Книга - Ruhend

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Ruhend
Blake Pierce


Ein Riley Paige Krimi #14
Ein Meisterwerk der Spannung! Die Autorin schafft es auf hervorragende Weise den Charakteren eine psychologische Seite zu geben, die so gut beschrieben ist, dass wir uns in ihre Köpfe versetzt fühlen, ihren Ängsten folgen und über ihren Erfolg jubeln. Die Handlung ist sehr intelligent und wird Sie das ganze Buch hindurch unterhalten. Voller Wendungen wird Sie dieses Buch bis zur letzten Seite wach halten. – Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (zu Verschwunden) RUHEND ist Band #14 in der Bestseller Riley Paige Krimi Serie, die mit dem #1 Bestseller VERSCHWUNDEN (Band #1) beginnt – einem kostenlosen Download mit über 1. 000 fünf Sterne Bewertungen! Nach einer 10-jährigen Pause schlägt ein tückischer Serienmörder erneut zu und hinterlässt kaum Spuren – – wenn FBI Spezialagentin Riley Paige ihn jetzt fangen will, muss sie erst die Rätsel der Vergangenheit lösen. Frauen warden tot aufgefunden und Riley Paige begreift in diesem düsteren psychologischen Thriller, dass sie in einem Wettlauf gegen die Zeit ist. Die Morde der Vergangenheit waren bereits zu verworren um damals gelöst werden zu können. Kann Riley sie nun, 10 Jahre später, auflösen? Und ihren Zusammenhang mit den gegenwärtigen Verbrechen verstehen?Während Riley eine persönliche Kriese erlebt, scheint das Katz-und-Maus Spiel mit einem genialen Psychopathen womöglich zu viel für sie zu werden. Besonders weil irgendetwas an dem Fall Riley einfach unerklärbar stört…Ein Actionreicher Thriller voller Spannung ist RUHEND Band # 14 einer fesselnden neuen Serie – – mit einer geliebten neuen Hauptfigur – – die sie bis in die späte Nacht dazu verleiten wird weiterzublättern. Band # 15 der Riley Paige Serie ist bald erhältlich.





Blake Pierce

Ruhend. Ein Riley Paige Krimi 14




Blake Pierce

Blake Pierce ist die Autorin der RILEY PAIGE Bestseller Krimiserie, die bisher zwölf Bände (weitere Bände folgen) umfasst. Blake Pierce ist ebenso die Autorin der MACKENZIE WHITE Krimiserie, bestehend aus acht Bänden; der AVERY BLACK Krimiserie, aus sechs Bänden bestehend; der KERI LOCKE Krimiserie, aus fünf Bänden bestehend; ebenso die neue Serie DAS MAKING of RILEY PAIGE, die mit Band #1 BEOBACHTET beginnt.

Blake Pierce ist eine begeisterte Leserin und schon ihr ganzes Leben lang ein Fan des Krimi- und Thriller-Genres. Blake freut sich von Ihnen zu hören, also besuchen Sie www.blakepierceauthor.com (http://www.blakepierceauthor.com/) und bleiben Sie in Kontakt!



Copyright © 2018 Blake Pierce Alle Rechte vorbehalten. Außer durch eine Genehmigung nach dem U.S. Copyright Act von 1976, darf kein Teil dieses Buches ohne ausdrückliche Genehmigung der Autorin vervielfältigt, vertrieben oder in irgendeiner Form übermittelt, in Datenbanken oder Abfragesystemen gespeichert werden. Dieses E–Book ist nur für ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Es darf nicht weiterverkauft oder an Dritte weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit anderen teilen möchten, erwerben Sie bitte für jeden Empfänger eine zusätzliche Kopie. Wenn Sie dieses Buch lesen, aber nicht gekauft haben, oder es nicht für Sie gekauft wurde, geben Sie es bitte zurück und erwerben Sie eine eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit der Autorin respektieren. Dieses Buch ist eine fiktive Geschichte. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind von der Autorin frei erfunden oder werden fiktiv verwendet. Ähnlichkeiten mit echten Personen, lebendig oder verstorben, sind zufällig. Copyright Umschlagsbild Photographee.eu, genutzt unter der Lizenz von Shutterstock.com



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PROLOG


Gareth Ogden stand am Strand und schaute hinaus auf den Golf von Mexiko. Gerade war Ebbe und der Golf war still – die Wasser ruhig und die Wellen niedrig. Er konnte einige Möwen im immer dunkler werdenden Himmel erkennen und hörte, wie ihre müden Schreie über die Wellen hallten.

Er zog an seiner Zigarette und lächelte bitter während er dachte…

Die Möwen klingen beinahe so, als würden auch sie dieses Wetter hassen.

Er war sich nicht sicher, wieso er überhaupt aufgebrochen war, um hierher zu kommen. Früher hatte er die Geräusche und Gerüche des Strandes am Abend genossen. Vielleicht war es sein Alter oder schlicht dieses schwüle Wetter, welches es schwer machte, überhaupt irgendetwas zu genießen. Die Sommer wurden immer heißer. Selbst nachdem, so wie jetzt, die Sonne untergegangen war, konnte die Meeresbriese ihm keine erleichternde Abkühlung verschaffen, und die Luftfeuchtigkeit war erstickend.

Er rauchte seine Zigarette zu Ende und trat sie mit dem Fuß in den Sand. Dann wandte er sich vom Wasser ab, um sich auf den Weg zurück zu seinem Haus zu machen – einem verwitterten Gebäude dessen Fenster einen Blick auf die alte Straße und den leeren Strand boten.

Während er durch den Sand stapfte, dachte Gareth an die Reparaturen, die der letzte Hurrikan vor ein paar Jahren notwendig gemacht hatte. Die große Veranda vor dem Haus musste komplett erneuert werden sowie Teile der Wandbekleidung und einige Dachziegel. Tatsächlich jedoch hatte er großes Glück gehabt, und die Struktur des Gebäudes selbst hatte keine ernsthaften Schäden davongetragen. Amos Crites, dem die Nachbarhäuser auf beiden Seiten von Gareths Haus gehörten, hatte beinahe alles von Grund auf wiederaufbauen müssen.

Dieser gottverdammte Sturm, dachte er sich und schlug nach einigen Moskitos.

Die Immobilienwerte waren seither stark gefallen. Er träumte davon, das Haus zu verkaufen und Rushville zu verlassen, jedoch würde niemand genug dafür zahlen wollen.

Gareth hatte in dieser Stadt sein gesamtes Leben verbracht, und er hatte wirklich nicht das Gefühl, dass sie es ihm leicht gemacht hatte. Seiner Meinung nach ging es mit Rushville schon eine ganze Weile bergab – spätestens seitdem sie angefangen hatten, die Autobahn nebenan zu bauen. Er konnte sich noch an die Zeit davor erinnern, als Rushville ein kleines, aber blühendes Städtchen mit viel Sommertourismus gewesen war. Doch diese Tage waren längst vorbei.

Gareth schlüpfte durch ein Loch im hölzernen Strandzaun und lief hinunter zur Straße. Als er fühlte, wie die Hitze durch die Sohlen seiner Schuhe drang, schaute er zu seinem Haus hinauf. In den Fenstern des ersten Stocks brannte einladendes Licht…

Fast so, als würde dort jemand leben.

„Leben“ schien nicht gerade das passende Wort für Gareths eigene einsame Existenz zu sein. Und die Gedanken an fröhlichere Tage – als seine Frau Kay noch am Leben gewesen war und sie beide ihre Tochter Cathy großzogen – stimmten ihn nur noch trauriger.

Als er den Weg zu seinem Haus entlangging, erspähte Gareth etwas durch die Gittertür – einen Schatten, der sich im Inneren des Hauses bewegte.

Wer konnte das sein? fragte er sich.

Er war nicht überrascht, dass sich ein Besucher selbst hineingelassen hatte. Die Eingangstür stand sperrangelweit offen, und die Gittertür war nicht abgeschlossen. Gareths Freunde konnten schließlich immer kommen und gehen wie es ihnen beliebte.

„Es ist ein freies Land“, pflegte er ihnen zu sagen. „Wird jedenfalls behauptet.“

Als er die lange, schiefe Treppe zur Veranda emporstieg, dachte Gareth sich, dass es sich bei seinem Besuch um Amos Crites handeln könnte. Vielleicht war Amos vom anderen Ende der Stadt, wo er lebte, hierher gekommen, um nach seinen Strandhäusern zu schauen. Gareth wusste, dass keines der beiden Häuser für den August, einem in dieser Umgebung bekanntermaßen sehr heißen und schwülen Monat, vermietet worden war.

Ja, ich wette, er ist es, dachte Gareth sich, als er über die Veranda ging.

Amos kam des Öfteren vorbei, um sich über alles Mögliche zu beschweren, und Gareth stimmte mit seiner eigenen Unzufriedenheit gerne in seine Tirade mit ein. Er überlegte, ob er und Amos in dieser Hinsicht einen schlechten Einfluss aufeinander hatten…

Aber hey, wozu hat man Freunde?

Gareth blieb vor der Eingangstür stehen und schüttelte den Sand aus seinen Sandalen.

„Hey, Amos“, rief er. „Nimm dir ein Bier aus dem Kühlschrank.“

Er erwartete, dass ihm Amos mit einem „bereits passiert“ antworten würde.

Doch es folgte keine Antwort. Gareth vermutete, dass Amos auf der Suche nach einem Bier bereits hinten in der Küche war. Oder vielleicht war er einfach noch schlechter gelaunt als sonst. Das war für Gareth auch in Ordnung…

Gleich und Gleich gesellt sich gern, wie man so schön sagt.

Gareth öffnete die Gittertür und ging hinein.

„Hey, Amos, wie geht’s?“, rief er.

Aus dem Augenwinkel bemerkte er eine blitzschnelle Bewegung. Er drehte sich um und erblickte eine schattenhafte Form, die im Licht der Wohnzimmerlampe eine Silhouette an die Wand warf.

Wer auch immer es war, sprang Gareth so schnell an, dass dieser keine Zeit hatte, einen Laut von sich zu geben.

Die Figur hob einen Arm, und Gareth sah in ihrer Hand Stahl aufblitzen. Etwas unsagbar Hartes rammte seinen Kopf, und es fühlte sich so an, als würde eine Explosion durch sein Gehirn gehen.

Dann wurde es still.




KAPITEL EINS


Das Morgenlicht spiegelte sich in den Wellen als Samantha Kuehling das Polizeiauto über den sandigen Strandweg steuerte.

Neben ihr auf dem Beifahrersitz saß ihr Partner Dominic Wolfe…

„Ich glaube es erst, wenn ich es mit eigenen Augen gesehen habe.“

Sam antwortete nicht.

Weder sie noch Dominic wussten bislang, was genau dieses „es“ wirklich war.

Was „es“ auch immer genau sein mochte, sie war schon jetzt überzeugt, dass „es“ überaus ernst zu nehmen war.

Sie kannte den vierzehnjährigen Wyatt Hitt schon sein gesamtes Leben. Er konnte manchmal frech sein, wie jeder Junge in diesem Alter, doch er war kein Lügner. Und er hatte beinahe hysterisch geklungen, als er vorhin auf der Polizeistation angerufen hatte. Was er sagte, hatte nicht viel Sinn ergeben, doch er hatte eine Sache absolut klar gemacht…

Irgendetwas war mit Gareth Ogden passiert.

Irgendetwas Schlimmes.

Mehr wusste Sam nicht. Und auch Dominic nicht.

Als sie das Auto vor Gareths Haus geparkt hatte, sah sie, dass Wyatt auf der untersten Stufe der Treppe saß, die zur Veranda führte. Neben ihm lag ein Jutebeutel voll unausgetragener Zeitungen.

Als Sam und Dominic aus dem Auto gestiegen waren und zu ihm hinübergingen, schaute der flachsblonde Junge sie nicht einmal an. Er starrte immer nur geradeaus. Wyatts Gesicht war noch blasser als sonst, und er zitterte, obwohl es ein heißer Morgen war.

Es ist der Schock, begriff Sam.

Dominic sprach ihn an: „Erzähl uns, was passiert ist.“

Wyatt setzte sich auf und schaute Dominic mit leeren Augen an. Dann begann er zu stammeln. Er befand sich im Stimmbruch, was die Heiserkeit und den Schrecken in seiner Stimme noch verschlimmerte…

„Er – er ist dort drin, im Haus. Mr. Ogden, meine ich.“

Dann starrte er wieder auf das Wasser des Golfs.

Sam und Dominic schauten einander an.

An Dominics besorgtem Gesichtsausdruck erkannte sie, dass er den Jungen ernst nahm.

Beim Gedanken an das, was ihnen wahrscheinlich gleich bevorstand, lief Sam ein Schauer über den Rücken, und sie dachte…

Ich habe das untrügliche Gefühl, dass es gleich ziemlich unangenehm wird.

Sie und Dominic stiegen die Treppe hinauf und überquerten die Veranda. Als sie durch die Gittertür spähten, sahen sie Gareth Ogden.

Dominic wich entsetzt einige Schritte von der Tür zurück.

„Mein Gott!“, stieß er aus.

Ogden lag rücklings auf dem Boden, Augen und Mund waren weit aufgerissen. Auf seiner blutüberströmten Stirn klaffte eine offene Wunde.

Dominic drehte sich blitzartig um und schrie Wyatt die Treppen hinunter an…

„Was zur Hölle ist passiert? Was hast Du getan?“

Selbst ein wenig darüber erstaunt, dass sie Dominics Panik nicht teilte, berührte Sam ruhig seinen Arm und raunte ihm zu: „Er hat gar nichts getan, Dom. Er ist nur ein Kind. Er ist nur der Zeitungsträger.“

Dominic schüttelte ihre Hand ab und stürmte die Treppen hinunter. Er riss den armen Wyatt hoch.

„Sag schon!“, schrie Dominic. „Was hast Du getan? Wieso?“

Sam rannte die Treppe hinab ihm nach. Sie griff den hysterischen Cop bei den Armen und zerrte ihn gewaltsam auf den Rasen.

„Lass ihn in Ruhe, Dom“, sagte Sam. „Lass mich das machen, ok?“

Dominics Miene war jetzt genauso blass wie die Wyatts. Auch er zitterte nun.

Er nickte stumm. Sam ging zu Wyatt hinüber und half ihm, sich wieder aufzusetzen.

Sie hockte sich vor ihn und legte ihm ihre Hand auf die Schulter.

Sie sagte: „Es wird alles wieder gut, Wyatt. Hol einfach ein paar Mal tief Luft.“

Dem armen Wyatt gelang es nicht, ihren Anweisungen zu folgen. Stattdessen schien er gleichzeitig zu hyperventilieren und zu schluchzen.

Er schaffte es dennoch, einige Worte herauszupressen: „Ich – ich wollte ihm nur die Zeitung bringen und dann habe ihn dort gefunden.“

Sam kniff die Augen zusammen und versuchte zu verstehen, was er sagte.

„Wieso bist du bis zur Veranda hinaufgestiegen?“, fragte sie. „Konntest du die Zeitung nicht einfach von hier aus hochwerfen?“

Wyatt zuckte mit den Schultern und sagte: „Er wird immer – wurde immer wütend, wenn ich das tat. Er meinte immer, das Geräusch würde ihn aufwecken. Er sagte mir, ich solle auf die Veranda kommen und die Zeitung zwischen die Gitter- und die Eingangstür stecken. Sonst würde sie weggeweht, sagte er. Also bin ich immer da hochgestiegen, und heute wollte ich gerade die Gittertür öffnen, da sah ich – “

Wyatt schluchzte und stöhnte bei der Erinnerung an das Gesehene. Dann fügte er hinzu…

„Dann habe ich euch von meinem Handy aus angerufen.“

Sam klopfte ihm sanft auf die Schulter.

