dies war nicht nur der Tag einer Vermählung: es war ein Tag, um den McClouds eine Botschaft zu übermitteln.

MacGil begutachtete die Hunderten seiner Soldaten, die strategisch entlang der Brustwehr, in den Straßen, entlang der Mauern in Stellung waren; mehr Soldaten, als er je brauchen könnte—und er war zufrieden. Es war genau die Präsentation von Stärke, die er wollte. Aber er fühlte sich auch unruhig: die Stimmung war geladen, reif für eine Auseinandersetzung. Er hoffte, dass von keiner der beiden Seiten irgendwelche Hitzköpfe, vom Trunk erdreistet, Streit anzetteln würden. Er blickte prüfend auf die Turnierplätze, die Spielfelder, und dachte an die kommenden Tage voller Spiele und Turniere und aller Arten von Festivitäten. Sie würden intensiv werden. Die McClouds würden bestimmt mit ihrer eigenen kleinen Armee auftauchen, und jedes Turnierreiten, jeder Ringkampf, jeder Bewerb würde eine tiefere Bedeutung haben. Wenn auch nur eines davon schief ging, könnte es zu einem Gemetzel ausarten.

„Mein König?“

Er fühlte eine sanfte Hand auf der seinen, und drehte sich zu seiner Königin um, Krea, immer noch die schönste Frau, die er je gekannt hatte. Glücklich verheiratet während seiner gesamten Herrschaftszeit, hatte sie ihm fünf Kinder geboren, drei davon Jungen, und sich nicht auch nur einmal beschwert. Darüber hinaus war sie zu seiner engsten Ratgeberin geworden. Über die Jahre hinweg hatte er gelernt, dass sie weiser war als alle seine Mannen. Sogar weiser als er selbst.

„Es ist ein politischer Tag“, sagte sie. „Aber es ist auch die Hochzeit unserer Tochter. Versuche, Freude daran zu haben. Es wird nicht zweimal passieren.“

„Ich hatte weniger Sorgen, als ich nichts hatte“, antwortete er. „Jetzt, wo wir alles haben, macht mir alles Sorgen. Wir sind in Sicherheit. Aber ich fühle mich nicht in Sicherheit.“

Sie sah ihn an mit Augen voller Mitgefühl, groß und nussbraun; sie wirkten, als läge in ihnen alle Weisheit der Welt. Ihre Augenlider hingen tief, wie schon immer, stets ein wenig schläfrig wirkend, und wurden umrahmt von ihrem wunderschönen, glatten braunen Haar, von Grau durchzogen, das zu beiden Seiten ihres Gesichts herabfiel. Sie hatte vielleicht ein paar Falten mehr, aber sie hatte sich nicht im Geringsten verändert.

„Das liegt daran, dass du nicht in Sicherheit bist“, sagte sie. „Kein König ist je sicher. Es gibt mehr Spione an unserem Hof, als du je wissen möchtest. Und so ist es eben.“

Sie lehnte sich vor und küsste ihn, und lächelte.

„Versuche, dich zu freuen“, sagte sie. „Immerhin ist es eine Hochzeit.“

Mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ die Brustwehr.

Er blickte ihr nach, dann wandte er sich zurück zum Anblick seines Hofs. Sie hatte recht; sie hatte immer recht. Er wollte ja auch Freude daran haben. Er liebte seine älteste Tochter, und es war immerhin eine Hochzeit. Es war der schönste Tag in der schönsten Zeit des Jahres, am Gipfelpunkt des Frühlings, mit dem Sommer am Horizont, die beiden Sonnen perfekt am Himmel stehend, und der feinste Hauch einer Brise in der Luft. Alles stand in voller Blüte, rundum waren die Bäume eingefärbt in einer breiten Palette an Rosa und Lila, Orange und Weiß. Er täte nichts lieber, als sich hinunter zu seinen Mannen zu setzen, zuzusehen, wie seine Tochter verheiratet wurde, und becherweise Bier zu trinken, bis er nicht mehr konnte.

Aber das konnte er nicht. Er hatte eine lange Liste an Aufgaben zu erfüllen, bevor er überhaupt einen Schritt vor seine Burg setzen konnte. Schließlich bedeutete der Hochzeitstag einer Tochter für einen König gewisse Verpflichtungen: er musste seinen Rat einberufen; seine Kinder sprechen; sowie eine lange Reihe an Bittstellern sehen, die das Recht hatten, den König an diesem Tag zu sprechen. Er würde von Glück sprechen können, wenn er rechtzeitig zu Beginn der Zeremonie bei Sonnenuntergang aus der Burg kam.

*

In seine feinsten königlichen Gewänder gekleidet; Hosen aus schwarzem Samt, einem goldenen Gürtel, einer Königsrobe aus feinster purpurner und goldener Seide; in seinen weißen Mantel gehüllt, glänzende Lederstiefel über seine Waden gezogen, seine Krone auf den Kopf gesetzt—einem kunstvoll verzierten goldenen Reif mit einem großen Rubin, der in seine Mitte gefasst war—stolzierte MacGil durch die Hallen seiner Burg, von Bediensteten flankiert. Er schritt durch einen Raum nach dem anderen, stieg die Stiegen von der Brüstung hinab, durchquerte seine königlichen Gemächer, die große gewölbte Halle mit ihrer hochragenden Decke und den Reihen an Fenstern aus buntem Glas. Schließlich erreichte er eine alte Eichentüre, dick wie ein Baumstamm, die seine Diener für ihn öffneten, bevor sie zur Seite traten. Der Thronsaal.

Seine Ratgeber standen stramm, als MacGil eintrat und die Tür hinter ihm geräuschvoll ins Schloss fiel.

„Nehmt Platz“, sagte er, abrupter als sonst. Er war sie leid, besonders an diesem Tag, die endlosen Formalitäten des Regierens, und er wollte sie hinter sich bringen.

Er durchquerte den Thronsaal, der ihn ohne Ende beeindruckte, mit seiner fünfzig Fuß über ihm aufragenden Decke, mit einer gesamten Wand aus Buntglas, Boden und Mauern aus einem Fuß dicken Stein. Dieser Raum könnte mit Leichtigkeit einhundert Würdenträger fassen. An Tagen wie diesem jedoch, wenn sein Rat einberufen wurde, gab es nur ihn und seine Handvoll Ratgeber in dieser majestätischen Umgebung. Der Raum wurde beherrscht von einem ausladenden Tisch in Form eines Halbkreises, hinter dem seine Ratgeber standen.

Er schritt durch den Eingang, direkt durch die Mitte auf seinen Thron zu. Er stieg die steinernen Stufen hinauf, an den goldenen Löwenstatuen vorbei, und sank in die roten Samtkissen, die seinen Thron überzogen, der gänzlich aus Gold geschmiedet war. Sein Vater hatte auf diesem Thron gesessen, wie auch wiederum dessen Vater und alle MacGils vor ihm. Als er sich hinsetzte, fühlte MacGil das Gewicht seiner Ahnen—aller Generationen zusammen—auf ihm lasten.

Er betrachtete die anwesenden Ratgeber. Da war Brom, sein größter General und Ratgeber in militärischen Angelegenheiten; Kolk, der General der Jugend-Legion; Aberthol, der älteste der Truppe, ein Gelehrter und Historiker, Mentor der Könige dreier Generationen; Firth, sein Ratgeber für hofinterne Angelegenheiten, ein magerer Mann mit kurzem grauem Haar und ausgehöhlten Augen, die niemals stillstanden. Er war kein Mann, der je MacGils Vertrauen genossen hatte, und er hatte noch nicht einmal seinen Titel je wirklich verstanden. Jedoch MacGils Vater, und dessen Vater davor, hielten sich einen Ratgeber für höfische Angelegenheiten, und aus Respekt vor ihnen behielt er dies bei. Dann gab es Owen, seinen Schatzmeister; Bradaigh, seinen Ratgeber für äußere Angelegenheiten; Earnan, seinen Steuereinzieher; Duwayne, seinen Berater in Sachen Bevölkerung; und Kelvin, den Repräsentanten des Adels.

