Книга - Der Perfekte Block

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Der Perfekte Block
Blake Pierce


Ein spannender Psychothriller mit Jessie Hunt #2
In DER PERFEKTE BLOCK (Band #2) sammelt die Nachwuchsprofilerin Jessie Hunt, 29, die Scherben ihres zerbrochenen Lebens auf und verlässt die Vorstadt, um ein neues Leben in der Innenstadt von Los Angeles zu beginnen. Aber als eine wohlhabende Person des öffentlichen Lebens ermordet wird, befindet sich Jessie, die mit dem Fall beauftragt wurde, plötzlich wieder in der Welt der malerischen Vorstadt und jagt einen geistesgestörten Mörder inmitten der falschen Fassaden der Normalität von soziopathischen Frauen. Jessie, die in der Innenstadt von LA wieder aufblüht, ist sich sicher, dass sie sich von ihrem vorstädtischen Albtraum entfernt hat. Bereit, ihre gescheiterte Ehe hinter sich zu lassen, bekommt sie einen Job bei der örtlichen Polizei und schiebt ihre Zulassung bei der FBI-Akademie auf. Ihr wird ein unkomplizierter Mord in einer wohlhabenden Nachbarschaft zugewiesen, ein einfacher Fall, um ihre Karriere zu beginnen. Aber ihre Chefs wissen nicht, dass an dem Fall mehr dran ist, als vermutet. Nichts kann sie auf ihren ersten Fall vorbereiten, der sie zwingen wird, die Gedanken der reichen, vorstädtischen Paare zu erforschen, von denen sie dachte, sie hätte sie hinter sich gelassen. Hinter ihren glänzenden Familienbildern und gepflegten Hecken erkennt Jessie, dass Perfektion nicht so ist, wie sie scheint. Ein schnelllebiger und spannender Psychothriller mit unvergesslichen Charakteren und mitreißender Spannung. DER PERFEKTE BLOCK ist das Buch #2 einer fesselnden neuen Serie, die Sie bis spät in die Nacht blättern lässt. Band #3 der Jessie Hunt-Serie – DAS PERFEKTE HAUS – ist jetzt auch vorbestellbar.







Der Perfekte Block



(ein spannender Psychothriller mit Jessie Hunt – Band 2)



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Blake Pierce



Blake Pierce ist Autor der Bestseller RILEY PAGE Krimireihe, die fünfzehn Bücher (und mehr) umfasst. Blake Pierce ist auch der Autor der MACKENZIE WHITE Krimireihe, die neun Bücher (und mehr) umfasst; der AVERY BLACK Krimireihe, die sechs Bücher umfasst; der KERI LOCKE Krimireihe, die fünf Bücher umfasst; der MAKING OF RILEY PAIGE Krimireihe, die drei Bücher umfasst (und mehr); der KATE Krimireihe, die zwei Bücher (und mehr) umfasst; der CHLOE FINE-Psychothriller-Reihe, die drei Bücher (und mehr) umfasst; und der JESSE HUNT Psychothriller-Reihe, die drei Bücher (und mehr) umfasst.

Blake ist ein begeisterter Leser und lebenslanger Fan der Krimi- und Thriller-Genres. Blake hört gerne von Ihnen, also besuchen Sie seine Webseite www.blakepierceauthor.com, um mehr zu erfahren und informiert zu bleiben.



Copyright © 2018 by Blake Pierce. Alle Rechte vorbehalten. Vorbehaltlich der Bestimmungen des U.S. Copyright Act von 1976 darf kein Teil dieser Publikation ohne vorherige Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln reproduziert, verteilt oder übertragen oder in einer Datenbank oder einem Abfragesystem gespeichert werden. Dieses eBook ist nur für Ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Dieses eBook darf nicht weiterverkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit einer anderen Person teilen möchten, kaufen Sie bitte für jeden Empfänger ein zusätzliches Exemplar. Wenn Sie dieses Buch lesen und Sie es nicht gekauft haben, oder es nicht nur für Ihren Gebrauch gekauft wurde, dann senden Sie es bitte zurück und kaufen Sie Ihre eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit dieses Autors respektieren. Dies ist eine erfundene Geschichte. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder das Ergebnis der Phantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, ob lebendig oder tot, ist völlig zufällig. Jacket image Copyright nikita tv, verwendet unter der Lizenz von Shutterstock.com.


BÜCHER VON BLAKE PIERCE



EINE SPANNENDE PSYCHOTHRILLER-REIHE MIT JESSIE HUNT

DIE PERFEKTE FRAU (BAND #1)

DER PERFEKTE BLOCK (BAND #2)

DAS PERFEKTE HAUS (BAND #3)



EINE SPANNENDE PSYCHOTHRILLER-REIHE MIT CHLOE FINE

NEBENAN (BAND #1)

DIE LÜGE EINES NACHBARN (BAND #2)

SACKGASSE (BAND #3)



KRIMIREIHE MIT KATE WISE

WENN SIE WÜSSTE (BAND #1)

WENN SIE SÄHE (BAND #2)

WENN SIE RENNEN WÜRDE (BAND #3)



SERIE VON THE MAKING OF RILEY PAIGE

BEOBACHTET (BAND #1)

WARTET (BAND #2)

LOCKT (BAND #3)



KRIMIREIHE MIT RILEY PAIGE

VERSCHWUNDEN (BAND #1)

GEFESSELT (BAND #2)

ERSEHNT (BAND #3)

GEKÖDERT (BAND #4)

GEJAGT (BAND #5)

VERZEHRT (BAND #6)

VERLASSEN (BAND #7)

ERKALTET (BAND #8)

VERFOLGT (BAND #9)

VERLOREN (BAND #10)

BEGRABEN (BAND #11)

ÜBERFAHREN (BAND #12)

GEFANGEN (BAND #13)

RUHEND (BAND #14)



KRIMIREIHE MIT MACKENZIE WHITE

BEVOR ER TÖTET (BAND #1)

BEVOR ER SIEHT (BAND #2)

BEVOR ER BEGEHRT (BAND #3)

BEVOR ER NIMMT (BAND #4)

BEVOR ER BRAUCHT (BAND #5)

BEVOR ER FÜHLT (BAND #6)

BEVOR ER SÜNDIGT (BAND #7)

BEVOR ER JAGT (BAND #8)

VORHER PLÜNDERT ER (BAND #9)

VORHER SEHNT ER SICH (BAND #10)



KRIMIREIHE MIT AVERY BLACK

DAS MOTIV (BAND #1)

LAUF (BAND #2)

VERBORGEN (BAND #3)

GRÜNDE DER ANGST (BAND #4)

RETTE MICH (BAND #5)

ANGST (BAND #6)



KRIMIREIHE MIT KERI LOCKE

EINE SPUR VON TOD (BAND #1)

EINE SPUR VON MORD (BAND #2)

EINE SPUR VON SCHWÄCHE (BAND #3)

EINE SPUR VON VERBRECHEN (BAND #4)

EINE SPUR VON HOFFNUNG (BAND #5)


Zusammenfassung von Band 1 der Jessie Hunt Serie



In „Die Perfekte Frau", verlassen die Masterstudentin für forensische Psychologie, Jessie Hunt, und ihr Ehemann, ein Bankier im Investmentgeschäft, Kyle Voss, ihre Wohnung in Los Angeles für eine Villa in der Orange County Nachbarschaft von Westport Beach, nachdem er versetzt und befördert wurde.

Während Kyle von ihrem neuen Leben begeistert ist, hatte Jessie Bedenken und fühlt sich unter der sogenannten Elite unwohl. Dennoch versucht sie, ihr neues Leben zu genießen, Freundschaften in der Nachbarschaft zu schließen und sich dem lokalen Yachtclub mit seinen geheimen, scheinbar unheimlichen Ritualen anzuschließen.

Im Kurs beeindruckt Jessie den Gastdozenten Detektiv Ryan Hernandez der Polizei Los Angeles durch die Lösung einer komplizierten Fallstudie. Für den Abschluss ihrer Feldarbeit gelingt es ihr, in eine nahe gelegene staatliche psychiatrische Klinik zu kommen, in der der berüchtigte Serienmörder Bolton Crutchfield inhaftiert ist.

Crutchfields Verbrechen erinnern sie an einen Mann, der als Henker der Ozarks bezeichnet wird, der, als sie noch ein Kind war, in Missouri Dutzende von Menschen entführt und getötet hat. Zu den Entführten zählten Jessie sowie ihre Mutter, die vor ihren Augen ermordet wurde. Jessie geht regelmäßig zu Dr. Janice Lemmon, um sich mit dem Trauma auseinanderzusetzen.

In Interviews enthüllt Crutchfield, dass er ein Bewunderer des Henkers der Ozarks ist, der nie erwischt wurde, und dass sie irgendwie miteinander kommuniziert haben. Er sagt ihr außerdem, ausschließlich basierend auf seinen Beobachtungen und dem Gespräch mit Jessie, dass ihr Misstrauen ihrem neuen wohlhabenden Lebensstil gegenüber berechtigt ist.

Als sich ihre kriminellen Profiler-Fähigkeiten verbessern, entdeckt die schwangere Jessie, dass der Yachtclub eigentlich eine Fassade für einen High-End-Prostitutionsring ist. Sie deckt auch die dunkle Wahrheit über ihren Mann auf: Kyle ist ein Soziopath, der eine Mitarbeiterin des Clubs, mit der er geschlafen hatte, getötet und versucht hat, es Jessie anzuhängen. Jessie erleidet eine Fehlgeburt, da Kyle ihr heimlich Drogen verabreicht. Nur Jessie's schnelles Denken hindert Kyle daran, sie und zwei weitere Nachbarn töten zu können. Sie wird verletzt, aber Kyle wird verhaftet.

Jessie kehrt in ihre alte Nachbarschaft in der Innenstadt von Los Angeles zurück, um ihr Leben wieder aufzubauen. Kurz darauf besucht Kat Gentry, die Sicherheitschefin der psychiatrischen Klinik, Jessie und übergibt ihr eine Nachricht von Crutchfield: Der Henker der Ozarks sucht nach ihr. Jessie verrät Kat ihr tiefstes Geheimnis: Der Grund, warum der Henker der Ozarks sie verfolgt, ist, weil er ihr Vater ist.



Jessie Hunt ist eine bald geschiedene, aufstrebende Kriminalprofilerin.

Kyle Voss ist ihr soziopathischer, mittlerweile inhaftierter Ehemann, von dem sie getrennt lebt.

Bolton Crutchfield ist ein brillanter Serienmörder, der Jessies mörderischen Vater vergöttert.

Kat Gentry ist die Sicherheitschefin der Psychiatrie, in der Crutchfield inhaftiert ist.

Dr. Janice Lemmon ist Jessie's Psychiaterin und selbst eine ehemalige Profilerin.

Lacy Cartwright ist Jessie's Studienfreundin, bei der sie vorerst wohnt.

Ryan Hernandez ist der Detektiv der Polizeistation Los Angeles, der in Jessies Kurs einen Vortrag hielt.

Der Henker der Ozarks ist ein berüchtigter, nie geschnappter Serienmörder – und Jessie's Vater.


INHALT



KAPITEL EINS (#u4ce01de4-2d37-55ca-b609-4c2b020b2d61)

KAPITEL ZWEI (#u2f9b58ca-78fa-5aae-89e8-1f9825a91955)

KAPITEL DREI (#ued51dbfd-cda6-5e2a-aaa8-f73b8947b4a0)

KAPITEL VIER (#ubc4aadc6-490c-563d-806f-d9ede3809f2f)

KAPITEL FÜNF (#uecd995f7-0db7-5025-a07d-dae649ce96fc)

KAPITEL SECHS (#u1122b392-d57a-519d-9e17-51980f06ea07)

KAPITEL SIEBEN (#u85f06972-fbf1-5894-9d69-c11cf2e7f898)

KAPITEL ACHT (#uf7da7cf0-e9bf-5d77-a836-d894419b2b98)

KAPITEL NEUN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ELF (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWÖLF (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL FÜNFZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIßIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDDREIßIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDDREIßIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIUNDDREIßIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERUNDDREIßIG (#litres_trial_promo)




KAPITEL EINS


Splitter von den Holzarmen des Stuhls gruben sich in Jessica Thurmans Unterarme, die durch ein grobes Seil am Stuhl befestigt waren. Die Haut an ihren Armen war wund und blutete an mehreren Stellen von ihren ständigen Versuchen, sich frei zu reißen.

Jessica war für eine Sechsjährige stark. Aber nicht stark genug, um sich von den Seilen zu lösen, die ihr Entführer um sie gebunden hatte. Sie konnte nichts anderes tun, als dort mit aufgeklebten Augenlidern zu sitzen, und zu sehen, wie ihre eigene Mutter hilflos vor ihr hing, ihre Arme an den Holzdeckenbalken der abgelegenen Hütte in den Ozarks, in der sie beide festgehalten wurden, befestigt.

Sie konnte das Flüstern ihres Entführers hören, wie er hinter ihr stand und sie anwies zu beobachten, wie er sie leise „Junikäfer" nannte. Sie kannte die Stimme gut.

Schließlich war es die ihres Vaters.

Plötzlich, mit unerwarteter Kraft, die sie für unmöglich hielt, warf die kleine Jessica ihren Körper zusammen mit dem Stuhl zur Seite und und kippte mitsamt ihm zu Boden. Sie spürte den Schlag auf den Boden nicht, was sie seltsam fand.

Sie blickte auf und sah, dass sie nicht mehr in der Hütte lag. Stattdessen lag sie auf dem Flurboden einer beeindruckenden, modernen Villa. Und sie war nicht mehr die sechsjährige Jessica Thurman. Sie war jetzt die 28-jährige Jessie Hunt, lag auf dem Boden ihres eigenen Hauses, starrte einen Mann an, der einen Kaminschürhaken über dem Kopf hielt, um damit auf sie einzuschlagen. Aber der Mann war nicht mehr ihr Vater.

Stattdessen war es ihr Mann, Kyle.

Seine Augen loderten vor rasender Intensität, als er den Poker in Richtung ihres Gesichtes bewegte.

Sie hob ihre Arme hoch, um sich zu verteidigen, wusste aber, dass es zu spät war.



*



Jessie wachte mit einem Keuchen auf. Ihre Hände waren noch immer über ihren Kopf gehoben, als ob sie einen Angriff abwehren wollten. Aber sie war allein im Schlafzimmer der Wohnung. Sie schob sich im Bett nach vorne, so dass sie aufrecht saß. Ihr Körper und die Bettwäsche waren mit Schweiß bedeckt. Ihr Herz schlug ihr fast aus der Brust.

Sie schwang ihre Beine aus dem Bett und stellte ihre Füße auf den Boden, lehnte sich nach vorne und legte ihre Ellbogen auf ihre Oberschenkel und ihren Kopf in ihre Handflächen. Nachdem sie ihrem Körper ein paar Sekunden gegeben hatte, um sich an ihre reale Umgebung zu gewöhnen – die Wohnung ihrer Freundin Lacy in der Innenstadt von Los Angeles – blickte sie auf die Uhr neben dem Bett. Es war 3:54 Uhr morgens.

Als sie spürte, wie der Schweiß auf ihrer Haut zu trocknen begann, beruhigte sie sich selbst.

Ich bin nicht mehr in dieser Hütte. Ich bin nicht mehr in diesem Haus. Ich bin in Sicherheit. Das sind nur Alpträume. Diese Männer können mir nicht mehr wehtun.

Aber natürlich war nur die Hälfte davon wahr. Während ihr bald Ex-Mann Kyle im Gefängnis saß und auf den Prozess wegen verschiedener Verbrechen wartete, darunter der Versuch, sie zu töten, war ihr Vater nie geschnappt worden.

Er verfolgte sie immer noch regelmäßig in ihren Träumen. Schlimmer noch, sie hatte kürzlich erfahren, dass, obwohl sie als Kind in den Zeugenschutz aufgenommen worden war, ein neues Zuhause und einen neuen Namen bekommen hatte, er immer noch da draußen nach ihr suchte.

