Книга - Ein erlesener Todesfall

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Ein erlesener Todesfall
Fiona Grace


Ein Toskanischer Weingarten Cozy-Krimi #2
„Höchst unterhaltsam. Dieses Buch gehört in die Regale aller Leser, die einen gut geschriebenen Mystery-Roman mit zahlreichen Twists und einer ausgefeilten Handlung zu schätzen wissen. Sie werden nicht enttäuscht sein. Bestens geeignet für ein kaltes Wochenende am Kamin!“. –Buch- und Filmkritiken, Roberto Mattos (über Der Tod kam vor dem Frühstück). EIN ERLESENER TODESFALL (Ein toskanischer Weingarten Cozy-Krimi) ist das zweite Buch in einer charmanten, neuen Krimi-Reihe von Bestsellerautorin Fiona Grace, Autorin von Der Tod kam vor dem Frühstück (Buch Nr. 1), einem #1-Besteller mit über 1000 Fünf-Sterne-Bewertungen – als kostenloser Download verfügbar!Olivia Glass, 34, dreht ihrem alten Leben als angesehene Werbefachfrau in Chicago den Rücken zu und zieht in die Toskana, entschlossen, dort ein neues, einfacheres Leben zu beginnen – und ihren eigenen Weingarten aufzubauen… Olivia verliebt sich in das toskanische Leben und die atemberaubende Landschaft, vor allem, als sie die Stadt Pisa besucht. Doch als das Weingut, für das sie arbeitet, eine seltene und wertvolle Weinflasche ersteigert – und eine Leiche auftaucht – muss Olivia all ihre Fähigkeiten als Sommelière unter Beweis stellen, um den Fall zu lösen… In der Zwischenzeit scheitern sowohl ihre Startversuche in ihrem eigenen Weingarten als auch ihr Liebesleben kläglich… Kann Olivia alles wieder zum Guten wenden und das Leben führen, von dem sie immer geträumt hat? Oder war alles nur ein unerreichbarer Traum, den sie ein für alle Mal aufgeben sollte?. Ein urkomischer Trip, vollgepackt mit gutem Essen, Wein, irrwitzigen Wendungen, Romantik und einem neugewonnenen, tierischen Freund – und im Mittelpunkt ein rätselhafter Kleinstadtmord, den Olivia aufklären muss. . EIN ERLESENER TODESFALL ist ein fesselnder Krimi mit Lachern von der ersten bis zur letzten Seite… Buch Nr. 3 der Serie – EIN ERLESENES VERBRECHEN – ist nun ebenfalls erhältlich!





Fiona Grace

EIN ERLESENER TODESFALL




EIN ERLESENER TODESFALL




(Ein toskanischer Weingarten Cozy-Krimi – Buch Zwei)




FIONA GRACE



Fiona Grace

Debütautorin Fiona Grace ist die Verfasserin der LACEY DOYLE COZY-Krimis, welche bisher neun Bücher umfassen; der EIN TOSKANISCHER WEINGARTEN COZY-Krimis, die bisher zwei Bücher umfassen; und der BÄCKEREI AM STRAND COZY-Krimis, die bisher drei Bücher umfassen.



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Copyright © 2020 von Fiona Grace. Alle Rechte vorbehalten. Mit Ausnahme der Bestimmungen des U.S. Copyright Act von 1976 darf kein Teil dieser Publikation ohne vorherige Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln vervielfältigt, verbreitet oder übertragen oder in einer Datenbank oder einem Datenabfragesystem gespeichert werden. Dieses eBook ist nur für Ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Dieses eBook darf nicht weiterverkauft oder an andere Personen verschenkt werden. Wenn Sie dieses Buch mit einer anderen Person teilen möchten, erwerben Sie bitte für jeden Empfänger ein zusätzliches Exemplar. Wenn Sie dieses Buch lesen und es nicht gekauft haben, oder es nicht nur für Ihren Gebrauch gekauft wurde, dann geben Sie es bitte zurück und kaufen Sie Ihr eigenes Exemplar. Danke, dass Sie die harte Arbeit dieses Autors respektieren. Dies ist ein Werk der Belletristik. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder das Produkt der Phantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, ob lebendig oder tot, ist völlig zufällig. Jackenbild Copyright Kishivan, verwendet unter Lizenz von Shutterstock.com.



BÜCHER VON FIONA GRACE




EIN COZY-KRIMI MIT LACEY DOYLE

DER TOD KAM VOR DEM FRÜHSTÜCK (Buch #1)

FÄHRTENSUCHE IM SAND (Buch #2)

VERBRECHEN IM CAFÉ (Buch #3)

EIN VERHÄNGNISVOLLER BESUCH (Buch #4)

EIN TÖDLICHER KUSS (Buch #5)

EIN MALERISCHER MORD (Buch #6)

VERSTUMMT DURCH EINEN ZAUBER (Buch #7)

VERDAMMT DURCH EINE FÄLSCHUNG (Buch #8)

KATASTROPHE IM KLOSTER (Buch #9)


EIN TOSKANISCHER WEINGARTEN COZY-KRIMI

EIN ERLESENER MORD (Buch #1)

EIN ERLESENER TODESFALL (Buch #2)

EIN ERLESENES VERBRECHEN (Buch #3)




KAPITEL EINS


“Meins!”, rief Olivia Glass. “Ganz allein meins!”

Sie konnte die fassungslose Aufregung in ihrer eigenen Stimme hören, als sie sich dem einfachen, zweistöckigen Farmhaus näherte.

Seit gestern war alles unterschrieben, besiegelt, bezahlt und damit ihr Eigen. Hier, in diesem heruntergekommenen, aber dennoch wunderschönen Heim, in die Berge der Toskana genestelt, würde sie ihr neues Leben beginnen. Sie hatte diese Farm aus einem Impuls heraus gekauft – zusammen mit zwanzig Morgen Land – nachdem sie sich Hals über Kopf darin verliebt hatte. Olivia schätzte, dass diese Romantik eines Tages nachlassen würde, aber im Moment war sie völlig aufgekratzt, als sie zu dem Haus hinaufging und, nach einem kurzen Kampf mit der Türklinke, die Eingangstür aufschwang.

Eine Gänsehaut legte sich über ihren Rücken, als sie ihr neues Heim betrat.

Sie kickte Staubmäuse vor sich her, als sie durch den Flur schritt, an dem Handwerker am Tag vorher noch dringende Reparaturen vorgenommen hatten, und schließlich die Küche betrat. Es war ein großer Raum mit Aussicht auf die Berge, ausgestattet mit zerbrochenen Tresen, Schränken ohne Türen und Wasserhähnen, die nur sporadisch funktionierten. Die Wasserversorgung zu reparieren würde bestimmt nur eine nebensächliche Aufgabe werden.

Sie spürte, wie sich ihr Herz vor Aufregung und Angst zusammenzog. Das Haus hatte so viel Potenzial, aber war in solch einem vernachlässigten Zustand. Vor ihr lag ein Berg aus Arbeit. Olivia hatte keine Angst vor harter Arbeit, aber sie fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, diese hallende, zerbröckelnde Hülle voller Spinnweben in das gemütliche und funktionelle Heim zu verwandeln, das es in der Vergangenheit möglicherweise einmal gewesen war und nun wieder werden könnte.

Olivia musste niesen. Die Küche war staubig, doch im Moment konnte sie die Fenster nicht öffnen, weil die von Dreck und Rost ganz verklemmt waren. Sie entschloss, dass es besser wäre, draußen auf ihre beste Freundin Charlotte zu warten, mit der sie sich für einen Rundgang über die Farm verabredet hatte.

Als Olivia wieder in den sonnendurchfluteten Korridor trat, hielt sie plötzlich inne und starrte entsetzt auf den Neuankömmling, der soeben aufgetaucht war.

Zwischen ihr und der Tür, mitten auf dem pfirsichfarbenen Gipsfußboden, hockte eine riesige, haarige Spinne.

Olivia wich zurück, als sie in die Mitte des Sonnenstrahls krabbelte, der auf den Boden fiel. Sie begann, schnell und heftig zu atmen. Sie hatte eine Mordsangst vor Spinnen.

Ihr Apartment in Chicago, in dem sie in den letzten sechs Jahren gewohnt hatte, war brandneu, und sie wohnte im achten Stockwerk. Während ihrer Zeit dort hatten sich keine Spinnen bis zu ihr hochgearbeitet, daher hatte sie völlig vergessen, was für eine Angst sie vor ihnen hatte.

Doch jetzt erinnerte sie sich wieder.

Sie fand sie furchteinflößend!

Plötzlich zweifelte Olivia an der Klugheit ihrer Entscheidung, ihr sicheres, gemütliches Apartment verkauft zu haben und all ihr Geld in ein Haus voller lebensbedrohlicher Wildtiere zu investieren. Das Farmhaus war von Spinnweben überzogen. Das hieß wahrscheinlich, dass hier auch hunderte von Arachniden wohnten.

„Raus mit dir?“, versuchte Olivia es mit zitternder Stimme. Selbst ihr war klar, dass ihre Worte wenig von der benötigten Autorität widerspiegelten. Die Spinne ignorierte sie, scheinbar recht zufrieden in ihrem Fleckchen Sonne.

Unfähig, ihre Augen von dem Monster abzuwenden, griff Olivia hinter sich. Ihre Finger umklammerten ein Stück Holz, das von den Handwerkern gestern zurückgelassen wurde.

Sie könnte sie mit dem Brett anstupsen und sie somit dazu bewegen, ihr den Weg freizumachen. Dann könnte sie in aller Ruhe hinausspazieren.

Wahrscheinlich würde sie eher nach draußen hechten, gestand sie sich.

Olivia würde die Spinne nicht töten können. Das war nicht einmal eine Option, egal, wie viel Angst sie hatte. Sie könnte unmöglich ein unschuldiges, wenn auch angsteinflößendes, Wesen töten, das dieses Haus ihr Heim nannte. Sie spielte eine wichtige Rolle im Ökosystem. Welche Rolle das war, darüber war Olivia sich nicht sicher, aber sie wusste, dass es eine wichtige war.

Die Spinne brauchte nur ein wenig Überzeugung, sich zu bewegen. Nach draußen am besten, mindestens ein oder zwei Meilen weg von hier.

„Weg!“, rief sie und schüttelte eine blonde Strähne aus ihren Augen, als sie das Brett auf die Spinne zuschob.

Die Spinne kletterte auf das Brett, und Olivia ließ es schreiend fallen und sprang zurück.

„Das hatte ich nicht gemeint!“, jammerte sie.

Sie stieß mit ihrer Schulter gegen etwas Hartes. Es war das Gerüst, das die Handwerker am vorigen Tag hier zurückgelassen hatten, denn die hohen Decken hatten ebenfalls eine Reparatur nötig gehabt.

Der achtbeinige Besucher auf dem Boden hatte Olivia so hypnotisiert, dass sie das Gerüst über ihr ganz vergessen hatte.

Die Arbeiter hatten auf einem Holzbrett gestanden, das sich über die gesamte Länge des Flurs erstreckte.

Wenn Olivia auf das Gerüst kletterte, könnte sie über das Brett kriechen und an der Tür wieder hinunterklettern.

Dieser wagemutige Höhenakt würde ihr ermöglichen, die Spinne vollständig zu umgehen.

Olivia blickte das Gerüst hinauf und die Planke entlang.

Es wirkte höher, als sie es in Erinnerung hatte. Sie war kein Freund von Höhen.

Sie blickte wieder zurück zur Spinne.

Aber Höhen waren immer noch besser als das.

Olivia umklammerte das Metallgerüst und bemerkte, wie es schepperte und wackelte, als sie sich daran hinaufzog. So gefährlich kann es nicht sein, sagte sie zu sich selbst. Immerhin hatten die Handwerker den ganzen Tag darauf gearbeitet und Opern gesummt, während sie über das Brett balancierten und dabei hämmerten und bohrten.

Jetzt, wo Olivia dort oben war, war sie sich nicht sicher, wie sie das vollbracht hatten.

Auf allen Vieren kauernd legte sie eine testende Hand auf das Brett.

Es schwankte beunruhigend, und Olivia stieß ein erschrockenes Quieken aus.

Sie war jetzt vierunddreißig. Sie wollte gerne noch ihren fünfunddreißigsten Geburtstag erleben! War diese Idee zu leichtsinnig?

„Kein Zurück mehr“, trieb sie sich selbst an und legte auch ihre andere Hand auf das wackelige Brett. Das Gerüst auf der anderen Seite schien meilenweit entfernt zu sein.

Von ihrem Blickwinkel aus konnte sie sehen, wie das Licht durch das Farbglas über der hölzernen Eingangstür fiel. Sie waren von Staub überzogen, aber von hier konnte sie das bezaubernde Design sehen und sich vorstellen, wie herrlich die blauen, gelben, roten und grünen Scheiben aussehen würden, wenn sie erst einmal geputzt und poliert waren und die Morgensonne durch sie hindurchfiel.

Ermutigt von diesem positiven Gedanken kroch sie die Planke entlang.

„Iiik“, flüsterte sie. Das Brett war so schmal, dass sie nur mit Mühe ihr Gleichgewicht halten konnte, und es schwankte, als sie sich voranarbeitete, was ihr einen flauen Magen bescherte.

Was, wenn sie abstürzte und auf die Spinne fiel?

Obwohl sie hoch oben war, konnte sie sie noch immer sehen.

Wie sie auf sie wartete.

Olivia schnaubte besorgt bei dem Gedanken und klammerte sich an das Brett, während sie noch einige Zentimeter weiter vorankroch. Wer hätte gedacht, dass der Kauf eines Farmhauses zu solch einem risikofreudigen Verhalten führen würde? Sie hatte mit stundenlangem Putzen und Schrubben gerechnet, wenn sie die staubige und zerfallene Küche renovieren würde – welche zwar heruntergekommen, aber geräumig war, mit Tresen auf zwei Seiten und einer glorreichen Aussicht auf die Berge durch das größte der Fenster. Sie stellte sich einen Holztisch und Stühle in der Mitte vor und einen großen, neuen, glänzenden Ofen und die abgenutzten, kaputten Tresen ersetzt mit hellen, glänzenden Granitplatten und Töpfen mit Kräutern entlang der Fensterbänke.

In ihrer Vision würde sie das oben gelegene Schlafzimmer wieder auf Vordermann bringen, welches sowohl ein wundervolles Panorama über das Tal als auch ein großes Badezimmer mit einer riesigen Wanne, aber noch ohne Dusche, bot. Sie stellte sich die Wände in einem warmen Cremeton vor, mit gelben Vorhängen und rechts neben dem Fenster, ihr Bett an der gegenüberliegenden Wand mit einem großlinks en Gemälde darüber.

Sie hatte allerdings nicht erwartet, auf allen Vieren in schwindelerregenden Höhen über eine schmale, instabile Planke zu kriechen, um eine der größten und unberechenbarsten Spinnen zu umgehen, die sie in ihrem Leben je gesehen hatte.

Ihre Renovationspläne machten nicht die Fortschritte, die sie sich erhofft hatte.

Olivia machte sich langsam Sorgen darüber, dass ihr die Zeit davonrannte. Die Villa, die Charlotte ursprünglich gemietet hatte, war nur bis Ende des Sommers gebucht. Sie wusste nicht, ob ein paar kurze Monate ausreichen würden, um dieses hübsche, aber heruntergekommene Haus in ein auch nur annähernd bewohnbares Heim zu verwandelt, vor allem, wenn sie das Gelände jedes Mal verlassen wusste, sobald eine Spinne auftauchte. Das würde ihr gehörig Sand ins Getriebe streuen.

Olivia blickte auf, als sie hörte, wie sich von draußen schnelle Schritte näherten – was die Planke erneut zum Schwanken brachte.