Natürlich hatte der König die absolute Autorität. Aber sein Königreich war ein freiheitliches, und seine Vorväter hatten stets Stolz darin gefunden, dem Adel eine Stimme in allen Angelegenheiten zukommen zu lassen, über das Sprachrohr ihres Repräsentanten. Historisch gesehen war das Gleichgewicht der Macht zwischen dem Königtum und dem Adel nicht immer harmonisch gewesen. Derzeit herrschte Einklang, doch in früheren Zeiten waren Aufstände und Machtkämpfe zwischen den Adeligen und der königlichen Familie vorgekommen. Es war ein empfindliches Gleichgewicht.

Als MacGil den Raum betrachtete, fiel ihm die Abwesenheit einer Person auf: gerade des Mannes, den er am dringendsten zu sprechen wünschte. Argon. Wie üblich war es schwer absehbar, wann und wo er auftauchen würde. Es trieb MacGil in den Wahnsinn, aber er hatte keine Wahl, als es zu akzeptieren. Die Wege der Druiden waren ihm unergründlich. Ohne seine Anwesenheit verspürte MacGil noch größere Hast. Er wollte dies hinter sich bringen, sich den tausend anderen Dingen zuwenden, die ihm vor der Hochzeit noch bevorstanden.

Die Gruppe der Ratgeber saß ihm gegenüber um den halbrunden Tisch, im Abstand von zehn Fuß voneinander, jeder von ihnen in einem Stuhl aus uraltem Eichenholz mit aufwändig geschnitzten hölzernen Armlehnen.

„Mein Herr, wenn ich beginnen dürfte“, rief Owen aus.

„Du darfst. Und fasse dich kurz. Meine Zeit heute ist eng begrenzt.“

„Eure Tochter wird heute zahlreiche Geschenke erhalten, die, wie wir hoffen, ihre Koffer gut gefüllt hinterlassen werden. Die tausenden Menschen, die Tribut zollen, Euch persönlich Geschenke überreichen, und unsere Freudenhäuser und Tavernen füllen, werden unseren Schatzkammern ebenso helfen. Und doch werden die Vorbereitungen für die heutigen Festivitäten auch einen guten Teil der königlichen Kassen leeren. Ich empfehle eine Erhöhung der Steuern für das Volk, und auch für den Adel. Eine einmalige Abgabe, um den Druck dieses großartigen Ereignisses zu lindern.“

MacGil sah die Sorge im Gesicht seines Schatzmeisters, und ihm wurde beim Gedanken an die geleerten Kassen mulmig. Und doch würde er die Steuern nicht noch einmal erhöhen.

„Besser arme Kassen und loyale Bürger“, antwortete MacGil. „Unser Reichtum liegt in der Zufriedenheit unserer Untertanen. Wir werden ihnen nicht mehr auferlegen.“

„Aber mein Herr, wenn wir nicht—“

„Es ist beschlossen. Was sonst?“

Owen sank geknickt zurück.

„Mein König“, sagte Brom mit seiner tiefen Stimme. „Eurem Befehl folgend haben wir den Großteil unserer Kräfte für das heutige Ereignis am Hof stationiert. Die Machtdemonstration wird beeindruckend sein. Aber es ist eine starke Belastung. Sollte in einem anderen Teil des Königreichs ein Angriff stattfinden, sind wir verletzlich.“

MacGil nickte und dachte darüber nach.

„Unsere Feinde werden uns nicht angreifen, während wir sie abfüttern.“

Die Männer lachten.

„Was gibt es Neues aus den Hochlanden?“

„Es gibt seit Wochen keine Berichte über irgendwelche Aktivitäten. Es scheint, als hätten ihre Truppen sich in Vorbereitung für die Hochzeit zurückgezogen. Vielleicht sind sie bereit, Frieden zu schließen.“

MacGil war sich da nicht so sicher.

„Das bedeutet entweder, dass die arrangierte Vermählung gewirkt hat, oder dass sie abwarten und uns zu einem anderen Zeitpunkt angreifen. Und was denkst du, welche Variante es ist, alter Mann?“, richtete MacGil das Wort an Aberthol.

Aberthol räusperte sich und sprach mit rauer Stimme: „Mein Herr, Euer Vater und sein Vater zuvor haben den McClouds nie getraut. Nur weil sie gerade schlafen, bedeutet das nicht, dass sie nicht erwachen werden.“

MacGil nickte; er konnte den Gedanken nachvollziehen.

„Und wie steht es mit der Legion?“, fragte er in Kolks Richtung.

„Heute haben wir die neuen Rekruten willkommen geheißen“, antwortete Kolk mit einem kurzen Nicken.

„Mein Sohn unter ihnen?“, fragte MacGil.

„Er steht stolz mit den anderen, und er ist ein feiner Junge.“

MacGil nickte und wandte sich dann an Bradaigh.

„Und was gibt es Neues von über dem Canyon?“

„Mein Herr, unsere Patrouillen konnten in den letzten Wochen vermehrt Versuche feststellen, den Canyon zu überqueren. Es könnte Anzeichen geben, dass die Wildlande sich für einen Angriff zusammenraffen.“

Ein unterdrücktes Flüstern kam unter den Männern auf. MacGil spürte, wie sich sein Magen bei dem Gedanken zusammenzog. Das Energie-Schild war unzerstörbar; dennoch war dies kein gutes Zeichen.

„Und was, wenn es zu einem Angriff mit voller Kraft kommt?“, fragte er.

„Solange das Schild aktiv ist, haben wir nichts zu befürchten. Die Wildlande haben jahrhundertelang erfolglos versucht, den Canyon zu bezwingen. Es gibt keinen Grund, jetzt etwas anderes zu erwarten.“

MacGil war sich da nicht so sicher. Ein Angriff von außen war lange überfällig, und er musste sich fragen, wann es soweit sein würde.

„Mein Herr“, meldete sich Firth in seiner nasalen Stimme, „ich fühle mich verpflichtet, hinzuzufügen, dass unser Hof am heutigen Tage mit zahlreichen Würdenträgern aus dem McCloud-Königreich gefüllt ist. Es würde als Beleidigung aufgefasst werden, solltet Ihr sie nicht persönlich begrüßen, Rivalen oder nicht. Ich würde raten, dass Ihr Euren Nachmittag dafür aufwendet, jeden einzeln zu begrüßen. Sie kamen mit großem Gefolge, vielen Geschenken—und, so heißt es, vielen Spionen.“

„Wer sagt, dass die Spione nicht bereits hier sind?“, entgegnete MacGil, Firth dabei genau beobachtend—und fragte sich, wie immer, ob er nicht selbst einer sei.

Firth setzte zu einer Antwort an, doch MacGil seufzte und hob eine Hand; er hatte genug. „Wenn das alles ist, werde ich nun gehen und mich zur Hochzeit meiner Tochter begeben.“

„Mein Herr“, sagte Kelvin und räusperte sich, „natürlich wäre da noch eine Angelegenheit. Die Tradition, für den Tag der Vermählung Eurer Ältesten. Jeder MacGil hat einen Nachfolger bestimmt. Das Volk wird von Euch erwarten, dass Ihr dasselbe tut. Es ist in Aufruhr darüber. Es wäre nicht ratsam, es zu enttäuschen. Besonders, da das Schicksalsschwert nach wie vor unbewegt ist.“

„Willst du tatsächlich, dass ich einen Erben nenne, während ich noch bei vollen Kräften bin?“, fragte MacGil.

„Mein Herr, ich möchte Euch nicht zu nahe treten“, stammelte Kelvin mit besorgtem Blick.