Jessie stand auf und ging in die Dusche. Es machte keinen Sinn, zu versuchen, wieder einzuschlafen. Sie wusste, dass es sinnlos sein würde.

Außerdem kreiste in ihrem Kopf eine Idee, die sie kultivieren wollte. Vielleicht war es an der Zeit, dass sie aufhörte zu akzeptieren, dass diese Alpträume unvermeidlich waren. Vielleicht musste sie aufhören, den Tag zu fürchten, an dem ihr Vater sie finden würde.

Vielleicht war es an der Zeit, ihn zu jagen.




KAPITEL ZWEI


Als ihre alte Studienfreundin und aktuelle Mitbewohnerin Lacy Cartwright in den Frühstücksraum kam, war Jessie bereits über drei Stunden wach gewesen. Sie hatte eine frische Kanne Kaffee gekocht und Lacy eine Tasse eingegossen, die hinüberging und sie dankbar annahm und ihr ein sympathisches Lächeln schenkte.

„Wieder schlecht geträumt?", fragte sie.

Jessie nickte. In den sechs Wochen, in denen Jessie in Lacys Wohnung gewohnt und versucht hatte, ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen, hatte sich ihre Freundin an die halbwegs regelmäßigen Schreie mitten in der Nacht und das frühe Aufwachen gewöhnt. Es war gelegentlich auch zur Collegezeit passiert, also war es keine vollkommene Überraschung. Aber die Häufigkeit war dramatisch gestiegen, seit ihr Mann versucht hatte, sie zu töten.

„War ich laut?" fragte Jessie entschuldigend.

„Ein wenig", bestätigte Lacy. „Aber du hast nach ein paar Sekunden aufgehört zu schreien. Ich bin gleich wieder eingeschlafen."

„Es tut mir wirklich leid, Lace. Vielleicht sollte ich dir bessere Ohrstöpsel kaufen, bis ich ausziehe, oder eine lautere Geräuschunterdrückungsmaschine. Ich schwöre, es wird nicht mehr lange sein."

„Mach dir keinen Kopf. Du handhabst die Dinge viel besser, als ich es tun würde", bestand Lacy darauf, als sie ihr langes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammenband.

„Das ist nett von dir, dass du das sagst."

„Ich bin nicht nur nett, Mädchen. Denk mal darüber nach. In den letzten zwei Monaten hat dein Mann eine Frau ermordet, versucht, dir das anzuhängen, und dann versucht, dich zu töten, als du es herausgefunden hast. Das beinhaltet noch nicht einmal deine Fehlgeburt."

Jessie nickte, sagte aber nichts. Lacy's Liste der schrecklichen Vorkommnisse enthielt nicht ihren Serienmörder-Vater, weil Lacy nichts von ihm wusste; fast niemand wusste von ihm. Jessie zog es so vor, zu ihrer eigenen Sicherheit und zur Sicherheit von Lacy. Lacy fuhr fort.

„Wenn mir all das passiert wäre, läge ich immer noch in der Position eines Fötus rum. Die Tatsache, dass du mit Physiotherapie fast fertig bist und kurz davor stehst, an einem speziellen FBI-Ausbildungsprogramm teilzunehmen, stellt mich vor die Frage, ob du eine Art Cyborg bist."

Jessie musste zugeben, dass es ziemlich beeindruckend war, dass sie so funktionierte, als die Dinge so ausgesprochen waren. Ihre Hand bewegte sich unwillkürlich an die Stelle auf der linken Seite ihres Bauches, wo Kyle mit dem Kaminschürhaken auf sie eingeschlagen hatte. Die Ärzte hatten ihr gesagt, dass sie Glück hatte, dass ihre inneren Organe verfehlt wurden.

Sie hatte eine hässliche Narbe. Sie war eine unschöne Ergänzung zu der aus ihrer Kindheit, die über ihr Schlüsselbein verläuft. Sie fühlte immer noch ab und zu ein scharfes Stechen in ihrem Bauch. Aber alles in allem fühlte sie sich gut. Sie hatte vor einer Woche die Erlaubnis erhalten, den Gehstock wegzulassen, und ihre Physiotherapeutin hatte nur noch eine weitere Reha-Sitzung geplant, die für heute angesetzt war. Danach sollte sie die erforderlichen Übungen selbstständig durchführen. Was die mentale und emotionale Erholung betrifft, die erforderlich war, nachdem sie erfahren hatte, dass ihr Mann ein soziopathischer Mörder war, so war sie weit davon entfernt, Entwarnung zu geben.

„Ich schätze, das ist alles nicht so schlimm", antwortete sie schließlich nicht überzeugend, als sie zusah, wie ihre Freundin sich fertig anzog.

Lacy zog ihre sieben Zentimeter hohen Schuhe an, die sie von einer großen Frau in eine schonungslose Amazone verwandelten. Mit ihren langen Beinen und Wangenknochen sah sie eher wie ein Laufstegmodell aus als eine aufstrebende Modedesignerin. Ihr Haar war zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden, der ihren Hals freilegte. Sie hatte sich akribisch in einem Outfit ihrer eigenen Kollektion herausgeputzt. Sie könnte eine Käuferin für eine High-End-Boutique sein. Aber sie hatte Pläne, noch vor dreißig ihr eigenes Modelabel zu gründen und bald darauf die bekannteste lesbische afroamerikanische Modedesignerin des Landes zu werden.

„Ich verstehe dich nicht, Jessie", sagte sie, als sie ihren Mantel anzog. „Du wirst in ein prestigeträchtiges FBI-Programm für vielversprechende Kriminalprofiler in Quantico aufgenommen und scheinst dich nur halbherzig dafür zu interessieren. Ich dachte, du würdest die Chance ergreifen, deine Umgebung für eine Weile verändern zu können. Außerdem sind es nur zehn Wochen. Es ist ja nicht so, dass du dorthin ziehen musst."

„Du hast Recht", stimmte Jessie zu, als sie ihre dritte Tasse Kaffee austrank. „Es ist nur so, dass im Moment so viel los ist, ich bin mir nicht sicher, ob es der richtige Zeitpunkt ist. Die Scheidung von Kyle ist noch nicht durch. Ich muss noch den Verkauf des Hauses in Westport Beach abschließen. Ich bin nicht hundertprozentig körperlich fit. Und ich wache meistens schreiend auf. Ich weiß nicht, ob ich schon für das harte Trainingsprogramm der Verhaltensanalyse des FBI bereit bin."

„Nun, du entscheidest dich besser schnell", sagte Lacy, als sie zur Wohnungstür ging. „Musst du ihnen nicht bis Ende der Woche Bescheid geben?"

„Das muss ich."

„Nun, lass mich wissen, wie du dich entscheidest. Und könntest du auch das Fenster in deinem Schlafzimmer öffnen, bevor du gehst? Nichts für ungut, aber es riecht ein wenig wie in einem Fitnessstudio da drin."

Sie war weg, bevor Jessie antworten konnte, obwohl sie sich nicht sicher war, was sie dazu sagen sollte. Lacy war eine großartige Freundin, auf die man sich immer verlassen konnte, und die immer eine ehrliche Meinung abgab. Aber Fingerspitzengefühl war nicht ihre Stärke.

Jessie stand auf und ging auf ihr Zimmer, um sich umzuziehen. Sie sah sich im Ganzkörperspiegel auf der Rückseite der Tür und erkannte sich nicht sofort. Oberflächlich sah sie immer noch genauso aus, mit ihren schulterlangen braunen Haaren, ihren grünen Augen, ihrer 1,78 m großen Statur.

Aber ihre Augen waren rot umrandet vor Erschöpfung, und ihr Haar war drahtig und fettig, so sehr, dass sie beschloss, es zu einem Pferdeschwanz zusammenzubinden und eine Mütze zu tragen. Und sie krümmte sich dauernd, da sie Sorge hatte, dass ihr Bauch unerwartet vor Schmerzen pulsieren könnte.

Werde ich jemals wieder die alte werden? Gibt es diese Person überhaupt noch?

Sie schüttelte den Gedanken ab und zwang das Selbstmitleid, zumindest für eine Weile, in den Hintergrund. Sie war zu beschäftigt, um sich jetzt darum zu kümmern.

Es war an der Zeit, sich auf ihre Physiotherapie-Sitzung, ihr Treffen mit der Maklerin, ihren Termin bei ihrer Psychiaterin und dann auf einen mit ihrer Gynäkologin vorzubereiten. Es sollte ein langer Tag werden, an dem sie vorgab, ein funktionierender Mensch zu sein.



*



Die Maklerin, eine zierliche, wirbelnde Derwische in einem Hosenanzug namens Bridget, zeigte ihr an diesem Morgen bereits die dritte Wohnung, als Jessie plötzlich den Drang verspürte, vom Balkon zu springen.

Am Anfang war alles in Ordnung. Sie war ein wenig high von ihrer letzten Physiotherapie-Sitzung, die mit der Aussage endete, dass sie „für die Hürden des täglichen Lebens angemessen gerüstet" sei. Bridget hatte die Dinge vorwärts gebracht, indem sie sich die ersten beiden Wohnungen ansahen, wobei sie sich auf Details der Einheiten, Preise und Annehmlichkeiten konzentrierte. Erst als sie sich die dritte Option ansahen, die einzige, von der Jessie bisher fasziniert war, kamen persönliche Fragen.

„Sind Sie sicher, dass Sie nur an Einzimmerwohnungen interessiert sind?" fragte Bridget. „Ich kann sehen, dass Ihnen diese hier gefällt. Aber ein Stockwerk darüber befindet sich eine Wohnung mit zwei Schlafzimmern mit praktisch dem gleichen Grundriss. Sie kostet nur dreißigtausend Dollar mehr und sie hätte einen höheren Wiederverkaufswert. Außerdem weiß man nie, wie seine Situation in ein paar Jahren aussehen wird."

„Das stimmt", bestätigte Jessie und bemerkte, dass sie erst vor zwei Monaten verheiratet, schwanger und in einer Villa in Orange County gelebt hatte. Jetzt lebte sie von einem Mörder getrennt, sie hatte ihr ungeborenes Kind verloren, und sie teilte sich eine Bude mit einer Schulfreundin. „Aber eine Einzimmerwohnung ist perfekt für mich."

„Natürlich", sagte Bridget in einem Ton, der darauf hindeutete, dass sie nicht lockerlassen würde. „Stört es Sie, wenn ich Sie nach Ihren Umständen frage? Es könnte mir besser helfen, Ihre Vorstellungen zu treffen. Ich kann nicht anders, als zu bemerken, dass die Haut an Ihrem Finger, wo kürzlich noch ein Ehering gewesen sein könnte, weiß ist. Ich könnte eine Standortwahl treffen, je nachdem, ob Sie voll weitermachen wollen oder… sich verstecken wollen."

„Wir sind in der richtigen Gegend", sagte Jessie, ihre Stimme zog sich unwillkürlich zusammen. „Ich will hier nur Einzimmerwohnungen sehen. Das ist die einzige Information, die Sie im Moment brauchen, Bridget."

„Natürlich. Es tut mir leid", sagte Bridget gezügelt.

„Ich muss kurz die Toilette benutzen", sagte Jessie, die Enge in ihrem Hals dehnte sich jetzt bis zu ihrer Brust aus. Sie war sich nicht sicher, was mit ihr geschah. „Ist das in Ordnung?"

„Kein Problem", sagte Bridget. „Sie erinnern sich, wo sie war? Einfach den Flur hinunter.“

Jessie nickte und ging so schnell sie konnte, ohne tatsächlich zu laufen. Als sie im Badezimmer war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, befürchtete sie, dass sie ohnmächtig werden könnte. Es fühlte sich an, als würde eine Panikattacke losgehen.

Was zum Teufel ist mit mir los?

Sie spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, dann stützte sie ihre Handflächen auf dem Waschbecken ab und befahl sich, langsam und tief zu atmen.

Bilder blitzten ohne Reim und Verstand durch ihren Kopf: Kuscheln auf der Couch mit Kyle, Zittern in einer abgelegenen Hütte tief in den Ozark Bergen, Blick auf den Ultraschall ihres ungeborenen Kindes, das nie zur Welt kommen würde, Lesen einer Gutenachtgeschichte in einem Schaukelstuhl mit ihrem Adoptivvater, Beobachten, wie ihr Mann eine Leiche von einer Yacht in das Meer vor der Küste wirft, das Geräusch ihres Vaters, der ihr "Junikäfer" ins Ohr flüstert.

Warum Bridgets harmlose Fragen nach ihren Umständen und Referenzen sie verunsichert hatte, wusste Jessie nicht. Aber sie hatten es getan, und jetzt war sie in kaltem Schweiß gebadet, zitterte unwillkürlich und starrte zurück in den Spiegel auf eine Person, die sie kaum erkannte.

Es war eine gute Sache, dass sie als nächstes zu ihrer Therapeutin ging. Der Gedanke beruhigte Jessie leicht und sie atmete noch ein paar Mal tief durch, bevor sie das Badezimmer verließ und den Flur hinunter zur Haustür ging.

„Ich melde mich", rief sie Bridget zu, als sie die Tür hinter sich schloss. Aber sie war sich nicht sicher, ob sie es tun würde. Im Moment war sie sich bei nichts sicher.




KAPITEL DREI


Dr. Janice Lemmon's Büro war nur wenige Blocks von dem Wohnhaus entfernt, das Jessie gerade verließ, und sie war froh über die Gelegenheit ein bisschen gehen zu können und ihren Kopf frei zu bekommen. Als sie die Figueroa Straße hinunterging, fand sie den scharfen, schneidenden Wind, der ihre Augen tränen ließ und sofort austrocknete fast schon erfrischend. Die anregende Kälte verdrängte die meisten anderen Gedanken aus ihrem Kopf.

Sie schloss ihren Mantel bis zum Hals und senkte ihren Kopf, als sie an einem Café vorbeikam, dann an einem Restaurant, das fast überfüllt war. Es war Mitte Dezember in Los Angeles und die lokalen Unternehmen taten ihr Bestes, damit ihre Schaufenster in einer Stadt, in der Schnee fast ein abstraktes Konzept war, festlich aussahen.

Aber in den Windkanälen, die von den Wolkenkratzern in der Innenstadt geschaffen wurden, war Kälte allgegenwärtig. Es war fast 11 Uhr, aber der Himmel war grau und die Temperatur lag unter 10 Grad. Heute Nacht würden die Temperaturen unter 5 Grad sinken. Für LA war das fürchterlich kalt. Natürlich hatte Jessie schon viel eisigeres Wetter erlebt.

Als Kind im ländlichen Missouri, bevor alles zusammenbrach, spielte sie im winzigen Vorgarten des Wohnmobils ihrer Mutter im Wohnwagenpark, ihre Finger und ihr Gesicht waren halb taub vor Kälte und formten unscheinbare, aber fröhliche Schneemänner, während ihre Mutter sie schützend vom Fenster aus beobachtete. Jessie erinnerte sich, dass sie sich fragte, warum ihre Mutter nie die Augen von ihr abwandte. Wenn man jetzt zurückblickt, war es klar.

Einige Jahre später, in den Vororten von Las Cruces, New Mexico, wo sie mit ihrer Adoptivfamilie gelebt hatte, nachdem sie in den Zeugenschutz aufgenommen worden war, ging sie mit ihrem zweiten Vater, einem FBI-Agenten, der in jeder Situation ruhige Professionalität an den Häschen-Pisten der nahen Berge zeigte, Ski fahren. Er war immer da, um ihr zu helfen, wenn sie fiel. Und sie konnte sich normalerweise auf eine heiße Schokolade verlassen, wenn sie von den kargen, windgepeitschten Hügeln kamen und zurück zur Hütte gingen.

