Книга - Die Perfekte Affäre

a
A

Die Perfekte Affäre
Blake Pierce


Ein spannender Psychothriller mit Jessie Hunt #7
„Ein Meisterwerk voll Spannung und Mystery. Blake Pierce hat seine Charaktere gekonnt und mit solch einer hervorragenden, psychologischen Seite entwickelt, dass wir uns in ihre Gedanken hineinversetzen, ihre Ängste mitfühlen und ihre Erfolge mitfeiern können. Dieses Buch voller spannender Wendungen wird Sie bis zur letzten Seite in seinen Bann ziehen.”

–-Buch- und Filmreviews, Roberto Mattos (Verschwunden)



DIE PERFEKTE AFFÄRE ist Buch Nr. 7 in der neuen Psychothriller-Reihe des Bestsellerautors Pierce Blake, dessen Bestseller Verschwunden (als kostenloser Download erhältlich) bereits über 1000 Fünf-Sterne-Rezensionen erhalten hat.



Ein Pornostar wird tot aufgefunden, und das LAPD denkt sich nicht viel dabei. Aber die 29jährige FBI-Agentin Jessie Hunt spürt, dass etwas viel Unheilvolleres dahintersteckt, etwas, das sich bis in die oberen Schichten von Macht und Gesellschaft erstreckt.



Ein rasanter Psychothriller mit unvergesslichen Charakteren und fesselnder Spannung. DIE PERFEKTE AFFÄRE ist Buch Nr.7 der neuen, mitreißenden Serie, die Ihnen schlaflose Nächte bereiten wird.



Band Nr. 8 der Jessie Hunt-Serie wird in Kürze erhältlich sein.





Blake Pierce

DIE PERFEKTE AFFÄRE




d i e   p e r f e k t e   a f f ä r e




(ein spannender psychothriller mit jessie hunt – band sieben)




b l a k e   p i e r c e



Blake Pierce

Blake Pierce ist der USA Today Bestseller-Autor der RILEY PAGE Mystery-Serie, die sechzehn Bücher (und es werden noch mehr) umfasst. Blake Pierce ist auch der Autor der Mystery-Serie MACKENZIE WHITE, die dreizehn Bücher umfasst (Tendenz steigend); der Mystery-Serie AVERY BLACK, die sechs Bücher umfasst; der Mystery-Serie KERI LOCKE, die fünf Bücher umfasst; der Mystery-Serie DAS MAKING OF RILEY PAIGE, die fünf Bücher umfasst (Tendenz steigend); der Mystery-Serie KATE WISE, die sechs Bücher umfasst (Tendenz steigend); der psychologischen Krimireihe CHLOE FINE, die fünf Bücher umfasst (Tendenz steigend); der psychologischen Krimireihe JESSE HUNT, die fünf Bücher umfasst (Tendenz steigend); der psychologischen Krimireihe AU PAIR, die zwei Bücher umfasst (Tendenz steigend); der Krimireihe ZOE PRIME, die zwei Bücher umfasst (Tendenz steigend); der neuen Krimireihe ADELE SHARP; sowie der neuen und heimeligen Mystery-Serie EUROPEAN VOYAGE.



Als begeisterter Leser und lebenslanger Fan der Mystery- und Thriller-Genres liebt es Blake, von Ihnen zu hören. Besuchen Sie www.blakepierceauthor.com (http://www.blakepierceauthor.com/), um mehr zu erfahren und in Kontakt zu bleiben.



BÜCHER VON BLAKE PIERCE

ADELE SHARP MYSTERY-SERIE

NICHTS ALS STERBEN (Buch #1)

NICHTS ALS RENNEN (Buch #2)

NICHTS ALS VERSTECKEN (Buch #3)



DAS AU-PAIR

SO GUT WIE VORÜBER (Band #1)

SO GUT WIE VERLOREN (Band #2)

SO GUT WIE TOT (Band #3)



ZOE PRIME KRIMIREIHE

GESICHT DES TODES (Band #1)

GESICHT DES MORDES (Band #2)

GESICHT DER ANGST (Band #3)



JESSIE HUNT PSYCHOTHRILLER-SERIE

DIE PERFEKTE FRAU (Band #1)

DER PERFEKTE BLOCK (Band #2)

DAS PERFEKTE HAUS (Band #3)

DAS PERFEKTE LÄCHELN (Band #4)

DIE PERFEKTE LÜGE (Band #5)

DER PERFEKTE LOOK (Band #6)

DIE PERFEKTE AFFÄRE (Band #7)

DAS PERFEKTE ALIBI (Band #8)



CHLOE FINE PSYCHOTHRILLER-SERIE

NEBENAN (Band #1)

DIE LÜGE EINES NACHBARN (Band #2)

SACKGASSE (Band #3)

STUMMER NACHBAR (Band #4)

HEIMKEHR (Band #5)

GETÖNTE FENSTER (Band #6)



KATE WISE MYSTERY-SERIE

WENN SIE WÜSSTE (Band #1)

WENN SIE SÄHE (Band #2)

WENN SIE RENNEN WÜRDE (Band #3)

WENN SIE SICH VERSTECKEN WÜRDE (Band #4)

WENN SIE FLIEHEN WÜRDE (Band #5)

WENN SIE FÜRCHTETE (Band #6)

WENN SIE HÖRTE (Band #7)



DAS MAKING OF RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

BEOBACHTET (Band #1)

WARTET (Band #2)

LOCKT (Band #3)

NIMMT (Band #4)

LAUERT (Band #5)

TÖTET (Band #6)



RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

VERSCHWUNDEN (Band #1)

GEFESSELT (Band #2)

ERSEHNT (Band #3)

GEKÖDERT (Band #4)

GEJAGT (Band #5)

VERZEHRT (Band #6)

VERLASSEN (Band #7)

ERKALTET (Band #8)

VERFOLGT (Band #9)

VERLOREN (Band #10)

BEGRABEN (Band #11)

ÜBERFAHREN (Band #12)

GEFANGEN (Band #13)

RUHEND (Band #14)

GEMIEDEN (Band #15)

VERMISST (Band #16)

AUSERWÄHLT (Band #17)



EINE RILEY PAIGE KURZGESCHICHTE

EINST GELÖST



MACKENZIE WHITE MYSTERY-SERIE

BEVOR ER TÖTET (Band #1)

BEVOR ER SIEHT (Band #2)

BEVOR ER BEGEHRT (Band #3)

BEVOR ER NIMMT (Band #4)

BEVOR ER BRAUCHT (Band #5)

EHE ER FÜHLT (Band #6)

EHE ER SÜNDIGT (Band #7)

BEVOR ER JAGT (Band #8)

VORHER PLÜNDERT ER (Band #9)

VORHER SEHNT ER SICH (Band #10)

VORHER VERFÄLLT ER (Band #11)

VORHER NEIDET ER (Band #12)

VORHER STELLT ER IHNEN NACH (Band #13)

VORHER SCHADET ER (Band #14)



AVERY BLACK MYSTERY-SERIE

DAS MOTIV (Band #1)

LAUF (Band #2)

VERBORGEN (Band #3)

GRÜNDE DER ANGST (Band #4)

RETTE MICH (Band #5)

ANGST (Band #6)



KERI LOCKE MYSTERY-SERIE

EINE SPUR VON TOD (Band #1)

EINE SPUR VON MORD (Band #2)

EINE SPUR VON SCHWÄCHE (Band #3)

EINE SPUR VON VERBRECHEN (Band #4)

EINE SPUR VON HOFFNUNG (Band #5)




KAPITEL EINS


Schüsse rissen Jessie aus ihrem Schlaf.

Halb schlafend kroch sie aus dem Bett, nahm ihre Pistole vom Nachttisch und huschte zur Schlafzimmertür. Die Schüsse hörten sich an, als wären sie aus dem Wohnzimmer gekommen. Sie warf einen Blick auf die Uhr: 1:08 Uhr.

Sie versuchte sich keine Gedanken darüber zu machen, wie jemand die strengen Sicherheitsvorkehrungen ihres Wohnhauses überwunden haben konnte, um sich auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. Auf der anderen Seite der Tür befand sich eine Bedrohung. Nicht nur sie war in Gefahr, sondern auch Hannah, die in dem Schlafzimmer auf der anderen Seite des Wohnzimmers schlief.

Jessie nahm einen langen, langsamen, tiefen Atemzug, bevor sie die Tür öffnete und hinausblickte. Sie sah einen schwachen Schimmer im Raum, bevor ein zweiter Schuss sie hinter die Wand zurückweichen ließ. Hatte der Angreifer sie gesehen? Sie bereitete sich gerade darauf vor, ins Wohnzimmer zu schleichen, als sie eine Stimme hörte.

„Du bist umzingelt, Johnny. Komm mit erhobenen Händen heraus", befahl eine männliche Stimme in strengem Tonfall.

Plötzlich ertönte düstere Musik.

„Du kriegst mich nicht lebendig!", rief jemand mit Gangster-Akzent.

Jessie erlaubte sich, zum ersten Mal seit dreißig Sekunden normal zu atmen. Sie senkte ihre Waffe, stand auf und ging ins Wohnzimmer, wo sie sehen konnte, dass der Fernseher eingeschaltet war und einen alten Schwarzweiß-Krimi ausstrahlte.

Sie ergriff die Fernbedienung vom Couchtisch und schaltete den Fernseher aus. Ihr Herz klopfte noch immer, als sie quer durchs Wohnzimmer ging, wobei sie den Kleidern, Schuhen und Zeitschriften auf dem Boden auswich, bis sie zur offenen Tür von Hannahs Schlafzimmer gelangte.

Sie steckte ihren Kopf durch die Tür und sah ihre siebzehnjährige Halbschwester Hannah Dorsey im Bett schlafen. Das Mädchen hatte sich unbewusst abgedeckt und umarmte sich, da sie leicht zitterte.

Jessie ging auf Zehenspitzen, griff nach der Bettdecke und legte sie sanft über Hannah, die unverständlich vor sich hin murmelte. Die forensische Profilerin stand über ihr und versuchte, Worte zu finden. Aber nach ein paar Sekunden entschied sie, dass es erfolglos sein würde, und gab auf.

Sie ging auf Zehenspitzen zurück zur Tür, blickte erneut zurück und schloss dann die Tür. Sie seufzte tief. Trotz ihrer wiederholten Bitten, es nicht zu tun, war dies das dritte Mal innerhalb einer Woche, dass Hannah den Fernseher angelassen hatte und zu Bett gegangen war. Glücklicherweise war es das erste Mal, dass Jessie durch das Geräusch der Schüsse, die aus dem Fernseher kamen, aufgeweckt worden war.

Ein Teil von ihr wollte das Mädchen wachrütteln und sie aus dem Bett holen, um das Ding selbst auszuschalten. Aber, wie sie kürzlich aus dem Online-Newsletter für Eltern erfahren hatte, den sie abonniert hatte, brauchten Teenager offenbar viel zusätzlichen Schlaf für ihren wachsenden Geist und Körper. Außerdem würde eine Unterbrechung von Hannahs Schlaf, um ihr etwas zu beweisen, sie morgen mit einer zusätzlichen Portion Verdrossenheit belohnen.

Als sie durchs Wohnzimmer schlich, um wieder ins Bett zu gehen, fragte sie sich, wo der Online-Newsletter war, in dem darüber berichtet wurde, dass fast dreißigjährige Berufstätige hin und wieder auch angemessenen Schlaf brauchten. Sie lächelte vor sich hin, als sie über einen Schuh stolperte, den Hannah auf dem Boden liegen gelassen hatte. Sie fiel mit ihrem linken Knie auf den harten Holzboden.

Sie unterdrückte ein Fluchen. Stattdessen stöhnte sie leise, als sie sich hochzog und zurück ins Bett humpelte. Während ihr Knie schmerzte, ihr Herz immer noch klopfte und ihr Verstand raste, resignierte sie in einer weiteren halbschlaflosen Nacht, alles aus Höflichkeit gegenüber dem Teenager, dem sie zugestimmt hatte, bei ihr wohnen zu dürfen.

Ich glaube, ich habe besser geschlafen, als ich noch von einem Serienmörder gejagt wurde.

Der Galgenhumor brachte sie zum Kichern. Schläfriger wurde sie dadurch allerdings keinesfalls.


*

„Das habe ich nicht", beharrte Hannah verärgert.

Jessie saß ihr verblüfft am Frühstückstisch gegenüber. Sie konnte nicht glauben, dass das Mädchen es leugnete.

„Hannah, es leben hier nur zwei Menschen. Ich bin vor dir ins Bett gegangen. Als ich gute Nacht sagte, hast du ferngesehen. Als ich mitten in der Nacht aufgewacht bin, war er an. Man muss nicht für das LAPD arbeiten, um zu wissen, wer dafür verantwortlich ist."

Hannah starrte sie an. Ihre grünen Augen waren voller Überzeugung.

„Jessie, ich möchte nicht respektlos sein. Aber du hast zugegeben, dass du in letzter Zeit Schlafprobleme hattest. Und in deinem Alter beginnt das Gedächtnis ein wenig nachzulassen. Ist es möglich, dass du etwas vergisst, was du tatsächlich getan hast, und mir die Schuld dafür gibst, weil du das Stereotyp des faulen, vergesslichen Teenagers vertrittst?“

Jessie starrte sie an und war verblüfft über Hannahs Kühnheit. Es war ein verblüffender Zug, ohne erkennbaren Grund über etwas so Offensichtliches zu lügen.

„Du weißt, dass ich mit dem Verfolgen von Serienmördern meinen Lebensunterhalt verdiene, oder?", erinnerte sie sie. „Ich bin nicht gerade empfänglich für Manipulation."

Hannah nahm den letzten Bissen ihres Toasts und stand auf, ihr sandig-blondes Haar fiel ihr ins Gesicht, als sie sich bis zu ihrer vollen, schlaksigen Größe von 1,75 Metern, und damit nur einen Zentimeter kleiner als Jessie, erstreckte.

„Müssen wir nicht zu dieser Therapeutin?" fragte sie und ignorierte Jessies Kommentar völlig. „Ich dachte, der Termin wäre um neun. Es ist jetzt acht Uhr zweiunddreißig."

Sie ging zurück in ihr Schlafzimmer, um sich fertig anzuziehen, ließ ihren Teller und ihre leere Tasse auf dem Tisch stehen. Jessie kämpfte gegen den Drang an, ihr nachzurufen und ihr zu sagen, sie solle die Sachen in den Geschirrspüler räumen.

Sie erinnerte sich an die persönlichen Einschränkungen, die sie festgelegt hatte, als Hannah vor zwei Monaten bei ihr eingezogen war. Sie war nicht und würde auch nicht versuchen, die Mutter des Mädchens zu sein. Ihre Aufgabe bestand darin, der Halbschwester, die sich nach einer Reihe traumatisierender Vorfälle nicht wieder gefangen hatte, eine sichere Umgebung zu bieten. Ihre Aufgabe war es, Hannah zu helfen, sich zu erholen und sich wieder in eine Welt zu integrieren, die um sie herum voller Gefahren zu sein schien. Ihre Aufgabe war es, eine Quelle der Unterstützung und Sicherheit zu sein. Instinktiv und intellektuell gesehen wusste Jessie das alles, und doch konnte sie nicht umhin, sich zu fragen, warum zum Teufel das Kind nicht einen verdammten Teller wegräumen konnte.