MacGil hob eine Hand. „Ich kenne die Tradition. Und ich werde in der Tat heute jemanden nennen.“

„Würdet Ihr uns bekannt geben, um wen es sich handelt?“, fragte Firth.

MacGil starrte ihn entnervt an. Firth war ein Schwätzer, und er traute diesem Mann nicht.

„Du wirst die Neuigkeiten erfahren, wenn die rechte Zeit gekommen ist.“

MacGil stand auf, und auch die anderen erhoben sich. Sie verbeugten sich, wandten sich um, und eilten aus dem Raum.

MacGil stand nachdenklich da; er wusste nicht, wie lange. An Tagen wie diesem wünschte er sich, nicht König zu sein.

*

MacGil stieg von seinem Thron herab. Seine Stiefel hallten durch die Stille, als er den Raum durchquerte. Er öffnete die alte Eichentür selbst, zog an der Eisenklinke, und betrat eine Seitenkammer.

Er genoss die Ruhe und Abgeschiedenheit in diesem gemütlichen Zimmer, wie schon immer, mit seinen Mauern kaum zwanzig Schritte in jede Richtung voneinander entfernt, und doch mit einer hoch aufragenden, gewölbten Decke. Das Zimmer war zur Gänze aus Stein gefertigt, mit einem kleinen runden Buntglas-Fenster an einer Wand. Licht floss durch seine gelben und roten Glasstücke herein und erleuchtete einen einzelnen Gegenstand in dem ansonsten leeren Raum.

Das Schicksalsschwert.

Da lag es, im Zentrum der Kammer, waagrecht auf eisernen Stützen ruhend, wie eine Verführerin. Wie er es schon als Junge getan hatte, trat MacGil nahe an das Schwert heran, umkreiste es, untersuchte es. Das Schicksalsschwert. Das Schwert aus Legenden, die Quelle der Macht und der Kräfte seines gesamten Königreichs, von einer Generation zur nächsten. Wer immer die Kraft hatte, es zu erheben, würde der Auserwählte sein, der Eine, dessen Schicksal es war, das Königreich sein Leben lang zu regieren, es von allen Bedrohungen zu befreien, innerhalb wie außerhalb des Rings. Es war wunderbar gewesen, mit dieser Legende aufzuwachsen, und sobald er zum König gesalbt war, hatte MacGil selbst versucht, es zu erheben, da es nur MacGil-Königen gestattet war, es überhaupt zu versuchen. Die Könige vor ihm, jeder Einzelne von ihnen, hatten versagt. Er war sich sicher gewesen, dass er anders sein würde. Er war sich sicher gewesen, dass er der Auserwählte war.

Aber er lag falsch. Wie alle anderen MacGil-Könige vor ihm. Und sein Versagen hatte seither einen Schatten über sein Königtum gelegt.

Als er es nun betrachtete, untersuchte er seine lange Klinge, aus einem geheimnisvollen Metall gefertigt, das noch niemand entziffern konnte. Der Ursprung des Schwerts war noch rätselhafter; den Gerüchten zufolge stieg es inmitten eines Bebens aus der Erde hoch.

Während er es betrachtete, verspürte er erneut den Stich des Versagens. Er mochte ein guter König sein; der Auserwählte war er jedoch nicht. Sein Volk wusste das. Seine Feinde wussten das. Er mochte ein guter König sein, doch egal was er tat, er würde nie der Auserwählte sein.

Wäre er es gewesen, so dachte er, hätte es wohl weniger Unruhe an seinem Hof gegeben, weniger Verschwörungen. Seine eigenen Leute würden ihm mehr vertrauen und seine Feinde würden nicht einmal an einen Angriff denken. Ein Teil von ihm wünschte sich, das Schwert möge einfach verschwinden, und die Legende mit ihm. Doch er wusste, das würde nicht geschehen. Darin lag der Fluch—und die Macht—einer Legende. Stärker noch als eine Armee.

Als er zum tausendsten Mal darauf starrte, musste MacGil sich wieder einmal fragen, wer es wohl sein würde. Wer in seiner Blutlinie würde bestimmt sein, es zu führen? Als er daran dachte, was vor ihm lag—seine Aufgabe, einen Erben zu nennen—fragte er sich, wer von ihnen, wenn überhaupt, dazu bestimmt war, es zu erheben.

„Das Gewicht der Klinge ist schwer“, erklang eine Stimme.

MacGil wirbelte herum, überrascht, in dem kleinen Zimmer nicht allein zu sein.

Da, in der Tür, stand Argon. MacGil erkannte die Stimme, bevor er ihn sah, und war zugleich verärgert, dass er sich nicht zuvor gezeigt hatte, und erfreut, dass er jetzt bei ihm war.

„Du bist spät dran“, sagte MacGil.

„Eure Vorstellung von Zeit trifft auf mich nicht zu“, antwortete Argon.

MacGil wandte sich wieder dem Schwert zu.

„Hast du je gedacht, dass ich es erheben könnte?“, fragte er nachdenklich. „An dem Tag, als ich König wurde?“

„Nein“, antwortete Argon geradeheraus.

MacGil blickte zu ihm hinüber.

„Du wusstest, ich würde es nicht schaffen. Du hast es gesehen, nicht wahr?“

„Ja.“

MacGil dachte darüber nach.

„Es macht mir Angst, wenn du direkt antwortest. Das sieht dir nicht ähnlich.“

Argon schwieg, und schließlich verstand MacGil, dass er nichts weiter sagen würde.

„Ich ernenne heute meinen Nachfolger“, sagte MacGil. „Es fühlt sich widersinnig an, an einem solchen Tag einen Erben zu nennen. Es entzieht einem König die Freude an der Vermählung seines Kindes.“

„Vielleicht soll eine solche Freude gedämpft sein.“

„Aber ich habe noch so viele Jahre des Regierens vor mir“, sagte MacGil flehend.

„Vielleicht nicht so viele, wie Ihr denkt“, erwiderte Argon.

MacGil blickte Argon mit zusammengekniffenen Augen verwundert an. War dies eine Botschaft?

Doch Argon fügte dem nichts hinzu.

„Sechs Kinder. Welches soll ich wählen?“, fragte MacGil.

„Warum fragt Ihr mich? Ihr habt Euch bereits entschieden.“

MacGil sah ihn an. „Du siehst viel. Ja, das habe ich. Und doch möchte ich wissen, was du denkst.“

„Ich denke, Ihr habt weise gewählt“, sagte Argon. „Doch bedenkt: ein König kann nicht aus dem Grabe heraus regieren. Wen Ihr auch glaubt, gewählt zu haben, das Schicksal hat seine Art, selbst zu bestimmen.“

„Werde ich leben, Argon?“, fragte MacGil ernsthaft, stelle die Frage, die er beantwortet haben wollte, seit er in der Nacht zuvor aus einem furchtbaren Alptraum aufgewacht war.

„Ich träumte letzte Nacht von einer Krähe“, fügte er hinzu. „Sie kam und stahl meine Krone. Dann trug mich eine Weitere hinfort. Während wir flogen, sah ich mein Königreich unter mir ausgebreitet. Es wurde schwarz, während ich darüberzog. Verdorrt. Eine Wüste.“

Er blickte zu Argon hoch, seine Augen feucht.

„War es ein Traum? Oder etwas mehr?“

„Träume sind immer etwas mehr, nicht wahr?“, fragte Argon.

Ein ungutes Gefühl ergriff MacGil.

„Wo liegt die Gefahr? Verrate mir nur so viel.“

Argon trat nahe an ihn heran und starrte in seine Augen, mit einer Intensität, dass MacGil das Gefühl hatte, als würde er in eine andere Welt starren.