Diese kalten Erinnerungen erwärmten sie, als sie den letzten Block zu Dr. Lemmon's Büro hinter sich ließ. Sie entschied sich akribisch, nicht an die weniger angenehmen Erinnerungen zu denken, die sich zwangsläufig mit den guten verknüpften.

Sie meldete sich an und zog langsam Schicht für Schicht aus, während sie darauf wartete, in das Behandlungszimmer ihrer Ärztin gerufen zu werden. Es dauerte nicht lange. Genau um 11 Uhr öffnete ihre Therapeutin die Tür und begrüßte sie.

Dr. Janice Lemmon war Mitte sechzig, sah aber nicht so aus. Sie war in guter Verfassung und ihre Augen, hinter einer dicken Brille, waren stechend und konzentriert. Ihre blonden Locken hüpften beim Gehen und sie war voller Energie, was nicht verdeckt werden konnte.

Sie setzten sich auf Polsterstühle gegenüber. Dr. Lemmon gab ihr einige Augenblicke, um sich wohl zu fühlen, bevor sie sprach.

„Wie geht es Ihnen?" fragte sie in dieser offenen Art und Weise, die Jessie immer dazu veranlasste, die Frage ernsthafter zu überdenken als in ihrem täglichen Leben.

„Es ging mir schon mal besser", gab sie zu.

„Warum ist das so?"

Jessie erzählte von ihrer Panikattacke in der Wohnung und den anschließenden Flashbacks.

„Ich weiß nicht, wie es dazu kam", sagte sie abschließend.

„Ich glaube, das wissen Sie", sagte Dr. Lemmon.

„Wollen Sie mir auf die Sprünge helfen?" konterte Jessie.

„Nun, ich frage mich, ob Sie in Gegenwart eines fast Fremden die Fassung verloren haben, weil Sie das Gefühl haben, dass es keinen anderen Ort gibt, an dem Sie Ihrer Angst freien Lauf lassen können. Lassen Sie mich Sie folgendes fragen – stehen in nächster Zeit irgendwelche stressigen Ereignisse oder Entscheidungen an?"

„Sie meinen andere als meinen Termin beim Gynäkologen in zwei Stunden, um zu sehen, ob ich mich von meiner Fehlgeburt erholt habe, eine Scheidung von dem Mann, der versucht hat, mich zu ermorden, unser gemeinsames Haus zu verkaufen, die Tatsache zu verarbeiten, dass mein Serienmörder-Vater mich sucht, zu entscheiden, ob ich für zweieinhalb Monate nach Virginia gehen soll oder nicht, damit FBI-Ausbilder über mich lachen können, und aus der Wohnung meiner Freundin auszuziehen, damit sie endlich wieder eine Nacht schlafen kann? Abgesehen von diesen Dingen würde ich sagen, dass alles cool ist."

„Das klingt nach einer ganzen Menge", antwortete Dr. Lemmon und ignorierte Jessies Sarkasmus. „Warum fangen wir nicht mit den unmittelbaren Sorgen an und arbeiten uns von da an nach außen vor, einverstanden?"

„Sie sind der Boss", murmelte Jessie.

„Eigentlich nicht. Aber erzählen Sie mir von Ihrem bevorstehenden Termin. Warum macht Ihnen das Sorgen?"

„Es ist nicht so, dass ich mir Sorgen mache", sagte Jessie. „Der Arzt hat mir bereits gesagt, dass es so aussieht, als hätte ich keine bleibenden Schäden und könnte wieder schwanger werden. Es ist mehr, dass ich weiß, dass dieser Arztbesuch mich daran erinnern wird, was ich verloren habe und wie ich es verloren habe."

„Sie sprechen davon, wie Ihr Mann Sie betäubt hat, damit er Sie für den Mord an Natalia Urgova belangen kann? Und wie die Droge, die er verwendet hat, Ihre Fehlgeburt ausgelöst hat?"

„Ja", sagte Jessie trocken. „Das ist es, wovon ich rede."

„Nun, ich wäre überrascht, wenn jemand dort das zur Sprache brächte", sagte Dr. Lemmon mit einem sanften Lächeln auf ihren Lippen.

„Also sagen Sie, dass ich mir selbst Stress mache für eine Situation, die nicht stressig sein muss?"

„Ich sage, wenn man mit den Emotionen im Voraus umgeht, ist es vielleicht nicht so überwältigend, wenn man sich dann tatsächlich im Raum befindet."

„Leichter gesagt als getan", sagte Jessie.

„Alles ist einfacher gesagt als getan", antwortete Dr. Lemmon. „Lassen Sie uns das vorerst zurückstellen und mit Ihrer anstehenden Scheidung fortfahren. Wie läuft es an der Front?"

„Das Haus ist auf einem Treuhandkonto. Also hoffe ich, dass das ohne Komplikationen abgeschlossen wird. Mein Anwalt sagt, dass mein Antrag auf eine beschleunigte Scheidung genehmigt wurde und dass alles vor Ende des Jahres abgeschlossen sein sollte. Es gibt einen Bonus an dieser Front – da Kalifornien ein gemeinschaftlicher Eigentumszustand ist, bekomme ich die Hälfte des Vermögens meines mordenden Ehemannes. Er bekommt auch die Hälfte von mir, obwohl er Anfang nächsten Jahres wegen neun schwerer Straftaten vor Gericht gestellt wird. Aber wenn man bedenkt, dass ich bis vor ein paar Wochen noch Studentin war, ist das nicht viel."

„Okay, und wie geht es Ihnen mit all dem?"

„Ich fühle mich gut wegen des Geldes. Ich würde sagen, ich habe es mehr als verdient. Wussten Sie, dass ich die Krankenversicherung von seinem Job benutzt habe, um die Verletzung zu bezahlen, die ich von ihm bekommen habe, als er mit einem Kaminschürhaken auf mich eingestochen hat? Das hat etwas Poetisches an sich. Andernfalls werde ich froh sein, wenn alles vorbei ist. Ich will eigentlich nur nach vorne sehen und versuchen zu vergessen, dass ich fast ein Jahrzehnt meines Lebens mit einem Soziopathen verbracht habe und es nie bemerkt habe."

„Denken Sie, Sie hätten es wissen können?" fragte Dr. Lemmon.

„Ich versuche, ein professioneller Kriminalprofiler zu werden, Frau Doktor. Wie gut kann ich sein, wenn ich nicht einmal das kriminelle Verhalten meines eigenen Mannes bemerkt habe?"

„Wir haben bereits darüber gesprochen, Jessie. Es ist oft selbst für die besten Profiler schwierig, illegales Verhalten in ihrer unmittelbaren Umgebung zu erkennen. Oftmals ist professionelle Distanz erforderlich, um zu sehen, was wirklich vor sich geht."

„Ich nehme an, dass Sie aus eigener Erfahrung sprechen?" fragte Jessie.

Janice Lemmon war nicht nur Verhaltenstherapeutin, sondern auch eine angesehene Kriminalberaterin, die früher Vollzeit für das LAPD arbeitete. Sie bot ihre Dienste noch immer gelegentlich an.

Lemmon hatte ihren beträchtlichen Einfluss genutzt, damit Jessie die Erlaubnis erhält, das staatliche Krankenhaus in Norwalk zu besuchen, damit sie den Serienmörder Bolton Crutchfield als Teil ihrer Abschlussarbeit interviewen konnte. Und Jessie vermutete, dass die Ärztin auch eine wichtige Rolle dabei gespielt hatte, dass sie in das vom FBI gepriesene Programm der National Academy aufgenommen wurde, das typischerweise nur erfahrene lokale Ermittler und keine jungen Absolventen mit fast keiner praktischen Erfahrung aufnahm.

„Das tue ich", sagte Dr. Lemmon. „Aber wir können uns das für ein anderes Mal aufheben. Möchten Sie besprechen, wie es Ihnen damit geht, von Ihrem Mann ausgetrickst worden zu sein?"

„Ich würde nicht sagen, dass ich vollkommen ausgetrickst wurde. Schließlich ist er wegen mir im Gefängnis und drei Menschen, die sonst tot wären, einschließlich mir selbst, laufen noch herum. Bekomme ich dafür keine Anerkennung? Schließlich habe ich alles schlussendlich herausgefunden. Ich glaube nicht, dass die Bullen das je getan hätten."

„Da haben Sie Recht. Ich nehme an, dass Sie Ihren Spitzen zufolge lieber über etwas anderes sprechen möchten. Sollen wir über Ihren Vater reden?"

„Wirklich?" fragte Jessie ungläubig. „Müssen wir darüber als nächstes sprechen? Können wir nicht einfach über meine Wohnungsprobleme reden?"

„Ich nehme an, sie sind verwandt. Ist nicht der Grund, warum Ihre Mitbewohnerin nicht schlafen kann, weil Sie schreiende Alpträume haben?"

„Sie spielen nicht fair, Doktor."

„Ich arbeite nur mit Dingen, die Sie mir sagen, Jessie. Wenn Sie nicht wollten, dass ich es weiß, hätten Sie es nicht erwähnt. Kann ich davon ausgehen, dass die Träume mit dem Mord an Ihrer Mutter durch Ihren Vater zusammenhängen?"

„Ja", antwortete Jessie und hielt ihren Ton übermäßig lebhaft. „Der Henker der Ozarks ist vielleicht untergetaucht, aber er hat immer noch ein Opfer in seinen Fängen."

„Haben sich die Alpträume seit unserem letzten Treffen verschlimmert?" fragte Dr. Lemmon.

„Ich würde nicht schlimmer sagen", korrigierte Jessie. „Sie sind so ziemlich auf dem gleichen Niveau, genauso schrecklich und furchtbar."

„Aber sie wurden viel häufiger und intensiver ab dem Zeitpunkt, an dem Sie die Nachricht bekommen haben, richtig?"

„Ich nehme an, wir sprechen über die Nachricht, die Bolton Crutchfield mir überbracht hat, als er enthüllte, dass er mit meinem Vater, der mich sehr gerne finden würde, in Kontakt stand."

„Das ist die Botschaft, über die wir hier sprechen."

„Dann ja, das ist ungefähr die Zeit, in der sie schlimmer wurden", antwortete Jessie.

„Wenn wir die Träume für einen Moment beiseite legen", sagte Dr. Lemmon, „ich wollte wiederholen, was ich Ihnen bereits gesagt habe."

„Ja, Doktor, ich habe es nicht vergessen. In Ihrer Eigenschaft als Beraterin der staatlichen Krankenhäuser, der Nicht-Rehabilitationsabteilung, haben Sie sich mit dem Sicherheitsteam des Krankenhauses beraten, um sicherzustellen, dass Bolton Crutchfield keinen Zugang zu unbefugtem Personal hat. Es gibt keine Möglichkeit für ihn, mit meinem Vater zu kommunizieren, um ihm meine neue Identität mitzuteilen."

„Wie oft habe ich das schon gesagt?" fragte Dr. Lemmon. „Es muss ein paar Mal gewesen sein, da Sie es sich gemerkt haben."

„Lassen Sie uns einfach mehr als einmal sagen. Außerdem habe ich mich mit der Sicherheitschefin der NRD-Einrichtung, Kat Gentry, angefreundet, und sie hat mir im Grunde das Gleiche gesagt – sie haben ihre Prozeduren überarbeitet, um sicherzustellen, dass Crutchfield keine Kommunikation mit der Außenwelt hat."

„Und doch klingen Sie nicht überzeugt", bemerkte Dr. Lemmon.

„Würden Sie überzeugt sein?" konterte Jessie. „Wenn Ihr Vater ein Serienmörder wäre, der der Welt als der Henker der Ozarks bekannt ist, und Sie ihn persönlich gesehen hätten, wie er seine Opfer ausweidet, und er nie erwischt wurde, würde Ihr Geist dann durch ein paar Plattitüden beruhigt werden?"

„Ich gebe zu, ich wäre wahrscheinlich etwas skeptisch. Aber ich bin mir nicht sicher, wie produktiv es ist, sich mit etwas zu beschäftigen, das man nicht kontrollieren kann."

„Ich wollte das mit Ihnen besprechen, Dr. Lemmon", sagte Jessie und ließ den Sarkasmus fallen, jetzt, da sie eine echte Bitte hatte. „Sind wir uns sicher, dass ich keine Kontrolle über die Situation habe? Es scheint, dass Bolton Crutchfield einiges darüber weiß, was mein Vater in den letzten Jahren gemacht hat. Und Bolton... genießt meine Gesellschaft. Ich dachte, ein weiterer Besuch zum Plaudern mit ihm wäre angebracht. Wer weiß, was er verraten könnte?"

Dr. Lemmon atmete tief ein, als sie den Vorschlag überdachte.

„Ich bin mir nicht sicher, ob das Spielen von Gedankenspielen mit einem berüchtigten Serienmörder der beste nächste Schritt für Ihr emotionales Wohlbefinden ist, Jessie."

„Wissen Sie, was gut für mein emotionales Wohlbefinden wäre, Frau Doktor?" sagte Jessie und fühlte, wie ihre Frustration trotz ihrer Bemühungen zunahm. „Keine Angst zu haben, dass mein Psycho-Vater aus einer Ecke springen und mir etwas antun wird."

„Jessie, wenn Sie nur das mit mir darüber Sprechen aufregt, was wird passieren, wenn Crutchfield anfängt, Ihre Knöpfe zu drücken?"

„Es ist nicht dasselbe. Ich muss mich in Ihrer Nähe nicht selbst zensieren. Bei ihm bin ich ein anderer Mensch. Ich bin professionell", sagte Jessie und sorgte dafür, dass ihr Ton jetzt gemäßigter klang. „Ich bin es leid, das Opfer zu sein, und das ist etwas Greifbares, das ich tun kann, um die Dynamik zu verändern. Würden Sie es sich einfach überlegen? Ich weiß, dass Ihre Empfehlung in dieser Stadt so etwas wie ein goldenes Ticket ist."

Dr. Lemmon starrte sie für einige Sekunden hinter ihrer dicken Brille an, ihre Augen bohrten sich in sie hinein.

„Ich werde sehen, was ich tun kann", sagte sie schließlich. „Apropos goldene Tickets, haben Sie die Einladung des FBI zur National Academy schon offiziell angenommen?"

„Noch nicht. Ich überlege immer noch, was ich tun soll."

„Ich denke, Sie könnten dort viel lernen, Jessie. Und es würde nicht schaden, es in Ihrem Lebenslauf zu haben, wenn Sie versuchen, dort draußen einen Job zu bekommen. Ich fürchte, dass eine Absage eine Form der Selbstsabotage sein könnte."

„Das ist es nicht", versicherte Jessie ihr. „Ich weiß, dass es eine große Chance ist. Ich bin mir nur nicht sicher, ob dies der ideale Zeitpunkt für mich ist, um für fast drei Monate auf die andere Seite des Landes zu ziehen. Meine ganze Welt ist im Moment in Bewegung."

Sie versuchte, die Aufregung aus ihrer Stimme zu halten, konnte aber hören, wie sie sich einschlich. Offensichtlich hörte Dr. Lemmon das auch, weil sie einen Gang zurückschaltete.“

„Okay. Nun, da wir einen großen Überblick darüber haben, wie die Dinge laufen, möchte ich auf einige Themen etwas genauer eingehen. Wenn ich mich recht erinnere, ist Ihr Adoptivvater kürzlich hierher gekommen, um Ihnen dabei zu helfen, wieder alles in Ordnung zu bringen. Ich möchte kurz darauf eingehen, wie das gelaufen ist. Aber zuerst besprechen wir, wie Sie sich körperlich erholen. Ich habe gehört, dass Sie gerade Ihre letzte Physiotherapie-Sitzung hatten. Wie war das?"

