Книга - Auserwählt

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Auserwählt
Blake Pierce


Ein Riley Paige Krimi #17
"Ein Meisterwerk der Spannung! Die Autorin schafft es auf hervorragende Weise den Charakteren eine psychologische Seite zu geben, die so gut beschrieben ist, dass wir uns in ihre Köpfe versetzt fühlen und ihren Ängsten folgen und über ihren Erfolg jubeln können. Die Handlung ist sehr intelligent und wird Sie das ganze Buch hindurch unterhalten. Voller Wendungen wird Sie dieses Buch bis zur letzten Seite wach halten."

––Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (zu Verschwunden)



AUSERWÄHLT ist Band #17 der Riley Paige Bestsellerkrimireihe, die mit dem #1 Bestseller VERSCHWUNDEN (Band #1) beginnt – verfügbar als kostenloser Download mit über 1000 fünf-Sterne Rezensionen!



Ein Serienmörder schlägt jedes Halloween zu – die Leichen seiner Opfer tauchen erst Jahre später auf – und wenige Tage vor dem anstehenden Halloween liegt es an FBI Spezialagentin Riley Paige den Mörder aufzuhalten, bevor er erneut zuschlagen kann.



Wie konnte dieser Mörder so lange unentdeckt bleiben? Wie viele Opfer hat es bisher bereits gegeben? Und wen wird er als nächstes ins Visier nehmen?



FBI Spezialagentin Riley Paige muss gegen ihre eigenen Dämonen und ihr dysfunktionales Familienleben ankämpfen, während sie gegen die Zeit arbeitet um die Psyche eines diabolischen Mörders zu verstehen, nur Tage bevor er erneut zuschlagen wird – eines Mörders der brillanter als selbst sie sein könnte.



Kann sie ihn rechtzeitig aufhalten?



Ein action-geladener psychologischer Krimi voller Spannung, ist AUSERWÄHLT Band #17 einer aufregenden Reihe mit einer beliebten Hauptfigur, die sie zwingen wird, bis in die Nacht umzublättern.





Blake Pierce

AUSERWÄHLT




A U S E R W Ä H L T




(ein riley paige Krimi – Band 17)




B L A K E   P I E R C E



Blake Pierce

Blake Pierce ist der USA Today Bestseller-Autor der RILEY PAGE Mystery-Serie, die sechzehn Bücher (und es werden noch mehr) umfasst. Blake Pierce ist auch der Autor der Mystery-Serie MACKENZIE WHITE, die dreizehn Bücher umfasst (Tendenz steigend); der Mystery-Serie AVERY BLACK, die sechs Bücher umfasst; der Mystery-Serie KERI LOCKE, die fünf Bücher umfasst; der Mystery-Serie DAS MAKING OF RILEY PAIGE, die fünf Bücher umfasst (Tendenz steigend); der Mystery-Serie KATE WISE, die sechs Bücher umfasst (Tendenz steigend); der psychologischen Krimireihe CHLOE FINE, die fünf Bücher umfasst (Tendenz steigend); der psychologischen Krimireihe JESSE HUNT, die fünf Bücher umfasst (Tendenz steigend); der psychologischen Krimireihe AU PAIR, die zwei Bücher umfasst (Tendenz steigend); der Krimireihe ZOE PRIME, die zwei Bücher umfasst (Tendenz steigend); und der neuen Krimireihe ADELE SHARP.



Als begeisterter Leser und lebenslanger Fan der Mystery- und Thriller-Genres liebt es Blake, von Ihnen zu hören. Besuchen Sie www.blakepierceauthor.com (http://www.blakepierceauthor.com/), um mehr zu erfahren und in Kontakt zu bleiben.



Copyright © 2020 Blake Pierce Alle Rechte vorbehalten. Außer durch eine Genehmigung nach dem U.S. Copyright Act von 1976, darf kein Teil dieses Buches ohne ausdrückliche Genehmigung der Autorin vervielfältigt, vertrieben oder in irgendeiner Form übermittelt, in Datenbanken oder Abfragesystemen gespeichert werden. Dieses E–Book ist nur für ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Es darf nicht weiterverkauft oder an Dritte weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit anderen teilen möchten, erwerben Sie bitte für jeden Empfänger eine zusätzliche Kopie. Wenn Sie dieses Buch lesen, aber nicht gekauft haben, oder es nicht für Sie gekauft wurde, geben Sie es bitte zurück und erwerben Sie eine eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit der Autorin respektieren. Dieses Buch ist eine fiktive Geschichte. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind von der Autorin frei erfunden oder werden fiktiv verwendet. Ähnlichkeiten mit echten Personen, lebendig oder verstorben, sind zufällig. Copyright Umschlagsbild alliance images genutzt unter der Lizenz von Shutterstock.com



BÜCHER VON BLAKE PIERCE

ADELE SHARP MYSTERY-SERIE

NICHTS ALS STERBEN (Buch #1)

NICHTS ALS RENNEN (Buch #2)

NICHTS ALS VERSTECKEN (Buch #3)



DAS AU-PAIR

SO GUT WIE VORÜBER (Band #1)

SO GUT WIE VERLOREN (Band #2)

SO GUT WIE TOT (Band #3)



ZOE PRIME KRIMIREIHE

GESICHT DES TODES (Band #1)

GESICHT DES MORDES (Band #2)

GESICHT DER ANGST (Band #3)



JESSIE HUNT PSYCHOTHRILLER-SERIE

DIE PERFEKTE FRAU (Band #1)

DER PERFEKTE BLOCK (Band #2)

DAS PERFEKTE HAUS (Band #3)

DAS PERFEKTE LÄCHELN (Band #4)

DIE PERFEKTE LÜGE (Band #5)

DER PERFEKTE LOOK (Band #6)



CHLOE FINE PSYCHOTHRILLER-SERIE

NEBENAN (Band #1)

DIE LÜGE EINES NACHBARN (Band #2)

SACKGASSE (Band #3)

STUMMER NACHBAR (Band #4)

HEIMKEHR (Band #5)

GETÖNTE FENSTER (Band #6)



KATE WISE MYSTERY-SERIE

WENN SIE WÜSSTE (Band #1)

WENN SIE SÄHE (Band #2)

WENN SIE RENNEN WÜRDE (Band #3)

WENN SIE SICH VERSTECKEN WÜRDE (Band #4)

WENN SIE FLIEHEN WÜRDE (Band #5)

WENN SIE FÜRCHTETE (Band #6)

WENN SIE HÖRTE (Band #7)



DAS MAKING OF RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

BEOBACHTET (Band #1)

WARTET (Band #2)

LOCKT (Band #3)

NIMMT (Band #4)

LAUERT (Band #5)

TÖTET (Band #6)



RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

VERSCHWUNDEN (Band #1)

GEFESSELT (Band #2)

ERSEHNT (Band #3)

GEKÖDERT (Band #4)

GEJAGT (Band #5)

VERZEHRT (Band #6)

VERLASSEN (Band #7)

ERKALTET (Band #8)

VERFOLGT (Band #9)

VERLOREN (Band #10)

BEGRABEN (Band #11)

ÜBERFAHREN (Band #12)

GEFANGEN (Band #13)

RUHEND (Band #14)

GEMIEDEN (Band #15)

VERMISST (Band #16)

AUSERWÄHLT (Band #17)



EINE RILEY PAIGE KURZGESCHICHTE

EINST GELÖST



MACKENZIE WHITE MYSTERY-SERIE

BEVOR ER TÖTET (Band #1)

BEVOR ER SIEHT (Band #2)

BEVOR ER BEGEHRT (Band #3)

BEVOR ER NIMMT (Band #4)

BEVOR ER BRAUCHT (Band #5)

EHE ER FÜHLT (Band #6)

EHE ER SÜNDIGT (Band #7)

BEVOR ER JAGT (Band #8)

VORHER PLÜNDERT ER (Band #9)

VORHER SEHNT ER SICH (Band #10)

VORHER VERFÄLLT ER (Band #11)

VORHER NEIDET ER (Band #12)

VORHER STELLT ER IHNEN NACH (Band #13)



AVERY BLACK MYSTERY-SERIE

DAS MOTIV (Band #1)

LAUF (Band #2)

VERBORGEN (Band #3)

GRÜNDE DER ANGST (Band #4)

RETTE MICH (Band #5)

ANGST (Band #6)



KERI LOCKE MYSTERY-SERIE

EINE SPUR VON TOD (Band #1)

EINE SPUR VON MORD (Band #2)

EINE SPUR VON SCHWÄCHE (Band #3)

EINE SPUR VON VERBRECHEN (Band #4)

EINE SPUR VON HOFFNUNG (Band #5)




PROLOG


Sheriff Emory Wightman hielt die Taschenlampe während zwei seiner Polizisten weiter die weiche Erde aushoben. Die lange, enge Grube wurde langsam ziemlich tief.

Officer Tyrone Baldry hielt inne und kletterte aus der Aushebung. Er stützte sich auf seiner Schaufel ab und wischte sich mit seinem dreckigen Ärmel über die Stirn.

„Hey, Sheriff“, sagte Baldry, „könnten Sie einen von uns mal kurz ablösen?“

„Wir könnten eine kleine Pause gebrauchen“, meldete sich auch Officer Newt Holland, während er weiterhin an der Oberfläche auf dem Grund der Grube kratzte.

Wightman erwiderte spöttisch. „Irgendjemand muss die Taschenlampe halten.“

Die beiden anderen grunzten sarkastisch.

Doch es stimmte, denn auf der kleinen Waldlichtung war es dunkel geworden, während sie gegraben hatten. Wightman überlegte sich, ob sie nicht abbrechen sollten, bis sie besseres Licht bekommen könnten. Aber wenn es irgendetwas in dieser Grabähnlichen Aushebung gab, wollte er es sofort wissen.

Das letzte Mal hatte es hier überhaupt nichts gegeben.

Er hatte das Gefühl von Déjà-Vu, als er in die sie umgebende Dunkelheit blickte. Es war letztes Jahr an einer kühlen Herbstnacht genau wie dieser gewesen. Sie waren einem düsteren Hinweis gefolgt, als sie hier rausgefahren waren auf der Suche nach einer vermissten Person – einer jungen Frau namens Allison Hillis, die an Halloween, das einige Nächte zurückgelegen hatte, verschwunden war. Ein anonymer Hinweis hatte sie angewiesen hier zu graben und die damals frisch umgeschichtete Erde hatte tatsächlich den Eindruck eines Grabes gemacht. Doch als sie die ganze weiche Erde ausgehoben hatten, hatten sie nichts entdeckt.

Nun, beinahe ein Jahr später, wurde die junge Frau immer noch vermisst und eine Leiche war nie gefunden worden. Eine weitere anonyme Botschaft hatte sie hierher geführt. Und erneut machte lockere Erde den Eindruck, dass irgendetwas, oder irgendjemand, hier begraben sein könnte.

Und erneut begann das alles den Eindruck eines gemeinen Streichs zu erwecken, der eine zwecklose Zeitverschwendung für die Polizei darstellte.

Diesen Witzbold würde ich gerne zwischen die Finger kriegen.

Vielleicht würde ich ihn sogar anzeigen.

Baldry starrte hinunter in die Grube und fragte: „Wie viel tiefer sollen wir noch graben?“

Das ist eine gute Frage, dachte Wightman sich.

Wie tief müssten sie graben, bevor sie sich sicher sein konnten, dass diese späte Unternehmung ein sinnloser Akt der Zeitverschwendung war? Dass auch sie auf einem bloßen Streich basierte?

„Grabt einfach weiter“, antwortete Wightman. „Ich nehme an, dass es langsam eng wird dort unten. Ihr könnt euch einfach abwechseln.“

Holland fing erneut zu schaufeln an, während Baldry bloß am Rande des Lochs dastand. In die sie umgebende Dunkelheit blickend sagte Baldry mit einem Grinsen: „Sheriff, ich hoffe Du hältst nach dem Ziegenmann Ausschau.“

Wightman knurrte leise.

Es war kein besonders lustiger Witz, wenn man bedachte, dass diese anonymen Botschaften, heute genau wie vor einem Jahr, die alte Legende erwähnten. Der grausame Ziegenmann war natürlich bloß ein regionales Märchen, doch als Wightman noch klein war, hatte er sich so sehr davor gegruselt, dass es ihn nachts wachgehalten hatte.

Er war bereits kurz davor die Sache abzubrechen, als er eine zitternde Stimme aus der Aushebung hörte.

„Sheriff“, sagte Holland. „Schein hier mal drauf.“

Wightman und Baldry bückten sich über den Rand des Lochs.

Holland schob mit seiner Hand lose Erde zur Seite und deckte etwas auf.

Baldrys Stimme klang nun ängstlich.

„Oh, Gott. Ich hab‘ ein echt schlechtes Gefühl.“

Wightman streckte die Hand aus, um das Licht direkt auf die Stelle zu scheinen, an der Holland grub.

„Es sieht nach schwarzem Stoff aus“, sagte Holland.

Als Holland noch etwas mehr Erde weggeräumt hatte, sahen sie auf dem schwarzen Hintergrund weiße Streifen, die wie Rippen aussahen. Der Stoff war Teil eines Halloween Kostüms.

Die vermisste Frau hatte genau so ein Kostüm getragen, als sie letztes Jahr zu Halloween verschwunden war – ein schwarzes Skelettkostüm mit aufgemalten weißen Knochen.

„Oh, nein“, sagte Holland. „Oh, Gott, nein.“

Mit den Händen fegte er immer mehr Erde zur Seite. Er zögerte, als er eine Schädelmaske offenlegte.

„Heb sie an“, sagte Wightman, wobei er nur zu gut wusste, was sie dahinter erwartete.

Holland hob die Maske hoch und schrie auf, als er rückwärts stolperte.

Es war ein weiterer Schädel – diesmal ein echter. Verwesendes Fleisch hing an den Knochen und ein paar zerzauste Haarbüschel waren zu sehen.

Die Wahrheit brach über Sheriff Wightman herein, wie eine Flutwelle.

Allison Hillis war nicht länger eine vermisste Person.

Sie war eine tote Person.

Baldry machte einige Schritte rückwärts von der Grube und wimmerte vor Horror.

Wightman starrte mit offenem Mund auf den Schädel.

„Was machen wir jetzt, Sheriff?“, fragte Holland leise.

Einen Moment lang wusste Wightman nicht, was er sagen sollte.

Was bedeutet das? fragte er sich.

Wieso hatte der anonyme Bote sie letztes Jahr grundlos hierher geschickt, nur um sie diesmal erneut hierher zu bringen, damit sie diesmal tatsächlich eine Leiche vorfanden?

Und warum war Allison Hillis überhaupt ermordet worden?

Wightman erinnerte sich an die kryptische Botschaft, die aus ausgeschnittenen Buchstaben zusammengesetzt war…



DER ZIEGENMANN IST IMMER NOCH HUNGRIG



Was auch immer es sonst noch bedeuten könnte, Wightman war sich einer Sache sicher.

Das hier ist offensichtlich ein Mord und es wird weitere geben.

Holland wiederholte seine Frage: „Was machen wir jetzt?“

Wightman atmete langsam ein und aus.

„Wir rufen das FBI an“, sagte er.