Argon lehnte sich vor und flüsterte:

„Stets näher, als man denkt.“




KAPITEL VIER


Thor lag versteckt in einer Ladung Strohballen auf einem Wagen, der ihn über die Landstraße rüttelte. Er hatte in der Nacht zuvor die Straße erreicht und geduldig abgewartet, bis ein Wagen vorbei kam, der groß genug war, damit er unbemerkt aufsteigen konnte. Es war bereits dunkel gewesen, und der Wagen trottete gerade langsam genug vor sich hin, dass er im gemütlichen Laufschritt aufholen und hinten hineinspringen konnte. Er war im Heu gelandet und grub sich darin ein. Zum Glück hatte ihn der Fahrer nicht entdeckt. Thor konnte nicht sicher sein, ob der Wagen wirklich nach Königshof fahren würde, aber er fuhr in die richtige Richtung und ein Wagen von dieser Größe, und mit diesen Kennzeichnungen, konnte nicht an viele andere Orte wollen.

Und so fuhr Thor durch die Nacht. Er lag stundenlang wach und dachte an seine Begegnung mit dem Sybold. Mit Argon. An sein Schicksal. Sein altes Zuhause. Seine Mutter. Er fühlte sich, als hätte das Universum ihm eine Antwort geschickt, ihm deutlich gesagt, sein Schicksal läge woanders. Er lag mit den Händen hinter dem Kopf verschränkt da und starrte auf den Nachthimmel hinauf, der durch Risse im Leinen sichtbar war. Er betrachtete das Universum, so hell, seine roten Sterne so weit entfernt. Er war außer sich vor Freude. Zum ersten Mal in seinem Leben war er auf der Reise. Er wusste nicht, wohin, aber er war unterwegs. Auf die eine oder andere Weise würde er den Weg nach Königshof finden.

Als Thor die Augen öffnete, war es Morgen. Licht flutete herein und er stellte fest, dass er eingenickt war. Er setzte sich auf und blickte sich hastig um, sich selbst rügend, dass er eingeschlafen war. Er hätte wachsamer sein sollen—er hatte Glück, dass er nicht entdeckt worden war.

Der Wagen war immer noch in Bewegung, doch er ruckelte nicht mehr so stark. Das konnte nur eines bedeuten: eine bessere Straße. Sie mussten in der Nähe einer Stadt sein. Thor blickte nach unten und sah, wie glatt die Straße war, frei von Steinen oder Löchern, und gesäumt mit feinen weißen Muschelschalen. Sein Herz schlug höher: sie waren tatsächlich auf der Straße nach Königshof.

Thor warf einen Blick nach hinten aus dem Wagen hinaus und war überwältigt: die makellose Straße war von Geschäftigkeit erfüllt. Dutzende Karren in allen Formen und Größen und mit allerlei Dingen beladen füllten die Straßen. Einer war mit Fellen beladen; ein anderer mit Teppichen; ein dritter mit Hühnern. Dazwischen waren hunderte von Händlern zu Fuß unterwegs, einige führten Rinder, andere trugen Körbe voll Waren auf dem Kopf. Vier Männer hievten gemeinsam ein Bündel Seidenstoffe, das über Stangen gelegt war. Es war ein Heer von Menschen, allesamt unterwegs in die gleiche Richtung.

Thor fühlte sich lebendig. Er hatte noch nie so viele Menschen auf einmal gesehen, so viele Waren, so viel Treiben. Er hatte sein ganzes Leben in einem kleinen Dorf verbracht, und nun war er an einem Hauptumschlagplatz und versank geradezu in einem Menschenmeer.

Er hörte ein lautes Geräusch, das Ächzen von Ketten, das Krachen eines riesigen Holzteils, so stark, dass der Boden bebte. Augenblicke später kam ein weiteres Geräusch, das Klappern von Pferdehufen auf Holz. Er blickte hinunter und erkannte, dass sie eine Brücke passierten; unter ihnen befand sich ein Burggraben. Eine Zugbrücke.

Thor streckte den Kopf hinaus und sah enorme Steinsäulen und ein spitzenbewehrtes eisernes Tor über ihm. Sie fuhren durch das Königstor.

Es war das größte Tor, das er je gesehen hatte. Er blickte hinauf zu den Spitzen und dachte staunend, dass sie ihn in Stücke schneiden würden, falls sie herunterkrachten. Er sah vier Männer der königlichen Silbernen, die den Eingang bewachten, und sein Herz schlug schneller.

Sie fuhren durch einen langen Tunnel aus Stein, und Augenblicke später öffnete sich der Himmel wieder. Sie waren in Königshof.

Thor konnte es kaum glauben. Das geschäftige Treiben war hier noch stärker, falls das überhaupt möglich war—es wirkte wie tausende Menschen, die in alle Richtungen herumschwirrten. Rundum gab es weitläufige Grasflächen, perfekt gemäht, und Blumen in voller Blüte. Die Straße wurde breiter, und am Straßenrand entlang standen Buden, Straßenhändler und Steinbauten. Und zwischen all dem, des Königs Mannen. Soldaten in ihren Rüstungen. Thor hatte es geschafft.

In seiner Aufregung stand er unbedacht auf; im gleichen Moment blieb der Karren ruckartig stehen und warf ihn mit dem Rücken voraus ins Stroh zurück. Bevor er sich aufraffen konnte, hörte er einen Holzteil aufklappen, und er blickte hoch zu einem verärgerten alten Mann, der in Lumpen gekleidet war und ihn finster ansah. Der Kutscher streckte die Arme nach ihm aus, packte Thor mit seinen knochigen Händen an den Knöcheln und zog ihn ins Freie.

Thor flog durch die Luft, landete hart mit dem Rücken auf der unbefestigten Straße und wirbelte eine Staubwolke dabei auf. Um ihn herum erhob sich Gelächter.

„Wenn du noch einmal in meinem Karren mitfährst, Bursche, gehts an den Pranger mit dir! Du kannst dich glücklich schätzen, dass ich nicht jetzt gleich die Silbernen rufe!“

Der alte Mann spuckte zur Seite, dann eilte er zurück zu seinem Karren und trieb die Pferde weiter.

Beschämt kam Thor wieder zu Sinnen und stand auf. Er blickte um sich: ein oder zwei Passanten schmunzelten, und Thor funkelte sie an, bis sie sich abwendeten. Er wischte sich den Staub ab und rieb seine Arme; sein Stolz war verletzt, aber nicht sein Körper.

Seine gute Laune kam zurück, als er sich ungläubig umsah und ihm klar wurde, dass er froh sein sollte, es bis hierher geschafft zu haben. Nun, da er aus dem Wagen draußen war, konnte er sich frei umblicken, und es war wahrhaft ein außergewöhnlicher Anblick: der Hof breitete sich aus, soweit das Auge reichte. In seiner Mitte stand ein prachtvoller Palast aus Stein, umringt von hoch aufragenden, befestigten Steinmauern, gekrönt mit einer Brüstung, auf der überall die königliche Armee patrouillierte. Überall um ihn herum waren perfekt gepflegte Grünanlagen, steinerne Plätze, Brunnen, Baumgruppen. Es war eine Stadt. Und sie war von einer Menschenflut erfüllt.

In alle Richtungen strömten alle Arten von Leuten—Händler, Soldaten, Würdenträger—jeder von ihnen so sehr in Eile. Thor brauchte ein paar Minuten, bis er verstand, dass etwas Besonderes vonstattenging. Während er herumspazierte, konnte er beobachten, wie Vorbereitungen getroffen wurden, Stühle aufgestellt, ein Altar aufgebaut. Es schien, als würden sie eine Hochzeit vorbereiten.