„Es wird alles gut“, sagte sie. „Du hast alles richtig gemacht, indem du die Polizei gerufen hast. Warte jetzt hier.“

Wyatt warf einen Blick auf seine Tasche. „Aber diese Zeitungen – ich muss sie heute unbedingt noch austragen.“

Armer Junge, dachte Sam.

Er war offensichtlich schrecklich durcheinander. Außerdem machte sich anscheinend eine Art fälschliches Schuldgefühl in ihm breit. Sam nahm an, dass es eine natürliche Reaktion in solch einer Situation war.

„Du musst gar nichts machen“, sagte sie. „Niemand wird irgendetwas sagen. Alles wird gut. Wie gesagt, wartest du jetzt einfach hier.“

Sie erhob sich und schaute sich nach Dominic um, der immer noch stumm und wie erstarrt im Vorgarten stand.

Sam wurde nun ein wenig wütend.

Hat er vergessen, dass er ein Cop ist?

Sie rief ihm zu: „Dom, komm schon. Wir müssen da rein und uns das genauer ansehen.“

Doch Dom rührte sich nicht. Er stand da, als hätte er seinen Gehörsinn eingebüßt und konnte nicht hören, dass sie mit ihm sprach.

Sie fuhr ihn in einem schärferen Ton an: „Dominic, komm mit verdammt!“

Dominic nickte stumm und trottete die Treppe hinauf über die Veranda ins Haus hinein ihr nach.

Gareth Ogden lag mit weit ausgebreiteten Armen und Beinen auf dem Boden. Er trug Shorts und ein T-Shirt. Die Wunde auf seiner Stirn war merkwürdig präzise und symmetrisch. Sam kniete sich zu ihm hinab, um sie sich genauer anzusehen.

Immer noch über ihr stehend stammelte Dominic: „F-Fass nichts an.“

Sam hätte ihn am liebsten gefragt, ob er sie für blöd hielt.

Welcher Cop wusste nicht, wie vorsichtig man an so einem Tatort sein musste?

Doch als sie sich zu Dominic umwandte, sah sie, dass er immer noch blass war und zitterte.

Was, wenn er ohnmächtig wird? dachte sie.

Sie zeigte auf einen Sessel in der Nähe und sagte: „Setz dich mal, Dom.“

Dominic tat stumm, wie ihm gesagt wurde.

Sam fragte sich, ob er jemals zuvor eine Leiche gesehen hatte.

Ihre eigene Erfahrung beschränkte sich auf die Beerdigungen ihrer Großeltern. Natürlich war das hier etwas ganz anderes. Doch trotzdem fühlte sich Sam merkwürdig ruhig, als sei sie Herr der Lage – fast so, als hätte sie sich schon eine ganze Weile lang auf eine derartige Situation vorbereitet.

Dominic teilte dieses Gefühl offenbar nicht.

Sie schaute sich Ogdens Wunde genauer an. Sie ähnelte ein wenig dem riesigen Krater auf der Landstraße in der Nähe von Rushville von vor einem Jahr – eine komische, klaffende Öffnung, die dort eigentlich nicht hingehörte.

Noch merkwürdiger war, dass die Haut um die Wunde herum unversehrt geblieben war – vollkommen unbeschädigt sah sie so aus, als hätte sie sich nur so weit gedehnt, wie das Objekt, das sich in Ogdens Kopf gebohrt hatte, Platz gebraucht hatte.

Sam begriff sofort, um welches Objekt es sich dabei gehandelt haben musste.

Sie rief Dominic zu: „Jemand muss mit einem Hammer auf ihn eingeschlagen haben.“

Dominic, dem es offenbar wieder besser ging, erhob sich aus dem Sessel und kniete sich neben Sam, um die Leiche genauer betrachten zu können.

„Woher weißt du, dass es ein Hammer war?“, fragte er.

Obwohl Sam sehr wohl wusste, dass es wie ein perverser Witz klingen musste, antwortete sie…

„Ich kenn’ mich aus mit Werkzeug.“

Es stimmte. Als sie ein kleines Mädchen gewesen war, hatte sie von ihrem Vater mehr über die richtige Handhabung verschiedener Werkzeuge erfahren, als die meisten Jungs der Stadt in ihrem gesamten Leben. Und die Einkerbung von Ogdens Wunde hatte exakt dieselbe Form, wie das runde Ende eines ganz normalen Hammers.

Die Wunde war zu groß um beispielsweise von einem Kugelhammer herzurühren.

Außerdem musste es ein größerer Hammer gewesen sein. Nur so konnte ein einziger Schlag so tödlich sein wie in diesem Fall.

Ein Klauenhammer oder ein Reißhammer, dachte sie. Etwas anderes kommt nicht in Frage.

Sie sagte zu Dominic: „Ich frage mich, wie der Mörder hier reingekommen ist.“

„Oh, das kann ich dir sagen“, erwiderte Dominic. „Ogden hat sich nicht einmal bemüht, daran zu denken, seine Tür abzuschließen. Selbst dann nicht, wenn er das Haus verlassen hat. Er ließ sie manchmal sogar nachts sperrangelweit offen stehen. Du weißt doch wie die Leute, die in der Strandstraße leben, drauf sind – sie sind dumm und gutgläubig.“

Sam fand es traurig, die Worte „dumm“ und „gutgläubig“ auf diese Weise im selben Satz zu hören.

Wieso sollten die Leute in einer Stadt wie Rushville ihre Häuser auch zusperren?

Seit Jahren hatte es keine Gewaltverbrechen gegeben.

Tja, so gutgläubig werden sie nun wohl nicht mehr sein, dachte sie sich.

Sam sagte: „Die Frage ist jetzt, wer es war.“

Dominic zuckte mit den Schultern und sagte: „Wer auch immer es war, Ogden sieht auf jeden Fall so aus, als wäre er mächtig überrascht gewesen.“

Sam stimmte ihm schweigend zu, denn der Gesichtsausdruck der Leiche ließ keinen anderen Schluss zu.

Dominic fuhr fort: „Es muss jemand vollkommen fremdes gewesen sein, niemand aus der Stadt. Ich meine, Ogden war gemein, aber niemand in der Stadt hasste ihn so sehr. Außerdem hat niemand hier Mumm genug, einen solchen Mord zu begehen. Es war wahrscheinlich jemand auf der Durchreise. Wir werden viel Glück brauchen, den zu erwischen.“

Dieser Gedanke bereitete Sam Bauchschmerzen.

Sie konnten nicht zulassen, dass in Rushville so etwas einfach passierte.

Das konnten sie einfach nicht.

Außerdem hatte sie das starke Gefühl, dass Dominic Unrecht hatte.

Der Mörder war kein bloßer Durchreisender.

Ogden war von jemandem umgebracht worden, der hier in ihrer Mitte lebte.

Außerdem wusste Sam, dass es nicht das erste Mal war, dass so etwas hier in Rushville geschah.

Aber sie wusste auch, dass jetzt nicht die richtige Zeit war, um Vermutungen anzustellen.

Sie sagte zu Dominic: „Du rufst Chief Crane an. Ich rufe den Bezirksgerichtsmediziner an.“

Dominic nickte und zog sein Handy hervor.

Bevor sie nach ihrem eigenen Handy griff, wischte Sam sich den Schweiß von der Stirn.

Es war schon jetzt ein brütend heißer Tag…

Und er würde noch sehr viel heißer werden.




KAPITEL ZWEI


Riley Paige sog die kühle Meeresluft tief ein.

Sie saß draußen auf der hohen Terrasse eines Häuschens am Meer wo sie, ihr Freund Blaine und ihre drei Teenage-Töchter bereits eine Woche verbracht hatten. In der Ferne konnte sie weitere Urlauber erkennen, die sich auf dem weiten sandigen Strand und im kühlen Wasser des Meeres vergnügten. Riley konnte April, Jilly und Crystal im seichten Wasser spielen sehen. Es gab zwar eine Strandwache mit Rettungsschwimmern vor Ort, aber trotzdem war Riley froh, dass sie einen guten Blick auf die Mädchen hatte.

Blaine hatte es sich auf einer Strandliege neben ihr bequem gemacht.

Er sagte: „Na, bist du froh, dass du meine Einladung angenommen und hierher gefahren bist?“

Riley drückte seine Hand und sagte: „Heilfroh, ich könnte mich glatt daran gewöhnen.“

„Das will ich doch schwer hoffen“, entgegnete Blaine und drückte ebenfalls ihre Hand. „Wann war das letzte Mal, dass du so einen Urlaub gemacht hast?“

Die Frage ließ Riley einen Moment lang stutzen.

„Ich habe wirklich keine Ahnung“, sagte sie. „Das muss Jahre her sein.“

„Dann haben wir ja einiges nachzuholen“, sagte Blaine.

Riley lächelte und dachte…

Ja, noch eine ganze weitere Woche genauer gesagt.

Sie hatten soweit allesamt eine tolle Zeit hier gehabt. Ein wohlhabender Freund von Blaine hatte ihm angeboten, sein Strandhaus in Sandbridge Beach zwei Augustwochen lang zu nutzen. Als Blaine sie eingeladen hatte mitzukommen, hatte Riley eingesehen, dass sie es Jilly und April schuldete mehr Zeit mit ihnen fernab der Arbeit zu verbringen.

Nun dachte sie allerdings…

Ich habe es auch mir selbst geschuldet.

Vielleicht, wenn sie diesen Sommer genug Übung bekäme, konnte sie sich sogar daran gewöhnen, sich ab und zu etwas zu gönnen.

Als sie hier angekommen waren, war Riley überrascht gewesen, wie elegant das Haus war. Es war ein schöner Bau, auf Pfählen gebaut, und von der großzügigen Terrasse aus hatte man einen herrlichen Blick auf den Strand. Es gab sogar einen Außenpool hinten im Garten.

Sie waren am Tag von Aprils sechzehntem Geburtstag hier angekommen. Riley und die Mädchen hatten den Tag mit einer Shoppingtour und dem Besuch des Aquariums im nur wenige Kilometer entfernten Virginia Beach verbracht. Seither hatten sie diesen Ort nicht mehr verlassen, und die Mädchen schienen alles andere als gelangweilt zu sein.

Blaine ließ Rileys Hand sanft fallen und stand von seiner Liege auf.

Riley brummte: „Hey, wo willst du denn hin?“

„Abendessen kochen“, sagte Blaine. Dann fügte er mit einem frechen Grinsen hinzu: „Es sei denn, du würdest lieber auswärts essen.“

Riley lachte über den kleinen Witz. Blaine besaß ein hochklassiges Restaurant in Fredericksburg, und er selbst war ein Meisterkoch. Seitdem sie hier angekommen waren, hatte es keinen Abend gegeben, an dem er nicht für sie ein vorzügliches Gericht aus Meeresfrüchten gezaubert hatte.

„Das kommt nicht in Frage“, antwortete Riley. „Nun marsch in die Küche und mach dich an die Arbeit.“

„Ok, Boss“, erwiderte Blaine.

Er gab ihr einen flüchtigen Kuss und ging ins Haus. Riley schaute den Mädchen noch einige Zeit beim Herumtoben in den seichten Wellen zu. Doch dann wurde Riley von einer inneren Unruhe gepackt, sodass sie überlegte, ob sie sich nicht zu Blaine gesellen sollte, um ihm mit dem Abendessen zu helfen.

Erwartungsgemäß würde der sie wieder wegschicken und ihr sagen, dass sie das Kochen besser ihm überlassen solle.

Stattdessen angelte Riley also nach dem Krimi, den sie während ihrer Zeit hier zu lesen begonnen hatte. Ihr fehlte zwar die Konzentration, die verstrickte Handlung komplett zu verstehen, doch bereitete ihr das Lesen trotzdem viel Freude.

Kurze Zeit später zuckte sie zusammen und musste feststellen, dass sie kurz eingenickt war und das Buch dabei hatte fallen lassen – wie lange hatte sie nur geschlafen?

Nicht dass das wichtig gewesen wäre.

Der Nachmittag neigte sich sanft dem Abend zu, und die Wellen wölbten sich weiter in die Höhe. Das Wasser sah ein wenig bedrohlicher aus, nun da die rastlose Flut immer tiefer in den Strand drang.

Obwohl es eine Strandwache gab, machte Riley sich Sorgen. Gerade wollte sie schon aufstehen und den Mädchen anzeigen, dass es Zeit war, aus dem Wasser zu kommen. Doch da erkannte sie, dass die Mädchen schon selbst zu diesem Schluss gekommen waren. Sie saßen bereits am Strand und bauten eine Sandburg.

Riley war erleichtert, dass ihre Töchter eine so vernünftige Entscheidung getroffen hatten. Der anbrechende Abend zeigte Riley, dass Menschen nicht zu jeder Tageszeit an das Meer gehörten. Einige Meeresbewohner waren zu grausamer Gewalt fähig – Gewalt, die mindestens genauso barbarisch war wie die der menschlichen Monster, die Riley als FBI-Agentin jagte und gegen die sie kämpfte.

Riley zuckte zusammen als ihr diejenigen Monster einfielen, vor denen sie bereits ihre eigene Familie hatte beschützen müssen. Sie hatten List besessen. Und so wusste sie auch genau, dass es besser war, sich gar nicht erst mit den Monstern der Meerestiefen anzulegen.

Ihren letzten Fall hat Riley vor einem Monat abgeschlossen – eine Serie schrecklicher Messermorde an wohlhabenden, mächtigen Männern, die in eleganten Häusern in Georgia gelebt hatten. Seither war ihr Job überraschend und ungewohnt ruhig gewesen – fast schon langweilig.

Sie hatte Unterlagen sortiert und Akten auf den neusten Stand gebracht, Sitzungen besucht und andere Agenten in ihren Fällen beraten. Sie hatte es außerdem genossen, ein paar Vorlesungen vor Studenten an der FBI Akademie zu halten. Als erfahrene und beinahe schon gefeierte Agentin war Riley eine beliebte Dozentin, jedenfalls wenn sie Zeit hatte, Vorlesungen zu halten.

Die jungen, hoffnungsvollen Gesichter im Vorlesungssaal zu sehen, erinnerte sie an den früheren Idealismus ihrer eigenen Studententage an der Akademie. Damals war sie noch voller Hoffnung gewesen, die Welt einmal von Bösewichten befreien zu können. Sie war nun sehr viel weniger hoffnungsvoll, doch sie tat immer noch ihr Bestes.

Was sollte ich auch sonst tun? fragte sie sich.

Es war die einzige Arbeit, die sie kannte, und sie wusste, dass sie ihre Arbeit gut machte.

Sie hörte Blaines Stimme aus dem Inneren des Hauses rufen…

„Riley, Abendessen ist fertig. Ruf die Kinder rein.“

Riley stand auf und rief so laut sie konnte „Abendessen!“.

Die Mädchen ließen von der Sandburg ab, die mittlerweile recht kunstvoll und detailreich in den Himmel ragte, und liefen in Richtung des Hauses. Sie rannten unter der Terrasse, auf der Riley saß, hindurch gen Hinterhof, um sich neben dem Außenpool noch schnell abzuduschen.

