Книга - Nichts Als Verstecken

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Nichts Als Verstecken
Blake Pierce


Ein Adele Sharp Mystery #3
„Wenn man glaubt, das Leben könnte nicht besser werden, schafft Blake Pierce ein weiteres Thriller Meisterwerk voller Mysterien! Dieses Buch ist voller Wendungen und das Ende bringt eine überraschende Enthüllung, die man nie erwartet hätte. Ich empfehle jedem Leser, der Freude an einem sehr gut geschriebenen Thriller hat, dringend sich dieses Buch zuzulegen.? –Bücher und Filmkritiken, Roberto Mattos. NICHTS ALS VERSTECKEN ist Buch Nr. 3 in einer neuen FBI-Thriller-Serie von USA Today Bestsellerautor Blake Pierce, dessen Bestseller Nr. 1 VERSCHWUNDEN (Buch Nr. 1) (ein kostenloser Download) über 1.000 Fünf-Sterne-Kritiken erhalten hat. . Ein italienisches Ehepaar, das in Deutschland Urlaub macht, wird brutal ermordet aufgefunden, was einen internationalen Aufschrei auslöst. FBI-Spezialagentin Adele Sharp ist die einzige mit der internationalen Expertise, die die Grenzen überschreitet und den Mörder aufhält – und sie findet sich an der Seite ihres entfremdeten Vaters wieder, der weit mehr über den ungeklärten Mord an ihrer Mutter weiß, als er zugibt… Obwohl sie immer noch von den jüngsten Ereignissen in Paris erschüttert ist, muss sich Adele auf eine wilde Jagd quer durch Deutschland begeben und auf Schritt und Tritt Lügen und Täuschung aufdecken… Können Adele und ihr Vater die Kluft zwischen ihnen überwinden?. Und kann sie den Mörder aufspüren, bevor die Tragödie weitergeht?. Eine actiongeladene Krimiserie voller internationaler Intrigen und fesselnder Spannung: Mit NICHTS ALS VERSTECKEN können Sie bis spät in die Nacht hinein blättern… Buch Nr. 4 der ADELE SHARP MYSTERY-Reihe wird bald erhältlich sein.





Blake Pierce

NICHTS ALS VERSTECKEN




N I C H T S




A L S




V E R S T E C K E N




(Ein Adele Sharp Mystery – Buch 3)




B L A K E    P I E R C E



Blake Pierce

Blake Pierce ist der USA Today Bestseller-Autor der RILEY PAGE Mystery-Serie, die sechzehn Bücher (und es werden noch mehr) umfasst. Blake Pierce ist auch der Autor der Mystery-Serie MACKENZIE WHITE, die dreizehn Bücher umfasst (Tendenz steigend); der Mystery-Serie AVERY BLACK, die sechs Bücher umfasst; der Mystery-Serie KERI LOCKE, die fünf Bücher umfasst; der Mystery-Serie DAS MAKING OF RILEY PAIGE, die fünf Bücher umfasst (Tendenz steigend); der Mystery-Serie KATE WISE, die sechs Bücher umfasst (Tendenz steigend); der psychologischen Krimireihe CHLOE FINE, die fünf Bücher umfasst (Tendenz steigend); der psychologischen Krimireihe JESSIE HUNT, die fünf Bücher umfasst (Tendenz steigend); der psychologischen Krimireihe AU PAIR, die zwei Bücher umfasst (Tendenz steigend); der Krimireihe ZOE PRIME, die zwei Bücher umfasst (Tendenz steigend); der neuen Krimireihe ADELE SHARP; sowie der neuen und heimeligen Mystery-Serie EUROPEAN VOYAGE.



Als begeisterter Leser und lebenslanger Fan der Mystery- und Thriller-Genres liebt es Blake, von Ihnen zu hören. Besuchen Sie www.blakepierceauthor.com (http://www.blakepierceauthor.com/), um mehr zu erfahren und in Kontakt zu bleiben.



Copyright © 2020 by Blake Pierce. Alle Rechte vorbehalten. Vorbehaltlich der Bestimmungen des U.S. Copyright Act von 1976 darf kein Teil dieser Publikation ohne vorherige Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln reproduziert, verteilt oder übertragen oder in einer Datenbank oder einem Abfragesystem gespeichert werden. Dieses eBook ist nur für Ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Dieses eBook darf nicht weiterverkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit einer anderen Person teilen möchten, kaufen Sie bitte für jeden Empfänger ein zusätzliches Exemplar. Wenn Sie dieses Buch lesen und Sie es nicht gekauft haben, oder es nicht nur für Ihren Gebrauch gekauft wurde, dann senden Sie es bitte zurück und kaufen Sie Ihre eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit dieses Autors respektieren. Dies ist eine erfundene Geschichte. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder das Ergebnis der Phantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, ob lebendig oder tot, ist völlig zufällig. Jacket image Copyright Arm001, verwendet unter der Lizenz von Shutterstock.com.



BÜCHER VON BLAKE PIERCE




ADELE SHARP MYSTERY-SERIE

NICHTS ALS STERBEN (Band #1)

NICHTS ALS RENNEN (Band #2)

NICHTS ALS VERSTECKEN (Band #3)


DAS AU-PAIR

SO GUT WIE VORÜBER (Band #1)

SO GUT WIE VERLOREN (Band #2)

SO GUT WIE TOT (Band #3)


ZOE PRIME KRIMIREIHE

GESICHT DES TODES (Band #1)

GESICHT DES MORDES (Band #2)

GESICHT DER ANGST (Band #3)


JESSIE HUNT PSYCHOTHRILLER-SERIE

DIE PERFEKTE FRAU (Band #1)

DER PERFEKTE BLOCK (Band #2)

DAS PERFEKTE HAUS (Band #3)

DAS PERFEKTE LÄCHELN (Band #4)

DIE PERFEKTE LÜGE (Band #5)

DER PERFEKTE LOOK (Band #6)

DIE PERFEKTE AFFÄRE (Band #7)

DAS PERFEKTE ALIBI (Band #8)

DIE PERFEKTE NACHBARIN (Band #9)


CHLOE FINE PSYCHOTHRILLER-SERIE

NEBENAN (Band #1)

DIE LÜGE EINES NACHBARN (Band #2)

SACKGASSE (Band #3)

STUMMER NACHBAR (Band #4)

HEIMKEHR (Band #5)

GETÖNTE FENSTER (Band #6)


KATE WISE MYSTERY-SERIE

WENN SIE WÜSSTE (Band #1)

WENN SIE SÄHE (Band #2)

WENN SIE RENNEN WÜRDE (Band #3)

WENN SIE SICH VERSTECKEN WÜRDE (Band #4)

WENN SIE FLIEHEN WÜRDE (Band #5)

WENN SIE FÜRCHTETE (Band #6)

WENN SIE HÖRTE (Band #7)


DAS MAKING OF RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

BEOBACHTET (Band #1)

WARTET (Band #2)

LOCKT (Band #3)

NIMMT (Band #4)

LAUERT (Band #5)

TÖTET (Band #6)


RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

VERSCHWUNDEN (Band #1)

GEFESSELT (Band #2)

ERSEHNT (Band #3)

GEKÖDERT (Band #4)

GEJAGT (Band #5)

VERZEHRT (Band #6)

VERLASSEN (Band #7)

ERKALTET (Band #8)

VERFOLGT (Band #9)

VERLOREN (Band #10)

BEGRABEN (Band #11)

ÜBERFAHREN (Band #12)

GEFANGEN (Band #13)

RUHEND (Band #14)

GEMIEDEN (Band #15)

VERMISST (Band #16)

AUSERWÄHLT (Band #17)


EINE RILEY PAIGE KURZGESCHICHTE


EINST GELÖST




MACKENZIE WHITE MYSTERY-SERIE

BEVOR ER TÖTET (Band #1)

BEVOR ER SIEHT (Band #2)

BEVOR ER BEGEHRT (Band #3)

BEVOR ER NIMMT (Band #4)

BEVOR ER BRAUCHT (Band #5)

EHE ER FÜHLT (Band #6)

EHE ER SÜNDIGT (Band #7)

BEVOR ER JAGT (Band #8)

VORHER PLÜNDERT ER (Band #9)

VORHER SEHNT ER SICH (Band #10)

VORHER VERFÄLLT ER (Band #11)

VORHER NEIDET ER (Band #12)

VORHER STELLT ER IHNEN NACH (Band #13)

VORHER SCHADET ER (Band #14)


AVERY BLACK MYSTERY-SERIE

DAS MOTIV (Band #1)

LAUF (Band #2)

VERBORGEN (Band #3)

GRÜNDE DER ANGST (Band #4)

RETTE MICH (Band #5)

ANGST (Band #6)


KERI LOCKE MYSTERY-SERIE

EINE SPUR VON TOD (Band #1)

EINE SPUR VON MORD (Band #2)

EINE SPUR VON SCHWÄCHE (Band #3)

EINE SPUR VON VERBRECHEN (Band #4)

EINE SPUR VON HOFFNUNG (Band #5)




KAPITEL EINS


Der Teamleiter warf einen Blick auf die Benachrichtigung, die über den Bildschirm seines Satellitentelefon lief. Vermisst. Vermisste Personen. Die Meldung kam direkt vom BKA. Es war seltsam, dass sich der deutsche Geheimdienst so schnell dafür interessierte. Andererseits handelte es sich bei den beiden nicht um die üblichen Vermissten.

Der Teamleiter richtete den Reißverschluss seines verblassten rot-grünen Mantels und deutete auf die drei anderen Mitglieder seiner Einheit. Allesamt Freiwillige. Das Logo prangte in kräftigen schwarzen Buchstaben auf ihren Uniformen: Bergwacht Deutschland. Obwohl es schon dämmerte, stapften sie noch immer durch den Schnee. Nur noch eine Stunde bis sie umkehren mussten. Es war sinnlos, nachts zu suchen und das Team dieser Gefahr auszusetzen. Zu ihrer Linken tauchte eine Schlucht aus abrutschenden Hängen auf und zu ihrer Rechten ragte der Berg nur noch höher empor und drohte die Wolken in ihrer gräulichen Düsternis zu durchstoßen.

Die bayerischen Alpen sind ein weitläufiges und kompliziertes Gebirge. Und zwei so erfahrene Skitourengeher wie die Vermissten konnten in der Zeit, in der sie vermisst wurden, vom Wolfsschlucht Resort aus eine beträchtliche Strecke zurückgelegt haben.

Sascha, der örtliche Fremdenführer, deutete in die Ferne. Der Teamleiter hielt beim Geräusch eines sich nähernden Summens inne. Er drehte sich um, der eisige Wind ließ sein entblößtes Gesicht fast erstarren, als er den orangefarbenen Hubschrauber durch den blauen Himmel schwirren sah. Ein widerhallendes Summen aus den Hubschrauberblättern erklang in einer Endlosschleife vor dem Hintergrund schneebedeckter Berge.

„Kapitän“, sagte Jérôme, das jüngste Teammitglied. Er rümpfte ein wenig die Nase, näherte sich dem Teamleiter mit schnellen Schritten, und wühlte dabei eine Menge Schnee auf.

„Hmm?“, fragte Luka Porter der Befehlsgeber der Einheit.

Jérôme kam näher und schrie fast, um den Lärm des Hubschraubers zu übertönen. „Keine Skispuren mehr. Scheiße! Ich denke, wir sollten umkehren.”

Luka betrachtete den jungen Mann und atmete lang aus, wobei sein warmer Atem eine Dampfspur an seinen Wangen vorbei nach oben in Richtung des Abendhimmels strömte. Er antwortete auch auf Deutsch. „Nein. Wir gehen nicht zurück, wissen Sie, was dann passiert?“, fragte er leise.

Jérôme zögerte. „Es – es wird dunkel. Ich dachte nur, dass es Vorschrift wäre, vor Einbruch der Nacht zurückzukehren.”

Luka kratzte sich an den Stoppeln an seinem Kinn. Er war an diesem Morgen früh geweckt worden und hatte nicht die Möglichkeit gehabt, sich noch zu rasieren. Diese Vermissten waren wichtige Leute. Dies war nochmal durch die BKA-Agenten verdeutlicht worden, die persönlich bei ihm zu Hause aufgetaucht waren, um ihn in das Büro neben der Ferienanlage zu schleppen.

„Eine Stunde“, sagte Luka. „Dann gehen wir zurück. Aber eine Stunde suchen wir noch.”

Jérôme sah enttäuscht aus, aber er verbarg es gut genug. Beide stapften durch den Schnee entlang des Weges und folgten Sascha, während er sie auf der Flugbahn der letzten bekannten Richtung, der das italienische Paar gefolgt war, führte.

„Ich hörte… Ich hörte, dass sie wohlhabend waren“, sagte Jérôme und keuchte inzwischen nach jedem Wort. Etwas von seiner eifrigen Energie begann zu verblassen, je tiefer der Schnee wurde.

Luka grunzte wieder, erwiderte jedoch nichts und sparte seine Kräfte. „Vierundzwanzig Stunden vermisst. Bei diesem Wetter, im November, ob wohlhabend oder nicht, werden sie trotzdem frieren.”

„Oder schlimmer“, murmelte Jérôme.

Lukas runzelte die Stirn, antwortete aber nicht und tat damit beiden den Gefallen, ihren Atem zu schonen.

In diesem Moment hielt Sascha eine Hand hoch. Das leichte Rieseln des Schnees hatte in den letzten Stunden einige Male aufgehört und dann wieder begonnen, wodurch weitere Skispuren verdeckt wurden, die sie möglicherweise gefunden hätten. Doch Sascha bewegte sich schnell und zog Lukas und Jérômes Aufmerksamkeit auf sich.

„Was ist das?“, rief Luka.

Sascha zeigte in den Himmel und die beiden Männer folgten der angedeuteten Geste.

Ein einziger blauer Lichtstrahl erstreckte sich schwach am Abendhorizont, der vom Hubschrauber ausging, aber raschelte und um einen kleinen Baumhain ganz oben in der Nähe des Hangs kreiste.

„Sie haben etwas gefunden!“, rief Sascha.

Luka nickte und nahm das Tempo wieder auf, er fühlte jetzt das Stechen der Kälte und das Frieren seines Atems an seinen Wangen. Er senkte den Kopf und folgte den Schritten Saschas, die auf den Hain zuliefen. Das italienische Paar war vor mehr als vierundzwanzig Stunden vom Skigebiet aus zum Skifahren aufgebrochen. Dennoch bestand eine Chance, dass sie überlebt hatten. Richtig gekleidet, vielleicht mit einem Schutzanzug, würde es ihnen schlecht gehen, aber der Tod war nicht sicher. Viele der Menschen, nach denen ihre Bergwachteinheit geschickt wurde, wurden schließlich geborgen. Viele, aber nicht alle.

Sie näherten sich dem Baumhain und folgten Sascha, der die Skier über die Schulter geschnallt hatte. Der Schnee hier war zu frisch, zu leicht, um optimal Skifahren zu können. Luka runzelte die Stirn – warum also zeigte der Hubschrauber auf diesen Hain?

Eine Streuung von Nadelbäumen aus Lärchen und Fichten umkreiste den angedeuteten blauen Lichtstrahl, der sich nur zu verstärken schien, je mehr sich der Abend verdunkelte.

„Licht!“, rief Luka.

Die anderen Mitglieder des Such- und Rettungsteams schalteten ihre Kopflampen ein und Luka zog seine gut eingesetzte Hunderttausend-Lumen-Aluminium-Sicherheitsleuchte heraus. Er klickte auf den Schalter und richtete die große Taschenlampe auf die Bäume. Luka blinzelte ein wenig auf das helle blendende Licht, als würde er in die Scheinwerfer eines Polizeifahrzeugs schauen. Er gab den anderen ein Zeichen, sich zu nähern.

Für Sicherheit war gesorgt. Jérôme, ihr freiwilliger Helfer bei der Strafverfolgung, zog seine Seitenwaffe. In den Alpen konnte man nie vorsichtig genug sein. Alle möglichen Kreaturen lauerten in diesen Bergen.

„Ich sehe etwas“, rief Sascha, als er sich auf die Bäume zu bewegte. Schnee knirschte unter den Füßen, was darauf hindeutete, dass der Neuschneefall größtenteils von den Bäumen abgefangen worden war und nur Rückstände und alles, was sich von den Ästen gelöst hatte, zurückblieb.

„Vorsicht!“, rief Jérôme, der seine Waffe in der mit Handschuhen geschützten Hand hielt.

Sascha nickte, winkte aber zur Vorsicht ab und ging auf den angezeigten Teil des Waldes zu. Es ging steil nach oben.

Luka konnte es jetzt auch sehen. Es war kaum zu übersehen. Dunkle Schatten zeichneten sich im Schnee ab. Dunkle Flecken.

Jérôme senkte langsam seine Waffe, als sie sich durch die Nadelbäume näherten. Dann fluchte der junge Freiwillige und seine Arme wurden schlaff. „Oh mein Gott“, sagte er und murmelte ein kurzes Gebet, bevor er sich bekreuzigte.

Luka ging an Jérôme vorbei und kam auf gleicher Höhe mit Sascha, unter einer riesigen Tanne. Er streifte mit einer Hand einen ausgestreckten Ast beiseite und starrte in den verschneiten Hain, die Augen auf die Szene gerichtet.