KAPITEL EINS


Ihre Töchter zum Frühstück zu versammeln schien Riley an diesem Morgen eine Sache der Unmöglichkeit zu sein. Nachdem sie darüber gestritten hatten, wer zu lange im Bad gebraucht hatte, machten April und Jilly weiter, indem sie zwischen ihren Zimmern hin und her wanderten, um über die eine oder andere Nichtigkeit zu quatschen. Als sie endlich runterkamen, begannen sie sogar im Wohnzimmer Spiele zu spielen, bis Riley sie dort herauszerrte.

Habe ich mehr als zwei Mädchen? fragte sie sich beinahe.

„Kommt jetzt, lasst uns essen“, sagte Riley immer wieder. „Ihr werdet den Schulbus verpassen. Und ich fahre euch heute Morgen nicht hin.“

Endlich gelang es ihr beide Mädchen in die Küche zu bekommen, wo ihre guatemalische Haushälterin Gabriela wie immer ein leckeres Frühstück zubereitet hatte. Sobald sie am Tisch saßen, stellte Jilly eine Frage.

„Mom, kann ich vierzig Dollar haben?“

„Wofür brauchst du die denn, Schatz?“, fragte Riley.

„Ich muss mir ein Zombiekostüm leihen“, sagte Jilly.

Einen Augenblick lang fragte Riley sich, Zombiekostüm?

Dann erinnerte sie sich – Halloween war bloß einige Tage hin.

„Du musst dir kein Zombiekostüm leihen“, sagte Riley.

Die sechzehnjährige April pikste ihre jüngere Schwester und sagte triumphierend: „Ich hab dir gesagt, sie lässt dich keins leihen.“

Ein jämmerlicher Ton mischte sich in Jillys Stimme, als sie sagte: „Aber ich brauche ein Kostüm um Trick-or-Treaten zu gehen!“

„Du bist zu alt dafür“, sagte Riley.

„Ich bin vierzehn!“, sagte Jilly.

„Genau mein Punkt“, sagte Riley, während sie einen Bissen nahm.

„Das ist nicht fair“, sagte Jilly. „Ich war noch nie im Leben Trick-or-Treaten. Nächstes Jahr bin ich definitiv zu alt. Das ist meine letzte Chance.“

Riley spürte auf einmal ein überraschendes Gefühl des Mitleids: „Du warst noch nie Trick-or-Treaten?“

Jilly zuckte mit den Schultern und sagte traurig: „Wann hätte ich sowas denn machen sollen?“

April fügte hinzu: „Du weißt, dass sie die Wahrheit sagt, Mom.“

Tatsächlich bezweifelte Riley das nicht. Es war ihr bloß nie in den Sinn gekommen.

Jilly war noch nicht allzu lang ein Teil ihrer Familie. Letzten Oktober hatte Jilly immer noch in einem Sozialwohnheim in Phoenix gewohnt, und davor hatte sie ihre Kindheit bei einem gewalttätigen Vater verbracht. Riley hatte ihre Adoption im Juli abgeschlossen und hatte sie in ein normaleres Leben gebracht, aber sie wusste, dass Jilly viele ganz normale Dinge nie mitgemacht oder erlebt hatte – anscheinend gehörte ein Halloween-Umzug mit Trick-or-Treaten auch dazu.

Sie fragte Jilly: „Wer geht denn mit dir mit?“

Jilly zuckte mit den Schultern und sagte: „Ich weiß nicht. Kann ich nicht alleine gehen?“

Beim bloßen Gedanken daran schauderte es Riley ein bisschen.

„Auf gar keinen Fall“, sagte sie. „Es kann gefährlich für Kinder sein alleine Trick-or-Treaten zu gehen. Du musst mit jemand älterem gehen. Vielleicht geht April mit dir mit.“

Aprils Augen weiteten sich alarmiert.

„Ich geh‘ nirgendwo mit Jilly hin!“, sagte sie. „Ich geh‘ zu einer Party!“

„Zu welcher Party?“, fragte Riley.

„Bei Scarlet Gray“, sagte April. „Ich bin mir sicher, dass ich dir davon erzählt habe.“

„Und ich bin mir sicher, dass du das nicht hast“, sagte Riley. „Jedenfalls gehst du zu keiner Party. Du hast immer noch Hausarrest.“

April rollte mit den Augen. „Gott, werde ich bis zum Ende meines Lebens Hausarrest haben?“

„Nur bis Thanksgiving“, sagte Riley. „Das haben wir so abgemacht.“

„Oh, das ist einfach nur toll“, sagte April und stocherte mit der Gabel in ihrem Essen rum. „Ich habe Hausarrest und ich muss mit meiner kleinen Schwester Trick-or-Treaten gehen. Das macht nicht einmal Sinn.“

„Es muss auch keinen Sinn machen“, sagte Riley streng. „Ich mache hier die Regeln.“

Aus dem Augenwinkel sah Riley, wie Gabriela in weiser Befürwortung nickte. Die kräftige, pragmatische Haushälterin hatte ihr einst beigebracht „Ich mache die Regeln“ zu sagen, als Riley zu nachsichtig mit den Kindern geworden war. Gabriela schien oft ebenso sehr eine Erziehende für April und Jilly zu sein, wie Riley es nur jemals sein könnte und Riley war zutiefst dankbar dafür, sie da zu haben.

„In Ordnung“, sagte Riley zu Jilly, „du kannst das Geld für dein Zombiekostüm haben. Aber wir müssen immer noch die Einzelheiten besprechen, bevor ihr irgendwo hingeht.“

Jilly schien nun überglücklich zu sein und April machte einen absolut miserablen Eindruck. Doch zumindest war die Sache geklärt. Während sie ihr Frühstück schweigend beendeten, dachte Riley sich, dass Thanksgiving schon ziemlich bald sein würde und dass ihre sture ältere Tochter dann keinen Hausarrest mehr haben würde.

Was April getan hatte, war todernst. Als Riley April eine Pistole gekauft hatte, um den Sommer über damit Schießen zu üben, war sie sich sicher gewesen, dass ihre ältere Tochter verantwortungsvoll mit der Waffe umgehen würde.

Doch es hatte sich herausgestellt, dass Rileys Sicherheit in dieser Sache fehl am Platz gewesen war. Nicht nur hatte April vergessen, sicherzustellen, dass die Waffe nicht geladen war, als sie diese vom Schießplatz wieder nach Hause gebracht hatte, sie hatte die Waffe fallen gelassen, als sie versucht hatte diese in Rileys Schlafzimmer wieder an ihren Platz zu legen. Riley konnte immer noch die versehentlichen Pistolenschüsse durchs Haus hallen hören. Und sie hatte erst vor kurzem die beiden Löcher repariert, die die Kugel in zwei der Hauswände gemacht hatte.

Wir hatten Glück, dass niemand verletzt wurde – oder umgebracht, dachte Riley. Dieser Refrain der Dankbarkeit ging ihr seit dem Tag ständig durch den Kopf.

Sie fragte sich, ob sie April länger hätte Hausarrest anordnen sollen – bis zu Weihnachten und Neujahr vielleicht. Doch nun war es zu spät ihre Entscheidung zu ändern. Sie musste konsequent bleiben. Auch das hatte Gabriela ihr beigebracht.

Riley schaute aus dem Fenster, als die Mädchen endlich das Haus verlassen hatten und zu ihrer Bushaltestelle gegangen waren. Sie dachte sich, wie sehr sie Halloween hasste. Sie war sich nicht ganz sicher, wieso.

Vielleicht gefiel ihr die Idee nicht, dass Kinder durch die Gegend liefen und so taten, als seien sie Monster. Nach Jahren der Arbeit in der Verhaltensanalyseeinheit, wusste Riley, dass die Welt auch so bereits mit zu vielen Monstern gefüllt war. Es kam ihr irgendwie pervers vor sich spaßeshalber auch noch eingebildete Monster dazu zu erfinden.

Natürlich verkleideten sich Kinder auch als positivere Figuren zu Halloween – als Superhelden, zum Beispiel. Doch das gefiel Riley auch nicht. So wie sie es sah, brauchte die Welt echte Helden, keine Schwindler in Umhang und Leggins. Überhaupt, es brauchte mehr Menschen, die bei den kleinen Dingen des Lebens heldenhaft sein konnten.

Zum Beispiel die Kinder in die Schule fertigmachen, dachte Riley lächelnd, als April und Jilly um die Ecke bogen und außer Sicht verschwanden.

In Wahrheit kam es Riley überhaupt nicht so heldenhaft vor, Verbrechen zu bekämpfen. Die alltäglichen Aufgaben des Mutterseins erschienen ihr oft sehr viel anspruchsvoller, als die Welt von tatsächlichen menschlichen Monstern zu befreien. Diese Verbrecher konnten oft gefangen werden, ihren Taten ein Ende bereitet werden. Die Arbeit einer Mutter war fortwährend und benötigte unermüdlichen Einsatz.

Nicht, dass ich eine besonders heldenhafte Erziehungsperson bin.

Doch zumindest hatte sie es an diesem Morgen geschafft, ihre Kinder durchs Frühstück und aus dem Haus und auf den Weg in die Schule zu bekommen. Da sie keinen unmittelbaren Fall auf der Arbeit hatte, hatte sie sich den Tag freigenommen.

Und sie hatte ganz besondere Pläne.

Sie lächelte, als sie daran dachte…

Ein Rendezvous.

Es erschien ihr komisch auf diese Art und Weise darüber zu denken, insbesondere, wenn sie daran dachte mit wem sie sich zum Mittagessen traf. Doch eine wichtige Beziehung in ihrem Leben hatte sich vor Kurzem unerwartet verändert. Und nun…

Gehen wir miteinander aus, nehme ich an.

Sie war froh, dass sie den Rest des Morgens hatte, um sich fertigzumachen.

Als sie in ihr Schlafzimmer ging, nahm sie ihr Handy vom Beistelltisch und sah, dass sie eine Sprachnachricht bekommen hatte.

Als sie die Nachricht abspielte, hörte sie eine bekannte grobe und heisere Stimme.

„Hey Agentin Paige. Van Roff hier. Rufen Sie mich zurück.“

Sie spürte ein scharfes Kribbeln der Erwartung und Sorge. Die Stimme des Anrufers hörte sich nicht so an, als hätte er gute Nachrichten.

Die Frage war, ob Riley gerade das hören wollte, was er zu sagen hatte.

Sie setzte sich aufs Bett und schaute auf ihr Handy, während sie versuchte zu entscheiden, ob sie in zurückrufen sollte oder nicht.

Van Roff war ein technischer Analyst in der FBI Außenstelle von Seattle. Riley hatte mit dem brillanten, übergewichtigen Computernerd in der Vergangenheit zusammengearbeitet, manchmal auch an nicht ganz rechtlich sauberen Aufgaben. Sie wusste, dass Van für sie bereit war die Regeln ab und an zu biegen und sogar zu brechen, besonders wenn das Problem, um das es sich handelte, ihn interessierte.

Jetzt war auch eins dieser Male.

Riley seufzte, als sie sich daran erinnerte, wie ihre damalige Partnerin Jenn Roston während des letzten Falls, an dem sie gearbeitet hatten, verschwunden war und nur eine rätselhafte Notiz hinterließ, die überhaupt nichts erklärte:



Riley,

es tut mir leid.

Jenn.



Es war damals ein schrecklicher Schock gewesen und hatte Riley Probleme mit ihrem Chef, Brent Meredith, bereitet, der mit gutem Recht vermutete, dass Riley mehr über Jenns Verschwinden wusste, als sie bereit war zuzugeben.

Jenn hatte Riley anvertraut, dass sie von einer sinisteren Pflegemutter großgezogen worden war, die sich selbst „Tante Cora“ nannte und die die Kinder in ihrer Obhut darauf trainierte, Meisterkriminelle in ihrer eigenen kriminellen Organisation zu werden.

Jenn hatte es geschafft Tante Coras Klauen für lange genug zu entkommen, um eine brillante und vielversprechende junge Agentin der FBI Verhaltensanalyseeinheit zu werden. Riley war die einzige Person gewesen, der Jenn jemals von ihrer düsteren Vergangenheit erzählt hatte. Riley wusste auch, dass Jenn immer noch ab und zu von Tante Cora hörte und dass die diabolische Frau versuchte, Jenn wieder ihrem Einfluss zu unterwerfen.

Nachdem der Fall gelöst war, hatte Riley ein Päckchen erhalten, dass Jenns Dienstmarke und Waffe, sowie eine weitere rätselhafte Notiz enthielt:



Ich habe es versucht.



Da hatte Riley begriffen, dass Jenn zurück in Tante Coras dunkle Welt gekehrt war. Riley hatte Jenns Marke und Waffe pflichtbewusst an Brent Meredith weitergegeben, der bereits einen Kündigungsbrief von ihr erhalten hatte.

Soweit Meredith wusste, war also Jenns Beziehung zur Verhaltensanalyse vorbei. Er hatte kein Interesse daran herauszufinden, wo sie hin war und wieso. Es war ihm gleich, ob er jemals wieder ihren Namen hören würde.

Aber Riley konnte nicht anders, als zu hoffen, dass sie Jenn vielleicht irgendwie erreichen könnte – ihr vielleicht sogar helfen könnte, sich endgültig von Tante Cora zu befreien.

Riley hatte sich um Hilfe an Van Roff gewandt, weil sie sicher war, dass dieses Rätsel interessant genug war, dass er bereit wäre für dessen Lösung seine beträchtlichen Fähigkeiten einzusetzen.

Und nun meldete er sich bei ihr.

Ich sollte herausfinden, was er zu sagen hat, dachte sie.

Sie wählte Van Roffs Nummer und er hob direkt den Hörer ab.

„Ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten für Sie, Agentin Paige“, sagte Van.

„Konntest du irgendetwas herausfinden?“, fragte Riley.

„Überhaupt nichts“, sagte Van. „Sie haben erwähnt, dass ich vielleicht irgendetwas in der Personaldatenbank finden könnte – irgendetwas über das Kinderheim, in dem sie aufgewachsen ist.“

Riley nickte und sagte: „Jenn hat mir erzählt, dass darüber etwas in ihren Personalunterlagen stand. Das Kinderheim ist vor langer Zeit geschlossen worden, aber ich dachte, dass vielleicht irgendeine Information darüber dir einen Hinweis darauf verschaffen könnte – “

Van unterbrach sie: „Agentin Paige. Es gibt keine Personalunterlagen. Irgendjemand hat sich in die FBI Files gehackt und Jenn Rostons Personalunterlagen gelöscht. Es ist so, als hätte sie nie für das FBI gearbeitet.“

Riley wurde schwindelig vor Schock.

Van fuhr fort: „Irgendjemand will, dass niemand herausbekommen kann, was mit ihr passiert ist. Und wer auch immer dieser ‚irgendjemand‘ ist, er hat formidable Hacker-Fertigkeiten. FBI Datensätze zu vernichten ist eine ganz schöne Leistung.“

„Was ist mit der Adresse, die ich dir gegeben hatte?“

Riley meinte die Absenderadresse auf dem Päckchen mit der Waffe und der Dienstmarke, das sie bekommen hatte – eine Adresse in Dallas, Texas.