Bevor sie selbst hineinging, blieb Riley noch kurz am Geländer der Terrasse stehen. Sie konnte sehen, dass die Sandburg der Mädchen bereits von der herannahenden Flut umspült wurde. Riley wurde ein klein wenig traurig. Doch dann ermahnte sie sich, dass das für Schlösser aus Sand nun einmal ganz normal war.

Als sie ein Kind gewesen war, hatte sie nur wenig Zeit am Strand verbracht. Ihre Kindheit hatte einfach anders ausgesehen. Doch während sie ihren Mädchen beim Spielen im Sand zugesehen hatte, war ihr auch bewusst geworden, dass das Wissen um die zeitliche Begrenztheit ihrer flüchtigen Bauwerke Teil ihrer Spielfreude war.

Eine gesunde Lektion des Lebens, dachte Riley.

Sie verweilte noch einige Momente und schaute zu, wie das Schloss langsam im Wasser verschwand. Als sie hörte, wie die drei Mädchen die Treppen hinaufgestürmt kamen, drehte sie sich um und lief über die Terrasse und um das Haus herum ihnen entgegen.

Eines der Mädchen war Crystal, Blaines sechzehnjährige Tochter, die Aprils beste Freundin war. Die dritte im Bunde war die vierzehnjährige Jilly, die Riley erst vor kurzem adoptiert hatte.

Als sich die drei kreischenden und kichernden Mädchen auf den Weg in ihr Schlafzimmer machten um sich dort vor dem Abendessen umzuziehen, bemerkte Riley einen kleinen Kratzer an Jillys Oberschenkel.

Sie hielt sie sanft fest und fragte: „Wie ist das passiert?“

Jilly warf einen Blick auf den Kratzer und sagte: „Weiß nicht. War wahrscheinlich unvorsichtig. Hab mich an einer Dorne oder so verletzt.“

Riley ging in die Hocke um den Kratzer genauer anzusehen. Er war überhaupt nicht schlimm und Schorf hatte sich bereits zu bilden begonnen. Trotzdem kam es Riley irgendwie seltsam vor. Sie konnte sich daran erinnern, dass Jilly am Tag ihrer Ankunft einen ähnlichen Kratzer an ihrem Arm gehabt hatte. Jilly hatte gesagt, dass Aprils Katze, Marbles, sie gekratzt hätte. April hatte das jedoch vehement abgestritten.

Jilly entzog sich der Umklammerung – als würde sie versuchen, weiteren Fragen aus dem Weg zu gehen, dachte Riley.

„Es ist nichts Mom, ok?“

Riley sagte: „Es gibt einen Erste Hilfe Koffer im Bad. Desinfizier die Wunde bevor du zum Abendessen kommst.“

„Ok, werde ich machen“, sagte Jilly.

Riley schaute ihr nach, als sie April und Crystal ins Schlafzimmer nachrannte.

Nichts, worüber man sich Sorgen machen sollte, sagte Riley sich.

Aber es fiel ihr schwer, sich keine Sorgen zu machen. Jilly lebte erst seit Januar bei ihnen. Während eines Falls in Arizona hatte Riley Jilly unter schrecklichen Umständen kennengelernt und gerettet. Nach einigen persönlichen und juristischen Kämpfen hatte Riley Jilly letzten Monat endlich adoptieren dürfen. Und Jilly schien sehr glücklich mit ihrer neuen Familie zu sein.

Und außerdem…

Es ist bloß ein kleiner Kratzer – nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste.

Riley ging in die Küche um Blaine dabei zu helfen, den Tisch zu decken und das Abendessen zu servieren. Die Mädchen gesellten sich schon bald zu ihnen, und so setzten sie sich an den Tisch – es gab köstliche Flunderfilets in Tartar Sauce. Alle waren glücklich und lachten. Als Blaine das Abendessen schließlich mit einem Käsekuchen zu seinem kulinarischen Höhepunkt führte, hatte sich längst ein warmes, wohliges Gefühl in Rileys Bauch breitgemacht.

Wir sind wie eine Familie, dachte sie.

Oder vielleicht war das nicht ganz richtig. Vielleicht, nur vielleicht…

Wir sind wirklich eine Familie.

Es war so lange her, dass Riley sich so gefühlt hatte.

Während sie ihr Dessert aufaß, dachte Riley erneut…

Ich könnte mich wirklich daran gewöhnen.


*

Nach dem Abendessen machten sich die Mädchen auf, vor dem Zubettgehen in ihrem Schlafzimmer noch ein paar Brettspiele zu spielen. Riley gesellte sich mit einem Glas Wein zu Blaine auf die Terrasse. Sie beobachtete, wie es um sie herum langsam Nacht wurde. Beide schwiegen eine lange Weile.

Riley genoß dieses Schweigen, und sie spürte, dass auch Blaine das tat.

Sie konnte sich nicht daran erinnern, mit ihrem Ex-Mann Ryan viele dieser einfachen, angenehm ruhigen Momente geteilt zu haben. Sie hatten eigentlich immer entweder geredet oder einander absichtlich angeschwiegen. Und wenn sie nicht miteinander gesprochen hatten, hatten sie einfach in ihren eigenen Welten gelebt.

Doch Blaine fühlte sich gerade sehr wie ein Teil von Rileys Welt an…

Und was für eine schöne Welt das war.

Der Mond schien hell und als die Nacht dunkler wurde, kamen die Sterne heraus – die Kraft ihres Glanzes so fernab der Stadt war kaum zu fassen. Das Licht des Mondes und der Sterne spiegelte sich in den dunklen Wellen des Golfs. Weit in der Ferne verschwamm der Horizont bis er endgültig verschwunden war, und es schien, dass Meer und Himmel eins waren.

Riley schloß die Augen und lauschte einen Moment lang dem Geräusch der Wellen.

Es gab überhaupt keine anderen Geräusche – weder Stimmen, noch Fernseher, noch Verkehr.

Riley atmete glücklich lang und tief ein.

So als ob er auf ihren Seufzer antwortete, sagte Blaine…

„Riley, ich habe mich gefragt…“

Er hielt inne. Riley öffnete ihre Augen und schaute ihn an, ein klitzekleines Gefühl der Sorge im Blick.

Dann fuhr Blaine fort…

„Meinst Du, dass wir einander bereits eine lange Zeit kennen, oder doch eher eine kurze Weile?“

Riley lächelte. Es war eine interessante Frage. Sie kannten sich nun seit ungefähr einem Jahr und hatten vor ungefähr drei Monaten beschlossen, dass sie sich voll und ganz aufeinander einlassen wollten. In dieser Zeit waren sie einander sehr nahe gekommen.

Sowohl sie selbst, als auch ihre Familien waren durch Momente großer Gefahr gegangen, in denen Blaine unglaublichen Erfindungsreichtum und Mut bewiesen hatte.

Durch all dies hatte Riley ihm zunehmend ihr Vertrauen und ihre Bewunderung geschenkt.

„Das ist schwer zu sagen“, sagte sie. „Beides, nehme ich an. Es kommt mir wie eine lange Zeit vor, weil wir uns so nahe gekommen sind. Dann scheint es wieder erst so kurz, weil… naja, ich manchmal nicht glauben kann, wie schnell wir uns so nahe gekommen sind.“

Es stellte sich erneut eine Stille ein – eine Stille, die Riley bewusst machte, dass Blaine sich genauso fühlte.

Dann sagte Blaine…

„Was meinst du… sollte als nächstes passieren?“

Riley schaute ihm in die Augen. Sein Blick war ernst und fragend.

Riley lächelte und sprach aus, was ihr als erstes in den Kopf kam. „Wieso, Blaine Hildreth – machst Du mir gerade einen Antrag?“

Blaine lächelte und erwiderte: „Komm mit rein. Ich muss dir etwas zeigen.“




KAPITEL DREI


Riley stockte nun ein wenig der Atem. Eine ganze Welt voller zukünftiger Möglichkeiten schien sich vor ihr zu eröffnen, und sie wusste nicht genau, was sie von all dem halten sollte.

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Also nahm sie einfach ihr Glas Wein und folgte Blaine ins Esszimmer.

Blaine ging zu einem Schrank und holte eine große Papierrolle heraus. Als sie hier angekommen waren, hatte Riley gesehen, wie er die Rolle aus dem Auto herausgeholt hatte, zusammen mit anderem Strandkram, aber sie hatte nicht nachgefragt, was sie genau enthielt.

Er rollte das Papier auf dem Esstisch auseinander und stellte Tassen auf die Ecken, um es zu beschweren. Es sah nach einem komplizierten Grundriss aus.

„Was ist das?“, wollte Riley wissen.

„Erkennst du es nicht?“, erwiderte Blaine. „Es ist mein Haus.“

Riley warf nun leicht verwirrt einen zweiten, genaueren Blick auf die Zeichnung.

Sie sagte: „Ähm… es sieht zu groß aus, um dein Haus zu sein.“

Blaine kicherte und sagte: „Das liegt an diesem Flügel hier, der noch nicht gebaut ist.“

Riley wurde etwas schwindlig, als Blaine die Zeichnungen weiter erläuterte. Er erklärte, dass der neue Flügel Schlafzimmer für April und Jilly haben würde. Und natürlich würde es eine separate Wohnung für Gabriela, Rileys Hausmädchen, geben. Gabriela würde weiterhin für sie arbeiten können, wenn erst einmal alles fertig gebaut war. Der neue Grundriss sah sogar ein kleines Büro für Riley vor. Sie hatte kein eigenes Büro mehr seitdem Jilly eingezogen war. Als Ersatz hatte sie ihr Schlafzimmer notdürftig umfunktioniert.

Riley war gleichzeitig überrumpelt und amüsiert.

Nachdem er seine Ausführungen beendet hatte, sagte sie…

„Dann – ist das deine Art mich zu fragen, ob ich dich heiraten will?“

Blaine stammelte: „Ich – ich nehme an, ja. Ich weiß, dass es nicht besonders romantisch ist. Kein Ring, kein auf die Kniefallen.“

Riley lachte und sagte: „Blaine, wenn du dich vor mich hinkniest, ich schwöre dir, dass ich dir eine klatsche.“

Blaine starrte sie überrascht an.

Aber Riley meinte das ernst. Sie musste an Ryan denken. Wie er ihr damals vor so vielen Jahren einen Antrag gemacht hatte. Da waren sie sie noch jung und arm gewesen – Ryan ein noch wenig erfolgreicher Anwalt und sie Praktikantin beim FBI. Ryan hatte das gesamte Ritual aufgeführt. Kniend hatte er ihr einen Ring, den er sich eigentlich wirklich nicht hatte leisten können, vor die Nase gehalten.

Damals war es ihr durchaus romantisch vorgekommen.

Doch ihre Ehe hatte ein so böses Ende genommen, dass in Rileys Erinnerung nichts als Bitterkeit geblieben war.

Blaines sehr viel weniger traditioneller Antrag erschien ihr im Vergleich dazu geradezu perfekt.

Blaine legte seinen Arm um Rileys Schultern und küsste ihren Hals.

„Weißt du, verheiratet zu sein hätte auch seine praktischen Vorzüge“, sagte er. „Wir müssten nicht in separaten Schlafzimmern schlafen, immer wenn die Kinder dabei sind.“

Sein Kuss und seine Anspielung riefen in Riley ein lustvolles Kribbeln hervor.

Ja, das wäre durchaus ein Vorzug, dachte sie.

Intime Momente waren rar. Die beiden schliefen selbst in diesem wundervollen Urlaub in getrennten Schlafzimmern.

Riley seufzte tief und sagte: „Es gibt hier viel zu bedenken, Blaine. Für uns beide.“

Blaine nickte. „Ich weiß. Deshalb erwarte ich auch nicht, dass du freudig ‚ja, ja, ja!‘ schreiend durch die Gegend hüpfst. Ich wollte dich nur wissen lassen,… dass es mir schon länger durch den Kopf geht, und dass ich hoffe, dass es auch dir schon einmal durch den Kopf gegangen ist.“

Riley lächelte und gab zu: „Ja, es ist mir auch schon mal durch den Kopf gegangen.“

Einige Momente lang schauten sie einander in die Augen. Erneut genoss Riley die Stille zwischen ihnen. Doch sie wusste natürlich auch, dass sie diese Fragen nicht unbeantwortet lassen konnten.

Schließlich sagte Riley: „Lass uns wieder rausgehen.“

Sie füllten ihre Gläser mit Wein auf und gingen wieder auf die Terrasse, um sich dort wieder hinzusetzen. Die Nacht wurde mit jedem Augenblick schöner.

Blaine nahm Rileys Hand in seine. „Ich weiß, dass es eine große Entscheidung ist. Wir müssen beide über vieles nachdenken. Zum einen waren wir beide schon einmal verheiratet. Und…naja in der Zwischenzeit sind wir nicht jünger geworden.“

Riley dachte still…

Umso mehr haben wir einen Grund eine feste Bindung einzugehen.

Blaine fuhr fort: „Vielleicht sollten wir erst einmal damit anfangen, all die Gründe aufzuzählen, aus denen das vielleicht keine so gute Idee wäre.“

Riley lachte und sagte: „Oh, Blaine – müssen wir das wirklich tun?“

Aber sie wusste, dass er Recht hatte.

Dann kann ich auch gleich den Anfang machen, dachte sie.

Sie holte einmal langsam und tief Luft und sagte: „Zum einen müssen wir an mehr als nur an uns denken. Wir haben beide bereits Kinder, drei Teenager genauer gesagt. Und wenn wir heiraten, werden wir auch zu Stiefeltern – ich für deine Tochter und du für meine beiden Mädels. Das ist schon mal eine ziemlich große Sache.“

„Ich weiß“, sagte Blaine. „Aber ich finde den Gedanken schön, ein Vater für April und Jilly zu sein.“

Riley hörte die Aufrichtigkeit in seinen Worten und spürte plötzlich einen Kloß im Hals.

„Mit Crystal geht es mir genauso“, sagte sie. Dann fügte sie mit einem Kichern hinzu: „Meine Mädels haben bereits eine Katze und einen Hund. Ich hoffe, dass das ok ist.“

Blaine sagte: „Schon in Ordnung. Ich werde auch keine Haustierkaution von euch verlangen.“

Ihr Lachen schallte harmonisch durch die Abendstille.

Dann sagte Riley: „Ok, du bist dran.“

Blaine seufzte tief und sagte: „Wir haben beide Ex-Partner.“

Riley seufzte ebenfalls und erwiderte: „Das ist wohl wahr.“

Ein Schaudern durchfuhr sie, als sie sich an ihre einzige Begegnung mit Blaines Ex-Frau, Phoebe, erinnerte. Diese Frau hatte die arme Crystal in betrunkener Rage physisch angegriffen. Riley hatte das Mädchen nur mit Mühe aus den Händen der Frau befreien können.

Blaine hatte Riley erzählt, dass die Ehe mit Phoebe eine Jugendsünde gewesen war, und dass er sie geheiratet hatte, bevor er wusste, dass sie eine bipolare Störung hatte und für sich und andere eine Gefahr darstellte.