Als sie aufräumte, sagte sie sich zum tausendsten Mal, dass das alles normal sei, dass Hannah sich so verhielt, als wolle sie die Kontrolle über ihr eigenes Leben übernehmen, was ihr in letzter Zeit schmerzlich gefehlt hatte, dass es nichts Persönliches sei und dass es nicht ewig dauern würde.

All diese Dinge sagte sie sich selbst. Aber tief in ihrem Inneren war sie sich nicht sicher, ob sie irgendetwas davon glaubte. Ein Teil von ihr machte sich Sorgen, dass etwas Dunkleres in Hannah vorging. Und sie fürchtete, es könnte unwiderruflich sein.




KAPITEL ZWEI


Jessie wurde unruhig.

Sie wusste, dass Hannahs Sitzung mit Dr. Lemmon jede Sekunde zu Ende sein würde. Würde das Mädchen weinend aus dem Büro kommen, wie sie es beim letzten Besuch getan hatte? Oder mit steinerner Miene, wie beim vorletzten Mal?

Wenn jemand zu Hannah durchdringen konnte, dann Dr. Janice Lemmon. Trotz ihres bescheidenen Aussehens war mit der Frau nicht zu spaßen. Sie war klein, trug eine blonde Dauerwelle und eine dicke Brille. Die gut sechzigjährige Verhaltenstherapeutin sah eher aus wie eine Großmutter als eine der angesehensten Expertinnen für anormales Verhalten an der Westküste. Aber unter dieser gewöhnlichen Fassade steckte eine Frau, die so hoch angesehen war, dass sie noch immer gelegentlich für das LAPD, das FBI und andere Organisationen, von denen sie nie sprach, beratend tätig war. Außerdem war sie Jessies Therapeutin.

Zuerst war Jessie besorgt, dass es in einem Interessenkonflikt ausarten könnte, wenn sie auch Hannah therapieren würde. Aber nach einigen Diskussionen waren sie sich einig, dass es nur wenige Ärzte gab, die qualifiziert waren, ein Mädchen zu behandeln, das Hannahs Erfahrungen durchlebt hatte. Und da Dr. Lemmon bereits mit Teilen von Hannahs Familiengeschichte eng vertraut war, war sie eine logische Wahl.

Schließlich war es Dr. Lemmon, die Jessie geholfen hatte, mit der Realität umzugehen, dass ihr Vater der berüchtigte Serienmörder Xander Thurman war. Es war Dr. Lemmon, die ihr die Albträume und Ängste, die sie erlitten hatte, da sie als Sechsjährige zusehen musste, wie ihr Vater ihre Mutter tötete, genommen hatte. Es war Dr. Lemmon, die sie dazu gebracht hatte, sich zu öffnen und darüber zu sprechen, dass sie von ihm in einer verschneiten Hütte zurückgelassen worden war und drei Tage lang neben der verrottenden Leiche der Frau, die sie Mami genannt hatte, ausharren musste. Es war Dr. Lemmon, die ihr das Vertrauen gegeben hatte, dass sie ihrem Vater die Stirn bieten könnte, als dieser dreiundzwanzig Jahre später wieder in ihr Leben trat und sie entweder in eine Mörderin verwandeln wollte, die sich ihm anschließen würde, oder sie töten würde.

Sie war die einzige glaubwürdige Wahl für die Arbeit mit ihrer Halbschwester, die den selben Vater und ebenso brutale Alpträume hatte. Erst vor wenigen Monaten hatte Thurman Hannah und ihre Adoptiveltern entführt und das Mädchen dazu gezwungen, dabei zuzusehen, wie er sie abschlachtete. Er hatte auch fast Jessie vor ihren Augen getötet. Nur ihr kollektives schnelles Handeln und ihre Entschlossenheit hatten den Spieß umgedreht und ihn tot zurückgelassen.

Aber selbst danach nahm Hannahs Trauma kein Ende. Nur Monate nach dem Tod ihrer Adoptiveltern hatte ein ganz anderer Serienmörder namens Bolton Crutchfield, ein auf Jessie fixierter Gefolgsmann ihres Vaters, ihre Pflegeeltern vor ihren Augen getötet und sie entführt. Er hatte sie eine Woche lang in einem isolierten Keller gefangen gehalten und hatte versucht, sie zu indoktrinieren, sie zu einem Mörder, wie Thurman und sich selbst, zu formen.

Auch diesen Horror hatte sie überlebt und war von Jessie und einem cleveren Zusammenspiel gerettet worden. Bolton Crutchfield war niedergeschossen worden. Und obwohl er keine physische Bedrohung mehr darstellte, war Jessie nicht so zuversichtlich, dass er sich nicht in Hannahs Kopf eingeschlichen und sie mit seinem kranken, von Nihilismus und Blut bestimmten Glauben, korrumpiert hatte.

Jessie stand auf, zum Teil, um sich zu strecken, aber auch, weil sie spürte, wie sie im mentalen Treibsand versank. Sie betrachtete sich im Spiegel des Wartezimmers. Sie musste zugeben, dass sie, obwohl sie die letzten zwei Monate unerwartet als Betreuerin eines verstörten Teenagers eingesprungen war, immer noch präsentabel war.

Ihre grünen Augen waren hell und klar. Ihr schulterlanges braunes Haar war sauber und glänzte. Sie trug es offen. Auf Arbeit hatte sie es immer zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden. Eine lange Zeit, in der sie sich nicht fürchtete, von einem Serienmörder gejagt zu werden, hatte es ihr erlaubt, eine halbwegs normale Trainingsroutine wieder aufzunehmen, was ihrem 1,77 Meter großen Körper eine Stärke und Festigkeit verliehen hatte, die er für eine Weile verloren hatte.

Am beeindruckendsten war jedoch, dass es in keinem ihrer jüngsten Fälle zu Schießereien, Messerangriffen oder anderen annähernden Verletzungen gekommen war. Infolgedessen hatte sie keine neuen Narben zu ihrer massiven Sammlung hinzu bekommen, die eine Einstichwunde im Unterleib, diverse Schnitte entlang beider Arme und Beine und eine lange, rosafarbene, mondförmige Narbe umfasste, die fünf Zentimeter horizontal entlang ihres Schlüsselbeins von der Basis ihres Halses bis zu ihrer rechten Schulter verlief.

Sie berührte diese unbewusst und fragte sich, ob die Zeit nahte, in der sie jemand zusammen mit allen anderen sehen würde. Sie spürte, dass sie und Ryan sich dem Punkt näherten, an dem sie in der Lage sein würden, die körperlichen Unvollkommenheiten des anderen aus nächster Nähe zu begutachten.

Kommissar Ryan Hernandez war nicht nur ein Kollege, mit dem sie regelmäßig Fälle bearbeitete, sondern auch ihr Freund. Es fühlte sich seltsam an, diesen Begriff zu verwenden, aber es gab keinen Weg daran vorbei. Sie waren schon fast so lange, wie Hannah bei ihr lebte, halbwegs regelmäßig ausgegangen. Und obwohl sie diesen letzten physischen Schritt noch nicht getan hatten, wussten beide, dass es unmittelbar bevor stand. Die Vorfreude und Unbeholfenheit sorgten für ein interessantes Arbeitsumfeld.

Jessie wurde durch die sich öffnende Tür aus ihren Gedanken gerüttelt. Hannah trat heraus und sah weder verärgert noch verschlossen aus. Sie sah merkwürdig aus… normal, was nach allem, was sie durchgemacht hatte, an und für sich schon merkwürdig erschien.

Dr. Lemmon folgte ihr.

„Hannah", sagte sie. „Ich möchte kurz mit Jessie sprechen. Würdest du bitte kurz hier warten?"

„Natürlich", antwortete Hannah im Sitzen. „Kommt einfach raus, wenn ihr euch entschieden habt, wie verrückt ich bin. Ich werde den Staat nur auf Ihre massiven HIPAA-Verstöße aufmerksam machen."

„Klingt gut", sagte Dr. Lemmon warmherzig, ohne sich ködern zu lassen. „Kommen Sie rein, Jessie."

Jessie setzte sich auf denselben Sessel, auf dem sie in ihren eigenen Sitzungen saß, und Dr. Lemmon setzte sich auf den Stuhl gegenüber von ihr.

„Ich möchte mich kurz fassen", sagte Dr. Lemmon. „Trotz ihres Sarkasmus glaube ich nicht, dass es Hannah hilft, wenn sie sich Gedanken darüber macht, dass ich Einzelheiten ihrer Aussagen mit Ihnen teilen könnte, obwohl ich ihr versichert habe, dass ich das nicht tun würde.“

„Würde oder könnte?“, fragte Jessie.

„Sie ist noch keine achtzehn Jahre alt, so dass Sie als ihr Vormund technisch gesehen darauf bestehen könnten. Aber ich denke, das würde das Vertrauen untergraben, das ich versuche, bei ihr aufzubauen. Es hat eine Weile gedauert, bis sie sich wirklich geöffnet hat. Das möchte ich nicht aufs Spiel setzen."

„Verstanden", sagte Jessie. „Warum bin ich dann überhaupt hier drin?"

„Weil ich mir Sorgen mache. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, möchte ich nur sagen, dass Hannah, abgesehen von einer Sitzung, in der sie bei alledem, was sie durchgemacht hat, ein wenig Emotionen zeigte, weitgehend… gelassen wirkt. Im Nachhinein, nachdem ich sie kennen gelernt habe, vermute ich, dass eine einzige Gefühlsäußerung zu meinem Vorteil gewesen sein könnte. Hannah scheint sich von den Ereignissen, die sich ereignet haben, distanziert zu haben, als wäre sie eher Beobachterin als Teilnehmerin.“

„Das scheint nicht überraschend", sagte Jessie. „Tatsächlich fühlt es sich für mich unangenehm vertraut an."

„Das sollte es auch", stimmte Dr. Lemmon zu. „Sie haben selbst eine solche Zeit durchgemacht. Es ist eine übliche Vorgehensweise des Gehirns, ein persönliches Trauma zu verarbeiten. Es ist nicht ungewöhnlich, sich von traumatischen Ereignissen abzugrenzen oder sich von ihnen zu trennen. Was mich beunruhigt, ist, dass Hannah das anscheinend nicht tut, um sich vor dem Schmerz dessen, was ihr zugestoßen ist, zu schützen. Sie scheint den Schmerz einfach aus ihrem System gelöscht zu haben, fast wie eine Festplatte, die gelöscht wurde. Es ist, als ob sie das, was sie durchgemacht hat, nicht als Leiden ansieht, sondern einfach als Dinge, die geschehen sind. Sie hat sich selbst narkotisiert, indem sie sie nicht mehr als Dinge betrachtet, die irgendetwas mit ihr oder ihrer Familie zu tun haben".

„Und ich vermute, das ist nicht gerade gesund?“, grübelte Jessie und bewegte sich nervös in ihrem Sessel.

„Ich bin ungern bereit, ein Urteil darüber abzugeben", sagte Dr. Lemmon in ihrer gewohnt ruhigen Art. „Es scheint für sie zu funktionieren. Meine Sorge ist eher, wohin es führen könnte. Menschen, die nicht in der Lage sind, ihren eigenen emotionalen Schmerz zuzugeben, eskalieren gelegentlich bis zu einem Punkt, an dem sie den Schmerz eines anderen nicht mehr erkennen können, weder den emotionalen noch den körperlichen. Ihre Fähigkeit, Empathie zu empfinden, löst sich auf. Das kann oft zu sozial inakzeptablem Verhalten führen".

„Was Sie beschreiben, klingt nach Soziopathie", betonte Jessie.

„Ja", stimmte Dr. Lemmon zu. „Soziopathen weisen einige dieser Merkmale auf. Ich würde Hannah basierend auf unserer begrenzten gemeinsamen Zeit nicht formell als Soziopathin diagnostizieren. Vieles davon könnte einfach einer tief sitzenden Posttraumatischen Belastungsstörung zugeschrieben werden. Haben Sie dennoch ein Verhalten bemerkt, das mit dem, was ich beschrieben habe, in Einklang stehen könnte?“

Jessie dachte über die letzten Monate nach, angefangen mit der unerklärlichen, sinnlosen Lüge über den Fernseher heute Morgen. Sie erinnerte sich daran, wie Hannah sich beschwert hatte, als Jessie darauf bestand, ein krankes streunendes Kätzchen, das sie unter einem Müllcontainer in einer Gasse versteckt gefunden hatten, zu einem Tierarzt zu bringen. Sie erinnerte sich daran, wie das Mädchen stundenlang verstummte, egal, was Jessie auch versuchte. Sie dachte an die Zeit, in der sie Hannah ins Fitnessstudio mitnahm und wie ihre Halbschwester begonnen hatte, ohne Handschuhe auf den schweren Sack einzuschlagen, bis ihre Hände rau und blutig waren.

All diese Verhaltensweisen schienen auf Dr. Lemmons Beschreibung zu passen. Aber sie könnten alle genauso gut als eine junge Frau interpretiert werden, die ihren inneren Schmerz loszuwerden versuchte. Nichts davon bedeutete, dass sie eine angehende Soziopathin war. Sie wollte nicht in die Nähe dieses Stempels kommen, nicht einmal bei Dr. Lemmon.

„Nein", log sie.

Die Therapeutin sah sie nicht überzeugt an. Aber sie drängte nicht, sondern ging zu einem anderen Thema über.

„Was ist mit der Schule?", fragte sie.

„Sie geht seit letzter Woche wieder zur Schule. Ich habe sie in der therapeutischen High School angemeldet, die Sie empfohlen haben."

„Ja, wir haben es kurz besprochen", räumte Dr. Lemmon ein. „Sie klang nicht wirklich überzeugt. Ist das auch Ihr Gefühl?"

„Ich glaube, sie hat es so formuliert: 'Wie lange muss ich noch mit diesen Drogenabhängigen und baldigen Selbstmördern herumhängen, bevor ich wieder in eine richtige Schule gehen kann?’“

Lemmon nickte und war offensichtlich nicht überrascht.

„Ich verstehe", sagte sie. „Sie war etwas weniger offen zu mir. Ich verstehe ihre Frustration. Aber ich denke, wir müssen sie mindestens einen Monat lang in einer sicheren, streng überwachten Umgebung lassen, bevor wir in Erwägung ziehen, sie wieder in eine traditionelle High School zu überführen.“

„Ich verstehe das. Aber ich weiß, dass sie frustriert ist. Sie sollte dieses Jahr ihren Abschluss machen. Aber sie hat so viel verpasst, selbst an einer traditionellen High School müsste sie noch zusätzlich zur Sommerschule gehen. Sie freut sich nicht wirklich darauf, ihren Abschluss mit den – wie nannte sie sie noch so schön – ‚Schwachköpfen’ zu machen.“

„Ein Schritt nach dem anderen", sagte Dr. Lemmon unerschrocken. „Nun, gut. Wie geht es Ihnen?"

Jessie lachte innerlich. Wo sollte sie anfangen? Bevor sie etwas sagen konnte, fuhr Dr. Lemmon fort.