„Sorry, dass ich spät bin“, rief Charlotte. „Ich wurde in der Villa aufgehalten. Die Hausmeister waren da, um den Springbrunnen draußen zu reparieren. Ich habe mir gedacht, du solltest hier auch eine installieren.“

„Hallo!“, rief Olivia nervös von oben herab. „Nicht reinkommen! Es ist gefährlich! Warte an der Tür!“

Charlotte steckte ihren Kopf durch die Tür und blickte überrascht zu Olivia hinauf.

Olivia starrte zurück – weit nach unten, denn Charlotte war ziemlich klein – in das runde Gesicht ihrer Freundin, von rotgesträhntem Haar umgeben und mit großen, erstaunten Augen.

„Was um alles in der Welt tust du da oben?“, fragte Charlotte ungläubig.

„Dort ist eine riesige Spinne“, erklärte Olivia mit vor Angst zitternder Stimme.

„Ich sehe nichts.“ Charlotte blickte den Flur entlang.

„Da!“ Ihr Leben riskierend nahm Olivia eine Hand von der Planke, um auf das Tier zu zeigen.

„Ach, da. Das kleine Ding?“ Charlotte klang überrascht. „Soll ich es für dich rausscheuchen?“

Sie marschierte in den Flur, und Olivias Herzschlag legte einen Gang zu.

„Sei vorsichtig“, quietschte sie.

Charlotte ging unerschrocken auf die Spinne zu.

„Raus mit dir!“, befahl sie mit strenger Stimme. „Du jagst meiner Freundin eine Heidenangst ein.“

Sie klatschte in die Hände, und die Spinne krabbelte gehorsam nach draußen.

Als sie durch die Tür verschwand, bemerkte Olivia zu ihrem Erstaunen, dass sie geschrumpft zu sein schien. Jetzt, wo Charlotte hier war, war sie nur noch halb so groß wie zuvor.

Charlotte schüttelte den Kopf und lachte.

„Olivia, du bist die einzige Person, die ich kenne, die lieber auf einem himmelhohen Gerüst den Tod in Kauf nimmt, anstatt an einer Spinne vorbeizugehen. Ich weiß noch, wie sehr du in der Schule Angst vor Spinnen hattest, aber ich dachte, aus der Angst wärst du herausgewachsen.“

Olivia rieb sich Staub aus ihren blauen Augen.

„Ich glaube, es ist sogar noch schlimmer geworden“, gab sie zu.

Charlotte sah sich draußen um.

„Sie ist weg“, versicherte sie Olivia. „Sie sucht sich jetzt wohl ein neues Zuhause, wo es ruhiger ist. Vielleicht richtet sie sich in diesem Ranken an den Seitenwänden ein. So, heute ist Erkundungstag. Sind wir bereit?“

„Und wie!“

Olivia trat aus dem warmen, staubigen Haus und sog dankbar die frische Luft ein. Sie konnte eine Spur von Abenteuer in der Brise ausmachen. Heute war der Tag, an dem sie jeden Quadratmeter ihres neuen Grundstücks erkunden und die Geheimnisse entdecken würde, die sich dort versteckten.

Zu Olivias Erstaunen war die Geschichte der alten Farm noch immer ein Mysterium, und sie hatte nur wenig darüber erfahren können, wer hier einst gewohnt hatte und zu welchem Zweck die ehemaligen Besitzer die hügeligen zwanzig Morgen genutzt hatten.

Heute hatte sie den Vormittag von ihrer Arbeit in der Probierstube von La Leggenda freibekommen, dem Weingut, auf dem sie als Sommelière arbeitete. Sie und Charlotte hatten entschieden, dass sie die Zeit dazu nutzen würden, das wilde, überwucherte Gelände auf der Suche nach Anhaltspunkten und Beweisen über die vorigen Besitzer genauestens zu durchkämmen.

Olivia konnte kaum erwarten, welche Geheimnisse sie womöglich aufdecken würden.




KAPITEL ZWEI


Als sie und Charlotte das Farmhaus hinter sich zurückließen, drehte Olivia sich um, um einen Blick darauf zu werfen, und sie wurde von Glück erfüllt. Es hatte vielleicht etliche Reparaturen bitter nötig, aber dieses bescheidene, zweistöckige Gebäude mit den geschwungenen Fenstern und soliden Steinwänden, die bronzen in der Morgensonne glühten, war sowohl elegant als auch robust. Es musste mindestens hundert Jahre alt sein, schätzte sie und wünschte sich, dass sie mehr über seine Geschichte erfahren könnte.

Wer hatte es gebaut, und wer hatte hier gewohnt? Wie war das Leben dort gewesen? Welche Romanzen und welcher Herzschmerz, welche Hoffnungen und Träume, hatten sich unter den ockerfarbenen Ziegeln und im Schatten der Korkeichen und Olivenbäume abgespielt?

Sie wandte sich ab und blickte hinaus über die Berge.

Sie konnte sich glücklich schätzen, diese beinahe schwindelerregend schöne Aussicht von diesem hochgelegenen Grundstück in der Toskana ihr Eigen zu nennen. Der dramatische Fernblick änderte sich jede Stunde, wenn sich die Sonne und die Schatten bewegten. Gerade ergoss sich das Morgenlicht über die fernen Hügel und betonte den Flickenteppich aus Weinfeldern, Weizenfeldern, Wäldern und Wiesen in Tönen aus Gold und Grün. Ein Gefühl von Fassungslosigkeit überkam sie, dass das nun ihre Heimat war, die Aussicht, die sie nun, da sie hier wohnte, jeden Tag genießen würde.

Der Nachteil, ein so weit oben gelegenes Grundstück in einer hügeligen, trockenen Gegend der Toskana zu besitzen, war der steinige Boden. Es war wahrscheinlich nicht der beste Ort, den man kaufen konnte, wenn man sich das Ziel gesetzt hatte, Wein anzubauen und sein eigenes Label zu starten.

Das war Olivias verrücktes Lebensziel, das mit nichts anderem als einem wilden Traum begonnen hatte. Nach einem unschönen Ende ihrer Beziehung mit ihrem Freund Matt in Chicago hatte Olivia ihren Job als Accountmanagerin in einer Werbefirma gekündigt und Charlottes Einladung angenommen, den Sommer mit ihr in der Toskana zu verbringen. Sie hatte einen neuen Job bei La Leggenda angenommen, die zum Verkauf stehende Farm entdeckt und aus einem Impuls heraus entschieden, ihr gemütliches Apartment in Chicago zu verkaufen und all ihr Geld in ihr neues Leben zu investieren.

Sie hatte nicht die geringste Idee, ob sie das Zeug zur Weinfarmerin hatte oder ob dieses Land überhaupt fruchtbar war.

Trockener Boden produzierte die besten Trauben. Dieser Fakt gab ihr Hoffnung.

Allerdings mussten diese Trauben erst angebaut werden, und das war ein einschüchternder Ausblick.

Olivia machte sich eine mentale Notiz, dass sie während ihrer Wanderung nach geeigneten Orten für den Anbau von Wein Ausschau halten würde.

„Hiermit erkläre ich unseren Erkundungstag für eröffnet“, sagte sie. „Lass uns als erstes am Zaun entlang gehen.“

Sie machten sich auf den Weg, rutschten und kletterten den steilen, steinigen Hügel hinab, bis sie die Grenze der Farm erreichten. Sie war von einem niedrigen Zaun umgeben – eine mickrige Umzäunung aus zwei Drähten, den man mit Leichtigkeit überschreiten konnte. Das war nicht genug, um eine Ziege damit zu beeindrucken. Das könnte ein Problem werden, denn Olivia hatte eine Ziege adoptiert.

Naja, um genau zu sein, hatte die Ziege Olivia adoptiert.

Erba, eine weiße Ziege mit orangenen Flecken, gehörte eigentlich zum Weingut, auf dem Olivia arbeitete, aber das Tier hatte Gefallen an ihr gefunden und hatte sich angewöhnt, ihr jeden Abend nach Hause zu folgen.

Erba folgte ihr auch sonst überall hin, und als Olivia den Zaun erreichte, war sie nicht überrascht, eine kleine Ziege, die gerade noch an einer Geranie geknabbert hatte, begeistert auf sich zuspringen zu sehen.

„Komm mit, Erba, lass uns sehen, ob wir unterwegs nicht ein paar wilde Kräuter für dich finden“, forderte Olivia sie auf und kraulte ihr den zotteligen Kopf. Erba war das italienische Wort für „Kräuter“, und Olivia musste zugeben, dass man ihr diesen Namen zurecht verpasst hatte.

„Konntest du irgendetwas über die Farm rausfinden?“, fragte Charlotte, als sie auf das nächste Gebäude zugingen – eine große, massive Scheune, nur einen Katzensprung vom Haus entfernt.

„Nein“, gestand Olivia. „Es ist und bleibt ein Geheimnis. Ich hatte gehofft, Gina, die pensionierte Dame, die mir das Grundstück verkauft hat, würde mehr wissen, aber sie hatte nicht die geringste Ahnung.“

Die Unterhaltung, die Olivia mit der farbenfrohen, älteren Dame gehabt hatte, die in ihrem winzigen Fiat vorgefahren war, um ihr die Schlüssel zu überreichen, hatte sie überrascht. Sie hatte einen vollständigen Bericht über die Vergangenheit der Farm erwartet, aber Gina hatte ihr lediglich erzählt, dass sie das Grundstück von einem entfernten, verstorbenen Cousin geerbt hatte, der es vor einigen Jahren wiederum von einem Freund erstanden hatte, und sie wusste nichts weiter über ihren Hintergrund.

Gina und ihr Mann hatten die Farm nur einige Male besucht, weil ihr Mann durch seine Handtaschenfabrik stets vielbeschäftigt war. Sie hatten überlegt, hier ihr Rentenalter zu verbringen, aber letzten Endes hatten sie entschlossen, in ihrem Haus in Florenz zu bleiben, nahe bei ihren Familien und Freunden.

„Vielleicht finden wir unterwegs ein paar Hinweise“, sagte Olivia.

Sie hoffte, dass die Scheune ihnen erste Anhaltspunkte liefern würde.

Das erste Mal, als sie einen Blick hinter die hohen Steinwände geworfen hatte, hatte sie gedacht, dass das das perfekte Hauptquartier zur Weinherstellung sein würde. Zwar war der Boden an einigen Stellen eingebrochen und die Türen waren schon lange nicht mehr vorhanden, aber sie stellte sich vor, dass einige glänzende Stahlkessel und Eichenfässer entlang der Innenwände ihr wieder zu altem Glanz verhelfen würden.

Das Sonnenlicht, das durch die große Lücke fiel, an der einst die Türen gewesen waren, deutete an, dass die Scheune offensichtlich schon jahrelang leer und verlassen war. In der hinteren Ecke lag ein Haufen aus Bauschutt. Olivia würde den irgendwann hinausschaffen müssen oder jemanden beauftragen, es für sie zu tun, denn es schienen ein paar schwere Steine dabei zu sein.

Sie war enttäuscht, dass sie in der Scheune keine weiteren Informationen fanden.

„Meinst du, sie hatten einst Vieh hier drin?“, fragte Charlotte perplex.

Wenn ja, wieso gab es dann keine Anzeichen dafür? Es gab definitiv keine sichtbaren Zäune auf der Farm, ganz zu schweigen von gutem Weideland für Tiere.

Erba sprang über den niedrigen Drahtzaun und steuerte entschlossen einen wilden Rosenbusch an, der auf der anderen Seite wuchs.

„Vielleicht Hühner?“, wagte Olivia einen Vorschlag. Hühner waren durchaus möglich. Vielleicht war diese Scheune einst ein sicherer Schlafplatz für die Nacht gewesen.

Sie ließen die Scheune hinter sich und folgten dem Zaun auf einen grasbewachsenen Bergkamm und dann weiter den Hügel hinauf. Olivia war wie verzaubert von einem versteckten Hain mit Wacholderbüschen in einer Krümmung der Hügel, die Sträucher voll von den unverwechselbaren, violetten Beeren, und der großen, markanten Flaumeiche, die den Blickfang der Bergkuppe bildete.

Am hinteren Ende der Farm entdeckten sie ein scheinbar sehr altes, zerfallenes Bauwerk mit nur mannshohen Wänden und ohne die geringste Spur eines Dachs. Olivia fragte sich, ob das vielleicht einst das ursprüngliche Farmhaus gewesen war, das man aufgegeben hatte, als es langsam verfallen war, und man danach ein neues an der sonnigeren Seite des Hanges gebaut hatte. Sie untersuchte es nicht genauer, aus Angst, dass alle evakuierten Spinnen sich vielleicht in dieser gemütlichen Ruine eingerichtet hatten.

Hinter dem Farmhaus wuchsen ein paar Haselnusssträucher mit einer reichen Auslese an reifenden Nüssen an ihren schlanken Ästen. Olivia liebte Haselnüsse. Sie war angetan von dem Gedanken, dass sie jederzeit einen Spaziergang zu dieser Seite der Farm unternehmen und einige zum Frühstück pflücken konnte, sobald sie reif waren.

Sie folgten dem Zaun, der bald an den ruhigen, sandigen Weg grenzte und dann wieder zurück zum Farmhaus führte. Obwohl es ein toller Tag gewesen war, um die hier wachsenden Bäume zu bestaunen, musste Olivia zugeben, dass die Tour ihnen wenig sonstige Hinweise geliefert hatte.

Doch da stieß Charlotte einen begeisterten Schrei aus und deutete auf ein halb verstecktes Gebäude in einer Ansammlung von Hagedornbüschen voll weißer Blüten.

„Da oben ist noch ein Gebäude. Schau!“

Ein Blick auf die Farbe der Steinmauern sagte Olivia, dass dieses Gebäude vermutlich zur selben Zeit errichtet worden war wie die alte Farmhausruine.

Sie stiegen hastig den steilen Berg hinauf. Olivia hatte ein gutes Gefühl bei diesem kleinen, quadratischen, von Bäumen verdeckten Gebäude. Sie hatte sich nie träumen lassen, dass es existierte, und war sich sicher, dass sie dort etwas Aufregendes finden würden.

Sie bahnte sich ihren Weg über den sandigen Untergrund und atmete den Duft der wilden Lavendelbüsche ein, die über ihre Beine strichen. Als sie sich dem Gebäude näherten, sah sie ein kleines Fenster, eher ein Luftschacht, hoch oben in der Steinwand.

Olivia legte eine Hand auf die kühle Mauer. Der Bau, in eine Bucht des Hügels genestelt, ohne ein einziges großes Fenster, ließ vermuten, dass es einst als sicheres Lager genutzt worden war. Wenn sie recht hatte, konnte vielleicht noch immer etwas im Innern zu finden sein.

Mit angehaltenem Atem umrundete sie es.

Da war sie. Ihr Herz schlug schneller, als sie die Holztür erblickte.

Obwohl die Oberfläche abgesplittert und verwittert war, sah die geschlossene Tür dick und solide aus.

Sie konnte nicht erwarten zu sehen, was sich dahinter befand.

„Endlich ein Fund!“, rief sie.

„Oh, ich bin so froh, dass wir endlich Ergebnisse erzielen“, jubelte Charlotte neben ihr und starrte auf die stabile Holztür.

Olivia atmete tief durch.

„Das ist es also. Jetzt werden wir das große Rätsel lösen.“

Sie drückte die Klinke herunter, und ihr Herz raste, als sie sich fragte, was sie wohl dahinter finden würden.

Doch dann stöhnte sie enttäuscht.

Die Tür war fest verschlossen.