Als könnte er Rileys Gedanken erraten, sagte Blaine…

„Ich stehe kaum noch im Kontakt mit Phoebe. Sie lebt wohl bei ihrer Schwester Drew. Ich melde mich ab und zu bei Drew. Sie sagt, dass Phoebe eine Therapie macht und dass es ihr besser geht, aber dass sie nie an mich oder Crystal denkt. Ich bin mir sicher, dass sie unsere Leben endgültig verlassen hat.“

Riley musste schlucken als sie sagte…

„Ich wünschte, dass ich dasselbe von Ryan behaupten könnte.“

Blaine drückte Rileys Hand und sagte: „Naja, er ist Aprils Vater. Er wird weiterhin ein Teil eures Lebens sein wollen. Auch Jillys. Ich kann das verstehen.“

„Du siehst ihn in einem zu guten Licht“, sagte Riley.

„Wirklich? Wieso?“

Riley dachte nach…

Wo soll ich anfangen?

Ryans einziger Versuch Frieden zu schließen und wieder mit ihr zusammenzukommen war desaströs gescheitert – besonders im Hinblick auf Jilly und April, die einmal mehr hatten lernen müssen, dass sie sich in keinster Weise auf ihn verlassen konnten.

Riley hatte keine Ahnung, wie viele Freundinnen Ryans Leben in der Zwischenzeit betreten und wieder verlassen hatten.

Sie nahm einen Schluck Wein und sagte: „Ich denke nicht, dass wir Ryan oft zu sehen bekommen werden. Und ich finde, dass das gut so ist.“

Riley und Blaine schwiegen eine Weile. Als sie so dasaßen und in die Nacht starrten, begannen sich Rileys Sorgen um Phoebe und Ryan langsam aufzulösen. Sie konnte die wundervolle Wärme von Blaines Gegenwart wieder genießen.

Die Stille wurde durch das Geräusch von Schritten, Stimmen und Lachen unterbrochen, als die Mädchen schließlich aus ihrem Zimmer gerannt kamen. Es klang so, als würden sie etwas in der Küche tun – wahrscheinlich holten sie sich einen Mitternachtssnack, dachte Riley.

Währenddessen begannen Riley und Blaine über verschiedene mögliche Hindernisse zu sprechen – darüber, wie ihre sehr unterschiedlichen Berufe einander möglicherweise in die Quere kommen konnten, darüber, dass Riley das Townhaus verkaufen müsste, das sie vor nur einem Jahr gekauft hatte, darüber, wie sie ihre Finanzen aufteilen würden und andere, ähnlich geartete Dinge.

Als sie sprachen, dachte Riley…

Eigentlich wollten wir doch nur Gründe finden, die einer Ehe im Weg stehen.

Stattdessen erschien das Ganze mit jedem Moment der verstrich eine viel bessere Idee zu sein, als sie anfangs geglaubt hatte.

Das wirklich wunderbare war jedoch, dass keiner von ihnen es laut aussprechen musste.

Ich hätte eben so gut ja sagen können, dachte sie sich.

Sie fühlte sich auf jeden Fall so, als wären sie bereits verlobt.

Und dieses Gefühl gefiel ihr.

Ihr Gespräch wurde unterbrochen, als April mit Rileys Handy in der Hand auf die Terrasse gerannt kam.

Das Handy vibrierte.

Als sie das Telefon an Riley übergab, sagte April…

„Hey, Mom – du hast dein Telefon in der Küche liegen gelassen. Du wirst angerufen.“

Riley unterdrückte ein Seufzen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass der Anruf von einer Person kam, mit der sie gerade gerne sprechen wollte. Wie erwartet sah sie auf dem Display, dass es sich bei dem Anrufer um ihren Boss, Spezialagent Brent Meredith, handelte.

Bestürzt begriff sie…

Er will, dass ich sofort zur Arbeit zurückkehre.




KAPITEL VIER


Als Riley den Anruf annahm, hörte sie Merediths vertraut grimmige Stimme.

„Wie verläuft Ihr Urlaub, Agentin Paige?“

Riley musste sich zusammenreißen, um nicht zu sagen:

„Bis gerade eben sehr gut.“

Stattdessen antwortete sie: „Es ist alles wunderbar. Danke der Nachfrage.“

Sie erhob sich aus ihrem Sessel und begann auf der Terrasse auf und abzugehen.

Meredith grummelte zögerlich und sagte dann…

„Hören Sie zu, wir haben einige merkwürdige Anrufe von einer Polizistin in Mississippi erhalten – aus einem kleinen Strandstädtchen Namens Rushville. Sie arbeitet dort an einem Mordfall. Einem Bürger der Stadt wurde der Schädel mit dem Hammer eingeschlagen und…“

Meredith hielt erneut inne und sagte dann…

„Sie hat die Vermutung, dass sie es mit einem Serienmörder zu tun haben.“

„Wieso?“, wollte Riley wissen.

„Weil etwas ähnliches schon einmal in Rushville passiert ist – vor ungefähr zehn Jahren.“

Riley runzelte überrascht die Stirn.

Sie sagte: „Das ist eine lange Zeit zwischen den Morden.“

„Ja, ich weiß“, erwiderte Meredith. „Ich habe mit ihrem Chief gesprochen, und er hat gesagt, dass an der Sache nichts nichts dran wäre. Er meinte, sie sei einfach eine Kleinstadtpolizistin, die das Abenteuer sucht. Die Sache ist aber, dass sie immer wieder anruft, und sie macht nicht gerade den Eindruck, verrückt zu sein. Vielleicht handelt es sich also doch um…“

Erneut wurde Meredith still. Riley blickte ins Innere des Hauses und sah, dass Blaine den Mädchen in der Küche eine Kleinigkeit zu Essen zubereitete. Sie sahen alle so glücklich aus.

Riley wurde beim Gedanken, den Urlaub vorzeitig beenden zu müssen, ganz elendig zumute.

Dann sagte Meredith: „Schauen Sie, ich dachte nur, falls Sie vielleicht schon zu viel vom Urlaub haben und Ihnen die Arbeit bereits fehlt, könnten Sie vielleicht runter nach Mississippi fahren und – “

Von sich selbst ein wenig überrascht hörte Riley, wie ihre Stimme ihn scharf unterbrach.

„Nein“, sagte sie.

Es wurde wieder still in der Leitung, und Riley spürte, wie ihr Herz zu rasen begann.

Grundgütiger, dachte sie.

Ich habe Brent Meredith gerade eine Absage erteilt.

Sie konnte sich nicht daran erinnern, das jemals zuvor getan zu haben – aus sehr gutem Grund. Meredith war bekannt dafür, eine starke Abneigung gegen das Wort ‚nein’ zu haben, insbesondere wenn es viel zu tun gab.

Riley machte sich auf eine saftige Standpauke gefasst. Stattdessen vernahm sie ein ächzendes Seufzen.

Meredith sagte: „Ja, ich hätte es eigentlich besser wissen sollen. Wahrscheinlich ist an der Sache eh nichts dran. Es tut mir leid, sollte ich Sie gestört haben. Genießen Sie den Rest Ihres Urlaubs.“

Dann hatte Meredith aufgelegt. Riley blieb auf der Terrasse stehen und starrte auf ihr Handy.

Merediths letzter Satz ging ihr nicht aus dem Kopf…

„Es tut mir leid, sollte ich Sie gestört haben.“

Das klang überhaupt nicht nach dem Chief.

Entschuldigungen jeglicher Art waren einfach nicht sein Stil.

Was war da also wirklich los?

Riley hatte das Gefühl, dass Meredith auch nicht an das glaubte, was er da eben von sich gegeben hatte…

„Wahrscheinlich ist an der Sache eh nichts dran.“

Riley hatte den Verdacht, dass irgendetwas an dem Bericht der Polizistin Merediths Interesse geweckt hatte und dass sich in ihm das nagende Gefühl, dass es da tatsächlich einen Serienmörder in Mississippi gab, festgesetzt hatte. Doch da es keine wirklichen Beweise gab, wäre es übertrieben gewesen, von Riley zu verlangen, ihren Urlaub zu unterbrechen, um den Fall zu übernehmen.

Riley starrte weiterhin auf ihr Handy und begann zu überlegen…

Sollte ich ihn vielleicht zurückrufen?

Sollte ich nach Mississippi fahren und wenigstens kurz nachsehen, was da los ist?

Sie wurde von Aprils Stimme aus ihren Gedanken gerissen.

„Und, was ist los? Ist der Urlaub vorbei?“

Riley drehte sich um und sah, dass ihre Tochter auf die Terrasse gekommen war und sie mit beleidigter Miene ansah.

„Was? Wie kommst du darauf?“, fragte Riley.

April seufzte und sagte: „Komm schon, Mom. Ich hab’ gesehen, von wem der Anruf kam. Du hast einen neuen Fall, stimmt’s?“

Riley blickte wieder zur Küche, wo Blaine und die anderen beiden Mädchen noch immer dabei waren, Snacks vorbereiteten. Doch auch Jilly warf Riley kurz einen besorgten Blick zu.

Plötzlich fragte Riley sich…

Was zur Hölle habe ich da gerade gedacht?

Sie lächelte April an und sagte…

„Nein, ich muss nirgends hin. Stell dir vor…“

Sie lächelte stolz und fuhr fort…

„Ich habe ‚nein‘ gesagt.“

Aprils Augen weiteten sich. Dann lief sie zurück in die Küche und rief den anderen laut zu…

„Hey Leute! Mom hat nein zu einem Fall gesagt!“

Die beiden anderen Mädchen begannen „Yay!“ und „Gut gemacht!“ zu schreien, und Blaine schenkte Riley einen freudigen Blick.

Die Mädchen begannen sich untereinander scherzhaft zu necken, und Jilly sagte zu ihrer Schwester…

„Ich habe es dir gesagt. Ich hab’ gesagt, dass sie ‚nein‘ sagen wird.“

April entgegnete: „Nein, hast du nicht. Du warst noch pessimistischer als ich.“

„Stimmt ja gar nicht“, behauptete Jilly. „Du schuldest mir zehn Dollar.“

„Wir haben nie darauf gewettet!“

„Doch haben wir!“

Die zwei Mädchen schubsten einander spielend und kicherten, während sie sich weiter scherzhaft zankten.

Riley lachte ebenfalls und sagte: „Ok, Kinder. Jetzt ist gut mit der Streiterei. Verderbt uns nicht den perfekten Urlaub. Lasst uns lieber etwas essen.“

Dann gesellte auch Riley sich zu der plappernden, lachenden Truppe und den zubereiteten Abendsnacks.

Während sie aßen, warfen sie und Blaine sich immer wieder liebevolle Blicke zu.

Sie waren tatsächlich ein Paar mit drei Teenagern.

Riley fragte sich…

Wann hatte ich nur das letzte Mal einen so wundervollen Abend?


*

Riley lief barfuß über den Strand. Das Morgenlicht spiegelte sich in den Wellen. Die Möwen schrien, und es wehte eine kühle, sanfte Brise.

Das wird ein schöner Tag, dachte sie.

Doch etwas stimmte nicht.

Sie brauchte einen Moment, um zu verstehen, was es war…

Ich bin ganz alleine.

Sie suchte den Strand mit Blicken ab, doch konnte weit und breit niemanden entdecken.

Wo sind sie alle hin? fragte sie sich.

Wo waren April und Jilly und Crystal?

Und wo war Blaine?

Eine merkwürdige Panik begann in ihr aufzusteigen. Gleichzeitig kam ihr ein schrecklicher Gedanke…

Vielleicht habe ich das alles nur geträumt.

Ja, vielleicht hatte es die letzte Nacht nie so gegeben.

Vielleicht war nichts von alledem passiert.

Die liebevollen Momente mit Blaine, in denen sie ihre gemeinsame Zukunft geplant hatten.

Das Lachen ihrer zwei Töchter – und auch Crystals Lachen, die bald ihre dritte Tochter sein würde.

Das warme Gefühl der Geborgenheit und der Zugehörigkeit – ein Gefühl, das sie ihr gesamtes Leben lang gesucht hatte, nach dem sie sich immer gesehnt hatte.

Alles nur ein Traum.

Und nun war sie allein – genauso allein wie sie es immer in ihrem Leben gewesen war.

In diesem Moment drangen Worte und Gelächter an ihr Ohr.

Sie drehte sich um, und da waren sie…

Blaine, Crystal, April und Jilly rannten über den Sand und warfen einander einen Strandball zu.

Riley atmete auf.

Natürlich war es echt, dachte sie.

Natürlich habe ich es mir nicht nur eingebildet.

Riley lachte glücklich und begann ihnen entgegenzurennen.

Doch dann hielt sie etwas Hartes und Unsichtbares zurück.

Wie eine unsichtbare Wand schob sich dieses etwas zwischen sie und die Menschen, die sie am meisten liebte.

Riley lief die Wand ab, fuhr mit den Händen tastend über sie und dachte…

Vielleicht kann man sie irgendwie umgehen.

Dann hörte sie ein bekanntes heiseres Lachen.

„Gib’s auf, Kindchen“, sagte eine Stimme. „Dieses Leben ist nichts für dich.“

Riley drehte sich um und sah jemanden in nur wenigen Metern Entfernung vor ihr stehen.

Es war ein Mann in der Uniform eines Marine Colonels. Er war groß und schlank, sein Gesicht verbraucht und faltig von jahrelanger Wut und vom Alkoholkonsum.

Er war der allerletzte Mensch auf dieser Welt, den Riley sehen wollte.

„Daddy“, murmelte sie ernüchtert.

Er kicherte düster und sagte: „Hey, du brauchst nicht so schrecklich verbittert zu klingen. Ich dachte, du würdest dich freuen, mit deinem eigenen Fleisch und Blut endlich wiedervereint zu werden.“

„Du bist tot“, sagte Riley.

Er zuckte mit den Schultern und sagte: „Nun ja, wie du weißt, hält mich das nicht davon ab, mich ab und zu bei dir zu melden.“

Riley musste sich eingestehen, dass das der Wahrheit entsprach.

Es war nicht das erste Mal, dass sie ihren Vater seit seinem Tod letztes Jahr traf.

Und es war auch nicht das erste Mal, dass seine Anwesenheit sie verwirrte. Sie begriff nicht, wie sie mit einem Toten sprechen konnte.

Doch einer Sache war sie sich sicher.

Sie wollte nichts mit ihm zu tun haben.

Sie wollte von Menschen umgeben sein, die sie nicht in den Selbsthass trieben.

Sie drehte sich um und wollte schon weiter in Richtung von Blaine und den Mädchen laufen, die weiterhin mit dem Strandball spielten.

Doch erneut wurde sie von der unsichtbaren Wand aufgehalten.

Ihr Vater lachte. „Wie oft muss ich es dir eigentlich noch sagen? Du gehörst nicht zu ihnen.“

Riley schüttelte es am ganzen Körper – ob vor Wut oder Trauer konnte sie nicht genau sagen.

Sie drehte sich zu ihrem Vater um und schrie…

„Lass mich in Ruhe!“

„Bist du dir sicher?“, fragte er. „Ich bin alles, was du hast. Ich bin alles, was du bist.“

Riley brummte: „Ich bin überhaupt nicht wie du. Ich weiß, was es bedeutet zu lieben und geliebt zu werden.“

Ihr Vater schüttelte den Kopf und scharrte mit den Füßen im Sand.