In den nächsten 45 Minuten fühlte sich Jessie wie ein Baum, bei dem die Rinde abgezogen wurde. Als es vorbei war, war sie glücklich, gehen zu können, auch wenn es bedeutete, dass ihr nächster Halt sein würde, um zu bestätigen, ob sie in Zukunft Kinder haben könnte. Nach fast einer Stunde mit Dr. Lemmon, die in ihrer Psyche herumstocherte und sie hin und her schubste, dachte sie, dass die Stöße und Schubse gegen ihren Körper ein Kinderspiel werden würden. Sie lag falsch.



*



Es waren nicht so sehr die Stöße. Es waren die Nachwirkungen. Der Termin selbst war ziemlich ereignislos. Jessie's Arzt bestätigte ihr, dass sie keinen bleibenden Schaden erlitten hatte und versicherte ihr, dass sie in Zukunft wieder schwanger werden könne. Sie gab ihr auch Entwarnung, sie könne erneut sexuelle Aktivität aufnehmen, eine Vorstellung, die Jessie wirklich nicht in den Sinn gekommen war, seit Kyle sie angegriffen hatte. Der Arzt meinte, dass sie, abgesehen im Falle etwas Unerwartetem, in sechs Monaten für eine Nachuntersuchung zurückkommen sollte.

Erst als sie im Aufzug auf dem Weg zur Tiefgarage war, drehte sie durch. Sie war sich nicht ganz sicher, warum, aber sie fühlte sich, als würde sie in ein dunkles Loch im Boden fallen. Sie rannte zum Auto und setzte sich auf den Fahrersitz, ließ sich von den wogenden Schluchzern einfangen.

Und dann, mitten unter dem Tränenfluss, verstand sie. Etwas über die Endgültigkeit des Termins hatte sie schwer getroffen. Sie musste sechs Monate lang nicht zurückkommen. Es wäre ein normaler Besuch. Die Schwangerschaftsphase ihres Lebens war auf absehbare Zeit vorbei.

Sie konnte fast spüren, wie die emotionale Tür zuschlug und klirrte. Zusätzlich zu ihrer Ehe, die auf die schockierendste Weise geendet war und dass sie erfahren hatte, dass der mörderische Vater, von dem sie dachte, dass sie ihn in der Vergangenheit zurückgelassen hatte, wieder in ihrer Gegenwart war, war die Erkenntnis, dass sie ein Lebewesen in sich getragen hatte und das jetzt nicht mehr da war, viel zu ertragen.

Sie fuhr mit quietschenden Reifen aus der Tiefgarage, ihre Sicht durch tränenbefleckte Augen verschwommen. Es war ihr egal. Sie merkte, wie sie fest auf das Gaspedal drückte, als sie auf der Robertson Straße in Richtung Süden fuhr. Es war früher Nachmittag und es gab nicht viel Verkehr. Dennoch wechselte sie wie wild die Spuren.

Vor ihr, an einer Ampel, sah sie einen großen fahrenden LKW. Sie trat fest aufs Gas und fühlte, wie ihr Hals zurückwich, als sie beschleunigte. Das Tempolimit war fünfunddreißig, aber sie fuhr fünfundvierzig, dann fünfundfünfzig und schließlich sechzig. Sie war sich sicher, dass, wenn sie den LKW schnell genug anfahren würde, all ihre Schmerzen in einem Augenblick verschwinden würden.

Sie blickte nach links und als sie vorbeiflitzte, sah sie eine Mutter, die mit ihrem kleinen Sohn den Bürgersteig entlang ging. Der Gedanke, dass dieser kleine Junge Zeuge eines Haufens von eingedrücktem Metall, glühendem Feuer und verkohlten Überresten war, holte sie aus ihren Gedanken.

Jessie trat fest auf die Bremse, die Reifen quietschten und sie kam nur wenige Zentimeter vor der Rückseite des LKWs zum Stehen. Sie fuhr auf den Parkplatz der Tankstelle zu ihrer Rechten, parkte und stellte das Auto ab. Sie atmete schwer und Adrenalin strömte durch ihren Körper und ließ ihre Finger und Zehen kribbeln, es fühlte sich schließlich unangenehm an.

Nach etwa fünf Minuten saß sie bewegungslos mit geschlossenen Augen da, ihre Brust hörte auf zu pochen und ihre Atmung normalisierte sich wieder. Sie hörte ein Summen und öffnete die Augen. Es war ihr Handy. Die Nummer verriet ihr, dass es Detektiv Ryan Hernandez vom LAPD war. Er hatte letztes Semester in ihrem Kriminologiekurs einen Vortrag gehalten, wo sie ihn beeindruckt hatte, da sie einen Musterfall gelöst hatte, den er dem Kurs vorgestellt hatte. Er hatte sie auch im Krankenhaus besucht, nachdem Kyle versucht hatte, sie zu töten.

„Hallo, hallo", sagte Jessie laut zu sich selbst und ging so sicher, dass ihre Stimme normal klang. Fast. Sie nahm den Anruf entgegen.

„Hier ist Jessie."

„Hallo Frau Hunt. Hier ist Detektiv Ryan Hernandez am Apparat. Erinnern Sie sich an mich?"

„Natürlich", sagte sie und freute sich, dass sie wie ihr gewohntes Selbst klang. „Was gibt es?"

„Ich weiß, dass Sie kürzlich Ihren Abschluss gemacht haben", sagte er, seine Stimme klang zögerlicher, als sie sich erinnerte. „Haben Sie bereits einen Job?"

„Noch nicht", antwortete sie. „Ich wäge gerade meine Optionen ab."

„Wenn das so ist, würde ich gerne mit Ihnen über einen Job reden."




KAPITEL VIER


Eine Stunde später saß Jessie im Empfangsbereich der Central Community Polizeistation der Los Angeles Polizei, oder wie es allgemein genannt wurde, Downtown Abteilung, wo sie darauf wartete, dass Detektiv Hernandez herauskam, um sie zu treffen. Sie weigerte sich ausdrücklich, darüber nachzudenken, was bei dem Beinaheunfall passieren hätte können. Es war im Moment zu viel, um es zu verarbeiten. Stattdessen konzentrierte sie sich auf das, was passieren würde.

Hernandez war bei dem Anruf zurückhaltend gewesen und hatte ihr gesagt, dass er nicht ins Detail gehen konnte – nur dass eine Juniorposition offen sei und er an sie gedacht hatte. Er bat sie, persönlich vorbeizukommen, um es zu besprechen, da er ihr Interesse einschätzen wollte, bevor er sie seinen Vorgesetzten gegenüber erwähnte.

Während Jessie wartete, versuchte sie sich daran zu erinnern, was sie über Hernandez wusste. Sie hatte ihn im Herbst diesen Jahres kennengelernt, als er den Kurs ihres Masterstudiengangs für forensische Psychologie besucht hatte, um die praktischen Anwendungen des Profilings zu diskutieren. Es stellte sich heraus, dass er, als er noch Streifenpolizist war, maßgeblich an der Festnahme von Bolton Crutchfield beteiligt war.

In dem Kurs hatte er den Studenten einen komplizierten Mordfall vorgestellt und gefragt, ob jemand den Täter und das Motiv bestimmen könne. Einzig Jessie hatte es durchschaut. Hernandez meinte, dass sie generell erst die zweite Studentin war, die den Fall lösen konnte.

Das nächste Mal, als sie ihn sah, lag sie im Krankenhaus, als sie sich von Kyles Angriff erholte. Sie war zu der Zeit noch ein wenig betäubt, so dass ihr Gedächtnis etwas verschwommen war.

Er war überhaupt nur dort gewesen, weil sie ihn angerufen hatte und Kyles Vergangenheit misstrauisch gegenüber stand, bevor sie ihn im Alter von achtzehn Jahren getroffen hatte, in der Hoffnung, alle Hinweise zu erhalten, die er anbieten konnte. Sie hatte dem Detektiv eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen, und als er sie nach mehreren Anrufen nicht erreichen konnte – vor allem, weil ihr Mann sie in ihrem Haus gefesselt hatte –, hatte er ihr Handy orten lassen und festgestellt, dass sie im Krankenhaus war.

Als er sie besuchte, war er hilfreich gewesen und erklärte ihr den Ermittlungsstand des gegenwärtigen Falles gegen Kyle. Aber er war auch ganz klar misstrauisch (aus gutem Grund), dass Jessie nicht alles getan hatte, was sie konnte, um die Wahrheit zu sagen, nachdem Kyle Natalia Urgova getötet hatte.

Es war wahr. Nachdem Kyle Jessie davon überzeugt hatte, dass sie Natalia selbst in einer betrunkenen Wut getötet hatte, woran sie sich nicht erinnern konnte, hatte er angeboten, das Verbrechen zu vertuschen, indem er die Leiche der Frau auf See ablud. Trotz ihrer damaligen Bedenken war Jessie nicht entschlossen genug gewesen, um zur Polizei zu gehen und zu gestehen. Das war etwas, das sie bis heute bereute.

Hernandez hatte das herausgefunden, aber soweit sie wusste, hatte er danach nie mehr ein Wort darüber verloren. Ein kleiner Teil von ihr befürchtete, dass dies der eigentliche Grund dafür war, dass er sie heute hierher gerufen hatte, und dass der Job nur ein Vorwand war, um sie aufs Polizeirevier zu locken. Sie ging davon aus, dass wenn er sie in einen Verhörraum bringen würde, sie wüsste, in welche Richtung die Dinge laufen würden.

Nach ein paar Minuten erschien er, um sie zu begrüßen. Er war so, wie sie sich an ihn erinnerte, etwa dreißig, gut gebaut, aber nicht allzu imposant. Mit etwa zwei Metern und etwas unter 100 Kilo war er deutlich in guter Verfassung. Erst als er näher kam, erinnerte sie sich daran, wie muskulös er war.

Er hatte kurze schwarze Haare, braune Augen und ein breites, warmes Lächeln, das wahrscheinlich sogar Verdächtige dazu brachte, sich wohl zu fühlen. Sie fragte sich, ob er es aus genau diesem Grund entwickelt hatte. Sie sah den Ehering an seiner linken Hand und erinnerte sich daran, dass er verheiratet war, aber keine Kinder hatte.

„Danke, dass Sie gekommen sind, Frau Hunt", sagte er und streckte seine Hand aus.

„Bitte nennen Sie mich Jessie", sagte sie.

„Okay, Jessie. Lass uns zu meinem Schreibtisch gehen und ich werde dich darüber informieren, was ich mir gedacht habe."

Jessie fühlte eine stärkere als erwartete Welle der Erleichterung, als er nicht den Verhörraum vorschlug, schaffte es aber, es nicht offensichtlich zu machen. Als sie ihm zurück zum Schreibtisch folgte, sprach er leise.

„Ich habe mit deinem Fall Schritt gehalten", gab er zu. „Oder genauer gesagt, der Fall deines Mannes."

„Bald Ex", bemerkte sie.

„Richtig. Das habe ich auch gehört. Keine Pläne, es mit dem Kerl auszuhalten, der versucht hat, dir einen Mord anzuhängen und dich dann zu töten, was? Keine Loyalität mehr heutzutage."

Er grinste, um sie wissen zu lassen, dass er scherzte. Jessie konnte nicht anders, als von einem Kerl beeindruckt zu sein, der einen Witz über einen Mord gegenüber der Person reißen konnte, die fast ermordet wurde.

„Die Schuld ist überwältigend", sagte sie und spielte mit.

„Darauf wette ich. Ich muss sagen, es sieht nicht gut aus für deinen baldigen Ex-Ehemann. Selbst wenn die Staatsanwälte nicht auf Todesstrafe plädieren, bezweifle ich, dass er jemals wieder rauskommt."

„Aus deinem Munde..." murmelte Jessie und musste den Satz nicht beenden.

„Lass uns zu einem angenehmeren Thema kommen, oder?" schlug Hernandez vor. „Wie du dich vielleicht von meinem Besuch in eurem Kurs erinnerst, arbeite ich für eine Spezialeinheit im Bereich Raub-Mord, kurz HSS. Wir sind spezialisiert auf hochkarätige Fälle, die viel Medieninteresse oder öffentliche Aufmerksamkeit erwecken. Das kann Brandstiftungen, Morde mit mehreren Opfern, Morde an bekannten Personen und natürlich Serienmörder beinhalten."

„Wie Bolton Crutchfield, der Typ, an dessen Festnahme du mitgewirkt hast."

„Genau", sagte er. „In unserer Einheit arbeiten auch Profiler. Sie sind nicht exklusiv für uns zuständig. Die ganze Abteilung hat Zugang zu ihnen, aber wir haben Priorität. Du hast vielleicht von unserem Senior-Profiler Garland Moses gehört."

Jessie nickte. Moses war eine Legende in der Profilerstellung. Als ehemaliger FBI-Agent war er an die Westküste gezogen, um Ende der 90er Jahre in Rente zu gehen, nachdem er Jahrzehnte damit verbracht hatte, das Land nach Serienmördern zu durchstreifen. Aber das LAPD hatte ihm ein Angebot gemacht und er stimmte zu, als Berater zu arbeiten. Er wurde von der Abteilung bezahlt, war aber kein offizieller Angestellter, so dass er kommen und gehen konnte, wie und wann er wollte.

Er war jetzt über siebzig Jahre alt, tauchte aber trotzdem fast jeden Tag bei der Arbeit auf. Und mindestens drei oder vier Mal im Jahr las Jessie einen Bericht, dass er einen Fall geknackt hatte, den niemand sonst abschließen konnte. Er hatte angeblich ein Büro im zweiten Stock dieses Gebäudes in einer angeblich umgebauten Besenkammer.

„Werde ich ihn kennenlernen?" fragte Jessie und versuchte, ihre Begeisterung in Grenzen zu halten.

„Nicht heute", sagte Hernandez. „Wenn du den Job annimmst und dich eingelebt hast, stelle ich dich vielleicht vor. Er ist ein wenig mürrisch."

Jessie wusste, dass Hernandez diplomatisch war. Garland Moses hatte den Ruf, ein schweigsames, aufbrausendes Arschloch zu sein. Wenn er nicht gut darin wäre, Mörder zu fangen, wäre er wahrscheinlich unvermittelbar.

„Also, Moses ist eine Art emeritierter Profiler der Abteilung", fuhr Hernandez fort. „Er zeigt sein Gesicht nur bei wirklich großen Fällen. Die Abteilung verfügt über eine Reihe weiterer Mitarbeiter und freiberuflicher Profiler, die sie für weniger bekannte Fälle einsetzt. Leider hat unser Junior-Profiler, Josh Caster, gestern seine Kündigung eingereicht."

„Warum?"

„Offiziell?" fragte Hernandez. „Er wollte in ein familienfreundlicheres Gebiet umziehen. Er hat eine Frau und zwei Kinder, die er nie gesehen hat. Also nahm er eine Stelle in Santa Barbara an."

„Und inoffiziell?"

„Er brachte es einfach nicht mehr. Er war sechs Jahre lang im Raubmord tätig, ging zum Trainingsprogramm des FBI, kam wieder zurück und gab danach zwei Jahre lang wirklich alles als Profiler. Dann ist er einfach gegen eine Wand geprallt."

„Was meinst du damit?" fragte Jessie.

„Das ist ein hässliches Geschäft, Jessie. Ich glaube, ich muss dir das nicht sagen, nach dem, was mit deinem Mann passiert ist. Aber es ist eine Sache, es mit Gewalt oder Tod zu tun zu haben. Es ist allerdings eine andere, sich dem jeden Tag zu stellen und zu sehen, was die Menschen einander antun können. Es ist schwer, seine Menschlichkeit unter dem Ansturm dieses Materials aufrecht zu erhalten. Es zermürbt dich. Wenn du keinen Ort hast, an dem du es am Ende des Tages ablegen kannst, kann es dich wirklich fertig machen. Das ist etwas, worüber du dir Gedanken machen solltest, wenn du über meinen Vorschlag nachdenkst."