*

Als sie am Mittag zur Arbeit ging, erwischte sich Olivia wieder und wieder dabei, wie ihre Gedanken zu dem geheimnisvollen Raum zurückwanderten. Was befand sich darin, und wie konnte sie hineingelangen, wenn selbst die Fenster zu klein waren, um hindurchzuklettern?

Sie wünschte, sie hätte mehr Zeit gehabt, um nach einem Eingang zu suchen.

Eine Option wäre, die Tür einzuschlagen, aber Olivia wollte nur ungern etwas in solch perfektem Zustand zerstören, vor allem, da die Tür ein Schlüsselloch besaß. Sie würde sie lieber unbeschädigt lassen und weiter hoffen, dass sie eines Tages den Schlüssel finden würde.

Vielleicht war er in der alten Ruine versteckt, inmitten eines Spinnennetzes?

Oder vielleicht musste Olivia ihre Vermutung über die alte Farmhausruine revidieren, jetzt, nachdem sie gesehen hatte, in welch perfektem Zustand sich dieser Lagerraum befand. Vielleicht war es einst einem Feuer zum Opfer gefallen oder ein Baum war darauf gefallen oder es hatte eine andere Katastrophe gegeben, die es zum Teil zerstört hatte. In dem Fall hatten die Farmer es vielleicht weiterhin benutzt, nachdem sie in das neue Haus gezogen waren.

Sie beschloss, die Umgebung abzusuchen und ein Auge nach dem Schlüssel offenzuhalten, wenn sie aufräumen und das Farmhaus saubermachen würde. Er würde sicherlich irgendwann auftauchen.

Olivia verdrängte ihre Gedanken. Sie konnte nicht weiter über das Rätsel ihres neuen Heims grübeln, wenn ihr ein anstrengender Tag auf dem berühmten Weingut La Leggenda bevorstand.

Während sie die ruhige, mit Zypressen gesäumte Straße entlangging, gestand sich Olivia, dass ihr derzeitiger Titel als Sommelière ihren Kenntnisstand noch immer weit überstieg.

Sie hatte sich aus einem Impuls heraus vor einigen Wochen in der Weinkellerei beworben und war für die Sommersaison als Assistentin angestellt worden. Nach einer bizarren Wende, bei der der damalige Sommelier umgebracht worden war und Olivia geholfen hatte, den Mordfall zu lösen, hatte sie schließlich das Angebot, seinen Job zu übernehmen, angenommen.

Sie besaß all den Enthusiasmus, der für die Position vonnöten war. Ihr fehlte es lediglich an Wissen. Seit sie ihre neue Stelle angetreten hatte, hatte Olivia das Gefühl, dass es ihr an mindestens zehn Jahren an Erfahrung fehlte, die sie in genauso vielen Tagen aufholen musste, um ihrem großzügigen Gehalt, das man ihr zahlte, gerecht zu werden.

Sie wusste, dass ihre Rolle zurzeit eher der einer Probierstubenbotschafterin entsprach, da es ihre Aufgabe war, die Gäste willkommen zu heißen und die Weinverkostung und die Verkäufe zu verwalten – letztere waren substanziell höher als im letzten Jahr, was bewies, dass sie in diesem Bereich besonders glänzte. Aber sie arbeitete so schnell sie nur konnte daran, sich all das Wissen anzueignen, das sie brauchte, um als vollwertige Sommelière gelten zu können, und lernte sogar abends noch. Naja, zumindest an manchen Abenden. Immerhin war Charlotte zum Urlaub hier, und sie landeten zwei bis drei Mal pro Woche abends in örtlichen Restaurants. Aber an allen anderen Abenden versuchte sie ihr Bestes.

Ihr Herz wurde ihr um einiges leichter, als sie La Leggenda vor sich erblickte. Sie hatte einen solch wundervollen Arbeitsplatz. Die eleganten Gebäude des Weinguts, erbaut aus honigfarbenem Stein, wirkten wie ein lebender Teil der grün-goldenen Landschaft, in der sie erbaut worden waren. Als sie die gewundene Zufahrt entlangging, überkam sie eine Woge aus Stolz darüber, dass sie nun ein kleiner Teil dieses historischen Ausflugsziels war.

„Guten Morgen, Olivia.“

Ihr Herz wurde ihr noch leichter, als sie den Besitzer der Weinkellerei, Marcello, an den Eingangspforten erblickte. La Leggenda war ein Familienbetrieb in der zweiten Generation, welcher heute im Besitz und unter Management von Marcello, vierzig Jahre alt, seiner jüngeren Schwester Nadia und seinem jüngeren Bruder Antonio war.

„Buon giorno“, grüßte sie zurück.

Er unterschrieb gerade einen Lieferschein, aber er legte das Blatt Papier zur Seite und kam mit einem Lächeln, das seine Augen aufleuchten ließ, auf sie zu und küsste sie zur Begrüßung auf die Wangen.

Olivia spürte, wie sie rot anlief. Sie hatte aufgegeben, gegen diese automatische Reaktion auf Marcellos Anwesenheit anzukämpfen. Er war nicht nur groß, dunkelhaarig und umwerfend gutaussehend, mit markanten Wangenknochen und Augen, tiefblau genug, um darin zu ertrinken, sondern sie hatte auch das Gefühl, dass da ein Funke zwischen ihnen sprühte.

Marcello verhielt sich jedem gegenüber charmant, aber Olivia spürte, dass er ihr besonders viel Aufmerksamkeit schenkte. Sie bildete sich das nicht nur ein. Definitiv nicht! Auch andere hatten das bereits bemerkt und sie schon mehrmals darauf hingewiesen.

Außerdem bestätigte ihr ihre Intuition, dass sie recht hatte.

Sie hatte vor, direkt in den Verkostungsraum zu gehen und alles für den anstehenden Arbeitstag vorzubereiten, aber zu ihrem Erstaunen legte Marcello ihr seine warme Hand auf die Schulter.

„Olivia, kannst du eine Minute warten? Ich möchte dich etwas fragen.“

„Na klar! Sicher doch!“

Verschiedene Szenarien schossen ihr durch den Kopf, angefangen mit einer Verabredung zu einem Kaffee. Es wird aber keine Einladung zum Kaffee sein, sagte sich Olivia streng. Sie hatte das Gefühl, dass sich Marcello persönliche Schranken auferlegt hatte, was das Ausgehen mit Mitarbeitern des Weinguts anging. Vermutlich wollte er nur einige Änderungen im Verkostungsmenü mit ihr besprechen.

Sie sollte sich besser einen neuen Wein überlegen, dachte Olivia panisch. Da gab es diesen besonderen Chardonnay, den die Kellerei erst kürzlich herausgebracht hatte, den man bereits als einen möglichen Medaillengewinner pries. Der wäre ein geeigneter Neuzugang.

Aber da klingelte Marcellos Telefon.

„Du solltest doch besser gehen“, sagte er. „Lass uns später reden.“

Froh darüber, dass ihr Tag eine zweite Begegnung mit Marcello versprach, trat Olivia durch den hohen Torbogen in den Verkostungsraum.

Der geräumige Bereich war das Herzstück der Kellerei. Von dem breiten Holztresen zu der dramatischen Kulisse aus Weinfässern mit dem goldenen La Leggenda-Logo darüber, strahlte er eine beeindruckende Atmosphäre aus.

Jeden Tag nach Eröffnung wimmelte es in dem großen Raum von Gästen, die die Auszeichnungen und Zertifikate des Weinguts bestaunten und sich die Geschichte von La Leggenda durchlasen, die auf großen Postern an den Wänden ausgestellt war – ein kürzlich hinzugefügtes, touristenfreundliches Detail, das bereits ein Touristenmagnet war. Da es Hochsommer war, wusste Olivia, dass es ein anstrengender Tag werden würde und sie Paolo, einer der Kellner aus dem berühmten Restaurant der Kellerei, um Hilfe bitten müssen würde.

Olivia schloss die Seitentür auf und trat hinter den Tresen. Das war ihr Reich, gesäumt von Kühlschränken und Regalen und Schränken mit Gläsern. Hinter der beeindruckenden Kulisse befand sich ein sogar noch größerer Bereich – der geräumige Lagerraum mit Reihen aus Regalen, auf denen Tausende von Weinen gelagert waren.

Ein Stimmengewirr kündigte die Ankunft der ersten Gäste an. Eine Gruppe aus drei Pärchen kam auf sie zu.

Eifrig trat Olivia vor. Sie erkannte ihre Akzente, und es versetzte ihr jedes Mal einen besonderen Kick, Gäste aus dem eigenen Land zu bedienen. Immerhin wusste sie genau, wie viele Stunden sie in den Staaten damit verbracht hatte, Reisewebseiten zu durchstöbern und sich den Tag vorzustellen, an dem sie endlich ihren Traumurlaub antreten würde.

Sie wollte, dass der Besuch auf La Leggenda für all ihre Landsmänner ein einzigartiges Erlebnis werden würde.

„Wir haben hier zum Mittag gebucht“, teilte die dunkelhaarige Frau hinten in der Gruppe ihren Freunden mit. „Wir haben also noch Zeit für eine schnelle Weinverkostung.“

Olivias Lächeln verschwand. Sie starrte die Gruppe entsetzt an.

Die Stimme der Frau kam ihr bekannt vor.

Olivia war sich sogar sicher, dass sie sie kannte.

Wenn sie sich recht erinnerte, war der Name der Frau Leanne Johnson. Während ihrer vergangenen Karriere hatte Olivia sie gut gekannt, aber sie war eine Person, von der sie nie erwartet hatte, sie jemals wiederzusehen, und das auch gar nicht wollte.

Wenn Leanne sie erkannte, wusste Olivia, dass ihre Vergangenheit sie sofort einholen würde, und zwar auf die denkbar schlimmste und peinlichste Art und Weise.




KAPITEL DREI


Panik stieg in Olivia auf, als die Gruppe auf sie zukam.

Wenn Leanne erkannte, wer sie war, würde es im besten Fall demütigend enden, im schlimmsten desaströs.

Während ihrer ehemaligen Karriere als Werbeaccountmanagerin hatte Olivia eine Kampagne für eine Weinmarke namens Valley Wines geleitet.

Sie hatte all ihre Energie in diese Kampagne gesteckt. Sie hatte wochenlang bis in die frühen Morgenstunden an den Werbeslogans und am Branding gearbeitet, an den Logos, den Formulierungen und der Gesamtstrategie.

Die Kampagne war außerordentlich erfolgreich verlaufen und das Label hatte hohe Marktanteile verschlungen und unterwegs einige Konkurrenten ausgelöscht.

Während der Kampagne hatte Olivia bemerkt, dass die Weine allerdings nicht nur durchschnittlich, sondern schlichtweg widerlich waren. Die Weine waren nicht einmal echte Weine gewesen. Sie waren Traubensaft gemixt mit Geschmacksstoffen und minderwertigem Alkohol. Valley Wines hatte an jeder Ecke des Herstellungsprozesses gespart. Sie hatten an Ecken gespart, an denen es nicht einmal Ecken gegeben hatte.

Während der Billigwein auf einer Welle von Olivias Anstrengungen nach vorn katapultiert wurde, ihr einen enormen Bonus einfuhr und seine Konkurrenz vernichtete, die den Erfolg viel eher verdient hätten, hatte das Gesundheitsamt das Gelände untersucht und die illegalen Inhaltsstoffe und die unhygienischen Vorgänge dort entdeckt – man hatte sogar eine tote Ratte in einem der Tanks gefunden.

Diese Razzia hatte Valley Wines ein für alle Mal untergehen lassen – zusammen mit Olivias Ansehen in der Werbewelt.

Ihre größte Angst war nun, dass ihre jetzigen Arbeitgeber von ihrer Verbindung zu dieser berüchtigten Marke erfahren würden. Jedem war bekannt, was nach der Razzia des Gesundheitsamts passiert war. Die Neuigkeiten hatten sich in der ganzen Welt ausgebreitet und jeder Weinhersteller, Weinhändler und Weintrinker hatte Valley Wines mit Leidenschaft diskutiert.

Ratten in den Kesseln! Gab es etwas Schlimmeres? Das La Leggenda-Team, und vor allem Marcello, wären geschockt. Sie würden glauben, dass sie sich fälschlicherweise als ein passionierter Weinliebhaber präsentiert hatte. Sie würden sie vielleicht sogar sofort entlassen.

Hier war sie nun, mit erstarrter Miene, als Leanne Johnson auf sie zukam.

Leanne leitete eine Presseagentur, mit der Olivia während der ganzen Valley Wines-Kampagne zusammengearbeitet hatte. Leannes Unternehmen hatte viele der Produktstarts und Events koordiniert, die landesweit stattgefunden hatten.

Leanne war ein auffälliges Großmaul mit einer schrillen Stimme. Wenn sie Olivia erkannte, würde die gesamte Kellerei bald wissen, was sie miteinander gemeinsam hatten und wie Olivia einst unermüdlich diesen Billigwein vermarktet hatte. Wenn ihr Mittagessen vorbei war, würde die halbe Toskana darüber Bescheid wissen, was Olivia einst getan hatte.

Olivia warf einen nervösen Blick in das Restaurant, und ihr Herz rutschte ihr in die Hose, als sie die todschicke Managerin Gabriella an der Rezeption stehen sah.

Gabriella war Marcellos Exfreundin und hatte Olivia vom ersten Tag an nicht ausstehen können, da sie gespürt hatte, dass Marcello sie bevorzugte. Wenn sie von Olivias Assoziation mit Valley Wines erfuhr, würde sie diese Information nutzen, um Olivia in jeder nur denkbaren Weise zu sabotieren.

Olivia hatte beinahe jeden Tag mit Leanne gesprochen. Sie hatten darüber gewitzelt, dass sie eine Standverbindung zueinander brauchten.

Aber – und das konnte Olivia vielleicht retten – sie und Leanne hatten sich nur selten gesehen. Sie hatten nur ein einziges Meeting zum Start der Kampagne gehabt, denn Leanne hatte ihren Sitz in New York und hatte sich um alle außerstaatlichen Veranstaltungen gekümmert, an denen Olivia nicht teilnehmen konnte.

Urplötzlich hatte Olivia eine Idee.

Sie würde so tun müssen, als wäre sie Italienerin.

Wenn sie mit stark italienischem Akzent sprach, würde das ihre amerikanische Redeweise überdecken, welche sie sofort verraten würde.

Olivia legte wieder ihr professionelles Lächeln auf, als Leanne ihre Ellbogen erwartungsvoll auf den Tresen stützte. Sie hoffte, sie würde damit durchkommen. Es war ihre einzige Chance.

„Buon giorno“, verkündete sie.

Ihre Stimme war höher als normal. Okay, das lag daran, dass sie eine Mordsangst davor hatte, erkannt zu werden, aber es kam ihr auch zugute.

„Ich heiße Sie so herzlich auf La Leggenda willkommen“, quietschte sie und bemühte sich, genauso wie Nadia, die leitende Winzerin, zu klingen, wenn diese Englisch sprach. „Darf ich Ihnen unser Verkostungsmenü vorstellen?“

Niemandem kam ihr starker, gekünstelter Akzent verdächtig vor, und zum Glück starrte Leanne bloß fasziniert auf die Verkostungsliste, verzaubert von den Beschreibungen der Weine.

Eines der Pärchen innerhalb der Gruppe begann auf einmal, angeregt in einer anderen Sprache miteinander zu sprechen und einen erschrockenen Moment lang blieb Olivias Herz stehen. Wenn diese beiden Italiener waren, war sie erledigt. Ihr kläglicher Täuschungsversuch wäre gescheitert.

Sie atmete erleichtert auf, als sie erkannte, dass sie Spanisch sprachen. Gott sei Dank, sie war gerettet.

Sie wagte es nicht, Leanne anzusehen, als sie den ersten Wein präsentierte.