Sein Herz machte einen Sprung, als er in der Ferne einen Turnierplatz erkennen konnte, mit langen Lehmbahnen und einem gespannten Tau dazwischen. Auf einem anderen Feld sah er Soldaten, die Speere auf weit entfernte Zielscheiben schleuderten; auf einem weiteren zielten Bogenschützen auf Strohpuppen. Es schien, als würden überall rundum Spiele und Wettbewerbe stattfinden. Es gab auch Musik: Lauten und Flöten und Zimbeln, umherziehende Musikantentruppen; und Wein, der in riesigen Fässern hervorgerollt wurde; und Speisen, die auf Tischen ausgelegt wurden, Bankette, die sich erstreckten, so weit das Auge reichte. Es schien, als wäre er inmitten einer gewaltigen Feier angekommen.

So faszinierend das auch war, verspürte Thor doch den Drang, die Legion zu finden. Er war jetzt schon spät dran und er musste sich dort bekanntmachen.

Er eilte zur ersten Person, die er erblickte: einem älteren Herren, seinem blutbefleckten Schurz nach ein Fleischer, der die Straße hinuntereilte. Jeder hier war derart in Eile.

„Entschuldigt, mein Herr“, sagte Thor und griff ihn am Arm.

Der Mann blickte missmutig auf Thors Hand.

„Was willst du, Junge?“

„Ich bin auf der Suche nach der Legion des Königs. Wisst Ihr, wo sie trainieren?“

„Sehe ich etwa wie ein Stadtplan aus?“, zischte der Mann und stürmte davon.

Thor war von seiner Unhöflichkeit erschrocken.

Er eilte zur nächsten Person, die er sah: eine Frau, die an einem langen Tisch stand und Teig knetete. Mehrere Frauen standen an dem Tisch, alle schwer bei der Arbeit, und Thor dachte, eine von ihnen müsste es wissen.

„Entschuldigt, Fräulein“, sagte er. „Könntet Ihr mir vielleicht sagen, wo die Legion des Königs trainiert?“

Sie tauschen Blicke aus und kicherten, manche von ihnen nur wenige Jahre älter als er selbst.

Die Älteste drehte sich zu ihm und sah ihn an.

„Du suchst am falschen Ort“, sagte sie. „Hier treffen wir Vorbereitungen für die Festivitäten.“

„Aber mir wurde gesagt, sie trainieren in Königshof“, sagte Thor verwirrt.

Die Frauen brachen wieder in Gekicher aus. Die Älteste stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte den Kopf.

„Du stellst dich an, als wärst du zum ersten Mal in Königshof. Weißt du nicht, wie groß es ist?“

Thor lief rot an, als die anderen Frauen zu lachen anfingen, und stürmte schließlich davon. Er mochte es nicht, wenn man sich über ihn lustig machte.

Er sah vor sich ein Dutzend Straßen, die sich in alle möglichen Richtungen durch Königshof schlängelten. Über die Steinwälle verteilt gab es mindestens ein Dutzend Eingänge. Die Größe und Weitläufigkeit dieses Orts war überwältigend. Er hatte das ungute Gefühl, dass er den ganzen Tag suchen könnte, und es doch nicht finden würde.

Da kam ihm eine Idee: bestimmt würde ein Soldat wissen, wo die anderen trainieren. Es machte ihn nervös, einen richtigen Soldaten des Königs anzusprechen, doch ihm wurde klar, dass er nicht darum herumkommen würde.

Er eilte zur Stadtmauer hinüber, auf einen der Soldaten zu, der am nächstgelegenen Eingang Wache stand. Er hoffte, er würde ihn nicht hinauswerfen. Der Soldat stand stramm da und blickte starr geradeaus.

„Ich suche die Legion des Königs“, sagte Thor, seinen tapfersten Tonfall aufbringend.

Der Soldat starrte weiterhin geradeaus und ignorierte ihn.

„Ich sagte, ich suche die Legion des Königs!“, bestand Thor, lauter, fest entschlossen, wahrgenommen zu werden.

Nach ein paar Sekunden blickte der Soldat auf ihn hinunter und verzog das Gesicht.

„Könnt Ihr mir sagen, wo sie ist?“, drängte Thor.

„Und was wirst du wohl dort zu suchen haben?“

„Etwas äußerst Wichtiges“, drängte Thor weiter. Er hoffte, der Soldat würde nicht auf Einzelheiten bestehen.

Der Soldat wandte sich wieder ab, um weiterhin geradeaus zu starren, und ignorierte ihn wieder. Thor fühlte, wie sein Herz sank. Er befürchtete schon, dass er nie eine Antwort bekommen würde.

Doch nach einer gefühlten Ewigkeit antwortete der Soldat: „Nimm das östliche Tor, dann geh nach Norden, soweit es geht. Nimm das dritte Tor links, dann die Abzweigung rechts, und bieg noch einmal rechts ab. Passiere den zweiten Steinbogen, und ihre Gründe liegen hinter dem Tor. Aber ich sage dir, du verschwendest deine Zeit: sie halten sich dort nicht mit Besuchern auf.“

Mehr wollte Thor gar nicht hören. Ohne sich weiter aufzuhalten, drehte er sich um und rannte über das Feld, der Wegbeschreibung folgend, die er im Kopf vor sich her sagte, damit er sie nicht vergaß. Er bemerkte, dass die Sonne höher am Himmel stand, und konnte nur beten, dass es noch nicht zu spät war, bis er dort ankam.

*

Thor rannte die makellosen, muschelgesäumten Wege entlang und bahnte sich seinen gewundenen Weg durch Königshof. Er versuchte, der Wegbeschreibung zu folgen, so gut er konnte und hoffte, dass er nicht in die Irre geleitet worden war. Er erreichte das andere Ende des großen Hofs, blickte auf alle Tore und nahm das dritte von links. Er lief hindurch und folgte den Abzweigungen, bog um eine Ecke nach der anderen. Er rannte gegen den Strom; tausende Menschen strömten in die Stadt hinein, die Menge wurde von Minute zu Minute dichter. Er stieß gegen die Schultern von Lautenspielern, Jongleuren, Hofnarren und allen möglichen anderen Unterhaltungskünstlern, allesamt besonders prächtig herausgeputzt.

Thor ertrug den Gedanken nicht, dass die Ernennung ohne ihn beginnen sollte, und tat sein bestes, sich auf den Weg zu konzentrieren, während er einen Pfad nach dem anderen nahm und nach irgendeinem Anzeichen für die Trainingsgründe Ausschau hielt. Er lief durch einen Bogen, bog in eine weitere Straße ein, und erblickte endlich in der Ferne etwas, das nichts anderes als sein Ziel sein konnte: ein kleines Kolosseum, ein kreisrundes Bauwerk aus Stein. In seiner Mitte befand sich ein riesiges Tor, an dem Soldaten Wache standen. Thor konnte hinter den Mauern gedämpften Jubel hören, und sein Herz schlug schneller. Er war am Ziel.

Er rannte schneller, seine Lunge drohte schon zu platzen. Als er zum Tor kam, traten zwei Wachen vor und senkten ihre Lanzen, und versperrten ihm so den Weg. Ein dritter Wachmann trat vor und hob die Hand.

„Anhalten“, befahl er.

Thor blieb abrupt stehen, schnappte nach Atem, kaum in der Lage, seine Aufregung zu beherrschen.

„Ihr...versteht...nicht“, keuchte er, die Worte zwischen seinen Japsern hervor stoßend, „ich muss hinein. Ich bin spät dran.“

„Spät dran wofür?“

„Die Ernennung.“

Der Wachmann, ein kurzer, schwerer Mann mit pockennarbiger Haut, warf den anderen hinter ihm einen Blick zu, den sie zynisch erwiderten. Er sah Thor abfällig an.

„Die Rekruten wurden schon vor Stunden mit dem königlichen Transportzug hereingebracht. Wenn du nicht eingeladen wurdest, kannst du nicht eintreten.“

„Aber Ihr versteht nicht. Ich muss—“

Der Wachmann streckte die Hand aus und packte Thor am Hemd.