„Wir haben gerade natürlich keine Zeit für eine vollständige Sitzung. Aber wie kommen Sie mit allem zurecht? Sie sind plötzlich für eine Minderjährige verantwortlich, Sie haben eine neue Beziehung zu einem Kollegen, Ihr Job verlangt von Ihnen, sich in die Köpfe brutaler Mörder hineinzuversetzen, und Sie haben mit den emotionalen Folgen zu kämpfen, die das Ende des Lebens zweier Serienmörder, von denen einer Ihr Vater war, mit sich bringt. Das ist eine Menge."

Jessie zwang sich ein Lächeln ins Gesicht.

„Wenn man es so ausdrückt, klingt es nach einer Menge."

Dr. Lemmon lächelte nicht zurück.

„Ich meine es ernst, Jessie. Sie müssen sich Ihrer eigenen psychischen Gesundheit bewusst bleiben. Dies ist nicht nur eine gefährliche Zeit für Hannah. Das Risiko, dass Sie rückfällig werden, ist ebenfalls beträchtlich. Seien Sie da nicht so hochmütig."

Jessies Lächeln verblasste.

„Ich bin mir der Risiken bewusst, Doc. Und ich tue mein Bestes, um auf mich selbst aufzupassen. Aber es ist nicht so, dass ich einfach einen Wellness-Tag einlegen kann. Die Welt kommt immer wieder auf mich zu. Und wenn ich aufhöre, mich zu bewegen, werde ich überrannt."

„Ich bin mir nicht sicher, ob das tatsächlich zutrifft, Jessie", sagte Dr. Lemmon leise. „Manchmal, wenn man aufhört, sich zu bewegen, dreht sich die Welt wieder im Kreis und man kann wieder aufspringen. Sie sind eine Person von Wert, aber seien Sie nicht arrogant. Sie sind in dieser Welt nicht so unentbehrlich, dass Sie nicht hin und wieder auf Pause drücken können.“

Jessie nickte sarkastisch.

„Notiert", sagte sie, wobei sie vorgab, Notizen zu machen. „Nicht arrogant sein. Nicht unentbehrlich."

Dr. Lemmon spitzte die Lippen und wirkte verärgert. Jessie versuchte, es zu ignorieren.

„Wie geht es Garland?", fragte sie neckisch.

„Wie bitte?“, fragte Dr. Lemmon.

„Sie wissen schon, Garland Moses, Profiler für das LAPD. Er hat mir geholfen, Hannah zu finden und zu retten. Ein älterer, ungepflegt aussehender Mann, dennoch charmant.“

„Ich kenne Herrn Moses, Jessie. Ich bin mir nur nicht sicher, warum Sie mich nach ihm fragen."

„Nur so", sagte Jessie und spürte, dass sie einen Nerv getroffen hatte. „Er erwähnte Sie erst vor einer Weile und etwas an seinem Tonfall erweckte in mir den Eindruck, dass Sie beide befreundet sind. Also habe ich mich gefragt, wie es ihm geht?"

„Ich denke, damit ist unsere Zeit heute zu Ende", sagte Dr. Lemmon schroff.

„Wow", sagte Jessie und lächelte nun wirklich. „Sie haben das wirklich schnell beendet, Doc."

Dr. Lemmon stand auf und forderte sie auf, den Raum zu verlassen. Jessie beschloss, sich zu entspannen. Als sie die Tür erreichten, wandte sie sich wieder der Therapeutin zu und stellte die Frage, die sie in den letzten Minuten beschäftigt hatte.

„Im Ernst, Doc, wenn Hannah einen Weg einschlägt, bei dem sie Schwierigkeiten hat, Mitgefühl für andere Menschen zu empfinden, gibt es dann eine Möglichkeit, das rückgängig zu machen?“

Dr. Lemmon hielt inne und schaute ihr direkt in die Augen.

„Jessie, ich habe fünfunddreißig Jahre meines Lebens damit verbracht, Fragen wie diese zu beantworten. Die beste Antwort, die ich Ihnen geben kann, ist: Ich hoffe es."




KAPITEL DREI


Lizzie Polacnyk kam sehr spät nach Hause.

Sie hatte erwartet, um 19 Uhr von ihrer Lerngruppe an der California State University-Northridge zurück zu sein. Aber sie hatten morgen eine große Prüfung in Psychologie 101, und alle fragten sich unerbittlich gegenseitig aus. Als sie Schluss machten, war es nach 21 Uhr.

Als sie die Wohnungstür öffnete, war es fast 21:45 Uhr. Sie versuchte, sich ruhig zu verhalten und erinnerte sich daran, dass Michaela sowohl heute Morgen als auch morgen um 6 Uhr arbeiten musste und jetzt wahrscheinlich schon fest schlief.

Sie schlich auf Zehenspitzen den Flur hinunter in ihr Schlafzimmer und war überrascht, als sie ein gedämpftes Licht unter Michaelas Tür durchsickern sah. Es sah ihr nicht ähnlich, lange aufzubleiben, wenn sie um 5 Uhr morgens aufstehen musste. Sie fragte sich, ob ihre langjährige Freundin und seit neuestem Mitbewohnerin einfach so müde gewesen war, dass sie bei eingeschaltetem Licht eingeschlafen war. Sie beschloss, hineinzuschauen und es notfalls auszuschalten.

Als sie die Tür leicht öffnete, sah sie Michaela auf dem Rücken liegen, ohne zugedeckt zu sein. Ihr Kissen verdeckte ihr Gesicht teilweise. Sie hatte nur die Leselampe an, so dass es schwer war, sicher zu sein, aber es sah so aus, als hätte sie sogar noch immer ihre Cheerleader-Uniform an.

Lizzie wollte gerade die Tür schließen, als sie etwas Seltsames bemerkte. Der Rock war nach oben gerutscht, so dass ihr Schritt entblößt war. Das schien unangebracht, egal wie erschöpft sie war.

Lizzie überlegte, ob sie ein Laken über ihre Freundin werfen sollte. Wenn man bedachte, womit Michaela ihren Lebensunterhalt verdiente, schien es wie erzwungene Bescheidenheit. Außerdem war es nicht so, dass jemand hereinplatzen würde. Dennoch fühlte Lizzie, dass ihre katholische Erziehung in der Schule anfing zu wirken, und sie wusste, dass es die ganze Nacht an ihr nagen würde, wenn sie nichts tun würde.

Also drückte sie sanft die Tür auf, trat ein und ging leise zur Seite des Bettes hinüber. Sie hatte die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sie plötzlich erstarrte. Jetzt, wo sie freie Sicht hatte, sah sie die klaffenden Löcher in Michaelas Brust und Bauch.

Eine große Blutlache war aus der zerschnittenen Uniform ausgetreten und umgab ihren gesamten Oberkörper. Sie sickerte langsam in die Bettlaken. Michaelas Augen waren fest zusammengepresst, als ob ihre geschlossenen Augen sie vor dem Geschehen hätten schützen können.

Lizzie stand mehrere Sekunden lang da und wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Sie hatte das Gefühl, schreien zu müssen, aber ihre Kehle war plötzlich trocken geworden. Ihr Magen gurgelte und sie befürchtete kurz, dass sie sich übergeben müsste.

Sie fühlte sich wie in einem seltsamen Traum und drehte sich um, verließ das Schlafzimmer und ging zurück in die Küche, wo sie sich ein Glas Wasser eingoss. Als sie zuversichtlich war, dass sie sprechen könnte, wählte sie den Notruf.


*

Das Date lief gut.

Im Hinterkopf begann sich Jessie zu fragen, ob heute Nacht vielleicht die Nacht sein könnte. Sie zögerte fast, es sich zu wünschen. Ihre Beziehung zu Ryan war im Augenblick das Stabilste in ihrem Leben, und sie wollte es nicht verkomplizieren.

Sie hatten den größten Teil des Abends in dem charmanten, italienischen Restaurant verbracht und sich darüber beschwert, wie die Dinge mit Hannah liefen. Sie erzählte ihm von den Eckdaten ihres Gesprächs mit Dr. Lemmon und beklagte sich über die mangelnden Fortschritte, die sie bei der Anpassung ihrer Halbschwester an ihre neue Normalität gemacht hatten. Erst als Ryan sich entschuldigte, um auf die Toilette zu gehen, und sie sich im Restaurant umsah, wurde Jessie klar, wie egozentrisch sie gewesen war.

Das Restaurant, ein legendärer, wenn auch kitschiger Treffpunkt im San Fernando Valley namens Miceli's, war wenig beleuchtet und romantisch. Die Stimmung wurde noch dadurch verstärkt, dass Ryan irgendwie den einen Tisch im zweiten Stock reserviert hatte, und zwar auf einem überdachten Balkon, von dem aus man den Rest des Restaurants überblicken konnte. Aber bis jetzt hatte sie das nicht bemerkt.

Bis zu dem Moment, als er auf die Toilette verschwand, hatte sie auch kaum registriert, dass er die ganze Nacht kaum gesprochen hatte. Stattdessen saß er geduldig da, während sie über ihre häuslichen Probleme plapperte, und ließ ihn kaum zu Wort kommen. Tatsächlich erinnerte sie sich jetzt, da sie darüber nachdachte, nicht daran, ihm auch nur eine einzige Frage gestellt zu haben.

Als die Schuld über sie hereinbrach, sah sie, wie er die Toilette im Stockwerk darunter verließ und sich geschickt seinen Weg durch das Labyrinth von Tischen zur Treppe bahnte. Als er das tat, bemerkte sie etwas anderes – fast jede Frau, die die Gelegenheit dazu hatte, warf ihm einen Blick zu. Wer konnte es ihnen verdenken?

Es war schwer, den Mann zu ignorieren. 1,80 Meter groß und 100 Kilo schwer, wie Marmor aussehend, mit unscheinbaren, kurzen schwarzen Haaren und einladenden braunen Augen, ging er mit der ruhigen Zuversicht eines Mannes, der niemanden zu beeindrucken brauchte.

Und wenn diese Frauen wüssten, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente, wären sie noch faszinierter. Als leitender Kriminalkommissar einer Sondereinheit des LAPD, die als Sonderabteilung der Mordkommission – HSS – bezeichnet wird, hatten alle Opfer seiner Fälle einen hohen Bekanntheitsgrad oder waren von hohem medialem Interesse.

Und er war mit ihr hier. Es hatte eine Weile gedauert, bis dieser Punkt erreicht war. Er befand sich nach sechs Jahren Ehe im Endstadium seiner Scheidung. Jessie war schon etwas länger single gewesen. Ihre Ehe war dramatischer zu Ende gegangen, als ihr jetziger Ex-Mann versucht hatte, ihr den Mord an seiner Geliebten anzuhängen. Als sie seinen Plan aufgedeckt hatte, versuchte er, sie zu töten. Er war gegenwärtig in einem Gefängnis in Orange County inhaftiert.

Ryan setzte sich ihr gegenüber und sie griff nach seiner Hand.

„Es tut mir Leid", sagte sie. „Ich habe das Gespräch völlig dominiert. Wie geht es dir?"

„Mir geht es gut", sagte er. „Die Geschichte mit dem Drogenboss kam heute zum Abschluss."

„Du hast mich gar nicht um Hilfe gebeten", bemerkte sie und gab vor, verletzt zu sein.

„Die Sache war ziemlich eindeutig. Wir brauchten dafür nicht wirklich die Dienste eines ausgefallenen Profilers."

„Wen interessiert das?“, protestierte Jessie. „Ruf mich trotzdem rein. Dann können wir wenigstens ein wenig Zeit miteinander verbringen, auch wenn ich vielleicht irgendwann abspringen muss."

„Wie romantisch", sagte er. „Es gibt nichts Schöneres, als neben einer Leiche rumzuknutschen.“

„Wir tun, was wir tun müssen", sagte sie achselzuckend. „Außerdem wurde mir für meinen letzten Fall Trembley zugewiesen, der – nichts für ungut – nicht gerade mein Traumpartner ist.“

„Hey“, protestierte Ryan zum Schein. „Kommissar Alan Trembley ist ein solider Profi, und es sollte dir eine Ehre sein, mit ihm an jedem Fall zu arbeiten, der dir zugewiesen wird."

„Er ist ziemlich langweilig."

„Das nehme ich dir übel", sagte er und versuchte, finster dreinzuschauen. „Außerdem kann ich deinen Geburtstag planen, wenn du nicht bei mir bist."

„Du planst etwas für mich?“, fragte Jessie wirklich überrascht. „Ich wusste nicht einmal, dass du weißt, wann ich Geburtstag habe.“

„Ich bin Kommissar, Jessie. Das gehört irgendwie zu meinem Job. Ich würde es nicht einmal erwähnen, aber ich möchte, dass du dafür sorgst, dass du Donnerstagabend nichts vor hast. Ok?"

„Ok", stimmte sie zu und errötete leicht.

Er lächelte zurück, und sie fühlte, wie ein Hauch von Wärme über sie kam. Normalerweise hätte es sie verängstigt, zu wissen, dass jemand etwas für ihren Geburtstag organisierte. Aber irgendwie war sie sogar etwas aufgeregt, weil sie wusste, dass dieser Jemand Ryan war.

Sie fragte sich, ob er heute Abend vielleicht ein frühes Geschenk intimer Natur für sie geplant hatte. Sie war gerade dabei, die Idee anzudeuten, als sein Telefon klingelte. Sie erkannte den Klingelton nicht. Wer auch immer es war, ließ Ryan die Stirn runzeln. Er murmelte Entschuldigung, als er abhob.

„Kommissar Hernandez", sagte er.

Jessie sah zu, wie Ryan der Stimme am anderen Ende der Leitung zuhörte. Das Stirnrunzeln in seinem Gesicht wurde mit jedem Augenblick ausgeprägter. Nachdem er etwa dreißig Sekunden lang schweigend gewartet hatte, antwortete er schließlich.

„Aber die Valley Division ist schon da. Wird es nicht zu spät sein?"

Er wartete ruhig, als die andere Person antwortete. Nach weiteren zwanzig Sekunden sprach er erneut.

„Ich verstehe. Ich bin dabei."

Dann legte er auf. Er starrte einen Moment auf das Telefon, als ob es direkt mit ihm sprechen könnte. Als er aufblickte, waren seine Augen stählern.

„Ich tue das nur ungern, aber wir müssen das Dessert auslassen. Ich muss mir einen Tatort ansehen, und wenn wir jetzt nicht gehen, könnte es zu spät sein."

Selten hatte Jessie Ryan so unruhig gesehen. Er winkte der Kellnerin zu, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, und überreichte ihr einen Haufen Scheine aus seiner Brieftasche, als sie herüber eilte.

„Zu spät?“, fragte Jessie. „Was bedeutet das?"

Ryan stand auf und deutete an, dass sie das Gleiche tun sollte. Er war bereits auf dem Weg zur Treppe, als er antwortete.

„Ich werde es dir auf dem Weg erklären."




KAPITEL VIER


Jessie zwang sich zu Warten.

Worum es auch ging, Ryan war nervös, und sie wollte es nicht noch schlimmer machen. Sie saß ruhig auf dem Beifahrersitz und wartete darauf, von ihm informiert zu werden. Sie wollte ihn nicht drängen.

„Bist du sicher, dass du mitkommen möchtest?“, fragte er erneut.