„Das hier ist der magnifico Vermentino“, erklärte sie und hielt ihnen die Flasche hin. „Dieser Wein ist – äh – ganz und gar magnifico, hergestellt aus regionalen Trauben, die in meeresnahen Regionen gedeihen. Er ist bekannt für seinen blumigen und fruchtigen Geschmack und wird vor allem für seine salzigen und zitronigen Obertöne gelobt. Magnifico!“, schloss sie mit einer extravaganten Armbewegung ab und war stolz auf die italienische Authentizität, die sie gerade zum Besten gegeben hatte.

Die Gäste griffen eifrig nach den feinen Kristallgläsern und schwenkten ihre Probierportionen darin herum. Sie liebte es, sowohl die Konzentration auf ihren Gesichtern zu beobachten, als sie versuchten, die Geschmacksnoten und Aromas, die sie beschrieben hatte, zu erkennen, als auch die Freude, wenn sie endlich an diesem perfekten Wein nippten.

Außer Leanne. Sie starrte Olivia nur neugierig an, und Olivia merkte, wie ihr Magen sich langsam zusammenzog.

„Kenne ich Sie von irgendwoher?“, fragte sie. „Das klingt vielleicht nach einer seltsamen Frage, aber Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor. Sind Sie jemals in New York gewesen? Haben Sie vielleicht etwas mit Eventmanagement zu tun?“

Olivia starrte sie nur atemlos an. Was könnte sie antworten, ohne zu lügen? Sie wollte nicht lügen, obwohl ihr ein paar Szenarios durch den Kopf schwirrten – sie könnte sagen, dass sie eine Schwester hatte, die in einer Reality-Show im Fernsehen auftrat, oder eine Cousine, die ein Model in Manhattan war. Aber diese Geschichten würden sie nur noch tiefer ins Chaos reißen. Das durfte sie nicht riskieren.

„Ich bin auf vielen der Fotos des Weinguts, auf ganz vielen! Wir haben eine Webseite, und jeder macht Bilder von uns für Instagram. Alle turistas lieben es, Selfies von diesem magnifico Ort zu schießen!“

Sie wartete, die Flasche fest umklammert, um zu sehen, ob Leanne ihr diese absolut wahre, aber auch völlig falsche, Erklärung abkaufen würde.

„Ja, das wird’s sein!“ Leanne schnippte mit den Fingern. „Ich habe mir Ihre Location auf Instagram angesehen, als ich unsere Weintour geplant habe. Es ist wirklich ein sehr fotogenes Setting.“ Sie wendete sich zu ihrem Partner. „Da fällt mir ein, ich muss dir die Bilder zeigen, die ich auf meinem Spaziergang heute Morgen gemacht habe. Der Sonnenaufgang über den Bergen war spektakulär. Ich suche sie dir schnell mal raus.“

„Genießen Sie den Vermentino.“ Olivia lächelte. „Ich bin in uno momento wieder da und schenke Ihnen den nächsten Weißwein ein, eine Mischung aus regionalen Friulano-, Pinot Bianco- und Sauvignon Blanc-Trauben.“

Erleichtert wankte sie auf wackeligen Beinen davon und zog sich in das Hinterzimmer zurück, um ihr Büchlein mit italienischen Redewendungen zu Rate zu ziehen, das sie in ihrer Handtasche mit sich trug. Ihr schien, dass sie ein wenig zu freizügig mit dem Gebrauch des Wortes magnifico gewesen war. Sie musste sich dringend nach Alternativen umsehen.


*

Nach der Touristen-Rushhour zur Mittagszeit bemerkte Olivia, dass sie nur noch eine Flasche der berühmten Miracolo-Rotweinmischung im Lager hatte. In der letzten Woche waren die Gäste unermüdlich in die Probierstube geströmt, und Marcellos Bruder Antonio, der sich sonst um den Lagerbestand kümmerte, hatte ein neues Feld bepflanzt. Daher war er zu beschäftigt gewesen, um für Nachschub zu sorgen.

Olivia beschloss, die momentane Flaute zu nutzen, um Antonio zu finden.

Sie unternahm einen kleinen Umweg ins Restaurant, wo der Mittagsservice gerade zu Ende gegangen war. Paolo räumte die Tische im Außenbereich ab. Um ihn zu erreichen, musste Olivia allerdings den Spießrutenlauf aus den dolchartigen Blicken der Restaurantmanagerin auf sich nehmen.

Das Restaurant zu betreten fühlte sich für sie an, als würde sie den Weg über ein Minenfeld wagen, dachte Olivia, als sie sah, wie die perfekt frisierte Gabriella sich zu ihr umdrehte und sie anstarrte.

„Buon giorno“, rief Olivia und versuchte, überlegen, aber dennoch freundlich zu wirken.

Es war nicht ihre Schuld, dass Gabriella sie nicht mochte. Sie war Marcellos Exfreundin, die ihren Job nach der Trennung weiterhin behalten hatte und, wie Olivia erfahren hatte, grundsätzlich jeden verachtete, den Marcello mochte. Es war nichts Persönliches – oder vielleicht doch?

„Was tust du hier?“, rief Gabriella misstrauisch.

„Ich will Paolo fragen, ob er mich kurz vertreten kann, während ich Nachschub an Wein besorge“, erklärte Olivia. „Es ist nur für zwanzig Minuten.“

„Wir haben viel zu tun. Sehr viel. Ich brauche ihn hier“, wendete Gabriella ein und machte eine ausladende Handbewegung über das beinahe leere Restaurant.

Olivia wusste, dass ihr Protest zwecklos war, denn Marcello hatte selbst gesagt, dass sie wenn nötig Hilfe anfordern durfte.

„Nur zwanzig Minuten“, wiederholte sie lächelnd, wohl wissend, dass Gabriella vor Wut schäumte.

Paolo ließ sofort von seiner Aufgabe des Tischeabräumens ab und folgte ihr bereitwillig in den Verkostungsraum.

„Jedes Mal fühle ich mich etwas sicherer dabei, die Weine zu erklären“, gestand er. „Es macht Spaß, den Leuten zuzusehen, wie sie die Weine würdigen. Mehr Spaß, als den Leuten beim Essen zuzusehen, was sie wiederum kein bisschen würdigen, wenn sie merken, dass sie beobachtet werden. Vielleicht werde ich eines Tages dein Vollzeit-Assistent.“

„Das hoffe ich. Ich bin dir dankbar für deine Hilfe, und du machst das ausgezeichnet“, ermutigte Olivia ihn. Sie war sich nicht sicher, ob Paolo die Arbeit in der Weinkellerei wirklich mochte oder ob er einfach nur froh war, Gabriellas tyrannischer Kontrolle zu entkommen.

Jetzt, wo der Verkostungsraum bemannt war, eilte sie aus der Kühle hinaus in die glorreiche Nachmittagssonne und nahm sich einen Moment, um sie zu genießen. Es war ein perfekter Tag, warm und ruhig und ohne eine einzige Wolke am tiefblauen Himmel. Sie atmete den süßen, blumigen Duft des toskanischen Jasmins ein, der an der Vorderseite des Gebäudes hinaufrankte, bevor sie sich auf den Weg hinauf zu La Leggendas höheren Lagen machte, wo Antonio eine der höchstgelegenen Hänge bepflanzte.

Während ihres zügigen Aufstiegs entschloss Olivia, so viel wie möglich darüber zu lernen, was er dort tat und wieso. Diese hohen Ebenen des Weinguts sahen dem Terrain ihrer neuen Farm sehr ähnlich. Es musste ein Geheimnis geben, wie man Wein auf diesem trockenen und steinigen Grund erfolgreich anbaute.

Ein kleiner Traktor, zwei der Geländewagen des Weinguts und ein weißer Van sagten ihr, wo Antonio und sein Team gerade arbeiteten.

„Hallo, Olivia“, rief Antonio, als er sie kommen sah. „Ich habe vergessen, dir neue Weine zu bringen! Was brauchst du?“

„Ich habe nur noch eine Flasche Miracolo, und der Sangiovese geht mir auch bald aus“, sagte Olivia.

„Ich bringe sie dir heute Nachmittag“, versprach Antonio.

Er streckte seine Arme über seinem Kopf aus und klopfte dann seine Taschen nach seinen Zigaretten ab, sichtlich erleichtert, eine Pause von der anstrengenden Arbeit einlegen zu können.

„Ist dieses Land neu bepflanzt?“, fragte Olivia.

„Ja, brandneu. Wir haben entschieden, dem vorigen Terrain eine Pause zu gönnen, da es letztes Jahr keinen guten Ertrag geliefert hatte.“

„Welche Sorte pflanzt ihr hier?“, fragte sie.

„Nebbiolo. Das ist eine rote Traube mit dünner Haut, die Wein mit hohem Säuregehalt und einem unglaublichen Bouquet produziert. Es ist knifflig, diesen Wein anzubauen, und man muss den Ort sorgfältig wählen. Er mag Sonne und sandigen Boden, und diese Rebsorte bevorzugt die hochgelegenen Hänge im Südwesten. Aber saurer Boden kann in den weiten Bereichen ein Problem darstellen, also auch hier.“

„Wirklich?“ Olivia spitzte die Ohren. Sie würde den Boden auf ihrer Farm testen müssen, bevor sie mit dem Pflanzen anfing.

„Wir nutzen einen biologischen Dünger und eine Schicht aus Kompost gemischt mit Kalk. Der Kompost hilft auch, die Feuchtigkeit zu halten. Diese hochgelegenen Böden trocknen sehr schnell aus, zu schnell für den gesunden Wachstum der Trauben, vor allem, wenn sie noch jung sind.“

Das waren eine Menge Informationen. Olivia wiederholte sie für sich selbst, sich bewusst, dass Antonio sie neugierig beobachtete.

Sie war versucht, ihm von ihrem verrückten Vorhaben zu erzählen, aber entschied, dass es besser wäre, es nicht zu erwähnen. Allein das Aussprechen der Worte konnte die Unternehmung in diesem frühen Stadium verhexen. Sie wurde nervös bei dem Gedanken an das Pflanzen ihrer ersten Reben, denn das bedeutete die Möglichkeit auf haushohes Versagen.

Sie würde fürs Erste kein Wort darüber verlieren und versuchen, zu lernen, was sie nur konnte.

Olivia dankte Antonio erneut und machte sich auf den Weg zurück zur Kellerei.

Als sie eintrat, sah sie, wie Marcello gerade aus seinem Büro kam, welches auf der Rückseite der Verkostungsstube lag.

„Olivia. Können wir uns jetzt unterhalten, falls du Zeit hast?“

„Natürlich“, sagte Olivia und blickte zum Tresen, wo Paolo eine Gruppe junger, dänischer Frauen mit großem Enthusiasmus bediente. Überall sah Olivia nur lächelnde Gesichter und wusste, dass er die Situation ganz unter Kontrolle hatte, als er seine Ärmel hochschob und seine muskulösen Arme zur Schau stellte, bevor er schwungvoll eine Flasche Vermentino-Weißwein präsentierte.

„Ich habe definitiv Zeit“, bestätigte sie.

„Morgen früh muss ich nach Pisa“, erklärte Marcello. „Es ist ein Geschäftstrip, und ich hätte gern, dass du mit mir kommst, denn ich glaube, das wäre eine gute Lernerfahrung für dich. Wir werden hier um sieben Uhr losfahren müssen und den ganzen Tag unterwegs sein.“

Olivia blieb vor Aufregung der Atem weg. Die Chance, einen ganzen Tag damit zu verbringen, alles über Wein zu lernen, war eine Gelegenheit für sich, aber das alles in Gesellschaft von Marcello? Das war die Kirsche auf der Sahnehaube.

„Das würde ich liebend gerne“, willigte sie ein.

War es nur ihre Einbildung oder war Marcello tatsächlich erfreut über ihre enthusiastische Zustimmung?

„Ich freue mich schon darauf“, sagte er. „Ich glaube, das wird ein produktiver Tag für uns beide.“

Olivia sprudelte vor Aufregung. Diese Lernerfahrung war genau das, worauf sie während ihrer Zeit auf La Leggenda gehofft hatte. Es würde ein Abenteuer werden zu sehen, wie andere Farmen in der Gegend arbeiteten, und wie ihre Weine schmeckten.

„Ich habe gesehen, dass du mit Antonio gesprochen hast“, bemerkte Marcello. „Schuldet er dir etwa Wein?“

„Das tut er“, sagte Olivia. „Er hat mir versprochen, die Flaschen später vorbeizubringen.“

Marcello nickte. „Wir sind mit dem Bepflanzen dieses Feldes spät dran. Wir hoffen auf einen guten Ertrag an Trauben während der nächsten Saison, aber es ist womöglich schon zu spät, und die Trauben reifen vielleicht nicht rechtzeitig. Wir haben entschieden, dass heute die letzte Chance zum Pflanzen ist. Egal, wie lange wir heute arbeiten, die Samen müssen zum Sonnenuntergang im Boden sein.“

In diesem Moment rief jemand nach Marcello, welcher mit einer schnellen Entschuldigung wieder hineinlief, um nach dem Rechten zu sehen.

Olivia blickte ihm sorgenvoll nach.

Sie dachte, sie hätte noch Tage – Wochen – um ihren ersten Wein zu pflanzen und genug Zeit, darüber nachzudenken, zu planen und Informationen zu sammeln, bis sie diesen wichtigen Schritt wagen würde. Doch die Bombe, die Marcello gerade zum Platzen gebracht hatte, änderte nun diesen Zeitplan.

Sie hatte nicht den Luxus eines weiteren Abends, wenn sie in der nächsten Saison auch einen Ertrag vorweisen wollte.

Heute, direkt nach der Arbeit, würde sie ihre ersten Samen kaufen und pflanzen müssen.




KAPITEL VIER


Atemlos und ungeduldig eilten Olivia und Charlotte nur fünf Minuten vor Geschäftsschluss in den Eisenwarenladen im nahegelegenen Dorf Collina.

Olivia trug noch immer ihre Arbeitsklamotten. Sie hatte nicht einmal Zeit gehabt, sich umzuziehen. Als sie in die Villa zurückkehrte, hatten sie und Charlotte sich in einem Miniatur-Tornado aus Handlungseifer in den Fiat gezwängt und waren in einer Geschwindigkeit ins Dorf gerast, die selbst einen waschechten Italiener stolz gemacht hätte.

Olivia hatte nicht einmal abgebremst, als sie das beschauliche Schloss am Rande der Stadt passierten. Es war für sie ein Ritual geworden, es zu bewundern, und sie wusste, dass sie in der Vergangenheit schon einige Staus verursacht hatte, während sie ihren Hals gereckt hatte, um es zu bestaunen. Sie wurde es niemals leid, seine bröckelnden Mauern und grauen Steinzinnen anzusehen und sich zu fragen, wie es wohl vor hundert Jahren in seiner gesamten Pracht ausgesehen haben mag.

Diesmal, einzig auf ihre dringende Aufgabe konzentriert, hatte sie nicht einmal einen Seitenblick darauf geworfen.

Olivia rief der mütterlichen Verkäuferin ein freundliches buon giorno zu und bahnte sich dann schnurstracks ihren Weg in die Abteilung mit dem Zubehör für die Weinherstellung.

Der Eisenwarenladen war genau wie das Dorf Collina selbst, dachte Olivia. Überraschend klein und eng, und doch gab es dort alles, was man brauchte.

Was sollte sie kaufen? Sie starrte verwirrt auf die dicht bepackten Regale. Sie hatte gehofft, hier viel systematischer vorgehen zu können. Sie hatte nicht einmal die Zeit gehabt, eine Liste zu machen.

„Wir werden einen Wagen brauchen, stimmts? Ich hole einen Wagen“, sagte Charlotte.