„Du verstehst wohl nicht, du unverschämter kleiner Junge. Wie kannst du es wagen, hier aufzutauchen und zu versuchen, dich hineinzuzwängen? Und jetzt hau ab—bevor ich dich in Ketten lege.“

Er versetzte Thor einen Stoß, der ihn mehrere Fuß weit zurückwarf.

Thor spürte ein Stechen auf der Brust, wo die Hand des Wachmanns ihn gestoßen hatte—doch umso mehr spürte er den Stich der Abweisung. Er war empört. Er war nicht bis hierher gekommen, um von einem Wachmann abgewiesen zu werden, ohne überhaupt angesehen worden zu sein. Er war entschlossen, es bis hinein zu schaffen.

Der Wachmann drehte sich wieder seinen Männern zu, und Thor zog langsam von dannen, links um das kreisförmige Gebäude herum. Er hatte einen Plan. Er ging weiter, bis er außer Sichtweite war, dann verfiel er in ein gemächliches Lauftempo, seinen Weg an der Mauer entlang ziehend. Er versicherte sich, dass die Wachen ihn nicht beobachteten, dann wurde er schneller. Als er den Bau zur Hälfte umrundet hatte, fand er eine weitere Möglichkeit, in die Arena zu gelangen: hoch oben befanden sich gewölbte Öffnungen im Stein, die von Eisengittern versperrt waren. In einer dieser Öffnungen fehlte das Gitter. Er hörte erneut Gejubel, zog sich auf die Kante hoch und blickte hinein.

Sein Herz schlug höher. Da, über den riesigen, kreisrunden Trainingsplatz verteilt, standen dutzende Rekruten—einschließlich seiner Brüder. In Reih und Glied aufgestellte standen sie einem Dutzend der Silbernen gegenüber. Des Königs Mannen gingen durch die Reihen und begutachteten sie.

Eine weitere Gruppe von Rekruten stand etwas abseits, unter den wachsamen Augen eines Soldaten, und warf Speere auf ein fernes Ziel. Einer von ihnen warf daneben.

Thors Adern brannten vor Empörung. Er hätte dieses Ziel treffen können; er war genauso gut wie jeder Beliebige von denen. Nur weil er jünger war, etwas kleiner vielleicht, war es noch lange nicht gerecht, dass er übergangen wurde.

Plötzlich spürte Thor eine Hand auf seinem Rücken, wurde nach hinten gerissen und flog durch die Luft. Er landete hart auf dem Boden unter ihm; der Aufprall nahm ihm den Atem.

Er blickte hoch und sah den Wachmann vom Tor, der höhnisch auf ihn herabblickte.

„Was habe ich dir gesagt, Junge?“

Bevor er reagieren konnte, holte der Wachmann aus und verpasste Thor einen kräftigen Tritt. Thor spürte einen scharfen Schlag gegen seine Rippen, und der Wachmann holte zu einem weiteren Tritt aus.

Diesmal fing Thor den Fuß des Wachmanns in der Luft ab; er zog an ihm, bis dieser das Gleichgewicht verlor und hinfiel.

Thor stand schnell wieder auf den Füßen. Zur gleichen Zeit stand auch der Wachmann wieder auf. Thor starrte ihn an, schockiert darüber, was er gerade getan hatte. Ihm gegenüber blickte der Wachmann zornig zurück.

„Ich werde dich nicht nur in Ketten legen“, fauchte der Wachmann, „ich werde dich für das hier auch bezahlen lassen. Niemand vergreift sich an einer königlichen Wache! Einen Beitritt zur Legion kannst du vergessen—jetzt wirst du in den Kerkern versauern! Du hättest Glück, wenn dich je wieder jemand zu Gesicht bekäme!“

Der Wachmann holte eine Kette mit Schellen an den Enden hervor. Er trat Thor mit einem rachsüchtigen Ausdruck auf dem Gesicht näher.

Thors Gedanken rasten. Er konnte nicht zulassen, dass er in Ketten gelegt wurde—aber ein Mitglied der königlichen Wache verletzen wollte er auch nicht. Er musste sich etwas einfallen lassen—und zwar schnell.

Da fiel ihm seine Schleuder ein. Seine Reflexe übernahmen die Kontrolle, als er sie packte, einen Stein auflegte, zielte, und losließ.

Der Stein flog durch die Luft und schlug dem verblüfften Wachmann die Fesseln aus der Hand; er traf aber auch die Finger des Mannes. Der Wachmann zog die Hand zurück und schüttelte sie brüllend vor Schmerz, während die Fesseln zu Boden rasselten.

Der Wachmann warf Thor einen mörderischen Blick zu. Er zog sein Schwert. Es kam mit einem unverkennbaren metallischen Klingen zum Vorschein.

„Das war dein letzter Fehler“, grollte er bedrohlich und griff an.

Thor hatte keine Wahl: dieser Mann würde ihn einfach nicht in Ruhe lassen. Er legte einen weiteren Stein in seine Schleuder und schoss. Er zielte bewusst: er wollte den Mann nicht töten, aber er musste ihn aufhalten. Anstatt also auf sein Herz, seine Nase, Augen oder seinen Kopf zu zielen, zielte Thor auf die eine Stelle, von der er wusste, es würde ihn aufhalten, aber nicht umbringen.

Zwischen seine Beine.

Er ließ den Stein fliegen—nicht mit voller Kraft, aber ausreichend, um den Mann zu Boden zu bringen.

Es war ein perfekter Treffer.

Der Wachmann kippte vornüber, ließ sein Schwert fallen, hielt sich den Schritt, brach auf den Boden zusammen und krümmte sich.

„Dafür wirst du hängen“, ächzte er unter Schmerzen. „Wache! Wache!“

Thor blickte hoch und sah in der Ferne mehrere Männer der königlichen Wache auf ihn zulaufen.

Jetzt oder nie.

Ohne einen weiteren Augenblick zu vergeuden, spurtete er auf die Kante unter dem Fenster zu. Er würde durchspringen müssen, in die Arena hinein, und auf sich aufmerksam machen müssen. Und er würde jeden bekämpfen, der sich ihm in den Weg stellte.




KAPITEL FÜNF


MacGil saß in der oberen Halle seiner Burg, in seiner Kammer für vertraulichere Besprechungen, die er für persönliche Angelegenheiten benutzte. Er saß auf seinem persönlichen Thron—dieser war aus Holz gefertigt—und blickte auf die vier seiner Kinder, die vor ihm standen. Zuerst sein ältester Sohn, Kendrick, mit seinen fünf-und-zwanzig Jahren ein feiner Krieger und ein wahrer Edelmann. Von allen Kindern sah er MacGil am meisten ähnlich—was ironisch war, da er ein Bastard war, MacGils einziger Nachkomme von einer anderen Frau; einer Frau, die er längst vergessen hatte. MacGil hatte Kendrick trotz der anfänglichen Proteste seiner Königin mit seinen ehelichen Kindern gemeinsam aufgezogen, unter der Bedingung, dass er nie den Thron besteigen würde. Darunter litt MacGil nun, da Kendrick der anständigste Mann war, den er je gekannt hatte; ein Sohn, der ihn stolz machte, sein Vater zu sein. Das Königreich könnte sich keinen feineren Nachfolger wünschen.