Jessie entschied, dass jetzt nicht die Zeit war, Detektiv Hernandez zu sagen, dass ihre Erfahrung mit Kyle nicht das erste Mal war, dass sie den Tod aus der Nähe gesehen hatte. Sie war sich nicht sicher, ob es ihre Berufsaussichten beeinträchtigen könnte, dass ihr Vater, als sie ein Kind war, mehrere Menschen ermordet hatte, darunter auch ihre eigene Mutter.

„Wie genau lautet dein Angebot?", fragte sie und ließ das Thema völlig außen vor.

Sie hatten Hernandez' Schreibtisch erreicht. Er zeigte ihr an, dass sie sich gegenüber von ihm hinsetzen sollte, während er weitersprach.

„Caster ersetzen, zumindest vorläufig. Die Abteilung ist noch nicht bereit, einen neuen Vollzeit-Profiler einzustellen. Sie haben eine Menge Ressourcen in Caster investiert und fühlen sich ausgenutzt. Sie wollen eine große Suche für einen geeigneten Kandidaten durchführen, bevor sie seinen festen Ersatz einstellen. In der Zwischenzeit suchen sie einen Junior, der nichts dagegen hat, keine Vollzeitstelle zu haben und auch nichts dagegen hat, unterbezahlt zu werden."

„Sie wollen sich also einen Spitzenbewerber angeln", sagte Jessie.

„Genau. Das ist meine Befürchtung – im Interesse der Kostenreduktion werden sie mit jemandem zusammenarbeiten, der nicht über die nötigen Kenntnisse verfügt. Ich? Ich würde lieber jemanden ausprobieren, der grün hinter den Ohren ist, aber Talent hat, als einen Hack, der nicht einmal ein Profil erstellen kann, das einen Dreck wert ist."

„Glaubst du, ich habe Talent?" fragte Jessie und hoffte, dass sie nicht so klang, als würde sie nach Komplimenten fischen.

„Ich denke, du hast Potenzial. Das hast du im Kurs-Szenario gezeigt. Ich respektiere deinen Professor, Warren Hosta. Und er hat mir gesagt, dass du echtes Talent hast. Er ist nicht konkret geworden, aber er hat angedeutet, dass dir die Erlaubnis erteilt worden ist, einen hochgefährlichen Insassen zu interviewen, und dass du eine Beziehung zu ihm aufgebaut hast, die sich in Zukunft als fruchtbar erweisen könnte. Die Tatsache, dass er mich nicht über das informieren konnte, was eine frische Masterabsolventin tut, legt nahe, dass du nicht so ungeprüft bist, wie es scheint. Außerdem hast du es geschafft, die ausgeklügelte Mordkomödie deines Mannes aufzudecken und dabei nicht getötet zu werden. Das ist nichts, was man verachten sollte. Ich weiß auch, dass du ohne Erfahrung in der Strafverfolgung in die National Academy des FBI aufgenommen wurdest. Das passiert fast nie. Also bin ich bereit, es mit dir zu versuchen und deinen Namen zu nennen. Vorausgesetzt, du bist interessiert. Bist du interessiert?"




KAPITEL FÜNF


„Also machst du die FBI-Sache jetzt nicht?" fragte Lacy ungläubig, als sie einen weiteren Schluck Wein nahm.

Sie saßen auf der Couch, hatten bereits eine Flasche Rotwein getrunken und verschlangen das chinesische Essen, das gerade geliefert worden war. Es war nach 20 Uhr und Jessie war erschöpft von dem seit Monaten längsten Tag, an den sie sich erinnern konnte.

„Ich werde es trotzdem machen, nur nicht jetzt. Sie haben mir eine einmalige Aufschiebung gewährt. Ich kann mich einer anderen Akademieklasse anschließen, solange ich irgendwann in den nächsten sechs Monaten starte. Andernfalls muss ich mich erneut bewerben. Da ich das Glück hatte, dass sie mich jetzt genommen haben, garantiert das, dass ich es bald machen werde."

„Und stattdessen willst du Hilfsarbeit für das LAPD leisten?" fragte Lacy ungläubig.

„Noch einmal, keine Hilfsarbeit", betonte Jessie und nahm einen großen Schluck aus ihrem Glas, „ich verschiebe es nur. Ich war schon ganz neutral bezüglich dem Hausverkauf und meiner körperlichen Erholung. Das war nur noch der entscheidende Punkt. Außerdem klingt es cool!"

„Nein, tut es nicht", sagte Lacy. „Es klingt total langweilig. Sogar dein Detektiv-Kumpel meinte, du würdest Routineaufgaben erledigen und die unauffälligen Fälle bearbeiten, die niemand sonst übernehmen will."

„Zu Beginn. Aber sobald ich ein wenig Erfahrung habe, bin ich sicher, dass sie mich auf etwas Interessanteres ansetzen werden. Das ist Los Angeles, Lace. Sie werden das Verrückte nicht von mir fern halten können.“



*



Als der Streifenwagen Jessie zwei Wochen später einen Block vom Tatort entfernt absetzte, dankte sie den Offizieren und ging zur Gasse, wo bereits mit Polizeiband abgesperrt war. Als sie die Straße überquerte und die Fahrer mied, die eher darauf bedacht waren, sie anzufahren als sie zu meiden, kam ihr in den Sinn, dass dies ihr erster Mordfall sein würde.

Als sie auf ihre kurze Zeit in der Polizeistation zurückblickte, wurde ihr klar, dass sie sich geirrt hatte, als sie dachte, sie könnten das Verrückte nicht von ihr fern halten. Irgendwie, zumindest bis jetzt, hatten sie es geschafft. Tatsächlich verbrachte sie die meiste Zeit dieser Tage auf der Polizeistation und ging offene Fälle durch, um sicherzustellen, dass die Papiere, die Josh Caster eingereicht hatte, bevor er ging, auf dem neuesten Stand waren. Es war Schufterei.

Die Polizeistation fühlte sich an wie ein belebter Busbahnhof. Der Hauptraum war enorm groß. Die Menschen schwirrten die ganze Zeit umher und sie war sich nie ganz sicher, ob es sich um Mitarbeiter, Zivilisten oder Verdächtige handelte. Sie musste immer wieder zu anderen Schreibtischen wechseln, da Profiler ohne den „vorläufigen"-Stempel ihres Senior-Titels, keine Ansprüche an von ihnen bevorzugte Arbeitsplätze erheben können. Egal, wo sie landete, Jessie schien sich immer direkt unter einer flackernden Leuchtstoffröhre zu befinden.

Aber nicht heute. Als sie in die Gasse an der East 4th Street ging, sah sie Detektiv Hernandez am anderen Ende stehen und hoffte, dass dieser Fall anders sein würde als die anderen, die ihr bisher zugewiesen worden waren. Für jeden dieser Fälle hatte sie Detektive beschattet, wurde aber nicht nach ihrer Meinung gefragt. Es gab sowieso keinen großen Bedarf dafür.

Von den drei Feldfällen, die sie beschattet hatte, waren zwei Raubüberfälle und eine Brandstiftung. In jedem Fall gestand der Verdächtige innerhalb von Minuten nach der Verhaftung, einmal sogar ohne überhaupt befragt zu werden. Der Detektiv musste den Kerl über seine Rechte belehren und ihn dazu bringen, erneut zu gestehen.

Aber heute könnte es endlich anders sein. Es war der Montag kurz vor Weihnachten, und Jessie hoffte, dass die weihnachtliche Vorfreude Hernandez großzügiger machen würde als einige seiner Kollegen. Sie schloss sich ihm und seinem Partner, einem Brillen tragenden 41-jährigen Kerl namens Callum Reid, für diesen Tag an, als sie den Tod eines Junkies untersuchten, der am Ende der Gasse gefunden worden war.

Er hatte noch eine Nadel in seinem linken Arm stecken und der uniformierte Offizier hatte die Detektive nur aus Formalität hinzugezogen. Als Hernandez und Reid mit dem Offizier sprachen, duckte sich Jessie unter dem Polizeiband und näherte sich dem Körper, wobei sie darauf achtete, nicht irgendwo hinzutreten.

Sie blickte auf den jungen Mann herab, der nicht älter aussah als sie. Er war Afroamerikaner mit einer Fade-Frisur. Selbst im Liegen und ohne Schuhe konnte sie erkennen, dass er groß war. Etwas an ihm kam ihr bekannt vor.

„Sollte ich wissen, wer dieser Typ ist?" rief sie Hernandez zu. „Ich habe das Gefühl, als hätte ich ihn schon mal irgendwo gesehen."

„Wahrscheinlich", schrie Hernandez zurück. „Du warst auf der USC, oder?"

„Ja", sagte sie.

„Er war wahrscheinlich ein oder zwei Jahre mit dir im Kurs. Sein Name ist Lionel Little. Er spielte dort ein paar Jahre lang Basketball, bevor er Profi wurde."

„Okay, ich glaube, ich erinnere mich an ihn", sagte Jessie.

„Er hatte einen wunderschönen Linkshänder-Abschlag", erinnerte sich Detektiv Reid. „Erinnerte mich ein wenig an George Gervin. Er war ein hochgelobter Anfänger, aber er machte sich nach ein paar Jahren aus dem Staub. Er konnte keine Verteidigung spielen und er wusste nicht, wie man mit dem ganzen Geld oder dem NBA-Lebensstil umgeht. Er war nur drei Saisons dabei, bevor er ganz aus der Liga ausstieg. Die Drogen haben zu diesem Zeitpunkt so ziemlich die Oberhand gewonnen. Irgendwo auf der Strecke landete er auf der Straße."

„Ich habe ihn von Zeit zu Zeit gesehen", fügte Hernandez hinzu. „Er war ein süßer Junge – er wurde nie wegen mehr als Herumlungern oder öffentlichem Urinieren vorgeladen."

Jessie lehnte sich hinüber und sah Lionel genauer an. Sie versuchte, sich in seiner Position vorzustellen, ein verlorenes Kind, süchtig, das aber nicht viel Stress macht, das in den letzten Jahren durch die Hinterhöfe der Innenstadt von LA gewandert war. Irgendwie hatte er es geschafft, seine Gewohnheit beizubehalten, ohne Überdosierung oder im Gefängnis zu landen. Und doch war er hier, in einer Gasse liegend, mit der Nadel im Arm, ohne Schuhe. Etwas fühlte sich nicht richtig an.

Sie kniete sich hinunter, um genauer zu sehen, wo die Nadel aus seiner Haut ragte. Sie wurde tief in seine ansonsten glatte Haut gesteckt.

Seine glatte Haut...

„Detektiv Reid, Sie sagten, Lionel hatte einen schönen linken Abschlag, richtig?"

„Eine wahre Schönheit", antwortete er anerkennend.

„Also kann ich annehmen, dass er Linkshänder war?"

„Oh ja, er war total links-dominant. Er hatte mit rechts echte Schwierigkeiten. Verteidiger überholten ihn auf dieser Seite und schalteten ihn komplett aus. Das war ein weiterer Grund, warum er es nie zu den Profis geschafft hat."

„Das ist seltsam", murmelte sie.

„Was ist?" fragte Hernandez.

„Es ist nur... könnt ihr Jungs hier rüberkommen? Es gibt etwas, das für mich an diesem Tatort keinen Sinn ergibt."

Die Detektive gingen hinüber und hielten direkt hinter der Stelle, an der sie kniete. Sie zeigte auf Lionels linken Arm.

„Diese Nadel sieht so aus, als wäre sie auf halbem Weg durch seinen Arm und sie ist nicht in der Nähe einer Vene."

„Vielleicht hat er schlecht gezielt?" schlug Reid vor.

„Vielleicht", räumte Jessie ein. „Aber schaut euch seinen rechten Arm an. Es gibt eine präzise Linie von Spuren, die alle entlang seiner Adern verlaufen. Für einen Drogenabhängigen ist es ziemlich genau. Und das macht Sinn, denn er war Linkshänder. Natürlich spritzte er seinen rechten Arm mit seiner dominanten Hand."

„Das macht Sinn", stimmte Hernandez zu.

„Also dachte ich, dass er vielleicht nur schlampiger war, wenn er seinen rechten benutzt", fuhr Jessie fort. „Wie Sie sagten, Detektiv Reid, vielleicht hat er nur schlecht gezielt."

„Genau", sagte Reid.

„Aber schaut", sagte Jessie und zeigte auf den Arm. „Abgesehen von der Stelle mit der Nadel im Moment ist sein linker Arm glatt – keine Einstiche."

„Was sagt dir das?" fragte Hernandez und begann zu sehen, wohin sie wollte.

„Es sagt mir, dass er sich nicht in seinen linken Arm gespritzt hat, so gut wie nie zuvor. Soweit ich das beurteilen kann, ist das nicht die Art von Kerl, die sich von jemand anderem in diesen Arm stechen lassen würde. Er hatte ein System. Er war sehr methodisch. Seht euch seinen rechten Handrücken an. Er hat auch dort Einstichspuren. Er würde lieber seine Hand abschneiden, als jemand anderem zu vertrauen. Ich wette, wenn wir seine Socken ausziehen, werden wir auch an seinem rechten Fuß Einstiche zwischen den Zehen finden."

„Also meinen Sie, dass er keine Überdosis genommen hat?" fragte Reid skeptisch.

„Ich meine, dass jemand es so aussehen lassen will, als wäre er an einer Überdosis gestorben, aber er hat schlampige Arbeit geleistet und die Nadel irgendwo in seinen linken Arm gerammt, den normalerweise Rechtshänder benutzen würden."

„Warum?" fragte Reid.

„Nun," sagte Jessie vorsichtig, „Ich begann darüber nachzudenken, dass seine Schuhe fehlen. Keine seiner anderen Kleider fehlen. Ich frage mich, ob seine Schuhe, da er ein ehemaliger Profi-Spieler war, teuer waren. Gehen einige von denen nicht für mehrere hundert Dollar weg?“

„Das tun sie", antwortete Hernandez und klang aufgeregt. „Als er zum ersten Mal in die Liga kam und jeder dachte, dass er ein großes Ding werden würde, hat er einen Schuhvertrag mit einer aufstrebenden Firma namens Hardwood unterschrieben. Die meisten Jungs haben bei einer der großen Sneakerfirmen – Nike, Adidas, Reebok – unterschrieben. Aber Lionel hat sich für diese Typen entschieden. Sie wurden als avantgardistisch angesehen. Vielleicht zu avantgardistisch, weil sie vor ein paar Jahren aus dem Geschäft ausgeschieden sind."

„Dann waren die Turnschuhe nicht mehr so wertvoll", sagte Reid.

„Eigentlich ist das Gegenteil der Fall", korrigierte Hernandez. „Weil sie bankrott gingen, wurden die Schuhe zu einer heißen Ware. Es gibt nur wenige im Umlauf, sodass jeder einzelne bei Sammlern sehr wertvoll ist. Als Sprecher des Unternehmens hat Lionel wahrscheinlich eine Ladung davon bekommen, als er den Vertrag unterzeichnet hat. Und ich wäre bereit zu wetten, dass er sie heute Abend getragen hat."

„Also," fuhr Jessie fort, „jemand sah ihn die Schuhe tragen. Vielleicht war er oder sie verzweifelt nach Geld. Lionel war nicht als harter Kerl angesehen. Er war ein leichtes Opfer. Also reißt diese Person Lionel zu Boden, stiehlt die Schuhe und steckt ihm eine Nadel in den Arm, in der Hoffnung, dass wir es einfach als eine weitere Überdosis abhaken würden."

„Das ist keine verrückte Theorie", sagte Hernandez. „Mal sehen, ob wir die Suche nach jemandem starten können, der in der Gegend ein Paar Hardwoods trägt."

„Wenn Lionel nicht an einer Überdosis gestorben ist, wie hat der Täter ihn dann getötet?" grübelte Reid. „Ich sehe kein Blut."

„Ich denke, das ist eine großartige Frage... für den Gerichtsmediziner", sagte Hernandez und grinste, als er auf die andere Seite des Polizeibandes zurückkehrte. „Warum rufen wir nicht einen an und gehen Mittagessen?"