„Die ist erfunden“, sagte Van. „So eine Adresse gibt es nicht. Und ich habe alles versucht, um herauszufinden, ob sie womöglich noch in Dallas ist. Ich kann sie dort nicht finden, oder sonst wo. Es ist so, als sei sie von der Erdoberfläche verschwunden.“

Riley fühlte Resignation.

„Ok“, sagte sie. „Danke, Van.“

„Nichts zu danken.“

Dann fiel Riley etwas anderes ein.

„Van, ich habe dir einige Dinge über Jenn erzählt, die niemand wissen darf. Ich hoffe du wirst –“

Van unterbrach sie mit unpassend fröhlicher Stimme.

„Naja, es war so schön, dass Sie angerufen haben, Agentin Paige. Ich weiß es sehr zu schätzen. Ich freue mich, dass wir in Kontakt bleiben und schauen, wie es einander geht.“

Riley musste etwas lächeln. Sie wusste, dass es Van Roffs Art und Weise war ihr zu sagen, dass dieses ganze Gespräch in seinen Augen nie stattgefunden hatte. Sie konnte sich auf Van immer verlassen, was Geheimnisse betraf.

„Auf Wiederhören, Van“, sagte sie. „Und danke nochmal.“

Sie legte auf und sackte elendig auf dem Bettrand zusammen. Sie dachte an etwas, was Van gerade eben gesagt hatte.

„Irgendjemand will, dass niemand herausbekommen kann, was mit ihr passiert ist.“

Riley hatte den Verdacht, dass dieser „irgendjemand“ Jenn selbst war. Jenn wollte nicht gefunden werden. Und wenn Van Roff sie nicht finden konnte, konnte es unmöglich irgendjemand anderes.

Sie ist weg, dachte Riley. Jenn ist wirklich weg.

Riley kämpfte einen Moment lang gegen ihre Gefühle von Trauer, Wut und Verrat an.

Ich kann nichts dagegen machen, sagte sie sich. Jenn hat ihre eigene Wahl getroffen. Ich habe hier keinen Einfluss.

Gleichzeitig hatte Riley etwas, worauf sie sich freuen konnte. Sie erhob sich vom Bettrand und ging zu ihrem Kleiderschrank, um etwas Schönes zum Anziehen für ihre Verabredung auszusuchen. Während sie in ihrem Schrank stöberte, musste sie darüber lächeln, wie ironisch es war, dass sie heute so gut wie möglich aussehen wollte.

Wie komisch, dachte sie.

Hier war sie nun und versuchte einen Kerl zu beeindrucken, der sie besser kannte, als irgendjemand sie je gekannt hatte.




KAPITEL ZWEI


Sie hatten ihre Sandwiches bestellt und nun saß Riley schweigend da und schaute über den Tisch hinweg auf ihren Partner.

Bill erwiderte ihren Blick.

Sie lächelte und er lächelte zurück.

Keiner von ihnen sagte irgendetwas, aber es schien keinen Unterschied zu machen.

Zumindest genieren wir uns nicht, dachte sie.

Freilich, sie schienen sich beide gerade sehr komfortabel zu fühlen.

Sie saßen in einer gemütlichen, privaten Sitzkabine im Hannigan’s Public House. Nachdem sie jahrelang entweder im Gehen oder in versifften Cafés und Schnellimbissen gegessen hatten oder Pizza ins Motelzimmer bestellt hatten, war das eine ziemliche Abwechslung für sie beide – zumindest für sie beide zusammen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals zusammen in einem derartigen Lokal gesessen zu haben.

Und ganz bestimmt nicht, während wir nicht beide an einem Fall gearbeitet haben.

Sie freute sich, dass Bill Hannigan’s ausgesucht hatte für ihr…

Date, ermahnte sie sich. Wir haben gerade tatsächlich ein Date.

Tatsächlich machte es den Eindruck eines fast schon altbacken traditionellen Dates. Bill hatte sie sogar zuhause abgeholt und hatte sie hierher gefahren. Sie stellte auch erfreut fest, dass er, genauso wie sie selbst, sich auch einiges an Mühe gegeben hatte, um gut auszusehen. Er trug einen modischen Cardigan, der vorne zugeknöpft war, sein immer noch dichtes Haar war makellos zurückgekämmt.

Ein schöner Mann, dachte sie.

Bill war nie ein Goldjunge gewesen, wie ihr Ex-Mann Ryan. Er war nie charmant und hübsch gewesen, wie ihr Ex-Freund Blaine. Seine Gesichtszüge waren die eines Mannes, der ein hartes Leben gelebt hatte, doch er sah auch aus wie ein Mann, der etwas in seinem Leben geschafft hatte.

Riley wusste, dass das Leben auch bei ihr seine Spuren hinterlassen hatte. Ihr eigenes dunkles Haar, wie seins, zeigte bereits erstes Grau. Die Ringe um ihre Augen, wie um die seinen, spiegelten hässliche Begegnungen über die Jahre hinweg wider. Obwohl Männer im Allgemeinen zu ihr hingezogen zu sein schienen, wusste sie, dass die meisten von ihnen keine Ahnung hatten, was es eigentlich bedeutete Spezialagentin Riley Paige zu sein.

Endlich griff Bill über den Tisch und nahm ihre Hand.

Er fragte: „Riley, wird das hier funktionieren?“

Riley lachte ein wenig.

„Ich weiß nicht, Bill“, sagte sie. „Ich bin mir nicht einmal sicher, was ‚das hier‘ ist. Bist du es?“

Auch Bill lachte.

„Naja, ich habe da einige Vorstellungen, aber ich kann nicht behaupten, dass ich weiß, wo ‚das hier‘ hinführt.“

„Ich auch nicht“, sagte Riley.

Sie schwiegen wieder. Riley war sich nur einer Sache sicher. „Das hier“ war etwas Romantisches – eine Veränderung in ihrer beider Leben, von besten Freunden hin zu etwas mehr als Freunden.

Riley erinnerte sich an den süßen, warmen Augenblick, als „das hier“ begonnen hatte. Es war einige Wochen her, kurz nachdem sie ihren letzten Fall beendet hatten. Sie hatten gemeinsam in Rileys Hotelzimmer gesessen und waren beide besorgt und traurig. Riley war erbittert und verletzt von Jenns unerklärtem Verschwinden gewesen. Bill war erschrocken davon gewesen, dass Riley beinahe von einem psychopatischen Wahnsinnigen getötet worden war.

Natürlich war es nicht das erste Mal gewesen, dass Riley oder auch Bill dem Tode um ein Haar entkommen waren. Freilich, es war wahrscheinlich nicht einmal das hundertste Mal gewesen. Aber dieses Mal schien es Bill besonders mitgenommen zu haben.

Endlich hatte er ihr gesagt, wieso genau.

„Ich glaube nicht, dass ich es verkraften könnte, dich zu verlieren. Ich glaube nicht, dass ich ohne dich leben könnte.“

Dann, ohne ein weiteres Wort zu sagen, hatten sie sich geküsst.

Danach hatten sie einander bloß eine Weile lang schweigend umarmt, ohne ein Wort zu sagen.

Das war wirklich alles, was passiert war – ein einziger Kuss und eine lange, stille Umarmung. Sie waren beide zu müde von ihrem letzten Kampf mit dem Mörder, um weiter zu gehen, als das.

Rileys Lächeln wurde bei dieser Erinnerung breiter.

Sie sah, dass auch Bills Lächeln breiter wurde.

Denkt er auch gerade an diesen Moment?

Sie wäre nicht im Geringsten überrascht. Wie ein altes verheiratetes Ehepaar dachten sie oft das Gleiche zur selben Zeit und beendeten die Sätze des anderen.

Sie und Bill hatten jahrelang als Partner miteinander gearbeitet. Sie hatten einander vor Monstern gerettet, hatten einander in schrecklichen Zeiten unterstützt und ihre Freundschaft hatte sogar ihren einmaligen betrunkenen Versuch überlebt, sich an ihn ranzuschmeißen, als er noch verheiratet gewesen war.

Sie hatten einander während ihrer Scheidungen gekannt und, in seinem Fall, dem beinahe kompletten Verlust des Kontakts zu seinen Söhnen, als seine Ex-Frau weggezogen war und neu geheiratet hatte. Er wusste vieles von ihrem Hin-und-Her mit Ryan, über ihre Scheidung und sogar über ihre jüngste Beziehung mit Blaine.

Sie hatten bloß nicht allzu viel voneinander gehört, seit sie diesen Fall damals beendet hatten. Sie hatten keine Möglichkeit gehabt, über die Sache zu sprechen.

Bill hatte Riley einige Male zuhause besucht, und sie hatten am Telefon gesprochen. Sie hatten den Kuss nie voreinander erwähnt, doch natürlich hatte Riley die ganze Zeit über daran gedacht und sie wusste ganz genau, dass auch Bill das getan hatte.

Und nun waren sie hier und hatten ihr erstes echtes Date.

Und wie alle ersten Dates war es voll von allen möglichen Chancen und Ungewissheiten.

Schließlich schüttelte Bill den Kopf. „Riley, es gibt einige Sachen, die wir wirklich klären müssen.“ Riley merkte, dass sie beinahe den Atem anhielt, unsicher, was jetzt kommen würde.

„Du bist mir sehr wichtig“, sagte Bill. „Ich weiß, dass du genauso für mich empfindest. Und ich nehme an… dass es nur natürlich ist, dass unsere Beziehung sich… du weißt schon…“

Riley drückte seine Hand und kicherte.

„Entwickelt?“, sagte sie.

Bill kicherte auch.

“Ja, sich entwickelt. Es ist natürlich und es ist… wundervoll. Und ich will nicht, dass es aufhört.“

„Ich denke genauso“, sagte Riley.

Bill zuckte mit den Schultern und rutschte etwas auf seinem Stuhl umher.

„Aber ich mache mir Sorgen um… Dinge“, sagte er. „Ich meine, was wird das für uns als Partner bedeuten?“

Riley seufzte. „Ich wünschte, das wüsste ich. Natürlich hat das FBI keine klaren Regeln im Fall von… naja, sozialen Kontakten außerhalb des Dienstes.“

„Ich weiß“, sagte Bill. „Aber das bedeutet nicht, dass es einfach sein wird. Mir fällt zumindest ein Typ ein, der es so schwer wie möglich für uns machen wird.“

Riley nickte. Sie wusste genau, wen Bill meinte. Regeln hin oder her, Leitender Spezialagent Carl Walder missbilligte romantische Beziehungen unter Agenten, die zusammenarbeiteten. Eigentlich missbilligte Walder beinahe alles, was Agenten taten, außer es rückte ihn in ein positives Licht.

Es kam noch schlimmer, denn Walder hegte eine gewaltige Abneigung gegen Riley. Er hatte sie bereits mehr als einmal suspendiert und sogar gefeuert. Wenn Riley und Bill öffentlich eine Beziehung anfangen würden, würde Walder zweifelsohne jede Menge neuer Möglichkeiten finden, ihnen das Leben zur Hölle zu machen. Zumindest würde er ihnen verbieten zusammenzuarbeiten, doch womöglich würde er einen von ihnen auch an irgendeine ferne Außenstelle versetzen.

Einen Moment lang schaute Bill nachdenklich drein.

Er sagte: „Ich mache mir auch Sorgen darüber – naja, dass ich in dein Leben trete, nehme ich an, und mein ganzes Gepäck mitbringe. Ich meine, du hast eine Familie und ich habe…“

Bill schüttelte traurig den Kopf.

„Naja, du weißt was ich habe“, sagte er. „Zu viel von gar nichts. Zum einen habe ich eine hässliche Scheidung hinter mir.“

„Genau wie ich“, sagte Riley.

„Ja, aber dein Ex-Mann hat dir nicht die Kinder weggenommen.“

Riley spürte einen tiefen Stich des Mitgefühls und drückte erneut seine Hand.

„Ich weiß“, sagte sie. „Es tut mir leid.“

Bills Stimme wurde etwas heiserer.

„Aber du – naja, du hast eine Familie. Willst du, dass ich ein Teil davon werde?“

Riley wollte gerade sagen, dass sie das natürlich wollte, aber Bill unterbrach sie.

„Bitte, antworte nicht auf diese Frage, bevor du wirklich darüber nachgedacht hast.“

Riley nickte traurig.

Es war wirklich eine gute Frage und es erinnerte Riley daran, wie erfüllt und liebevoll ihr Familienleben wirklich war. Sie hatte zwei Töchter und eine Haushälterin, die bei ihnen wohnte und die viel, viel mehr war, als nur eine Angestellte.

Gibt es noch Platz für irgendjemand anderen? fragte sie sich.

Sie hatte versucht Platz für zwei verschiedene Männer zu schaffen, aber es hatte nicht geklappt. Als ihr Ex-Mann, Ryan, zurückgekommen war, um sie um eine neue Chance anzuflehen, hatte sie ihn für eine Weile einziehen lassen. Er hatte sie und die Mädchen natürlich enttäuscht, und sie hatte sich dumm gefühlt, dass sie irgendetwas anderes von ihm erwartet hatte. Das letzte Mal, dass er vorbeigekommen war, hatte sie ihn ziemlich entschlossen weggeschickt.

Zuerst war alles glatt gelaufen mit Blaine Hildreth, dem charmanten Restaurantbesitzer, auf den Riley sich eingelassen hatte. Er war ein alleinerziehender Vater von einer Tochter in Aprils Alter. An einem Punkt hatte Blaine sogar geplant sein eigenes Haus auszubauen, damit sie alle zusammen dort leben könnten.

Doch die Gefahren von Rileys Leben hatten schließlich dazu geführt, dass Blaine nicht mehr mit ihnen umgehen konnte.

Obwohl sie ihn nicht wirklich dafür verurteilte, schmerzte Riley seine endgültige Zurückweisung innerlich immer noch. Es hatte sie verbittert und enttäuscht. Sie hatte begonnen sich zu fragen – würde es jemals einen Mann in ihrem Leben geben, dem sie vollkommen vertrauen und auf den sie sich komplett verlassen könnte?

Doch in diesem Moment kam ihr das wie eine dumme Frage vor.

Sie schaute in genau diesem Augenblick auf ebendiesen Mann.

Sie und Bill hatten ihre Streitigkeiten und ihre Uneinigkeiten gehabt, genau wie ihre Höhen und Tiefen. Doch schlussendlich hatten sie einander immer mit ihrem eigenen Leben vertrauen können.

Was könnte ich noch von einer Beziehung wollen? fragte sie sich.

Vielleicht war genau das auch das Problem.

Sie stammelte, als sie versuchte die Worte dafür zu finden, was sie sagen wollte.

„Bill, ich… ich habe das Gefühl, dass du mich besser kennst, als irgendjemand mich je gekannt hat. Besser als Ryan sogar. Du hast mich in meinen besten Momenten, genauso wie in meinen schlimmsten gesehen. Du hast mich aus den Tiefen des… naja, des Trinkens, der Verzweiflung, des Selbst-Mitleids, des Versagens gezogen…“

Bill schüttelte den Kopf. „Naja, du hast Schlimmeres mit mir durchgestanden.“

Riley erschauderte ein wenig. Sie wusste nur zu gut, wovon Bill sprach.

Und sie erinnerte sich eindringlich an die SMS, die Bill ihr geschickt hatte, als sie letztes Frühjahr an einem Fall gearbeitet hatte…



Sitze hier mit der Knarre im Mund.