„Ja", versicherte sie ihm. „Ich habe Hannah eine SMS geschickt, dass ein Fall reingekommen ist und dass sie mich nicht vor dem Schlafengehen zurückerwarten sollte. Es ist alles in Ordnung."

„Du hättest dir vom Restaurant aus ein Uber bestellen können", erinnerte er sie daran.

„Ich wollte mitkommen, Ryan", beharrte sie und biss sich trotz des Wunsches, zusätzliche Fragen zu stellen, erneut auf die Zunge.

Er fuhr auf dem Ventura Boulevard weiter nach Westen, tiefer in das Tal hinein. Nach weiteren zehn Sekunden des Schweigens begann er schließlich zu sprechen.

„Also, pass auf. Es gibt da jemanden, der mich gelegentlich auf Fälle aufmerksam macht, die mir bekannt sein sollten.“

„Könntest du noch kryptischer sein?“, fragte Jessie, unfähig, sich zu beherrschen.

„Eigentlich kann ich nicht viel mehr als das sagen", sagte er und ignorierte ihr Drängen. „Vor etwa vier Jahren erhielt ich einen Anruf von einem Wegwerfhandy. Die Stimme war verzerrt. Der Anrufer deutete an, dass der Hauptverdächtige für den Mord an einem wohlhabenden Geschäftsmann im Auftrag gehandelt hatte und dass ich die politischen Beweggründe für den Mord untersuchen sollte.“

„Dieser Anruf kam einfach so aus heiterem Himmel?", fragte sie.

„Ja. Ich war noch in der Ausbildung und hatte nicht viel zu verlieren, also ging ich der Sache nach. Der Fall stand kurz vor dem Abschluss. Aber ich fing an, Fragen zu stellen, und ziemlich schnell löste sich die ganze Sache auf. Es stellte sich heraus, dass der Geschäftsmann ein wichtiger Unterstützer und Spendensammler für einen örtlichen Stadtrat war. Als er starb, versiegte die Finanzierung des Stadtrates. Sein Herausforderer konnte ihn finanziell überwältigen und gewann den Sitz. Am Ende stellten wir fest, dass der Herausforderer des Sitzes jemanden angeheuert hatte, um den Geschäftsmann genau aus diesem Grund auszuschalten, um die Hauptquelle der finanziellen Unterstützung des Amtsinhabers in die Knie zu zwingen. Er ließ den ursprünglichen Verdächtigen auch einsperren, damit es wie ein zufälliger Raubüberfall aussah, der schiefgegangen war.“

„Woher wusste die Person das alles?"

„Ich habe keine Ahnung. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die Quelle das Ausmaß der Sache kannte. Ich hatte das Gefühl, dass die Person, die ich Chatty Cathy nannte, wusste, dass etwas im Busch war, auch wenn die Details nicht eindeutig waren.“

„Ist die Quelle eine Frau?"

„Ich weiß es nicht", gab Ryan zu. „Aber um ihr einen Namen zu geben, sagen wir ja. Jedenfalls erhielt ich danach weitere Anrufe. Nicht oft, vielleicht zweimal pro Jahr. Jedes Mal war die Stimme verzerrt. Und es handelte sich fast immer um Fälle, die so gut wie abgeschlossen waren, aber nach weiteren Untersuchungen sich als komplizierter herausstellten.“

„Also ist Chatty Cathy eine Art Wächterin gegen Ungerechtigkeit?"

„Vielleicht", sagte Ryan und klang dabei nicht gerade zuversichtlich. „Oder es könnte auch etwas anderes sein. Mir ist aufgefallen, dass in den meisten dieser Fälle die wahre Geschichte chaotisch ist und Menschen in Machtpositionen schlecht dastehen. Ich glaube, dass unsere Vorgesetzten oft lieber die einfache Antwort wählen, als sich in den Dreck der Aufdeckung von Verbrechen zu stürzen, die Leute mit Einfluss betreffen könnten. Indem sie mich anruft, kann Chatty Cathy bei fragwürdigen Fällen Alarm schlagen, ohne sich schmutzig zu machen oder ihre Karriere zu gefährden. Das Ziel mag nobel sein, aber ich glaube, es geht auch um Eigeninteresse.“

„Und warum hat sie dich nun in einem aktuellen Fall kontaktiert?"

„Ich weiß es nicht", sagte Ryan, als er vom Ventura Boulevard rechts in die Coldwater Canyon Avenue abbog. „Sie sagt mir nie, warum ein Fall unklar ist, nur dass er es ist. Ich weiß nur, dass in der Bessemer Street in Van Nuys eine Frau ermordet wurde. Ihr wurde mehrmals in den Oberkörper gestochen. Die vorläufige Theorie lautet, dass es sich um einen schiefgelaufenen Raubüberfall handelt; dass der Einbrecher nicht glaubte, dass jemand zu Hause war, und die Bewohnerin angriff, als er sie entdeckte".

„Haben sie einen Verdächtigen?"

„Noch nicht", sagte Ryan. „Aber laut Chatty Cathy bewegen sich die Dinge schnell. Der Notruf kam erst vor etwa einer halben Stunde, und der Gerichtsmediziner ist bereits vor Ort und bereitet den Abtransport der Leiche vor.“

„Sind die Kommissare damit einverstanden?“. fragte Jessie ungläubig.

„Soweit ich weiß, sind sie noch nicht einmal dort. Der ranghöchste uniformierte Offizier gab den Befehl."

„Was?“, sagte Jessie verblüfft. „Das wird den Tatort gefährden. Können wir das verhindern?"

„Deshalb habe ich gesagt, dass wir sofort aufbrechen müssen", antwortete Ryan. „Chatty Cathy sagte, der Gerichtsmediziner versuche, den Prozess zu verlangsamen, aber wir hätten noch etwa zehn Minuten, bevor sie keine andere Wahl hätten, als die Leiche abzutransportieren.“

„Wie weit sind wir entfernt?“, fragte Jessie.

„Nicht weit", sagte Ryan, als er in eine Wohnstraße einbog, die mit blinkenden Lichtern überflutet war. „Es ist das Gebäude auf halber Höhe des Blocks."

Sie parkten ein paar Türen weiter und stiegen aus. Auf ihrem Weg konnte Jessie nicht umhin zu bemerken, dass trotz der Lichter nicht so viele Fahrzeuge vor Ort waren, wie sie erwartet hatte. Da waren der Wagen des Gerichtsmediziners, ein Krankenwagen und zwei Streifenwagen. Normalerweise waren an einem Tatort mindestens doppelt so viele Streifenwagen.

Als sie sich dem Gebäude näherten, warf ihnen der einsame uniformierte Beamte draußen einen misstrauischen Blick zu. Ryan zeigte ihm seine Dienstmarke.

„Was ist los, Offizier?", fragte er.

Angesichts des Zeitdrucks war Jessie überrascht, dass Ryan überhaupt anhielt. Der junge afroamerikanische Offizier, der nicht älter als fünfundzwanzig Jahre alt gewesen sein konnte, hatte einen nervösen Gesichtsausdruck. Sein Namensschild verriet seinen Namen: Burnside.

„Sir", antwortete er leicht nervös, „wir haben eine weiße Frau, siebzehn, mehrfache Stichwunden in Brust und Bauch. Sie wurde von ihrer Mitbewohnerin in ihrem Bett gefunden."

„Sind die Kommissare des Valley Büros schon vor Ort?“, fragte Ryan.

„Nein, Sir."

„Wer hat dann das Sagen?"

„Das ist mein Chef, Sergeant Costabile von der Van Nuys Station", antwortete der Offizier, während er nach rechts zurückwies. „Er ist drinnen. Es ist die Wohnung mit der Nummer 116."

„Danke", sagte Ryan zügig und zog eine leichte Grimasse, als er mit Jessie an ihm vorbeiging.

„Kennst du Costabile?“, fragte Jessie, als sie sich beeilte, seinem Tempo zu folgen.

„Nur vom Hören", sagte Ryan. „Hank Costabile ist nicht nur altmodisch, er ist uralt. Und nach dem, was ich gehört habe, ist er ein Pitbull."

„Pitbulls sind eigentlich von Natur aus angenehm", sagte Jessie ein wenig entrüstet.

„Schon verstanden", sagte Ryan. „Aber du weißt, was ich meine. Er ist bekannt dafür, dass er… schwierig ist. Das könnte hässlich werden, also sei darauf vorbereitet."

„Was bedeutet das?“, forderte Jessie.

Doch bevor er antworten konnte, hatten sie die Tür erreicht. Ein stämmiger Offizier namens Lester stand direkt vor der abgesperrten Einheit. Er sah genauso misstrauisch wie der Polizist draußen aus, allerdings weniger nervös. Jessie bemerkte, dass Ryan diesem Mann seine Marke nicht zeigte.

„Dieser Bereich ist tabu", sagte Offizier Lester schroff. „Polizeiliche Angelegenheiten. Der Offizier draußen hätte es Ihnen sagen sollen."

„Achso?“, fragte Ryan in einem neugierigen Tonfall. „Was ist passiert? Sie können es mir sagen."

„Es steht mir nicht frei, das zu sagen", schnappte Lester. „Sind Sie ein Bewohner dieses Gebäudes, Sir? Denn wir können keine Zivilisten durch einen Tatort gehen lassen."

„Oh nein, das würden wir nicht wollen", stimmte Ryan zu. „Das wäre fast so schlimm, wie eine Leiche zu entfernen, bevor die beauftragten Kommissare eine Chance haben, den Tatort zu begehen. Habe ich Recht?"

Der Offizier verengte bei der Frage die Augen und war sich nun dessen bewusst, dass etwas Ungewöhnliches vor sich ging.

„Wer sind Sie, Sir?", fragte er, wobei seine Schroffheit nun von einem Hauch von Besorgnis durchsetzt war.

„Ich bin ganz sicher kein Kommissar des Valley Büros", sagte Ryan mit dröhnender Stimme.

„Sir…", begann der Offizier, sichtlich verwirrt.

„Ist schon gut, Lester", sagte ein glatzköpfiger Offizier, der hinter ihm auftauchte. „Weißt du nicht, wer das ist? Es ist der berühmte Kommissar Ryan Hernandez von der Central Station. Du kannst ihn reinlassen. Aber hol dir ein Autogramm von ihm, bevor er geht."

„Sergeant Costabile, nehme ich an?“, fragte Ryan mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Korrekt", sagte Costabile mit einem spöttischen Grinsen. „Welchem Umstand verdanken wir die Ehre Ihrer Anwesenheit, Kommissar? Zeigen Sie Ihrer langbeinigen, hübschen Freundin, wie die andere Hälfte hier im Valley lebt?"

„Meine 'langbeinige, hübsche Freundin' ist eigentlich die Kriminalprofilerin Jessie Hunt. Wissen Sie, sie ist diejenige, die Serienmörder fast so oft schnappt, wie Sie sich Geschlechtskrankheiten".

Es herrschte eine lange, unbehagliche Stille, in der Jessie dachte, Costabile könnte seine Waffe ziehen und Ryan erschießen. Das fiese Grinsen des Mannes verblasste. Sein Blick war finster. Nach einem Moment, der sich wie eine Ewigkeit anfühlte, lachte der Sergeant laut und gezwungenermaßen lauthals los.

„Das habe ich wohl verdient", sagte er und warf Jessie einen Blick zu, ohne auch nur ein bisschen gekränkt zu klingen. „Es war unhöflich von mir, so abweisend gegenüber Ihnen zu sein, Frau Hunt. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus. Ich freue mich, dass Sie uns heute Nacht beehren. Bitte sagen Sie mir, was führt Sie hierher?"

Jessie wollte verzweifelt mit einigen ihrer eigenen Antworten auf den Spott antworten, aber sie wollte nicht den Plan durcheinanderbringen, den Ryan offensichtlich im Sinn hatte. Also würgte sie ihre Verachtung hinunter.

„Ich fürchte, ich kann nicht wirklich mitteilsam sein", sagte sie entschuldigend. „Kommissar Hernandez wird es Ihnen sagen."

„Danke, Frau Hunt", sagte Ryan, der reibungslos den Staffelstab übernahm. „Wir waren zufällig in der Gegend, als wir von diesem Fall erfuhren. Es hörte sich an, als könnte es Teil eines Musters sein, das wir untersuchen, und wir dachten, wir könnten es aus erster Hand überprüfen.“

„Sie denken, dass dies mit einem Fall zusammenhängt, an dem Sie arbeiten?“, fragte Costabile ungläubig.

„Es ist möglich", sagte Ryan. „Wir müssten uns die Leiche anschauen, um entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. Natürlich wollen wir den bereits zugeordneten Kommissaren nicht auf die Füße treten. Wer ist das denn?"

Costabile starrte Ryan an und nahm seinen herausfordernden Tonfall zur Kenntnis. Es war klar, dass Ryan wusste, dass noch keine Kommissare am Tatort waren. Costabile schien darüber nachzudenken, ob er die gesprochene Frage ernsthaft beantworten oder ansprechen sollte, was genau hier vor sich ging.

„Kommissar Strode sollte jeden Augenblick hier sein", sagte er schließlich in einem beunruhigend höflichen Tonfall. „Aber wir waren gerade dabei, die Leiche abzutransportieren, damit sie beim Gerichtsmediziner untersucht werden kann. Alles sieht ziemlich eindeutig aus. Wir wollten die Ressourcen der Abteilung nicht unnötig verschwenden."

„Natürlich. Ich verstehe schon", antwortete Ryan und benutzte dabei die gleiche offizielle, aber unechte Höflichkeit wie Costabile. „Wie dem auch sei, vielleicht schauen wir uns das direkt hier an. Wir sprechen hier von einem Teenager-Mädchen, das in ihrem eigenen Bett erstochen wurde… wie oft wurde zugestochen?"

Costabiles Gesicht wurde rot, und es wirkte so, als koste es ihn enorme Anstrengung, die Fassung zu bewahren.

„Neun… dessen sind wir uns bewusst."

„Neun Mal?“, wiederholte Ryan. „Das scheint eine Menge zu sein. Erscheint Ihnen das nicht auch sehr viel, Frau Hunt?"

„Es scheint eine Menge zu sein", stimmte Jessie zu.

„Ja, eine Menge", fügte Ryan zur Betonung hinzu. „Vielleicht sollten wir also in diesem Fall genauer hinsehen, bevor wir das Mädchen in eine Plastiktüte werfen und sie über einen Haufen von mit Schlaglöchern übersäten Talstraßen fahren? Sie wissen schon, nur um gründlich zu sein.“

Er lächelte, als hätte er nur über das Wetter gesprochen. Costabile lächelte nicht zurück.

„Übernehmen Sie diese Untersuchung, Kommissar?", fragte der Sergeant rundheraus, ohne die Bemerkung mit den Schlaglöchern zu kommentieren.

„Nicht jetzt, Sergeant. Wie ich schon sagte, wir wollen nur sehen, ob der Mord in unser Muster passt. Sie verweigern uns doch nicht den Zugang zu der Leiche, oder?"