„Ich muss zur Bank", sagte Reid. „Vielleicht sehe ich euch einfach wieder zurück im Revier."

„Okay. Es sieht so aus, als wären es nur du und ich, Jessie", sagte Hernandez. „Was hältst du von einem Straßenhändler-Hot Dog? Ich habe vorhin einen Typen auf der anderen Straßenseite gesehen."

„Ich habe das Gefühl, dass ich es bereuen werde, aber ich werde es trotzdem tun, weil ich nicht wie ein Waschlappen aussehen will."

„Weißt du", betonte er, „wenn du sagst, dass du es tust, damit du nicht wie ein Waschlappen aussiehst, weiß jeder, dass du es nur der Anerkennung wegen isst. Das ist irgendwie schleimig. Nur ein Tipp vom Profi."

„Danke, Hernandez", antwortete Jessie. „Ich lerne heute viele neue Dinge."

„Das nennt sich Training am Arbeitsplatz", sagte er und fuhr fort, sie zu necken, als sie die Gasse hinunter auf die Straße gingen. „Wenn du jetzt deinen Hot Dog sowohl mit Zwiebeln als auch mit Chili bestellst, könntest du dir etwas Straßen-Glaubwürdigkeit dazu verdienen."

„Wow", sagte Jessie grimassierend. „Was sagt deine Frau dazu, wenn du nachts neben ihr liegst und nach diesem Zeug stinkst?"

„Kein großes Problem", sagte Hernandez und wandte sich dann an den Verkäufer, um seine Bestellung aufzugeben.

Etwas in Hernandez' Antwort erschien ihr seltsam. Vielleicht war seine Frau einfach unbeeindruckt vom Geruch von Zwiebeln und Chili im Bett. Aber sein Tonfall deutete darauf hin, dass es vielleicht kein großes Problem war, weil er und seine Frau sich momentan kein Bett teilten.

Trotz ihrer Neugierde ließ Jessie es gut sein. Sie kannte diesen Mann kaum. Sie war nicht im Begriff, ihn über den Zustand seiner Ehe zu befragen. Aber sie wünschte, sie könnte irgendwie herausfinden, ob ihr Bauchgefühl weit entfernt lag oder ob ihr Verdacht richtig war.

Apropos Bauchgefühl, der Verkäufer sah sie erwartungsvoll an und wartete darauf, dass sie ihre Bestellung aufgab. Sie sah Hernandez' Hot Dog an, der voller Zwiebeln, Chili und Soße war. Der Detektiv sah sie an, offensichtlich bereit, sie zu verspotten.

„Ich nehme das gleiche", sagte sie. „Genau das, was er hat."



*



Als sie ein paar Stunden später wieder auf dem Revier waren, kam sie bereits zum dritten Mal aus der Damentoilette, als Hernandez sich ihr mit einem breiten Lächeln auf seinem Gesicht näherte. Sie zwang sich, lässig zu wirken und ignorierte das unschöne Rumoren in ihrem Bauch.

„Gute Nachrichten", sagte er und bemerkte dankenswerterweise ihr Unbehagen nicht. „Wir haben gehört, dass vor ein paar Minuten jemand mit Hardwoods aufgegriffen wurde, die zu Lionels Fußgröße passen, die eine 51 war. Die Person, die die Sneakers trug, hat Größe 42. Das ist also – na du weißt schon – recht verdächtig. Gute Arbeit."

„Danke", sagte Jessie und versuchte, es als keine große Sache abzustempeln. „Hat die Gerichtsmedizin schon irgendwas hinsichtlich der möglichen Todesursache gesagt?"

„Noch nichts Offizielles. Aber als sie Lionel umdrehten, fanden sie einen massiven Striemen auf der Rückseite seines Kopfes. Also ist eine Subduralblutung keine abwegige Hypothese. Das würde den Blutmangel erklären."

„Großartig", sagte Jessie, glücklich darüber, dass ihre Theorie aufgegangen zu sein schien.

„Ja, aber nicht so toll für seine Familie. Seine Mutter kam, um den Körper zu identifizieren, und anscheinend ist sie vollkommen fertig. Sie ist alleinerziehende Mutter. Ich erinnere mich, dass ich in einem Artikel über ihn gelesen habe, dass sie drei Jobs hatte, als Lionel noch ein Kind war. Sie musste gedacht haben, dass sie alles zurückbekommen würde, wenn er berühmt ist. Aber ich schätze nicht."

Jessie wusste nicht, was sie antworten sollte, also nickte sie einfach und schwieg.

„Ich bin dann mal weg", sagte Hernandez abrupt. „Ein paar von uns gehen noch auf einen Drink, wenn du dich uns anschließen willst. Du hast dir definitiv eine Einladung von mir verdient."

„Ich würde gerne, aber ich gehe heute Abend mit meiner Mitbewohnerin in einen Club. Sie ist der Meinung, es ist an der Zeit, dass ich wieder date."

„Glaubst du, es ist an der Zeit?" fragte Hernandez und zog seine Augenbrauen nach oben.

„Ich denke, dass sie unerbittlich ist und nicht aufgeben wird, es sei denn, ich gehe mindestens einmal mit ihr aus, auch wenn es an einem Montagabend ist. Das sollte mir ein paar Wochen Schonfrist einräumen, bevor sie wieder anfängt."

„Na dann, viel Spaß", sagte er und versuchte, optimistisch zu klingen.

„Danke. Ich bin mir sicher, dass ich den nicht haben werde."




KAPITEL SECHS


Der Club war laut und dunkel und Jessie konnte spüren, dass sie Kopfschmerzen bekommen würde.

Als Lacy und sie sich vor einer Stunde fertig gemacht hatten, schienen die Dinge noch viel vielversprechender. Die Begeisterung ihrer Mitbewohnerin war ansteckend und sie freute sich fast schon auf den Abend, als sie ihre Kleider anzogen und sich die Haare machten.

Als sie die Wohnung verließen, konnte sie nicht sagen, dass sie mit Lacys Behauptung, sie sehe "verdammt heiß aus", nicht einverstanden war. Sie trug ihren roten Rock mit dem Schlitz am Oberschenkel, den sie in ihrer kurzen, aber turbulenten Existenz in Orange County nie anziehen konnte. Sie trug ein schwarzes, ärmelloses Oberteil, das den Muskeltonus betonte, den sie während der Physiotherapie entwickelt hatte.

Sie entschied sich sogar, ein Paar acht Zentimeter hohe schwarze Pumps anzuziehen, mit denen sie offiziell größer als 1,80 Meter war und somit zusammen mit Lacey zum Club der Amazonen-Frauen gehörte. Ursprünglich trug sie ihr braunes Haar oben, aber ihre Mitbewohnerin aus der Modewelt überzeugte sie, es offen zu tragen, so dass es über ihre Schultern bis zu ihrem oberen Rücken fiel. Als sie in den Spiegel blickte, dachte sie nicht, dass es total lächerlich war, als Lacy sagte, dass sie wie ein paar Models aussahen, die sich für den Abend unters Volk mischten.

Aber eine Stunde später hatte ihre Stimmung sich geändert. Lacy hatte eine tolle Zeit, flirtete spielerisch mit Typen, an denen sie nicht interessiert war, und flirtete ernsthaft mit Mädchen, an denen sie sehr wohl interessiert war. Jessie befand sich an der Bar und sprach mit dem Barkeeper, der offensichtlich gut darin geübt war, Mädchen zu unterhalten, die nicht an diese Szene gewöhnt waren.

Sie war sich nicht sicher, wann sie so langweilig geworden war. Es war wahr, dass sie seit fast einem Jahrzehnt nicht mehr wirklich Single war. Aber sie und Kyle waren schon damals, vor dem Umzug nach Westport Beach, als sie noch hier lebten, in genau diese Art von Clubs gegangen. Sie hatte sich nie fehl am Platz gefühlt.

Tatsächlich liebte sie es, die neue Innenstadt von LA (DTLA) mit ihren Clubs, Bars und Restaurants zu besuchen, die anscheinend jede Woche neu eröffnen. Die beiden stürzten sich ins Geschehen, probierten das unkonventionellste Essen oder Getränk des Menüs, tanzten albern in der Mitte des Clubs, ohne die zweifelhaften Blicke zu bemerken, die sie sicherlich ernteten. Sie vermisste Kyle nicht, aber sie musste zugeben, dass sie sich nach dem Leben sehnte, das sie zusammen geteilt hatten, bevor alles den Bach runter ging.

Ein junger Mann, wahrscheinlich nicht älter als 25 Jahre, schlich sich neben sie und ließ sich auf dem leeren Barhocker zu ihrer Linken nieder. Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu und schätzte ihn schweigsam ein.

Es war Teil eines Spiels, das sie gerne mit sich selbst spielte. Sie nannte es informell „Vorhersage von Leuten". Dabei versuchte sie, so viel wie möglich über das Leben einer Person zu erraten, nur basierend darauf, wie sie aussah, handelte und sprach. Als sie dem Kerl heimlich einen Seitenblick zuwarf, war sie erfreut zu erkennen, dass das Spiel nun professionelle Vorteile hatte. Schließlich war sie eine Junior-Kriminalprofilerin. Das war Feldarbeit.

Der Typ war mäßig attraktiv, mit zottigem, schmutzig-blondem Haar, das über die rechte Seite seiner Stirn fiel. Er war braungebrannt, aber es war keine Strandbräune. Es war zu gleichmäßig und perfekt. Sie vermutete, dass er regelmäßig ein Sonnenstudio besuchte. Er war in guter Form, sah aber fast unnatürlich schlank aus, wie ein Wolf, der schon lange nichts mehr gegessen hatte.

Er kam eindeutig aus der Arbeit, da er noch im "Uniform"-Anzug war: glänzende Schuhe, leicht gelöste Krawatte, um zu zeigen, dass er entspannt war. Es war gegen 22 Uhr, und wenn er gerade erst von der Arbeit gekommen war, ging sie davon aus, dass er einen Job hatte, der lange Bürozeiten erforderte. Vielleicht die Finanzbranche, obwohl das normalerweise einen frühen Arbeitsbeginn anstelle von langen Nächten bedeutete.

Er war eher ein Anwalt. Aber nicht für die Regierung; vielleicht ein Mitarbeiter in seinem ersten Jahr bei einer schicken Firma in einem nahegelegenen Hochhaus, wo sie ihn mit Arbeit überschütteten. Er war gut bezahlt, wie der Maßanzug bewies. Aber er hatte nicht viel Zeit, um die Früchte seiner Arbeit zu genießen.

Er schien zu entscheiden, wie er sie ansprechen sollte. Er konnte ihr keinen Drink anbieten, da sie bereits einen hatte, der noch halb voll war. Jessie beschloss, ihm zu helfen.

„Welche Kanzlei?" fragte sie und drehte sich zu ihm.

„Was?"

„Bei welcher Anwaltskanzlei bist du?" wiederholte sie und schrie fast, um über die pulsierende Musik hinweg gehört zu werden.

„Benson & Aguirre", antwortete er mit einem Akzent der Ostküste, den sie nicht ganz identifizieren konnte. „Woher wusstest du, dass ich Anwalt bin?"

„Zufallstreffer; sieht so aus, als würden sie dich wirklich hart rannehmen. Hattest du gerade erst Schluss?"

„Vor etwa einer halben Stunde", sagte er, seine Stimme verriet einen Ton mehr Mittelatlantik als New York. „Ich freue mich schon seit etwa drei Stunden auf einen Drink. Ich hätte wirklich gerne ein Wassereis, aber das muss auch gehen."

Er nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche.

„Wie ist LA im Vergleich zu Philadelphia?" fragte Jessie. „Ich weiß, es sind weniger als sechs Monate vergangen, aber hast du das Gefühl, dass du dich gut anpasst?"

„Oh Gott, was zum Teufel? Bist du eine Art Privatdetektiv? Woher weißt du, dass ich aus Philly komme und erst im August hierher gezogen bin?"

„Es ist eine Art Talent, das ich habe. Ich bin übrigens Jessie", sagte sie und streckte ihre Hand aus.

„Doyle", sagte er und schüttelte ihre Hand. „Wirst du mir verraten, wie du diesen Salontrick machst? Weil ich gerade fast ausflippe."

„Ich werde das Geheimnis nicht verraten. Geheimnisse sind sehr wichtig. Lass mich noch eine weitere Frage stellen, nur um das Bild zu vervollständigen. Warst du in Temple oder Villanova zum Jurastudium?"

Er starrte sie mit offenem Mund an. Nachdem er ein paar Mal geblinzelt hatte, formierte er sich neu.

„Woher weißt du, dass ich nicht auf die Penn gegangen bin?" fragte er und täuschte Beleidigung vor.

„Nein, du hast in Penn kein Wassereis bestellt. Sag schon!“

„Nova bis zum Schluss, Baby!" rief er. „Go Wildcats!"

Jessie nickte dankbar.

„Ich selbst bin ein trojanisches Mädchen", sagte sie.

„Oh, Gott. Du warst auf der USC? Hast du von diesem Lionel Little, dem ehemaligen Basketballspieler dort, gehört? Er wurde heute ermordet."

„Ich habe es gehört", sagte Jessie. „Traurige Geschichte."

„Ich habe gehört, dass er für seine Schuhe getötet wurde", sagte Doyle und schüttelte den Kopf. „Kannst du das glauben?"

„Du solltest dir Gedanken um deine machen, Doyle. Sie sehen auch nicht billig aus."

Doyle blickte nach unten, lehnte sich dann hinüber und flüsterte ihr ins Ohr: „Achthundert Dollar".

Jessie pfiff in gefälschter Ehrfurcht. Sie verlor schnell das Interesse an Doyle, dessen jugendlicher Überschwang von seiner jugendlichen Selbstzufriedenheit überwältigt wurde.

„Also, was ist deine Geschichte?", fragte er.

„Du willst nicht versuchen, es zu erraten?"

„Oh Mann, darin bin ich nicht so gut."

„Versuch es mal, Doyle", überredete sie ihn. „Du könntest dich selbst überraschen. Außerdem muss ein Anwalt scharfsinnig sein, oder?"

„Das ist wahr. Okay, ich werde es versuchen. Ich würde sagen, du bist Schauspielerin. Du bist hübsch genug, um eine zu sein. Aber DTLA ist nicht wirklich die Gegend für Schauspielerinnen. Eher Hollywood oder westlicher. Modell vielleicht? Das könntest du sein. Aber du scheinst zu klug zu sein, als dass das deine Hauptkarriere sein könnte. Vielleicht hast du als Teenager als Model gearbeitet, aber jetzt machst du etwas Professionelleres. Nein, ich weiß, du bist in der Öffentlichkeitsarbeit. Deshalb bist du so gut darin, Menschen zu durchschauen. Habe ich Recht? Ich weiß, dass ich Recht habe."

„Ganz nah dran, Doyle. Aber nicht ganz."

„Also, was machst du dann?", fragte er.

„Ich bin Kriminalprofilerin beim LAPD."

Es fühlte sich gut an, es laut auszusprechen, besonders als sie sah, wie sich seine Augen unter Schock weiteten.

„Wie die Sendung Mindhunter?"

„Ja, so ungefähr. Ich helfe der Polizei, in die Köpfe von Kriminellen einzudringen, damit sie eine bessere Chance haben, sie zu fangen."

„Whoa. Also jagst du Serienmörder und so?"

„Seit einiger Zeit", sagte sie und vernachlässigte dabei, dass sie auf der Suche nach einem bestimmten Serienmörder war und dass das nichts mit ihrer Arbeit zu tun hatte.

„Das ist fantastisch. Was für ein cooler Job."

„Danke", sagte Jessie und spürte, dass er endlich den Mut hatte, zu fragen, was ihm schon seit einiger Zeit durch den Kopf ging.

„Also, wie sieht’s bei dir aus? Bist du Single?