„Es ist nicht so, dass ich kein Mitleid hätte“, sagte er. „Es ist ein verdammt sinnloses Leben, das du da führst – Gerechtigkeit für Menschen einzufordern, die bereits tot sind, für genau die Menschen, die keine Gerechtigkeit mehr brauchen. So wie ich in Vietnam, in einem dummen Krieg, den man nicht gewinnen konnte. Doch du hast keine Wahl, und es ist an der Zeit, dass du damit Frieden schließt. Du bist ein Jäger, genau wie ich. Ich habe dich so erzogen. Wir kennen nichts anderes – keiner von uns beiden.“

Riley schaute ihm jetzt direkt in die Augen, so als könnte sie ihm so ihren Willen aufzwingen.

Manchmal gewann sie, wenn sie ihn zum Blinzeln brachte.

Doch heute war keiner dieser Tage.

Sie blinzelte selbst und musste den Blick abwenden.

Ihr Vater lachte höhnisch und sagte: „Ach, wenn du alleine sein willst, so sei es. Auch ich kann auf deine Gesellschaft gut und gerne verzichten.“

Er drehte sich um und lief in die andere Richtung, den Strand hinab.

Riley drehte sich um und musste mitansehen, wie auch ihre Lieben sich aufmachten, zu gehen – April und Jilly hielten sich an der Hand, Blaine und Crystal machten sich auf ihren eigenen Weg.

Als sie begannen im morgendlichen Nebel zu verschwinden, begann Riley auf die unsichtbare Wand einzuschlagen und zu schreien…

„Kommt zurück! Bitte, kommt zurück! Ich liebe euch alle!“

Ihre Lippen bewegten sich zwar, doch kein Laut kam über sie.


*

Riley riss die Augen auf und fand sich im Bett liegend wieder.

Ein Traum, dachte sie. Ich hätte wissen müssen, dass es nur ein Traum war.

In ihren Träumen begegnete sie ihrem Vater gelegentlich.

Wie hätte sie ihn sonst sehen können, jetzt wo er tot war?

Sie brauchte einen weiteren Augenblick um zu bemerken, dass Tränen ihr über die Wangen liefen.

Die überwältigende Einsamkeit, die Isolation von den Menschen, die sie am meisten auf der Welt liebte, die warnenden Worte ihres Vaters…

„Du bist ein Jäger, genau wie ich.“

Kein Wunder, dass sie in solch einem Zustand aufgewacht war.

Sie griff nach einem Taschentuch und versuchte, ihr Schluchzen zu beruhigen. Doch auch nachdem ihr das gelungen war, wollte das Gefühl der Einsamkeit nicht weichen. Sie machte sich bewusst, dass die Kinder gleich im Zimmer nebenan waren und sie und Blaine entschieden hatten, in getrennten Zimmern zu schlafen.

Doch das half ihr jetzt auch nicht.

So ganz allein in der Dunkelheit hatte sie das Gefühl, dass alle anderen Menschen irgendwo sehr weit weg sein mussten, auf der anderen Seite der Welt.

Sie überlegte kurz, ob sie aufstehen und sich zu Blaine ins Bett schleichen sollte, aber…

Die Kinder.

Sie übernachteten in separaten Zimmern wegen der Kinder.

Sie schüttelte die Kissen neben ihrem Kopf auf und versuchte wieder einzuschlafen, doch die Gedanken konnte sie so leicht nicht abschütteln…

Ein Hammer.

Irgendjemand wurde in Mississippi mit einem Hammer ermordet.

Sie sagte sich, dass es nicht ihr Fall war, und dass sie Brent Meredith eine Absage erteilt hatte.

Doch selbst als der Schlaf sie langsam wieder überkam, ließ ein Gedanken sie noch immer nicht los…

Ein Mörder ist auf freiem Fuß.

Es gibt einen Fall, der gelöst werden muss.




KAPITEL FÜNF


Als Samantha morgens das Rushville Polizeirevier betrat, hatte sie das ungute Gefühl, dass ihr einiger Ärger bevorstand. Gestern hatte sie ein paar Anrufe getätigt, die sie vielleicht nicht hätte machen sollen.

Vielleicht sollte ich endlich lernen, mich nur um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern, dachte sie.

Doch irgendwie fiel es ihr schwer, sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern.

Sie versuchte immer, die Dinge richtigzustellen – manchmal auch Dinge, die nicht richtiggestellt werden konnten, oder Dinge, von denen andere Leute nicht wollten, dass man sie richtigstellte.

Wie immer wenn sie zur Arbeit kam, konnte Sam keinen einzigen Cop weit und breit entdecken. Nur die Sekretärin des Chiefs, Mary Ruckle, saß bereits an ihrem Platz.

Die anderen Polizisten machten sich oft über Sam lustig…

„Die gute alte verlässliche Sam“, sagten sie. „Morgens immer die erste und abends die letzte.“

Jedoch klangen diese Bemerkungen meist eher nach Spott als nach Anerkennung. Sie versuchte sich stets vor Augen zu führen, dass es für sie ganz natürlich war, die „gute alte verlässliche Sam“ aufzuziehen. Sie war jünger als sie alle und arbeitete zudem noch nicht so lange auf dem Rushville Revier. Es half auch nicht, dass sie die einzige Frau im gesamten Revier war.

Einen Moment lang schien Mary Ruckle Sams Ankunft gar nicht bemerkt zu haben. Sie war damit beschäftigt, sich die Fingernägel zu lackieren – eine Beschäftigung, mit der sie den Großteil des Arbeitstages zubrachte. Sam verstand den Reiz einer Maniküre nicht. Sie hatte unlackierte Nägel, die sie regelmäßig schnitt, was einer der vielen Gründe sein mochte, weshalb die Leute sie für nun ja…

Unweiblich hielten.

Nicht dass Sam gefunden hätte, dass Mary Ruckle sonderlich attraktiv gewesen wäre. Ihr Gesicht war immer angespannt und hatte diesen Ausdruck von Gemeinheit, so als hätte ihr jemand eine zwickende Wäscheklammer auf die Nase gesetzt. Immerhin war Mary verheiratet und hatte drei Kinder, und nur wenige Leute in Rushville trauten Sam zu, vergleichbares zu erreichen.

Ob Sam selbst so ein Leben wollte, wusste sie nicht. Sie versuchte, nicht zu viel über die Zukunft nachzudenken. Vielleicht war das der Grund, aus dem sie sich immer so intensiv auf genau das konzentrierte, was ihr an jedem gegebenen Tag bevorstand. Sie konnte sich nicht wirklich irgendeine Zukunft für sich selbst vorstellen, zumindest sagte ihr keine derjenigen Optionen zu, die ihr hier in Rushville offenstanden.

Mary pustete auf ihre Nägel und als sie zu Sam aufschaute sagte sie…

„Chief Crane will dich sehen.”

Sam nickte seufzend.

Genau wie erwartet, dachte sie.

Sie betrat das Büro des Chiefs. Er spielte gerade Tetris auf seinem Computer.

„Einen Moment“, grummelte er, als er hörte, dass Sam den Raum betreten hatte.

Abgelenkt von Sams Ankunft verlor er das Spiel nur wenige Augenblicke später.

„Verdammt“, sagte er und starrte weiter auf den Bildschirm.

Sam machte sich bereit. Er war wahrscheinlich schon vorher sauer auf sie gewesen. Das Verlieren der Tetrispartie hatte seine Laune bestimmt nicht besser gemacht.

Der Chief drehte sich in seinem Drehstuhl zu ihr um und sagte…

„Kuehling, setzen.“

Sam setzte sich gehorsam auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.

Er starrte sie einige Momente lang betont nachdenklich an während seine Fingerspitzen in Dreieckspose wichtigtuerisch in die Höhe ragten. Wie immer konnte er Sam damit nicht beeindrucken.

Crane war um die Dreißig, er sah auf eine langweilige Art und Weise gut aus – so wie Sam sich einen Versicherungskaufmann vorstellte. Dank des Machtvakuums das Chief Jason Swihart hinterlassen hatte als er vor zwei Jahren plötzlich wegzog, war Crane zum Polizeichief aufgestiegen.

Swihart war ein guter Chief gewesen, und alle hatten ihn gemocht, Sam miteingeschlossen. Swihart hatte ein tolles Jobangebot von einer Sicherheitsfirma im Silicon Valley bekommen, das er verständlicherweise sofort angenommen hatte.

Deshalb unterstanden nun Sam und all die anderen Cops dem neuen Chief Carter Crane. In Sams Augen verkörperte er die Mittelmäßigkeit der gesamten sehr mittelmäßigen Abteilung. Sam hätte es nie offen zugegeben, aber sie war überzeugt, dass sie ein hellerer Kopf war als Crane und alle anderen Cops ihres Reviers zusammengenommen.

Es wäre schön, mal eine Chance zu bekommen, das auch zu zeigen, dachte sie.

Endlich sagte Crane: „Ich habe einen interessanten Anruf gestern Nacht erhalten – von einem gewissen Spezialagenten Brent Meredith aus Quantico. Du wirst nicht glauben, was er mir erzählt hat. Andererseits, wer weiß, vielleicht weißt du selbst es ja schon viel besser als ich.“

Sam seufzte entnervt und sagte: „Komm schon, Chief. Komm auf den Punkt. Ich habe gestern Nachmittag das FBI verständigt, ja. Ich habe mit mehreren Leuten gesprochen, bevor ich dann mit Meredith verbunden wurde. Ich dachte, dass irgendjemand das FBI schließlich benachrichtigen müsste. Sie sollten hier sein und uns helfen.“

Crane grinste böse und sagte: „Lass mich raten, du denkst noch immer, dass Gareth Ogdens vorgestern Nacht von einem Serienmörders ermordet worden ist. Und zu allem Überfluss kommt der deiner Meinung nach auch noch direkt aus Rushville.“

Sam verdrehte die Augen.

“Muss ich das wirklich alles nochmal erklären?“, fragte sie. „Die gesamte Bonnett Familie wurde hier vor einigen Jahren eines Nachts ermordet. Irgendjemand hat ihnen die Köpfe mit einem Hammer eingeschlagen. Der Fall ist nie gelöst worden.“

Crane nickte und sagte: „Und du denkst, dass derselbe Mörder nun nach zehn Jahren aus seinem Versteck gekommen ist.“

Sam zuckte mit den Schultern und sagte: „Das ist eine ziemlich offensichtliche Verbindung. der modus operandi ist identisch.“

Crane wurde plötzlich laut.

„Es gibt hier keinerlei Verbindung. Wir sind das doch alles gestern schon einmal durchgegangen. Der modus operandi ist ein bloßer Zufall. Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass Gareth Ogden von einem durchreisenden Obdachlosen umgebracht wurde. Wir verfolgen jede Spur, die wir haben. Doch wenn er seine Tat nicht irgendwo noch einmal wiederholt, werden wir ihn vermutlich nie erwischen.“

Sam spürte, wie Ungeduld in ihr zu kochen begann.

Sie sagte: „Wenn es bloß ein durchreisender Obdachloser war, wieso gibt es keinerlei Anzeichen eines Raubs oder Überfalls?“

Crane schlug mit der Handfläche auf den Tisch.

„Verdammt nochmal, du willst auch wirklich nicht aufgeben, oder? Wir wissen nicht, ob nichts gestohlen wurde. Ogden war dumm genug, seine Eingangstür nicht abzuschließen. Vielleicht war er auch so dumm, einen Haufen Geld auf dem Kaffeetisch liegen zu lassen. Der Mörder hat das gesehen und beschlossen, es sich unter den Nagel zu reißen, bevor oder nachdem er Ogden den Schädel eingeschlagen hat.“

Crane legte seine Hände ineinander und fügte hinzu…

„Klingt das nicht wesentlich plausibler, als von irgendeinem Psychopath auszugehen, der zehn lange Jahre… im Übrigen was genau gemacht hat? Winterschlaf?“

Sam holte tief Luft.

Fang diese Diskussion jetzt nicht noch einmal von vorne an, sagte sie sich.

Es ergab keinen Sinn, noch einmal zu erklären, was genau an Cranes Theorie sie störte. Zum einen war es der Hammer. Sie hatte selbst nachgesehen und bemerkt, dass Ogdens Hammer alle noch säuberlich in seinem Werkzeugkasten verstaut waren. Schleppte dieser Durchreisende also einen Hammer mit sich, wenn er von einer Stadt zur nächsten zog?

Das war sicherlich möglich.

Doch es kam ihr ein bisschen lächerlich vor.

Crane grummelte beleidigt: „Ich habe diesem Meredith Typen gesagt, dass du gelangweilt bist und eine überaus aktive Fantasie hast, und dass er es vergessen soll. Aber um ehrlich zu sein, war das ganze Gespräch ziemlich peinlich. Ich mag es nicht, wenn meine Leute über mich hinweg eigene Entscheidungen treffen. Es war nicht deine Sache, diese Anrufe zu machen. Das FBI um Hilfe zu bitten ist meine Aufgabe, nicht deine.“

Sam musste sich auf die Zunge beißen, um ihre Gedanken nicht laut auszusprechen.

Es gelang ihr, mit ruhiger Stimme zu sagen…

„Ja, Chief.“

Crane gab einen scheinbar erleichterten Seufzer von sich.

„Ich werde es dieses eine Mal dabei belassen und kein Disziplinarverfahren einleiten“, sagte er. „Um ehrlich zu sein, wäre ich echt froh, wenn keiner der Kerle herausfindet, dass das alles passiert ist. Hast du irgendjemandem von dem Quatsch erzählt, den du da getrieben hast?“

„Nein, Chief.“

„Dann sollte das auch so bleiben“, sagte Crane.

Daraufhin wandte er sich von ihr ab und begann ein neues Tetrisspiel. Sam verließ sein Büro, ging zu ihrem Tisch und setzte sich, um in Ruhe über diese Niederlage nachzudenken.

Wenn ich mit niemandem darüber sprechen darf, explodiere ich, dachte sie.

Doch hatte sie gerade versprochen, den anderen Cops nichts von alldem zu erzählen.

Wer blieb dann noch?

Ihr fiel genau eine Person ein… diejenige, die überhaupt der Grund gewesen war, weshalb sie hier war, um sich in diesem Job zu behaupten…

Mein Dad.

Er war selbst Cop gewesen, als damals die Bonnett Familie hier ermordet worden war.

Die Tatsache, dass der Fall nie gelöst worden war, hatte ihn jahrelang beschäftigt.

Vielleicht kann mir Dad irgendetwas darüber erzählen, dachte sie.

Vielleicht hatte er irgendwelche Gedanken dazu.

Doch Sam begriff schnell, dass das wahrscheinlich keine sonderlich gute Idee war. Ihr Vater wohnte jetzt in einem örtlichen Altersheim und war mittlerweile dement. Er hatte gute und schlechte Tage, doch einen Fall aus seiner Vergangenheit zu erwähnen, würde ihn ganz bestimmt nur verstören und verstimmen. Und das wollte Sam nicht.

Bevor ihr Partner Dominic für ihre morgendliche Rundfahrt hier eintrudelte, gab es nicht viel zu tun. Sie hoffte, dass er bald kommen würde, sodass sie ihre Runde fahren konnten, bevor die Hitze zu drückend wurde. Heute wurden außerordentlich hohe Temperaturen erwartet.

Sich bis dahin den Kopf über etwas zu zerbrechen, an dem sie sowieso nichts ändern konnte, war wohl wenig sinnvoll – auch wenn es sich dabei um einen Serienmörder handelte, der sich direkt hier in Rushville aufhielt, einen Mörder, der sich womöglich gerade darauf vorbereitete, erneut zuzuschlagen.

Versuch nicht daran zu denken, sagte sie sich.