„Die Touristen?“, fragte Sascha mit leiser, zitternder Stimme.

„Melden Sie es“, sagte Luka scharf. „Sofort.“

Er hörte Sascha an seiner Seite am SAT-Telefon herumfummeln, gefolgt von dem schnellen Piepton der Tasten als Antwort. Er hörte, wie der Hubschrauber immer noch über ihm schwirrte, wie ein Geier über einem Kadaver. Jérôme versuchte, näher heranzukommen, aber Luka streckte einen Arm aus und den jungen Mann nach hinten. „Tu‘s nicht“, sagte er schnell. „Zerstöre es nicht.”

„Was – was glauben Sie, was das getan hat?“, murmelte Jérôme, er konnte seinen Blick nicht abwenden.

Luka richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Hain, so schwer es ihm auch fiel. Er hatte schon früher Opfer von Tierangriffen gesehen, aber nichts dergleichen. Bärenangriffe waren in der Region nicht üblich – oder zumindest seit langer Zeit nicht mehr. Vor kurzem jedoch, in den letzten Jahren, waren in den Alpen wieder vermehrt Braunbären gesichtet worden.

Nun lag der Beweis vor ihm.

Zwei Körper – zumindest das, was von ihnen übriggeblieben war. Blutig, gefroren, und wie impressionistische Kunst in der Gegend verstreut. Einige Tropfen hatten sogar die Bäume gesprenkelt. Stücke von menschlichem Fleisch schmückten ebenfalls den Boden. Ein ganzer Fuß steckte in einem jungen Schössling fest, der es durch mangelnde Sonneneinstrahlung verpasst hatte, weiter zu wachsen.

Blutige Furchen und Schnitte entstellten die Leichen. So viel Blut. Zu viel, was darauf hindeutet, dass die Opfer während des Großteils des Gemetzels noch am Leben gewesen waren.

Luka starrte einfach nur und streckte seinen Arm so aus, dass Jérôme nicht passieren konnte, während er Sascha zuhörte. „Ja… ja, ist der Agent noch da? Der mit dem BKA? Nein, Franz, keine Zeit jetzt. Wir… wir glauben, wir haben sie gefunden.“ Eine Pause. Eine statische Stimme am anderen Ende. Sascha schluckte. „Tot“, sagte er. „Definitiv tot.“




KAPITEL ZWEI


Das Handy vibrierte ein weiteres Mal auf ihrem Schreibtisch. Adele blickte nach unten und widerstand dem Drang, mit den Augen zu rollen. Angus. Erneut. Er hatte ihr bereits vor drei Tagen eine SMS geschrieben.

Sie schob ihr Telefon außer Sichtweite unter einen Stapel Papiere, die auf einer Papierablage lagen. Sie war spät dran. Sie hatte den Papierkram schon zu lange vor sich hergeschoben. Agent Grant, ihre Vorgesetzte in San Francisco, war ein geduldiger Mensch, aber selbst sie hatte Adeles Verspätungen langsam satt.

Ihr letzter Kommentar zu diesem Thema hatte gelautet: „Bleiben Sie verdammt noch mal in Ihrem Büro. Schließen Sie die Tür ab und gehen Sie nicht, bevor ich die Formulare auf meinem Schreibtisch habe. Verstanden? Mein Gott, Adele, mir sitzen sowieso schon so viele Bürokraten im Nacken.”

Nicht gerade die tröstlichsten Worte, die ihr beim Ausfüllen der längst überfälligen Formulare im Kopf umherschwirrten. Adele kräuselte die Nase und blickte auf ihre leere Tasse. Der schwache Geruch von Kaffee hing in der Luft ihres kleinen Büros. In Wirklichkeit war es kaum mehr als ein begehbarer Schrank mit einer undurchsichtigen Glastür. Fensterlos, mit einem einzigen Schreibtisch, einem Stuhl und einer Deckenlampe, die gelbes Licht ausstrahlte, erfüllte das Büro gerade so seinen Zweck.

Sie nahm eine weitere Akte, legte sie vor sich hin und begann, die Seiten durchzublättern. Ihre Augen wurden glasig und die Hand, die den Stift hielt, erschlaffte und wurde von der Tischplatte magisch angezogen. Nur noch fünfzig weitere Dokumente.

Man konnte sich gar nicht vorstellen, wie viel Freude es bereitete ständig mit drei verschiedenen Agencies zu kommunizieren.

Endlich fand sie den Teil des Dokuments, der ihre Aufmerksamkeit erforderte und bewegte sich dazu, ihn auszufüllen.

Ihr Handy vibrierte noch einmal.

„Verdammt nochmal!“, rief sie und warf ihren Stift auf den Papierstapel, der jetzt auf ihr Telefon hinabfiel.

Sie griff nach dem Telefon, hob es hoch und las: 4 neue Nachrichten. Alle von Angus. Der gutaussehende Coder mit lockigem Haar hatte vor einigen Monaten mit ihr Schluss gemacht. Damals dachte sie, die beiden stünden kurz vor einer Verlobung.

Sie warf einen Blick auf den Ordnerstapel, dann auf ihr Telefon. Dann klappte sie, leise vor sich hin murmelnd, den Bildschirm auf und blätterte durch Angus' Nachrichten.

Hey, Adele, hast du kurz Zeit?

Kurz? Es klang entspannt und auf den Punkt gebracht.

Ich weiß nicht, ob du meine letzte Nachricht bekommen hast. Können wir reden?

Sie scannte die Zeiten, zu denen die Nachrichten gesendet wurden. Dazwischen lagen nur zwei Stunden. Bildete sie sich das nur ein oder wirkte Angus verzweifelt? Was wollte er überhaupt von ihr?

Adele, es tut mir leid, wie die Sache zwischen uns gelaufen ist. Ich habe viel nachgedacht. Meinst du, wir könnten diese Woche noch einmal darüber reden?

Adeles Augenbrauen zogen sich nach oben und sie tippte mit dem Stift gegen ihre weißen Zähne. Interessant. War… war es möglich, dass Angus wieder mit ihr zusammenkommen wollte?

Sie las die letzte Botschaft, in der nur ein Wort stand:

Bitte!

Sie seufzte und schob ihr Telefon wieder unter den Papierstapel in der Papierablage. Es machte keinen Sinn, es jetzt zu sortieren. Sie war überfordert. Angus' Gefühle ein wenig zu verletzen war nichts im Vergleich zu dem, was Agent Grant ihr antun würde, wenn sie das Ausfüllen der Formulare einen weiteren Tag aufschieben würde. Außerdem hatte Angus beim letzten Mal, als sie miteinander gesprochen hatten, seinen Teil dazu beigetragen, sie zu verletzen.

Adele zog die Schultern zusammen und versuchte, ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Papierkram zu lenken.

Es hatte keinen Zweck.

Sie lehnte sich zurück und stieß einen leisen Seufzer in Richtung Decke aus. Obwohl er ihr wehgetan hatte, wollte sie Angus nicht verletzen. Er war ein guter Freund gewesen – ein treuer Freund. Vorhersehbar? Vielleicht ein wenig. Aber verlässlich? Auf jeden Fall. Ehrlich, nett – wenn auch manchmal zu nett, zu zögerlich.

Sicher. Vielleicht das beste Wort, um ihn zu beschreiben. Reich war er jetzt wohl auch, wenn an dem, was sie über seine letzte Tech-Firma gehört hat, irgendetwas dran war.

Ihre linke Hand streckte sich wieder in Richtung des Telefons, aber sie hielt inne und ließ es auf der weichen Oberfläche des Papiers unter ihren Fingerspitzen verweilen. All diesen Papierkram hätte sie sich sparen können, zumindest wenn sie nicht gezwungen gewesen wäre, so viel Zeit in Flugzeugen zu verbringen oder zwischen den Behörden zu wechseln. Als sie sich bereit erklärt hatte, mit Interpol als Korrespondentin zwischen BKA, DGSI und FBI zusammenzuarbeiten, dachte sie, sie hätte gewusst, worauf sie sich einließ. Aber jetzt…

Sie sah erneut genervt den vor ihr liegenden Ordnerstapel an.

Vielleicht war es an der Zeit, sesshaft zu werden. Ständig in Bewegung zu sein und wie ein Nomade zu leben… Das war nicht unbedingt förderlich für ein glückliches Leben, oder? Vor kurzem hatte Adele einen Artikel in Psychology Meritus gelesen, einer Zeitschrift, auf die ihr die FBI-Verhaltenseinheit empfohlen hatte, in dem es hieß, dass Menschen, die in ihrer Jugend oft an verschiedenen Orten gelebt hätten und ständig in Bewegung waren und dies auch als Erwachsene taten, oft Schwierigkeiten hatten, eine Verbindung zu anderen Menschen herzustellen. Die Angst aus dem gewohnten Umfeld gerissen zu werden und fortzugehen, konnte manchmal sogar eine traumatische Wirkung auf ein Kind haben.

Adele runzelte die Stirn und dachte darüber nach. Könnte das der Wahrheit entsprechen? Es war nicht so, dass sie viele Freunde hatte.

Sie dachte an Robert und ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen. Sogar Agent Grant war, obwohl sie ihr Chef war, jemand, dem sie sich anvertrauen konnte.

Ihr Lächeln verblasste ein wenig, als sie an John Renee dachte. Schürzenjäger, Sprücheklopfer, Oberarschloch. Bei John konnte man sich nie sicher sein. In vielerlei Hinsicht war er der Anti-Angus.

Stirnrunzelnd griff sie nun nach ihrem Telefon und wollte Angus anrufen. Ein Anruf konnte doch nicht schaden, oder? Besonders, wenn er sie zurückhaben wollte. Was würde sie sagen? Würde sie es überhaupt wissen, bevor sie seine Stimme hörte?

Als sie ihr Telefon in die Hand nahm und das Gewicht spürte, begann es zu klingeln. Diesmal vibrierte es nicht, sondern es erklang ein schrilles Zwitschern. Die einzige Nummer in ihrem Handy, die ein Geräusch machte, kam von ganz oben.

Adeles Stirnrunzeln vertiefte sich und sie konnte fühlen, wie sich die Furchen in ihre Stirn bohrten, als sie das Telefon an ihr Ohr hielt. „Agent Grant, ich arbeite an den Akten. Sie sind noch nicht fertig, aber ich sollte…“

„Adele, vergessen Sie die Akten“, sagte die Stimme am anderen Ende.

„Wir brauchen Sie oben.”

„Sind Sie sicher? Wenn Sie mir noch ein paar Stunden Zeit geben, bin ich sicher, ich könnte…“

„Vergessen Sie die Akten, Adele“, sagte die Stimme von Agent Grant. Sie klang angespannt, etwas widerwillig, aber doch entschlossen. „Beeilen Sie sich. Es ist etwas vorgefallen.”

„Ich bin gleich da.”

Adele wartete die Stille am anderen Ende ab, bevor sie das Handy hinlegte und einen Moment lang auf ihren Schreibtisch starrte. Es ist etwas vorgefallen. Die Art und Weise, wie Grant das gesagt hatte, ließ Adele einen Schauer über den Rücken laufen.

Naja, das mit dem sesshaft werden konnte, zumindest für den Moment, noch warten.

Adele erhob sich von ihrem Stuhl, steckte ihr Telefon ein und entfernte sich von dem Stapel Papier, eilte in Richtung Tür und ging nach oben in Agent Grants Büro, während sie ein breites Lächeln unterdrückte.




KAPITEL DREI


Als sie das Büro von Agent Grant betrat, war Adele überrascht, Mrs. Jayne vor dem Schreibtisch sitzen zu sehen, ihre Hände in geduldiger Haltung über den Knien verschränkt. Adele zögerte und versuchte, nicht verwirrt die Stirn zu runzeln. Sie sondierte den Raum und wartete ab, dass sich auch Executive Foucault einschalten würde, aber diesmal gab es kein Zeichen des französischen Leiters der DGSI.

Mrs. Jayne hingegen arbeitete für Interpol. Sie war eine ältere Frau, mit hellen, intelligenten Augen hinter einer Hornbrille. Sie hatte graues Haar und war etwas kräftiger als die meisten Außendienstmitarbeiter. Adele erinnerte sich, dass Mrs. Jayne keinen Akzent hatte, was darauf hindeutete, dass sie die englische Sprache zwar sehr gut beherrschte, dennoch konnte man ausmachen, dass es nicht ihre Muttersprache war.

Als die Tür hinter Adele ins Schloss fiel, näherte sie sich Agent Grants Schreibtisch. Wenn Mrs. Jayne es für nötig befunden hatte, selbst zu kommen, war tatsächlich etwas vorgefallen.

Agent Grant räusperte sich hinter dem Schreibtisch. Adeles Vorgesetzter fuhr mit einer Hand durch ihr mittellanges Haar und presste ihre Lippen mit strenger Miene zusammen. Sie war nur ein paar Jahre älter als Adele, hatte aber jetzt bereits Falten um Mund und Augenwinkel. Lee Grant war nach den beiden Generälen aus dem Bürgerkrieg benannt worden und in der Außenstelle in San Francisco für ihre Streifzüge aus dem Gebäude und an Tatorte bekannt, da er jede Gelegenheit ergriff, sich die Beine zu vertreten. Insgeheim vermutete Adele, dass Agent Grant der Außeneinsatz fehlte. Und obwohl sie es nie zugeben würde, glaubte Adele, dass Grants Fähigkeiten hinter einem Schreibtisch verschwendet wurden.

„Sharp“, sagte Agent Grant und nickte ihr zu.

„Agent Sharp“, sagte Mrs. Jayne und nickte nur minimal, um ihre perfekt liegende Frisur nicht in Unordnung zu bringen.

„Mrs. Jayne“, sagte Adele und zögerte. Man hatte ihr sie nie mit Vornamen vorgestellt. Sie nickte auch Grant zu. „Was kann ich für Sie tun?”

Sie wartete und hielt einen Moment inne, während die befehlshabenden Agentinnen sich ansahen. Agent Grant brach das Schweigen. „Wir befinden uns in einer… heiklen Lage.”

Mrs. Jaynes Augen verengten sich fast unmerklich hinter ihrer Brille. Es war nur ein kurzer Moment, in dem sie ihre sonst makellose Fassade bröckeln ließ, aber Adele verstand sofort.

„Heikel?“, fragte Adele. „Naja, mir ist alles recht, was mich von diesem Papierkram abhält…“ Sie kicherte leise, aber als die beiden Frauen ihre Freude nicht erwiderten, wurde sie wieder ernst.

„Die Einheimischen“, begann Mrs. Jayne in ihrer normalen und bestimmten Tonlage, „glauben, dass es ein Braunbärenangriff war.”

Adele versuchte es mit einem weiteren Lächeln und gab den halbherzigen Versuch, die Atmosphäre aufzulockern, erneut auf. „Ich wusste nicht, dass es in San Francisco Braunbären gibt“, sagte sie.

Agent Grant schüttelte den Kopf. „In den Alpen.”

„Die… die Alpen?”

„Ein weitläufiges Gebirge, das sich über acht Länder in Europa erstreckt“, erklärte Agent Grant.

"Oh, äh, nun, nein – ja, meine ich. Ich weiß, was die Alpen sind. Wir haben also einen Fall in den Alpen?”

Adele dachte über die Nachricht von Angus nach. Sie dachte über ihren Wunsch nach, sesshaft zu werden. Aber gleichzeitig überkam sie ein leichtes, prickelndes Frösteln der Vorfreude. Dieses Mal versuchte sie krampfhaft, ein Lächeln zu unterdrücken.

„Ja“, sagte Agent Grant. „Wie ich bereits erwähnte, glauben die Einheimischen, dass es ein Bärenangriff war. Ein handelt sich um ein wohlhabendes italienisches Ehepaar, das in einem Skigebiet Urlaub machte. Beide waren gute Skitourengeher. Beide wurden tot und zerfleischt aufgefunden.”

Adele nickte. „Aber kein Bär?”

Grant warf der dritten Frau im Raum einen Blick zu. Mrs. Jayne hielt ihre Hände über dem Knie gefaltet und blickte ernst hinter ihrer Brille hervor. „Der örtliche Such- und Rettungstrupp erwähnte gegenüber den Medien, dass es ein Braunbär gewesen sein könnte. Sie haben es ihnen abgekauft.”

Adele nickte. Mrs. Jayne hatte sich wie immer im Englischen perfekt ausgedrückt, auch wenn es wenig emotional, sondern eher sachlich wirkte. Die Interpolkorrespondentin fuhr fort. „Wir haben zugestimmt, die Geschichte so weiter laufen zu lassen. Vorerst.”

„Aber Sie wissen, dass es kein Bär war?“, Adele zögerte. „Warum die Geheimniskrämerei?”

„Es ist nicht die Unwahrheit“, sagte Mrs. Jayne. Wieder verengten sich ihre Augen, für den Bruchteil einer Sekunde, hinter ihrer Brille und wieder war der Ausdruck verschwunden, bevor ein durchschnittlicher Beobachter sie hätte erkennen können. Adele hingegen verbrachte viel Zeit damit, auf Details zu achten. Mrs. Jaynes Unsicherheit war ihr nicht entgangen. Aber sie blieb ruhig und ließ die ältere Frau fortfahren. „Eine heikle Situation“, sagte sie und wiederholte die Worte, die Grant benutzt hatte. „Ein wohlhabendes italienisches Ehepaar stirbt in Deutschland. Und angesichts der politischen Verbindungen des Ehepaares in Italien, nun… Sie können verstehen, wenn Interpol dies mit Sorgfalt und zur Zufriedenheit aller Beteiligten handhaben möchte.”