„Geschieden."

„Wirklich?", sagte er. „Du scheinst zu jung zu sein, um geschieden zu sein."

„Ja, oder? Ungewöhnliche Umstände. Es hat nicht geklappt."

„Ich will nicht unhöflich sein, aber kann ich fragen was so ungewöhnlich war? Ich meine, du scheinst ein guter Fang zu sein. Bist du eine Psychopathin oder so was?"

Jessie wusste, dass er die Frage nicht böse meinte. Er war offensichtlich sowohl an der Antwort als auch an ihr interessiert und hatte es nur schrecklich verpatzt. Dennoch konnte sie spüren, wie all ihr verbliebenes Interesse an Doyle in diesem Moment von ihr wich. Im selben Moment traf sie die Erschöpfung des Tages zusammen mit einem Unbehagen ihrer High Heals. Sie beschloss, den Abend mit einem Mal zu beenden.

„Ich würde mich nicht als Psychopathin bezeichnen, Doyle. Ich habe definitiv einen Schaden, bis zu dem Punkt, dass ich nachts meist schreiend aufwache. Aber Psycho? Das würde ich nicht sagen. Wir ließen uns hauptsächlich scheiden, weil mein Mann ein Soziopath war, der eine Frau ermordet hat, mit der er schlief, und versucht hat, mir das anzuhängen, und schließlich auch noch versucht hat, mich und zwei unserer Nachbarn umzubringen. Er hat die Sache mit dem „bis der Tod uns scheidet" wirklich ernst genommen."

Doyle starrte sie an, sein Mund war so weit geöffnet, dass er Fliegen hätte fangen können. Sie wartete darauf, dass er sich erholte, neugierig darauf, wie reibungslos er sich befreien würde. Nicht so reibungslos, wie sich herausstellte.

„Oh, das ist wirklich scheiße. Ich würde mehr darüber wissen wollen, aber mir fällt gerade ein, dass ich morgen einen frühen Termin habe. Ich sollte wahrscheinlich nach Hause gehen. Ich hoffe, wir sehen uns irgendwann mal wieder."

Er war vom Hocker und auf halbem Weg zur Tür, bevor sie ein „Tschüss, Doyle" rausbekommen konnte.



*



Jessica Thurman zog die Decke hoch, um ihren halb erfrorenen kleinen Körper zu bedecken. Sie war seit drei Tagen allein in der Hütte mit ihrer toten Mutter. Sie war so im Delirium vom Mangel an Wasser, Wärme und menschlicher Interaktion, dass sie manchmal dachte, ihre Mutter würde mit ihr sprechen, selbst als ihre Leiche zusammensackte, sich nicht bewegte und ihre Arme von Fesseln in der Luft gehalten wurden, die an den Holzdachbalken befestigt waren.

Plötzlich klopfte es an die Tür. Jemand stand direkt vor der Hütte. Es konnte nicht ihr Vater sein. Er hatte keinen Grund zu klopfen. Er betrat jeden beliebigen Ort, wann immer er wollte.

Erneutes Klopfen, nur diesmal klang es anders. Jetzt war auch ein klingelndes Geräusch zu hören. Aber das ergab keinen Sinn. Die Hütte hatte keine Türklingel. Das Klingeln kam wieder, diesmal ohne jegliches Klopfen.

Plötzlich gingen Jessies Augen auf. Sie lag dort im Bett und ließ ihr Gehirn eine Sekunde lang verarbeiten, dass das Klingeln, das sie gehört hatte, von ihrem Handy kam. Sie lehnte sich hinüber, um danach zu greifen, und bemerkte, dass sie, während ihr Herz schnell schlug und ihre Atmung flach war, nach einem Alptraum nicht so verschwitzt war wie sonst.

Es war Detektiv Ryan Hernandez. Als sie den Anruf entgegennahm, blickte sie auf die Uhr: 2:13 Uhr.

„Hallo", sagte sie, fast ohne Benommenheit in der Stimme.

„Jessie. Hier ist Ryan Hernandez. Es tut mir leid, dass ich dich um diese Zeit anrufe, aber ich habe einen Anruf bekommen, dass ich einen verdächtigen Tod in Hancock Park untersuchen soll. Garland Moses nimmt mitten in der Nacht keine Anrufe mehr an und alle anderen sind bereits anderweitig beschäftigt. Bist du dafür zu haben?"

„Sicher", antwortete Jessie.

„Wenn ich dir die Adresse schicke, kannst du dann in 30 Minuten hier sein?", fragte er.

„Ich kann in fünfzehn Minuten da sein."




KAPITEL SIEBEN


Als Jessie um 2:29 Uhr morgens vor der Villa auf dem Luzerner Boulevard ankam, standen bereits mehrere Polizeiautos, ein Krankenwagen und das Fahrzeug des Gerichtsmediziners vor der Tür. Sie stieg aus, ging zur Haustür und versuchte, unter den gegebenen Umständen so professionell wie möglich auszusehen.

Nachbarn standen auf dem Bürgersteig, viele in einen Morgenmantel gewickelt, um sich vor der Kälte der Nacht zu schützen. Diese Art von Vorfall war nicht typisch für ein wohlhabendes Viertel wie Hancock Park. Eingebettet zwischen Hollywood im Norden und dem Mid-Wilshire-Distrikt im Süden, war es eine Enklave des alten reichen Los Angeles; oder zumindest so „alt und reich" wie alles in einer Stadt, die sich so wenig mit historischer Tradition auseinandersetzt.

Die Leute, die hier lebten, waren nicht so sehr die Filmstars oder Hollywood-Tiere, die man in Beverly Hills oder Malibu antrifft. Dies waren die Häuser der seit Generationen Reichen, die vielleicht arbeiteten oder auch nicht. Wenn sie es taten, dann oft nur, um Langeweile zu vermeiden. Aber sie mussten sich keine Sorgen machen, dass sie sich in dieser Nacht langweilen würden. Schließlich war einer von ihnen tot und alle waren neugierig darauf, wer.

Jessie war etwas aufgeregt, als sie die Treppe zur Haustür hinaufging, die mit gelbem Polizeiband abgesperrt war. Dies war das erste Mal, dass sie ohne Begleitung eines Detektivs an einem Tatort ankam. Und das bedeutete, dass sie zum ersten Mal ihren Ausweis für den Zugang zu einem geschützten Bereich vorweisen musste.

Sie erinnerte sich, dass sie sehr aufgeregt war, als sie ihn bekommen hatte. Sie übte sogar ein paar Mal, ihn Lacy in der Wohnung zu zeigen. Aber jetzt, als sie ihre Manteltasche durchwühlte und versuchte, sie zu finden, fühlte sie sich überraschend nervös.

Das musste sie nicht sein. Der Offizier oben auf der Treppe blickte sie kaum an, als er das Polizeiband zurückzog und sie passieren ließ.

Jessie fand Hernandez und einen anderen Detektiv direkt im Foyer des Hauses vor. Der jüngere Mann sah aus, als hätte er den Kürzeren gezogen. Detektiv Reid's Dienstalter muss es ihm erlaubt haben, diesen Anruf abzulehnen. Jessie fragte sich, warum Hernandez nicht auch abgelehnt hatte. Er sah sie und winkte sie hinein.

„Jessie Hunt, ich weiß nicht, ob du Detektiv Alan Trembley schon kennengelernt hast. Er war heute Nacht der Detektiv auf Abruf und er wird den Fall mit mir bearbeiten."

Als Jessie seine Hand schüttelte, bemerkte sie, dass er mit seinem ungepflegten, lockigen, blonden Haar und seiner Brille, die ihm fast von der Nase rutschte, so zerstreut aussah, wie sie sich fühlte.

„Unser Opfer liegt im Poolhaus", sagte Hernandez, als er anfing zu laufen und den Weg wies. „Ihr Name ist Victoria Missinger. Vierunddreißig Jahre alt. Verheiratet. Keine Kinder. Sie befindet sich in einer kleinen, versteckten Ecke des Hauptraums, was erklären könnte, warum es so lange gedauert hat, sie zu finden. Ihr Mann rief heute Nachmittag an und sagte, er könne sie seit Stunden nicht mehr erreichen. Es wurde kurz vermutet, dass es sich um eine Situation mit Lösegeld handeln könnte, so dass eine vollständige Hausdurchsuchung erst vor ein paar Stunden durchgeführt wurde. Ihre Leiche wurde von einem Suchhund gefunden."

„Oh Gott", murmelte Trembley unter seinem Bart hervor und Jessie fragte sich, wie erfahren er war, sich von der Vorstellung eines Suchhundes aus der Fassung bringen zu lassen.

„Wie ist sie gestorben?", fragte sie.

„Der Gerichtsmediziner ist noch dabei und es wurden noch keine Bluttests durchgeführt. Aber die erste Theorie ist eine Überdosis Insulin. Eine Nadel wurde in der Nähe der Leiche gefunden. Sie war Diabetikerin."

„Man kann an einer Überdosis Insulin sterben?" fragte Trembley.

„Sicher, wenn man unbehandelt bleibt", sagte Hernandez, als sie einen langen Flur des Haupthauses hinunter zur Hintertür gingen. „Und es sieht so aus, als wäre sie stundenlang allein im Raum gewesen."

„Wir scheinen es in letzter Zeit mit vielen Nadel-Vorfällen zu tun zu haben, Detektiv Hernandez", bemerkte Jessie. „Nun, ich habe kein Problem damit, es ab und zu mit einem Schuss zu tun zu haben."

„Reiner Zufall, das versichere ich dir", antwortete er lächelnd.

Sie traten hinaus und Jessie erkannte, dass das große Haus davor einen noch größeren Hinterhof verbarg. Ein riesiger Pool beanspruchte die Hälfte der Fläche. Daneben befand sich das Poolhaus. Hernandez ging in diese Richtung und die anderen beiden folgten.

„Was lässt dich vermuten, dass es nicht nur ein Unfall war?" fragte Jessie ihn.

„Ich habe noch keine Schlüsse gezogen", antwortete er. „Der Gerichtsmediziner wird uns morgen früh mehr darüber erzählen können. Aber Frau Missinger hatte ihr ganzes Leben lang Diabetes, und laut ihrem Mann hatte sie noch nie zuvor einen solchen Unfall. Es klingt, als ob sie wusste, wie man auf sich selbst aufpasst."

„Hast du schon mit ihm gesprochen?" fragte Jessie.

„Nein", antwortete Hernandez. „Ein uniformierter Offizier nahm seine erste Aussage auf. Man kümmert sich derzeit im Frühstücksraum um ihn. Wir reden mit ihm, nachdem ich dir den Tatort gezeigt habe."

„Was wissen wir über ihn?" fragte Jessie.

„Michael Missinger, 37 Jahre alt. Nachkomme des Missinger Ölvermögens. Er hat seine Beteiligung vor sieben Jahren verkauft und einen Hedge-Fonds gegründet, der ausschließlich in umweltfreundliche Technologien investiert. Er arbeitet in der Innenstadt im Penthouse eines dieser Gebäude, wo man sich den Hals ausrenken muss, um das Dach zu sehen."

„Irgendwelche Vorstrafen?" fragte Trembley.

„Machst du Witze?" spottete Hernandez. „Auf dem Papier ist dieser Kerl so rein wie Trinkwasser. Keine persönlichen Skandale. Keine finanziellen Probleme. Nicht einmal ein Strafzettel. Wenn er Geheimnisse hat, sind sie gut versteckt."

Sie waren am Poolhaus angekommen. Ein uniformierter Polizist zog das Polizeiband zurück, damit sie eintreten konnten. Jessie folgte Hernandez, der die Führung übernahm. Trembley trat als letzter ein.

Als sie eintrat, versuchte Jessie, ihren Kopf von allen fremden Gedanken zu befreien. Dies war ihr erster hochkarätiger potenzieller Mordfall, und sie wollte, dass sie nichts von dem anstehenden Auftrag ablenkte. Sie wollte sich ausschließlich auf ihre Umgebung konzentrieren.

Das Poolhaus war in dezentem, altmodischem Glamour gehalten. Es erinnerte sie an die Cabanas, von denen sie sich vorstellte, dass Filmstars aus den 1920er Jahren dort wohnten, wenn sie Urlaub am Strand machten. Die lange Couch auf der Rückseite des Hauptraumes hatte einen Holzrahmen, war aber voller luxuriöse Kissen, die extrem gemütlich aussahen.

Der Couchtisch schien aus recyceltem Holz handgefertigt worden zu sein, von denen einige Holzstücke wie alte Teile von Bootsrümpfen aussahen. Die Kunst an den Wänden sah aus, als wäre sie polynesischen Ursprungs. In der hinteren Ecke des Raumes befand sich ein Billardtisch. Der Flachbildfernseher war hinter einem dicken, seidig aussehenden beigefarbenen Vorhang versteckt, von dem Jessie vermutete, dass er mehr gekostet haben könnte als ihr Mini Cooper, der vorne an der Straße stand. Es gab keine Anzeichen dafür, dass hier drin etwas Unerfreuliches passiert war.

„Wo ist der versteckte Winkel?", fragte sie.

Hernandez führte sie an der Bar vorbei, die entlang der Mauer verlief. Jessie sah noch mehr Polizeiband vor etwas, das wie ein Wäscheschrank aussah. Hernandez riss es ab und öffnete die Schranktür mit einer behandschuhten Hand. Dann trat er ein und schien zu verschwinden.

Jessie folgte ihm und sah, dass der Schrank tatsächlich Regale mit Handtüchern und einigen Reinigungsmitteln beinhaltete. Aber als sie näher kam, sah sie rechts eine schmale Öffnung zwischen der Tür und den Regalen. Es schien eine Holzschiebetür zu geben, die sich in der Wand versteckte.

Jessie zog selbst ein Paar Handschuhe an und schob die Tür zu. Für ein sorgloses Auge sah es aus wie eine weitere Platte an der Wand. Sie schob sie wieder auf und trat in den kleinen Raum, in dem Hernandez stand und auf sie wartete.

Dort war nicht viel – nur eine Couch und ein kleiner Holztisch daneben. Auf dem Boden lag eine Lampe, die anscheinend umgeworfen worden war. Einige Scherben waren abgebrochen und lagen auf dem plüschweißen Teppichboden.

Auf der Couch befand sich in einer entspannten Pose, die leicht mit dem Schlafen verwechselt werden konnte, Victoria Missinger. Auf dem Kissen neben ihr lag eine Nadel.

Auch tot war Victoria Missinger eine schöne Frau. Es war schwer, ihre Größe einzuschätzen, aber sie war schlank, und wirkte wie eine Frau, die sich regelmäßig mit ihrem Trainer traf. Jessie machte sich eine mentale Notiz, um dem nachzugehen.

Ihre Haut war samtweich und lebendig, selbst als sich die Sterblichkeit einstellte. Jessie konnte sich nur vorstellen, wie sie war, als sie noch am Leben war. Sie hatte langes blondes Haar, das einen Teil ihres Gesichts bedeckte, aber nicht genug, um ihre perfekte Knochenstruktur zu verdecken.

„Sie war hübsch", sagte Trembley und unterbewertete es.

„Glaubst du, es gab einen Kampf?" fragte Jessie Hernandez und nickte der kaputten Lampe auf dem Teppich zu.

„Schwer zu sagen. Sie hätte einfach dagegen stoßen können, als sie versuchte, aufzustehen. Oder es könnte bedeuten, dass es ein Gerangel gab."

„Ich habe das Gefühl, dass du eine Meinung hast, dich aber zurückhältst", sagte Jessie.

„Nun, wie gesagt, ich hasse es, zu früh Schlussfolgerungen zu ziehen. Aber ich fand das etwas seltsam", sagte er und zeigte auf den Teppich.

„Was?" fragte sie, unfähig, etwas Auffälliges zu erkennen, außer, wie dick der Teppichboden war.

„Seht ihr, wie tief die Vertiefungen von unseren Schritten im Teppich sind?"