Sie eilte zurück zum Eingang, während Olivia in den Gängen auf und ablief und überlegte, welchen Dünger sie wählen sollte und ob der Boden ihrer Farm auch Kalk brauchen würde. Es war zu spät, über den Kompost auch nur nachzudenken.

Dann war da noch die Frage, welche Trauben sie anbauen sollte. Das war auch eines der Dinge, über die sie noch nicht nachgedacht hatte. Olivia dachte panisch sowohl an ihre Unterhaltung mit Antonio zurück als auch an das Wissen, dass sie während ihrer Arbeit hinter der Weintheke aufgeschnappt hatte.

Ihre Farm lag ohne Zweifel weit oben und hatte hügelige Hänge.

Vermentino sollte demnach dort gut wachsen, und wenn er das tat, würde Chardonnay das auch tun.

Antonio hatte Nebbiolo gepflanzt, aber laut ihm waren das für den Anbau recht empfindliche Trauben, und als Anfänger brauchte sie zähe, widerstandsfähige Trauben. Die einheimischen roten Sangiovese-Trauben würden besser wachsen, entschied sie. Sie waren hier zuhause und würden hoffentlich einfacher wachsen.

Sie legte noch eine Gießkanne in den Einkaufswagen, zusammen mit einem Rechen und einem Spaten.

Die kleine Plastikgießkanne schien ihr unzureichend, als Olivia an die riesigen, hügeligen Flächen dachte, die sie zu bepflanzen hatte, aber die Alternative war, eine Bewässerungsanlage zu installieren, und das wäre ein teures und zeitaufwändiges Unterfangen. Eine Gießkanne musste fürs Erste reichen.

„Ich bin eine Macherin“, redete sie sich optimistisch ein.

„Ich werde dir beim Gießen helfen“, sagte Charlotte. Auch sie beäugte zweifelnd die limettengrüne Kanne. „Ich kann dir bei allem helfen, was du tun musst. Immerhin ist die Farm ein echt spaßiges Projekt.“

„Wirklich?“, fragte Olivia. Für sie fühlte es sich gerade eher entmutigend als spaßig an.

„Absolut. Mir hat die Landwirtschaftsidee schon immer gefallen. Als eine Tochter der Erde habe ich schon immer das Potenzial dazu in mir gespürt.“

Olivia blickte Charlotte dankbar an, aber erwischte sich dabei auch, wie sie dem Mann hinter ihrer Freundin in die funkelnden, braunen Augen starrte. Olivia fragte sich, wie lange er schon geduldig dort wartete, während sie sich durch die Regale wühlte, von ihrem Panikeinkauf völlig vereinnahmt.

„Sorry, wir halten Sie auf.“ Olivia versuchte, den Einkaufswagen so gut wie möglich zur Seite zu schieben, um ihn vorbeigehen zu lassen.

„Nein, kein bisschen. Ich hab’s nicht eilig.“ Er hielt inne und musterte sie genauer.

Olivia starrte zurück. Egal, wie beschäftigt sie auch mit ihren Einkäufen war, sie kam nicht umhin zu bemerken, dass er in etwa in ihrem Alter war, fit und stark wirkte und ein schelmisches Lächeln und außergewöhnlich gut gestyltes Haar hatte. Seine dunklen Haare waren perfekt getrimmt, mit einem leichten Zickzackscheitel und die Spitzen zu einwandfreien Stacheln gegelt. Sogar sein Dreitagebart war präzise getrimmt.

„Verzeihen Sie meine Neugier, signora“, sagte er. „Ich kenne nur eine Farm hier, die zum Verkauf steht. Sprechen Sie von dem Grundstück auf dem Berg, oberhalb der strada regionale?“

Er meinte die schmale Teerstraße, die von Collina zum nächsten, drei Meilen entfernt gelegenen Dorf führte, vermutete Olivia.

„Ja, genau die.“

„Ernsthaft? Sie haben sie gekauft?“ Sein Lächeln breitete sich zu einem ungläubigen Grinsen aus. „Dieses alte Ding?“

„Ja“, antwortete Olivia defensiv.

Lachte er sie etwa aus? Er war eindeutig ein Einheimischer, der die Gegend kannte. Wusste er etwas, von dem sie nichts wusste?

War ihre Investition etwa ein drastischer Fehler gewesen?, fragte sich Olivia mit einem Schaudern.

„Es ist eine wunderschöne Farm“, insistierte sie. „Die Aussicht ist wunderbar.“

Er hob fragend eine Augenbraue.

„Stimmt, ja, ein perfekter Ort für ein Ferienhaus.“

Doch nun starrte er in ihren Einkaufswagen.

„Aber Sie machen dort keinen Urlaub. Bauen Sie dort Wein an? Wein? Jetzt? An diesen Hängen?“

„Ja, ich werde heute Abend mit dem Pflanzen beginnen. Ich hoffe auf eine Ernte nächsten Sommer“, sagte Olivia.

Der Mann schüttelte fröhlich lachend den Kopf.

„Americanos! Was für ein Volk! Ich liebe es, wie verrückt Sie sind, so optimistisch. Keine Herausforderung zu groß! Hübsche Lady, ich wünsche Ihnen alles Gute – aber Sie werden mehr brauchen als meine Wünsche.“ Noch immer vor sich hin kichernd schlängelte er sich an dem Einkaufswagen vorbei zur Kasse.

Charlotte starrte ihm fragend nach.

„Hat er dich wegen etwas gewarnt?“, fragte sie.

Olivia zuckte die Schultern. „Ich glaube, er wollte uns nur ärgern“, sagte sie. Zumindest hoffte sie das.

Als sie sich den Inhalt ihres Wagens ansah, fiel ihr auf, dass diese Last-Minute-Shopping-Tour ein teures Vergnügen werden würde. Sie hoffte, dass sie mit all dem keine desaströse Entscheidung getroffen hatte.

Nachdem sie ihre Einkäufe in den winzigen Kofferraum ihres Fiats gezwängt hatten, fuhren sie zum Farmhaus zurück. Es war Hochsommer und sie hatten daher noch etwa dreieinhalb Stunden Tageslicht übrig, aber Olivia wusste, dass sie sich ins Zeug legen mussten. Sobald sie mit der Saat fertig waren, würden sie sich in dem Restaurant unten an der Straße mit Pizza und Wein belohnen.

Sie war froh, dass sie in dem staubigen, oberen Schlafzimmer eine alte Jogginghose verstaut hatte, da sie wusste, dass sie ein paar lottrige Klamotten brauchen würde, die sie anziehen konnte, wenn sie hier arbeitete.

Sie lief die Treppe hinauf, schälte sich aus ihrem Arbeitsrock und zog die ausgewaschene Stoffhose an. Sie trug sie für all ihre Arbeiten auf dem Grundstück und im Garten. Die Hose war nicht nur fleckig und schmutzig, sondern sie hatte auch ein großes Loch am Hinterteil, das sie sich an einem Rosenbusch eingehandelt hatte.

Olivia faltete ihren schicken Rock und das Jackett und legte sie auf den Fensterrahmen, welchen sie gestern saubergewischt hatte und welcher somit die einzige staubfreie Oberfläche im ganzen Haus war.

Sie hielt einen Moment inne und starrte aus dem Fenster.

Eines Tages würde dieser leere, hallende Raum ihr Schlafzimmer sein. Hier würde sie schlafen, das Zimmer erwärmt von den abendlichen Sonnenstrahlen, und nach dem Aufwachen über die morgendlichen Hügel blicken. Die hohe Decke und die geräumige Fläche wären perfekt für ein Doppelbett und einen gemütlichen Ohrensessel, zusammen mit einem rustikalen Schreibtisch und vielleicht einem riesigen, altmodischen Kleiderschrank.

Oder wären eingebaute Schrankwände einfacher?

Die Entscheidung quälte Olivia noch immer, und sie wusste, dass sie sie bald treffen werden müsste. Aber das war eine einfache Entscheidung, denn sie wusste, dass dabei nichts schiefgehen konnte und beide Optionen letztendlich funktionieren würden. Dasselbe galt für die Zimmerwände. Sollte sie den cremegoldfarbenen Ton einfach nur auffrischen oder sich für einen helleren Weißton entscheiden? Auch hier gab es keine falsche Antwort.

Wo sie die Samen pflanzen sollte, die sie gerade gekauft hatte, war allerdings eine schwere Entscheidung, denn es bestand die Möglichkeit, dass sie es vermasselte.

Von unten hörte sie Charlotte aufgeregt quieken.

Olivia lief die Treppe hinunter, um zu sehen, was passiert war.

„Schau, sie ist wieder da! Erinnerst du dich noch an die Katze von vor ein paar Tagen? Sie ist wieder hier. Vielleicht hatten die Leute, die die Decke ausgebessert hatten, sie eine Zeitlang verschreckt.“

„Oh, wie schön, dich zu sehen.“

Olivia beugte sich vor, wackelte mit den Fingern und redete der kleinen, nervösen, schwarzweißen Katze zu, die sich dieses verlassene Farmhaus anscheinend als Heim ausgesucht hatte. Sie war zwar scheu, aber nicht mehr so sehr wie zu Anfang. Sie hoffte wahrscheinlich auf etwas zu essen. Charlotte kramte in ihrer Handtasche nach einem Beutel mit Futter.

„Ich habe nur noch eins übrig.“

Triumphierend leerte sie den Inhalt in die Plastikschale, die sie gekauft und auf der Veranda stehengelassen hatte.

Während sie neben Charlotte stand, fiel Olivia auf, dass sie beide ein identisches, liebevolles Lächeln auf den Lippen hatten, während sie zusahen, wie die Katze hungrig ihr Abendessen verschlang. Egal, wie dringend das Pflanzen war, Olivia konnte sich einfach nicht von dem belohnenden Anblick losreißen, bis die Katze endlich den letzten Brocken aus der Schüssel geleckt hatte und mit einer zufriedenen Katzenwäsche begann.

„An die Arbeit“, verkündete sie.

Sie stöberte im Kofferraum, hob einen Sack Dünger heraus und griff wahllos eine Packung Samen.

„Vermentino also“, sagte sie. „Du wirst die Spitzenreitersaat auf der Glass-Farm werden.“

Sie begutachtete das Gelände.

„Logisch gedacht würde ich vorschlagen, sie etwas abseits zu pflanzen. Am Haus wird viel gearbeitet werden, und wir wollen sie nicht dort aussähen, wo womöglich Fahrzeuge fahren müssen oder Material geliefert wird.“

„Wie wäre es, wenn wir diese Charge ganz hinten auf der Rückseite der Farm anbauen, in der Nähe dieses Lagerhauses, dass verschlossen ist?“, schlug Charlotte vor.

„Auf dieser Seite gibt es kein Wasser“, erinnerte sich Olivia, und Charlotte nickte.

„Bevorzugen die Trauben nicht trockenen Boden? Wir können sie jetzt gießen. Ein paar Touren hin und wieder zum Wässern könnten ausreichen.“

„Gute Idee“, entschloss Olivia.

„Ich bin heute der Wasserträger“, stellte sich Charlotte freiwillig zur Verfügung.

Mit dem Spaten in der Hand machte sich Olivia auf den Weg den Berg hinauf.

Nach einem kurzen, flotten Marsch kam sie an dem alten Nebengebäude an.

Wie viel Abstand sollte sie zwischen den Samen lassen? Olivia dachte hastig zurück an die Reben, die sie auf La Leggenda gesehen hatte. Zwei große Schritte zwischen jeder Pflanze würde ausreichen.

Mit der Spitze des Spatens zeichnete sie ein großes Rechteck in den sandigen Boden mit seiner Fülle an wilden Kräutern und Pflanzen. Dann begann sie, kleine Beete für die Samen anzulegen und streute eine Handvoll Dünger auf jedes davon. Sie grub jedes Beet kräftig um und verspürte jedes Mal einen Stich ins Herz, wenn die Spatenspitze gegen massiven Stein traf. Das konnte doch nicht möglich sein, oder? Der Boden war bestimmt eher einfach nur sehr fest.

Nach einer halben Stunde intensiven Grabens, war ihre erste Stätte bereit zum Besäen.

Als Charlotte erneut über die Bergkuppe gestiegen kam und sich während ihres nun dritten Trips den Schweiß von der Stirn wischte, begann Olivia gerade, die Samen in die frischgegrabenen und gewässerten Beete zu pflanzen.

Das war aufregend, anstrengend und furchterregend zugleich, stellte sie fest und versuchte, ihre Ängste zu verdrängen und mit positiver Energie zu ersetzen, während sie auf dem feuchten Boden kniete und die Erde festdrückte. Hieß es nicht, dass Pflanzen deine Gedanken und Gefühle spüren können? Sie würde diese Saat mit Hoffnung und Fröhlichkeit überschütten müssen.

„Und nun wachst, ihr Lieben!“, rief Olivia, und Charlotte blickte sie neugierig an.

Sie stellte sich wieder auf die Füße und klopfte sich den Dreck von den Knien ihrer Jogginghose.

„Wie wäre es, wenn wir uns von hier zurückarbeiten und ein kleines Feld mit Chardonnay in der Nähe der Ruine pflanzen und den Sangiovese danach hinter der großen Scheune?“

„Das klingt – naja, um ehrlich zu sein, klingt das sehr anstrengend“, lachte Charlotte. „Aber lass uns ans Werk gehen. Je eher die Babys in der Erde sind, umso eher können wir anfangen, Wein zu machen!“

Auf dem Weg zurück stellte Olivia überrascht fest, dass jeder Muskel ihres Körpers brannte. Dieser Weinanbau war harte Arbeit! Sie begann zu verstehen, wieso Antonio so schlank und fit war.

Sie nahm das Paket mit Sangiovese-Samen in die Hand. Auf diese freute sie sich besonders. Egal, wie die anderen Sorten gelangen, dieser einheimische Wein musste mit Sicherheit einen klaren Vorteil haben.

Sie stieg den Berg hinunter und markierte die Beete mit der Kante ihres Spatens.

Danach legte sie eine Pause vom Graben ein und lehnte sich auf den Spaten, während sie sich den schmerzenden Hintern rieb.

Als sie den näherkommenden Schatten hinter sich bemerkte, rief sie, „Diese müssen noch gegossen werden, Charlotte.“

„Müssen sie das, signora?“

Olivia ließ erschrocken ihren Spaten fallen.

Die Stimme hinter ihr war warm, tief und unverkennbar männlich.

Sie wirbelte herum und starrte in die grinsenden Augen des Mannes aus dem Eisenwarenladen.




KAPITEL FÜNF


„Was tun Sie denn hier?“, kreischte Olivia.

Ihre Empörung verdeckte ihre Verlegenheit – aber nur ganz knapp. Sie hatte sich vorgelehnt und sich gerade den Hintern massiert, als er sich ihr von hinten genähert hatte.

Und schlimmer noch, sie hatte ein riesiges Loch hinten in ihrer Hose. Olivia spürte, wie ihr Gesicht vor Demütigung rot anlief, als sie sich daran erinnerte.

Das war kein günstiger Moment für einen unangekündigten Besuch.

„Verzeihung, ich wollte Sie nicht so überrumpeln“, sagte der Mann mit einem verschwörerischen Zwinkern. „Ich kam gerade hier vorbei. Ich dachte, ich schaue mal rein und biete meine Hilfe an.“

Er beugte sich hinab und hob den Spaten auf. Hastig wirbelte Olivia herum, um ihn im Blick zu behalten. Sie wollte den Riss in ihrer Hose so gut wie möglich versteckt halten, obwohl er ihn bestimmt schon bemerkt haben musste.

Welche Unterhose trug sie?

Sie glaube, heute Morgen die graue gewählt zu haben. Und die Jogginghose war auch grau, also war der breite Riss hoffentlich gut getarnt gewesen.