Jenn hatte Rileys Abwesenheit gedeckt, sodass sie zu Bills Apartment in Quantico eilen konnte. Sie wusste immer noch nicht was hätte passieren können, wenn sie nicht dort hingekommen wäre, um ihm zu helfen.

Aber sie hätte es nicht anders gewollt. Ihre Freundschaft war genauso auf schrecklichen Momenten wie diesen aufgebaut, wie auch auf den schönen.

Riley hielt einen Moment lang inne.

Dann sagte sie: „Ich glaube, was ich denke ist… vielleicht sind wir bereits ein perfektes Paar. Vielleicht waren wir all die Jahre ein perfektes Paar. Weiß Gott, ich fühle mich dir sehr viel verbundener, als ich mich jemals Ryan gegenüber gefühlt habe.“

„Und ich fühle mich dir sehr viel verbundener, als ich es jemals mit Maggie war“, sagte Bill.

Riley holte tief Luft und sagte: „Also dann… sollten wir vielleicht nichts zwischen uns ändern. Vielleicht sollten wir die Dinge genauso lassen, wie sie sind.“

Bill lächelte etwas traurig.

Er sagte: „Riley, die Dinge haben sich bereits verändert zwischen uns. Sie haben sich verändert, ob wir es wollen oder nicht.“

Riley wusste genau, was er meinte.

Dieser Kuss.

Er hatte alles zwischen ihnen verändert.

In diesem Moment kam der Kellner mit ihren Sandwiches.

Und Rileys Handy klingelte.

Sie überlegte kurz, ob sie den Anruf ignorieren sollte, doch dann sah sie, dass er von ihrem Boss stammte, dem Teamleiter Brent Meredith.

Als sie den Anruf entgegennahm, kam Meredith wie immer direkt zum Punkt.

„Sind Sie dazu bereit einen neuen Fall zu übernehmen, Agentin Paige?“

Riley musste über die Frage lächeln. Brent Meredith „nein“ zu sagen war keine wirkliche Option.

„Ich bin bereit“, sagte sie.

„Gut. Dann kommen Sie sofort in mein Büro.“

Ohne ein weiteres Wort beendete Meredith den Anruf.

Bill sagte: „Ich nehme an, dass das Meredith war, gesprächig wie immer.“

Riley lachte und sagte: „Ja, manchmal hört er einfach nicht auf zu quatschen. Naja, ich nehme an wir werden gebraucht – und wie immer jetzt sofort. Tut mir leid um das Mittagessen.“

„Wir können es auf dem Weg essen“, sagte Bill. „Das ist uns nicht neu.“

Bill winkte den Kellner heran und bat ihn, ihre Sandwiches einzupacken und die Rechnung zu bringen.

Er sagte: „Was meinst du, wie oft wurden wir bereits während des Mittagessens irgendwo hinbestellt?“

Riley kicherte und sagte: „Ich nehme an, einige Dinge ändern sich nie.“

Bill zahlte die Rechnung und, mit ihrem Mittagessen in der Hand, gingen sie hinaus zu seinem Auto.




KAPITEL DREI


Als sie das Gebäude der Verhaltensanalyse betraten, dachte Bill immer wieder an Rileys Worte, als ihr erster Versuch eines Dates zu so einem abrupten Ende gekommen war.

„Ich nehme an, einige Dinge ändern sich nie.“

Bill fand, dass es beinahe komisch war, wie dieser Anruf ihr Gespräch unterbrochen hatte… genau wie so oft zuvor.

Sie hatten eilig ihr Essen einpacken lassen und waren zum Auto geeilt… genau wie so oft zuvor.

Nun eilten sie durch einen vertrauten Flur zu Merediths Büro. Der heutige Tag war allzu typisch was die Unvorhersehbarkeit anging, mit der er und Riley seit vielen Jahren lebten.

Und doch wusste er, dass der Kuss, der vor einigen Wochen zwischen ihnen passiert war, alles zwischen ihnen verändert hatte. Es war ihm klar, dass auch Riley das wusste. Er wünschte sich wirklich, dass sie mehr Zeit gehabt hätten, um über alles zu reden. Früher oder später würden sie diese Veränderungen akzeptieren müssen.

Früher wäre besser.

Doch nun war offensichtlich nicht die Zeit dafür. Sie hatten fast nicht gesprochen während der Fahrt hierher. Sie waren damit beschäftigt gewesen, die Sandwiches zu essen, die sie aus dem Restaurant mitgenommen hatten, doch Bill merkte auch, dass Rileys Gedanken bereits bei dem Fall waren, der auf sie zukam.

Das sollten meine auch sein, dachte er.

Er fragte sich – würde es nun immer so sein? Würde ihre gemeinsame Arbeit immer wichtiger sein als alles andere, was zwischen ihnen passieren könnte?

Als sie Merediths Büro betraten, schaute der gewaltige Abteilungsleiter, der schwarze, kantige Gesichtszüge hatte, von seinem Schreibtisch auf. Sein Gesichtsausdruck war streng, als er bemerkte: „Ich habe nicht erwartet, Sie hier zu sehen, Agent Jeffreys.“

Bills machte vor Überraschung große Augen. Er konnte sehen, dass auch Riley verwundert war.

Bill stammelte während er und Riley vor Merediths Schreibtisch Platz nahmen: „Naja – Agentin Paige sagte, dass… Sie wegen eines neuen Falls angerufen haben und ich hatte einfach angenommen…“

Meredith zuckte mit den Schultern. „Ja, ich habe einen neuen Fall für sie. Ich habe nicht nach Ihnen gefragt. Tatsächlich werden Sie für diesen Fall nicht gebraucht. Agentin Paige wird mit einer anderen Partnerin zusammenarbeiten.“

Bill war alarmiert.

Was geht hier vor? fragte er sich.

Hatte Meredith bereits irgendwie begriffen, dass zwischen ihm und Riley irgendetwas los war, noch bevor die beiden es selbst klären konnten? Er konnte sich nicht vorstellen wie, doch Meredith hatte eine beinahe gruselige Art, Einzelheiten über seine Agenten zu wissen.

Will er unser Team auflösen? fragte Bill sich.

„Ich versuche bloß eine neue Agentin einzuarbeiten“, erklärte Meredith. „Ein Frischling. Ich habe mir gedacht, dass es eine gute Erfahrung für sie sein würde, mit Agentin Paige zusammenzuarbeiten, zumindest dieses eine Mal.“

Eine neue Agentin? dachte Bill.

Er war erleichtert, dass sich die Regelung nicht nach etwas Langfristigem anhörte, spürte aber auch, wie sich Besorgnis bei ihm einschlich. Ihre Zusammenarbeit mit den letzten zwei Anfängerinnen war schlecht gelaufen. Er konnte es nicht ertragen auch nur an Lucy Vargas zu denken, die seine Bewunderung erlangt hatte, die aber in einer schrecklichen Schießerei ums Leben gekommen war. Die letzte neue Rekrutin, Jenn Roston, hatte andere Probleme mitgebracht.

Bill konnte nicht bestreiten, dass Jenn eine brillante und vielversprechende junge Agentin gewesen war, doch sie war nicht einmal komplett angekommen, als ihre Vergangenheit sie anscheinend eingeholt hatte. Schlimmer noch, Bill wusste genau, dass Riley Geheimnisse über Jenns Vergangenheit wusste, die sie mit ihm nicht hatte teilen können – Geheimnisse, die zu Jenns mysteriösem Verschwinden vor ein paar Wochen geführt hatten.

Er hatte versucht sich einzureden, dass was auch immer diese Geheimnisse waren, die Jenn und Riley teilten, sie ihn nichts angingen. Doch er hatte es nicht geschafft. Er erinnerte sich daran, wie noch vor Kurzem Riley und er sich beide eingestanden hatten, dass sie einander näher standen, als sie es jemals ihren Ehegatten gegenüber getan hatten. Es gab wirklich nichts Ungewöhnliches daran. So musste es auch sein unter Partnern.

Doch Jenn hatte sich Riley beträchtlich mehr geöffnet, als sie es ihm gegenüber getan hatte und das hatte dazu geführt, dass er sich ausgeschlossen gefühlt hatte – und sogar etwas verbittert. Beinahe zwei Jahrzehnte lang hatten Bill und Riley voreinander wenige Geheimnisse gehegt und hatten einander, wenn überhaupt, nur selten direkt angelogen. Deshalb gefiel es Bill nicht, dass Riley Geheimnisse hütete die Jenn betrafen.

Würde dasselbe erneut mit einer neuen jungen Rekrutin geschehen?

Ich hoffe nicht, dachte er. Die Dinge waren auch so schon kompliziert genug zwischen Riley und ihm.

Meredith warf einen Blick auf seine Uhr. „Ich habe sie gebeten, dazu zu kommen. Sie sollte jeden Moment hier sein. Ihr Name ist Ann Marie Esmer, und sie ist denkbar grün hinter den Ohren. Sie kommt gerade von der Academy und hat noch nie an einem echten Fall gearbeitet.“

Riley legte neugierig den Kopf schief.

„Sie meinen, Sie hat überhaupt noch nie im Polizeidienst gearbeitet?“

„Genau“, sagte Meredith.

„Wie ist sie dann überhaupt an die Academy gekommen?“, fragte Riley.

Meredith faltete die Finger, drehte sich leicht in seinem Bürosessel hin und her und lächelte.

„Genau wie Sie, Agentin Paige. Sie hat als Zivilistin einen Fall gelöst, gleich frisch vom College. Das FBI ist auf sie aufmerksam geworden und die Voraussetzung der Polizeiarbeit wurde für sie fallen gelassen. Genau wie sie, hat sie sich gut im Sommerpraktikumsprogramm gemacht und dann auch an der Academy. Also geben wir ihr eine Chance hier an der Verhaltensanalyse. Mir wurde gesagt, sie zeigt großes Versprechen.“

Bill spürte ein neugieriges Kribbeln. Er wusste, dass Riley von ihrem Mentor, Jake Crivaro rekrutiert worden war, nachdem sie eine Flut von Morden an dem College, an dem sie studierte, gelöst hatte. Genau wie die neue Agentin, hatte Riley sich ausgezeichnet im Sommerpraktikum und später an der Academy gemacht.

Wird diese Kleine eine jüngere Version von Riley sein? fragte er sich.

Er war sich nicht sicher, ob diese Möglichkeit ihm gefiel. Er war etwas bestürzt über die Tatsache, dass Riley überhaupt mit einer anderen Partnerin zusammenarbeiten würde, aber besonders mit solch einer unerfahrenen.

Meredith lehnte sich in seinem Sessel zurück.

„Ich habe meine Gründe dafür, dass ich die Kleine auf diesen Fall ansetze“, sagte er. „Zum einen sollte das keine zu große Herausforderung für sie sein. In Winneway, Maryland ist vor ungefähr einem Jahr eine Frau verschwunden. Ihre Leiche wurde gestern Nacht endlich gefunden. Der Sheriff denkt, dass der Mörder erneut zuschlagen wird, also will er unsere Hilfe.“

Bill schielte skeptisch und fragte: „Hat der Sheriff dafür irgendwelche andere Gründe, als eine bloße Vermutung?“

Riley fügte hinzu: „Wieso meint er, dass der Mörder eine Serie daraus machen will?“

Meredith sagte: „Es hat etwas mit ein paar anonymen Nachrichten zu tun, die die Polizei bekommen hat. Ich kenne keine Details, aber für mich klingt es danach, als wären die Cops bloß Opfer eines Streichs geworden, nichts, wofür die Verhaltensanalyse gebraucht wird, sicherlich keine Serie. Sie werden wahrscheinlich hinfahren, bloß, um sofort umzudrehen und direkt wiederzukommen. Aber zumindest wird es der Kleinen die Möglichkeit geben, sich auszuprobieren.“

In Bill sträubte sich alles vor Groll, obwohl er sich dagegen wehrte.

Behalt es für dich, dachte er sich. Er wusste, dass es nie eine gute Idee war, Merediths Befehlen zu wiedersprechen. Trotzdem platze es ihm heraus: „Sir, ich kann nicht sagen, dass es mir gefällt, bei diesem Fall außen vor gelassen zu werden.“

Meredith lehnte sich über den Tisch und schaute ihn streng an.

„Agent Jeffreys, welchen Teil von dem, was ich soeben gesagt habe, haben Sie nicht verstanden?“

Bill zuckte zusammen bei der Vorstellung, was nun sicherlich folgen würde.

Wieso konnte ich nicht einfach den Mund halten?

Meredith knurrte: „Ich glaube nicht, dass das hier ein echter Fall ist, Agent Jeffreys. Ich glaube ganz sicher nicht, dass es sich um eine Serie handelt, sondern nur um einen dummen Streich. Sie auch noch mitzuschicken wäre übertrieben. Außerdem denke ich, dass es am besten für die Neue wäre, wenn sie mit einer anderen Frau alleine zusammenarbeiten könnte. Damit habe ich alles gesagt.“

„Ich habe verstanden, Sir“, sagte Bill.

„Haben Sie das?“, sagte Meredith. Er schaute hin und her zwischen Bill und Riley, runzelte seine Stirn und trommelte mit den Fingern auf dem Tisch.

Er sagte: „Ich habe das komische Gefühl, dass hier etwas vor sich geht.“

Bill spürte, wie er rot wurde. Er blickte zu Riley und sah, dass auch sie errötete.

Ein weiteres Mal stellten sich Merediths Instinkte als unheimlich heraus. Er konnte offensichtlich spüren, dass sich zwischen Riley und Bill etwas verändert hatte – obwohl er sicherlich nicht wusste, was genau dieses etwas war.

„Gibt es etwas, das Sie beiden mir nicht sagen?“, sagte Meredith.

„Nein, Sir“, murmelte Riley.

„Alles ist in Ordnung, Sir“, fügte Bill unsicher hinzu.

Sobald die Worte draußen waren, dachte Bill sich: Haben Riley und ich gerade Brent Meredith angelogen?

Tatsächlich, das hatten sie und Bill wusste es. Nicht nur hatten sie gelogen, sie hatten schlecht gelogen, mit Gesichtern, die so grell loderten, wie eine Ampel.

Merediths Verdacht musste sich von Sekunde zu Sekunde verstärken.

Bill blickte zu Riley und konnte sehen, dass sie beide dasselbe dachten.

Sollten wir es ihm einfach sagen?

Riley schüttelte leicht den Kopf. Bill stimmte ihr stumm zu.

Schließlich lehnte Meredith sich in seinem Sessel zurück.

Er sagte: „Jeffreys, wenn Sie so erpicht darauf sind, sich einzubinden, können Sie ja heute hier im Gebäude bleiben. Wenn sich herausstellt, dass doch irgendetwas an diesem Fall dran ist, können Sie etwas Recherchearbeit machen.“

Bill spürte den Stich.

Recherchearbeit?

Meredith wusste ganz sicher, was er Bill für ein Gefühl gab, wenn er ihm solch eine niedere Unterstützungsaufgabe zuteilte.

Er ist unzufrieden mit Riley und mir, dachte Bill.