„Ich bin… ich bin verwirrt“, sagte Adele, während sie langsam ihren Finger an Grants Schreibtischkante entlanggleiten ließ. Sie hielt ihre Augen nach unten gerichtet und folgte der dünnen Staubschicht, die sich von der Unterseite des Tisches zu lösen begann, trotzdem hörte sie noch zu. „Sie sagten, es ginge um die Alpen. Nicht nur um einen Ferienort, oder einen Berg. Aber die Bergkette… Habe ich Recht?”

Mrs. Jayne nickte. „Ja, sehr gut erkannt. Die Italiener waren nicht der einzige Vorfall dort. Ein weiteres Ehepaar aus der Schweiz ist ebenfalls verschwunden. Ein paar hundert Kilometer entfernt. Seit einer Woche – wir haben sie immer noch nicht gefunden.”

„Lassen Sie mich raten, auch in den Alpen?”

„Korrekt. Die französischen Alpen, um genau zu sein.”

Adele widersetzte sich dem Drang zu seufzen und tat ihr Bestes, um sich weder im Gesicht noch mit ihrer Atmung etwas anmerken zu lassen.

„Ich verstehe… Und Sie beehren uns hier mit Ihrer Anwesenheit, weil…?”

Mrs. Jayne schlug die Beine auf und stellte vorsichtig beide Füße auf den Boden, bevor sie sich nach vorne beugte und zu Adele hinaufblickte. „Es gibt keinerlei Verbindungen zwischen den beiden Ehepaaren, abgesehen von der Tatsache, wo sie vermisst gemeldet wurden – und selbst dann waren sie fast zweihundert Meilen voneinander entfernt. Und dann…“

„Lassen Sie mich raten: Die Schweizer Familie ist auch wohlhabend und gut gestellt in der Gesellschaft?“, sagte Adele.

Mrs. Jayne nickte mit dem Kopf. „Es ist wichtig, dass wir sorgfältig vorgehen. Es sind bereits zu viele Menschen involviert. Zu viele Köche verderben bekanntlich den Brei. Wir können nicht riskieren, dass die Sache schief geht.”

„Ich vermute aber, dass Sie nicht hier sind, um mit mir Rezepte auszutauschen.”

Agent Grant schnaubte leise und Adele schaute auf und traf den Blick ihrer Vorgesetzten.

„Sie suchen nach einer anderen Köchin“, sagte Grant mit einem Nicken in Richtung Mrs. Jayne.

Diesmal seufzte Adele, obwohl sie versuchte, es als Gähnen zu tarnen, aber auf halbem Wege entschied sie, dass dies vielleicht noch unangebrachter erschien. Sie versuchte mit einer schnellen Frage von sich abzulenken: „Sie wollen also, dass ich in den Alpen einen Fall von vermissten Personen untersuche, bei dem es keinerlei Verbindungen gibt, bei dem der Täter vielleicht nur ein ausgehungerter Grizzly oder die Kälte gewesen sein könnte?”

Mrs. Jayne kam langsam auf die Beine und richtete ihr maßgeschneidertes Kostüm. „Braunbären. Und wir haben guten Grund zu der Annahme, dass die Morde nichts mit wilden Tieren zu tun hatten. Ich wäre nicht gekommen, wenn das nicht wichtig wäre. Nun, Ms. Sharp – können wir auf Ihre Hilfe zählen?”

Adele zog eine Augenbraue hoch und sah zu Agent Grant hinüber, die schnaubte und nickte. „Ich bin nicht der ausschlaggebende Faktor. Unsere Vorgesetzten haben bereits zugestimmt. Es ist Ihre Entscheidung, Adele.”

Der Blick der Agentin hatte etwas Bedeutsames, als sie wartete und die jüngere Frau beobachtete. Adele fokussierte sie kurz, blickte dann aber weg. Ein neuer Fall, mehr Reisen. Es wäre ihr gutes Recht, abzulehnen…

Aber was war die Konsequenz?

Sich wieder dem Papierkram zuzuwenden? Zu Angus? Sicherheit wählen.

War das wirklich so schlimm?

„Bitte“, sagte Mrs. Jayne. Und zum ersten Mal bemerkte Adele einen unbehaglichen Unterton in der Stimme der Frau. Ging es bei diesem Fall für die Interpol-Korrespondentin um etwas Persönliches? Warum war sie so emotional involviert?

Sie zögerte, schaute dann aber direkt Agent Grant an. „Solange Sie jemand anderen den Papierkram erledigen lassen, bin ich dabei.”

Grants Augen verengten sich und im Gegensatz zu Mrs. Jayne bemühte sie sich nicht, ihren Ärger zu verbergen. Aber schließlich war sie an der Reihe, zu seufzen und sie winkte mit einer leichten Geste zur Tür. „Ihr Wunsch ist mir Befehl. Außerdem ist Ihr Flug bereits gebucht.”




KAPITEL VIER


Adele näherte sich der dritten Parkebene mit einem leichten Wippen im Schritt. Es war mehr als zwei Monate her, dass sie das letzte Mal im Ausland gewesen war. Sie kannte ihr Ziel genau und, obwohl das Parkhaus dicke Mauern hatte, fühlte es sich so an, als würde ihr der Wind durchs Haar streichen. Roots konnte warten – jetzt, wo sich die Gelegenheit aufgetan hatte, war sie plötzlich erleichtert darüber, dass sie wieder reisen konnte. Eine Ablenkung von dem Gedanken an ihre derzeitige Lebensphase und ihre Ziele im Leben? Vielleicht – oder aber, vielleicht waren manche Menschen einfach nicht dazu bestimmt, zu lange an Ort und Stelle zu bleiben.

Sie räusperte sich und rückte ihren Ärmel zurecht, als ein paar Kollegen an ihr vorbei, durch die Sicherheitsschiebetür aus Glas in Richtung der Metalldetektoren und der postierten Wachen, gingen. Adele nickte zur Begrüßung, setze ihren Weg dann wieder zum hinteren Teil des Parkhauses fort, wo sie ihre Limousine geparkt hatte.

Sie war für einen Moment unaufmerksam gewesen.

Plötzlich stand jemand an ihrem Auto.

Ihre Hand näherte sich ihrer Dienstwaffe an der Hüfte, aber ihre Finger froren ein, als sie die Silhouette mit lockigem Haar erkannte. Er hatte trainiert; seine Arme waren mindestens einen Zentimeter breiter, als beim letzten Mal, als sie ihn gesehen hatte, seine Taille war einen Zentimeter schmaler. Sie musterte ihn einmal von oben nach unten und genoss die Aussicht einen Moment lang, bevor sie sich bemerkbar machte.

„Angus?“, rief sie.

Ihr Ex-Freund drehte sich plötzlich um und blinzelte sie an. Er trug keine Brille mehr. Kontaktlinsen? Gelasert? Sein Haar war länger, als sie sich erinnerte und er hatte eine neue, kaum sichtbare Narbe auf der Oberlippe.

„Oh, hey… Adele“, sagte er und räusperte sich. Früher nannte er sie oft beim Kosenamen, aber jetzt sprach er ihren Namen aus, als hätte er ihn aus Angst vergessen.

„Was machst du hier?“, fragte sie, ohne den Gruß zu erwidern.

Angus trat unsicher auf der Stelle und lehnte sich schließlich gegen die Motorhaube ihres Autos. Adele sah mit einem strengen Gesichtsausdruck dorthin, wo er saß und hustete. Als Angus ihren Blick bemerkte stieß er sich schnell vom Auto ab, wobei er entschuldigend die Hände hob. „Oh, Entschuldigung, Entschuldigung“, sagte er schnell. „Ich war gerade… war gerade in der Gegend und wollte sichergehen, dass…"

„Ich habe deine Nachrichten erhalten.”

„Oh…“, sagte er leiser. „Oh“, wiederholte nochmal mit verletzlicher Stimme.

Adele atmete durch die Nase ein und versuchte, ihre Gedanken an Morde in den Alpen wegzulenken und sich auf ihren unbeholfenen Ex-Freund zu konzentrieren.

„Hör zu, Angus, ich wollte dich nicht ignorieren – ich war einfach ziemlich beschäftigt. Du würdest nicht glauben, wie viel Papierkram sich auf meinem Schreibtisch angesammelt hat.”

Angus nickte und hatte immer noch einen verletzten Blick in seinen Augen. „Ich verstehe schon“, sagte er langsam. Er blickte über die dritte Ebene des Parkplatzes hinaus in den Nachmittagshimmel. Dann hielt er ihr eine braune Papiertüte entgegen.

„Ich habe dir etwas mitgebracht – sie hatten es im Laden neben der Arbeit. Naja, eigentlich waren es ein paar Blocks. Ich musste ein paar Läden abklappern, um es zu finden… Aber, ja, hier ist es.”

Er lächelte und wedelte mit der Papiertüte herum.

Widerwillig nahm Adele das Geschenk an, um ihm nicht noch ein schlechteres Gefühl zu geben. Sie warf einen Blick in die Tüte und ein Teil ihres vorher gezwungenen Lächelns wurde zu einem echten. „Oh, Angus“, sagte sie mit leiser, trauriger Stimme.

„Das hättest du nicht tun sollen.”

„Ich erinnere mich daran, dass es dein Lieblingsessen ist. Du hast sie jeden Morgen zum Frühstück gegessen. Ich mag auch Schoko-Cerealien, aber, haha, nicht so sehr wie du.“

Er nickte in Richtung der Packung Chocapic-Cornflakes.

„Die ist aus Deutschland, oder?”

Angus wusste natürlich von ihrer dreifachen Staatsbürgerschaft – amerikanisch väterlicherseits, französisch mütterlicherseits und die deutsche Staatsbürgerschaft hatte sie aufgrund des Umzugs ihrer Familie nach Deutschland erhalten. Aber obwohl er es wusste, fiel ihr manchmal auf, wie aufmerksam Angus war. Manchmal zu aufmerksam und dass manchmal, ihrer Meinung nach, zu vielen Menschen gegenüber. Sie wusste, dass sie dadurch egoistisch wirkte, aber es gab etwas, das Adele daran gefiel, die Einzige zu sein, der diese weiche Seite ihres Partners zu Teil wurde. Angus hingegen war wie ein Golden Retriever – er würde seinen Bauch jedem zeigen. Als Kind hatte Adele immer Pitbulls bevorzugt. Zuverlässig, intelligent und einer einzigen Person gegenüber äußerst loyal.

„Frankreich“, sagte sie.

„Wie bitte?“

„Die Cornflakes, sie kommen aus Frankreich. Unwichtig. Angus, du bist nicht den ganzen Weg hierhergekommen, um mir eine Schachtel von meinem Lieblingsfrühstück zu bringen.”

Er kratzte sich am Hinterkopf und zerzauste sein lockiges Haar. Sie konnte noch die Abdrücke entlang seiner Wangen sehen, wo er früher seine Brille getragen hatte, unscheinbar, ganz leicht – vielleicht war es aber einfach nur ein Sonnenabdruck. Er symbolisierte etwas Vergangenes – eine Erinnerung.

„Ich wollte reden“, sagte er vorsichtig. „Ich habe viel nachgedacht… und mir dafür wirklich etwas Zeit genommen…“ Er begann, schneller und lauter zu sprechen und Mut zu fassen, als hätte er diese Worte schon einmal geprobt.

Adele beobachtete ihn geduldig und ruhig, ließ ihn sprechen, hatte aber Angst davor, auf was er hinauswollte. Wollte er wieder mit ihr zusammen sein? Worum ging es? Wollte sie es überhaupt wissen?

Sesshaft werden, Wurzeln schlagen, darüber hatte sie immer wieder nachgedacht. Wurzeln waren sicher. Die Wurzeln waren zuverlässig. Wurzeln waren ein Zuhause – ein Ort, an den man zurückkehren konnte.

Adele schaute an der Parkhausdecke vorbei, studierte den Horizont und warf einen Blick in den weit entfernten Himmel. Eine leise Stimme – ein Teil von ihr, von dem sie behauptete, er sei nicht da – meldete sich zu Wort. Wurzeln waren restriktiv. Wurzeln waren wie Ketten. Wurzeln hielten einen gefangen.

„Hör zu, Angus“, sagte sie und unterbrach ihn mitten im Satz. „Wir können reden. Ich verspreche, wir werden reden. Aber jetzt ist kein guter Zeitpunkt.”

Angus sah ihr bedrückt nach, als sie sich an ihm vorbei zum Auto bewegte. Sie öffnete die Tür ihres Wagens und warf die Papiertüte mit dem Chocapic auf den Rücksitz. Sie drehte sich um, lächelte entschuldigend und zuckte mit den Schultern. „Ich verspreche es“, wiederholte sie, „Bald“.

„Ich habe einen Fall außerhalb der Stadt. Wenn ich zurück bin, reden wir. Okay?”

Angus hielt inne, den Mund halb geöffnet. Er war wirklich immer nett zu ihr gewesen. Der verletzte Gesichtsausdruck gab ihr das Gefühl, gerade einen Welpen mit Füßen getreten zu haben. In ihr stieg ein so starkes Schuldgefühl in der Brust auf, dass sie verzweifelt versuchte, die Emotion zu unterdrücken. Sie wusste, wenn sie ihn ansah und noch länger bliebe, würde sie ihre Meinung ändern. Sie würde ihn anhören. Und dann… Seine Worte hatten die Macht, die Menschen zu überzeugen. Und Adele war sich nicht sicher, ob sie überzeugt werden wollte. Außerdem war er derjenige, der mit ihr Schluss gemacht hatte. Nur weil er seinen Scheiß jetzt geregelt hatte, hieß das nicht, dass es ihr gleich erging.

Schnell stieg sie in ihr Auto, lächelte ihren Ex noch einmal entschuldigend an und schloss die Tür. Das unüberwindbare Gefühl der Einsamkeit, der Schuldgefühle und der Verwirrung trieben sie dazu sich schnell auf den Fahrersitz zu setzen und nur noch zu sagen: „Später. Das verspreche ich. Es tut mir leid, Angus. Wirklich, ich möchte auf jeden Fall reden. Nur nicht jetzt gleich. Ist das okay?”

Er nickte traurig. „Es tut mir leid, Adele. Ich hätte nicht herkommen sollen, du hast Recht. Wie sieht es bei dir nächstes Wochenende aus?”

Sie dachte kurz nach und zuckte dann mit den Schultern. „Die Lösung des Falls wird eine Weile dauern. Ich muss nach Europa. Ich gebe dir Bescheid, wenn ich zurück bin. Ja, wirklich. Das werde ich.”

Und damit zündete sie den Motor und fuhr Angus zuwinkend, an den anderen geparkten Autos vorbei aus der Parklücke. Als sie den Parkkomplex hinter sich ließ, weigerte sie sich, über ihre Schulter zu schauen und verweigerte sich jeglichen Versuch in den Rückspiegel zu sehen. Stattdessen richtete sie ihre Augen auf die vor ihr liegende Fahrbahn.

Es gab einen Mörder in den Alpen. Vielleicht ein Serienmörder. Zwei Paare, die zweihundert Meilen voneinander entfernt vermisst wurden. Sie musste Prioritäten setzen und sich konzentrieren. Adele umschloss fest das Lenkrad, verdrängte die Gedanken an Angus aus ihrem Kopf und katalogisierte jeden Gegenstand, den sie für die Reise einpacken musste. Während sie sich immer weiter vom Parkhaus entfernte, stieg ihr Adrenalinspiegel und ihre Wangen glühten.

Die Jagd ging weiter.


***

Erste Klasse, keine Zwischenlandungen. Das war ein Leben. Zumindest wäre es das gewesen, wenn da nicht die blutigen Bilder eines Gemetzels über dem heruntergeklappten Flugzeugtisch verteilt gewesen wären. Adele studierte die Fotos vom Tatort, hörte dem Summen der Düsentriebwerke zu und – wie so oft – schaute sie auf, um sicherzugehen, dass keine Flugbegleiter vorbeikamen. Vor einigen Jahren hatte sie auf die harte Tour erfahren, welche Auswirkungen einige dieser Fotos auf die breite Öffentlichkeit hatten.

Einen Ohnmachtsanfall einer weiteren Flugbegleiterin über dem Atlantik verursachen? Das wäre nicht ideal.

Adele verlagerte sich etwas in Richtung des Fensters und glitt an der gepolsterten Rückenlehne entlang nach unten, um einige der Fotos vor neugierigen Blicken zu schützen. Mr. und Mrs. Beneveti waren vor zwei Tagen gefunden worden, in Stücken verstreut um eine Ansammlung von Bäumen herum. Mr. und Mrs. Hanes, das Schweizer Ehepaar, waren fast eine Woche zuvor verschwunden und bisher noch nicht wieder aufgetaucht.

Hunderte von Kilometern trennten die beiden vermissten Paare. Ihre einzige Verbindung: Reichtum, Einfluss und die Alpen.