„Sie haben ziemlich hart gearbeitet“, sagte der Mann und blickte über die beiden Reihen aus Beeten, die sie bereits ausgehoben hatte. „Allerdings fällt mir sofort auf, dass Sie einige Dinge falschmachen. Sie haben noch nie Wein angebaut, stimmts?“

Sie machte es falsch? Wie dreist, so etwas zu sagen! Olivia fühlte Wut über seinen beleidigenden Ton in sich aufsteigen. Wie konnte man denn bitte falsch graben? Sie musste doch nur den Spaten in den Boden rammen und die Erde auflockern. Olivia hatte nicht geglaubt, dass es hier einen richtigen und einen falschen Weg gab, und außerdem war sie sehr stolz auf die säuberlichen Beete, die sie angelegt hatte.

„Ich habe schon einmal Wein angebaut“, sagte sie trotzig. Was auch stimmte. Sie hatte gerade etwa hundert Samen an anderen Stellen auf ihrem Grundstück gesät. Nach beinahe drei heißen, ermüdenden Stunden harter Arbeit war sie ein erfahrener Experte.

„Das glaube ich nicht.“ Der stachelhaarige Mann hatte ihren Schwindel bemerkt. „Ich sehe bereits, was Sie falschmachen. Sie sind eine Anfängerin, die nichts weiß und alles erst ordentlich lernen muss. Soll ich Ihnen zeigen, welchen großen Fehler Sie gemacht haben? Bevor Sie all Ihr Geld verschwenden, dass Sie ausgegeben haben?“

Er hielt noch immer den Spaten fest, und das auf eine Art, die ihr sagte, dass er ihn nicht willig zurückgeben würde, und sein Lächeln gefiel ihr gar nicht. Es war, als lachte er sie aus, genau wie der Tonfall seiner Stimme. Er war wahrscheinlich hierhergefahren, damit er ihr wegen ihres Vorhabens seine chauvinistische Art aufdrücken und sich ein wenig aufspielen konnte.

Er schritt zügig auf die andere Seite ihres Mini-Weinbeets, und Olivia wirbelte herum, bewusst, dass sie ihm weiterhin zugewandt bleiben musste.

Hatte sie heute Morgen wirklich die graue Unterwäsche angezogen? Jetzt, wo sie daran zurückdachte, fiel ihr auf, dass die ganz hinten in der Schublade gewesen war, und sie hatte es eilig gehabt, als sie sich angezogen hatte.

Sie wünschte, sie könnte sich erinnern. Ihre Unfähigkeit sich zu erinnern, zusammen mit dem Schock über diesen unerwünschten Besuch, ließen ihr Gesicht glühen. Sie war sich sicher, dass er das auch bemerkt hatte. Olivia gewann den Eindruck, dass dieser unsympathische Mann, dessen Frisur für seine missratene Persönlichkeit viel zu gut aussah, keinen Trick unversucht ließ.

„Geben Sie mir den Spaten zurück“, forderte sie, plötzlich unfähig, sich mit dieser komplexen Situation auch nur noch eine weitere Minute auseinanderzusetzen.

„Darf ich es Ihnen denn jetzt zeigen?“, fragte er, offensichtlich zufrieden, dass sie sich endlich mit seiner Art zu denken abgefunden hatte.

Doch Olivia wollte das ebensowenig. Sie wollte das sogar noch weniger. Zuzusehen würde beinhalten, dass er hinter ihr stünde, während sie sich vorbeugte. Sie konnte die abendliche Brise förmlich spüren, wie sie durch den gigantischen Riss in ihrem Hosenboden strich.

Sie beschloss schließlich, dass sie diesen Mann auf keinen Fall hierhaben wollte. Er hatte weder einen Termin vereinbart noch um Erlaubnis gebeten, ihren brandneuen Weingarten zu betreten. Er war ihr gegenüber beleidigend und fordernd und deutete an, dass sie eine hoffnungslose Weinfarmerin war. Doch am schlimmsten war allerdings, dass er vermutlich ihre Unterhose gesehen hatte!

„Ich möchte, dass Sie gehen“, verlangte sie, trat vor und entriss ihm den Spaten. „Ich brauche Ihre Hilfe im Moment nicht, oder eher gesagt, auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt. Ich arbeite für ein Weingut und weiß, was ich tue. Wir kommen ganz gut allein zurecht. Sie stören mich, und Sie verschwenden Ihre Zeit. Ich muss den Anbau zu Ende bringen, bevor es dunkel wird, denn ich und meine Freundin sind am Verhungern und brauchen dringend eine Pizza und ein Glas Wein.“

Zu ihrem Erstaunen blickte der Mann einen Moment lang verletzt drein, als hätte er eine solch unmissverständliche Zurückweisung nicht erwartet.

Dann zuckte er mit den Achseln.

„Ich heiße Danilo“, sagte er. „Ich würde Sie auch gern nach Ihrem Namen fragen, aber ich glaube, dies ist nicht der rechte Moment für derartige Bekanntmachungen. Hier ist meine Visitenkarte. Rufen Sie mich an, wenn Sie meine Hilfe brauchen.“ Er zwinkerte ihr erneut zu, und Olivia fragte sich, ob sie sich den kurzen, verletzten Ausdruck in seinen Augen nur eingebildet hatte. „Ich bin mir sicher, dass wir uns bald wiedersehen!“

Sie fühlte wieder dieses Brodeln in sich. Der hatte Nerven! Er konnte einfach nicht aufhören anzudeuten, dass sie unfähig war.

Zögernd nahm sie ihm die angebotene Karte ab. Als der Mann sich umdrehte, um zu gehen, bog Charlotte gerade mit der Gießkanne ums Haus.

Sie sah, wie Danilos Augenbrauen bei dem Anblick in die Höhe schossen, und merkte, wie er versuchte, ein Lachen zu unterdrücken, als er zusah, wie ihre Freundin den kleinen, grünen Behälter den Hügel hinunterschleppte.

„Guten Abend, Ladys. Buena sera. Genießen Sie Ihre Pizza und Ihren Wein.“

Er schlenderte lässig durch das Tor und kletterte in seinen weißen Truck, den er neben der Straße geparkt hatte.

Kurz darauf röhrte der Wagen davon.

Olivia konnte nicht anders. Sie musste es einfach tun.

Sie riss an dem Gummibund ihrer Jogginghose und warf einen Blick auf ihre Unterwäsche. Dann verzog sie das Gesicht, schloss die Augen und wünschte sich, die letzten zehn Minuten ungeschehen machen zu können. Sie hatte sich heute Morgen für das grellorangene Unterhöschen entschieden, so grell, dass es beinahe leuchtete.

Es musste wie ein schillernder Sonnenuntergang durch eine graue Wolkendecke hindurch ausgesehen haben. Es gab nicht den geringsten Zweifel, dass Danilo das bemerkt hatte. Kein Wunder, dass er so breit gegrinst hatte.

„Uff!“, stöhnte Olivia.

Sie riss sich zusammen und versuchte, das Gefühl seines Blicks zu verdrängen.

„Was sollte das Ganze?“, fragte Charlotte. „War das der Mann aus dem Eisenwarenladen, und hat er versucht, unseren Anbauprozess zu dirigieren?“

Olivia nickte verbissen.

„Ich wusste ja nicht, dass aufdringliche Einheimische hier zum Tagesgeschäft gehören. Als hätte ich ungebetene Hilfe nötig!“

Charlotte blickte sie erstaunt an.

„Pflanzen ist auch nur einfaches Gärtnern, nicht wahr? Er wollte sich ganz klar bloß aufspielen.“

„Genau“, stimmte Olivia zu.

Doch insgeheim wurde Olivia gerade von Zweifeln zerfressen. So sehr sie auch versuchte, ihre Gedanken zu verdrängen, so fragte sie sich doch, was passieren würde, wenn sich ihre erste Ernte zu einem einzigem Debakel entwickeln würde.

„Bitte wachst“, flehte sie die Samen an, wohl wissend, dass sie gerade womöglich die schlechten Schwingungen ihrer Sorgen und Verzweiflung aufsaugen würden.

Diese Beete waren von der Straße aus sichtbar. Danilo konnte also jederzeit in seinem staubigen, weißen Truck daran vorbeifahren und sich ihre Fortschritte, oder auch das Fehlen derselbigen, ansehen.

Olivia ertrug den Gedanken daran nicht, wie peinlich es wäre, wenn sie ihn anrufen und ihn um den Rat bitten müsste, den er so zuversichtlich angeboten hatte.

Sie hoffte, dass die Saat schnell aufgehen würde, damit Danilo über ihr Gedeihen staunen können und er erkennen würde, wie unhöflich und unangebracht seine Kritik gewesen war.

In diesem Moment klingelte Olivias Telefon.

Sie wühlte in ihrer Tasche. So spät am Abend war es bestimmt jemand aus den Staaten, die zeitlich einige Stunden zurücklagen.

Es war ihre Mutter.

Olivia seufzte.

Sie hatten sich schon seit über einer Woche nicht mehr gesprochen. Sie hoffte, dieses Gespräch würde ihr nicht zu viel von ihrer Pizzazeit rauben. Da ihre Mutter nicht dafür bekannt war, kurze Unterhaltungen zu führen, beschloss Olivia, nach oben ins Schlafzimmer zu laufen und sich umzuziehen, während sie sprachen.

„Hallo, Mum“, sagte sie und machte sich auf den Weg zum Farmhaus.

„Olivia!“ Ihre Mutter klang besorgt. „Du hast versucht, mich am Wochenende anzurufen.“

Olivia konnte sich ihre zarte, nervöse Mutter vorstellen, wie sie in ihrem sonnendurchfluteten Wohnzimmer in ihrem Sessel mit Blumenmuster kauerte, während ihr Vater auf dem Sofa gegenüber las. Olivia wusste, dass ihr Vater nur dann seine Augen von den Seiten nahm, wenn die Stimme ihrer Mutter eine bestimmte Tonlage erreichte.

„Ja, das habe ich. Du hattest gesagt, dass du gerade Auto fährst und dass ich wann anders anrufen sollte.“

„Ich muss dir dringend sagen, dass dein E-Mailkonto gehackt wurde.“

„Wirklich?“ Olivia spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte, während sie die Treppe hinaufflitzte. Das war das Letzte, das sie jetzt gebrauchen konnte.

„Ja. Du musst das sofort melden.“

Olivia stellte ihr Telefon auf Lautsprecher und schälte sich aus ihrer Hose. Eigentlich sollte sie sie besser wegwerfen. Oder zumindest den Riss nähen lassen. Vielleicht gab es eine Schneiderei im Dorf. Allerdings war es ihr peinlich, solch eine schlottrige Hose zum Ausbessern wegzugeben.

Am einfachsten wäre es, sie hierzubehalten, so zerrissen und bequem, wie sie war.

„Woher weißt du das?“, fragte sie.

Ihre Mutter kündigte die Bombe auf äußerst  dramatische Weise an.

„Die Hacker haben mich angeschrieben, mit deinem Namen, und etwas Absurdes behauptet. Sie haben gesagt, dass du eine Farm in Italien gekauft hast.“

Olivia blinzelte.

„Ähm, Mum – “

Aber Mrs. Glass ignorierte sie und fuhr wie eine Dampfwalze einfach unbeirrt fort.

„Sie haben nicht direkt nach Geld gefragt, aber es war einfach für jemanden so weltbewandert wie ich zu erkennen, dass sie das Fundament dafür in ihrer nächsten Mail legen werden. Das nennt man Phishing, Schatz.“

Olivia hörte, wie ihr Vater etwas im Hintergrund murmelte.

„Oh. Es ist kein Phishing, Herzchen, es ist ein 419-Scam. Das ist es, was die Hacker gemacht haben. Ist das etwas Ernsteres, Andrew?“

Sie schwieg wieder, während Olivias Vater antwortete.

„Es ist anscheinend das Gleiche, nur anders. Aber egal, Schatz, du wurdest gephisht. Ich meine ge419t, und so solltest jeden in deiner Kontaktliste sofort informieren. Sie haben das wahrscheinlich an die gesamte Datenbank geschickt! Es war keine gutgeschriebene Mail, und sie stammte definitiv von jemandem, der nicht gut Englisch spricht, aber trotzdem, einige deiner naiven Freunde könnten es durchaus glauben.“

Olivia verdrehte die Augen, als sie sich ihren Rock anzog und wieder in ihre staubigen Sandalen schlüpfte.

„Mum, das war ich. Ich habe diese Mail geschrieben, und es stimmt. Ich habe in Italien eine Farm gekauft. Du warst beschäftigt und hattest keine Zeit zum Reden, also habe ich dir die Details geschrieben.“

Olivia merkte, wie sie anfing zu plappern, um die plötzliche, geschockte Stille am anderen Ende zu füllen.

„Sie ist echt hübsch. Ich stehe sogar gerade im Schlafzimmer. Und jetzt gehe ich die Treppe hinunter. Das Haus ist ein wenig vernachlässigt, aber die Struktur ist sehr solide, und es steht auf zwanzig Morgen, wie ich dir in meiner Mail geschrieben habe. Ich werde hier Wein anbauen! Ich habe vor, nächstes Jahr mein eigenes Weinlabel zu starten.“

„Dein was?“, antwortete ihre Mutter heiser.

Olivia war sich sicher, dass sie ihr die Fakten gerade deutlich vermittelt hatte und dass die Telefonverbindung kristallklar war. Sie hatte nur Schwierigkeiten, alles zu verarbeiten.

„Mein eigenes Weinlabel“, wiederholte sie, nur für alle Fälle.

„Ich kann das nicht glauben“, flüsterte ihre Mutter. „Olivia, das ist doch Irrsinn.“ Als sie fortfuhr, klang sie zunehmend misstrauisch. „Hast du etwa falschen Umgang? Hat man dich einer Gehirnwäsche unterzogen, oder bist du von einer Sekte gekidnappt worden, die mit deinem Geld ihre Machenschaften finanziert? Wenn du Hilfe brauchst, mein Engel, dann sag nur das Wort – das Wort – lass mich kurz überlegen, welches Wort man unauffällig in ein Gespräch einbauen kann. Das Wort ‚Wasser‘ wird reichen! Benutze es ganz deutlich in deiner Antwort an mich, und ich werde sofort die Behörden verständigen.“

Olivia erreichte den Fuß der Treppe.

„Können wir los?“, fragte Charlotte, die sich von ihrem Schneidersitz auf der Veranda hochrappelte.

„Ja“, antwortete Olivia ihrer Freundin schnell. Sie musste dieses nervige Gespräch endlich beenden und ihrer Mutter auf Widersehen sagen. Das Abendessen rief, und im Moment, nach diesem Tag, rief es besonders laut.

Olivia blickte hinab auf den frisch gepflanzten Weingarten.

„Oh, wir sollten die Gießkanne wegräumen. Die Samen brauchen erst mal kein Wasser mehr“, fügte sie schnell an Charlotte gerichtet hinzu, als sie den hellgrünen Farbfleck auf dem sandigen Beet bemerkte.

Olivias Mutter schrie auf.

„Das Codewort! Ich wusste es! Andrew, Olivia ist von einer Sekte einer Gehirnwäsche unterzogen worden, die sie gezwungen hat, eine Farm in der Toskana zu kaufen, die sie nun als Hauptquartier nutzt! Wir müssen dieses Telefonat sofort zurückverfolgen und ihr Hilfe verschaffen! Arbeitet das FBI auch in Italien?“

„Mum, mir geht’s gut!“, protestierte Olivia. „Ich muss los. Ich brauche keine Hilfe, und ich bin auch in keiner Sekte. Ich bin gerade auf dem Weg in ein Restaurant. Ich rufe dich morgen an. Hab dich lieb! Hab dich lieb, Dad! Alles ist gut! Versprochen!“

Sie hing auf und hoffte, dass ihre Worte überzeugend genug gewesen waren.