Meredith blickte auf seine Uhr und sagte: „Naja, die junge Agentin Esmer sollte jeden Moment hier sein. Ich habe gehört, sie sei sehr pünktlich, wir werden herausfinden, ob es stimmt, nehme ich an. Agentin Paige, ich will, dass sie unsere junge Agentin nehmen und mit einem Dienstauto nach Winneway fahren, sobald sie hier ist. Es ist bloß ungefähr eine Fahrtstunde von hier entfernt. Meine Vermutung ist, dass sie diesem Streich auf den Grund gehen werden und morgen früh bereits wieder zurück sein werden. Überlassen Sie den Mord selbst den Cops vor Ort. Das ist nicht ihr Job.“

In diesem Augenblick öffnete sich die Bürotür und eine junge Frau trat ein.

„Ich hoffe, ich komme nicht zu spät“, sagte sie.

Schon als Bill Agentin Ann Marie Esmer nur erblickte, hatte er das Gefühl, dass Riley und die junge Frau wahrscheinlich kein gutes Team sein würden – selbst für nur einen Tag, um einen dummen Streich aufzulösen. Doch er konnte nicht anders, als sich etwas erleichtert zu fühlen.

Zumindest muss ich mir keine Sorgen um eine Rivalin machen, dachte er.




KAPITEL VIER


Riley blickte immer wieder auf ihre neue Partnerin, als sie auf den Highway aus Quantico hinaus aufgefahren waren. Irgendwie konnte sie nicht ganz glauben, dass Ann Marie Esmer wirklich eine FBI Rekrutin war.

In diesem Augenblick war die junge Frau am Telefon und sprach mit dem County Sheriff in Maryland. Sie teilte ihm mit, dass sie und Riley auf dem Weg waren und machte mit ihm ein Treffen aus. Ann Marie machte sich Notizen, während sie sprach.

Ihre Stimme, ultra-höflich und ultra-fröhlich, klang für Riley nach der einer Nobel-Empfangsdame oder vielleicht einer Stimmenschauspielerin in einer Fernsehwerbung. Sie war gutaussehend – eigentlich auffällig hübsch, mit leuchtenden blauen Augen und blonden Haaren, die hinten so perfekt zusammengebunden und frisiert waren, dass es ein Friseur gemacht haben musste.

Ann Marie war in Merediths Büro vollkommen vorbereitet und ausgerüstet mit einer Reisetasche erschienen, genau wie Bill und Riley. Sie verstand offensichtlich die Notwendigkeit in jedem Moment bereit dafür zu sein, ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort verlassen zu müssen. Ebenso war sie ziemlich wohlüberlegt gekleidet in einen einfachen, legeren Hosenanzug und komfortable Schuhe. Trotzdem machte ihre Kleidung einen neuen und teuren Eindruck und sie trug einen gemusterten Schal, dessen Farben auf ihre Haarfarbe und ihren Hautton abgestimmt zu sein schienen.

Sie beendete den Anruf und sagte in ihrer angenehmen, zwitschernden Stimme zu Riley: „Sheriff Wightman ist super froh, dass wir auf dem Weg sind. Er will uns am Tatort treffen, wenn wir in Winneway angekommen sind. Der Bezirksgerichtsmediziner ist gerade dort und untersucht die Leiche.“

Ann Marie klopfte mit dem Stift auf ihren Notizblock und fügte hinzu: „Ich habe die Anfahrtsbeschreibung aufgeschrieben. Keine Sorge, wir werden uns nicht verfahren. Ich bin sehr gut mit Wegbeschreibungen! Ich werde uns hinlotsen, selbst wenn das GPS System ausfällt.“

Ich habe keinerlei Zweifel, dachte Riley.

Dieses Mädchen war nichts, wenn nicht effizient und aufmerksam.

Dann sagte Ann Marie: „Wow. Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich habe das Gefühl, dass ich mich zwicken muss, um sicherzugehen, dass ich nicht träume. Ich meine, hier bin ich nun bei meinem ersten Fall nachdem ich in Quantico wochenlang Papiere hin- und hergeschoben habe. Und ich bin mit Spezialagentin Riley Paige gepartnert!“

Sie lachte musikalisch und fügte hinzu: „Wenn die Leute an der Academy mich jetzt bloß sehen könnten. Die Leute an der Academy sprechen andauernd von Ihnen, wissen Sie? Wir haben sehr viele Ihrer Fälle studiert. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich das so sage, aber… Agentin Paige, Sie sind so brillant! Und das wissen auch alle.“

Riley wusste, dass sie sich geehrt fühlen sollte. Stattdessen fühlte sie sich etwas unangenehm berührt.

Sie sagte zu Ann Marie: „Wie sind denn die Dinge an der Academy?“

„Naja, ziemlich aufregend für jemanden wie mich. Aber für Sie wäre es langweilig, da bin ich mir sicher.“

Ann Marie begann dann über ihre Kurse an der Academy zu plappern – nicht so sehr über die Inhalte ihrer Ausbildung, wie über die Geschichten und Gerüchte ihrer Kommilitonen, einschließlich der Aufzählungen ihres Dating-Lebens in dieser Zeit.

In einer Sache hatte sie Recht, dachte Riley, während sie ein Seufzen unterdrückte. Für mich ist das alles langweilig.

Riley kam es komisch vor, vom Leben an der FBI Academy aus einem solch sozialen Blickwinkel zu hören. Ann Marie hatte offensichtlich eine tolle Zeit dort gehabt und hatte allerlei verschiedener Freundschaften geschlossen. Die Erfahrungen, die Riley selbst vor vielen Jahren dort gemacht hatte, waren nicht annähernd so…

Naja, gemütlich.

Wie Ann Marie auch, war Riley zum FBI Honors Programm zugelassen worden und dann zur Academy selbst zum Teil beruhend auf einer starken Empfehlung eines sehr respektierten Agenten. Das bedeutete, dass jede von ihnen bereits ungewöhnliche Fähigkeiten demonstriert hatte, doch es bedeutete auch, dass sie beide anderen qualifizierten Bewerbern den Platz weggenommen hatten. Schlimmer noch, Riley war aus dem Programm gezogen worden, um ihrem Mentor bei einigen kritischen Fällen zu helfen. Als sie wieder in den Unterricht zurückkehrte, fühlte sie sich isoliert von den anderen und sogar abgelehnt. Sie hatte nur eine gute Freundin während ihrer Zeit an der Academy gehabt – ihre Zimmernachbarin, Frankie Dow.

Es kam Riley also komisch vor, dass die Erfahrungen dieses Mädchens sich so von ihren eigenen unterschieden.

Die Leute mögen sie, nehme ich an.

Riley fühlte nicht gerade dasselbe für ihre neue Partnerin, obwohl sie zugeben musste, dass es wahrscheinlich nicht allein Ann Maries Schuld war. Es war nicht nur die hyper-fröhliche Persönlichkeit der jungen Frau, die ihr bitter aufstieß. Die Wahrheit war, dass Riley mehr als nur etwas irritiert war von dieser Ausgestaltung der Dinge. Sie konnte nicht anders, als zu denken, dass mit irgendjemand anders als mit Bill zusammenzuarbeiten, nie gutging. Ihre letzten Juniorpartnerinnen hatten nicht die FBI Karrieren eingeschlagen, für die sie vorbestimmt gewesen schienen.

Riley hatte Lucy Vargas wirklich ins Herz geschlossen und dann war alles wirklich schlimm ausgegangen. Ihr Tod hatte Bill an den Rand des Selbstmordes getrieben.

Es war schwieriger gewesen, sich an Jenn Roston zu gewöhnen, aber Riley und Jenn hatten einander über die Zeit einige ziemlich dunkle persönliche Geheimnisse anvertraut.

Riley begriff, dass sie sich immer noch nicht damit abgefunden hatte, dass Jenn weg war.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sich umdrehen würde und erwartete dort Jenn statt Ann Marie zu sehen – erwarten würde Jenns starke, afro-amerikanische Gesichtszüge zu sehen, statt den blassen, perfekten Teint dieser jungen Frau; Jenns sichere, feste Stimme, anstatt all dieses zwitschernden Geplappers.

Riley unterdrückte ein Seufzen, als Ann Marie mit den Gerüchten aus der Academy fortfuhr.

Das hier wird nicht einfach, dachte sie.

Sie erinnerte sich an etwas, das Meredith gesagt hatte.

„Ich vermute, Sie werden diesem Streich auf den Grund gehen und morgen früh schon wieder auf dem Weg zurück sein.“

Riley hoffte das jedenfalls.

Obwohl heute noch besser wäre.

Sie hoffte ebenfalls, dass diese Partnerschaft nur eine einmalige Sache bleiben würde.


*

Als Riley über die Woodrow Wilson Memorial Brücke fuhr, und den Potomac Fluss nach Maryland überquerte, spürte sie, dass diese kurze Reise sich sehr viel länger anfühlte, als sie es eigentlich sein sollte. Ann Marie hatte aufgehört zu plappern, hatte aber das Autoradio aufgedreht und einen Pop-Sender gefunden, der viel zu fröhliche und dämliche Musik für Rileys Geschmack spielte. Sie war wirklich froh, wenn das GPS System die Musik hin und wieder unterbrach, um ihnen Fahranweisungen zu geben.

In der Zwischenzeit kehrten Rileys Gedanken immer wieder zu dem Treffen mit Meredith zurück. Sie verzog die Miene, als sie sich daran erinnerte, wie Meredith sie und Bill angestarrt hatte.

„Gibt es etwas, was Sie beide mir nicht sagen?“, hatte er gefragt.

Natürlich hatte Meredith Recht mit seinen Vermutungen. Schließlich hatte seine Vorladung ihr erstes echtes Date mit Bill unterbrochen – eine Entwicklung, die Meredith mit gutem Recht neugierig machen würde.

Und jetzt haben wir ihn angelogen.

Beide.

Sie schauderte, wenn sie an die Konsequenzen dachte, die diese Lügen eventuell haben könnten. Schlimmer noch, sie fühlte sich schuldig Meredith gegenüber. Er war ihr jahrelang ein intelligenter, fairer und respektvoller Vorgesetzter gewesen.

Wir hätten ihm die Wahrheit sagen sollen, dachte Riley.

Doch was war die Wahrheit denn genau?

Das war das wahre Problem. Sie wusste nicht, was sie Meredith hätten sagen können. Sie hatten keine Zeit gehabt es für sich selbst zu klären.

Riley und Bill wussten immer noch nicht in welche Richtung sich ihre Beziehung entwickelte. Sobald sie beide eine bessere Vorstellung davon haben würden, könnten sie sich womöglich mit Meredith zusammensetzen und reinen Tisch machen. Sie hoffte, dass Meredith verständnisvoll sein würde und sich vielleicht sogar für sie freuen würde.

Nach ungefähr einer Stunde Fahrt kamen sie in Winneway an, einer teuren, geschichtsbewussten Stadt. Riley fand es unpassend, dass einige der großen, schönen Häuser, deren Alter teilweise bis in die Kolonialzeiten zurückreichte, nun von Pools flankiert wurden. Riley fühlte sich immer fehl am Platz in solch wohlhabenden Gegenden. Die Menschen, denen sie in einem solchen Rahmen begegnete, tendierten dazu FBI Agenten eher wie Angestellte zu behandeln, als wie die hochqualifizierten Beamten, die sie waren.

Endlich ließ das GPS System sie wissen, dass sie am Ironwood Park angekommen waren – einer großflächigen gutgepflegten Grünlandschaft, auf der kleine Waldstücke verteilt waren. Die bunten Herbstblätter machten den Anblick besonders angenehm.

Riley bog auf eine kurvige Straße, die in den Park hineinführte. Bald schon stießen sie auf eine Gruppe haltender Fahrzeuge – ein paar Polizeiautos, das Auto des Bezirkssheriffs und der Van des Gerichtsmediziners.

„Hier muss es sein!“, zwitscherte Ann Marie fröhlich.

Riley zuckte bei der Unbeschwertheit von Ann Maries Ton zusammen. Sie hatte das Bedürfnis die junge Frau zu warnen, dass sie gleich eine todernste Situation betreten würden – einen Tatort, an dem die Leiche der Ermordeten immer noch anwesend war.

Doch Riley hielt sich davor zurück irgendetwas zu sagen.

Lassen wir es einfach eine Überraschung bleiben, dachte sie und unterdrückte ein ironisches Lächeln.

Sie wusste, dass Ann Marie während ihres Trainings an der Academy bereits Leichen gesehen hatte. Aber das war nur in einer klinischen, forensischen Umgebung. Eine Leiche am Tatort zu sehen war eine ganz andere Erfahrung – eine, auf die, da war sich Riley ziemlich sicher, diese scheinbar soziale Partymaus nicht vorbereitet war. Wenn die Neue das nicht verkraften könnte, wäre Riley mehr als bereit sie sofort zurück nach Quantico zu schicken.

Sie stiegen aus dem Auto und gingen zu einem Waldstück rüber, dass von der Polizei abgesperrt worden war. Riley war erfreut darüber zu sehen, dass eine Art Zelt zwischen den Bäumen errichtet worden war, offensichtlich um den Tatort vor den Elementen zu schützen. Ein paar Polizisten standen vor dem Zelt Wache.

Die Polizei hier weiß, was sie tut, dachte sie.

Riley und Ann Marie zeigten ihre Dienstmarken vor und schlüpften unter dem Absperrungsband hindurch, um ins Zelt zu gelangen. Das Innere des Zelts wurde von ein paar stehenden Flutlichtern erleuchtet. Ein paar Männer befanden sich im Inneren und standen um ein großes Loch an dessen einer Seite ein Haufen Erde aufgeschüttet war und auf dessen anderer Seite sich auf dem Boden eine bedeckte Leiche befand.

Riley stellte sich und die Junioragentin dem Bezirkssheriff Emory Wightman und dem Hauptgerichtsmediziner Mark Tyler vor, die auf ihre Ankunft gewartet hatten. Der Sheriff war ein solider Mann in seinen Vierzigern, obwohl ein Bierbauch vermuten ließ, dass er nicht wirklich auf seine Figur achtete. Der dünne und drahtige Gerichtsmediziner schien etwas älter zu sein. Beide Männer machten einen Moment lang einen bedrückten Eindruck, dann sagte Wightman endlich: „Ich nehme an, sie wollen die Leiche untersuchen.“

„Es ist kein schöner Anblick“, kommentierte Tyler.

Wightman fügte hinzu: „Ich nehme an, Agenten wie sie haben bereits sehr viele solcher Anblicke –“

„Natürlich“, unterbrach Riley ihn.

Sie vermutete, dass die Zurückhaltung des Sheriffs sich damit erklären ließ, dass beide Agentinnen Frauen waren, doch selbst wenn ihre jüngere Partnerin nicht bereit für den Anblick war, hatte Riley genug Leichen gesehen, um sich nicht vor dem, was sie erwartete, zu fürchten.

Ohne weiteres Zögern hob Wightman vorsichtig die Bedeckung an.

Der Anblick der Leiche schockierte Riley tatsächlich.

Die Verwesung war bereits ziemlich weit vorangeschritten, da die Leiche anscheinend bereits seit Langem begraben gewesen war. Doch das wirklich komische an dem Anblick war, dass das Opfer ein Skelett-Kostüm trug, ein schwarzes Outfit mit aufgedruckten weißen Knochen.

Ein Skelett, dass als Skelett verkleidet ist, dachte sie.