Adeles runzelte die Stirn und streckte die Hand aus, um einen Schluck von ihrem Eiswasser zu nehmen und stellte den Becher dann in die Halterung zurück. Sie stieß einen langen Atemzug aus, ein Geräusch, das sich im Surren der Düse der Klimaanlage verlor. Sie klopfte mit den Fingern auf den Rand ihres Klapptisches herum und glättete eines der Fotos, das sich weigerte, flach auf dem Tisch liegen zu bleiben.

„Ein Bärenangriff?“, murmelte sie vor sich hin und ließ die Frage unbeantwortet.

Es machte nicht den Eindruck. Nicht laut dem vorläufigen Bericht – obwohl sie immer noch auf die Bestätigung des Gerichtsmediziners warteten. Und doch machte eine schnelle Online-Suche überdeutlich, dass die Öffentlichkeit immer noch davon überzeugt war, dass die Braunbären mit aller Kraft in die Alpen zurückgekehrt waren. Aber es gab keine Bissspuren und einige wenige Stellen, die aussahen, als seien sie durch Krallen verursacht worden, könnten auch leicht durch ein Beil oder eine Axt herbeigeführt worden sein. Einige der Schnitte waren gezackt – vielleicht von einer verrosteten Axt. Einer stumpfen Machete?

Adele zuckte zusammen bei dem Gedanken an das Paar, das sich im kalten Wald zusammenkauerte, um tagsüber einen Skiausflug zu machen, nur um dann von…

Wodurch? Von wem?

Adele sah sich die Fotos erneut an und ordnete die Informationen. Es gab FBI-Agenten, die viel klüger waren als sie, andere, die mehr Verbindungen hatten und wieder andere mit einem größeren Talent. Aber es gab nur sehr wenige, die härter arbeiteten als sie, die auf die Details achteten.

Der Teufel steckte im Detail. Und, wie es aussah, auch in den Alpen.




KAPITEL FÜNF


Das Fahrzeug, in dem sie abgeholt worden war, wollte gerade die Auffahrt des Wolfsschlucht Resort einbiegen, als Adele sich bei ihrem Fahrer bedankte und ausstieg, und die Gelegenheit nutzte, sich etwas die Beine zu vertreten um frische Luft zu schnappen. Der Fahrer rief ihr aus dem Auto zu. „Brauchen Sie eine Wegbeschreibung?”

Adele warf einen Blick zurück und schüttelte schwach den Kopf.

„Nein, danke – ich treffe mich hier mit jemandem.”

Der Fahrer winkte und drehte bereits um, um wieder zur Hauptstraße zu gelangen. Adele holte ihr eigenes Gepäck aus dem Kofferraum; sie hätte das niemals vom Fahrer verlangt, obwohl einige Agenten es als Teil des Services betrachteten.

Mit ihrem Rollkoffer in einer Hand, stand sie im Herzen der Kreisverkehr ähnlichen Auffahrt vor dem Resort. Als sie zum ersten Mal vom Wolfsschlucht Resort gehört hatte, hatte sie sich zunächst ein Hotel mit ein paar Skipisten vorgestellt, vielleicht ein oder zwei Hallenbäder. Doch was sie nun vor sich sah, erschien ihr eher wie ein ganzes Dorf, das mit Schnee gespickt und von allen Seiten von der unberührtesten Landschaft umgeben war, die sie je gesehen hatte.

Als sie am Rande des Kreisverkehrs stand, direkt unterhalb des Bordsteins des größten Gebäudeteils, nahm sie die Reihe blauer Glasfenster und malerischer Gebäude in Augenschein, die die Straße säumten und zum Bergpass hinaufführten, wo die schneebedeckten Berge und grünen Zweige die Hütten, Hotelflügel und Nebengebäude umgaben. Es gab sogar eine Kapelle aus Stein und einen isolierten Wasserturm, der stolz den Namen des Resorts trug.

Ihr Vater hätte es den Himmel auf Erden genannt. Allein der Anblick war faszinierend – die perfekte Mischung aus menschlicher Anstrengung und natürlicher Kunst.

Adele blickte auf ihren Koffer hinunter, ordnete ihre Gedanken und versuchte, sich darauf zu konzentrieren, warum sie hier war.

„Hallo!“, rief eine Stimme aus dem Inneren des Hotels vor ihr. Das Gebäude schien mehr aus Glas als aus Wänden zu bestehen, als hätten die Architekten keine Gelegenheit auslassen wollen, die Schönheit der Alpen zu präsentieren.

Adele drehte sich zu den Schiebetüren hin, die sich geöffnet hatten, und eine junge Frau – nicht älter als 21 Jahre – stand Adele fröhlich zuwinkend in der Tür.

Adele lächelte und erkannte die Frau. Ihr Haar war viel kürzer als beim letzten Mal, als sie sich getroffen hatten – fast rasiert, um genau zu sein. Alles an der jungen Frau deutete auf Disziplin und Ordnung hin. Sie trug einen schwarzen Anzug und Stiefel, die von der schieren Menge Politur zu glänzen schienen. Ihre Augen waren hell und eifrig und sie winkte Adele zu, hielt die Geste dann aber nach der Hälfte der Bewegung an und nickte zur Begrüßung, als ob sie befürchtete, ihr Eifer könnte als unprofessionell empfunden werden.

„Hallo“, sagte die Frau erneut, als sich Adele näherte, auf den Bürgersteig trat und ihren Koffer in der einen Hand hielt, während sie in der anderen Hand ihre Laptoptasche trug.

„Ich bin Agent Beatrice Marshall“, sagte sie mit einer leichten Bewegung ihres rasierten Kopfes. Sie sprach fast perfektes Englisch, mit nur dem geringsten Anflug eines Akzents.

Adele nickte zurück. „Ich weiß“, antwortete sie, auch auf Englisch. „Wir haben schon einmal zusammengearbeitet.”

Agent Marshalls Lächeln kehrte daraufhin zurück. „Ich erinnere mich! Ich war mir nur nicht sicher, ob Sie sich erinnern würden, Agent Sharp. Es ist mir ein Vergnügen, wieder mit Ihnen zu arbeiten.”

„Ich freue mich auch. Also…“ Adeles Tonfall wurde düster und sie hielt in der Glastür des beeindruckenden Hotels inne. Das Atrium war eine Kombination aus lackierten Holzbalken und Naturstein. Ein kleiner Wasserfall strömte mit sanftem Plätschern in einen Teich am Tresen. Ein Mann in goldener und kastanienbrauner Uniform nickte den beiden Frauen zur Begrüßung höflich zu, wandte seine Aufmerksamkeit dann aber wieder einem Computer hinter dem Check-in-Schalter zu.

„Also…?“, sagte Agent Marshall. „Ich kann Ihnen Ihr Zimmer zeigen, wenn Sie möchten.”

Adele machte eine Pause. „Das wäre toll. Das ist der Ort, an dem das Paar verschwunden ist, ja?”

BKA-Agentin kräuselte die Nase und sie nickte einmal. „Sie wurden nur ein paar Kilometer von hier von einem der Bergrettungsteams gefunden. Sie sind in Bereitschaft, falls Sie mit ihnen sprechen möchten.”

Adele überlegte kurz, nagte an ihrer Lippe, entschied sich dann aber dagegen. „Noch nicht“, sagte sie vorsichtig. „Später, vielleicht. Aber ich würde mich gerne mit der DGSI in Verbindung setzen und ein paar Anrufe tätigen, wenn das in Ordnung ist.”

„Agent Renee!“, rief die junge Agentin. „Ich erinnere mich!”

Adele runzelte die Stirn. „Nicht nur John, äh, Agent Renee. Ich habe auch noch andere, mit denen ich sprechen muss.”

„Natürlich, ja, natürlich. Ich wollte damit nichts andeuten.”

Adeles Stirnrunzeln wurde tiefer und Agent Marshall schien zu erkennen, dass sie sich auf dünnem Eis bewegte. „Es ist gut zu sehen, dass Sie für dieses Wetter richtig gepackt haben“, sagte sie und nickte in Richtung Adeles Mantel. „Wie Sie sehen könnten, gibt es im Hotel viele Annehmlichkeiten. Ich zeige Ihnen das Zimmer, soll ich? Das Hotelpersonal wurde angewiesen, Sie nicht zu belästigen und Ihr Zimmer zu meiden. Wir haben ein vorübergehendes Schloss an den Schlüsselkartenlesern, um jegliches Schnüffeln zu verhindern.”

Adele folgte der jüngeren Agentin, als sie sie an dem kleinen Wasserfall vorbei und zu einer Treppe aus Stein mit geschwungenem, poliertem Geländer aus Holz führte.

Auch ihr Zimmer war ganz in Glas und Holz gehalten, mit herrlichem Blick auf die Berge und Täler dahinter. Ihre Augen folgten den schneebedeckten Bergen und den mit weiß bestäubten Wäldern, als sie ihren Koffer neben das Bett stellte und ihr Telefon herauskramte.

Sie wählte zunächst Johns Nummer, runzelte dann ein wenig die Stirn und wählte stattdessen Robert.

Keine Antwort.

Sie trat ungeduldig auf der Stelle und entschied sich dann doch dafür Johns Nummer zu wählen, wobei sie versuchte ihr Handy mit ihrem Körper vor Agent Marshall abschirmte, die geduldig im Türrahmen wartete. Zu sich selbst murmelnd hielt Adele ihr Handy ans Ohr und wartete darauf, dass John abhob.

Ein paarmal Klingeln später hörte sie erst ein Rauschen, dann Agent Renees Stimme, die laut und wütend auf Französisch durchs Telefon dröhnte. „Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen aufhören, mich anzurufen. Ich schwöre, ich werde Sie jagen und Ihr Haus niederbrennen – verstehen Sie mich? Ich will Ihre beschissene Feuchtigkeitscreme nicht und wer auch immer meinen Namen auf Ihre Anrufliste gesetzt hat, wird es bitter bereuen!”

Dann, bevor Adele auch nur ein Wort sagen konnte, legte John auf und sie stand da, wie angewurzelt und etwas verwirrt. Adele atmete durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus und zählte langsam in ihrem Kopf. Einundzwanzig, Zweiundzwanzig.

Dann wählte sie erneut und wartete, sie wurde langsam ungeduldig. Agent Marshall beobachtete sie neugierig von der Tür aus.

„Was zur Hölle?!“, John begann ausfallend zu werden. „Glauben Sie, ich mache Witze, weil…“

„John, ich bin's“, polterte Adele auf Englisch heraus. „Adele. Halt mal kurz die Klappe.”

Eine Pause. Dann ein sanftes Räuspern, eine weitere Pause in peinlichem Schweigen. Dann sagte John mit abgehackter, gezwungen ruhiger Stimme, jetzt auf Englisch: „Adele? Wie schön, von dir zu hören.”

„Ganz meinerseits.“ Ein leichtes Lächeln berührte, ihre Mundwinkel, verblasste dann aber ebenso schnell wieder. Sie runzelte die Stirn. „Warte mal – warum ist meine Nummer nicht in deinem Handy gespeichert?”

John grunzte auf der anderen Leitung. „Ich habe nur zwei Nummern in diesem Handy gespeichert. Die Nummer von der Arbeit und die meiner Mutter.”

Adele rollte mit den Augen, sagte: „Ich verstehe. Und Feuchtigkeitscreme, hm? Welche Art von Abonnements hast du sonst so abgeschlossen?”

„Lustig. Wie ich hörte, hast du wieder einen Fall auf dieser Seite des großen Teiches.”

Adele nickte, dann bemerkte sie, dass John sie nicht sehen konnte und ging näher an das vom Boden bis zur Decke reichende Fenster heran, wobei ihr Atem das Glas beschlagen ließ, während sie in die Alpen starrte. „In den Bergen, ja“, sagte sie. „Eigentlich ist das der Grund, warum ich anrufe. Es gab ein zweites Paar – Schweizer. Auch sie sind verschwunden.”

„Die Haneser, ja“, sagte John. „Verschwunden in Frankreich, auch in den Bergen.”

Adele räusperte sich und neigte den Kopf leicht. „Ah, du weißt also schon Bescheid.”

„Ich weiß nicht nur Bescheid.“, sagte John, der jetzt, da sie auf Englisch sprachen, etwas langsamer war. „Ich arbeite daran, zusammen mit Robert.”

„Du bist? Perfekt – ich wollte mich ohnehin mit der DGSI abstimmen. Glaubst du, dass…“

„Naja, eigentlich, Adele, möchte der Exekutive, dass die Fälle getrennt bleiben. Er will sich nicht in den deutschen Fall einmischen. Im Moment behandeln wir die Fälle als hätten sie nichts miteinander zu tun.“, sagte er mit einem entschuldigenden Ton in seiner Stimme. Dann machte er eine kurze Pause.

Adele fühlte, wie sie den Kopf schüttelte. „Wir können noch nicht wissen, ob sie miteinander zusammenhängen oder nicht“, sagte sie. „Sicherlich weiß Foucault das.”

Renee seufzte am anderen Ende und atmete so laut in den Lautsprecher, dass Adeles Ohr zu pfeifen begann. Sie zuckte zusammen, wartete aber noch, während der Franzose weitersprach. „Das weiß ich. Das weißt du. Aber es geht hier um Politik.“ Er sagte Politik, als wäre es ein schmutziges Wort sagen.

„Oh? Welche Politik?”

„Lass es mich so ausdrücken. Wer ist dein Babysitter?”

Adele warf der jungen deutschen Agentin im Türrahmen einen verstohlenen Blick zu. Sie räusperte sich und sagte feinfühlig: „Eine alte Bekannte.”

„Ah ja. Aber er oder sie ist vom BKA, oder?”

„Positiv.”

„Das meine ich mit Politik. Das BKA hat vor Ort seine Hände im Spiel, zusammen mit den Einheimischen und – wegen unseres Falls – schnüffeln auch die Franzosen herum, und Interpol auch. Auch die Italiener, wollen aufgrund der Nationalität der Opfer an den Ermittlungen beteiligt werden. Das weiß ich aus vertrauenswürdiger Quelle.”

Adele kratzte sich am Kinn. „Ah. Wie groß sind also die Chancen, die DGSI einzuschalten?“, fragte sie mit schwindender Hoffnung.

Ein weiteres Stöhnen am anderen Ende.  „Die Chancen gehen gegen Null. Die DGSI verfolgt da einen klaren Kurs. Foucault sagte etwas über zu viele Köche, die den Brei verderben. Ich habe es nicht ganz verstanden. Ich glaube, er hat mir durch die Blume gesagt, dass ich ein Feigling bin.”

Adele seufzte, hielt sich ihre freie Hand vor die Augen und ging langsam vom großen Fenster weg in Richtung der kleinen Küchenzeile im vorderen Teil der Suite. Sie nahm sich ein Glas aus dem untersten Schrank und begann, etwas Wasser einzuschenken, wobei sie den Flaschendeckel nur leise öffnete, um viel Lärm zu vermeiden.

„Okay“, sagte sie, als John fertig war. „Aber das Schweizer Ehepaar – Ihr untersucht diesen Fall, oder?”

„Richtig. Robert und ich arbeiten als Partner an diesem Fall. Ich muss sagen, dein alter Chef ist das, was die Jungs in der Einheit einen Schläfer genannt hätten.”

„Schläfer?”

„Er macht anfangs nicht den Eindruck, als hätte er etwas drauf, aber wenn er sich erst einmal festgebissen hat, geht er ab wie eine Rakete. Guter Mann. Er ist seltsam, aber ich mag ihn.”

Adele schmunzelte über die Beschreibung ihres alten Mentors. Sie stellte sich Robert vor; ein kleiner, prüder, überkorrekter Mann mit Haarteil und zwei fehlenden Zähnen. Er war wie ein Vater für sie gewesen und der beste Detective, den sie kannte.

„Hey, ähm, Mist, ich muss los, American Princess. Ich schreibe dir eine Nachricht, wenn es Neuigkeiten gibt. Hmm, eigentlich, streich das – Robert wird dich auf dem Laufenden halten.”

„Erzähl mir nicht, dass du meine Nummer trotzdem nicht einspeichern wirst“, sagte Adele spielerisch.

John kicherte. „Vielleicht eines Tages, hm? Noch eine Sache… Warte mal.“ Johns Stimme wurde leiser, was nur bedeuten konnte, dass er das Telefon zur Seite gelegt hatte. Adele hörte ihn von etwas weiter im Raum rufen: „Bleib dran – leg bloß nicht auf! Bleib dran!“ Dann, wieder lauter, sagte er: „Ich muss los. Aber Adele, bitte, pass auf dich auf.”

Adele hielt ihr Glas Wasser und starrte auf die teuren Holzschränke in der Küchenzeile.

„Bin ich immer. Warum gerade jetzt?”

„Ich meine nicht die mordenden Grizzlybären, oder was immer das sein soll. Ich meine deine Babysitter, die Medien. Die Politik.“ Damit machte er die Situation noch schlimmer. Adele war diese vermeintliche Gefahr vorher nicht bewusst gewesen.

„Ich werde vorsichtig sein.“ Adele nahm einen Schluck aus ihrem Glas, sie weigerte sich, dorthin zu sehen, wo Agent Marshall immer noch geduldig in der Tür wartete.

„Ja, aber ich meine es ernst. Unsere Vorgesetzten wollen um jeden Preis vermeiden, dass die Verbindung zwischen den vermissten Paaren durchsickert. Verstanden? Wir reden hier von einem echten Karrierekiller, wenn das rauskommt. Normalerweise ist es mir scheißegal, was diese Sesselfurzer wollen, aber du bist eher der Karriere-Typ, oder?”