Sie traute es ihrer Mutter zu, das ganze FBI in die Toskana zu beordern, um Olivia von einer imaginären Sekte zu retten.




KAPITEL SECHS


Am nächsten Morgen wurde Olivia um halb sechs von ihrem Wecker geweckt.

Sie sprang aufgeregt aus dem Bett und blickte durch das große Fenster der Villa hinaus auf den Sonnenaufgang. Was für ein glorreicher Morgen! Die Luft war frisch und kühl, und die Schatten der Bäume breiteten sich über den tiefgrünen Wiesen aus. Dahinter erstreckten sich die Berge und Felder im nebligen Morgenlicht bis hin zum fernen Horizont.

Da der Verkostungsraum seine Pforten erst am Vormittag öffnete, hatte sie sich angewöhnt, bis acht Uhr auszuschlafen. So früh am Tage schon wach zu sein fühlte sich wie ein Abenteuer an.

Heute war der Tag des Ausflugs nach Pisa mit Marcello. Geschäftstrip, korrigierte sich Olivia hastig. Kein Ausflug, das durfte sie nicht vergessen. Geschäftstrip.

Es wird bestimmt ein langer, anstrengender Tag, redete sie sich streng ein. Sie würde professionell und aufmerksam sein müssen, um zu lernen, was sie nur konnte, selbst wenn die Unterhaltungen mit seinen Kollegen und Kunden auf Italienisch stattfinden würden.

Obwohl es ein Geschäftstrip war, hoffte sie, dass sie vielleicht die Chance haben würden, sich den Schiefen Turm von Pisa ansehen zu können, auch wenn es nur ein kurzer Blick von der Straße aus sein würde. Das war einer der Orte, den sie schon immer mal sehen wollte. In Gesellschaft von Marcello wäre es natürlich noch tausend Mal besser.

Olivia ermahnte sich streng, nicht zu aufgeregt zu sein. Das war ein geschäftlicher Ausflug, und sie musste es locker angehen.

Sie verließ das luftige Schlafzimmer und betrat das luxuriöse, anliegende Badezimmer. Sie duschte, stylte ihr schulterlanges, blondes Haar und nahm noch ein paar letzte Änderungen an ihrem Outfit vor, das sie am Abend zuvor herausgesucht hatte. Sie tauschte die schicken, hochhackigen Schuhe, die ihre erste Wahl gewesen waren, gegen Sommersandalen mit niedrigeren Absätzen, in denen sie leichter laufen konnte. Das türkise, knielange Kleid war perfekt, aber sie würde dazu ihre beigefarbene Lederjacke anziehen, welches mehr italienischen Flair ausstrahlte als die weiße Baumwolljacke, die sie sich gestern ausgesucht hatte.

Außerdem packte sie noch sowohl einen Notizblock und einen Stift als auch ihr Handyladegerät in ihre Handtasche. Und natürlich Lippenstift, Lipgloss und Parfüm, falls sie sich unterwegs noch einmal frisch machen musste.

Zum Beispiel bevor sie und Marcello zusammen zu Mittag essen würden.

Hör auf, sagte Olivia sich. Wahrscheinlich würde ihr Mittagessen aus einem schnellen Sandwich im Auto bestehen.

Sie blickte aus dem Fenster und bemerkte Erba, die von den Obstbäumen der Villa, wo sie sich an den herabgefallenen Granatäpfeln sattgegessen hatte, nun zielsicher auf das Haus zusteuerte. Gewöhnlich genoss Erba die zarten Sonnenstrahlen morgens auf der Fensterbank von Olivias Schlafzimmer, und sie hatte sich bereits an den ungewöhnlichen Anblick der sich sonnenden Ziege gewöhnt, wenn sie nach dem Aufwachen ihre Vorhänge zurückzog.

„Wir gehen heute früher zur Arbeit“, warnte sie Erba.

Nach einem letzten Check, dass sie auch alles hatte, was sie brauchte, eilte Olivia in die Küche. Von allen Räumen in der Villa liebte sie diesen am meisten. Der große, auffällige Wandfries mit zahllosen Trauben bedeckte eine der gekachelten Wände, und die Tontöpfe mit den Kräutern auf dem Fenstersims verströmten einen himmlischen Duft nach Rosmarin, Basilikum und Thymian. Am besten gefiel ihr an diesem Raum mit den angenehm warmen Farbtönen natürlich die große, rot- und chromfarbene Kaffeemaschine, die auf der Anrichte thronte.

Schnell verhalf sich Olivia zu einem doppelten Cappuccino und trank ihn, während sie aus dem Fenster auf den gefliesten Hof blickte, wo noch mehr Kräuter und Sträucher entlang den Steinmauern wuchsen. Genau so einen Hof wollte sie auch vor ihrer Farmhausküche haben. Vielleicht konnte sie die Fliesen sogar selbst verlegen. Sie liebte den Anblick. Alle Abschnitte mit Thymian und Katzenminze waren säuberlich voneinander abgegrenzt.

Genug geträumt, sagte sich Olivia, trank ihren Kaffee aus und schnappte sich ihre Handtasche.

„Komm, Erba“, rief sie, während sie durch den Flur nach draußen trat und vorsichtig die imposanten Türen hinter sich schloss. „Gassi!“


*

Um zehn vor sieben erreichte sie La Leggenda. Marcello war draußen bereits dabei, Wasserflaschen in eine Kühlbox und diese in den Kofferraum des SUVs zu laden. Sein dunkles Haar war frisch geschnitten und seine wirren Fransen fielen ihm jetzt nur noch bis zu den Augenbrauen. Er trug ein anthrazitfarbenes Hemd und eine schicke Jeans.

„Wir nehmen ein Geschenk mit“, erklärte er lächelnd. „Du siehst heute Morgen zauberhaft aus. Ich freue mich auf unseren Tag.“

„Ich mich auch“, sagte Olivia, durch sein Kompliment förmlich zum Glühen gebracht.

Er küsste sie auf beide Wangen, und sie spürte, wie ihre Knie sowohl durch diese Nähe als auch wegen des würzigen Aftershaves, das sie an seinen kräftigen, kantigen Wangenknochen erschnupperte, beinahe nachgaben.

Zum Glück hatte sie sich an diesen Effekt, den Marcello über sie hatte, bereits gewöhnt, und ihr rasendes Herz brauchte nicht lange, um wieder zu seiner normalen Geschwindigkeit zurückzukehren.

Sie trat in die Verkostungsstube, griff sich die letzten beiden Flaschen von der Theke und verstaute sie in der eigens dafür angefertigten, gepolsterten Kühlbox.

Eine Minute später fuhren sie bereits durch das elegante Tor des Weinguts.

„Unsere Reiseroute wird sehr malerisch, denn wir werden die ruhigeren Straßen nehmen“, erklärte Marcello und drehte die Musik ein wenig auf, sodass die sanften Klänge einer Oper – welche bei Olivia ein Schauder aus romantischer Vorfreude hervorriefen – eine melodische Untermalung boten. „Wir fahren zu einem Weingut, und ich hätte gern deine Meinung darüber.“

Ihre Meinung? Über ein Weingut? Olivia fühlte sich geschmeichelt, doch zugleich überkam sie auch Panik. Aus welcher Perspektive? Was hatte sie hinsichtlich fachlicher Expertise schon zu bieten?

Sie war froh, dass sie zuhause diesen starken Kaffee getrunken hatte. Zumindest war sie nun hellwach, und ihr Kopf arbeitete auf Hochtouren, während das Auto die schmale, mit Zedern gesäumte Teerstraße in Richtung der strada principale – der Hauptstraße auf dem Weg nach Pisa – entlangfuhr.

Doch bevor sie diese erreichten, bog Marcello rechts ab und beschleunigte auf einer gewundenen Straße, die sich die Berge hinaufwand, jede Kurve eine neue, bezaubernde Aussicht enthüllend.

Olivia erblickte einen dunklen, geheimnisvollen Wald versteckt in einem tiefen, schattigen Tal. Auf einem grünen Hügel stand ein riesiges Schloss mit einem mäandernden Fluss, der einen behelfsmäßigen Schlossgraben rundherum bildete, und Fahnen, die auf den Zinnen wehten.

Olivia hatte gedacht, ihr würde es schwerfallen, eine unangenehm höfliche Konversation während er Fahrt aufrechtzuerhalten, doch die Opernmusik erfüllte sowohl das Auto als auch ihr Herz, und sie konnte die Landschaft atemlos bestaunen, ohne sich verlegen zu fühlen.

Bevor sie sich versah, bremste Marcello das Auto auch schon ab und bog auf eine sandige Straße ab. Eine Meile später fuhr der SUV durch eine schmale Lücke in einem Drahtzaun.

An dem rechten Holzpfahl hing ein Schild. Was stand da? Olivia reckte ihren Hals, aber die Farbe war bereits so verblichen, dass sie die Aufschrift nicht entziffern konnte.

Dies hier war um so vieles anders als alle Weinfarmen, die sie bisher besucht hatte. Hielten sie vorher erst noch woanders an, oder was passierte hier?, fragte sie sich rätselnd.

Die Zufahrt war von Büschen und Grünzeug überwachsen, doch leuchtend bunt von Wildblumen und Schmetterlingen. Am Ende befand sich eine Lichtung, gerade mal groß genug für zwei Fahrzeuge. Ein schlichter, älterer Truck in ausgebleichtem Blau parkte bereits dort.

Jenseits der Lichtung stand ein kleines Steingebäude.

„Salve, Franco!“, rief Marcello, als er aus dem Auto stieg.

„Salve!“

Ein schlanker, grauhaariger Mann trat aus der Tür.

„Willkommen, willkommen“, begrüßte er sie und breitete dabei seine Arme aus.

Er und Marcello umarmten sich herzlich.

Dann nahm er Olivias Hand und beugte sich zu ihrem Erstaunen und Entzücken hinunter, um sie zu küssen.

„Willkommen, signorina“, begrüßte er auch sie schwärmerisch, und seine dunklen Augen leuchteten in seinem zerfurchten, gebräunten Gesicht.

Marcello hob die Kühlbox mit dem Wein aus dem Auto, und sie traten gemeinsam durch die verwitterte Eingangstür.

Olivia folgte Franco hinein und schnappte begeistert nach Luft.

Das Innere des Hauses war kein bisschen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie fühlte sich, als beträte sie eine andere Welt.

Es war überhaupt kein Haus. Innen sah man, dass das Gebäude, das von draußen so klein wirkte, viel größer war als erwartet – geräumig und mit hohem Dach.

Es war eine rustikale, aber produktive Weinherstellungsanlage.

Im Inneren brummte es vor Betriebsamkeit. Zwei Arbeiter hievten gerade ein langes Rohr in eines der Eichenfässer, die die hintere Wand säumten. Auf der anderen Seite gab es drei große Kessel. Es waren keine glänzenden, brandneuen wie die auf La Leggenda. Diese wirkten älter, abgenutzter, aber gut gepflegt und einsatzbereit.

Olivia sog das Aroma ein, das ihr mittlerweile so vertraut war, den anregenden Duft von gereiftem Holz und gärendem Wein. Dieser Geruch verschaffte ihr jedes Mal aufs Neue einen aufregenden Nervenkitzel.

„Kommt, kommt“, forderte Franco sie auf. „Hier entlang.“

Der Boden war schlichter, abgelaufener Putz mit gelegentlichen Unebenheiten, als wäre er in Schichten gegossen und per Hand geglättet worden. Olivia fragte sich, ob dieser Betrieb einst aus Francos eigener, leidenschaftlicher Handarbeit entstanden war.

Hier gab es keine dramatisch großen Türen oder breite, helle Fenster wie auf La Leggenda, aber als Olivia durch eines der bescheidenen, schmalen Fenster sah, erblickte sie Reihen von Reben, die sich über den Hügel und hinunter ins Tal erstreckten.

„Unser Verkostungsraum entspricht nicht eurem Standard“, entschuldigte sich Franco, als sie ihm in ein kleines Nebengebäude folgten, das an das Haupthaus grenzte. Hier stand ein großer Eichentisch mit vier Stühlen, eine altmodische Anrichte und eine Vitrine mit polierten Gläsern.

„Lasst mich euch unsere Kinder vorstellen!“, verkündete Franco.

Olivia war nicht sonderlich überrascht, als er die Tür in der Anrichte öffnete und andächtig einige Weinflaschen hervorholte. Sie hatte bereits erahnt, dass diese Farm Francos Leidenschaft und Herzblut war.

„Unser Daily Chianti“, verkündete er, zog den Korken aus der Flasche und griff nach drei Gläsern. „Er braucht einen besseren Namen, ich weiß.“

Es war schon eine Weile her, dass Olivia an der Empfängerseite einer Weinverkostung gesessen hatte. Sie war es gewohnt auszuschenken, nicht das Glas zu halten, den Wein zu schwenken und das Bouquet einzuatmen, bevor sie einen Schluck nahm.

Welch ein Genuss!

„Er ist wunderbar“, rief sie und hoffte, dass sie mit ihrem Ausspruch nicht zu vorschnell gewesen war. Hätte sie warten sollen, bis der ältere Mann ihnen den Wein erklärt hatte oder bis Marcello seine Meinung als Erster anbot?

Aber Marcello lächelte und nickte zustimmend, als Franco freudig in die Hände klatschte.

„Weiter!“, forderte Marcello sie auf.

„Er ist weich und hat einen ausgeglichenen Geschmack. Es ist die Art von Wein –“ Olivia suchte nach den richtigen Worten. „Mit dem man sich leicht identifizieren kann. Man muss kein Experte sein, um ihn genießen zu können. Ich könnte ihn all meinen Freunden anbieten, und alle würden ihn lieben, auch wenn sie normalerweise keine Weintrinker sind.“

„Genau!“ Franco strahlte. „Das war unsere Absicht bei diesem Wein. Und jetzt, unsere Daily Melange.“

Olivia probierte auch diesen Wein und genoss ihn genauso sehr wie den ersten. Sie war sich der Geschmacksnoten, die sie herausschmecken konnte, beinahe sicher und war stolz über den Fortschritt, den sie gemacht hatte, seit sie angefangen hatte, auf La Leggenda zu arbeiten. Aber sie war zu nervös, vor Marcello einen Fehler zu machen. Zum Glück übernahm er diesmal die Führung.

„Ein temperamentvoller Geschmack von reifen Beeren“, beglückwünschte er Franco. „Ein Hauch von Pflaume und Kirsche. Ich vermute, deine Mischung beinhaltet einen Teil qualitativ hochwertigen Merlots.“

„Du hast natürlich recht.“ Franco grinste. „Und jetzt unser Trebbiano“, sagte er stolz.

Er schüttete den Weißwein in die drei Gläser.

Olivia nahm einen Schluck.

„Oh, wow, das ist noch so ein Wein, zu dem man leicht Bezug findet. Trocken, aber voller Frucht und Geschmack. Ich kann mir vorstellen, dass der einfach zu jedem Essen passt“, schwärmte sie.

Marcello nickte zustimmend. „Genau. Der Trebbiano ist leicht zu trinken und einer der beliebtesten Weine, die man in Italien begleitend zum Essen trinkt. Es gibt kein Restaurant, auf dessen Weinkarte man keinen Trebbiano findet, und deine sind auf einigen davon, nicht wahr, Franco?“

Franco winkte nur bescheiden ab.

„Wir hatten das Glück, dass drei örtliche Restaurants unsere Weine in ihre Karte aufgenommen haben“, sagte er.

Olivia konnte nicht anders. Sie nahm unauffällig noch einen weiteren Schluck dieses großartigen Weins, was Franco noch breiter grinsen ließ. Welch ein Wein! Er schrie förmlich danach, mit Freunden und Familie zum Essen genossen zu werden.