Bevor sie irgendwelche Fragen stellen konnte, hörte sie Ann Marie einen lauten Aufschrei von sich geben – doch es war kein Aufschrei des Entsetzens.

„Oh, das ist so interessant!“

Ann Maries Gesichtsausdruck war einer von erfreuter Faszination, als sie sich neben die Leiche hockte. Sie bückte sie vor, um einen besseren Blick auf die Überbleibsel der Haut und der Haare zu bekommen, die an dem kahlen menschlichen Schädel hafteten.

Das war wohl kaum die Reaktion, die Riley von dieser jungen Frau erwartet hätte. Sie fragte sich welch andere Überraschungen ihre neue Partnerin für sie parat haben könnte.




KAPITEL FÜNF


Riley schaute sie überrascht an, als Ann Marie neugierig das Gesicht der Leiche aus nächster Nähe betrachtete. Der Kopf des Opfers war kaum mehr, als ein Schädel, der mit angetrockneter Haut überzogen war. Er spiegelte auf eine gruselige Art und Weise die Schädelmaske des Kostüms wider, die abgenommen worden war und neben dem Gesicht des Opfers lag.

Die junge Frau schien absolut gewöhnt zu sein an derartige Anblicke. Sie holte sogar tatsächlich ihr Handy zum Vorschein und begann Fotos von der Leiche zu machen.

Riley war erstaunt.

Weiß sie nicht, dass die Jungs hier sicherlich schon Fotos gemacht haben? fragte sie sich.

Riley wollte ihr schon beinahe sagen, dass sie aufhören sollte, doch sie wollte Ann Marie nicht vor allen anderen direkt am Tatort kritisieren.

Ann Marie schaute zum Gerichtsmediziner auf und sagte: „Ich habe noch nicht viele Leichen in diesem Zustand gesehen. Die meisten, die ich untersuchen durfte waren… naja, frischer, könnte man sagen. Diese hier ist eine ‚sie‘, nicht wahr?“

Als Antwort nickte Tyler bloß.

Ann Marie fragte: „Was meinen Sie, wie lange war sie hier vergraben?“

Tyler zuckte leicht mit den Schultern. „Schwer zu sagen“, sagte er ihr. „Ich nehme an, mehrere Monate. Genauer kann ich es erst nach der Autopsie sagen.“

Sheriff Wightman fügte hinzu: „Wir sind uns ziemlich sicher, dass der Name des Opfers Allison Hillis ist. Sie ist vor etwas mehr als einem Jahr verschwunden. Gerichtsmediziner Tyler wird einige Untersuchungen durchführen, um sicherzustellen, dass es sich um dieselbe Person handelt. Aber Allison trug genau das gleiche Kostüm, als sie verschwunden ist.“

Ann Marie schüttelte den Kopf und schnalzte mit der Zunge.

„Wie traurig, dass es so für sie geendet ist“, sagte sie. „Aber ich nehme an ein Jahr ist eine lange Zeit. Es ist schwer zu erwarten, dass jemand, der nach so langer Zeit gefunden wird, noch am Leben ist.“

Dann schaute sie sich wieder das Gesicht an und sagte: „Aber irgendetwas an ihr ist ungewöhnlich. Sie wurde vor einem Jahr nicht sofort begraben, direkt nachdem sie umgebracht wurde, nicht wahr?“

Tyler legte neugierig den Kopf schief.

„Wieso meinen Sie das?“, sagte er.

Ann Marie machte eine Nahaufnahme von der Hand der Leiche und sagte: „Naja, ich habe nicht viele exhumierte Leichen gesehen, aber diejenigen, die ich gesehen habe, kamen alle aus Särgen, nicht direkt aus der Erde. Und selbst diejenigen, die vor viel kürzerer Zeit begraben worden waren, sahen sehr viel verwester aus, als diese hier – die fielen so ziemlich auseinander, wirklich. Die Haut auf dieser hier ist viel erhaltener – beinahe so, als wäre sie mumifiziert worden oder so.“

„Ja, das habe ich auch bemerkt“, sagte Tyler mit Interesse.

„Ich habe eine kleine Theorie, wenn sie nichts dagegen haben, sie zu hören“, sagte Ann Marie.

Der Gerichtsmediziner mittleren Alters strich sich über den Schnurrbart und lächelte – ein kleines bisschen flirtend, dachte Riley sich.

„Ich würde sie liebend gerne hören“, sagte Tyler.

Ann Marie sagte: „Naja, ich denke, dass sie eine Weile lang eingefroren gewesen ist, bevor sie hier begraben wurde. Das könnte die ungewöhnliche Erhaltung erklären.“

Sie zeigte auf einen Fleck am Hals und fügte hinzu: „Sehen Sie diese Risse? Die sehen für mich nach Frostschäden aus, nicht nach normaler Verwesung.“

„Na, verdammt“, sagte er. „Ich habe mir so ziemlich dasselbe gedacht.“

Nun sagte Ann Marie in einem etwas flirtendem Ton, während sie ihm zuzwinkerte: „Naja, Sie wissen schon, große Geister denken gleich.“

Tyler schielte neugierig. Dann sagte er zu ihr: „Hey, haben Sie gesagt, dass ihr Nachname Esmer ist?“

Ann Marie nickte.

Tyler fragte: „Sie sind nicht zufällig mit Sebastian Esmer drüben in Georgetown verwandt?“

Ann Maries Augen funkelten.

„Er ist mein Dad“, sagte sie mit einem Unterton von Stolz.

Tylers Lächeln wurde breiter.

„Ich hätte es wissen sollen“, sagte er mit einem Kopfschütteln. „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“

„Ich nehme an, das stimmt“, sagte Ann Marie.

Riley war nun durch und durch verblüfft.

Wer ist dieses Mädel? dachte sie.

Und warum zum Teufel weiß sie so gut über Leichen Bescheid?

Doch nun war nicht die Zeit, um all das zu klären. Sie wusste immer noch nicht genau, was sie hier eigentlich sollten.

Sie fragte den Sheriff und den Gerichtsmediziner: „Wurde die Todesursache festgestellt?“

„Vielleicht“, sagte Sheriff Wightman.

„Wir sind uns aber nicht sicher“, fügte Tyler hinzu. „Ich zeige Ihnen, was ich meine.“

Riley ging neben Ann Marie und Tyler vor der Leiche in die Hocke.

Tyler zeigte auf einen Bereich, an dem das Kostüm aufgeschnitten war, um eine Wunde in der Mitte der Brust offenzulegen.

„Sie wurde durch das Brustbein mitten ins Herz gestochen“, sagte Tyler. „Aber nicht mit einem Messer.“

Er fuhr an der merkwürdigen Wunde mit dem Finger entlang und fügte hinzu: „Wie Sie sehen können, ist die Öffnung beinahe exakt rund. Es sieht so aus, als wäre sie mit etwas extrem Scharfem und Zylindrischem erstochen worden.“

Ein Pfahl durchs Herz? fragte Riley sich, während Ann Marie ein Foto der Wunde machte. Sicherlich nicht.

Doch die Einzelheiten des Mordes kamen ihr von Minute zu Minute immer merkwürdiger vor.

Riley fragte: „Haben Sie eine Vermutung, welche Art Waffe möglicherweise benutzt wurde?“

Bevor Tyler antworten konnte, japste Ann Marie.

„Oh, schauen Sie sich das an!“, sagte sie.

Nun machte sie Fotos von Markierungen auf dem Kostüm.

Tyler sagte: „Ja, die sind wirklich komisch. Schauen Sie mal hier.“

Er zeigte Riley und Ann Marie eine andere Stelle, an der er das Kostüm zerschnitten hatte, um einen besseren Blick auf die Leiche werfen zu können. Dort konnte man sehen, dass die Markierungen auf dem Kostüm mit Einkerbungen auf dem Körper übereinstimmten. Es sah so aus, als wäre der Körper mit etwas Schwerem und Hammerähnlichem geschlagen worden.

Was Riley besonders auffiel, was die komische Form der Markierungen. Sie hatten eine Art Birnenform, waren jedoch in der Mitte geteilt. Bevor Riley in der Lage war zu überlegen, an was genau sie das erinnerte, meldete Ann Marie sich zu Wort.

„Sie sehen aus die Hufabdrücke.“

„Das finde ich auch“, sagte Tyler.

Riley spürte einen Stich der Verwirrung.

Sie fragte: „Wollen Sie sagen, dass die Frau von irgendeinem Paarhufer zu Tode getrampelt wurde?“

Tyler schüttelte den Kopf. „Ich will noch gar nichts sagen. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob diese Abdrücke vor oder nach der Wunde in der Brust entstanden sind. Aber meine Vermutung ist, dass sie erst nachher dazukamen, nachdem das Opfer bereits erstochen worden war.“

Ann Marie japste erneut.

Sie sagte: „Und das Objekt, das sie erstochen hat, hat die Form eines Horns! Als wäre sie aufgespießt worden!“

„So sieht es aus“, sagte Tyler.

Riley konnte kaum glauben, was sie da hörte.

Sie sagte: „Wollen Sie sagen, dass diese Frau von irgendeinem großen Tier aufgespießt worden ist, welches dann auf ihrem Körper rumgetrampelt ist?“

Tyler zuckte mit den Schultern: „Wie schon gesagt, noch will ich gar nichts sagen.“

Ann Marie fragte: „Aber von welchem Tier reden wir möglicherweise?“

Sheriff Wightman meldete sich mit einer überraschenden Note der Sicherheit in der Stimme.

„Von einer Ziege.“

Riley schaute zum Sheriff. Sie konnte seinem Gesichtsausdruck ansehen, dass er das, was er soeben gesagt hatte, ernst meinte.

„Ich verstehe nicht“, sagte Riley.

„Ich auch nicht“, sagte Wightman. „Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass weitere Leute zu Tode kommen werden, wenn wir dem hier nicht ein Ende setzen. Ich zeige Ihnen wieso, wenn wir auf dem Revier sind. Ich hoffe, dass er für Sie von der Verhaltensanalyse irgendeinen Sinn ergeben wird. Meinen Sie Tyler und sein Team können die Leiche jetzt abtransportieren?“

„Ja, das ist in Ordnung“, sagte Riley.

Als Tyler begann seinem Team Anweisungen zu geben, sagte Wightman zu Riley und Ann Marie: „Lassen Sie uns zum Revier fahren. Sie können mir mit ihrem Auto folgen. Wenn wir dort angekommen sind, gebe ich Ihnen einen kompletten Bericht darüber, was wir bisher wissen.“

Riley war ganz verwirrt, als sie und Ann Marie zurück zu ihrem Auto liefen. Dieser Mord war merkwürdiger, als sie sich hätte vorstellen können – zu merkwürdig, vermutete sie, dass die örtliche Polizei alleine damit fertig werden könnte.

Würde sich das alles hier doch als echter Fall für das FBI herausstellen?

Während sie und ihre neue Partnerin ins Auto stiegen und begannen dem Wagen des Sheriffs zu folgen, begann etwas anderes Riley zu beschäftigen – Ann Maries Verhalten am Tatort. Es hatte den Eindruck gemacht, als hätte der Gerichtsmediziner mehr über Ann Marie gewusst, als Riley es tat. Das musste sich ändern.

Riley versuchte sich zu überlegen, wie sie das Thema taktvoll ansprechen könnte. Aber ihre Ungeduld übermannte sie und als sie sich an Ann Marie wandte, platzte es ihr einfach heraus: „Wer bist du eigentlich?“




KAPITEL SECHS


Als diese vier herausgeplatzten Worte durch das Auto hallten, bereute Riley sofort die Direktheit ihrer Frage.

„Wer bist du eigentlich?“

Anne Marie starrte sie überrascht an. Die Neue versuchte zu verstehen, was Riley fragen wollte.

Riley stammelte: „Was ich damit meine… Du weißt gut über Leichen Bescheid… und der Gerichtsmediziner schien zu wissen, wer du bist… und…“

Ann Marie lächelte.

„Ach, das“, sagte sie. „Ja, ich nehme an, ich muss einen, Sie wissen schon, etwas makabren Eindruck gemacht haben vorhin. Naja, ich bin mit Leichen aufgewachsen.“

„Hä?“, sagte Riley.

„Mein Vater hat ein Bestattungsunternehmen in Georgetown – Esmer’s Bestattungssinstitut.“

Dann lachte sie und fügte hinzu: „Es ist ein blühendes Geschäft, glauben Sie mir. Reiche Leute sterben genauso wie alle anderen. Wer hätte es gedacht, was? Jedenfalls hat Dad einen wirklich guten professionellen Ruf in dieser Gegend, daher wissen sogar viele Forensiker wer er ist. Deshalb hat der Gerichtsmediziner meinen Namen erkannt.“

Riley versuchte ihren Blick auf der Straße und den Autos, denen sie folgte, zu halten. Aber sie konnte nicht anders, als zu Ann Marie rüber zu spähen und zu versuchen, sie sich als Kind vorzustellen – vielleicht sogar als Baby – das in einem Bestattungsunternehmen umherlief. Was für Dinge hatte diese unbefangene junge Frau bereits in ihrem Leben gesehen? Hatte sie vielleicht sogar dabei zugeschaut, wie ihr Vater Einbalsamierungen durchführte? Und wenn ja, wie jung war sie beim ersten Mal gewesen?

Als würde sie auf ihre stumme Frage antworten, sagte Ann Marie: „Ich nehme an, ich kenne das Geschäft in und auswendig. Deshalb ist Dad immer noch unglücklich darüber, dass ich mich für eine Polizeilaufbahn entschieden habe. ‚Da kann man nichts verdienen‘, sagte er mir immer wieder. Was er wirklich meint ist, dass er immer wollte, dass ich eines Tages das Familienunternehmen übernehme.“

Ann Marie zuckte mit den Schultern und sagte: „Und ich dachte eine lange Zeit, dass ich das in Ordnung fände – bis ich diesen Mordfall gelöst habe und in das FBI Honors Praktikumsprogramm rekrutiert wurde. Jetzt brenne ich für dieses Geschäft.“

Geschäft? dachte Riley.

Sie hatte nie in all diesen Jahren das, womit sie sich beschäftigte, als „Geschäft“ angesehen.

Nun wuchs Rileys Neugierde. Es schien eine Menge an dieser Kleinen zu geben, das sie nicht wusste.

Sie sagte: „Erzähl mir von dem Fall, den du gelöst hast.“

Ann Marie lachte bescheiden.

„Ach, das war gar nichts“, sagte sie. „Es würde Sie langweilen, ich bin mir sicher.“

Das bezweifle ich, dachte Riley.

Aber jetzt war nicht die Zeit für eine Geschichte. Der Sheriff fuhr auf den Parkplatz des Polizeireviert ein, also folgte Riley ihm und parkte in der Nähe seines Wagens. Sie und Ann Marie stiegen aus ihrem Auto und gingen mit dem Sheriff zum Revier.

Das Polizeirevier hauste in einem großen, schönen Kolonialgebäude. Als sie eintraten, sah Riley, dass der Ort frisch renoviert war und sehr modern aussah. Riley war sich sicher, dass das Revier mit der letzten Technik ausgestattet war. Die Menschen im Gebäuden schienen auf ihre Arbeit konzentriert zu sein. Es machte auf jeden Fall den Eindruck, dass Sheriff Wightman eine kompetente Truppe unter sich hatte, nicht die Art primitiver örtlicher Ordnungskräfte, mit denen Riley und Bill es oftmals zu tun hatten.