Dann gähnte sie und murmelte…

„Als ob mir das gelingen würde.“




KAPITEL SECHS


Blaine saß am Steuer und fuhr sie zurück nach Fredericksburg, als Rileys Handy vibrierte. Sie war überrascht und besorgt zu sehen, von wem der Anruf kam.

Handelt es sich um irgendeinen Notfall? fragte sie sich.

Gabriela rief nie einfach nur an, um zu quatschen, und sie hatte explizit versprochen, sie während ihrer zwei Wochen am Strand nicht zu stören. Sie hatte Riley nur ab und zu eine SMS geschickt, um sie wissen zu lassen, dass zuhause alles in Ordnung war.

Rileys Vorahnung schien sich zu bewahrheiten, als sie den Anruf annahm und sofort die Panik in Gabrielas Stimme ausmachte…

„Señora Riley – wann werden Sie zuhause sein?“

„In ungefähr einer halben Stunde“, antwortete Riley. „Wieso?“

Sie hörte, wie Gabriela tief Luft holte bevor sie weitersprach…

„Er ist hier.“

„Von wem sprichst du?“, fragte Riley nach.

Als Gabriela nicht sofort antwortete, verstand Riley endlich…

„Oh mein Gott“, sagte sie. „Ryan ist da?“

„Sí“, antwortete Gabriela.

„Was will er?“, wollte Riley wissen.

„Er sagt es mir nicht. Aber er sagt, es ist wichtig. Er will auf Sie warten.“

Beinahe hätte Riley Gabriela gebeten, Ryan ans Telefon zu holen. Doch dann dämmerte ihr, dass, was auch immer Ryan von ihr wollte, er das sicherlich nicht am Telefon mit ihr besprechen wollte. Nicht während die anderen im Auto ihr zuhörten.

Stattdessen sagte Riley: „Lass ihn wissen, dass ich bald zuhause sein werde.“

„Das werde ich“, antwortete Gabriela.

Sie legte auf und starrte aus dem Autofenster.

Nach wenigen Augenblicken sagte Blaine: „Ähm… habe ich gerade richtig gehört, war da die Rede von…?“

Riley nickte.

Die Mädchen hatten auf der Rückbank Musik gehört und von dem Gespräch nichts mitbekommen. Doch nun war auch ihre Aufmerksamkeit geweckt.

„Was ist?“, fragte April. „Was ist los?“

Riley seufzte und sagte: „Es ist dein Vater. Er ist zuhause und wartet auf uns.“

April und Jilly stöhnten beide laut auf.

Dann fragte Jilly: „Kannst du Gabriela nicht sagen, dass sie ihn vor die Tür setzen soll?“

Riley war versucht zu gestehen, dass sie tatsächlich große Lust dazu gehabt hätte. Allerdings hätte sie es nicht fair gefunden, diese Aufgabe auf Gabriela abzuwälzen.

Stattdessen sagte sie…

„Du weißt, dass ich das nicht machen kann.“

April und Jilly stöhnten beide erneut, dieses Mal noch genervter.

Riley konnte nur zu gut verstehen, wie ihre beiden Töchter sich fühlten. Ryans letzter unangekündigter Besuch bei ihnen Zuhause war für alle unangenehm verlaufen – nicht zuletzt für Ryan selbst. Sein wiederholter Versuch sich bei den Mädchen anzubiedern, hatte nicht die gewünschte Wirkung gezeigt. April hatte sich ihm gegenüber sehr kühl benommen und Jilly war einfach nur unhöflich gewesen.

Riley konnte keiner der beiden deshalb Vorwürfe machen.

Einmal zu viel hatte Ryan ihnen Hoffnungen gemacht, dass er ihnen ein Vater sein würde, nur um sie im Nachhinein wieder komplett hängenzulassen. Die Mädchen wollten nun nichts mehr mit ihm zu tun haben.

Was will er nur schon wieder? fragte Riley sich und seufzte.

Was auch immer es war, sie hoffte, dass es nicht ihre gute Laune und die schönen Erinnerungen an den Urlaub, den sie gerade miteinander verbracht hatten, trüben würde. Es waren wundervolle zwei Wochen gewesen, trotz Rileys Traum von ihrem Vater. Seitdem hatte sie ihr Bestes gegeben, um Agent Merediths Anruf zu vergessen.

Doch nun schien die Nachricht von Ryans Besuch ihre düsteren Gedanken wieder hervorzulocken.

Ein Hammer, dachte sie.

Jemand wurde mit einem Hammer ermordet.

Sie ermahnte sich streng, dass sie das Richtige getan hatte, als sie Chief Meredith abgesagt hatte. Außerdem hatte er sie seitdem auch nicht noch einmal angerufen, was sicherlich nur bedeuten konnte, dass er es doch nicht so ernst genommen hatte.

Es war wahrscheinlich nichts, dachte sie.

Nur ein Fall für die örtliche Polizei.


*

Die Anspannung hatte merklich zugenommen als Blaine endlich den SUV vor Rileys Townhaus parkte. Ein teurer Audi parkte bereits dort. Es war natürlich Ryans Auto – doch konnte Riley sich nicht erinnern, ob es dasselbe Auto war, mit dem er letztes Mal gekommen war. Es gefiel ihm, immer das neueste Modell zu fahren, unabhängig davon, wie viel ihn das kostete.

Nachdem sie geparkt hatten, begann Blaine nervös einige Worte zu stammeln. Er wollte Riley und ihren Töchtern helfen, ihre Koffer ins Haus zu tragen, aber…

„Wäre das nicht komisch?“, fragte Blaine Riley.

Riley unterdrückte ein genervtes Seufzen.

Natürlich war es das, dachte sie.

Blaine und Ryan hatten sich nur wenige Male gesehen, und diese Treffen waren alles andere als herzlich verlaufen – zumindest was Ryans Verhalten anging. Blaine hatte sein Bestes gegeben, Ryan gegenüber wohlgesonnen zu sein, doch Ryan hatte durchgehend gekränkt und feindselig gewirkt.

Riley, April und Jilly konnten ihre Koffer ohne Probleme auch alleine ins Haus bringen. Sie waren nicht wirklich auf Blaines Hilfe angewiesen. Außerdem wollte Riley vermeiden, Blaine in eine unangenehme Situation zu bringen, und doch…

Warum zur Hölle sollte es ausgerechnet Blaine unangenehm sein, sich in meinem Haus aufzuhalten?

Blaine und Crystal wegzuschicken, war keine Lösung für ihr Problem.

Riley sagte zu Blaine: „Kommt einfach mit rein.“

Also stiegen sie aus und trugen sämtliche Koffer ins Haus. Zusammen mit Darby, Jillys kleinem Hund, der riesige Ohren hatte, stand Gabriela bereits an der Tür und nahm die Heimkehrenden in Empfang. Der Hund sprang freudig um sie herum, doch Gabriela sah nicht annähernd so freudig aus wie Darby.

Als sie die Koffer im Flur abstellten, konnte Riley Ryan bereits im Wohnzimmer sitzen sehen. Eine leichte Panik stieg in ihr auf, als sie sah, dass er zwei Koffer dabeihatte…

Plant er etwa, hier wieder einzuziehen?

Aprils schwarzweiße Katze Marbles lag schnurrend auf seinem Schoß.

Ryan schaute auf.

Er lächelte schwach und sagte mit ziemlich wehleidiger Stimme…

„Ein Kätzchen und ein Hund! Wahnsinn, wie viel sich verändert hat!“

Mit flinken Händen und einem genervten Murmeln riss April die Katze von Ryans Schoß.

Ryan sah so aus, als hätte ihn die Geste verletzt. Doch Riley konnte verstehen, wie sich April fühlen musste.

Als April und Jilly sich beide in Richtung der Treppe aufmachten, sagte Riley…

„Wartet, Mädchen. Habt ihr Blaine und Crystal nichts zu sagen?“

Ein wenig bestürzt darüber, dass sie es beinahe vergessen hatten, dankten April und Jilly Blaine und Crystal für die schöne Zeit, die sie gemeinsam verbracht hatten.

Crystal umarmte jede von ihnen. „Ich rufe dich morgen an“, sagte sie zu April.

„Und nehmt eure Sachen mit nach oben“, wies Riley die beiden an.

April und Jilly schnappten sich beide ihre Koffer. Da April noch immer Marbles auf dem Arm hatte, sammelte Jilly die restlichen Sachen auf. Mit Darby auf ihren Fersen, stiegen die beiden schließlich die Treppe hinauf. Wenige Sekunden später hörte man das Knallen zweier Türen.

Gabriela warf Ryan einen bestürzten Blick zu und verschwand in ihre eigene Wohnung.

Ryan sah Blaine an und sagte vorsichtig: „Hi, Blaine. Ich hoffe, ihr hattet alle einen guten Urlaub.“

Riley stand vor Staunen der Mund offen.

Er macht sich die Mühe, höflich zu sein, dachte sie.

Nun war sie sich sicher, dass hier etwas mächtig faul war.

Blaine machte eine leichte Bewegung mit der Hand und sagte: „Es war super, Ryan. Wie geht es dir?“

Ryan zuckte mit den Schultern und antwortete nicht.

Riley hatte fest vor, sich von Ryan nicht beeinflussen zu lassen.

Sie küsste Blaine liebevoll auf den Mund und sagte: „Danke für die wundervolle Zeit.“

Blaine wurde rot, offensichtlich verunsichert durch die Gesamtsituation.

„Danke dir – und den Mädchen“, sagte er.

Crystal schüttelte Riley die Hand und dankte ihr ebenso.

Blaine flüsterte Riley zu: „Ruf mich nachher an.“

Riley nickte, und Blaine verließ mit seiner Tochter das Haus.

Riley holte tief Luft und wandte sich nun der letzten im Wohnzimmer verbleibenden Person zu. Ihr Ex-Mann starrte sie mit einem stummen und flehenden Blick an.

Was will er? fragte sie sich aufs Neue.

Immer wenn Ryan auftauchte, hatte Riley sich normalerweise eingestehen müssen, dass ihr Ex-Mann nach wie vor ein sehr attraktiver Mann war – etwas größer, älter und durchtrainierter als Blaine, immer perfekt gepflegt und gut gekleidet. Doch dieses Mal war etwas anders. Er sah zerknittert, traurig und kaputt aus. Sie hatte ihn noch nie so gesehen.

Riley wollte ihn gerade fragen, was los sei, als er sagte…

„Hast Du vielleicht etwas zu trinken?“

Riley blickte ihm ins Gesicht. Es sah mager und fahl aus. Sie fragte sich…

Ob er in letzter Zeit öfter trinkt?

Hat er bereits etwas getrunken, bevor er hierhergekommen ist?

Sie spielte kurz mit dem Gedanken seine Bitte abzulehnen, stand dann aber auf, ging in die Küche und machte zwei Gläser mit Bourbon auf Eis fertig. Sie brachte die Drinks ins Wohnzimmer und setzte sich in den Sessel direkt gegenüber von ihm. Sie wartete bis er selbst zu sprechen begann.

In sich zusammengesunken und mit hängenden Schultern sagte er schließlich mit heiserer Stimme…

„Riley – ich bin ruiniert.“

Rileys Mund stand offen.

Was meinte er damit? fragte sie sich.




KAPITEL SIEBEN


Riley saß da und starrte ihn an. Ryan wiederholte seine Worte abermals…

„Ich bin ruiniert. Mein ganzes Leben – ruiniert.“

Riley war erschüttert. Sie konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal so viel Niedergeschlagenheit ausgestrahlt hatte. Arroganz und Selbstsicherheit waren viel eher seine Art.

„Was meinst du damit?“, fragte sie ihn.

Er seufzte tief und elendig und sagte dann: „Paul und Barrett – sie drängen mich aus der Kanzlei.“

Riley konnte ihren Ohren nicht trauen.

Paul Vernasco und Barrett Gaynor waren Ryans Partner seitdem die drei die Kanzlei zusammen gegründet hatten. Darüber hinaus waren sie immer Ryans engste Freunde gewesen.

Sie fragte: „Was um Himmels Willen ist denn zwischen euch passiert?“

Ryan zuckte mit den Schultern und sagte zurückhaltend: „Sie meinen, dass ich zur Bürde für die Kanzlei geworden bin… ich weiß es nicht.“

Doch Riley hatte den starken Eindruck, dass er genau wusste, wovon die Rede war und wieso seine Partner ihn loswerden wollten.

Sie brauchte nur einen Versuch, um den Grund zu erraten.

„Sexuelle Belästigung“, sagte sie.

Ryan stöhnte auf.

„Schau, es war alles nur ein Missverständnis“, sagte er.

Riley musste sich fast auf die Zunge beißen, um nicht zu antworten…

„Ja, na klar war es nur ein Missverständnis.“

Rileys Blick vermeidend begann Ryan: „Ihr Name ist Kyanne, sie ist Juniorpartnerin. Sie ist jung…“

Seine Stimme verstummte für einen Moment, und Riley dachte…

Natürlich ist sie jung.

Sie waren immer alle jung.

Ryan sagte: „Ich dachte, dass alles auf Gegenseitigkeit beruhte. Wirklich. Es hat mit einem harmlosen Flirt begonnen – auf beiden Seiten, glaub mir. Dann ist alles eskaliert… naja, sie ist zu Paul und Barrett und hat sich über das feindseliges Arbeitsumfeld beschwert. Sie haben versucht, sie mit einer Vertraulichkeitsvereinbarung zu besänftigen, aber sie wollte nicht klein beigeben. Sie war nicht zu überzeugen, außer damit, dass ich gehe.“

Er verstummte wieder, und Riley versuchte sich das, was er ungesagt ließ, dazu zu denken. Es war nicht schwer, sich ein mögliches Szenario vorzustellen. Ryan war von einer schönen und lebhaften Juniorpartnerin bezaubert worden, womöglich einer ambitionierten jungen Frau, die ein Auge auf eine mögliche Partnerschaft in der Kanzlei geworfen hatte.

Wie weit ist Ryan gegangen? fragte Riley sich.

Sie bezweifelte, dass er ihr im Tausch gegen sexuelle Gefälligkeiten eine Beförderung versprochen hatte…

So ein Widerling ist er nun auch wieder nicht, dachte sie.

Und vielleicht sagte Ryan ja sogar die Wahrheit, wenn er meinte, dass die Anziehung auf Gegenseitigkeit beruht hatte, zumindest anfangs. Vielleicht hatten sie sogar eine Affäre mit beidseitigem Einverständnis gehabt. Doch an irgendeinem Punkt war etwas schief gegangen und der Frau, Kyanne, hatte nicht gefallen, was dann passiert war.

Wahrscheinlich aus gutem Grund, dachte Riley sich.

Was hätte Kyanne auch anderes tun können, als zu erkennen, dass ihre Zukunft in der Kanzlei von ihrer Beziehung zu Ryan abhing? Er war schließlich ein vollwertiger Partner. Er hatte die Macht in ihrer Beziehung.

Und doch stimmte etwas nicht, das konnte Riley spüren…

Sie sagte: „Also drängen Paul und Barrett dich zum Gehen? Das ist ihre Lösung?“

Ryan nickte, und Riley schüttelte ungläubig den Kopf.

Paul und Barrett waren selbst keine Heiligen. Im Laufe der Jahre hatte Riley mehrfach mitanhören müssen, zu welch abwertende Bemerkungen sich die drei Partnern hinabließen. Sie war sich sicher, dass deren eigenes Verhalten dem Ryans um nichts nachstand – möglicherweise sogar um einiges schlimmer war.