„Ich werde vorsichtig sein. Danke, John.”

Ohne sich auch nur zu verabschieden, legte John auf und Adele hörte wieder einmal nichts als Stille aus dem Telefonhörer. Sie rümpfte die Nase und steckte ihr Telefon in die Tasche, nahm einen weiteren großen Schluck aus ihrem Glas Wasserglas und versuchte zu verarbeiten, was ihr gerade gesagt worden war.

„Ah, Verzeihung?“, rief Marshall von der Tür aus an und brachte sie dazu Adele zurück ins Englische zu wechseln. Der junge Agent winkte mit der Hand.

Adele blickte hinüber.

„Entschuldigung“, wiederholte Marshall auf Englisch, „Aber, ähm“, räusperte sie sich.

„Wer war das?”

Adele hob eine Augenbraue. „Verzeihung?”

Marshall zuckte kurz vor Verlegenheit, ließ aber nicht locker und deutete auf Adeles Tasche. „Mit wem haben Sie auch geredet – nur, es ist wichtig, dass wir einige Details des Falles unter Verschluss halten. Eigentlich sehr wichtig. Wichtiger als…“ Sie runzelte die Stirn und hielt sich dann aber zurück, schüttelte den Kopf und wartete geduldig auf Adeles Antwort.

Sie wollte sagen, wichtiger als den Fall zu lösen. Adele war sich dessen sicher. Sie schüttelte müde den Kopf. „Nur ein Gesetzeshüter. Es ist alles in Ordnung.“ Stirnrunzelnd verstaute sie das Glas und wandte sich wieder Agent Marshall zu. „Sollte ich etwas über die Hintergründe des Falles wissen?”

Marshall sah erleichtert aus und lächelte höflich, aber etwas komisch von der Tür aus. „Hintergründe?”

Adele nickte. „Richtig – jeder scheint übervorsichtig an diesen Fall heranzugehen. Könnten Sie mir sagen, warum?”

Agent Marshall nagte an ihrer Lippe und Adeles Augen verengten sich. Die jüngere Agentin mimte die unschuldige und unerfahrene, aber man wurde nicht ohne ein gewisses Maß an Gerissenheit und Disziplin BKA-Agentin. Sie wusste nicht, ob es sich um eine Handlung oder einfach nur um ein Persönlichkeitsmerkmal handelte, aber sie wäre dumm, wenn sie in der Nähe eines Agenten einer anderen Behörde nicht auf der Hut wäre.

„Okay“, sagte Marshall und räusperte sich. „Das ist nicht allgemein bekannt, aber ein Grund dafür, dass die Einheimischen auf einen Bärenangriff plädieren, ist, um die Aufmerksamkeit von der Brisanz des Falls abzuhalten. Ein Bärenangriff? Wird schnell wieder in Vergessenheit geraten. Aber zwei vermisste Paare? Möglicherweise ermordet.”

Adele fokussierte Marshall, ohne zu blinzeln. „Warum?“, fragte sie schlicht und einfach.

„Ich selbst kenne das Ausmaß nicht. Aber nach dem, was man mir gesagt hat, müssen Sie es wohl wissen.“ Diesmal war Marshall an der Reihe, ihre Stimme zu senken und ihr über die Schulter zu schauen. Sie ging weiter in den Raum und schloss die Tür hinter sich. „Es gibt noch ein weiteres Ferienresort in der Region Wettersteinspitzen. Es heißt Wetter Retreat.”

„Und?“

„Also“, antwortete sie und zögerte das Wort über das übliche Maß hinaus. „Das Resort wird morgen eröffnet. Verstehen Sie?”

Adele blinzelte. „Ein Resort wie dieses hier?“ Sie blickte wieder zum Fenster, zu den vielen Gebäuden, die das Haupthotel umgeben.

„Eigentlich sogar noch größer. Und teurer“, sagte Marshall. „Wir sprechen hier von Hunderten von Millionen, die investiert wurden. Und wenn vor der Eröffnung herauskäme, dass ein Mord ganz in der Nähe stattgefunden hat… Sie können sich die Presse und die wirtschaftliche Katastrophe vorstellen, ja? Tausende von Arbeitsplätzen, Tourismus, Infrastruktur. Verloren.“

Sie schüttelte den Kopf.

Adele starrte Marshall an. Sie fühlte ein kaltes Frösteln an ihren Handrücken, während sie die jüngere Agentin entgeistert ansah. War Marshall hier, um bei der Lösung des Falls zu helfen? Oder um Adele daran zu hindern, Ärger zu verursachen?

Sie konnte es nicht fassen. „Ein Multimillionen-Dollar-Projekt wird morgen eröffnet… Lassen Sie mich raten, alle möglichen Politiker und Prominente usw. … Das volle Programm?”

„Ich weiß nicht, was Sie mit dem vollen Programm meinen“, sagte Marshall. „Aber ja, es werden wichtige Leute dort sein. Verstehen Sie? Wir müssen Stillschweigen bewahren.”

Ob ich das verstehe? Ja, dachte sich Adèle. Sie begann nur allzu gut zu verstehen. Sie wollten nicht, dass Adele den Fall löste, sie wollten, dass sie ihn unter den Teppich kehrte; dass sie die Dinge unter Verschluss hielt. Oder sie sollte den Fall still und heimlich hinter den Kulissen lösen.

„Schon gut“, sagte Adele kurz angebunden. „Können wir wenigstens mit dem Such- und Rettungsdienst sprechen? Den Tatort sehen? Ich habe gehört, dass er im Wald liegt – ich schätze, so weit abgelegen, dass sich niemand davon auf den Schlips getreten fühlt.“

Marshall lächelte, obwohl sie es zu unterdrücken versuchte. „Ja, natürlich. Ich rufe den Teamleiter an, er soll uns dort treffen. Brauchen Sie noch etwas? Essen? Ich könnte etwas bestellen…“

„Mir geht es gut“, fiel ihr Adele in Wort. „Ich würde gerne den Tatort sehen. Haben Sie ein Auto?”

Agent Beatrice Marshall nickte erneut und drehte sich ohne ein Wort um, öffnete die Hotelzimmertür und ging in den Flur hinaus, mit einer freundlichen Geste, die Adele signalisierte  ihr zu folgen.




KAPITEL SECHS


Adele erinnerte sich, warum sie sich für San Francisco als Wohnort in den USA entschieden hatte. Manche Menschen waren einfach nicht für die Kälte geschaffen.

Sie zog ihre Kapuze weit über die Ohren und straffte die Zugbändern der dicken Flanelljacke, um ihren Hals vor dem kalten Wind zu schützen. Jede Brise wurde zu einer Herausforderung, jedes leise Knirschen des Schnees unter ihren Stiefeln versetzte ihr eine Gänsehaut. Der Weg war nicht lange zuvor geräumt worden und dafür war Adele dankbar. Ohne ihre robusten Stiefel vermutete sie, wären, die zwei Meilen vom Parkplatz durch den Schnee zu stapfen eine Farce gewesen. Schlimmsten Falls wären ihr dabei die Füße abgefroren.

Vor ihnen führte Luka Porter, der Leiter des freiwilligen Bergrettungsteams, die beiden Agenten entlang der verschneiten Skipisten.

„Neuschnee“, rief er auf Deutsch über die Schulter und fuhr mit seinem Handschuh durch den pulvrigen Schnee.

„Ich sehe Skispuren; sind sie frisch?“, rief Adele. Sie räusperte sich, schluckte ein paar Mal und stellte fest, dass nicht nur ihre Lippen rissig, sondern auch ihre Kehle trocken war.

Sie vermisste San Francisco. Innerlich murrend, aber sich weigernd, ihren deutschen Kollegen Schwäche zu zeigen, folgte Adele Luka in einen Baumhain am Ende des zugeschneiten Weges.

Er zeigte mit der Hand auf den Hain. „Hier habe ich sie gefunden“, sagte er leise. Seine Worte klangen düster. „In Stücke gerissen – wirklich scheußlich. Viel Blut“, fügte er hinzu. „Wahrscheinlich waren sie noch am Leben, während sie verstümmelt wurden.“ Er schauderte, sein Gesicht wurde blass.

Adele nickte und sah zu den Bäumen hinüber. Abgesehen von kaum sichtbaren Skispuren, von denen sie vermutete, dass sie von Such- und Rettungsmannschaften stammten, gab es kaum physische Beweise. Dem Bericht zufolge waren keine Fußabdrücke gefunden worden und die Leichen waren längst geborgen worden – zumindest das, was von ihnen übriggeblieben war.

„Was ist Ihre Theorie?“, fragte sie. Sie ließ ihren warmen, nebligen Atem in Richtung der Baumblätter strömen, die durch das Licht der Sonne, Muster auf dem Boden abzeichneten.

Luka kratzte sich unter seiner Thermomütze an einem Ohr. „Ein Braunbär, höchstwahrscheinlich“, sagte er wissentlich. „Sie waren jahrzehntelang aus den Alpen verschwunden, aber vor ein paar Jahren gab es einige Sichtungen. Wir sind nur“ – er blickte über seine Schulter und dann hinunter auf eine Smartwatch an seinem Handgelenk – „etwa zwei Meilen von dem Resort entfernt, in dem sie sich aufhielten.”

„In dem Resort, in dem Sie untergekommen sind“, sagte Agent Marshall leise, die hinter Adele stand.

Adele nickte, um zu zeigen, dass sie es verstanden hatte, schwieg aber weiter, um von Lika weitere Informationen zu erhalten.

„Ich habe keine Bärenspuren gesehen“, fügte er hinzu. „Aber der Schnee hat das meiste verdeckt.“, sagte er Achsel zuckend. „Wirklich schade – ich bin mir nicht ganz sicher, was die beiden in diesem Hain gemacht haben. Ich vermute, Mr. Und Mrs. Beneveti waren auf einem Skiausflug und der Bär entdeckte sie und ergriff seine Chance. Sie kamen von der Hauptroute ab und versuchten, sich in den Bäumen zu verstecken.“ Er schüttelte den Kopf.

„Das ist wohl nicht gut ausgegangen.”

„Nein“, sagte Adele. „Ich schätze, das ist es nicht. Sie glauben also, es war ein Bär?”

Luka hielt inne, runzelte die Stirn, als er sich ganz umdrehte und sie ansah.

„Glauben Sie, dass es nicht so war?“

Agent Marshall räusperte sich und schob sich hastig zwischen Adele und Luka. Sie rieb ihre Hände mit den Handschuhen aneinander und atmete hinein, als wolle sie sie wärmen.

„Ich fürchte, wir können die Einzelheiten der Untersuchung nicht besprechen“, sagte sie. „Haben Sie sonst noch etwas gefunden? Haben Sie etwas gesehen?”

Lukas Augen blinzelten gedankenverloren, doch dann sagte er: „Nein, nichts. Obwohl ich gehört habe, dass das Pärchen reich und einflussreich war. Schade, dass ihnen so etwas passiert ist. Das zeigt wohl, dass man mit Geld nicht alles kaufen kann.”

„Danke“, sagte Adele höflich. Dann bewegte sie sich durch den Tatort, langsam, vorsichtig, ihre Augen aufmerksam nach vorne gerichtet. Der schneebedeckte Boden lieferte wenig physische Beweise. Die Tatortfotos, die sie im Flugzeug gesichtet hatte, waren direkt nach dem Fund gemacht worden. Es hatte deutlich weniger Neuschnee gelegen. Aber die Bäume… die Bäume waren immer noch freistehend, sichtbar.

Sie bemerkte keine Schnitte oder Brüche entlang der Bäume – oder in der Nähe der kleinen Äste der Setzlinge. Sie wusste nicht viel über Bären. Aber sie wusste, dass es seltsam war, dass die Bäume selbst unberührt geblieben waren, obwohl ein, zwei Tonnen schweres Muskel- und Fellknäuel hier hereingekommen war, um zwei flüchtende Skifahrer zu jagen.

Nein. Die Fotos vom Tatort ließen auf ein Beil oder eine Axt schließen. Verrostet, vielleicht stumpf. Aber definitiv menschlich. Wer auch immer der Mörder war, er musste sich in der Gegend auskennen. Die Skipiste war bekannt, aber nicht offensichtlich. Wer auch immer die Benevetis getötet hatte, hatte sie beobachtet und auf sie gewartet.

Nun lag es an Adele, herauszufinden, warum.

„Sehen Sie etwas?“, fragte Agent Marshall.

Adele sah zurück und schüttelte den Kopf nur ganz leicht. „Nichts Neues. Wann, sagten Sie, wird dieses neue Resort eröffnet?”

„Morgen“, sagte Marshall. Als sie verstummte, huschten ihre Augen erst zu Luka und zurück zu Adele.

„Millionäre, Politiker und Mord“, sagte Adele mit einem humorlosen Lächeln. „Klingt wie der Anfang eines Films.”

Und nach einer weiteren Untersuchung der Bäume und des schneebedeckten Bodens drehten Adele und die beiden Deutschen um und begannen ihre lange Wanderung zurück auf dem Weg in Richtung des Resorts. Vage konnte Adele nur hoffen, dass der Fall von John und Robert in Frankreich besser lief. Sie hoffte, dass dem Schweizer Paar nicht dasselbe schreckliche Schicksal wie den Benevetis widerfahren war.




KAPITEL SIEBEN


„Schon das zweite Sicherheitstor“, murmelte John auf Französisch. „Was bewachen die hier drin, Hmm? Einen Haufen Gold?“ Er schaute durch die schwach getönte Windschutzscheibe, als sich die automatischen Tore vor dem DGSI-Fahrzeug öffneten und sein Partner den Wagen schließlich weiterfahren konnte.

„Es ist ein sehr exklusives Ferienresort“, sagte Robert geduldig. „Sie legen viel Wert auf Privatsphäre.“

John warf dem viel kleineren Mann einen Blick zu und hob eine Augenbraue.

„Freunde von Ihnen?”

Robert lenkte das Fahrzeug auf der einsamen Straße in Richtung des Resorts, das etwas abgelegen war. Das französische Resort war allein aufgrund seiner Größe schon beeindruckend. Nur wenige andere Länder waren vergleichbar mit dieser Anzahl an Skipisten und Liften – und auch nicht mit den kleinen Dörfern, die durch Seilbahnen miteinander verbunden waren, die durch die Luft schwebten, oder mit den Skipisten, die sich entlang der Berge entlangzogen.

Beide Seiten der Straße, die sie gerade hinauffuhren, waren mit Ornamenten gesäumt – darunter Skulpturen und malerische Pavillons aus Glas und Holz unter alten, hohen Bäumen. Ein paar Wachen, deren Waffen außer Sichtweite versteckt waren, lächelten höflich unter den Blauhelmen hervor und nickten, als das herannahende Fahrzeug vorbeifuhr. Eine der Wachen warf einen längeren Blick in Richtung des DGSI-Wagens. Wahrscheinlich hatte er in den Monaten, in denen reiche Touristen in auffälligen Coupés unterwegs waren, noch nie eine normale Limousine gesehen.

„Bonjour!“, rief der Soldat und hob seine flache Mütze zum Gruß. Sogar die Wache nippte an einer Tasse Glühwein und schien schnell eine Zigarette in einem Aschenbecher ausgedrückt zu haben, als sie sich näherten.

John konnte einen Soldaten schon aus einer Meile Entfernung erkennen. Und die letzten sechs Wachen, die sie passiert hatten, hatten allesamt so ausgesehen. Ex-militärische private Sicherheitsleute waren nicht billig. Andererseits sah in diesem bewachten Resort nichts billig aus.

Robert räusperte sich. „Nicht alle Wohlhabende sind miteinander verwandt“, sagte er.

„Wohlhabend? Sie meinen stinkreich, oui?”

Robert runzelte ein wenig die Stirn, seine Hände umklammerten das Lenkrad, vorbildlich auf zehn und zwei Uhr, seine Augen klebten pflichtbewusst auf der Straße vor ihm. Sein Haar war nach hinten gegelt und wenn er sprach, sah John gelegentlich die zwei fehlenden Zähne im vorderen Teil des Mundes des älteren Agenten.

Er war sich immer noch nicht ganz sicher, was er von dem kleinen Mann halten sollte. Roberts alte Partnerin Adele hatte eine Vorliebe für ihn und der Ermittler war in der DGSI so etwas wie eine Legende, aber die Hälfte der Zeit war es für John fast unmöglich zu erkennen, was der Franzose dachte.

„Wo parken wir?“, fragte John, als sie in einen Kreisverkehr einfuhren und unterhalb von alten Steinsäulen zum Stehen kamen, die gegenüber vier breiten Glasschiebetüren am oberen Ende einer sanft geschwungenen Marmortreppe lagen.

„Das werden wir nicht“, sagte Robert zunächst.

Er zog seine Fahrhandschuhe aus und stellte den Motor ab. Dann wechselte er zu einem Paar Handschuhen, das er auf dem Rücksitz platziert hatte und zog sie vorsichtig an. John beobachtete all dies mit leichter Belustigung.

„Schöne Fäustlinge“, sagte er.

„Vielen Dank. Ich danke Ihnen.“ Das zweite Danke galt dem Hotelbediensteten, der sich beeilte und Robert die Tür öffnete.

„Mr. Henry!“, begrüßte ihn der Diener. „Es ist schön, Sie zu sehen!”