Sie begann sich zu fragen, ob hier im eigntlich doch kein Bedarf am FBI bestand.

Zum einen hatte sie immer noch keine Ahnung, wieso der Sheriff meinte, dass sie es mit einer Serie zu tun haben könnten, und nicht bloß mit einem einmaligen Mord.

Während sie an den Schreibtischen der Angestellten vorbeiliefen, schien jedermann den Blick zu heben und Ann Marie anzulächeln, und diese erwiderte ihre Blicke und ihr Lächeln und winkte ein wenig.

Ich nehme an, jeder mag sie, dachte Riley sich.

Jeder, außer mir, anscheinend.

Was Riley störte war, dass das Mädchen zu wissen schien, dass sie gemocht wurde – und dass sie hübsch war. Sie sonnte sich augenscheinlich in all der Aufmerksamkeit, die sie von den Menschen um sie herum bekam. Das erschien Riley nicht gerade eine besonders professionelle Haltung für eine angehende Verhaltensanalyseagentin zu sein.

Riley und Ann Marie folgten Sheriff Wightman in einen großen Besprechungsraum, wo ein Ordner mit den Unterlagen zum Fall auf dem Tisch lag. Sie setzten sich alle und der Sheriff öffnete den Ordner und blätterte durch seine Inhalte.

„Ich nehme an, ich fange am besten am Anfang an“, sagte er. „Letztes Jahr, am Abend von Halloween, ist ein Mädchen verschwunden – die siebzehnjährige Allison Hillis.“

Wightman schob das Foto einer lächelnden Jugendlichen über den Tisch zu Riley und Ann Marie rüber. Obwohl sie nichts sagte, konnte Riley nicht anders, als das Bild mit dem Schädel der Leiche zu vergleichen, die vorhin aus der Erde gehoben worden war. Konnte es wirklich sein, dass das aus dieser gesunden jungen Frau geworden war?

Sie wusste, dass es gut sein könnte. Bestimmte Arten von Monstern liebten es den Jungen und Gutaussehenden nachzustellen.

Wightman fuhr fort: „Sie wurde zuletzt auf dem Weg zu einer Party gesehen, gekleidet in ein Skelettkostüm. Ihre Familie begann in dieser Nacht nach ihr zu suchen und rief am nächsten Morgen uns an. Ein paar weitere Tage vergingen ohne jede Spur von ihr und ihre Familie verfiel natürlich in Panik, genauso wie alle anderen, die sie gekannt hatten. Niemand sah Allison als die Art Jugendliche an, die einfach hätte davonlaufen können. Natürlich haben meine Leute und ich alles getan, um sie zu finden, aber ohne Erfolg.“

Er nahm ein Blatt Papier in die Hand und fügte hinzu: „Eine Woche später wurde diese Nachricht auf dem Revier hinterlassen.“

Er legte das Blatt vor Riley und Ann Marie auf den Tisch. Es war ein Brief, der aus ausgeschnittenen und aufgeklebten Buchstaben bestand, die auf ein weißes Blatt Papier geklebt waren. Dort stand:



IHR SUCHT NACH DEM MÄDCHEN, DAS ALS TOD VERKLEIDET IST?

VIEL GLÜCK.

NUN IST DER ZIEGENMANN AN DER REIHE

SEIN ZIEGENLIED ZU SINGEN.



„Sie können sich vorstellen, dass uns das wirklich hat aufhorchen lassen“, sagte Wightman.

Riley nickte und sagte: „‘Als Tod verkleidet‘ – das klingt auf jeden Fall wie Allisons Halloween Kostüm.“

„Genau“, sagte Wightman. „Um ehrlich zu sein hat es uns auch zu Tode erschreckt. Denn bei dem Brief war noch etwas.“

Er legte ein weiteres Blatt Papier aus – eine Fotokopie einer Karte mit einem kleinen roten Viereck drauf.

Wightman erklärte: „Das ist die Karte von Ironwood Park. Und die markierte Stelle zeigt den exakten Ort, an dem wir noch vor einigen Minuten waren.“

Wightman erschauderte bei der Erinnerung.

„Ich habe mehrere meiner Männer mit dorthin genommen und wir fanden einen Hügel Erde, der genauso wie ein frisches Grab aussah. Natürlich haben wir das Schlimmste erwartet. Wir waren uns sicher, dass wir Allisons Leiche auf dem Grund dieses Grabes finden würden. Aber wir schaufelten die ganze Erde aus, die in dieses Loch geschaufelt worden war – und dort war nichts.“

Wightman zuckte leicht mit den Schultern.

Er sagte: „Natürlich dachten wir es sein ein Streich – ein kranker Scherz auf Kosten der Polizei und auch auf Kosten der armen Familie von Allison. Während das Mädchen immer noch verschwunden war, musste irgendein Mistkerl sich gedacht haben, dass es witzig wäre uns hinauszuschicken, um leere Gruben umzugraben.“

Wightman seufzte entnervt.

„Tja, es ist fast ein ganzes Jahr vergangen“, sagte er. „Seitdem haben wir jeden Tag versucht herauszufinden, wohin Allison verschwunden ist. Was auch immer wir versuchten, wir haben keine Antworten finden können. Dann haben wir letzte Nacht einen weiteren Brief bekommen.“

Er schob ein weiteres Blatt Papier über den Tisch – eine weitere Nachricht, die aus ausgeschnittenen und aufgeklebten Buchstaben bestand:


SUCHT IHR IMMER NOCH NACH DEM MÄDCHEN, DIE ALS TOD VERKLEIDET IST?


NÄCHSTES MAL ERWARTET EUCH MEHR GLÜCK


DER ZIEGENMANN IST IMMER NOCH HUNGRIG


ER WIRD WIEDER MAHLEN UND SINGEN


IN DER NACHT VON HALLOWEEN

Dann zeigte der Sheriff ihnen noch ein Blatt – eine Karte, wie die vorherige, mit einem roten Viereck am selben Fleck.

„Das war im Brief enthalten“, sagte der Sheriff und zeigte mit dem Finger auf die Karte. „Naja, natürlich haben wir das erneut als grausamen Scherz angesehen. Ich hatte schon halb vor es komplett zu ignorieren. Aber das konnte ich nicht tun – nicht, wenn es die geringste Hoffnung gab, Allison zu finden.“

Der Sheriff lehnte sich zu Riley und Ann Marie rüber.

Er sagte: „Also sind ein paar meiner Jungs und ich gestern spät am Abend mit Schaufeln und Taschenlampen wieder dorthin gefahren. Als wir zu dem Ort kamen, war dort nichts frisch umgegraben wie damals. Es sah so aus, als hätte ihn seit langem niemand mehr angerührt, vielleicht seitdem wir damals vor einem Jahr die Grube wieder aufgefüllt hatten. Aber ich habe meinen Jungs trotzdem gesagt, dass sie dort graben sollen.“

„Und dann haben Sie sie gefunden“, sagte Riley.

Wightman nickte. „Irgendwer muss sie dort irgendwann im Laufe des Jahres vergraben haben, ohne dass es irgendjemand mitbekam. Ich wünschte, wir hätten daran gedacht, den Ort beobachten zu lassen. Aber wie hätten wir irgendetwas dergleichen erwarten sollen?“

„Sie hatten keinen Grund anzunehmen, dass es sich um etwas anderes, als einen Streich gehandelt hatte“, stimmte Riley ihm zu.

„Aber diese ganze Sache war merkwürdiger, als ich mir jemals hätte vorstellen können“, antwortete Wightman. „Ich wusste, dass ich einige Möglichkeiten außer Acht gelassen hatte und ich könnte weitere außer Acht lassen. Also haben ich meinen Jungs heute Morgen gesagt, sie sollen den Tatort überwachen und habe die Verhaltensanalyse um Hilfe gebeten. Wir haben nicht einmal eine zeitliche Abfolge Aufstellen können, wann Allison tatsächlich hätte ermordet werden können und wie bald darauf sie vergraben wurde.“

Ann Marie meldete sich zu Wort.

„Naja, der Gerichtsmediziner stimmt mir zu, dass die Leiche einige Zeit lang eingefroren war, bevor sie vergraben wurde.“

Wightman bemerkte: „Wenn die Leiche also eingefroren wurde, wird das einen erheblichen Einfluss darauf haben, was er uns zum Todeszeitpunkt sagen können wird.“

Ann Marie nickte und fügte hinzu: „Vielleicht kann er eine genauere Zeitangabe hinbekommen, wenn er die Autopsie durchgeführt hat. Aber ich bezweifele, dass er ganz genau sagen können wird, wann sie umgebracht worden ist. Vielleicht ist sie kurz nach ihrem Verschwinden gestorben. Oder vielleicht einige Zeit danach. Vielleicht wurde sie eine Weile lang gefangen gehalten.“

Es war komisch für Riley zu hören, dass das Mädchen wie eine forensische Spezialistin redete.

Was für weitere Überraschungen hat sie noch im Ärmel? fragte sie sich.

Wightman seufzte und sagte: „Ich weiß nur, dass ich krank vor Sorge bin, was als Nächstes geschehen wird. Der neue Brief besagt, dass der Ziegenmann erneut ‚mahlen und singen wird in der Nacht auf Halloween‘. Das ist übermorgen.“

Rileys Kopf brummte vor Fragen. Sie sagte zum Sheriff: „Haben Sie irgendeine Ahnung was ‚Ziegenmann‘ bedeutet?“

Die Lippen des Sheriffs krümmten sich zu einer Grimasse.

„Das tue ich tatsächlich“, sagte er. „Der Ziegenmann ist in Maryland eine urbane Legende. Laut der verbreitetsten Version hat ein verrückter Wissenschaftler, der an Ziegen rumexperimentiert hat, sich ausversehen in eine hybride Kreatur verwandelt – halb Mensch, halb Ziege. Es wird erzählt, dass er auf dem Land sein Unwesen treibt, hungrig nach menschlichem Blut.“

Der Sheriff trommelte mit den Fingern auf dem Tisch und fügte hinzu: „Die Ziegenmannlegende stammt ursprünglich nicht einmal aus diesem Teil Marylands. Ihm wird nachgesagt in der Nähe von Beltsville entlang der Fletchertown Landstraße umherzustreifen. Aber solche Geschichten verbreiten sich. Ich habe auch von Ziegenmann ‚Sichtungen‘ an anderen Orten des Staates gehört.“

Die ganze Sache begann einen merkwürdigen, kranken Sinn für Riley zu ergeben. Sie dachte an die Leiche am Tatort.

Sie sagte: „Die Leiche wies Hufabdrücke auf, wie die von einer Ziege.“

Ann Marie fügte hinzu: „Und die Wunde, die zum Tod geführt hat, sah aus, als würde sie von einem tierischen Horn stammen. Aber Ziegen sind Pflanzenfresser, oder nicht? Und sie sind eigentlich irgendwie süß.“

„Es ist nur eine Legende“, grunzte Wightman. „Ich nehme nicht an, dass irgendjemand von uns hier glaubt, dass Allison von einer Ziege aufgespießt wurde, die sie dann zertrampelt hat – noch weniger, dass sie von irgendeinem halb-menschlichen halb-Ziegenwegen ermordet worden ist. Aber wer auch immer sie ermordet hat, wollte, dass es so aussieht.“

Riley nickte und sagte: „Und er würde es lieben, wenn die Öffentlichkeit beginnt an den Ziegenmann zu glauben – und daran, dass er ‚hungrig‘ ist, wie es im Brief steht. Sind diese Briefe öffentlich bekannt?“

Wightman schüttelte den Kopf.

„Die einzigen, die davon wissen sind ich und die Jungs, die beim Ausgraben dabei waren. Selbst nachdem wir den ersten Brief erhalten haben, habe ich die Kerle schwören lassen, dass sie es geheim halten. Damals hatte ich dem Mistkerl, der den Brief geschickt hatte, nicht die öffentliche Anerkennung geben, die er offensichtlich suchte.“

„Das war eine kluge Entscheidung“, sagte Riley. „Versuchen Sie die Dinge so beizubehalten. Ich nehme an, dass es bereits bekannt geworden ist, dass Allison Hillis ermordet wurde. Aber die Details müssen wir so lange wie möglich geheim halten. Die ganze ‚Ziegenmann‘ Komponente könnte es sehr viel schwieriger machen den Fall zu lösen, wenn sie die Öffentlichkeit in Aufruhr versetzt. Dann könnte es zu einem wahren Zirkus werden.“

Riley dachte einen Moment lang schweigend nach, während sie auf die beiden Briefe starrte.

Sie war sich einer Sache sicher – dass Wightman recht gehabt hatte, als er die Verhaltensanalyseeinheit angefragt hatte. Ob sie es nun mit einem Serienmörder zu tun hatten oder nicht, sie hatten es auf jeden Fall mit einem unikalen Fall eines Psychopathen zu tun.

Dann fragte Riley Wightman: „Hat der Ausdruck ‚Ziegenlied‘ für sie irgendeine Bedeutung?“

Wightman zuckte mit den Schultern: „Das ist nur ein Teil der Legende, nehme ich an. Ich habe selbst nie davon gehört. Aber Sie wissen wie es ist mit diesen Wandermärchen ist. Es gibt allerlei Varianten und Unterschiede. Vielleicht soll in irgendeiner dieser Versionen der Ziegenmann auch noch singen.“

Riley wusste, dass er womöglich recht hatte. Trotzdem hatte sie die Vermutung, dass der Ausdruck irgendeine Bedeutung hatte, die sie lieber nicht übersehen sollten.

Wightman sagte: „Was mich gerade am meisten besorgt, ist die Anspielung auf Halloween. Meinen Sie der Mörder könnte versuchen übermorgen Abend jemanden zu entführen?“

„Ich weiß es nicht“, sagte Riley. „Und ich will keine Panik anstiften, indem wir jetzt schon eine Warnung rausschicken. Wenn wir uns ranmachen und unsere Arbeit erledigen, könnten wir den Mörder vorher schnappen.“

„Was machen wir als Nächstes?“, fragte Wightman.

Riley hielt inne und dachte einen weiteren Moment nach. Dann fragte sie: „Lebt Allison Hillis‘ Familie hier in Winneway?“

Sheriff Wightman nickte.

Riley sagte: „Ich würde ihnen gerne einen Besuch abstatten und einige Fragen stellen.“

Wightman seufzte und sagte: „Agentin Paige, ich weiß nicht, ob das zum jetzigen Zeitpunkt so eine gute Idee ist.“

„Wieso nicht?“, fragte Riley.

„Wie Sie sich vorstellen können, ist es die reine Hölle für Allisons Eltern gewesen, seitdem sie verschwunden ist. Sie haben nie die Hoffnung aufgegeben, dass ihre Tochter irgendwann lebendig und wohlauf wieder auftauchen würde. Ich habe ein paar meiner Leute heute Morgen zu ihnen nach Hause geschickt, um ihnen von der Leiche zu berichten, die wir gefunden haben.“

„Wie haben sie es verkraftet?“, fragte Riley.