Diese Frage führte zu einem weiteren unbehaglichen Schweigen. Jessie beobachtete einen anderen Offizier namens Webb, der aus dem Inneren der Wohnung kam und eine Position direkt hinter Costabile einnahm. Seine rechte Hand ruhte unbehaglich nahe an seinem Pistolenhalfter. Sie blickte zurück und sah, dass Offizier Lester nun hinter das Polizeiband getreten war und hinter ihnen stand, wobei er die gleiche Haltung eingenommen hatte und seine Hand in der gleichen Position hielt.

Costabile blickte auf seine Schuhe hinab und verharrte mehrere Sekunden lang so. Ryan starrte auf den Kopf des Mannes, seine Augen blinzelten nicht. Jessie hatte Angst zu atmen. Schließlich blickte Costabile auf. Eine Ader auf seiner Stirn wölbte sich. Langsam öffnete er seine Augen, und sein Körper schien sich leicht zu entspannen.

„Kommen Sie herein", sagte er und machte einen übertriebenen Willkommensgruß mit der Hand.

Ryan trat vor und Jessie folgte ihm. Als sie in die Wohnung gingen, erinnerte sie sich daran, dass es in Ordnung war, wieder zu atmen.




KAPITEL FÜNF


Es war schwer, konzentriert zu bleiben.

Bei so viel Testosteron, das in der Wohnung herumschwirrte, war Jessie immer noch leicht besorgt, dass jeden Moment eine Schießerei ausbrechen könnte.

Sie versuchte, der brodelnden Feindseligkeit auszuweichen, als sie durch die Wohnung ging. Von nun an musste sie einen klaren Kopf bewahren. Der Gerichtsmediziner würde sich auf den Zustand der Leiche konzentrieren, und die Leute am Tatort würden nach Blutspritzern oder Fingerabdrücken suchen. Aber sie musste sich über alles im Klaren werden, was zur psychologischen Verfassung des Opfers beitrug. Selbst das kleinste Detail könnte zum Mörder führen.

Die Wohnung war ziemlich unscheinbar. Aus der Einrichtung ging ihr klar hervor, dass beide Bewohnerinnen weiblich waren, obwohl das Geschlecht der Mitbewohnerin des Opfers nicht erwähnt worden war. Eine von ihnen war eindeutig viel konservativer als die andere. Die Kunst an den Wänden war ein verwirrendes Amalgam aus Aquarellen und religiöser Ikonographie neben Gustav-Klimt-Drucken und Fotos von Mapplethorpe.

Als sie den Flur entlang ging, bekam Jessie das deutliche Gefühl, dass die extravagante Mitbewohnerin auch diejenige mit mehr Geld sein musste. Ihr Stil schien viel dominanter zu sein. Als sie an dem kleineren Schlafzimmer vorbeikamen, blickte sie hinein und sah ein Kreuz an der Wand über der Kommode.

Die, die sich das größere Zimmer leisten konnte, ist also tot.

Tatsächlich gingen sie weiter in das größere Schlafzimmer am Ende des Flurs, von wo aus sie Stimmen hören konnte.

„Sind Sie bereit, Kriminalprofilerin?“, fragte Costabile spöttisch.

„Sie …", begann Ryan zu sagen, aber sie unterbrach ihn.

„Mir geht's gut", antwortete sie.

Er brauchte sich nicht für sie einzusetzen. Und sie wollte definitiv keinen weiteren Wettkampf unter Männern, wenn sie versuchte, sich zu konzentrieren. Sie ignorierte, was auch immer hinter ihr vor sich ging, holte tief Luft und ging ins Schlafzimmer.

Bevor sie den Körper überhaupt ansah, erlaubte sie ihren Augen, den Raum zu scannen. An den Wänden befand sich noch mehr von der gewagten Dekoration und neben dem Bett eine Discokugellampe. In der Ecke stand ein Stuhl, und Zeitschriften waren auf dem Boden verstreut, was auf einen Kampf hindeutete. Der Schreibtisch war größtenteils leer, obwohl es einen sauberen, rechteckigen Fleck gab, der von einer Staubschicht umgeben war – ein sicheres Zeichen dafür, dass dort kürzlich ein Laptop gestanden hatte.

„Der Fernseher ist noch da", bemerkte Ryan. „Die Spielkonsole ist auch noch da. Das ist ein merkwürdiges Verhalten eines Diebes.“

„Der Laptop ist allerdings weg", bemerkte Jessie. „Hat jemand ein Handy gefunden?"

„Noch nicht", sagte Offizier Webb.

„Haben Sie ihre Nummer von der Mitbewohnerin bekommen, damit wir versuchen können, das Handy zu orten?", fragte sie und versuchte, ihre Ungeduld nicht aufkommen zu lassen.

„Die Mitbewohnerin ist ein wenig hysterisch", sagte Costabile. „Wir hatten schon Schwierigkeiten, überhaupt ihren Namen, Elizabeth Polacnyk, aus ihr herauszubekommen. Die Rettungssanitäter haben sie in den Krankenwagen draußen gebracht. Sie wollten sie ruhig stellen."

„Okay", sagte Jessie. „Aber lassen Sie sie nicht gehen, bevor wir eine Chance hatten, mit ihr zu sprechen."

Costabile sah immer noch verärgert aus, nickte aber Offizier Lester, der immer noch in der Nähe der Eingangstür stand, zu, um die Forderung zu übermitteln. Während er dies tat, wandte Jessie schließlich ihre Aufmerksamkeit auf das Mädchen auf dem Bett. Sie war bereits im Leichensack, obwohl dieser noch nicht zugemacht worden war. Ihr Anblick machte Jessie wütend.

„Hat jemand Fotos gemacht, bevor ihr Körper angefasst wurde?“, fragte Ryan und sprach die Frage in Jessies Kopf laut aus.

Ein Tatort-Techniker hob seine Hand.

„Ich habe ein paar gemacht, kurz bevor sie in die Tasche gelegt wurde", sagte er.

Der stellvertretende Gerichtsmediziner des Falles kam herüber.

„Hi. Ich bin Maggie Caldwell. Wir haben versucht, mit dem Einpacken zu warten", sagte sie entschuldigend. „Aber wir wurden anderweitig instruiert."

Die Anschuldigung hing unausgesprochen in der Luft.

„Wie ich schon sagte", sagte Costabile defensiv, „schien ein klarer Fall zu sein. Ich wollte keine Ressourcen verschwenden".

Jessie versuchte ruhig zu bleiben, als sie antwortete.

„Ich bin sicher, Sie haben jahrzehntelange Erfahrung in diesem Job, Sergeant", sagte sie. „Aber haben Sie die Angewohnheit, die Entscheidung des Kommandos zu treffen, einen Mordtatort zu stören, bevor die Kommissare eintreffen, unabhängig davon, welche Ressourcen dafür erforderlich sind?“

„Das Valley Bureau ist nicht so wie Sie in der Innenstadt", rief er. „Wir können uns nicht den Luxus leisten, jeden toten Ausreißer, den wir finden, liebevoll zu bewachen.“

Jessies Temperament flammte auf. Ihre Stimme wurde ruhiger und langsamer.

„Mir war nicht bewusst, dass die Polizei in diesem Teil der Stadt nun Einsparungen über das Aufdecken von Verbrechen stellt. Ich würde gerne sehen, wo dieser Absatz in den neuen Vorschriften steht. Außerdem war mir nicht klar, dass die Morde an jugendlichen Ausreißern nicht ermittlungswürdig sind. Habe ich diesen Tag in der LAPD-Schule verpasst?"

„Stellen Sie meine Professionalität in Frage?“, fragte Costabile und machte einen Schritt auf sie zu.

„Ich stelle nur Fragen, Sergeant", antwortete sie, ohne einen Schritt zurück zu machen. „Wenn Ihr Gewissen etwas Tieferes vorschlägt, ist das Ihre Sache. Wenn es sich bei diesem Mädchen um eine jugendliche Ausreißerin handelt, geht es ihr ziemlich gut. Es ist klar, dass sie einen gut bezahlten Job hat, der es ihr erlaubt, in einer ansehnlichen Wohnung zu leben, Kunst zu kaufen und, ausgehend von ihren Nägeln und Haaren, teure Salonbesuche ermöglicht. Sind Sie sicher, dass Sie keine Vermutungen über ihren Hintergrund anstellen?"

Costabile sah aus, als wüsste er nicht, welche herausfordernde Frage er zuerst ansprechen sollte. Nach einem Moment des frustrierten Seufzens antwortete er.

„Man fand das Mädchen in einer Cheerleader-Uniform mit nach oben gerutschtem Rock. Fühlt sich für mich ziemlich trashig an. Ich vermute, dass sie eine Prostituierte ist."

„Wäre es denn nicht möglich, dass ihr Angreifer ihr den Rock nach oben gerissen hat?“, fragte Jessie. „Ihr Offizier sagte, sie sei siebzehn. Nicht möglich, dass sie Cheerleaderin an ihrer High School ist? Nicht möglich, dass sie Schauspielerin ist und ihr Kostüm trug? Sind wir sicher, dass sie eine billige Hure ist? Für einen erfahrenen Strafverfolgungsexperten scheinen Sie eine Menge Annahmen zu treffen, Sergeant."

Costabile machte einen weiteren Schritt nach vorn. Er stand ihr nun genau gegenüber. Jessie machte sich Sorgen, dass Ryan versuchen könnte, einzugreifen, aber er hielt sich zurück. Sie vermutete, dass er wusste, was sie vorhatte. Costabile sprach.

„Sie kommen also mit Ihrer hippen, heißen Profiling-Reputation hier rein und machen mich schlecht? So weit sind wir jetzt schon?"

Er knurrte fast, aber das war Jessie egal.

„Wenn Sie sich angesprochen fühlen", flüsterte sie. „Außerdem, wenn Sie glauben, Sie könnten mich mit Ihren Männerbrüsten und Ihrem Knoblauch-Atem einschüchtern, dann irren Sie sich. Ich bin mit Typen, die menschliche Körperteile als Souvenirs aufbewahren, in die direkte Konfrontation gegangen, also beeindrucken mich Ihre billigen Einschüchterungstaktiken nicht. Jetzt verschwinden Sie verdammt noch mal aus meinem Sichtfeld."

Die Nasenlöcher von Costabile vergrößerten sich. Das Blutgefäß auf seiner Stirn sah aus, als könne es jeden Moment platzen. Jessie beobachtete ihn genau. Ein Teil von ihr wollte ihn in den Schritt treten. Aber ihre analytische Seite testete ihn immer noch und versuchte, genau festzustellen, was hier vor sich ging und warum das Verfahren nicht befolgt wurde. Irgendetwas stimmte da nicht. Wenn er wütend genug wurde, würde der Typ vielleicht versehentlich etwas enthüllen.

Die beiden starrten sich gegenseitig an. Costabile war in Deckung gegangen und keuchte; Jessie war still und angespannt. Sie würde den ganzen Abend so bleiben, wenn es ihn traf. Nach gut fünf Sekunden atmete er sie absichtlich an. Er zauberte ein gezwungenes Lächeln auf sein Gesicht und trat einen Schritt zurück.

„Ich muss sagen, Frau Hunt, Sie sind ein noch größeres Miststück, als ich gehört hatte."

„Wie ist ihr Name?“, forderte Jessie, bevor er seine Beleidigung beenden konnte.

„Was?", sagte er, erschrocken über ihre plötzliche Reaktion.

„Das Mädchen", sagte sie und nickte in Richtung Bett. „Kennen Sie überhaupt ihren Namen?"

„Ihr Name ist Michaela Penn", sagte Offizier Lester und rettete damit seinen Vorgesetzten vor einer möglichen Blamage. „Wir sammeln immer noch Informationen, aber es sieht so aus, als wäre sie auf eine örtliche katholische Mädchen-High School gegangen. Sie wurde vor fast zwei Jahren als Hochbegabte anerkannt und beendete die Schule frühzeitig. Sie war Teilzeit-Kellnerin in Jerry's Deli in Studio City."

„Danke", sagte Jessie, bevor sie einen weiteren Satz zu Gunsten von Sergeant Costabile hinzufügte. „Klingt wirklich schäbig."

Sie drehte sich um und sah Michaela zum ersten Mal seit dem Betreten des Raumes wirklich genau an. Das erste, was ihr auffiel, war, wie jung das Mädchen aussah. Sie mag siebzehn gewesen sein, aber mit ihren kurzen, dunklen Haaren und ihrer blassen, jetzt bläulichen Haut sah sie eher wie fünfzehn aus.

Sie blickte zu einem Foto des Mädchens auf der Kommode auf und versuchte, es mit der leblosen Gestalt auf dem Bett in Einklang zu bringen. Die Michaela auf dem Bild war auf eine zarte, feenhafte Weise wunderschön. Sie erinnerte Jessie an ein Mädchen aus diesen japanischen Anime-Karikaturen.

Ihre tiefblauen Augen waren riesig, aber gefühllos, als hätte sie schon vor langer Zeit gelernt, ihre Gefühle zu verbergen. Nur das leichte Grinsen an den Rändern ihrer Lippen deutete an, was sich darunter verbergen könnte. Sie verströmte die Atmosphäre eines nicht entzündeten Feuerwerks, als ob sie nur auf ihre Zeit wartete, bereit, jeden Augenblick zu explodieren.

„Können Sie den Reißverschluss öffnen?“, fragte Ryan, als er neben Jessie trat. Während sie warteten, murmelte er vor sich hin. „Ich hoffe, dass die permanente Entfremdung des uniformierten Offiziers mit den meisten Verbindungen im Tal das wert war, was du durch Beleidigung aufzudecken versuchtest. Denn er wird das niemals auf sich beruhen lassen."

„Die Geschworenen beraten noch", murmelte sie zurück.

Die Polizisten waren gegangen, aber Maggie Caldwell, die stellvertretende Gerichtsmedizinerin, blieb in der Nähe, nachdem sie den Reißverschluss der Tasche geöffnet hatte.

„Sorry", sagte sie leise. „Ich wollte die Leiche nicht anfassen, aber Costabile bestand darauf, dass wir schnell handeln. Wären Sie fünf Minuten später eingetroffen, wäre sie in den Wagen gepackt gewesen."

„Irgendeine Idee, warum die Eile?“, fragte Ryan sie.

„Nein", sagte Caldwell nervös. „Aber ich glaube nicht, dass das alles seine Idee war. Er hat mit jemandem am Telefon gesprochen, der ihm Anweisungen zu geben schien. Nachdem er aufgelegt hatte, versuchte er wirklich, die Sache voranzutreiben."

Jessie rückte näher an das Mädchen heran. Ihre Cheerleader-Uniform war rot, mit weißer Schrift und einem schwarzen Rand. Sie war unscheinbar. Die Schrift verriet lediglich "Central H.S.". Der Rock war weit nach oben gerutscht.

„Lester meinte, sie hätte bereits ihren Abschluss gemacht, richtig?“, fragte Ryan. „Warum also die Uniform?"

„Ich lebe seit zwanzig Jahren in dieser Gegend und erkenne diese Schule oder diese Farben nicht wieder", sagte Caldwell. „Ich glaube nicht, dass sie echt ist."

„Vielleicht war es ein Kostüm", schlug Jessie vor. „Kellnern und Schauspielen schließen sich nicht wirklich aus."

„Möglich", stimmte Ryan zu. „Ich sage es nur ungern, aber Costabile könnte auch Recht haben. Es könnte ein Outfit sein, das sie für… einen Kunden trug. Das wäre hier nicht ungewöhnlich."