Einen Augenblick lang fand Olivia es schade, dass sie keine Kampagne für diese Weine führen konnte. Sie wünschte, sie hätte die Chance gehabt, diesen Wein in Chicago zu vermarkten anstatt dem Abflussreiniger von Valley Wines, für den sie zuständig gewesen war. Wie schön wäre es, dabei zu helfen, dem Endverbraucher eine solch angenehme Serie aus Weinen voller Persönlichkeit näherzubringen.

Marcello stand auf.

„Ich habe das Vergnügen bekanntzugeben, dass wir im Geschäft sind“, sagte er.

Olivia schaute überrascht zu, wie er und Franco sich umarmten und sich dann energisch die Hände schüttelten.

Was meinte er mit Geschäft? Was passierte hier – würden sie zusammen einen Wein herstellen? Wenn ja, was für einen? Olivia war sich nicht sicher, wie die Weine von La Leggenda mit diesen Weinen harmonisierten, da sie sich in Stil und Geschmack sehr unterschieden. Sie befürchtete, dass sie einfach nicht genug von der Weinherstellung verstand, und dass ihre Kenntnis zu karg war, um zu sehen, wie sich die Produkte von zwei Weinkellereien verbinden ließen.

Sie schätzte, dass das der Hauptgrund für Marcellos Trip nach Pisa gewesen war. Er wirkte zufrieden, und beide Männer lachten aufgeregt, als Franco einen Stapel Papiere aus dem Regal über dem Tresen hob.

Olivia spürte, dass das ein verheißungsvoller Moment war, aber obwohl sie versuchte, einen Blick auf die Papiere zu werfen, konnte sie sich keinen Reim darauf machen, da sie auf Italienisch verfasst waren. Zudem in italienischem Kleindruck. Wenn es auf eine Reklametafel gedruckt wäre, hätte sie sicherlich einige verständliche Worte herauspicken können.

Mit aller Geduld, die sie zusammenbringen konnte, hockte sie also erwartungsvoll auf dem Stuhl und hoffte, dass Marcello ihr bald den Zweck ihres Besuchs auf diesem bescheidenen, aber hervorragenden Weingut offenbaren würde.




KAPITEL SIEBEN


Marcello verstaute den schwarzen Ordner mit seiner Kopie der unterschriebenen Dokumente im Kofferraum des SUVs, und sie stiegen ein.

Als sie abfuhren, stand der noch immer strahlende Franco auf den Stufen seiner Weinkellerei und winkte begeistert. Marcello ließ die Fenster herunter, und sie winkten zurück, bis das kleine Gebäude in der Ferne verschwand.

„Nun!“, sagte Marcello. „Ich glaube, ich habe ein wenig impulsiv gehandelt, aber ich weiß, dass es die richtige Entscheidung war. Deine Reaktion auf den Wein hat mir dabei geholfen.“ Er seufzte. „Aber jetzt bin ich arm. Arm, aber glücklich. Und hoffnungsvoll!“

Seine Euphorie war ansteckend. Oliva bemerkte, dass sie ihn angrinste, obwohl sie noch immer nicht wusste, wieso.

„Worum ging es überhaupt?“, fragte sie.

„Franco ist ein alter Freund der Familie“, sagte Marcello. Er hat sein Geschäft über Jahrzehnte hinweg aus dem Nichts aufgebaut, aber er hatte einige Rückschläge verkraften müssen, und seine Weine haben nie die Verkaufszahlen erreicht, die er sich erhofft hatte.“

„Das liegt aber nicht an fehlender Qualität. Diese Weine waren vorzüglich“, sagte Olivia.

Marcello nickte. „Er fragt uns schon seit Jahren, ob wir nicht darin investieren wollen. Er will sich bald zur Ruhe setzen und würde gerne sehen, dass seine Kreation weitergetragen, aktiver vermarktet und zu höheren Produktionszahlen expandiert wird. Ich habe bald bemerkt, dass es ein wichtiger Schritt für uns ist. Diese Weine sprechen jeden an, wie du schon gesagt hast. Sie sind leicht zu trinken. Das wird uns erlauben, in diesen sehr wichtigen Markt einzusteigen und dabei noch immer ein Qualitätsprodukt anzubieten.“

„Du hast dich also entschieden, zu investieren?“

Olivia fand den Gedanken daran spannend und erkannte, dass das sowohl ein Gewinn für den freundlichen Franco als auch ein strategischer Zug in einen neuen Markt für La Leggenda sein konnte.

Marcello nickte. „Mehr als das. Wir haben die ganze Kellerei aufgekauft.“

Olivia schnappte erstaunt nach Luft. „Das ist eine gewaltige Entscheidung! Wie aufregend!“

„Ich bin auch sehr aufgeregt. Bisher konnten wir es uns nicht leisten, da wir bestehende Geschäftskredite für die riesige Expansion abbezahlt haben, die wir vor fünf Jahren vorgenommen haben. Ich glaube, Franco hat während dieser Zeit nicht zu angestrengt versucht, an andere zu verkaufen. Er hatte gehofft, dass wir seinen Traum voranbringen könnten. Jetzt können wir es uns leisten – aber nur gerade so. Es wird eng, denn hier muss viel renoviert werden. Es gibt so viel zu tun. Aber das Potenzial ist da.“

„Ich freue mich mit dir“, sagte Olivia.

„Jetzt, wo das Geschäft abgeschlossen ist, glaube ich, dass wir den restlichen Tag genießen sollten. Lass uns feiern“, sagte Marcello. „Auf was hast du Lust?“


*

Eine halbe Stunde später stand Olivia unter dem Stadttor Porta Santa Maria und bestaunte die grünen Grasflächen und die exquisiten marmorweißen Gebäude, die einen Teil der Piazza dei Miracoli bildeten. Dort befand sich auch ihr Traumziel, der Schiefe Turm von Pisa. Immer, wenn sie die Fotos von Freunden bestaunt hatte, hatte sie gedacht, es wäre nur irgendein Turm auf irgendeinem grünen Rasen. Sie hatte sich nie träumen lassen, dass er Teil eines solch faszinierenden Komplexes war, voller historischer, religiöser und kultureller Bedeutung.

Marcello an ihrer Seite zu haben, als sie den Platz der Wunder betrat, machte den Augenblick noch viel denkwürdiger. Sie konnte sich glücklich schätzen, dieses unglaubliche Ausflugsziel in Gesellschaft mit dem gutaussehendsten Mann Italiens besuchen zu dürfen.

„Hier gibt es so viel zu sehen.“ Marcello deutete auf ein eindrucksvoll dekoriertes, rundes Gebäude. „Das ist das Baptisterium von San Giovanni, in dem der berühmte Galileo Galilei getauft wurde. Heute steht es leer, aber die Akustik darin ist großartig. Du wirst das Echo darin hören können, wenn wir gehen und sprechen. Oder wir könnten uns auch einmal mit Singen versuchen.“ Er lächelte. „Als Kind hat mich das dort immer am meisten fasziniert.“

Olivia war von dem gewaltigen, hallenden Innern dieses historischen Gebäudes wie gefesselt. Von dort aus zogen sie weiter zum Duomo, einer Kathedrale aus dem elften Jahrhundert. Sie hatte nicht gewusst, dass der bezaubernde Schiefe Turm von Pisa lediglich der Glockenturm dieser Kathedrale war, obwohl es die lehnende Struktur war, die ihm den ganzen Ruhm und so viele Urlaubsfotos verdankte.

Als sie die Kühle des riesigen Doms betraten, reckte Olivia ihren Hals, um die unfassbaren Details in der hohen, gefliesten Decke, die atemberaubenden Skulpturen und die faszinierenden Gravuren zu bestaunen, die die riesige, sechseckige Kanzel umgaben. Welch Leidenschaft und Kunstfertigkeit mussten in dieses Projekt gesteckt worden sein, welches mit Sicherheit etliche Jahre bis zur Fertigstellung gebraucht hatte.

Dann erklomm sie mit Herzklopfen die Wendeltreppe des Schiefen Turms. Sie war begeistert zu sehen, wie abgenutzt die flachen Steinstufen waren. Wie viele Füße mussten hier schon hoch- und runtergelaufen sein, um diese sanfte Vertiefung in ihrer Mitte zu erschaffen? Das Gefühl von Geschichte verzauberte sie. Sie war froh, dass sie sich für diesen gewundenen Aufstieg für Sandalen entschieden hatte, in denen sie gut laufen konnte.

„Wow“, seufzte Olivia, als sie die Spitze erreichten und auf dem ringförmigen Gang standen, der den Turm umgab. Was für eine Aussicht! Kurz fragte sie sich, ob sie vielleicht sogar ihr Farmhaus in seinen Hügeln am entfernten Horizon erspähen könnte.

Doch der bedeutendste Teil der ganzen Erfahrung stand ihr noch bevor.

Nachdem sie den Turm hinabgestiegen waren, stand Olivia auf dem gepflegten Rasen und lehnte sich mit ausgestreckten, ins Nichts greifenden Armen vor. Es war schwer, sie komplett stillzuhalten, als sie ihren Kopf zur Seite drehte. Ihre Muskeln brannten.

„Nimm deine rechte Hand ein bisschen zurück. Nur ein bisschen“, sagte Marcello. „Mehr. Nein, weniger. So ist’s gut. Lächeln! Stillhalten! Wieder lächeln.“

Olivia strahlte dem Handy entgegen, das Marcello in der Hand hielt, um in kurzer Abfolge einige Fotos zu schießen.

Er blickte auf das Display und nickte zufrieden.

„Komm und schau es dir an!“, sagte er.

Sie flog förmlich zu ihm zurück und wich unterwegs einer Gruppe japanischer Touristen aus, die den gleichen Punkt ansteuerten, auf dem sie gerade gestanden hatte.

Sie blicke neugierig auf sein Telefon.

Das Foto war perfekt. Dort war der bezaubernde, schräge Turm von Pisa – und da war sie, sich vorlehnend, und ihre Hände perfekt ausgerichtet mit der Seite des Gebäudes, sodass es aussah, als wäre sie diejenige, die ihn auffing und am Umfallen hinderte!

Olivia lachte begeistert. Zu Recht ein Punkt weit oben auf ihrer Wunschliste. Sie konnte kaum erwarten, diesen Schnappschuss auf Instagram hochzuladen. Sie hatte immer davon geträumt, neben diesem historischen und einzigartigen Turm auf diesem grünen Rasen zu stehen und genau dieses witzige Foto zu schießen, das Marcello heute so geduldig mit ihr choreografiert hatte.

Sie drehte sich zu dem bleichen, steinernen Turm um und lächelte, als sie sah, wie die japanischen Touristen genau das Gleiche taten, das sie gerade getan hatte. Sie hoffte für sie, dass ihre Fotos genauso perfekt werden würden wie ihres.

„Und jetzt ein Selfie von uns beiden“, schlug Marcello vor.

Olivia fragte sich, ob es falsch wäre, wenn sie absichtlich besonders lange brauchen würde, um das Foto zu arrangieren, während Marcello seinen Arm um ihre Hüfte gelegt und sein Gesicht an ihres gedrückt hatte. Nein, entschied sie schließlich, als sie endlich den Auslöser drückte. Es war nicht falsch und sogar ziemlich clever von ihr.

Das ganze Erlebnis fühlte sich für sie bald weniger wie ein Geschäftstrip als wie eine Sightseeingtour mit einigen Gelegenheiten zum Flirten an. Vor allem, da es anscheinend keine weiteren Geschäfte zu erledigen gab.

Marcello fuhr sie durch die Stadt Pisa und hielt vor einer kleinen Gasse an, die zu einem Restaurant führte, das anscheinend nur von Einheimischen frequentiert wurde.

„Das ist einer meiner liebsten Lokale“, erklärte er. „Es ist so selten, dass ich dazu komme, hier zu Mittag zu essen, vor allem im Sommer, und dann noch mit solch einer wunderbaren Begleitung. Auf diese Gelegenheit habe ich mich schon gefreut, seit ich den Ausflug geplant habe.“

Er blickte ihr in die Augen, und ihr zog sich der Magen zusammen, als sie spürte – nein, erkannte – dass er damit andeutete, was er für sie empfand.

Der Besitzer begrüßte Marcello und führte sie an einen so kleinen, in eine Ecke gezwängten Tisch, dass sich ihre Knie berührten, als sie sich setzten.

Olivia war begeistert, als sie auch einige La Leggenda-Weine auf der Weinkarte entdeckte.

Sie bestellten ihr Mittagessen, bestehend aus einigen Portionen der regionalen pici – einer dicken, selbstgemachten Pasta mit Knoblauch- und Tomatensauce – und einem vortrefflichen, gegrillten Kabeljau.

„Ich glaube, ein guter Weißwein passt hierzu perfekt“, schlug Marcello vor. „Vielleicht ein Vermentino. Obwohl ich versucht bin, unseren eigenen Wein zu bestellen, finde ich, dass das eine tolle Gelegenheit ist, einmal den Wein der Konkurrenz zu probieren. Was meinst du?“

„Das ist eine brillante Strategie.“ Olivia war von der Auswahl fasziniert. „Wie wäre es, wenn wir zwei verschiedene von Kellereien aus der weiteren Umgebung bestellen? So haben wir zwei Mal die Möglichkeit, bei der Konkurrenz zu schnüffeln.“





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„Höchst unterhaltsam. Dieses Buch gehört in die Regale aller Leser, die einen gut geschriebenen Mystery-Roman mit zahlreichen Twists und einer ausgefeilten Handlung zu schätzen wissen. Sie werden nicht enttäuscht sein. Bestens geeignet für ein kaltes Wochenende am Kamin!“. –Buch- und Filmkritiken, Roberto Mattos (über Der Tod kam vor dem Frühstück). EIN ERLESENER TODESFALL (Ein toskanischer Weingarten Cozy-Krimi) ist das zweite Buch in einer charmanten, neuen Krimi-Reihe von Bestsellerautorin Fiona Grace, Autorin von Der Tod kam vor dem Frühstück (Buch Nr. 1), einem #1-Besteller mit über 1000 Fünf-Sterne-Bewertungen – als kostenloser Download verfügbar!Olivia Glass, 34, dreht ihrem alten Leben als angesehene Werbefachfrau in Chicago den Rücken zu und zieht in die Toskana, entschlossen, dort ein neues, einfacheres Leben zu beginnen – und ihren eigenen Weingarten aufzubauen… Olivia verliebt sich in das toskanische Leben und die atemberaubende Landschaft, vor allem, als sie die Stadt Pisa besucht. Doch als das Weingut, für das sie arbeitet, eine seltene und wertvolle Weinflasche ersteigert – und eine Leiche auftaucht – muss Olivia all ihre Fähigkeiten als Sommelière unter Beweis stellen, um den Fall zu lösen… In der Zwischenzeit scheitern sowohl ihre Startversuche in ihrem eigenen Weingarten als auch ihr Liebesleben kläglich… Kann Olivia alles wieder zum Guten wenden und das Leben führen, von dem sie immer geträumt hat? Oder war alles nur ein unerreichbarer Traum, den sie ein für alle Mal aufgeben sollte?. Ein urkomischer Trip, vollgepackt mit gutem Essen, Wein, irrwitzigen Wendungen, Romantik und einem neugewonnenen, tierischen Freund – und im Mittelpunkt ein rätselhafter Kleinstadtmord, den Olivia aufklären muss. . EIN ERLESENER TODESFALL ist ein fesselnder Krimi mit Lachern von der ersten bis zur letzten Seite… Buch Nr. 3 der Serie – EIN ERLESENES VERBRECHEN – ist nun ebenfalls erhältlich!

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