Sie sagte: „Ryan, du hast gesagt, dass sie keine Vertraulichkeitsvereinbarung unterzeichnen wollte.“

Ryan nickte und nahm einen Schluck.

Sehr vorsichtig fuhr Riley fort: „Wie viele Vertraulichkeitsvereinbarungen wegen sexueller Belästigung sind denn über die Jahre auf deinem Konto verbucht worden?“

Ryan stöhnte erneut auf, und Riley wusste, dass sie auf die schmerzhafte Wahrheit gestoßen war.

Sie fügte hinzu: „Und Paul und Barrett – wie viele Vertraulichkeitsvereinbarungen gehen auf deren Konten?“

Ryan fuhr fort: „Riley, ich würde nur äußerst ungerne solche Details –“

„Nein, natürlich würdest du das nur ungern preisgeben“, unterbrach Riley ihn. „Ryan, du wirst hier als Sündenbock benutzt. Das weißt du, oder? Paul und Barrett versuchen das Image der Kanzlei reinzuwaschen, es so aussehen zu lassen, als hätten sie eine Null-Toleranz Grenze was Belästigung angeht. Indem sie dich loswerden, wollen sie das demonstrieren.“

Ryan zuckte mit den Schultern und sagte: „Ich weiß. Aber was soll ich machen?“

Riley wusste nicht, was sie ihm sagen sollte. Sie wollte ihm gegenüber kein Mitgefühl zeigen. Er hatte sich diese Grube über die Jahre hinweg selbst gegraben. Trotzdem ärgerte es sie, wie seine Partner ihn jetzt ans Messer lieferten.

Aber sie wusste, dass es nichts gab, was er jetzt noch dagegen unternehmen konnte. Außerdem bereitete ihr etwas anderes mehr Sorgen.

Sie zeigte auf die Koffer und fragte: „Was sollen denn die hier?“

Ryan blickte einen Augenblick zu den Koffern.

Dann sagte er mit stockender Stimme: „Riley, ich kann nicht nach Hause.“

Riley musste Luft holen.

„Was meinst Du damit?“, fragte sie. „Hast du dein Haus verloren?“

„Nein, noch nicht. Es ist nur…“

Ryans Stimme stockte, dann sagte er…

„Ich kann das nicht alleine durchstehen. Ich kann nicht alleine in diesem Haus wohnen. Ich erinnere mich andauernd an glückliche Zeiten mit dir und April. Ich denke ständig daran, wie ich alles ruiniert habe. Das Haus bricht mir das Herz, Riley.“

Er holte ein Taschentuch hervor und betupfte seine Augen. Riley war ratlos. Sie hatte Ryan sehr selten weinen gesehen. Beinahe hätte sie selbst zu weinen begonnen.

Doch sie wusste, dass sie gerade ein ernsthaftes Problem zu lösen hatte.

Sie sagte mit sanfter Stimme…

„Ryan, hier kannst du nicht bleiben.“

Ryan fiel in sich zusammen wie ein Luftballon, in den sich ein Nagel bohrte. Riley wünschte, dass ihre Worte ihn weniger verletzt hätten. Aber sie musste ehrlich mit ihm sein.

„Ich habe jetzt mein eigenes Leben“, sagte sie. „Ich habe zwei Mädchen, um die ich mich kümmern muss. Und es ist ein gutes Leben. Blaine und ich meinen es ernst miteinander – sehr ernst. Es ist sogar so, dass…“

Sie wollte ihm schon von Blaines Plänen erzählen, sein eigenes Haus für sie auszubauen.

Aber sie sah ein, dass das gerade zu viel gewesen wäre.

Stattdessen sagte sie: „Du kannst das alte Haus verkaufen.“

„Ich weiß“, sagte Ryan, immer noch leise weinend. „Das hatte ich geplant. Aber in der Zwischenzeit… ich kann einfach nicht dort wohnen.“

Riley wollte gerne etwas tun, um ihn zu trösten – seine Hand halten, ihn umarmen oder ihm irgendeine andere körperliche Geste des Trosts geben.

Es war verlockend und einige ihrer alten Gefühle für ihn kamen wieder in ihr hoch, aber…

Tu es nicht, sagte sie sich.

Bleib cool.

Denk an Blaine.

Denk an die Kinder.

Ryan schluchzte nun wie ein Schlosshund. Mit beinahe schon wahnsinniger Stimme sagte er…

„Riley, es tut mir leid. Ich will noch einmal von vorne anfangen. Ich will ein guter Ehemann und ein guter Vater sein. Ich könnte es bestimmt, wenn wir es nur… noch einmal versuchen würden.“

Sie hielt weiterhin Abstand zu ihm und sagte…

„Ryan, das können wir nicht. Dafür ist es viel zu spät.“

„Es ist nie zu spät“, rief Ryan. „Lass uns einfach wegfahren, nur wir beide, alles wird wieder gut.“

Riley spürte einen Schauder.

Er begreift nicht, was er da sagt, dachte sie.

Er hat gerade einen Nervenzusammenbruch.

Sie war sich nun ziemlich sicher, dass er schon früher am Tag getrunken haben musste.

Dann sagte er mit einem nervösen Lachen…

„Ich hab’s! Lass uns zur alten Hütte deines Vaters fahren! Ich war noch nie dort, kannst du dir das vorstellen? Nicht einmal in all den Jahren. Wir könnten dort einige Tage verbringen und –“

Riley unterbrach ihn scharf: „Ryan, nein.“

Er starrte sie an, als könne er seinen Ohren nicht trauen.

In besänftigendem Ton fuhr Riley fort: „Ich habe die Hütte verkauft, Ryan. Aber selbst wenn ich sie noch gehabt hätte…“

Sie verstummte für einen Moment und sagte dann…

„Ryan, du musst dich da jetzt selbst durchkämpfen. Ich wünschte, ich könnte dir helfen, aber ich kann es nicht.“

Ryans Schultern sackten nach unten, und sein Schluchzen wurde leiser. Er schien sich Rileys Worte zu Herzen zu nehmen.

Sie sagte: „Du bist ein starker, kluger, einfallsreicher Mann. Du kannst das alles noch zu deinen Gunsten wenden. Ich weiß, dass du das kannst. Aber ich kann da nicht mitspielen. Es wäre nicht gut für mich – und wenn du ehrlich mit dir selbst bist, dann weißt du, dass es auch für dich nicht gut wäre.“

Ryan nickte elendig.

„Du hast Recht“, sagte er, nun mit festerer Stimme. „Ich hab’ es mir selbst eingebrockt, und nun muss ich es auch selbst wieder geradebiegen. Es tut mir leid, dass ich dich damit belästigt habe. Ich gehe jetzt.“

Als er sich erhob, sagte Riley…

„Warte einen Moment. Du bist gerade in keinem Zustand um hinters Steuer zu steigen. Lass mich dich fahren. Du kannst zurückkommen und dein Auto abholen, wenn es dir wieder besser geht.“

Ryan nickte erneut.

Riley war erleichtert, dass sie sich jetzt nicht erst darüber streiten mussten, und dass sie nicht gezwungen war, ihm die Autoschlüssel mit Gewalt wegzunehmen.

Riley wagte es nun auch, ihn am Arm zu nehmen, um ihn hinaus und zu ihrem eigenen Auto zu führen. Er schien sie auch tatsächlich als Stütze zu brauchen.

Während der Fahrt schwiegen sie beide. Als sie vor dem großen schönen Haus vorfuhren, in dem sie einst alle zusammen gewohnt hatten, sagte er: „Riley, es gibt da etwas, dass ich dir noch sagen wollte. Ich… ich finde, dass du das richtig toll machst. Und ich wünsche dir wirklich alles Gute.“

Riley hatte plötzlich einen Kloß im Hals.

„Oh, Ryan –“, begann sie.

„Nein, hör mir bitte zu, das ist jetzt wichtig. Ich bewundere dich. Du hast so viele großartige Dinge getan. Du warst immer eine gute Mutter für April, und nun hast du Jilly adoptiert, und jetzt hast du eine neue Beziehung begonnen, und ich sehe, dass er ein wirklich toller Kerl ist. Und nebenbei hast du zu allem Überfluss auch noch deine Arbeit gemacht, die Bösen geschnappt und Leben gerettet. Ich weiß nicht, wie du es machst. Dein Leben ist einfach stimmig.“

Riley war zutiefst überwältigt – und gleichzeitig zutiefst verstört.

Wann war das letzte Mal gewesen, dass Ryan so etwas zu ihr gesagt hatte?

Sie wusste einfach nicht, was sie ihm antworten konnte.

Zu ihrer Erleichterung stieg Ryan aus, ohne ein weiteres Wort zu sagen.

Riley saß noch im Auto und starrte auf das Haus, in dem Ryan verschwand. Sie fühlte wirklich mit ihm. Sie konnte sich selbst nicht vorstellen, jetzt alleine in diesem Haus zu sein – nicht mit all den Erinnerungen, die es beherbergte, den guten wie den schlechten.

Und seine Worte hallten in ihr nach…

„Dein Leben ist einfach stimmig.“

Sie seufzte und murmelte vor sich hin…

„Das ist nicht wahr.“

Es war eine echte Herausforderung für sie, zwei Mädchen zu erziehen, während sie ihrer vereinnahmenden und allzu oft gefährlichen Arbeit nachging. Sie hatte zu viele Richtungen gleichzeitig eingeschlagen, war zu viele Verpflichtungen eingegangen, und sie hatte noch nicht gelernt, damit umzugehen.

Würde es immer so bleiben?

Und wie würde sich Blaine in dieses Leben einfügen lassen?

War eine erfolgreiche Ehe in ihrer Lage überhaupt möglich?

Der Gedanke, eines Tages in einer Situation zu stecken, die mit Ryans vergleichbar war, ließ sie erschaudern.

Dann ließ sie das Haus, in dem sie einmal gelebt hatte, hinter sich und machte sich auf den Weg nach Hause.




KAPITEL ACHT


Riley lief in ihrem Wohnzimmer auf und ab.

Sie sagte sich, dass sie sich einfach entspannen sollte, dass sie seit ihrem Urlaub ja wusste, wie das ging. Doch jedes Mal erinnerte sie sich an das, was ihr Vater in ihrem Albtraum zu ihr gesagt hatte…

„Du bist ein Jäger, genau wie ich.“

Im Moment fühlte sie sich sicherlich nicht wie ein Jäger.

Viel eher wie ein Tier im Käfig, dachte sie.

Es war der erste Schultag, und sie hatte die Mädchen gerade zur Schule gebracht. Jilly war höchsterfreut, endlich dieselbe High School wie ihre Schwester zu besuchen. Die neuen Schüler und ihre Eltern hatten die typische Begrüßungsrede im Hauptauditorium erhalten. Anschließend hatte es eine kurze Führung durch die Klassenzimmer gegeben. April konnte zusammen mit Riley und Jilly an der Führung teilnehmen.

Obwohl Riley nicht die Möglichkeit gehabt hatte, mit jedem Lehrer ausführlich zu sprechen, war es ihr gelungen, sich allen als Jillys Mutter und April als Jillys Schwester vorzustellen. Einige von Jillys neuen Lehrern waren auch schon einmal Aprils Lehrer gewesen und wussten nur Gutes über sie zu berichten.

Als Riley nach der Einführungsveranstaltung noch bleiben wollte, machten sich beide Mädchen über sie lustig.

„Und was willst du machen?“, hatte April gefragt. „Mit Jilly zusammen im Unterricht sitzen?“

Riley hatte geantwortet, dass sie vielleicht genau das tun sollte, nur um ein entsetztes Stöhnen von Jilly zu hören zu bekommen.

„M-o-o-o-m! Das wäre so uncool!“

April hatte gelacht und gesagt: „Mom, jetzt sein nicht so ein ‘Kopter!“

Als Riley gefragt hatte, was ein „Kopter“ sei, hatte April ihr erklärt, dass das Wort für „Helikopter-Eltern“ stand.

Eines dieser Worte, die ich kennen sollte, hatte sich Riley gedacht.

Jedenfalls hatte Riley Jillys Gefühle respektiert und war nach Hause gefahren – und nun war sie hier. Gabriela war mit einer ihrer unzähligen Cousinen zum Mittagessen verabredet und wollte danach den Einkauf machen. Also war Riley ganz alleine im Haus, nur mit einer Katze und einem Hund, die nicht im Geringsten an ihr interessiert waren.

Ich muss damit aufhören, dachte sie sich.

Riley ging in die Küche und holte sich einen Snack. Dann zwang sie sich, sich aufs Sofa zu setzen und den Fernseher anzumachen. Die Nachrichten deprimierten sie, deshalb schaltete sie auf eine seichte Serie um. Sie hatte keine Ahnung, worum es in der Handlung gerade genau ging, doch eignete sich die Seifenoper zumindest eine Weile lang ganz gut als Ablenkung.

Doch es dauerte nicht lang, und ihre Aufmerksamkeit begann sich auf etwas anderes zu konzentrieren, und sie bemerkte, dass sie erneut darüber nachdachte, was Ryan während seines unangenehmen Besuchs hier gesagt hatte…

„Ich kann das nicht alleine durchstehen. Ich kann nicht alleine in diesem Haus leben.“

In diesem Moment hatte Riley das Gefühl, zu wissen, wie er sich fühlen musste.

Waren ihr Ex-Mann und sie sich doch ähnlicher als sie es sich eingestehen wollte?

Sie versuchte, sich selbst vom Gegenteil zu überzeugen. Im Gegensatz zu Ryan kümmerte sie sich um ihre Familie. Später würden die Mädchen und Gabriela nach Hause kommen, und sie würden alle gemeinsam zu Abend essen. Vielleicht würden Blaine und Crystal ihnen dieses Wochenende auch wieder Gesellschaft leisten.

Dieser Gedankengang machte Riley bewusst, dass Blaine seit der Situation mit Ryan etwas auf Abstand gegangen war. Riley konnte auch verstehen, warum das so war. Riley hatte mit Blaine nicht über den Besuch von Ryan sprechen wollen – es erschien ihr zu vertraulich und persönlich – und es war nur natürlich, dass Blaine das unruhig machte.

Sie verspürte das plötzliche Bedürfnis, ihn sofort anzurufen, doch sie wusste, dass Blaine noch viele Stunden Arbeit vor sich hatte. Nach seiner Rückkehr war es notwendig gewesen, die Abläufe in seinem Restaurant wieder in ihre gewohnten Bahnen zu lenken.

Riley konnte nicht umhin, sich schrecklich alleine in ihrem eigenen Haus zu fühlen…

Genau wie Ryan.

Sie fühlte sich ein wenig schuldig vor ihrem Ex-Mann – obwohl sie nicht genau wusste, weshalb. Nichts von dem, was in seinem Leben schieflief, war ihre Schuld gewesen. Trotzdem verspürte sie den schwachen Wunsch, ihn anzurufen, um herauszufinden, wie es ihm ging. Vielleicht konnte sie ihm ein wenig beistehen. Doch das war natürlich eine außerordentlich dumme Idee. Das letzte was sie jetzt tun sollte war, ihm irgendwelche irreführenden Signale zu senden und ihn glauben zu lassen, dass sie womöglich doch noch eine Zukunft zusammen hatten.

Während die Figuren aus der Serie stritten, weinten, einander ohrfeigten und durch die verschiedenen Betten wanderten, kam Riley ein anderer Gedanke in den Sinn.