Jessie nickte und brachte ihre eigene Theorie zum Ausdruck.

„Was auch immer sie tat, es sei denn, sie hatte einen Treuhandfonds, es war mehr als nur Kellnern. Diese Wohnung ist ganz nett. Die Kunst ist nicht billig, und es ist klar, dass sie eine umfassende Haut- und Haarpflege betrieb, die professionelle Hilfe erforderte. Sie hatte keine Schwierigkeiten. Wissen wir, ob sie sexuell missbraucht wurde?", fragte sie Caldwell.

„Es ist noch zu früh, um das zu sagen. Morgen werden wir mehr wissen."

„Wir sollten auf jeden Fall bald mit der Mitbewohnerin sprechen", sagte Ryan. „Vielleicht kann sie uns wissen lassen, ob Michaela in letzter Zeit Drohungen erhalten hat."

Jessie nickte zustimmend, als sie sich die Messerstichwunden genauer ansah. Fünf davon waren in der Brust, weitere vier im Unterleib.

„Hat jemand die Mordwaffe gefunden?", fragte sie.

„Im Küchen-Set fehlt ein großes Messer", meldete sich Offizier Lester, der die Frage belauscht hatte, freiwillig. „Aber wir konnten es nicht finden."

„Das ist seltsam", bemerkte Ryan.

„Was?", fragte Lester.

„Nun, wenn dies ein schiefgegangener Raubüberfall war, würde man erwarten, dass der Täter überrascht sein würde, Michaela in ihrem Zimmer vorzufinden. Die allgemeine Unordnung in diesem Zimmer deutet auf einen Kampf hin. Aber wenn der Täter nicht wusste, dass sie hier war, wie kam er dann an das Messer? Es ist schwer vorstellbar, dass er in die Küche zurücklief, um es zu holen, und dann wieder ins Schlafzimmer zurückkam.“

„Vielleicht schlug er sie K.O. und holte dann das Messer?“, schlug Lester vor.

„Aber wenn er sie K.O. geschlagen hat und dies ein Raubüberfall war, warum nicht einfach das Zeug nehmen und verschwinden?“, fragte Jessie. „Zu diesem Zeitpunkt würde es keinen Widerstand  mehr geben. Sich ein Messer zu schnappen, ins Schlafzimmer zurückzukehren und neun Mal auf ein bewusstloses Mädchen einzustechen – das klingt nicht nach dem typischen Verhalten eines solchen Täters. Das ist kaltblütig. Und doch…"

„Was?“, fragte Lester.

„Ein Laptop wurde mitgenommen", sagte sie und nickte auf den leeren Schreibtisch. „Und wir haben ihr Handy nicht gefunden. Also wurde sie beraubt. Die Frage ist: War das ein nachträglicher Einfall? War es inszeniert oder wurden diese Dinge aus einem bestimmten Grund mitgenommen? Wie dem auch sei, es handelt sich keinesfalls um einen klaren Fall.“

Diese letzte Bemerkung ließ Costabile, der in den letzten Minuten still in der Ecke gestanden hatte, munter werden.

„Ich dachte ein paar Minuten lang, dass Sie mit den Verleumdungen fertig seien", sagte er sauer. „Aber da habe ich mich wohl zu früh gefreut."

Jessie war im Begriff, zu erwidern, als Ryan plötzlich etwas sagte.

„Wir lassen es erst einmal gut sein", sagte er. „Schließlich müssen wir noch mit der Mitbewohnerin sprechen. Komm schon, Jessie."

Sie gingen auf die Tür zu. Aber Ryan blieb stehen, als sie gerade gehen wollten. Er beugte sich vor, so dass nur sie und Costabile ihn hören konnten, und murmelte dem Mann noch eine letzte Sache zu.

„Aber ich muss Ihnen sagen, Sergeant, wenn Sie denken, dass wir mit der Frage, warum Sie diesen Fall so überstürzt und schlampig bearbeiten, fertig sind, dann irren Sie sich gewaltig. Ich weiß nicht, was Sie verheimlichen, aber dieser Fall stinkt. Wenn Sie glauben, Sie können ihn unter Verschluss halten, machen Sie sich etwas vor."

Costabile antwortete nicht. Aber er schenkte Ryan ein großes, bösartiges Grinsen, das andeutete, dass er anderer Meinung war.




KAPITEL SECHS


Eine Sekunde lang dachte Jessie, Michaelas Mitbewohnerin sei ebenfalls tot.

Trotz gegenteiliger Beteuerungen der Rettungssanitäter reagierte sie nicht, als sie die Tür des Krankenwagens öffneten und versuchten, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Sogar nachdem sie sie bei ihrem Spitznamen, Lizzie, nannten, bewegte sie sich nicht. Erst als Ryan die Thermodecke, in die sie eingewickelt war, von ihr riss, reagierte sie.

„Was?", verlangte sie mit müder, mürrischer Stimme.

Das Mädchen schien in etwa 18 Jahre alt zu sein. Selbst wenn sie Lizzies Zimmer nicht gesehen hätte, hätte Jessie geahnt, dass sie eine zurückhaltendere Persönlichkeit als ihre Mitbewohnerin hat. Ihr braunes Haar war fest nach hinten gebunden, und ihr Make-up war so dezent, dass es nicht auffiel. Sie war konservativ gekleidet mit einem CSUN-Sweatshirt mit Reißverschluss und einer Hose. Sie trug eine Halskette mit einem Kreuz.

Jessie, die unzufrieden mit Ryans Vorgehensweise war, runzelte die Stirn. Aber er zuckte lediglich mit den Schultern, als wolle er sagen, dass er mit seiner Geduld am Ende war.

„Lizzie", begann Jessie mit ihrer sympathischsten Stimme, „wir untersuchen, was passiert ist, und wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen".

„Sie haben mir etwas gegeben", sagte Lizzie. „Ich fühle mich ein wenig verwirrt."

„Das verstehen wir", versicherte Jessie ihr, als sie dem Mädchen half, sich aufzusetzen. „Und wir werden Sie ins Krankenhaus bringen, damit Sie sofort untersucht werden. Aber wir müssen zuerst einige grundlegende Dinge klären, okay?"

„Ich denke schon."

„Woher kannten Sie Michaela?“, fragte Jessie.

„Wir sind zusammen zur High School gegangen", sagte Lizzie und sprach langsam, während sie sich auf jedes Wort konzentrierte. „Sie hat die Schule schon früher verlassen, aber wir blieben in Kontakt. Als ich meinen Abschluss machte, beschlossen wir, zusammen zu ziehen. Sie war eine gute Mitbewohnerin."

Jessie warf Ryan einen Blick zu. Das Mädchen stand völlig neben sich. Es wäre schwierig, viel aus ihr herauszubekommen. Er hob frustriert die Augenbrauen. Jessie versuchte es noch einmal.

„Lizzie, hatte Michaela Familie in der Gegend?"

Mit viel Mühe schüttelte Lizzie den Kopf.

„Was ist mit einem Freund oder jemandem, mit dem sie kürzlich Schluss gemacht hat?"

„Kein Freund", antwortete Lizzie.

„Vielleicht ein Arbeitskollege, mit dem sie Probleme hatte?"

Lizzies Augen konzentrierten sich kurz.

„Mick war Kellnerin", sagte sie.

„Okay", antwortete Jessie, überrascht von der Intensität der Reaktion. „Hatte sie irgendwelche Probleme mit jemandem auf der Arbeit?"

„Sie war Kellnerin", wiederholte Lizzie vehement.

Jessie gab auf und wandte sich wieder Ryan zu.

„Ich denke, wir werden warten müssen, um mit ihr zu sprechen. Das ist sinnlos."

„Das wäre mir sowieso lieber", sagte der Rettungssanitäter, der in der Nähe gestanden hatte. „Nach allem, was sie durchgemacht hat, und mit den Medikamenten, die sie bekommt, würde ich sie wirklich gerne untersuchen lassen".

„Nur zu", sagte Ryan. „Wir kommen morgen vorbei, um mit ihr zu reden."

Sie sahen zu, wie Lizzie auf eine Bahre geschnallt und die Türen des Krankenwagens geschlossen wurden. Als das Fahrzeug in die dunkle Nacht davonfuhr, fiel Jessie etwas auf.

„Der Kommissar aus dem Valley ist immer noch nicht aufgetaucht."

„Ich bin mir auch nicht sicher, ob wir hier sein wollen, wenn er herkommt", bemerkte Ryan. „Ich möchte nicht, dass er uns mit Fragen über das 'Ermittlungsmuster', das wir verfolgen, löchert.“

„Willst du ihn nicht fragen, warum er so spät aufgetaucht ist?“, fragte Jessie überrascht.

„Klar. Aber ich habe das Gefühl, wir würden auf die gleiche Mauer stoßen wie bei Costabile. Wir müssen mehr wissen, bevor wir auf diese Typen losgehen."

„Das verstehe ich", sagte sie. „Aber nur um das klarzustellen, wir sind uns einig, dass hier etwas ernsthaft Zwielichtiges vor sich geht, nicht wahr? Ich meine, dieser Costabile scheint eher ein Mafia-Kapo zu sein als ein Polizei-Sergeant. Oder vielleicht ist er der Don Corleone des Valley Büros."

Ryan schaute zu ihr hinüber und fühlte sich offensichtlich unwohl bei ihrer Wortwahl. Sie beschloss, ihn in Frieden zu lassen und sprach weiter, bevor er antworten konnte.

„Ich glaube nicht, dass wir heute Nacht noch etwas Nützliches erfahren werden." Sie seufzte.

„Nein. Wir müssen vielleicht bis morgen früh warten. Bis dahin wird Lizzie wieder zu sich gekommen sein. Caldwell könnte etwas Definitives über einen möglichen sexuellen Übergriff haben, und wir können sehen, ob jemand versucht hat, Michaelas Laptop oder Handy zu verpfänden.“

„Okay", sagte Jessie widerwillig. „Eines wissen wir mit Sicherheit. Deine Chatty Cathy hatte Recht. Irgendetwas stimmt definitiv nicht mit diesem Fall."


*

Hannah war noch wach, als Jessie nach Hause kam.

Das Mädchen schaute kaum von dem Film auf, den sie gerade sah, als sie hereinkam. Es war fast 1 Uhr, und morgen war ein Schultag, aber Jessie hatte nicht die Energie, sich zu streiten.

„Es war eine lange Nacht", sagte sie. „Ich gehe jetzt ins Bett. Kannst du bitte leiser machen und versuchen, bald etwas Schlaf zu bekommen, damit du morgen fit bist?"

Hannah machte etwas leiser, nahm aber ansonsten die Worte ihrer Halbschwester nicht zur Kenntnis. Jessie stand einen Moment lang in der Tür ihres Schlafzimmers und überlegte, ob sie es noch einmal versuchen sollte. Aber schließlich entschied sie, dass es sich nicht lohnte, und schloss einfach die Tür.

Sie schlief in dieser Nacht unruhig. Das war nicht ungewöhnlich. In den letzten Jahren konnte sie mit beinahe nächtlichen Albträumen rechnen, die sich um einen der Männer drehten, die eine Bedrohung für ihr Leben darstellten. Normalerweise waren sie eine Mischung aus ihrem Ex-Mann, ihrem Vater und Bolton Crutchfield.

Aber heute Nacht drehten sich ihre Träume um Hannah, wie in so vielen Nächten in letzter Zeit. Ihre Gedanken waren von einem Durcheinander unzusammenhängender Bilder erfüllt, einige von dem Mädchen, wie es von einem maskierten Angreifer bedroht wird, andere, in denen sie nonchalant in die Arme der Gefahr lief.

Aber der Traum, der sie am meisten beunruhigte, war der letzte, in dem Hannah an einem Tisch saß und lächelte, als ein nicht identifizierbarer Kellner ihr einen Teller mit zerstückelten Körperteilen servierte. Sie war gerade dabei, sich eine Portion Menschenfleisch in ihren Mund zu schieben, als Jessie schweißgebadet und schwer atmend erwachte.

Die ersten Strahlen der Morgensonne strömten durch einen Spalt zwischen den Vorhängen herein. Sie setzte sich auf, schwang die Beine über die Bettkante und legte den Kopf in ihre Hände. Ihr Schädel hämmerte und sie fühlte sich leicht angewidert. Als sie nach Ibuprofen und einer Flasche Pepto-Bismol griff, versuchte sie, nicht zu viel in die Träume hinein zu interpretieren.

Sie wusste aus Erfahrung, dass sie nicht so sehr eine Vorhersage als vielmehr eine Manifestation ihrer Ängste waren. Sie hatte diese Träume, weil sie um Hannahs Zukunft fürchtete, nicht wegen irgendetwas, zu dem sie bestimmt war.

Zumindest redete sie sich das ein.




KAPITEL SIEBEN


Trotz ihrer Erschöpfung freute sich Jessie aufs Revier.

Sie schaffte es, Hannah heute Morgen mit nur zehn Minuten Verspätung aus der Tür zu bekommen und dachte, dass sie es womöglich noch vor der Rush-Hour zur Arbeit schaffen könnte. Sie wollte etwas Ruhe haben, um sich auf den Fall Michaela Penn zu konzentrieren, der sich jedes Mal, wenn sie darüber nachdachte, noch falscher anfühlte.

Warum wollten die Beamten vor Ort die Sache so schnell abschließen? Warum war der Kommissar nicht schneller eingetroffen – wenn er überhaupt eintraf? Warum hat Plaudertasche Ryan überhaupt angerufen? Jessies Bauchgefühl schrie, dass dies mehr als nur ein normaler Raubüberfall war, der schief gelaufen war. Neun Stichwunden fühlten sich sehr persönlich an.

Und doch, wie sie bei der zehnwöchigen Schulung an der FBI-Akademie, die sie besucht hatte, wiederholt daran erinnert worden war, war ihr Bauch kein Ersatz für Beweise. Nur weil eine Person oder ein Szenario verdächtig schien, war das allein noch kein Beweis für irgendetwas. Für Jessie, die sich in Quantico bei fast jedem Test, den sie absolviert hatte, hervorgetan hatte, war es die größte Herausforderung, sich diese Lektion zu Herzen zu nehmen.

Als sie um 7.33 Uhr an ihrem Schreibtisch eintraf, war das Büro noch immer dünn besiedelt. Sie wusste, dass sie noch etwa eine halbe Stunde Zeit hatte, bis sich das ändern würde. Also fing sie direkt an. Zuerst rief sie das Büro des Gerichtsmediziners des Valley Büros an, um irgendwelche Ergebnisse zu erhalten. Maggie Caldwell war nicht da. Aber laut Jimmy, dem Bereitschaftshabenden, hatte sie ihn angewiesen, alle Neuigkeiten weiterzuleiten, falls jemand von der Central Station anriefe. Zumindest schien Caldwell nicht an der langsamen Operation von Costabile teilzunehmen.

Laut Jimmy war Michaela vor ihrem Tod sexuell missbraucht worden. Aber anscheinend hatte der Angreifer ein Kondom benutzt und sie dann mit einer Art Desinfektionsmittel übergossen, das die Entnahme von brauchbarer DNA verhinderte. Man wartete ab, ob detailliertere Tests etwas bringen würden, aber er war nicht sehr optimistisch.