Robert weigerte sich, John anzusehen, als er den Gruß erwiderte und stieg steif aus dem Fahrzeug aus und übergab ihm seine Schlüssel. Der junge Mann mit der roten Mütze und dem purpurroten Outfit lächelte John höflich an, als ein zweiter Mitarbeiter herüber eilte und dem großen DGSI-Agenten die Tür öffnete.

John kratzte sich an der Narbe an der Unterseite seines Kinns, dann stieg er mit mehr als nur ein wenig Unbehagen aus dem Fahrzeug aus.

Robert zupfte seinen Ärmel zurecht. Er hatte darauf bestanden, einen Anzug und einen Caban zu tragen, um sich zu wärmen. John hingegen trug nur zwei Kapuzenpullover, einen über dem anderen. Robert hatte ihm, auf der Fahrt in die Alpen, zweimal angeboten eine Jacke zu kaufen, aber John hatte abgelehnt. Meistens, obwohl er es Robert gegenüber nicht zugab, bereitete es ihm pure Freude, den Ausdruck des Unbehagens auf dem Gesicht des älteren Agenten zu sehen, jedes Mal, wenn er den Saum eines von Johns Pullovern unter dem anderen hervorstehen sah.

„Gepäck?“, fragte der Diener, der Johns Tür geöffnet hatte.

Der große Franzose grunzte und streckte sein Bein aus, als er aus dem Auto stieg.

„Der alte Mann hat welches. Aber ich nicht.”

Der Diener warf John einen seltsamen Blick zu, nickte aber, um zu zeigen, dass er verstanden hatte, bevor er zum Kofferraum eilte und Roberts drei separate Koffer packte.

John beobachtete mit ironischem Humor, wie der Begleiter die Koffer einen nach dem anderen die Marmortreppe hinauftrug. John war sich nicht sicher, auf was Robert nicht verzichten konnte, sodass er drei Koffer brauchte. John war relativ sicher, dass er in seinem Leben noch nie nur einen einzigen Koffer gepackt hatte. Sie würden nur ein paar Tage hier sein – was er nicht in einem Geschenkladen kaufen konnte, konnte er wahrscheinlich im Hotel ausleihen. Alle schicken Hotels hatten so etwas.

John beäugte die Schiebetüren mit stärkstem Misstrauen, als Robert steif die Marmortreppe hinaufging und darauf wartete, dass der Bedienstete, der immer noch den letzten Koffer des Ermittlers schleppte, innehielt, den Koffer abstellte und die Tür mit einem Lächeln öffnete, bevor er das Atrium des Resorts betrat.

Einen Moment lang blieb Robert in der Kälte stehen, verzog das Gesicht und hustete.

John fragte: „Ist alles in Ordnung?”

Aber Robert winkte ab und ging ins Hotel.

John folgte Robert mit den Händen in den Taschen seines Kapuzenpullovers gesteckt und stolzierte die Marmortreppe hinauf. Auf beiden Seiten rahmten vorstehende, turmförmige Erker das Gebäude aus Stein, Glas und Baumstämmen ein. Selbst John, der nie eine Vorliebe für die feineren Dinge entwickelt hatte, hielt inne, um die Architektur zu bewundern. Er bemerkte auch drei blau getönte Fenster, die als perfekter Aussichtspunkt für einen Scharfschützen dienen konnten.

Nützliche Informationen angesichts ihrer Umstände? Vielleicht auch nicht. Aber John konnte es sich kaum leisten, seine Instinkte zu ignorieren. Sie hatten sich bei mehr als einer Gelegenheit als nützlich erwiesen.

„Wir müssen mit dem Manager sprechen“, sagte Robert leise, als John zu ihm in das teure Atrium kam. Marmor, Glas, dekorative Lichter und geschmackvoll arrangierte Pflanzen und Kunst gaben dem Eingang des Resorts eine beeindruckende Atmosphäre.

John stöhnte. „Wo finden wir den Manager?“, fragte er seinen Begleiter, der nun Roberts drei Koffer auf einem Trolley deponierte.

„Ah, excusez moi?“, fragte der Hotelangestellte zögernd. „Manager Pires ist im Moment höchstwahrscheinlich unpässlich. Aber ich bin sicher, es gibt Angestellte, die mehr als glücklich darüber wären…“

„Sicherlich gibt es einen Weg, wie wir Ihre Meinung ändern können, hmm?“, sagte Robert mit einem Schnurren in seiner Stimme. Er streckte eine Hand aus und John warf einen Blick auf einen Hundert-Euro-Schein, der in der Handfläche des alten Ermittlers versteckt war.

Der Diener räusperte sich, warf einen Blick auf das Papier in seiner Hand und seine Augen huschten zu der niedrigen, Marmor Theke, die die hintere Wand des Atriums säumte.

„Ich, ich glaube nicht, dass ich das arrangieren kann“, begann er zögernd.

„Kommen Sie schon“, antworte Robert. „Ich bin sicher, wir können eine Vereinbarung treffen, Monsieur.”

Die Anwesenden wirkten immer noch zurückhaltend. John hatte bereits die Geduld verloren. Während Robert ein drittes Mal unter leisem, schmeichelndem Gemurmel versuchte den Bediensteten zu überzeugen, drehte sich John um, blickte zum Atrium und der große französische Agent mit dem Narbengesicht rief lauthals: „DGSI! Wir sind hier, um mit dem Manager zu sprechen. Und zwar sofort!”

Der Page errötete und schien im Erdboden versinken zu wollen. Robert seufzte resigniert in die Richtung seines Partners, verstaute aber widerwillig sein Geld und verschränkte die Arme über seinem ordentlich gebügelten Anzug und seiner Jacke.

„Nun?“, rief John, jetzt noch etwas lauter. „Wer ist der Manager?”

„Ich bin sicher, wenn wir geduldig sind und einfach abwarten…“, versuchte Robert John zu besänftigen, aber bevor er den Satz beenden konnte, gab es eine hektische Bewegung durch eine Tür hinter dem langen Tresen. Ein paar Gäste und ein paar Angestellte schielten in Johns Richtung, gaben aber vor, es nicht zu tun.

Durch die Tür erschien eine Frau in einer ordentlichen roten Uniform, die schnell auf die auf die Agenten zulief. Sie nahm Robert in seinem ordentlichen Anzug und gekämmten Haar wahr und dann fiel ihr Blick auf John, seine beiden Kapuzenpullover und sein ungepflegtes Äußeres. Bei Johns Anblick glitt ihr Blick am Atrium entlang zu der Stelle, an der zwei Sicherheitskräfte in der Nähe der Türen standen. Sie zögerte, wandte sich dann aber an die DGSI-Agenten.

„Hallo“, sagte sie und presste die Lippen zusammen. „Kann ich Ihnen helfen? Ich bin Maria, Assistentin von Manager Pires. Ich fürchte, er ist im Moment nicht verfügbar. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?”

„Entschuldigen Sie, Mademoiselle“, sagte Robert, trat vor und nahm Maria sanft bei der Hand. Er hielt ihre Hand zur Begrüßung und verbeugte sich leicht mit dem Kopf. „Wir benötigen einige Informationen – wenn Sie so gütig wären, uns mit Ihrer Zeit beehren, wären wir Ihnen ewig dankbar.”

John beobachtete den seltsamen Austausch und spürte ein Jucken irgendwo in der Nähe seines Kragens. Man hatte ihm in der Vergangenheit schon öfter gesagt, er habe ein Gesicht wie ein Pitbull, wenn er ungeduldig war. Die Person, die das gesagt hatte, war mit einer gebrochenen Nase und einem geprellten Auge im Krankenhaus gelandet. Doch in diesem Moment biss sich John auf die Zunge und wartete, bis Robert die Dinge auf seine Weise regelte.

Die stellvertretende Managerin Maria schaute verdutzt, ja sogar verwirrt über Roberts Benehmen. Als sie jedoch den wohlhabenden Ermittler als einen der ihren anerkannte, schien sie sich fast etwas zu entspannen. Etwas von dem Misstrauen und der Sorge, die sie beim Anblick von John gezeigt hatte, verblasste.

„Sie sagen, Sie sind von der DGSI?“, fragte sie höflich, streckte noch immer ihre Hand aus und erlaubte Robert, sie langsam zum Schalter zu führen.

„Ja.“, sagte Robert. „Eine heikle Angelegenheit, da bin ich mir sicher.”

John blieb vergessen, als die beiden Arm in Arm zur anderen Seite des Atriums schritten. Die teuren, polierten Fußböden blitzten und blinkten, angestrahlt durch die in verzierten Halterungen an der gesamten Decke befestigten Lichter.

„Ja“, sagte die Managerin leise und ihre Augen richteten sich auf ein paar Gäste, die gerade eincheckten. Ihre vielen Taschen und ihr Gepäck ruhten auf einem Rollwagen, der von einem weiteren Bediensteten in purpurroter Uniform geschoben wurde. Roberts eigene Taschen warteten nun am Aufzug auf sie, während der Page geduldig mit verschränkten Armen vor den drei Gepäckstücken stand.

John trug seine eigene kleine Laptop-Tasche – in der er ein Hemd und einen Satz Wechselunterwäsche verstaut hatte – und stapfte seinem kleineren Partner hinterher. Jeder, der in seine Richtung blickte, wurde anderthalb Mal geblendet. Mit zwei langen Schritten gelang es ihm, den kleineren Ermittler und sein perplexes Publikum einzuholen.

Er erreichte mit ihnen den Tresen und hörte Robert einen Satz beenden mit: „… Vielleicht irgendwo, wo es privater ist?”

Maria lehnte sich mit einem Arm auf den Tresen und warf dem Angestellten einen intensiven Blick auf den hinter der Marmortrennwand versteckten Computer zu. Der Angestellte nickte grüßend, eilte dann davon und bewegte sich auf die gegenüberliegende Seite der langen Trennwand.

Maria ihrerseits senkte ihre Stimme und sagte leise: „Mr. Und Mrs. Hanes besuchen uns hier, solange ich denken kann. Einmal im Jahr.”

„Ah“, sagte Robert. „Aber Sie sind noch so jung! Es kann doch nicht zu lange her sein, oder?”

Maria kicherte ein wenig und John fühlte, wie sich sein Magen umdrehte. „Ich arbeite seit fast fünfzehn Jahren hier“, sagte sie. „Ich habe als Kellnerin angefangen und mich hochgearbeitet. Wir bedienen nur das renommierteste Klientel. Wie Sie sicher wissen.”

Robert lächelte, klopfte ihr auf die Schulter und sah ihr mit seinem freundlichen Blick tief in die Augen.

„Ja, in der Tat“, sagte er, „sehr beeindruckend. Ihrer harten Arbeit gebührt höchster Respekt. Fünfzehn Jahre sind eine beeindruckende Verpflichtung. Ich hoffe, ihre Treue wird belohnt?”

Maria zögerte, ihre Nase kräuselte sich. Aber dann räusperte sie sich und glättete die Vorderseite ihrer makellosen Uniform mit der freien Hand. „Ich kann mich nicht beschweren. Aber das Schweizer Paar – sind Sie wegen ihnen hier?”

Robert nickte einmal, seine Augen waren auf Maria gerichtet, als ob niemand sonst im Raum war. Jedes Nicken und Lächeln, jede Geste reagierte auf Marias Worte oder ihre Haltung, spiegelte ihre Aufregung, ihr Interesse, ihre Neugier wider, alles in rascher Synchronizität. Für John war es, als wäre er Zeuge eines Schachspiels der Körpersprache, von dem die stellvertretende Managerin nicht einmal wusste, dass sie ein Teil davon war.

John wusste jedoch aus der kurzen Zeit, die er mit Robert verbracht hatte, dass der ältere Ermittler kein Manipulator war. Er wusste, wie er reagieren und sich verhalten musste, aber er meinte auch die Dinge, die er sagte; er hatte ein nervtötendes Händchen dafür, sich um jeden zu kümmern, mit dem er interagierte.

„Sie haben ihr Vermögen im Ölgeschäft gemacht“, sagte Maria leise. „Obwohl“, runzelte sie die Stirn, „ich weiß nicht, ob ich ihnen das erzählen sollte.”

„Machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind ehrlich. Ich sehe, dass Sie ein ehrlicher Mensch sind, oui“, sagte Robert und nickte. „Das sieht man an den Augen, ja. Und ihr Zimmer, wo haben sie übernachtet?”

Maria räusperte sich. „Sie hatten ihr eigenes Chalet dauerhaft gemietet. Fünfzehn Jahre jetzt; wahrscheinlich mehr. Der Such- und Rettungsdienst hat nach ihnen gesucht, aber ohne Erfolg.“

„Und wann sind Mr. und Mrs. Hanes in diesem schönen Etablissement angekommen, das Sie so wunderbar führen?”

Maria runzelte nachdenklich die Stirn, nickte dann aber wieder. „Ich erinnere mich an alle unsere Gäste. Sie sind Teil der Familie. Mr. und Mrs. Hanes kamen vor dem ersten Schneefall an. Sie werden seit vier Tagen vermisst.”

John sprach zum ersten Mal und seine Anwesenheit, gefolgt von einem Stöhnen, schien eine Art Zauber zu brechen. Sowohl Robert als auch Maria blickten ihn an, ihre Augen wurden etwas schmaler. „Vor dem Schneefall“, sagte John. „Das bedeutet, die Leichen könnten zugedeckt sein.”

Roberts Augen weiteten sich vor Beunruhigung fast unmerklich. Maria keuchte und starrte John weißgesichtig an. „Leichen?“, sagte sie. „Sie glauben, sie sind…“ Sie schluckte.

„Tot?“, beendete John den Satz. „Wahrscheinlich. Sie werden schon eine Weile vermisst.“

„Er sah Robert an, der eine Hand verzweifelt über sein Gesicht geführt hatte und seinen Nasenrücken massierte, als ob er plötzlich Kopfschmerzen hätte.

„Es kann gut sein, dass es ihnen gut geht“, sagte Robert und klopfte Maria noch einmal auf den Arm, bevor er die Hand senkte und sich zu John drehte.

John grunzte. „Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich sind sie tot. Wir sollten bald auf die Suche gehen.”

„Ich kann Ihnen den Weg sagen, auf dem sie gewöhnlich gewandert sind“, sagte Maria und hielt ein Schluchzen deutlich zurück. „Wie ich schon sagte, waren sie für uns hier wie eine zweite Familie.”

John zuckte mit den Achseln. „Wahrscheinlich wurden sie an einen ruhigen Ort gelockt. Wer auch immer zu ihnen kam, hätte sie nicht auf vertrautem Boden haben wollen, als sie zuschlugen.“

„Was?“, fragte er Robert, der nun den größeren Mann anstarrte.

In einem schnippischen, leidgeprüften Ton sagte Robert: „Wir wissen nicht, dass sie tot sind. Wir kennen auch nicht den Kontext ihres unglücklichen Verschwindens. All dies sind Vermutungen.”

John sah den kleineren Mann an. „Vermutungen? Ich weiß nicht, was dieses Wort bedeutet.”

Robert seufzte und lächelte Maria ein letztes Mal an, bevor er sich von ihr verabschiedete und dann zum Aufzug ging. Als sie sich Roberts Gepäck und dem wartenden Pagen näherten, murmelte Robert unter seinem Atem: „Haben Sie keine Jacke? Etwas außer diesen verschwitzten Sweatshirts?”

John starrte ihn an. „Nicht jeder von uns hat für ein paar Tage im Schnee drei Koffer gepackt.”

„Ach wirklich? An einem Ort wie diesem, mein Freund, solltest du vielleicht etwas aufpassen. In diesen Hallen zählt das Aussehen mehr als der Charakter.”

John hielt inne, drehte sich zu Robert um und schaute ihm direkt in die Augen.

„Ich bin mir der Erscheinung, die ich abbilde, bewusst“, sagte er leise. „Nicht alle Bienen werden mit Honig gefangen, nicht wahr?“ Dann drehte er sich noch einmal um und ging auf den Aufzug zu.

Sie packten aus, richteten sich in ihren Zimmern ein und machten sich dann auf die Suche nach Mr. Und Mrs. Hanes. Das Such- und Rettungsteam behandelte sie wie einen Vermisstenfall – als wären sie wandern gegangen und in eine Schlucht gefallen. Aber John wusste es besser. Ein Mörder lief frei herum und um das Schweizer Ehepaar zu finden, musste er wie ein Mörder denken.




KAPITEL ACHT


Adele hörte ein Klopfen an ihrer Tür. Sie hielt einen Finger hoch, um zu signalisieren, dass sie in etwas wichtiges vertieft war und merkte dann, dass die Person auf der anderen Seite der Schwelle sie nicht sehen konnte. „Einen Moment bitte“, rief sie.

Adele wandte sich wieder ihrem Computer zu und ihre Augen schielten zu Agent Marshall, die auf der gegenüberliegenden Seite des runden Holztisches saß. Adele atmete tief ein und sammelte ihre Gedanken. „Sie wollen mir also sagen, dass die Benevetis in Frackingprojekte investiert hatten?“, fragte sie.

Agent Marshall nickte einmal, ihr kurz geschnittenes Haar fing das Licht durch das Fenster dahinter in einem seltsamen Muster ein, was wie ein Fleck um ihre Stirn herum wirkte.