Manchmal erschien ihr das eigene Leben zu Hause, ihre Familie und ihre Beziehungen nicht viel realer als das, was sie gerade im Fernsehen sah. Die tatsächliche Anwesenheit der geliebten Menschen schaffte es, sie von dem tiefliegenden Gefühl der Isolation abzulenken. Doch schon wenige Stunden alleine zuhause genügten, um sie schmerzlich daran zu erinnern, wie sie sich im Inneren tatsächlich fühlte.

Es gab da eine Leere in ihr, die nur durch eine Sache gefüllt werden konnte…

Durch welche genau?

Durch Arbeit.

Doch welche Bedeutung hatte ihre Arbeit für sie selbst oder für irgendjemand anderen?

Sie erinnerte sich erneut an etwas, was ihr Vater zu ihr im Traum gesagt hatte…

„Es ist ein verdammt sinnloses Leben, das du da führst – Gerechtigkeit für Menschen einzufordern, die bereits tot sind, für genau die Menschen, die keine Gerechtigkeit mehr brauchen.“

Sie fragte sich…

Ist das wahr?

Ist das, was ich tue, wirklich sinnlos?

Sicherlich nicht, denn sie hielt oftmals Mörder auf, die sonst mit großer Sicherheit weitere Opfer gefordert hätten.

Sie rettete auf lange Sicht gesehen Leben – so viele Leben, das konnte sie sich gar nicht vorstellen.

Und doch, damit sie überhaupt einen Job hatte, musste irgendjemand morden, und irgendjemand musste sterben…

Es beginnt immer mit dem Tod.

Oft blieben die Fälle ihr noch lange nach ihrem Abschluss im Gedächtnis und stifteten selbst noch dann in ihr ein Unbehagen, wenn die Mörder bezwungen und zur Rechenschaft gezogen worden waren.

Sie machte den Fernseher wieder aus, da die Seifenoper sie zu nerven begann. Dann lehnte sie sich zurück, schloss die Augen und dachte an ihren letzten Fall, die Serienmörderin in Georgia.

Arme Morgan, dachte sie.

Morgan Farrell war mit einem reichen aber gewalttätigen Mann verheiratet gewesen. Als er im Schlaf brutal ermordet worden war, war Morgan sich sicher gewesen, diejenige gewesen zu sein, die ihn erstochen hatte, obwohl sie sich an die Tat gar nicht hatte erinnern können.

Sie war sich sicher, dass sie es verdrängt oder vergessen hatte, wegen ihres Alkohol- und Medikamentenproblems.

Und sie war stolz auf das gewesen, was sie glaubte, getan zu haben. Sie hatte Riley sogar angerufen, um ihr das zu sagen…

„Ich habe den Mistkerl umgebracht.“

Morgan war unschuldig, wie sich später herausstellte. Eine andere wahnsinnige Frau hatte Morgans Ehemann umgebracht – und weitere ebenso gewalttätige Ehemänner.

Die Frau, die selbst unter ihrem verstorbenen Ehemann gelitten hatte, war danach auf eine Rachemission gegangen, um andere Frauen von ihrer Pein zu befreien. Riley konnte sie gerade noch rechtzeitig davon abbringen, einen unschuldigen Mann umzubringen, dessen einziges Vergehen es gewesen war, seine verstörte, wahnsinnige Frau zu lieben.

Riley spielte in ihrer Erinnerung durch, was geschehen war nachdem sie die Frau zu Boden gerungen und ihr Handschellen anlegt hatte…

„Adrienne McKinney, Sie sind verhaftet.“

Doch nun fragte Riley sich…

Was, wenn alles anders ausgegangen wäre?

Was, wenn Riley nicht nur den unschuldigen Mann hätte retten können, sondern auch der Frau ihren Fehler erklären und sie dann einfach hätte wieder laufen lassen können?

Sie hätte weiter gemordet, dachte Riley.

Und die Männer, die sie ermordet hätte, hätten ihren Tod verdient gehabt.

Was für eine Gerechtigkeit hatte sie damals also wirklich geschaffen?

Riley verlor bei dem Gedanken den Mut, und sie musste wieder an die Worte ihres Vaters denken…

„Es ist ein wahnsinnig unnützes Leben, das du da führst.“

Auf der einen Seite versuchte sie verzweifelt, das Leben einer Mutter und Frau zu führen, zwei Töchter großzuziehen und einen Mann zu lieben, den sie hoffte, eines Tages zu heiraten. Manchmal schien dieses Leben tatsächlich zu gelingen, und sie wusste auch, dass sie niemals aufgeben würde, es weiter zu versuchen.

Doch sobald sie alleine war, schien dieses normale Leben irgendwie so unecht.

Auf der anderen Seite musste sie gegen unsagbare Hindernisse ankämpfen und Ungeheuer besiegen. Ihr Job war ihr unglaublich wichtig, obwohl er zu oft wie ein Tropfen auf dem heißen Stein war.

Riley fühlte sich jetzt absolut elendig. Obwohl es erst Vormittag war, hatte sie das dringende Bedürfnis, sich einen starken Drink zu machen. Sie konnte der Versuchung jedoch widerstehen, und dann klingelte ihr Handy. Als sie sah, wer der Anrufer war, seufzte sie erleichtert.

Das hier war echt.

Sie hatte Arbeit zu tun.




KAPITEL NEUN


Riley fuhr mit gemischten Gefühlen zum BAU. An Merediths Stimme am Telefon hatte sie erkennen können, dass er schlechte Laune hatte.

Er hatte ihr keine Einzelheiten genannt. Er hatte bloß gesagt, dass er ihr Team aufgrund der jüngsten Entwicklungen zu einer Sitzung einbestellte. Sie war erleichtert gewesen, das Haus verlassen zu können und sich nach Quantico aufzumachen. Nun fragte sie sich allerdings, worüber sich Meredith ärgerte.

Vor ungefähr eineinhalb Wochen hatte er sie angerufen und dazu animieren wollen, sich nach Rushville, Mississippi aufzumachen, um einen dortigen Mordfall genauer unter die Lupe zu nehmen. Riley hatte sich damals geweigert.

Doch damals war er nicht wütend auf sie gewesen. Er hatte sich sogar richtig bedauernd geäußert, da er sie während ihres Urlaubes gestört hatte.

„Es tut mir leid, dass ich sie gestört habe“, hatte er gesagt. „Genießen sie weiterhin ihren Urlaub.“

Irgendetwas musste seitdem vorgefallen sein.

Was auch immer es war, es bedeutete wahrscheinlich, dass jetzt richtig viel Arbeit auf sie wartete. Rileys Stimmung wurde immer besser, als sie vor dem großen weißen Gebäude, in dem die BAU – die Verhaltensanalyseeinheit – ansässig war, hielt. Es kam ihr beinahe so vor als würde sie nach Hause zurückkehren.

Als sie geparkt hatte, ging Riley um das Auto herum und holte ihre Reisetasche, die sie immer für alle Fälle gepackt bereithielt, aus dem Kofferraum. Sie wusste, dass es durchaus wahrscheinlich war, dass sie heute noch zu einem neuen Fall entsandt werden würde.

Als sie in den Konferenzraum kam, hatte die Sitzung gerade begonnen. Rileys zwei Partner, Bill Jeffreys und Jenn Roston saßen ihrem Vorgesetzten, Spezialagenten Brent Meredith, gegenüber.

Mit seiner beachtlichen Statur und seinen schwarzen, kantigen Gesichtszügen machte Merediths imposante Erscheinung wie immer etwas her.

Doch heute sah er noch furchterregender aus als sonst. Während Riley ihren Platz am Konferenztisch einnahm, blickte er sie finster an.

Dann fragte er spitz: „Wie war Ihr Urlaub, Agentin Paige?“

Sein scharfer Ton verletzte Riley. Statt seine Frage zu beantworten, erwiderte sie entschlossen Merediths Blick und sagte fest: „Ich bin bereit, zur Arbeit zurückzukehren.“

Meredith nickte in mürrischer Anerkennung.

Dann sagte er: „Da wir jetzt vollständig sind, lassen Sie uns beginnen.“

Meredith blickte zwischen den Kollegen hin und her und fuhr fort: „Ich musste immer wieder an den Mord in Rushville, Mississippi denken – der Fall, wegen dem die Polizistin von dort uns mehrmals angerufen hatte. Ich habe deshalb Agent Jeffreys gebeten, ein paar Nachforschungen anzustellen. Das hat er auch getan, und nun meint er, dass wir uns vielleicht doch mit dem Fall beschäftigen sollten. Würden Sie das bitte etwas genauer ausführen, Agent Jeffreys?“

„Natürlich“, antwortete Bill während er aufstand und zum Flachbildschirm auf der anderen Seite des Raumes schritt. Bill war seit Jahren Rileys Partner und guter Freund, und Riley war gerade besonders froh, ihn vor sich zu sehen. Sie waren ungefähr gleich alt. Er war ein starker, gutaussehender Mann. Ein paar erste graue Strähnen leuchteten in seinem dunklen Haar.

Bill drückte auf einen Pointer und einige Bilder erschienen auf dem Bildschirm. Eines war von einem schweigsam aussehenden Mann, der wohl in seinen Fünfzigern war. Das nächste Bild zeigte die Leiche desselben Mannes. Sie lag auf einem Dielenboden und eine einzige, brutal tiefe, rundliche Wunde prangte auf seiner Stirn.

Auf die Fotos zeigend begann Bill zu erklären…

„Gareth Ogden wurde vor elf Tagen in seinem eigenen Haus in Rushville ermordet. Der Mord fand ungefähr um zwanzig Uhr dreißig statt. Er wurde mit einem einzigen Hammerschlag gegen die Stirn ermordet.“

Meredith warf Riley und Jenn einen Blick zu und ergänzte: „Das hier sind die Bilder von dem Mord, wegen dem die Polizistin aus Rushville uns hier am BAU angerufen hatte. Sie hatte darauf bestanden, mit jemandem zu sprechen, und ich habe den Anruf deshalb persönlich entgegengenommen. Interessanteweise hat sie dabei erwähnt, dass dieser Mordfall Ähnlichkeiten zu einem nie aufgeklärten Fall von vor zehn Jahren aufweist. Damals war in Rushville eine ganze Familie ermordet worden.“

„Genau“, sagte Bill. „Ich habe mir das mal näher angeschaut, und das hier habe ich dazu gefunden.“

Bill klickte erneut auf den Pointer und ein neuer Fotosatz erschien auf dem Bildschirm. Ein Mann und eine Frau lagen in einem blutdurchtränkten Bett, ihre Schädel förmlich pulverisiert. Die anderen zwei Opfer, auf identische Art und Weise ermordet, befanden sich in ihren eigenen Betten – ein Junge im Teenager-Alter und ein Mädchen, das ungefähr zehn bis zwölf Jahre alt gewesen sein musste.

Bill führte weiter aus…

„Nachdem die Bonnett Familie zu Bett gegangen und eingeschlafen war, kam ein Eindringling in ihr Haus. Zuerst erschlug er die Tochter Lisa in ihrem Kinderzimmer. Danach schlich er sich in das Zimmer ihres Bruders Martin, in dem dieser fest schlief und wiederholte die Tat. Zuletzt fand er seinen Weg ins Schlafzimmer der Eltern. Er schlug Leona Bonnett im Schlaf den Schädel ein. Ihr Ehemann Cosmo wurde offenbar geweckt bevor der Mörder auch ihn nach einem kurzen Kampf zuletzt tötete.“

Jenn Roston schielte auf den Bildschirm und sagte: „Das ist alles absolut grausam, klar. Aber wenn es eine Verbindung zwischen diesem Mord und Ogdens Tod geben soll, dann bin ich mir nicht sicher, worin ich sie sehen soll – außer in der Ähnlichkeit der Tatwaffe.“

Riley nickte zustimmend. Jenn war eine junge Afro-Amerikanerin, die sich in ihrer kurzen Zeit hier am BAU bereits als herausragende Agentin bewiesen hatte. Riley und Jenn hatten bereits an einigen Fällen zusammen gearbeitet. Ihre Beziehung hatte zwar einen holprigen Start gehabt, doch seitdem war zwischen ihnen viel Vertrauen gewachsen.

Meredith sagte: „Erklären Sie genauer, Agentin Roston.“

Jenn zeigte auf die grauenhaften Fotos auf dem Bildschirm und sagte: „Die Bonnett Morde waren außerordentlich brutal. Es sieht so aus, als wäre mehrere Male auf den Schädel eingeschlagen worden, ein Schlag nach dem anderen. Die Morde wurden offensichtlich mit großer Wut ausgeführt und aus zutiefst persönlichen Gründen. Agent Jeffreys, könnten Sie uns die anderen Bilder noch einmal zeigen?“

Bill klickte den Pointer, und die Fotos von Ogden tauchten wieder auf.

Jenn zeigte auf das Foto der Leiche und sagte: „Ogdens Mord war im Vergleich schnell und sauber. Wie es aussieht, ist er an einem einzigen Hammerschlag gegen die Stirn gestorben. Es sieht ganz und gar nicht nach Wut oder Zorn aus. Der Mord an ihm war kaltblütig und… wie soll ich sagen? Fast chirurgisch.“

Riley war verblüfft. Was Jenn sagte, ergab absolut Sinn.

„Ja, und Morde mit Hämmern als Tatwaffe sind eigentlich ziemlich gewöhnlich“, sagte Riley. „Es könnte ein bloßer Zufall sein.“





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Ein Meisterwerk der Spannung! Die Autorin schafft es auf hervorragende Weise den Charakteren eine psychologische Seite zu geben, die so gut beschrieben ist, dass wir uns in ihre Köpfe versetzt fühlen, ihren Ängsten folgen und über ihren Erfolg jubeln. Die Handlung ist sehr intelligent und wird Sie das ganze Buch hindurch unterhalten. Voller Wendungen wird Sie dieses Buch bis zur letzten Seite wach halten. – Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (zu Verschwunden) RUHEND ist Band #14 in der Bestseller Riley Paige Krimi Serie, die mit dem #1 Bestseller VERSCHWUNDEN (Band #1) beginnt – einem kostenlosen Download mit über 1. 000 fünf Sterne Bewertungen! Nach einer 10-jährigen Pause schlägt ein tückischer Serienmörder erneut zu und hinterlässt kaum Spuren – – wenn FBI Spezialagentin Riley Paige ihn jetzt fangen will, muss sie erst die Rätsel der Vergangenheit lösen. Frauen warden tot aufgefunden und Riley Paige begreift in diesem düsteren psychologischen Thriller, dass sie in einem Wettlauf gegen die Zeit ist. Die Morde der Vergangenheit waren bereits zu verworren um damals gelöst werden zu können. Kann Riley sie nun, 10 Jahre später, auflösen? Und ihren Zusammenhang mit den gegenwärtigen Verbrechen verstehen?Während Riley eine persönliche Kriese erlebt, scheint das Katz-und-Maus Spiel mit einem genialen Psychopathen womöglich zu viel für sie zu werden. Besonders weil irgendetwas an dem Fall Riley einfach unerklärbar stört…Ein Actionreicher Thriller voller Spannung ist RUHEND Band # 14 einer fesselnden neuen Serie – – mit einer geliebten neuen Hauptfigur – – die sie bis in die späte Nacht dazu verleiten wird weiterzublättern. Band # 15 der Riley Paige Serie ist bald erhältlich.

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