Ihr nächster Anruf ging an das Krankenhaus, um nach Lizzie zu fragen. Während sie in der Warteschleife auf ein Update wartete, drifteten ihre Gedanken zurück zu Hannah. Die Ähnlichkeiten zwischen ihr und Michaela Penn waren ihr nicht entgangen. Beide Mädchen waren siebzehn. Beide waren auf Privatschulen im San Fernando Valley gegangen. Es sah so aus, als müssten beide schneller erwachsen werden, als sie sollten. Jessie konnte nicht umhin, sich zu fragen, welche weiteren Parallelen sie gemeinsam hatten.

Eine Krankenschwester kam in die Leitung und riss sie aus ihren Gedanken. Anscheinend war Lizzie immer noch ruhig gestellt. Die Krankenschwester sagte, sie würde wohl gegen 10 Uhr wieder ansprechbar sein, und schlug vor, mit dem Besuch bis dahin zu warten.

Danach rief sie die Van Nuys Station an und fragte nach Offizier Burnside, der vor dem Wohnhaus Wache gehalten hatte. Von allen Polizisten, denen sie gestern Abend begegnet war, war er derjenige, der sich in der Situation am wenigsten wohl gefühlt hatte. Sie hoffte, dass sie einige Details aus ihm herausbekommen könnte. Man sagte ihr, seine Schicht sei gerade zu Ende gegangen – sie ging von 19 bis 7 Uhr. Mit ein wenig Schmeichelei konnte sie den diensthabenden Sergeant davon überzeugen, ihr seine Handynummer zu geben. Ihre Hoffnung, dass er noch wach und auf dem Nachhauseweg sein könnte, wurde belohnt, als er beim zweiten Klingeln abnahm.

„Hallo?", sagte er zaghaft.

„Offizier Burnside? Hier ist Jessie Hunt. Wir sind uns gestern Abend am Tatort des Penn-Mordes begegnet."

„Ich weiß, wer Sie sind", sagte er mit vorsichtiger Stimme.

Sie spürte seine intensive Vorsicht und fragte sich, ob sie versuchen sollte, ihn zu beruhigen oder einfach zu akzeptieren, dass dies eine unangenehme Situation sein würde. Sie entschied, dass es klüger wäre, offen zu sein.

„Hören Sie, ich weiß, Sie sind nicht gerade erfreut über diesen Anruf. Und ich möchte Sie nicht in eine unangenehme Situation bringen, also werde ich mich kurz fassen."

Sie machte eine Pause, aber als sie keine Antwort erhielt, fuhr sie fort.

„Ich habe mich gefragt, ob Sie irgendwelche Neuigkeiten von Michaelas Handy oder Laptop haben. Irgendwelche Nachrichten auf dem Telefon? Irgendwelche Verpfändungsversuche?"

Nach einer Zeit des Schweigens reagierte Burnside schließlich.

„Ich denke, es wäre besser, wenn Sie den Dienstweg gingen, Frau Hunt."

Es war ihm peinlich, das zu sagen, und sie beschloss, das zu ihrem Vorteil zu nutzen.

„Ich denke, wir wissen beide, wie das laufen würde. Ich würde mich stundenlang im Kreis drehen. Hören Sie, ich verlange nicht, dass Sie mir sagen, warum der Tatort so unprofessionell behandelt wurde. Ich verlange auch nicht, dass Sie mir erklären, warum fast jeder Polizist dort so getan hat, als sei er schuldig. Ich frage nur, ob entweder das Telefon oder der Laptop aufgetaucht ist."

Sie wartete und konnte in der dazwischenliegenden Stille fast hören, wie Burnsides Gehirn arbeitete.

„Das haben Sie nicht von mir, okay?", bestand er darauf.

„Natürlich nicht."

„Vom Laptop keine Spur. Wir warten immer noch. Auch das Telefon fehlt noch. Aber wir konnten den letzten bekannten Standort ausfindig machen – ein paar Blocks entfernt. Wir fanden die SIM-Karte an einem Straßenrand, oder zumindest das, was davon übrig geblieben war. Sie war zerquetscht und, wie es aussah, verbrannt worden."

„Das scheint ungewöhnlich gründlich für einen Dieb, finden Sie nicht?“, bemerkte Jessie. „Fast so, als wäre der Räuber mehr daran interessiert gewesen, Michaelas Anrufdaten zu verbergen, als ihr Telefon zu behalten".

„Ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll, Frau Hunt", antwortete Burnside.

„Nein, natürlich nicht. Da dieses Gespräch nicht offiziell stattfindet, gibt es noch etwas, was Sie mir über die Geschehnisse der letzten Nacht sagen wollen?"

Burnside wog in einem weiteren Schweigen seine Antwort ab.

„Ich habe nichts mehr über letzte Nacht hinzuzufügen", sagte er schließlich. „Aber ich werde Folgendes sagen. Im weiteren Verlauf sollten Sie das Ganze vielleicht lieber gut sein lassen, Frau Hunt. Ich weiß, dass Sie das nicht wollen. Und ich weiß von Ihrem Ruf, dass Sie Dinge nicht gut sein lassen. Aber in diesem Fall sollten Sie es sich vielleicht noch einmal überlegen."

„Warum?"

„Ich muss aufhören, Frau Hunt. Aber ich wünsche Ihnen alles Gute. Passen Sie auf sich auf."

Bevor sie antworten konnte, hatte er aufgelegt. Sie überlegte, ob sie ihn zurückrufen sollte, als sie sah, wie Garland Moses ins Büro kam und sich auf den Weg zur Treppe machte, die zu seinem winzigen Büro im zweiten Stock führte. Wie üblich projizierte der legendäre Profiler das Bild eines zerknitterten, geistesabwesenden Professors, dessen graue Haare durcheinander waren, dessen Brille Gefahr lief, von seiner Nase zu rutschen, und dessen Sportjacke seinen schlanken Körperbau verdeckte. Sie stand auf und lief ihm hinterher.

„Hey, Garland", sagte sie, erreichte ihn unten an der Treppe und ging mit ihm nach oben. „Sie erraten nie, wen ich gestern getroffen habe."

„Sie sollten mich nicht so herausfordern, Frau Hunt", antwortete er augenzwinkernd. „Ich schätze, ich verdiene damit meinen Lebensunterhalt, wissen Sie."

„Okay, dann legen Sie los", neckte sie.

„Ich würde Dr. Janice Lemmon sagen", sinnierte er beiläufig.

„Woher wissen Sie das?"

„Das ist einfach. Sie wissen, dass ich sie kenne und schienen erfreut über diese Information. Außerdem deutet Ihr derzeitiger geschwätziger, schulmädchenhafter Tonfall darauf hin, dass wer auch immer es ist, sie davon ausgehen, dass diese Person eine Art persönliche Verbindung zu mir hat. Das schränkt die Möglichkeiten ein. Deshalb, Dr. Lemmon."

„Das ist ziemlich beeindruckend", gab sie zu.

„Außerdem rief sie mich an und warnte mich, dass Sie auf der Suche nach Informationen sind", sagte er mit einem Augenzwinkern.

„Ich verstehe", sagte Jessie. „Telefonieren Sie beide oft?"

„Ich fühle mich wie in einen Jane-Austen-Roman versetzt, und Sie sind die intrigante Protagonistin. Bitte sagen Sie mir, dass Sie mich nicht nur angesprochen haben, um Ihre Partnervermittlungs-Fähigkeiten zu verbessern, Frau Hunt."

„Das ist nicht der einzige Grund, Garland. Ich muss Sie um einen Gefallen bitten."

„So?", sagte er, als sie das obere Ende der Treppe erreichten.

„Ich hatte gehofft, Ihnen meine Halbschwester Hannah vorstellen zu können."

„Ah ja, das Mädchen, das Sie vor dem Serienmörder gerettet haben."

„Das Mädchen, das Sie mir geholfen haben zu retten", korrigierte Jessie. „Ohne Ihre Hilfe hätte ich sie nie gefunden."

„Wie geht es ihr?", fragte er und stieß das Kompliment ab.

„Ich hatte gehofft, Sie könnten mir das sagen. Ich dachte, wir könnten eine Art zwanglose Begegnung inszenieren, und Sie könnten selbst urteilen."

Garland schaute sie missbilligend an, als sie sich seiner Bürotür näherten.

„Sie wollen mich ihr also unter Vorspiegelung falscher Tatsachen vorstellen, damit ich ein Profil von ihr erstellen kann, weil Sie befürchten, sie könnte ein wenig serienmörderisch sein?

„So würde ich es nicht ganz ausdrücken", protestierte Jessie. „Aber… ja."

„Ich fühle mich dabei nicht ganz wohl", sagte er, als er die Tür öffnete. „Ich glaube nicht, dass es dem Mädchen gegenüber fair ist, und ich befürchte, dass es das Vertrauen, das Ihnen beiden ohnehin schmerzlich fehlt, weiter untergraben könnte.“

„Woher wissen Sie, dass…"

„Ich muss jedoch zugeben, dass ich dieses Mädchen tatsächlich gerne kennenlernen würde. Ich wäre bereit, es zu tun. Das durchzumachen, was sie erlitten hat, und trotzdem noch mäßig funktionsfähig zu sein? Es ist unglaublich. Ich kann nichts garantieren, was über ein Gespräch hinausgeht. Wenn Sie diese Bedingungen akzeptieren, stimme ich zu."

„Ich nehme, was ich kriegen kann", sagte Jessie.

„Sehr gut. Wir können später reden und etwas arrangieren", sagte er und knallte ihr dann die Tür vor der Nase zu.

Unter normalen Umständen wäre Jessie beleidigt gewesen. Aber sie beschloss, den Sieg davonzutragen. Garland hatte einem Treffen mit Hannah zugestimmt. Und da er das tat, war Jessie sicher, dass er ihr helfen könnte. Sogar unbewusst würde er am Ende ein Profil von ihr erstellen. Es war in seinem Blut, genau wie in ihrem.

Es war das, was sie taten.




KAPITEL ACHT


Als Ryan ankam, war Jessie bereits voll in ihrem Element.

Sie hatte den Rest des Vormittags damit verbracht, so viele Hintergrundinformationen wie möglich über Michaela Penn zu sammeln. Kaum hatte er seinen Schreibtisch erreicht, fing sie an, ihn mit Einzelheiten zu bombardieren.

„Irgendetwas passt nicht bei diesem Mädchen", sagte sie, bevor er sich überhaupt hinsetzte.

„Guten Morgen, Jessie", antwortete er. „Wie geht es dir?"

„Guten Morgen", sagte sie mit einem kurzen Lächeln, mit dem sie die Feinheiten der menschlichen Interaktion würdigte. „Wie es mir geht? Ich bin verwirrt. Michaela Penn ist ein echter Widerspruch in sich. Das ist ein Mädchen, das mit einem akademischen Stipendium ein Jahr früher ihren Abschluss an einer angesehenen katholischen Mädchen-High School gemacht hat. Im Alter von sechzehn Jahren wurde sie gesetzlich emanzipiert. Alles sehr beeindruckend, nicht wahr?"

„Ja", stimmte Ryan zu und gab die Höflichkeiten eindeutig auf.

„Aber der Grund für ihre Emanzipation war, dass ihr Vater, der jetzt in der Nähe von Lake Arrowhead lebt, sie missbraucht hat. Sie konnte dem Gericht beweisen, dass sie alleine besser dran war."

„Was ist mit ihrer Mutter?"

„Ihre Mutter starb an Eierstockkrebs, als sie sieben Jahre alt war."

„Keine weiteren Verwandten?“, fragte Ryan.

„Nicht in Kalifornien."

„Wo hat sie damals gelebt?"

„Bis zu ihrem vorzeitigen Abschluss war sie in der Schule untergebracht gewesen. Seitdem ist sie drei Mal umgezogen, bis sie sich an dem Ort niedergelassen hat, an dem sie gestern Abend gefunden wurde. Keine der anderen Wohnungen war auch nur annähernd so schön."

„Und wie hat sie sich die neue Wohnung geleistet?“, fragte Ryan.

„Das ist eine gute Frage. Wie Lizzie sagte, ist sie Kellnerin. Sie arbeitet bei Jerry's auf dem Ventura Boulevard. Und laut ihrem Chef arbeitet sie nur Teilzeit. Das reicht nicht für die Wohnung, in der sie wohnte, geschweige denn für all die Kunst und Elektronik, die wir gesehen haben.“

„Irgendwelche Hinweise aus ihren sozialen Netzwerken?“, fragte Ryan und schaltete schließlich seinen Computer ein.

„Bis jetzt noch nicht", gab Jessie zu. „Ich habe mir ihre Facebook-, Instagram-, Twitter-, Snapchat-, WhatsApp-, Tumblr- und Whisper-Konten angesehen, zusammen mit allem anderen, was ich finden konnte. Es ist ziemlich normaler Kram – Selfies am Strand, Bilder mit Freunden bei Konzerten, lustige Memes, inspirierende Zitate, tonnenweise Smilies; kein gemeiner Kommentar in ihren Erwähnungen. Es ist fast… zu normal".

„Was hat das zu bedeuten?"

„Es ist schwer zu sagen. Ich weiß, dass die sozialen Netzwerke der Menschen immer das bestmögliche Bild vermitteln. Aber ihres ist so normal – nichts Kontroverses, nichts Aufschlussreiches. Es ist einfach so unpersönlich. Nachdem ich mir das alles angesehen habe, habe ich nicht das Gefühl, dass ich sie jetzt besser kenne als vorher. Es fühlt sich an wie ein Puzzle, bei dem mehrere Teile fehlen."

„Da steht also nichts drin, das erklären würde, warum jemand mehrmals auf sie eingestochen hat?" fragte Ryan trocken.

„Nein", sagte Jessie. „Auch nicht, warum ein Haufen Bullen versucht haben, die Untersuchung abzuschließen, bevor sie begonnen hat. Übrigens habe ich vorhin mit Burnside gesprochen, dem Beamten, der gestern Abend vor dem Gebäude stationiert war. Er flehte mich förmlich an, den Fall gut sein zu lassen. Es hörte sich an, als ob er wirklich besorgt um mich wäre.“

„Vielleicht denkt er, dass Costabile versuchen wird, dich nach der Schule zu verprügeln."

Bevor sie antworten konnte, streckte Decker seinen Kopf durch seine Tür und rief sie herein.

„Hernandez, Hunt, wir müssen reden."

Jessie blickte zu Ryan, der einen Ausdruck von Resignation auf seinem Gesicht hatte.

„Was?", fragte sie.

„Das ist seine ‚ich muss euch den Kopf waschen'-Stimme", sagte er, als er aufstand. „Ich kann mir gut vorstellen, was ihm die Leute vom Valley Büro gesagt haben."

„Nun, ich muss auch jemanden ein wenig zusammenstauchen", sagte Jessie, und ihr Körper versteifte sich, als sie sich auf den Weg in Deckers Büro machte.

„Toll", hörte sie Ryan leise hinter sich murmeln. Sie tat so, als höre sie ihn nicht.