„Was haben die beiden hier oben gemacht? Glauben Sie, dass sie an der Eröffnung des neuen Resorts beteiligt waren?”

Agent Marshall schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Diese Information ist geheim. Sogar für uns. Wo Geld im Spiel ist, da ist Macht meist nicht weit.”

Jemand klopfte erneut an die Tür, höflich, aber diesmal etwas lauter.

„Bin gleich soweit“, rief Adele. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der deutschen Agentin zu. „Eine italienische Person des öffentlichen Lebens aus der Ölindustrie wird in den Alpen vermisst. Das ist eine Schlagzeile.”

Agent Marshall lächelte Adele höflich an, die Arme verschränkt. Aber sie biss sich auf die Zunge. Adele studierte die jüngere Frau und versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu deuten. War Marshall hier, um bei dem Fall zu helfen, oder war sie da, um Adele daran zu hindern, sich einzumischen?

Bevor die Person draußen ihr drittes Mal an die Tür klopfen konnte, rief Adele: „Kommen Sie bitte herein.”

Die Tür öffnete sich mit einem Klick und die Person trat zögernd ein. Es war ein Mann in Bedienstetenuniform.

„Hallo?“, sagte Adele neugierig.

„Ja“, sagte der Mann in der Tür und zögerte. Er machte einen schlurfenden Schritt in den Raum, schien es sich dann aber anders zu überlegen, wartete unsicher auf der Schwelle und blickte von Adele zu Agent Marshall.

Adele warf der jungen Agentin einen fragenden Blick zu. Marshall stand jedoch auf und begrüßte den Mann. „Danke fürs Kommen, Otto.“ Marshall sah Adele an. „Sie hatten erwähnt, dass Sie mit einigen der Angestellten über die Benevetis sprechen wollten.”

Adele zog die Augenbrauen hoch. Sie verstand jetzt, worum es ging.

„Das ist Otto Klein“, sagte Marshall. „Er arbeitet seit fast fünf Jahren in diesem Resort. Er hat oft mit Mr. Und Mrs. Beneveti zu tun gehabt.”

Adeles Gesichtsausdruck wurde weicher und sie warf dem Mann einen Blick zu. „Sind Sie Page?”

Otto nickte einmal und räusperte sich. „Ja, das bin ich“, sagte er, in klarem Deutsch.

„Und sie kannten das vermisste Paar?”

Otto Klein stand immer noch in der Tür, aber auf eine Geste von Adele hin trat er widerwillig ein und kam an den Rand des Tisches. Die Tür hinter ihm stand immer noch offen und Adele wusste aus Erfahrung, dass Menschen in Flucht- oder Kampfsituationen oft versuchten, den schnellsten Ausgang zu finden. Diejenigen, die die Flucht bevorzugten, schlossen die Tür nicht. Diejenigen, die es vorzogen zu kämpfen, taten es.

Sie musterte den Pagen von ihrem Stuhl aus und er setzte sich nicht, sondern schaute mit nervösem Gesichtsausdruck auf sie herab. Er war recht gutaussehend, wie die meisten Angestellten dieses Resorts. Adele wusste, dass eine Sache, die ihr Fall mit dem von John und Robert gemeinsam hatte, das Niveau der Kundschaft war. Die meisten Leute in diesem Resort waren extrem wohlhabend. Tatsächlich hätte sie bezweifelt, dass sich jemand ohne Millionärsverdienst den Aufenthalt hätte leisten können.

Sie fing einen Hauch von Kölnisch Wasser von Otto ein – ein duftender, blumiger Geruch, der sich mit dem Geruch eines frischen Autos vermischte. Ein plötzlicher Gedanke kam ihr, sie erinnerte sich vage an ihre eigene Kindheit. Erinnerungen tauchten auf, nur bruchstückhaft, aber trotzdem deutlich. Sie sah sich selbst, ihren Vater, ihre Mutter vor der Scheidung. Sie sah die schneebedeckten Hügel und stellte sich vor, wie sie Schlitten fuhren. Sie erinnerte sich daran, wie sie heißen Kakao am Kamin trank, an die Schneeballschlachten und wie sie aus dem Whirlpool im Freien in den beheizten Innenpool sprangen. Sie lächelte leicht. Aber dann verblasste das Lächeln, als auch andere Erinnerungen auftauchten. Erinnerungen an Streit, an Wut.

Sie schniefte, schob die Emotionen und Gedanken aber beiseite.

Sie konzentrierte sich wieder auf Otto. „Was halten Sie von Mr. Und Mrs. Beneveti?”

Otto zögerte. Der Diener kratzte sich am Kinn, wobei er das dünne Seil, das an seiner Mütze befestigt war, zur Seite schob.

„Sie waren ausgezeichnete Gäste und gaben gutes Trinkgeld“, sagte er.

Adeles Augen verengten sich. Gäste. Trinkgeld. Beides Kommentare über die finanzielle Situation des Paares. Fast zu einfach. Aber auch aussagekräftig.

„Mochten Sie die Benevetis?”

„Wie gesagt“, sagte Otto zögernd. „Sie waren großzügig. Sie gaben sehr gutes Trinkgeld.”

„Ja, aber haben mochten Sie sie? Wenn sie kein gutes Trinkgeld gegeben hätten, wären Sie mit Mr. Beneveti ein Bier trinken gegangen?”

Otto machte eine Pause. „Ich glaube nicht, dass Mr. Beneveti getrunken hat. Nicht, dass ich wüsste. Sie waren nie in den Bars.”

„Das Resort hat seine eigenen Bars? Plural?”

„Ja“, sagte Otto zögernd. „Vier an der Zahl. Und ein paar der teureren Zimmer haben ihre eigenen.”

Adele versuchte, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen. Vielleicht musste sie noch einmal überdenken, wie exklusiv diese Einrichtung war. „In Ordnung. Fangen wir mit Mr. Beneveti an. Was hielten Sie von ihm? Abgesehen von seinem Trinkgeld.”

Otto hielt defensiv die Hände hoch und hob die Fersen, als ob er sich rückwärts auf die Tür zubewegte, sich dann aber wieder kontrollierte und ruhig stehen blieb. „Ich kannte den Mann nicht gut“, sagte er.

„Sie mochten ihn nicht, oder?”

Agent Marshalls Augen richteten sich auf Adele, man konnte ihr leichtes Stirnrunzeln schon sehen. Aber Adeles Blick blieb auf Otto gerichtet.

Der Diener kratzte sich erneut am Kinn und spielte dann wieder am Riemen seiner Mütze herum.

„Es gab ein paar Begegnungen mit Mr. Beneveti“, sagte Herr Klein vorsichtig, „die nicht besonders angenehm waren.”

Adele nickte. „Sie sind ein sehr höflicher Mann, Otto. Ich respektiere, dass Sie Ihre Arbeit auch jetzt noch so gewissenhaft machen. Aber dies ist eine Untersuchung. Eine Mordermittlung.”

Zu diesem Zeitpunkt änderte sich Ottos Verhalten zum ersten Mal. Zögerlich fiel seine Maske und wurde durch Schrecken und Angst ersetzt. Er starrte sie an. „Mord? Ich dachte, es handelt sich um einen Bärenangriff.”

Adele kniff ihre Augen zusammen. „Das stand in den Lokalnachrichten, oder?”

Otto nickte. „Auch die Resortbesitzer. Die Manager. Alle sagen es.”

Adele schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin noch nicht überzeugt. Wir haben den Bericht des Gerichtsmediziners noch nicht erhalten.”

Otto nickte. „Oh Gott! Das ist schrecklich. Niemand verdient das, nicht einmal…“

„Nicht einmal?“, sagte Adele und ergriff ihre Chance.

Mr. Klein errötete leicht, seine Wangen nahmen eine ähnliche Färbung an wie seine Uniform. Aber schließlich hüstelte er und sagte: „Mr. Beneveti konnte manchmal unhöflich und arrogant sein. Einmal bewarf er einen Freund von mir mit einem Drink. Er sagte, er würde dieses Gesöff nicht freiwillig trinken. Er übergoss den jungen Hilfskellner mit Wodka Tonic. Der Junge hatte nur die Bestellung falsch verstanden. Er hatte sie ins falsche Zimmer gebracht. Er bekam eine Abmahnung. Mrs. Beneveti ging zum Manager und versuchte, ihn feuern zu lassen.”

„Wurde er entlassen?”

Otto schüttelte den Kopf. „Nein, aber sie haben ihm andere Schichten zugeteilt. Sie haben seine Stunden gekürzt, damit er nicht mehr auf sie treffen konnte. Es kostete ihn die Miete für ein paar Monate. Der Rest von uns half ihm, so gut wir konnten. Mr. Beneveti war jähzornig. Er war reich, sehr reich. Und das war ihm bewusst.”

Otto verstummte und stellte fest, dass er mehr gesprochen hatte, als ihm vielleicht lieb war. Er zuckte verschämt mit den Achseln, seine Wangen röteten sich wieder. „Aber wie ich schon sagte, sie waren großzügig.”

Adele neigte den Kopf und stützte ihren Kopf auf ihrem Arm ab, während sie den Diener eingängig betrachtete. „Sonst noch etwas? Irgendwelche anderen Vorkommnisse? Sonst noch jemand, der einen Groll gegen das italienische Ehepaar gehegt haben könnte?”

Otto schüttelte schnell den Kopf. „Ich hege keinen Groll. Wie ich schon sagte, habe ich persönlich nichts gegen ihn. Er war unhöflich und unausstehlich. Mrs. Beneveti konnte etwas überheblich sein. Aber viele der Gäste hier sind so. Sie sind wohlhabend und das bringt eine gewisse Paranoia mit sich. Sie wissen nie, was die Leute eigentlich von ihnen wollen. Es ist traurig, wenn man darüber nachdenkt.“ Otto nickte einmal mit Gewissheit, als wolle er sich selbst überzeugen, dann wippte sein Kopf wieder, mit weniger Gewissheit, und er kratzte sich im Gesicht.

„In Ordnung“, sagte Adele. „Fällt ihnen nichts anderes mehr ein?”

Otto schüttelte den Kopf. „Nein, aber“, zögerte er, „dieser Hilfskellner, der den Wodka Tonic gebracht hat. Vielleicht weiß er noch mehr. Er ist noch jung, erst neunzehn Jahre alt. Aber er ist hier immer noch angestellt.”

„Hat er gerade Dienst?“, fragte Adele.

„Ja, soll ich ihn holen?”

Adele schüttelte den Kopf. „Nein, ich werde zu ihm gehen und mit ihm sprechen. Wo ist er? Wir werden Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen, ich weiß, dass Sie arbeiten müssen.”

„In Ordnung. Sein Name ist Joseph Meissner.”

„Joseph Meissner?“, fragte Beatrice Marshall.

„Ja. Er arbeitet jetzt in einer der Bars. Sie heißt Erholung an den Felsen. Sie müssen dafür am Indoor-Golfplatz vorbei.”

„Es gibt einen Indoor-Golfplatz?“, fragte Adele entsetzt.

„Neben den beheizten Pools.“, lächelte Otto. „Willkommen in der Welt des einen Prozents der Bevölkerung.”

Er betrachtete sie abwechselnd mit einem geübten, professionellen Lächeln, ging dann zögerlich zur Tür zurück, verschwand und ließ die beiden Agentinnen wieder allein im Raum zurück.

Adele teilte einen Blick mit Agent Marshall. „Haben Sie das gehört?“, sagte sie leise.

„Ich habe viel gehört“, sagte Marshall. „Was meinen Sie genau?”

„Die Geschichte über den Bärenangriff. Die Besitzer haben sie weitergegeben; die Manager. Fast so, als ob sie lieber einen randalierenden Bären auf der Piste hätten als einen Mörder.”

Marshall pfiff. „Das würde Sinn machen. Die Gäste hier zahlen eine Menge Geld. Eine Menge Geld. Die Besitzer wollen niemanden verschrecken.”

Adele stand auf, klappte ihren Laptop zu und ging auf die Tür zu. Dabei griff sie nach ihrer Jacke.

„Wissen Sie, wo Erholung an den Felsen ist?“, fragte sie.

„Ehrlich gesagt, bin ich nicht in der Stimmung für einen Drink.”

„Ja, aber wir müssen mit diesem Joseph Meissner sprechen. Klingt, als hätte er vielleicht etwas gegen das Ehepaar Beneveti gehabt.”

„Sie glauben doch nicht wirklich, dass ein Kellnerjunge sie getötet hat, oder? Wir wissen noch nicht einmal, ob es Mord war. Der Autopsiebericht liegt noch nicht vor.”

Adele zuckte die Achseln. Sie sagte es nicht, aber insgeheim wusste sie, was hier abging. Wie ein Bluthund, der die Fährte aufgenommen hatte, wusste sie es. „In Ordnung“, sagte sie, „glauben Sie, dass es jemanden gibt, der uns in die Bar bringen kann?”

Marshall sammelte auch ihre Jacke ein und folgte Adele. „Sie haben überall Golfcarts, die hier herumfahren; die Schlüssel liegen unten an der Rezeption.”

Adele widerstand dem Drang, mit den Augen zu rollen. Golfcarts auf Anfrage. Beheizte Swimmingpools neben den privaten Golfplätzen. Eigene Bars auf den Zimmern. Es klang alles erstaunlich. Aber gleichzeitig klang es fremd und seltsam. Eine fremde Art zu leben. Trotzdem konnte sich Adele auf den Skipisten an ihre eigene Kindheit erinnern. Sie waren nie an einen so schönen Ort gekommen. Ihre Familie hatte es sich nie leisten können. Aber sie konnte sich an die Skipisten erinnern. An die Gespräche am warmen Feuer. Die nächtlichen Auseinandersetzungen. Sie erinnerte sich an alles.




KAPITEL NEUN


Die Bar Erholung an den Felsen war ganz am Rande des Resorts platziert worden. Das Gebäude bestand aus drei verglasten Stockwerken auf runden Holzplattformen. Es schien auf Stelzen zu stehen, die hoch genug waren, um die Wipfel der umliegenden Bäume zu streifen und einen Blick in das darunter liegende Tal zu gewähren. Adele und Agent Marshall verließen das Golfcart, das sie sich ausgeliehen hatten und gingen die vielen hölzernen Stufen hinauf, die mit kleinen Steinen verziert waren und glitzernd das Licht reflektierten.

Adele hatte ihre Hände tief in den Manteltaschen vergraben. Ihre Nase war von der Kälte gerötet, aber sie konnte immer noch nicht die schiere Schönheit der Landschaft um die erhöhte Bar ignorieren.

Berge im Hintergrund, das Tal im Vordergrund, ringsum Fenster, die alle Vorzüge der Umgebung in ihrer vollen Pracht präsentierten. Adele marschierte mit Agent Marshall im Schlepptau die Treppe hinauf.

Sie öffnete die Tür der Bar und sah, dass an einigen der Tische bereits Gäste Platz genommen hatten. Einer von ihnen hatte sogar eine Familie. Die Kinder nippten an ihrer Cola, während die Eltern aus Weingläsern tranken.

Selbst die Tischplatten waren faszinierend. Sie waren aus Glas, mit in Harz eingelassenen kleinen polierten Steinsplittern versehen. Die Glühbirnen waren in dekorativen Lampenschirmen eingefasst und warfen von der Decke aus funkelnde Muster über die Tische. Die Decke selbst war dunkel und reflektierte die Farbe des Nachthimmels. Die Glasfront ließ vermuten, dass in klaren Nächten, wenn die Wolken ganz verschwunden waren, die Besucher auch einen herrlichen Ausblick des Sternenhimmels erleben würden.

Es war noch früh am Abend und noch nicht dunkel geworden.

Adele näherte sich der Bar mit Agent Marshall im Schlepptau. Sie fühlte sich etwas fehl am Platz, als sie sich am Tresen auf einen Barhocker hievte und sich vorbeugte. „Entschuldigen Sie, ich suche Joseph Meissner.”

Die Frau hinter der Theke blickte hinüber und servierte einem kräftigen Mann im braunen Mantel sein Getränk. Sie lächelte den Mann an und unterhielt sich mit ihm, bevor sie sich Adele und Agent Marshall näherte. „Joseph ist draußen“, sagte sie schroff.

„Wissen Sie, wo er ist?”

„Er holt Nachschub. Warum? Wer sind Sie?”

„Mein Name ist Agent Sharp. Ich untersuche das Verschwinden von Mr. und Mrs. Beneveti. Ich habe gehört, dass Joseph eine Auseinandersetzung mit ihnen hatte.”

Manchmal genügte es einfach direkt zu sein, um das Misstrauen der Menschen abzuschütteln. Darauf hatte Adele gehofft. Sie sah die Barkeeperin intensiv an und die Augen der Frau verengten sich. „Joseph ist ein guter Junge. Er hat nichts damit zu tun. Außerdem dachte ich, es war ein Bärenangriff.”

„Also gut, ich höre“, sagte Adele. „Wissen Sie, wann Joseph zurückkommt?”

Die Frau verschränkte die Arme. Sie hatte keine offensichtlichen Tätowierungen. Aber Adele konnte in den Ohren und in der Nase der Frau kleine Löcher sehen, die mit einem Hauch von Make-up überdeckt waren, was darauf hindeutete, dass sie, wenn sie frei hatte, mindestens drei Piercings trug.

„Wie ich schon sagte, Joseph ist ein guter Junge. Außerdem waren die Benevetis Arschlöcher.”