Jessie und Detektiv Trembley nickten.

„Als wir das erste Mal reinkamen, nachdem der Hund sie gefunden hatte, gab es überhaupt keine Fußabdrücke."

„Nicht einmal ihre?" fragte Jessie und begann, zu verstehen.

„Nein", antwortete Hernandez.

„Was bedeutet das?" fragte Trembley und verstand noch nicht.

Hernandez klärte ihn auf.

„Es bedeutet, dass entweder der luxuriöse Teppichboden hier drin beispiellose Bounce-Back-Fähigkeiten hat oder jemand ihn gesaugt hat, um die Existenz anderer Fußabdrücke als die von Victoria zu verbergen."

„Das ist interessant", sagte Jessie und war beeindruckt von Detektiv Hernandez' Liebe zum Detail. Sie war stolz darauf, Menschen lesen zu können, ihr wäre allerdings nie ein solcher physischer Hinweis aufgefallen. Es erinnerte sie daran, dass dies der Mann war, der maßgeblich an der Festnahme von Bolton Crutchfield beteiligt war, und dass sie seine Fähigkeiten nicht unterschätzen sollte. Sie konnte viel von ihm lernen.

„Hast du einen Staubsauger gefunden?" fragte Trembley.

„Nicht hier draußen", sagte Hernandez. „Aber die Leute überprüfen das Haupthaus."

„Schwer vorstellbar, dass einer der Missingers Hausarbeit geleistet hat", vermutete Jessie. „Ich frage mich, ob sie überhaupt wissen würden, wo der Staubsauger aufbewahrt wird. Ich nehme an, sie haben eine Haushälterin?"

„Das tun sie in der Tat", sagte Hernandez. „Ihr Name ist Marisol Mendez. Leider ist sie die ganze Woche nicht in der Stadt, anscheinend im Urlaub in Palm Springs."

„Also scheidet das Dienstmädchen aus", sagte Trembley. „Arbeitet hier noch jemand anderes? Sie müssen eine Menge Angestellte haben."

„Nicht so viele, wie man vielleicht meint", sagte Hernandez. „Ihre Landschaftsgestaltung ist weitgehend dürreresistent, so dass sie nur einen Gärtner haben, der zweimal im Monat zur Pflege kommt. Sie haben eine Firma, die sich um die Instandhaltung des Pools kümmert und Missinger sagt, dass jemand einmal pro Woche, donnerstags, vorbeikommt."

„Also, wer bleibt uns dann noch?" fragte Trembley aus Angst, eine klare Antwort zu geben und zu offensichtlich zu sein.

„Es bleibt uns die gleiche Person, mit der wir angefangen haben", sagte Hernandez, ohne Angst, in diese Richtung zu ermitteln. „Der Ehemann."

„Hat er ein Alibi?" fragte Jessie.

„Das ist genau das, was wir herausfinden werden", antwortete Hernandez, als er sein Funkgerät herauszog und hineinsprach. „Nettles, lassen Sie Missinger zur Befragung aufs Revier bringen. Ich will nicht, dass ihn jemand anderes etwas fragt, bis wir ihn in einem Verhörraum haben."

„Tut mir leid, Detektiv", kam eine knackige, ängstliche Stimme über das Funkgerät. „Aber jemand hat das schon getan. Er ist jetzt auf dem Weg."

„Verdammt", fluchte Hernandez, als er das Funkgerät ausschaltete. „Wir müssen jetzt gehen."

„Wo liegt das Problem?" fragte Jessie.

„Ich wollte da sein und warten, bis Missinger auf dem Revier ankommt, um der gute Polizist zu sein, seine Rettungsleine, sein Resonanzboden. Aber wenn er zuerst dort ankommt und all diese blauen Uniformen, Waffen und Leuchtstoffröhren sieht, wird er sich erschrecken und verlangen, seinen Anwalt zu sprechen, bevor ich etwas fragen kann. Sobald das passiert, werden wir nichts Nützliches mehr aus ihm herausbekommen."

„Dann machen wir uns besser auf den Weg", sagte Jessie und lief an ihm vorbei zur Tür hinaus.




KAPITEL ACHT


Als sie auf der Polizeistation ankamen, war Missinger bereits seit zehn Minuten dort. Hernandez hatte vorab angerufen und den Polizisten am Empfang gebeten, ihn in das Familienzimmer zu bringen, das für Verbrechensopfer und Familien von Verstorbenen bestimmt war. Es war etwas weniger steril als der Rest des Reviers, mit ein paar alten Sofas, einigen Vorhängen an den Fenstern und ein paar Monaten alten Zeitschriften auf dem Couchtisch.

Jessie, Hernandez und Trembley eilten zur Tür des Familienzimmers, wo ein großer Offizier draußen Wache stand.

„Wie geht es ihm da drin?" fragte Hernandez.

„Es geht ihm gut. Leider hat er seinen Anwalt verlangt, als er durch die Tür war."

„Großartig", seufzte Hernandez. „Wie lange wartet er schon darauf, den Anruf zu tätigen?"

„Das hat er bereits, Sir", sagte der Polizist und bewegte sich angespannt.

„Was! Wer hat ihm das erlaubt?"

„Ich, Sir. Hätte ich das nicht tun sollen?"

„Wie lange sind Sie schon bei der Polizei, Offizier... Beatty?" fragte Hernandez und betrachtete das Namensschild auf dem Hemd des Mannes.

„Fast einen Monat, Sir."

„Okay, Beatty", sagte Hernandez und versuchte eindeutig, seine Frustration in Schach zu halten. „Es gibt jetzt nichts mehr, was wir dagegen tun können. Aber in Zukunft müssen Sie einem potenziellen Verdächtigen nicht sofort ein Telefon überreichen, sobald er danach fragt. Sie können ihn in ein Zimmer bringen und ihm sagen, dass Sie sich sofort darum kümmern. „Sofort“ kann ein paar Minuten dauern, vielleicht sogar ein oder zwei Stunden. Es ist eine Taktik, uns Zeit zu geben, eine Strategie zu entwickeln und den Verdächtigen aus dem Gleichgewicht zu bringen. Würden Sie bitte in Zukunft versuchen, sich daran zu erinnern?"

„Ja, Sir", sagte Beatty schüchtern.

„Okay. Bringen Sie ihn vorerst in einen offenen Verhörraum. Wir haben wahrscheinlich nicht viel Zeit, bis sein Anwalt herkommt. Aber ich möchte die Zeit, die uns bleibt, nutzen, um zumindest ein Gefühl für den Kerl zu bekommen. Und Beatty, wenn Sie ihn in den anderen Raum bringen, beantworten Sie keine seiner Fragen! Bringen Sie ihn einfach in ein Zimmer und verschwinden Sie, verstanden?“

„Ja, Sir."

Als Beatty in den Familienraum ging, um Missinger zu holen, führte Hernandez Jessie und Trembley in den Pausenraum.

„Geben wir ihm eine Minute, um sich einzugewöhnen", sagte Hernandez. „Trembley und ich gehen rein. Jessie, du solltest von hinter der Spiegelwand zusehen. Es ist zu spät, um substantielle Fragen zu stellen, aber wir können versuchen, eine Art Beziehung zu dem Kerl aufzubauen. Er muss uns nichts sagen. Aber wir können viel sagen. Und das kann eine Wirkung auf ihn haben. Er muss sich so unsicher wie möglich fühlen, bevor sein Anwalt herkommt und anfängt, ihn zu beruhigen. Wir müssen diese anhaltenden Zweifel in seinen Kopf bekommen, damit er sich fragt, ob wir vielleicht bessere Verbündete für ihn sind als sein gut bezahlter Anwalt. Wir haben nicht viel Zeit dafür, also gehen wir da rein."

Jessie ging in den Beobachtungsraum und nahm Platz. Es war ihre erste Gelegenheit, um einen Blick auf Michael Missinger zu werfen, der unbeholfen in einer Ecke stand. Wenn überhaupt möglich, war er noch schöner als seine Frau. Selbst um 3 Uhr morgens, in Jeans und Sweatshirt, das er in letzter Minute angezogen haben muss, sah er aus, als käme er gerade von einem Fotoshooting.

Sein kurzes, sonnengebleichtes blondes Haar war gerade so verfilzt, dass es anspruchslos aussah, aber nicht so sehr, dass es zerzaust wirkte. Seine Haut war teilweise gebräunt, teilweise nicht, was ein Zeichen dafür war, dass er regelmäßig surfen ging.

Er war groß und schlaksig, mit dem Aussehen eines Mannes, der nicht viel dafür tun musste, um so auszusehen. Die Rötung und Schwellung seiner blauen Augen – wahrscheinlich durch das Weinen – machte sie nicht weniger schön. Jessie musste trotz allem zugeben, dass, wenn dieser Typ sie gestern Abend in der Bar angesprochen hätte, sie ihm gegenüber nicht so arrogant gewesen wäre. Selbst sein nervöser Wechsel von Fuß zu Fuß war frustrierenderweise liebenswert.

Nach ein paar Sekunden kamen Hernandez und Trembley herein. Sie sahen weniger beeindruckt aus.

„Setzen Sie sich, Herr Missinger", sagte Hernandez und ließ die Anweisung fast sanft klingen. „Wir wissen, dass Sie nach Ihrem Anwalt gefragt haben, was in Ordnung ist. Meines Wissens nach ist er auf dem Weg. In der Zwischenzeit wollten wir Sie über den Stand der Ermittlung informieren. Zuerst möchte ich Ihnen mein Beileid zu Ihrem Verlust aussprechen."

„Danke", sagte Missinger mit leicht rauer Stimme, von der Jessie sich nicht sicher war, ob sie immer so war oder eine Folge des nächtlichen Stresses.

„Also, wir wissen noch nicht, ob es ein Verbrechen war", fuhr Hernandez fort und setzte sich ihm gegenüber. „Aber ich habe gehört, dass Sie einem unserer Offiziere gesagt haben, dass Victoria extrem geschickt darin war, ihren Zustand zu kontrollieren, und dass Sie sich nicht an einen solchen Vorfall in der Vergangenheit erinnern können."

„Ich..." fing Missinger an.

„Keine Notwendigkeit zu antworten, Herr Missinger", unterbrach ihn Hernandez. „Ich will nicht beschuldigt werden, Ihre Rechte verletzt zu haben, die Ihnen vorgelesen wurden, oder?"

„Ja."

„Natürlich ist das alles Standard. Und obwohl wir Sie nicht wirklich als Verdächtigen betrachten, haben Sie das Recht, Ihren Anwalt anzufordern. Aber aus unserer Sicht versuchen wir, so schnell wie möglich zu handeln, um der Sache auf den Grund zu gehen. Die Zeit ist von wesentlicher Bedeutung. Je mehr Details wir also bekommen können, wie die Information, die Sie uns über Victorias Fähigkeiten der Selbstmedikation mitgeteilt haben, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir in falsche Richtungen ermitteln. Macht das Sinn?"

Missinger nickte. Trembley stand schweigend an der Seite, als wäre er sich nicht sicher, ob oder wann er einsteigen sollte.

„So", fuhr Hernandez fort, „auch das möchte ich nur bestätigen, Sie sagten, Ihre Haushälterin Marisol ist diese Woche auf Urlaub in Palm Springs. Sie haben einem Offizier ihre Handynummer gegeben und ich denke, wir versuchen gerade, sie zu erreichen. Übrigens können Sie ohne formell zu antworten, mich vielleicht darauf aufmerksam machen, wenn Sie feststellen, dass ich etwas Falsches sage. Natürlich brauchen Sie keine Fragen zu beantworten. Lenken Sie mich einfach in die richtige Richtung, wenn ich vom Kurs abkomme. In Ordnung?"

„Okay", stimmte Missinger zu.

„Großartig. Wir machen hier Fortschritte. Wir wissen, dass Sie im Laufe des Nachmittags mehrmals versucht haben, Victoria zu erreichen, allerdings hat sie ihre Anrufe nicht beantwortet. Meines Wissens nach war es gestern Nachmittag spät, als Sie nach Hause kamen, um sich mit ihr zum Abendessen zu treffen und ihr Auto, aber nicht sie, vorfanden, sodass Sie sich Sorgen machten und die Polizei riefen. Wenn ich etwas falsch verstehe, klopfen Sie einfach mit dem Finger auf den Tisch oder so, um es mich wissen zu lassen."

Hernandez ging den Rest der Zeitleiste durch, aber Jessie hörte nur halb zu. Sie hatte beim letzten Austausch etwas bemerkt und fragte sich, ob das, was sie gesehen hatte, echt oder imaginär war. Etwa zu der Zeit als Hernandez „im Laufe des Nachmittags" sagte, hatte Michael Missinger leicht und fast reflexartig gezuckt. Nicht, als Hernandez sagte: Sie haben versucht, sie zu erreichen." Nicht, als er sagte: „sie hat ihre Anrufe nicht beantwortet." Nur bei den Worten „im Laufe des Nachmittags".

Woran hatte er gedacht, als der Nachmittag erwähnt wurde? Es war so unmerklich, dass Missinger selbst es vielleicht nicht einmal bemerkt hatte. Das schien unwahrscheinlich, wenn er sich daran erinnerte, dass er seine Frau am Nachmittag ermordet hatte. Sie hatte entweder eine größere Reaktion oder eine eindeutigere Aktion erwartet, als überhaupt keine Antwort zu erhalten. Doch hatte ihn etwas über die Erwähnung des "Nachmittags" aus der Bahn geworfen, wenn auch nur leicht.

Jessies Gedanken wurden von einer neuen Person unterbrochen, die den Verhörraum betrat.

„Hallo, die Herren“ sagte ein kleiner, kahler, gut 40-jähriger Mann fröhlich. „Ich bin Brett Kolson, Herr Missingers Anwalt. Ich hoffe, das läuft hier friedlich ab. Und ich bin zuversichtlich, dass Sie meinen Klienten nicht befragt haben, nachdem er mich angerufen hat."





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In DER PERFEKTE BLOCK (Band #2) sammelt die Nachwuchsprofilerin Jessie Hunt, 29, die Scherben ihres zerbrochenen Lebens auf und verlässt die Vorstadt, um ein neues Leben in der Innenstadt von Los Angeles zu beginnen. Aber als eine wohlhabende Person des öffentlichen Lebens ermordet wird, befindet sich Jessie, die mit dem Fall beauftragt wurde, plötzlich wieder in der Welt der malerischen Vorstadt und jagt einen geistesgestörten Mörder inmitten der falschen Fassaden der Normalität von soziopathischen Frauen. Jessie, die in der Innenstadt von LA wieder aufblüht, ist sich sicher, dass sie sich von ihrem vorstädtischen Albtraum entfernt hat. Bereit, ihre gescheiterte Ehe hinter sich zu lassen, bekommt sie einen Job bei der örtlichen Polizei und schiebt ihre Zulassung bei der FBI-Akademie auf. Ihr wird ein unkomplizierter Mord in einer wohlhabenden Nachbarschaft zugewiesen, ein einfacher Fall, um ihre Karriere zu beginnen. Aber ihre Chefs wissen nicht, dass an dem Fall mehr dran ist, als vermutet. Nichts kann sie auf ihren ersten Fall vorbereiten, der sie zwingen wird, die Gedanken der reichen, vorstädtischen Paare zu erforschen, von denen sie dachte, sie hätte sie hinter sich gelassen. Hinter ihren glänzenden Familienbildern und gepflegten Hecken erkennt Jessie, dass Perfektion nicht so ist, wie sie scheint. Ein schnelllebiger und spannender Psychothriller mit unvergesslichen Charakteren und mitreißender Spannung. DER PERFEKTE BLOCK ist das Buch #2 einer fesselnden neuen Serie, die Sie bis spät in die Nacht blättern lässt. Band #3 der Jessie Hunt-Serie – DAS PERFEKTE HAUS – ist jetzt auch vorbestellbar.

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