Im starken Kontrast dazu stand neben ihm sein zweitgeborener—jedoch der erstgeborene legitime—Sohn Gareth, drei-und-zwanzig, mager, mit hohlen Wangen und großen braunen Augen, die pausenlos in Bewegung waren. Charakterlich konnte er seinem älteren Bruder nicht unähnlicher sein. Gareths Charakter war alles, was Kendricks nicht war: wo sein Bruder offenherzig war, versteckte Gareth seine wahren Gedanken; wo sein Bruder stolz und nobel war, war Gareth durchtrieben und hinterlistig. Es schmerzte MacGil, dass er seinen eigenen Sohn nicht leiden konnte, und er hatte viele Male versucht, dessen Natur geradezubiegen; doch es kam ein Punkt in den Jugendjahren des Jungen, an dem er sich eingestehen musste, dass seine Natur festgelegt war: intrigant, machthungrig, und alle falschen Arten von ehrgeizig. Gareth, so wusste MacGil auch, hatte nichts für Frauen übrig und hatte zahlreiche Liebhaber. Andere Könige hätten einen solchen Sohn verstoßen, doch MacGil war aufgeschlossener und für ihn stellte dies keinen Grund dar, ihn nicht zu lieben. Er verurteilte ihn nicht dafür. Wofür er ihn sehr wohl verurteilte, war seine boshafte, intrigante Natur, über die er nicht einfach hinwegsehen konnte.

In der Reihe neben Gareth stand MacGils zweitgeborene Tochter Gwendolyn. Gerade erst ihr sechzehntes Lebensjahr erreicht, war sie eines der schönsten Mädchen, die seine Augen je gesehen hatten—und ihr Gemüt überstrahlte sogar ihr Aussehen: sie war gütig, großherzig, aufrichtig—die feinste junge Frau, die er je gekannt hatte. In dieser Hinsicht war sie seinem Kendrick ähnlich. Sie sah MacGil mit der Liebe einer Tochter für ihren Vater an, und er spürte stets ihre Loyalität, mit jedem Blick. Er war auf sie sogar noch stolzer als auf seine Söhne.

Neben Gwendolyn stand MacGils jüngster Sohn Reece, ein stolzer und temperamentvoll junger Mann, der mit seinen vierzehn Jahren gerade erst dabei war, ein Mann zu werden. MacGil hatte seiner Aufnahme in die Legion mit großer Freude entgegengesehen, und er konnte jetzt bereits den Mann in ihm sehen, zu dem er werden würde. Eines Tages, da hatte MacGil keine Zweifel, würde Reece sein feinster Sohn sein, und ein großer Herrscher. Doch dieser Tag war noch nicht gekommen. Er war noch zu jung und hatte noch zu viel zu lernen.

MacGil betrachtete diese vier Kinder mit gemischten Gefühlen, seine drei Söhne und seine Tochter, wie sie so vor ihm standen. Er verspürte Stolz gemischt mit Enttäuschung. Er verspürte außerdem Ärger und Gereiztheit darüber, dass zwei seiner Kinder fehlten. Die Älteste, seine Tochter Luanda, bereitete sich natürlich gerade auf ihre eigene Hochzeit vor, und da sie in ein anderes Königreich verheiratet wurde, hatte sie keinen Anteil an der Debatte über die Nachfolge. Aber sein anderer Sohn Godfrey, der mittlere, achtzehn Jahre alt, war nicht anwesend. MacGil wurde lief beim Gedanken an diese Missachtung rot an.

Seit er ein kleiner Junge gewesen war, wies Godfrey eine derartige Respektlosigkeit gegenüber dem Königtum auf, dass es stets klar war, dass sie ihn nicht interessierte und er niemals regieren würde. Zu MacGils größter Enttäuschung zog Godfrey es stattdessen vor, seine Tage gemeinsam mit nichtsnutzigen Freunden in Kneipen zu vergeuden und der königlichen Familie immer größer werdende Schmach und Unehre einzubringen. Er war ein Taugenichts, verschlief die meisten seiner Tage und füllte den Rest davon mit Trunk. Auf der einen Seite war MacGil erleichtert, dass er nicht hier war; auf der anderen stellte es eine Beleidigung dar, die er nicht übersehen konnte. Er hatte dies allerdings vorausgesehen und seine Mannen frühzeitig ausgeschickt, um die Kneipen zu durchkämmen und ihn zurückzubringen. MacGil saß schweigend da und wartete darauf, dass dies eintrat.

Die schwere Eichentür wurde schließlich aufgestoßen und herein marschierten die königlichen Wachen, Godfrey zwischen sich schleppend. Sie gaben ihm einen Schubs und Godfrey stolperte in den Raum, während sie die Tür hinter ihm zuschlugen.

Die Kinder drehten sich zu ihm um und starrten. Godfrey war eine ungepflegte Erscheinung, stank nach Bier, war unrasiert und nur halb bekleidet. Er lächelte ihnen entgegen. Unverschämt. Wie immer.

„Hallo Vater“, sagte Godfrey. „Habe ich den ganzen Spaß verpasst?“

„Du wirst dich zu deinen Geschwistern stellen und warten, bis ich gesprochen habe. Wenn du das nicht tust, so hilf mir Gott, werde ich dich in Ketten legen und zu den anderen gemeinen Gefangenen in den Kerker stecken, und du wirst für volle drei Tage kein Essen—geschweige denn Bier—zu sehen bekommen.“

Godfrey stand trotzig da und warf seinem Vater einen giftigen Blick zu. In diesem Blick erkannte MacGil eine tief verborgene Kraftreserve, etwas von ihm selbst, einen Funken von etwas, das Godfrey eines Tages von großem Dienst sein könnte. Das heißt, wenn er je über seinen eigenen Schatten springen konnte.

Trotzig bis zum Ende wartete Godfrey gute zehn Sekunden, bevor er sich schließlich fügte und zu den anderen hinüberschlurfte.

Wie sie alle so dastanden, betrachtete MacGil eingehend diese fünf Kinder: den Bastard, den Abwegigen, den Trunkenbold, seine Tochter und seinen Jüngsten. Es war eine eigentümliche Mischung und er konnte kaum glauben, dass sie alle von ihm stammten. Und nun, am Hochzeitstag seiner ältesten Tochter, war es nun schlussendlich seine Aufgabe, aus diesem Haufen einen Erben zu wählen. Wie sollte das möglich sein?

Es war eine sinnlose Geste: immerhin stand er in seinen besten Jahren und konnte noch gut weitere dreißig Jahre regieren; welchen Erben auch immer er heute erwählte, er würde den Thron vielleicht noch jahrzehntelang nicht besteigen. Diese gesamte Tradition verärgert ihn. Sie mag vielleicht zu Zeiten seiner Vorväter von Bedeutung gewesen sein, aber sie hatte keinen Platz mehr in der heutigen Zeit.

Er räusperte sich.

„Wir sind hier heute versammelt, um einer Tradition Ehre zu erweisen. Wie ihr wisst, fällt mir an diesem Tag, dem Tag der Hochzeit meines ältesten Kindes, die Aufgabe zu, einen Nachfolger zu nennen. Einen Erben der Herrschaft über dieses Königreich. Sollte ich sterben, so gäbe es keinen geeigneteren Herrscher als eure Mutter. Doch die Gesetze unseres Reiches gebieten, dass nur der Nachkomme eines Königs die Thronfolge antreten kann. Und so muss ich wählen.“

MacGil hielt den Atem an und dachte nach. Eine bleierne Stille hing in der Luft, und er spürte das Gewicht der Erwartung. Er sah ihnen in die Augen und sah in jedem einen anderen Ausdruck. Der Bastard blickte resigniert im Wissen, dass die Wahl nicht auf ihn fallen würde. Die Augen des Abwegigen glühten vor Ehrgeiz, als ob für ihn klar wäre, dass die Wahl auf ihn fallen müsse. Der Trunkenbold blickte aus dem Fenster; ihm war es egal. Seine Tochter blickte liebevoll zurück, wissend, dass sie nicht Teil dieser Debatte war, und dennoch voller Liebe für ihren Vater. Mit seinem Jüngsten war es dasselbe.

„Kendrick, ich habe dich stets als einen wahren Sohn betrachtet. Doch die Gesetze unseres Reiches verhindern, dass ich die Herrschaft an jemanden von weniger als vollständiger Legitimität weitergebe.“

Kendrick verbeugte sich. „Vater, ich hatte nicht erwartet, dass du dies tun könntest. Ich bin mit meinem Los zufrieden. Bitte lass dich dadurch nicht beunruhigen.“

MacGil schmerzte seine Antwort, da er spürte, wie aufrichtig sie war, und er wollte ihn nur noch mehr zum Erben ernennen.