Adele blinzelte. Agent Marshall kam einen Schritt näher.

„Wie aufrichtig von Ihnen“, sagte Adele. „Könnten Sie das erläutern?”

Die Frau hinter der Theke schnaubte. Sie drehte sich um, schnappte sich ein paar Gläser, ging zum hinteren Ende des Tresens hinüber und goss etwas aus einer langen braunen Flasche mit goldenem Etikett ein. Kaum hatte sie fertig eingegossen, hoben zwei der Kunden am Tisch am anderen Ende der Bar die Hände. Einer von ihnen rief: „Noch eine Runde. Noch eine Runde. Bitte.”

Die Frau lächelte, schnappte sich beide Getränke, ging hinüber und stellte sie den Gästen hin ehe sie zurückkam.

Adele wartete geduldig und beobachtete, wie sich die Frau wieder näherte. Die Barkeeperin rieb ihre Hände an dem kleinen Handtuch hinter der Theke ab. „Es waren Arschlöcher. Laut, unausstehlich. Sie führten sich auf, als gehöre ihnen der Laden. Mr. Beneveti hat mich mehr als einmal angemacht. Offensichtlich durfte ich mich nicht zu sehr anstrengen. Aber er wurde handgreiflich. Mrs. Beneveti hat versucht, mehr als einen von uns feuern zu lassen. Joseph auch, soweit ich mich erinnere.”

Adele nickte. „Das habe ich gehört. Sie sagen, dass Mr. Beneveti Sie angegriffen hat?”

Die Frau schnaubte. „Drehen Sie mir bitte das Wort nicht im Mund um. Nein. Ich sagte, er wurde handgreiflich. Widerwärtig. Ich arbeite in einer Bar. Geringe Hemmschwelle und wohlhabende Gäste. Es gibt gutes Trinkgeld, aber etwas von meiner Würde“, sie nickte zur Tür, „lasse ich draußen auf der Eingangstreppe, wenn ich dieses Gebäude betrete ich. Sonst wäre es nicht zum Aushalten.”

Adele starrte die Frau an. „Na gut, Sie mochten die Benevetis also nicht.”

Die Barkeeperin schüttelte einmal den Kopf. „Da gab’s nicht viel zu mögen. Reiche Arschlöcher. Sie gaben gutes Trinkgeld; das ist fair. Aber wenn man so viel verdient wie sie, ist es leicht, Trinkgeld zu geben und zu hoffen, dass die Probleme verschwinden. Ich sage nicht, dass es nicht gut von ihnen war. Aber ja, ich mochte sie nicht. Viele Leute mochten sie nicht.”

Adele klopfte auf den Tresen. „Langsam bekomme ich ein Gefühl dafür, wer sie waren. Nun, ich möchte Ihnen für Ihre Zeit danken. Gibt es noch etwas, das Ihnen vielleicht aufgefallen ist? Etwas Seltsames? Kennen Sie jemanden, der einen Groll gegen die Benevetis gehabt haben könnte?”

„Ich dachte, es war ein Bärenangriff“, wiederholte sie.

Adele zuckte die Achseln. „Wir machen nur unsere Hausaufgaben. Fällt Ihnen etwas ein?”

Die Frau begann zu antworten, aber dann änderte sich ihr unbekümmerter Ausdruck und ihre offene Haltung. Nun sah sie besorgt aus und hinterließ einen gehorsamen Ausdruck. Sie stand gerader, die Schultern zurückgelegt, und lächelte höflich.

„Ist das alles?“, sagte sie in einem angenehmen, vorsichtigen Tonfall.

Adele runzelte die Stirn, hörte dann das leise Klingeln einer Glocke hinter ihr und drehte sich um.

Ein Mann in einem grauen Anzug stand in der Tür. Er hatte nicht einmal eine Jacke an. Er war rund und klein und hatte eine Glatze. Seine Jacke hing über dem Arm eines Hilfskellners hinter ihm. Der Mann schüttelte den Kopf, und sein Gesicht pulsierte vor Wut „Entschuldigung“, sagte er streng, „Entschuldigen Sie meine Damen!”

Es dauerte einen Moment, bis Adele erkannte, dass der Mann Agent Marshall und sie meinte. Sie drehte sich um und sagte: „Ja?“

„Belästigen Sie meine Mitarbeiter?”

Adele erkannte eine Sekunde später, dass der Mann, der den Mantel hielt, Otto war. Mr. Klein zuckte schüchtern zusammen und schüttelte den Kopf und sagte: Entschuldigung.

Adele blickte auf den kleineren Mann zurück. „Und wer sind Sie?”

„Ich bin Manager Adderman. Ich leite diese Einrichtung. Ich höre, Sie belästigen meine Angestellten.“ Er sprach streng, aber leise. Mit der geübten Leichtigkeit einer Autoritätsperson. Laut genug, damit Adele seine Abneigung wahrnehmen konnte, aber leise genug, damit die meisten Gäste ihn nicht hören konnten. Er näherte sich, seine Stimme folgte seinen Fußspuren. Er war um einen guten Kopf kleiner als Adele. Sogar Agent Marshall war größer als er.

„Ich muss Sie bitten, sofort zu gehen“, sagte der Manager.

Adele zog eine Augenbraue hoch. „Ich fürchte, das können Sie nicht tun. Dies ist eine strafrechtliche Untersuchung.”

Das Gesicht von Manager Adderman wurde noch röter. „Seien Sie leise“, sagte er scharf. Er streckte die Hand aus, als wolle er Adele am Handgelenk packen und sie zur Tür ziehen.

Adele blieb stehen und verdrehte ihm ihr Handgelenk aus dem Griff. Sie blickte den Manager an. „Ich rate Ihnen, mich nicht mehr anzufassen. Wir gehen, wenn wir bereit sind. Wir sind Ihnen nicht unterstellt.”

„Das hier ist Privateigentum“, sagte er und drohte ihr mit dem Finger.

Agent Marshall schüttelte den Kopf. „Das spielt keine Rolle. Wir ermitteln. Wenn Sie möchten, können Sie das mit meinem Chef besprechen.”

„Und wer ist Ihr Chef?“, verlangte der Manager.

„Direktor Baumgardner“, antwortete sie, ohne mit der Wimper zu zucken.

Ein Teil der Wut des Managers schien nachzulassen. „BKA? Und Sie? Wo kommen Sie her?”

Adele zuckte die Achseln. „FBI. Interpol. Wir untersuchen das Verschwinden von Mr. und Mrs. Beneveti. Wir hörten, sie waren Stammgäste an diesem Etablissement. Ist das wahr?”

Das Gesicht des Managers war noch röter als zuvor. Er schüttelte den Kopf. „Hören Sie einfach auf, meine Mitarbeiter zu belästigen. Lassen Sie die Gäste in Ruhe. Sie müssen ermitteln, gut. Ich kann Sie nicht aufhalten. Aber hören Sie auf, mir mein Geschäft zu ruinieren.”

„Wie könnten wir das tun?“, sagte Adele und runzelte die Stirn.

Der Manager lehnte sich jetzt noch mehr zurück und zischte: „Das war ein Bärenangriff! Das sagte der Such- und Rettungsdienst. Hören Sie auf, die Gäste zu erschrecken. Ein paar von ihnen haben bereits Fragen gestellt. Wenn Sie meine Gäste verjagen, dann verklage ich Sie, so wahr mir Gott helfe. Ich verklage Sie, bis nichts mehr da ist. Verstanden?”

Adele studierte ihn und schüttelte den Kopf. „Hält das Resort die Geschichte aufrecht, es sei ein Bärenangriff gewesen?”

Der Manager sah sie verschmitzt an. Seine Wangen schienen sowohl von der Wut als auch von der Kälte gerötet zu sein. Er trat zurück und zuckte die Achseln. „Wir machen einfach mit dem weiter, was das Such- und Rettungsteam berichtet hat. Die Ermittlungen liegen bei Ihnen. Aber hören Sie auf, meine Mitarbeiter und meine Gäste zu belästigen. Ich danke Ihnen.”

Er trat zur Seite und ging mit einer ausladenden Geste auf die Tür zu.

Adele blickte auf seine Hand. Aus Trotz wollte sie bleiben. Sie dachte dran, was John in dieser Situation tun würde. Er würde wahrscheinlich einen Drink bestellen und ihn vor den Augen des Managers hinunterkippen, während er das immer stärker werdende Rot im Gesicht des kleinen Mannes genoss. Aber Adele war nicht John. Sie war niemand, der ihrem Stolz all ihre Entscheidungen überließ. Der Manager wollte sie nicht hier haben. Er war unhöflich, unausstehlich. Ängstlich. Er hatte Angst davor, sein Geschäft zu verlieren. In der Nähe eröffnete ein anderes Resort, das genauso teuer war und vielleicht war es das, was ihm Sorgen bereitete.

An Orten wie diesen ging es um viel Geld. Mehr als sie vermutet hatte. Und wo Geld war, da gab es auch ein Motiv.

Adele ließ ihre Hand über den Tresen gleiten. Etwas am kalten Holz unter ihren Fingerspitzen ließ sie an dem Manager vorbei zu den Fenstern blicken, die die verschneiten Hänge dahinter zeigten.

In Gedanken war sie erst zehn Jahre alt. Wieder stellte sie sich ihren Vater und ihre Mutter vor, wie sie ihr im Esszimmer gegenüber saßen… Nein, nicht im Esszimmer. In einem Restaurant. Auch an einer Skipiste. Sie erinnerte sich an das Skifahren als Kind. In den Alpen. Adele hielt inne und runzelte die Stirn.

Schöne Erinnerungen, aber unterbrochen durch Wut. Streitigkeiten. Geschrei.

Adele zitterte und wollte sich von ihren Gedanken befreien.

Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie Kopfschmerzen vertreiben. Schließlich stand sie auf und entfernte sich vom Schalter. Sie nickte der Barkeeperin dankbar zu und machte eine höfliche Abschiedsgeste gegenüber dem Manager. Agent Marshall folgte ihr. Die beiden Agentinnen verließen die Bar und gingen die Treppe hinunter.

„Nun, das war aufregend“, sagte Marshall außer Puste.

„Ja“, sagte Adele. „Der Manager hat ein persönliches Interesse daran, die Untersuchung zu stoppen.”

„Was denken Sie?“, fragte Marshall, jetzt etwas ruhiger.

Adele ging noch ein paar Schritte weiter und vergewisserte sich, dass sie sich außerhalb der Hörweite der Bar befanden. „Ich frage mich, ob sie noch etwas anderes vertuscht haben könnten. Irgendetwas. Hier steht eine Menge Geld auf dem Spiel.”

Marshall runzelte die Stirn. „Sie glauben doch nicht, dass der Manager etwas mit dem Mord zu tun hatte, oder?”

Adele hob ihre Schultern an. „Ich kann mir nicht sicher sein. Es gibt hier viele Verdächtige. Es ist unsere Aufgabe, die Liste einzugrenzen.”

„Das Schweizer Ehepaar in Frankreich, gibt es dort Neuigkeiten?”

Adele schüttelte den Kopf. „Ich hatte noch keine Gelegenheit, mit den Ermittlern Kontakt aufzunehmen.”

„Aber Sie kennen sie? Ich weiß, dass Sie früher mit den Franzosen gearbeitet haben.”

„Ich bin zum Teil Französin. Auch Amerikanerin und Deutsche.”

Marshall pfiff, als sie sich dem Golfcart näherten. „Drei Staatsbürgerschaften? Beeindruckend. Sie sprechen die Sprache sehr gut.”

„Vielen Dank. Aber nein, keine weiteren Informationen von den Schweizern. Ich werde mit den Ermittlern sprechen, sobald ich Gelegenheit dazu habe.”

Adele stieg zusammen mit Marshall in das Golfcart und der jüngere Agent begann, sie zurück zum Hauptgebäude des Resorts zu fahren.

Adele runzelte die Stirn, als sie sich bewegten. Der eisige Wind streifte ihr Gesicht. Sie betrachtete die Klippen und die Bäume dahinter, ihre Augen verfolgten die schneebedeckten Pfade. Die Benevetis war ermordet worden. Sie war sich dessen sicher. Der Autopsiebericht konnte nicht früh genug kommen; er würde alles bestätigen. Aber Vermutungen waren nichts ohne Hinweise. Ein Bauchgefühl bedeutete wenig ohne Richtung. Wenn sie mit ihrem Instinkt andere davon überzeugen wollte, musste sie mit soliden Beweisen aufwarten.




KAPITEL ZEHN


Adele lehnte sich in dem gepolsterten Sessel am Kamin zurück. Die Wände um die Feuerstelle waren umlaufend mit Klinkersteinen verziert, die sich bis nach oben an den Schacht, erstreckten, der durch die Decke führte. In ihrem Rücken waren nur die Glaswände, die durch die Vorhänge offenen Vorhänge das Sternenlicht hindurchflimmern ließen. Der weiche, weiße Schein des Mundes verschmolz mit dem flimmernden orangefarbenen Leuchten des Feuers.

Adele dachte an Robert und sein Anwesen. Sie dachte daran, mit ihrem alten Mentor am Feuer zu sitzen und die Flammen und ihre Fallakten zu studieren. Adele hatte ihre Hand auf der Armlehne ausgestreckt, ihre Handgelenke berührten kaum den runden Holztisch, auf dem ihr Handy lag.

Sie wartete.

Der Bericht des Gerichtsmediziners würde jede Minute eintreffen. Er würde ihren Verdacht bestätigen. Das musste er.

Sie hatte bereits den Manager und ein paar Mitarbeiter verärgert. Hier ging es um Politik. Allein die Anwesenheit von Agent Marshall hatte das bewiesen. Das, was man ihr über die Situation berichtet hatte, machte es nur noch notweniger Antworten zu finden und zwar bald. Morgen würde das neue Resort eröffnen. Tausende von Arbeitsplätzen, Hunderte von Millionen von Dollars standen auf dem Spiel. Eine ganze Industrie, die in Geld schwomm, war betroffen.

Und in den Bergen wurden zwei Paare vermisst. Eines von ihnen war tot und in Fetzen gerissen aufgefunden worden.

Adele warf einen Blick auf ihr Handy, aber der Bildschirm blieb dunkel. Es zeigte noch keine neuen Benachrichtigungen. Sie lehnte sich zurück, legte die Hände auf den Bauch und starrte ins Feuer.

Flammen hatten etwas an sich, dass einen zwang ihnen Aufmerksamkeit zu schenken. Einige ihrer Erinnerungen waren ähnlich. Emotionen, die aufflammten und Gedanken anheizten und sie in eine andere Zeit zurückbrachten. Genau solche Erinnerungen drängten sich in Adeles Kopf.

Eine bestimmte Szene spielte sich in ihrem Kopf ab. Ihr Vater war ein strenger Mann, aber zu dieser Zeit hatte er gelächelt. Heute lächelte er nur noch selten. Aber dann stellte sie sich vor, wie er sich im Außepool des Resorts, in dem sie übernachtet hatten, zurücklehnte. Nur ein schmaler Streifen bildete die Grenze zwischen dem Rand des blubbernden, dampfenden Whirlpools und den umliegenden Schneehügeln. Die herunterfallenden Schneeflocken, die den Pool erreichten, wurden aufgefangen und von der Wärme des Wassers im Whirpool sofort in weitere eisige Wassertropfen verwandelt.





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„Wenn man glaubt, das Leben könnte nicht besser werden, schafft Blake Pierce ein weiteres Thriller Meisterwerk voller Mysterien! Dieses Buch ist voller Wendungen und das Ende bringt eine überraschende Enthüllung, die man nie erwartet hätte. Ich empfehle jedem Leser, der Freude an einem sehr gut geschriebenen Thriller hat, dringend sich dieses Buch zuzulegen.? –Bücher und Filmkritiken, Roberto Mattos. NICHTS ALS VERSTECKEN ist Buch Nr. 3 in einer neuen FBI-Thriller-Serie von USA Today Bestsellerautor Blake Pierce, dessen Bestseller Nr. 1 VERSCHWUNDEN (Buch Nr. 1) (ein kostenloser Download) über 1.000 Fünf-Sterne-Kritiken erhalten hat. . Ein italienisches Ehepaar, das in Deutschland Urlaub macht, wird brutal ermordet aufgefunden, was einen internationalen Aufschrei auslöst. FBI-Spezialagentin Adele Sharp ist die einzige mit der internationalen Expertise, die die Grenzen überschreitet und den Mörder aufhält – und sie findet sich an der Seite ihres entfremdeten Vaters wieder, der weit mehr über den ungeklärten Mord an ihrer Mutter weiß, als er zugibt… Obwohl sie immer noch von den jüngsten Ereignissen in Paris erschüttert ist, muss sich Adele auf eine wilde Jagd quer durch Deutschland begeben und auf Schritt und Tritt Lügen und Täuschung aufdecken… Können Adele und ihr Vater die Kluft zwischen ihnen überwinden?. Und kann sie den Mörder aufspüren, bevor die Tragödie weitergeht?. Eine actiongeladene Krimiserie voller internationaler Intrigen und fesselnder Spannung: Mit NICHTS ALS VERSTECKEN können Sie bis spät in die Nacht hinein blättern… Buch Nr. 4 der ADELE SHARP MYSTERY-Reihe wird bald erhältlich sein.

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