Sie betraten das Büro. Roy Decker stand hinter seinem Schreibtisch. Er sah ein Jahrzehnt älter als seine sechzig Jahre aus, mager, größtenteils kahl und mit eingefallenem Gesicht, mit mehr Falten, als sie zählen konnte. Er starrte mit einem Stirnrunzeln auf seinen Computerbildschirm. Seine glänzenden Augen waren konzentriert und seine lange, spitze Nase schien anklagend in ihre Richtung zu zeigen.

„Ich verstehe, dass Sie letzte Nacht Spaß hatten", sagte er, ohne aufzuschauen.

„Wir sind über einen Fall mit einigen ungewöhnlichen Gegebenheiten gestolpert", meldete sich Ryan vage.

„Nun, es scheint, dass Ihre Beteiligung das Interesse einiger unserer Freunde im Valley Büro geweckt hat", antwortete er, wobei seine Stimme nichts verriet.

Jessie wollte antworten. Aber aus Erfahrung wusste sie, dass es besser war, Ryan erst einmal vorfühlen zu lassen. Seine vielen Jahre beispielhaften Dienstes hatten ihm ein gewisses Wohlwollen eingebracht, das Jessie noch nicht verdient hatte.

„Sir", begann Ryan vorsichtig, ich glaube, ihre Wut könnte etwas damit zu tun haben, dass wir sie auf dem falschen Fuß erwischt haben. Sie haben gegen die Protokolle verstoßen. Die Leiche hätte entfernt werden sollen, bevor der zuständige Kommissar überhaupt eingetroffen war. Das ist nicht gerade vorbildhaft."

„Sie haben es versäumt, dies in den vorläufigen Bericht aufzunehmen", räumte Decker ein. „Darf ich fragen, was Sie dort überhaupt gemacht haben? Es ist nicht gerade Ihr Zuständigkeitsbereich."

„Ich war zum Abendessen in der Gegend und hörte die Nachricht von einem Opfer, auf das mehrfach eingestochen worden war. Ich bin wie die Motte im Licht, wenn es um solche Dinge geht, und ich dachte, Hunts Erkenntnisse könnten wertvoll sein, also bat ich sie um ihre Hilfe.“

Decker blickte zu ihm auf. Jessie merkte, dass er sich von Ryans unvollständiger Antwort nicht täuschen ließ. Sie dachte, dies könnte der Moment sein, in dem er sie auf die Art ihrer Beziehung ansprechen würde, die sie bisher geheim gehalten hatten.

„Nun, dem Bericht zufolge sieht es ziemlich eindeutig aus; ein Raubüberfall, der schief ging. Ich denke also, wir können ohne unnötige Reibereien zwischen den Bezirken weitermachen.“

„Nun ja", sagte Jessie, als sie zum ersten Mal sprach, „ich bin mir nicht sicher, ob es so einfach ist.“

„Natürlich sind Sie das nicht", sagte Decker. „Nur zu, Hunt. Ruinieren Sie meinen Tag."

„Das habe ich nicht vor, Sir", sagte sie und versuchte, alle Diplomatie zu nutzen, die sie aufbringen konnte. „Aber der Tatort bestätigt nicht die Theorie, dass es sich nur um einen einfachen Raubüberfall handelt, der schief gelaufen ist. Es wurde kaum etwas gestohlen. Die SIM-Karte im gestohlenen Telefon wurde vollständig zerstört. Der Mörder ging mit der Mordwaffe ins Schlafzimmer, anscheinend unter Vorsatz. Auf das Opfer wurde neun Mal eingestochen, was kaum der Vorgehensweise eines typischen Wohnungsdiebs entspricht. Und selbst nachdem das Mädchen tot war, blieb die Wohnung weitgehend unangetastet. Ich sage nicht, dass es definitiv kein Raubüberfall war. Aber eindeutig? Das glaube ich nicht."

Sie wollte weiter sprechen; sie wollte sagen, dass etwas an diesem Fall zum Himmel stank. Aber da sie diesen zusätzlichen Anspruch als kontraproduktiv erachtete, ließ sie es dabei bewenden.

Decker setzte sich und schloss die Augen. Als er seinen Mund öffnete, blickte er finster drein.

„Was soll ich Ihrer Meinung nach mit dieser Information tun, Frau Hunt?"

„Nun, ich denke, Sie sollten uns erlauben, diesen Fall zu verfolgen. Die Rolle von Kommissar Hernandez als Teil der HSS erlaubt es ihm, jeden Fall des LAPD zu übernehmen, den die Einheit als in ihren Zuständigkeitsbereich fallend betrachtet. Lassen Sie uns sehen, wohin das führt. Geben Sie uns einen Tag. Wenn wir nichts Lohnenswertes finden, schließen wir den Fall ab."

Decker saß einen Moment lang still da und wog ihren Vorschlag ab.

„Leider ist das nicht möglich", sagte er und wandte sich an Ryan. „Kommissar Hernandez, ich habe gerade erfahren, dass Ihre Aussage im Mordfall Barton von morgen auf heute verlegt wurde. Sie müssen um zehn Uhr im Gerichtsgebäude sein."

Jessie und Ryan tauschten kurze Blicke aus.

„Chef", flehte er, „es ist jetzt erst halb neun. Lassen Sie mich mit der Übernahme des Falles beginnen. Vielleicht können wir ein Interview mit der Mitbewohnerin führen. Lassen Sie uns wenigstens den Ball ins Rollen bringen."

„Ich kann das nicht tun. Ich werde die Jungs von Valley nicht von dem Fall abziehen. Die Politik dazu ist einfach zu hässlich. Aber ich kann einen Kompromiss anbieten. Ich werde das Valley Büro wissen lassen, dass die HSS in Übereinstimmung mit ihnen arbeiten will, um Informationen auszutauschen und Ressourcen zu bündeln. Das wird Ihnen den Zugang zu Zeugen und Beweisen ermöglichen."

„Aber wir müssen jetzt auf all das zugreifen, Sir", bestand Jessie, „solange die Spur noch heiß ist".

„Hunt, würden Sie mich bitte ausreden lassen?"

„Entschuldigen Sie", sagte Jessie und beschimpfte sich schweigend dafür, dass sie den Mann, der ihr jetzt am meisten helfen konnte, entfremdet hatte.

„Hernandez, Sie reichen die Dokumente ein und vermerken Hunt als die Profilerin des Falles, was zumindest Zeugenbefragungen erlauben wird", sagte er und wandte sich dann an Jessie. „Hunt, das sollte es Ihnen ermöglichen, die Mitbewohnerin erneut zu befragen. Wenn die Tür erst einmal aufgebrochen ist, wird Valley sie nicht mehr so leicht schließen können.“

„Danke, Sir", sagte Jessie.

„Übertreiben Sie es nur nicht, Hunt", flehte Decker. „Ich weiß, das ist nicht leicht für Sie. Aber halten Sie sich an Befragungen, eine Arbeit, die mit der Stellenbeschreibung "Profiler" gerechtfertigt werden kann. Sie werden für eine Weile allein sein, bis Hernandez aus dem Gerichtssaal kommt. Ohne einen Polizisten, der Ihnen Rückendeckung gibt, müssen Sie vorsichtiger vorgehen. Sind Sie mit diesem Konzept vertraut, Hunt?"

„Vage, Sir", sagte Jessie lächelnd. „Ich danke Ihnen."

„Bitte lassen Sie es mich nicht bereuen", sagte er und bettelte fast.

Jessie antwortete so ehrlich, wie sie konnte.

„Ich werde mein Bestes geben.“




KAPITEL NEUN


Jessie wartete in ihrem Krankenhauszimmer, als Lizzie aufwachte.

Das Mädchen sah sich um und war eindeutig desorientiert. Jessie stand auf und hielt dem Mädchen eine Tasse mit einem Strohhalm an ihre Lippen. Sie saugte das Wasser unersättlich auf.

„Können Sie sprechen?“, fragte Jessie, als Lizzie mit dem Schlucken fertig war.

„Wo bin ich?", fragte das Mädchen heiser. „Wer sind Sie?"

„Sie sind im Valley Presbyterian Hospital", sagte Jessie geduldig. „Ich bin Jessie Hunt von der Polizei von Los Angeles. Wir haben uns gestern Abend kennengelernt, obwohl Sie zu der Zeit bereits ziemlich ruhig gestellt waren. Erinnern Sie sich an letzte Nacht?"

Zuerst sah Lizzie nur verwirrt aus. Aber dann schienen die Erinnerungen zurückzukommen. Sofort zog sie eine Grimasse und schloss die Augen.

„Ich erinnere mich an genug", sagte sie leise.

„Erinnern Sie daran, dass Sie mit mir gesprochen haben?"

„Nicht wirklich."

„Okay, dann fangen wir von vorne an. Es tut mir leid, aber die Fragen, die ich Ihnen stellen muss, werden schwierig sein. Aber um herauszufinden, was mit Michaela passiert ist…"

„Mick", korrigierte Lizzie. „Ihr Name war Mick."

„Um herauszufinden, was mit Mick passiert ist, werde ich ganz offen sein, und Sie müssen ehrlich sein, okay? Versuchen Sie nicht, ihre Erinnerung an sie zu schützen, indem Sie mir wichtige Details vorenthalten. Alles wird irgendwann herauskommen, je früher, desto besser. Haben wir uns verstanden?"

Lizzie nickte.

„Okay, fangen wir damit an, woher Sie Mick kannten."

„Wir gingen zusammen auf die St. Ursula High School. Sie schloss ein Jahr früher ab, und wir haben irgendwie den Kontakt verloren. Aber vor ein paar Monaten haben wir wieder Kontakt aufgenommen. Ich gehe in Cal State Northridge zur Schule und wollte nicht auf dem Campus leben. Sie hatte eine neue Wohnung und war auf der Suche nach einer Mitbewohnerin. Also zog ich ein."

„Es ist eine ziemlich schöne Wohnung", sagte Jessie sanft. „Konnten Sie sich das als Studentin leisten?"

„Ich habe nur ein Viertel der Miete bezahlt, also eigentlich nur das Zimmer. Alles andere hat sie bezahlt."

„Sie konnte sich das leisten?"

„Ich denke schon", sagte Lizzie nicht gerade überzeugend.

Jessie beschloss, sich zurückzuhalten, bevor sie nochmal darauf eingehen würde.

„Ihr ward also ein paar Monate lang Mitbewohnerinnen?", fragte sie.

„Mhm. Eigentlich seit letztem Herbst."

„Und was haben Sie gestern Abend gemacht, bevor Sie nach Hause kamen?"

„Ich habe mit Kommilitonen gelernt. Ich kam gegen neun Uhr fünfundvierzig nach Hause. Mick steht oft früh auf, also versuchte ich, leise zu sein, für den Fall dass sie schon schlief.“

„Aber…" sagte Jessie, weil sie spürte, dass Lizzie mehr sagen wollte.

„Aber ich sah, dass ihr Licht an war. Also spähte ich hinein und…"

Jessie entschied sich, die Details eines Tatorts, den sie selbst gesehen hatte, nicht weiter zu vertiefen. Sie wollte nicht, dass Lizzies Emotionen sie überwältigen und sie daran hindern, andere wichtige Details zu nennen.

„Ich habe Sie das gestern Abend gefragt, aber Sie waren ein wenig abwesend. Hatte Mick einen Freund?"

„Nein. Sie war Single."





Конец ознакомительного фрагмента. Получить полную версию книги.


Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию (https://www.litres.ru/bleyk-pirs/die-perfekte-affare/) на ЛитРес.

Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.



„Ein Meisterwerk voll Spannung und Mystery. Blake Pierce hat seine Charaktere gekonnt und mit solch einer hervorragenden, psychologischen Seite entwickelt, dass wir uns in ihre Gedanken hineinversetzen, ihre Ängste mitfühlen und ihre Erfolge mitfeiern können. Dieses Buch voller spannender Wendungen wird Sie bis zur letzten Seite in seinen Bann ziehen.”

–Buch- und Filmreviews, Roberto Mattos (Verschwunden)

DIE PERFEKTE AFFÄRE ist Buch Nr. 7 in der neuen Psychothriller-Reihe des Bestsellerautors Pierce Blake, dessen Bestseller Verschwunden (als kostenloser Download erhältlich) bereits über 1000 Fünf-Sterne-Rezensionen erhalten hat.

Ein Pornostar wird tot aufgefunden, und das LAPD denkt sich nicht viel dabei. Aber die 29jährige FBI-Agentin Jessie Hunt spürt, dass etwas viel Unheilvolleres dahintersteckt, etwas, das sich bis in die oberen Schichten von Macht und Gesellschaft erstreckt.

Ein rasanter Psychothriller mit unvergesslichen Charakteren und fesselnder Spannung. DIE PERFEKTE AFFÄRE ist Buch Nr.7 der neuen, mitreißenden Serie, die Ihnen schlaflose Nächte bereiten wird.

Band Nr. 8 der Jessie Hunt-Serie wird in Kürze erhältlich sein.

Как скачать книгу - "Die Perfekte Affäre" в fb2, ePub, txt и других форматах?

  1. Нажмите на кнопку "полная версия" справа от обложки книги на версии сайта для ПК или под обложкой на мобюильной версии сайта
    Полная версия книги
  2. Купите книгу на литресе по кнопке со скриншота
    Пример кнопки для покупки книги
    Если книга "Die Perfekte Affäre" доступна в бесплатно то будет вот такая кнопка
    Пример кнопки, если книга бесплатная
  3. Выполните вход в личный кабинет на сайте ЛитРес с вашим логином и паролем.
  4. В правом верхнем углу сайта нажмите «Мои книги» и перейдите в подраздел «Мои».
  5. Нажмите на обложку книги -"Die Perfekte Affäre", чтобы скачать книгу для телефона или на ПК.
    Аудиокнига - «Die Perfekte Affäre»
  6. В разделе «Скачать в виде файла» нажмите на нужный вам формат файла:

    Для чтения на телефоне подойдут следующие форматы (при клике на формат вы можете сразу скачать бесплатно фрагмент книги "Die Perfekte Affäre" для ознакомления):

    • FB2 - Для телефонов, планшетов на Android, электронных книг (кроме Kindle) и других программ
    • EPUB - подходит для устройств на ios (iPhone, iPad, Mac) и большинства приложений для чтения

    Для чтения на компьютере подходят форматы:

    • TXT - можно открыть на любом компьютере в текстовом редакторе
    • RTF - также можно открыть на любом ПК
    • A4 PDF - открывается в программе Adobe Reader

    Другие форматы:

    • MOBI - подходит для электронных книг Kindle и Android-приложений
    • IOS.EPUB - идеально подойдет для iPhone и iPad
    • A6 PDF - оптимизирован и подойдет для смартфонов
    • FB3 - более развитый формат FB2

  7. Сохраните файл на свой компьютер или телефоне.

Видео по теме - Marc Marshall - Die Perfekte Affäre

Книги серии

Книги автора

Аудиокниги серии

Аудиокниги автора

Рекомендуем

Последние отзывы
Оставьте отзыв к любой книге и его увидят десятки тысяч людей!
  • константин александрович обрезанов:
    3★
    21.08.2023
  • константин александрович обрезанов:
    3.1★
    11.08.2023
  • Добавить комментарий

    Ваш e-mail не будет опубликован. Обязательные поля помечены *