„Damit bleibt ihr vier. Reece, du bist ein feiner junger Mann, der feinste, den ich je gesehen habe. Doch du bist zu jung, um Teil dieser Debatte zu sein.“

„Damit habe ich gerechnet, Vater“, antwortete Reece mit einer leichten Verbeugung.

„Godfrey, du bist einer meiner drei legitimen Söhne—und doch ziehst du es vor, deine Tage in den Kneipen zu vergeuden, zusammen mit dem Abschaum. Dir wurde jede Gunst im Leben zuteil, und du hast jede davon verschmäht. Wenn ich in diesem Leben eine große Enttäuschung zu tragen habe, so bist es du.“

Godfrey verzog zur Antwort sein Gesicht und fühlte sich sichtlich unwohl.

„Nun, dann bin ich hier wohl fertig und kann zurück in die Kneipe, nicht wahr, Vater?“

Mit einer flüchtigen, respektlosen Verbeugung drehte Geoffrey sich um und stakste zur Tür.

„Wirst du wohl zurück kommen!“, schrie MacGil. „SOFORT!“

Godfrey stolzierte weiter, ihn völlig ignorierend. Er durchquert den Raum und zog die Türe auf. Dort standen zwei Wachen.

MacGil kochte vor Wut, während die Wachen ihn fragend ansahen.

Doch Godfrey zögerte nicht lange; er schob sich an ihnen vorbei in den offenen Flur.

„Nehmt ihn fest!“, schrie MacGil. „Und seht zu, dass er der Königin nicht unter die Augen kommt. Ich möchte seine Mutter am Hochzeitstag ihrer Tochter nicht mit seinem Anblick belasten.“

„Jawohl, Herr“, sagten sie und schlossen die Tür, bevor sie ihm nacheilten.

MacGil saß schwer atmend mit hochrotem Gesicht da und versuchte, sich zu beruhigen. Zum tausendsten Mal fragte er sich, was er angestellt hatte, um so ein Kind zu verdienen.

Er blickte zurück auf seine verbleibenden Kinder. Die vier standen da und warteten in der schweren Stille. MacGil holte tief Luft und versuchte, sich zu konzentrieren.

„Somit bleiben zwei von euch übrig“, fuhr er fort. „Und aus diesen zweien habe ich einen Nachfolger erwählt.“

MacGil wandte sich an seine Tochter.

„Gwendolyn, das wirst du sein.“

Ein überraschtes Schweigen erfüllte den Raum; seine Kinder sahen alle schockiert aus, am meisten jedoch Gwendolyn.

„Hast du richtig gesprochen, Vater?“, fragte Gareth. „Sagtest du Gwendolyn?“

„Vater, ich fühle mich geehrt“, sagte Gwendolyn. „Aber ich kann es nicht annehmen. Ich bin eine Frau.“

„Es ist wahr, noch nie zuvor hat eine Frau auf dem Thron der MacGils gesessen. Doch ich habe beschlossen, dass es an der Zeit ist, die Tradition zu ändern. Gwendolyn, du bist von feinstem Verstand und Gemüt, feiner als ich es je in einer jungen Frau gesehen habe. Du bist jung, aber mit Gottes Willen werde ich nicht so bald sterben, und wenn die Zeit kommt, wirst du weise genug sein, um zu regieren. Das Königreich soll dir gehören.“

„Aber Vater!“, rief Gareth aus, sein Gesicht aschfahl. „Ich bin der älteste legitim geborene Sohn! Immer, in der gesamten Geschichte der MacGils, ging die Herrschaft auf den ältesten Sohn über!“

„Ich bin der König“, erwiderte MacGil düster, „und ich bestimme die Tradition.“

„Aber das ist nicht gerecht!“, flehte Gareth mit klagender Stimme. „Ich bin es, der König sein sollte. Nicht meine Schwester. Nicht eine Frau!“

„Zäume deine Zunge, Junge!“, rief MacGil, zitternd vor Zorn. „Wagst du es, mein Urteil zu hinterfragen?“

„Werde ich also zugunsten einer Frau übergangen? So also denkst du von mir?“

„Ich habe meine Entscheidung getroffen“, sagte MacGil. „Du wirst sie respektieren und dich ihr gehorsam fügen, so wie jeder andere Untertan in meinem Königreich. Und nun könnt ihr alle gehen.“

Seine Kinder beugten rasch ihre Köpfe und eilten aus dem Zimmer.

Nur Gareth blieb an der Tür stehen, unfähig, sich zu überwinden, den Raum zu verlassen.

Er kehrte um und stellte sich alleine seinem Vater.

MacGil konnte die Enttäuschung in seinem Gesicht lesen. Sichtlich hatte er erwartet, heute zum Erben benannt zu werden. Mehr noch: er hatte es begehrt. Unbedingt. Was MacGil nicht im Geringsten überraschte—und was genau der Grund war, warum er es ihm nicht gewährt hatte.

„Warum hasst du mich, Vater?“, fragte er.

„Ich hasse dich nicht. Ich finde dich nur nicht geeignet, mein Königreich zu regieren.“

„Und warum das?“, bestand Gareth.

„Weil es genau das ist, was du begehrst.“

Gareths Gesicht lief feuerrot an. Offenbar hatte MacGil ihm einen Einblick in seine wahre Natur verschafft. MacGil beobachtete seine Augen, sah, wie sie von einem Hass für ihn erfüllt waren, den er nie für möglich gehalten hätte.

Ohne ein weiteres Wort stürmte Gareth aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

Das hallende Echo ließ MacGil erschaudern. Er dachte an den Blick seines Sohnes zurück und verspürte einen Hass von enormer Tiefe, tiefer noch als der seiner Feinde. In dem Moment erinnerte er sich an Argons Worte, seine Ankündigung, dass Gefahr nahe lag.

Konnte sie gar so nahe liegen?





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Nach einigen Nr. 1-Bestsellern pr sentiert Morgan Rice das Deb t einer bezaubernden neuen Fantasy-Serie. QUESTE DER HELDEN ist die epische Geschichte vom Erwachsenwerden eines besonderen Jungen, einem 14-jährigen aus einem kleinen Dorf am Rande des Königreichs des Rings. Thorgrin, dass er anders ist als die anderen. Er träumt davon, ein großer Krieger zu werden, sich des Königs Mannen anzuschließen und den Ring vor den Horden der Kreaturen auf der anderen Seite des Canyon zu beschützen. Als er das Kriegeralter erreicht und sein Vater es ihm nicht erlaubt, der Legion des Königs beizutreten, akzeptiert er kein Nein: er reist auf eigene Faust los, fest entschlossen, sich seinen Weg nach K nigshof zu bahnen und ernstgenommen zu werden. Thorgrin entdeckt, dass er mysteriöse Kräfte besitzt, die er nicht versteht; dass er eine besondere Gabe hat, und ein besonderes Schicksal. Er verliebt sich aussichtslos in die Tochter des Königs, und während ihre verbotene Romanze erblüht, muss er erfahren, dass er mächtige Rivalen hat. Mit seinen fein ausgearbeiteten Welten und Charakteren ist QUESTE DER HELDEN eine epische Saga von Freundschaft und Liebe, von Rivalen und Verehrern, von Rittern und Drachen, von Intrigen und politischen Machenschaften, vom Erwachsenwerden, von gebrochenen Herzen, von Täuschung, Ehrgeiz und Verrat. Es ist eine Phantasiegeschichte, die uns in eine Welt entführt, die wir nie vergessen werden, und die Leser jeden Alters und Geschlechts begeistern wird.

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