„Allisons Vater, Brady, war nicht zuhause. Er ist in London auf einer Geschäftsreise. Aber meine Männer haben mit ihrer Mutter, Lauren, gesprochen. Sie haben mir gesagt, dass sie es komplett verleugnet.  Sie sagte immer wieder, dass die Leiche nicht ihre Tochter sein könnte, dass es jemand anderes sein muss, der das Kostüm trägt, das sie an dem Abend anhatte.“

Wightman zuckte erneut mit den Schultern: „Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass es Allison ist. Aber ich kann es noch nicht beweisen. Wir könnten Lauren in die Gerichtsmedizin bringen und schauen, ob sie die Leiche identifizieren kann – obwohl ich mir nicht sicher bin, dass sie es könnte, wenn man den Zustand der Überreste bedenkt. Ich würde lieber abwarten, bis Tyler die Identität des Mädchens per DNA Test verifizieren kann. Dann wird Lauren die Wahrheit vielleicht akzeptieren. In der Zwischenzeit würde ich sie lieber nicht belästigen.“

Riley runzelte nachdenklich die Stirn.

Sie sagte: „Sheriff Wightman, ich schätze Ihre Besorgnis. Aber ich will so bald wie möglich in Bewegung kommen, und soweit ich das einschätzen kann, ist der erste Schritt mit der Mutter zu sprechen. Ich würde gerne sofort zu ihr fahren.“

Wightman nickte zögerlich.

„Ich rufe Lauren an und sage Bescheid, dass wir auf dem Weg sind“, sagte er.

Im selben Moment, in dem er sein Handy rausholte, klingelte Rileys eigenes Handy. Sie sah, dass der Anruf von Bill kam. Sie wollte beinahe im selben Moment rangehen, entschloss sich aber schnell einen Ort zu finden, wo sie mehr Privatsphäre hatte. Sie trat aus dem Konferenzraum in den leeren Flur hinaus.

Bills Stimme klang aufgeregt, als sie den Anruf beantwortete.

„Riley, rede mit mir. Ich werde hier verrückt. Meredith hält mich im Gebäude eingesperrt und ich soll Recherchearbeit machen, aber ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen soll. Sag mir, was bei euch passiert.“

Riley führte Bill kurz ein. Sie gab einige Details wieder, als sie Sheriff Wightmans Erzählung von dem, was seit Allison Hillis‘ Verschwinden passiert war, wiedergab, einschließlich der Inhalte der zwei Briefe. Sie erzählte ihm auch vom Zustand der Leiche.

„Eingefroren, was?“, sagte Bill. „Klingt so, als sollte ich vielleicht nach großen Gefrierschränken suchen – solchen, die in Restaurants, Lebensmittelgeschäften und anderen solchen Geschäften zu finden sind. Vielleicht hat jemand in der Gegend vor Kurzem so etwas gekauft. Ich kann die örtlichen Käufe und Verkäufe durchsuchen.“

Riley stimmte zu. Es klang weit hergeholt, doch zumindest hatte Bill einen Anfangspunkt.

„Sonst irgendetwas?“, sagte Bill.

Riley dachte einen Moment lang nach. Irgendetwas an diesen Briefen hatte sie gestört.

Sie sagte: „Versuch herauszufinden, ob der Begriff ‚Ziegenlied‘ irgendeine besondere Bedeutung hat. Vielleicht ist er bloß Teil der Ziegenmann Legende. Aber ich habe das Gefühl, dass da mehr dran ist.“

„Ich mach mich dran“, sagte Bill.

Dann schwiegen sie.

Hier sollten wir den Anruf eigentlich beenden, dachte sie. Aber es schien so, als wäre keiner von ihnen beiden bereit dazu, das zu tun.

Schließlich sprach Bill das aus, was sie beide sich dachten.

„Das hier ist komisch.“

Riley lächelte.

„Ja, das ist es wirklich“, sagte sie.

Bill sagte: „Es gefällt mir wirklich überhaupt nicht auf der Reservebank zu sitzen, während du da draußen an einem neuen Fall arbeitest.“

„Ich weiß, Bill“, sagte Riley. „Und mir gefällt es nicht, ohne dich zu arbeiten. Aber wir müssen uns womöglich an so einige Veränderungen gewöhnen, jetzt wo…“

Sie verstummte, als sie sich fragte: Jetzt wo was?

Die Dinge wären nun ganz sicher sehr anders, wenn Meredith nicht angerufen und ihr Mittagessen unterbrochen hätte. In diesem Moment schien ihre ganze Beziehung bloß aus unbeantworteten Fragen zu bestehen.

„Wir haben einiges zu besprechen“, sagte Riley. „Aber nun ist nicht die Zeit.“

„Ich verstehe“, sagte Bill. „Vielleicht heute Abend.“

„Das wäre gut“, sagte Riley.

Ein weiteres Schweigen stellte sich ein.

Langsam wird es albern, dachte Riley.

Schließlich sagte sie: „Wir sprechen bald.“

„Genau“, sagte Bill.

Dann legten sie auf. Riley stand einen Moment lang da und starrte auf ihr Handy, während sie sich wünschte, dass Bill jetzt hier wäre.

Als sie zurück in den Konferenzraum eintrat, sah sie, dass Ann Marie Sheriff Wightman vollplapperte, während dieser zuhörte. Riley begriff schnell, dass Ann Marie den Sheriff mit Geschichten über die Bestattungsarbeit beglückte. Sheriff Wightman schien vollends fasziniert zuzuhören.

Riley ahnte, dass er weniger von den Geschichten selbst vereinnahmt war, als von der hübschen, jungen Frau, die sie erzählte.

„Wir müssen los“, sagte Riley zu den beiden.

Das Gespräch endete und Riley und ihre beiden Kollegen verließen das Gebäude.

Riley blickte immer wieder zu Ann Marie rüber, als die drei zu ihren Fahrzeugen gingen.

Alle mögen sie, dachte sie sich erneut.

Und sie mag es, gemocht zu werden.

Riley hatte die Eigenschaft gemocht zu werden noch nie als besonders nützlich für die Polizeiarbeit angesehen.

Sie dachte nicht, dass diese Partnerschaft besonders gut funktionieren würde.




KAPITEL SIEBEN


Die Reaktion der Neuen auf ihre Umgebung offenbarte Riley noch etwas über ihre junge Partnerin.

„Oh, was für eine hübsche Nachbarschaft!“, gurrte Ann Marie. „Da, wo ich aufgewachsen bin, sah es ganz genauso aus!“

Riley fuhr ihr Auto hinter Sheriff Wightmans Wagen, als sie ihm in die Gegend, die Aurora Groves genannt wurde, folgte. Alles hier sah teuer aus, genau wie der Rest von Winneway. Es war keine geschlossene Wohnanlage, aber die Siedlung war gut durchdacht und hatte kurvige Straßen, die den Verkehr gering halten sollten. Zwischen den riesigen Rasenflächen konnte man Teiche und Wiesen und Gärten sehen.

Wenn Ann Marie aus einer Nachbarschaft wie dieser stammte, sagte das für Riley etwas ganz Bestimmtes aus.

Ihre Familie ist ziemlich reich.

Natürlich war Riley nicht wirklich überrascht. Ann Marie war ihr seit ihrer Begegnung ziemlich wohlhabend vorgekommen.

Während Riley weiter dem Sheriff folgte, holte Ann Marie ihr Handy raus und suchte nach Informationen über die Siedlung, die sie freudig verkündete.

„Aurora Groves ist sehr viel jünger, als der Rest von Winneway. Schauen Sie, einige der Häuser stehen immer noch zum Verkauf aus. Einige davon kann man für nur etwas mehr als fünfhundert tausend kaufen, obwohl andere näher an die Million ranreichen.“

Ann Marie nickte anerkennend.

„Das hier ist nicht die reichste Nachbarschaft in der Gegend. Aber mir gefallen Häuser, wie diese hier, sehr viel mehr, als echte Villas. Villas erwecken bei mit immer den Eindruck von Einsamkeit. Ich bin froh, dass ich in einer bescheideneren Gegend, wie dieser hier, aufgewachsen bin.“

Bescheidener? dachte Riley.

Die Gegend machte ganz bestimmt keinen „bescheidenen“ Eindruck auf sie. Die Häuser waren für ihren Geschmack viel zu groß und sie fand nicht einmal, dass sie besonders schön waren.

Viele der Häuser, die sie im Rest von Winneway gesehen hatten, waren authentisch und historisch gewesen, selbst wenn sie von anachronistischen Details wie Swimmingpools überlagert wurden. Diese Häuser hier waren pseudo-traditionell, und sie gefielen Riley nicht. Aber scheinbar fühlte sich Ann Marie wie zuhause in dieser Umgebung.

Zumindest weiß sie, wie man Onlinerecherche betreibt, sagte Riley sich.

Nicht, dass das, was Ann Marie herausgefunden hatte, Riley in diesem Augenblick besonders relevant vorkam.

Als Sheriff Wightman einrenkte und vor einem Haus hielt, parkte Riley direkt hinter seinem Wagen. Wie andere Häuser in der Straße hatte dieses hier eine große Veranda, schmale Fensterläden entlang breiter Fenster und ganz viele Giebel. Riley und Ann Marie folgten dem Sheriff zur Eingangstür. Als sie klingelten, wurden sie von einem wohlgekleideten, konventionell gutaussehenden Mann in etwa Rileys Alter begrüßt.

Sheriff Wightman stellte ihn als Allisons Onkel, Walker Danson, vor.

Der Sheriff fügte zügig hinzu: „Staatssenator Walker Danson.“

Wightman fügte den Titel an, als würde er vom königlichen Adel sprechen.

Danson gab Riley und Ann Marie die Hand.

„Ich bin Laurens Bruder“, sagte er. „Ihr Ehemann, Brady, ist in London, daher bin ich seit diesem Morgen hier, um ihr Gesellschaft zu leisten. Sie ist sehr bestürzt über diese jüngste Entwicklung. Ich hoffe, dass Sie sie nicht weiter aufregen werden.“

Er sagte das so, als wäre es ein Befehl und keine Bitte. Riley antwortete natürlich nichts. Sie bezweifelte sehr, dass diese Befragung Lauren Hillis irgendeine Erleichterung bringen würde.

Während Danson sie durchs Haus führte, stoppte er plötzlich und sagte etwas zu Riley und Ann Marie.

„Ich habe es so verstanden, dass Sie von der Verhaltensanalyse sind.“

Riley nickte.

Danson neigte den Kopf zur Seite und sagte: „Kennen Sie zufälligerweise Carl Walder?“

Riley versuchte beim Erwähnen dieses Namens nicht zusammenzuzucken.

„Ja“, sagte sie. „Er ist der… leitende Spezialagent der Verhaltensanalyseeinheit.“

„Ja, ich weiß“, sagte Danson.

Danson stand einen Moment lang da und schaute sie mit einer unlesbaren Miene an.

Riley fragte ihn: „Kennen Sie ihn?“

„Tatsächlich, das tue ich“, sagte Danson.

Riley lief es kalt den Rücken runter von der Art und Weise, wie er das sagte.

Ohne eine weitere Bemerkung führte Danson Riley und ihre zwei Kollegen ins Innere des Hauses. Riley fühlte sich nun offenkundig ungemütlich. Hatte dieser Marylander Politiker irgendeine persönliche Beziehung mit ihrem Erzfeind an der Verhaltensanalyseeinheit? Riley konnte nur hoffen, dass er keine Probleme machen würde.

Walder liebte es damit anzugeben, dass er hochrangige Freunde hatte und einige dieser Freunde hatten Riley in der Vergangenheit bereits Kopfschmerzen bereitet. Das Letzte was sie jetzt gebrauchen konnte war irgendein ranghoher Familienverwandter, der sich direkt bei Walder über ihre Arbeit beschwerte.

Der Eingangsflur führte in ein offenes, durch und durch modernes Interieur, eine durchgehend offene Fläche, die von einem Bereich in den anderen überging.

Sie kamen bald schon in einem großen Wohnzimmer mit hohen Decken an. Die Wände waren strahlend weiß und der blasse Holzboden war auch beinahe weiß. Farbakzente von den Kissen auf den Möbeln passten farblich zu den Tönen der abstrakten Kunst an den Wänden.

Direkt in der Mitte des Raumes auf einem Sofa befand sich eine Frau, die in einfache, gedämpfte Farben gekleidet war, die in Kontrast zum Rest des Raumes standen. Danson stellte sie als seine Schwester und Allisons Mutter, Lauren Hillis, vor.

Ihre Augen leuchteten auf.

Sie sagte zu Riley und Ann Marie: „Oh, Sie sind die FBI Leute, von denen Walker gesprochen hatte. Ich bin so erleichtert Sie zu sehen. Heute war ein schrecklicher Tag.“

Sie wandte sich mit einem zornigen Gesichtsausdruck an Sheriff Wightman.

„Emory, ich kann es nicht glauben, wie schrecklich deine Polizisten waren, als sie heute morgen mit den Neuigkeiten kamen. Sie haben versucht mich davon zu überzeugen, dass sie Allisons Leiche gefunden haben. Das ist lächerlich und das weißt du auch.“

Wightman sah getroffen aus.

Er begann etwa: „Lauren, es tut mir leid, aber –“

Lauren unterbrach ihn: „Nun versuch bloß nicht auch du noch mich davon zu überzeugen. Ich weiß, dass die Leiche, die gefunden wurde, ein Skelett Kostüm trug. Aber das bedeutet überhaupt gar nichts. Allison hat dieses Outfit in einem Kostümgeschäft gekauft, alle möglichen Leute kaufen dort ein. So ein Kostüm hätte jeder kaufen können.“

Ihr finsterer Blick wurde noch intensiver, als sie hinzufügte: „Und die Polizisten, die heute morgen da waren, haben mir gesagt, dass die Leiche eine lange Zeit vergraben war. Dass sie nicht sicher identifiziert werden konnte. Wie kann das sein? Sie muss in einem schrecklichen Zustand der Verwesung sein. Emory, du hast die Leiche gesehen. Kannst du ehrlich sagen, dass sie Allison auch nur irgendwie ähnlich sah?“

Sie ließ dem Sheriff keine Chance darauf zu antworten und wandte sich erneut an Riley und Ann Marie.

„Sie beiden sind FBI Leute. Ich habe schon diese ganz Zeit über versucht Emory dazu zu bringen, die föderalen Behörden hierher zu rufen. Sie verstehen, wovon ich spreche. Sie sind Experten in diesen Dingen. Sie wissen es besser, als einfach zu falschen Schlüssen zu springen.“

Sie nickte entschlossen zu Riley und ihrer neuen Partnerin.

„Nun, ich will, dass sie beiden sich sofort an die Arbeit machen und tun, was Emory und seine – seine Amateure nicht in der Lage waren bereits seit einem Jahr zu vollbringen. Finden sie meine Tochter. Sie ist am Leben, ich spüre es in meinen Knochen und eine Mutter weiß solche Sachen. Meine eigene Vermutung ist, dass sie Amnesie hat, sich nicht daran erinnern kann, wer sie ist. Sie muss sich schrecklich verloren fühlen. Aber ich bin mir sicher, dass Sie sie im Nu finden können. Ich zähle darauf.“

Ein unangenehmes Schweigen fiel über den Raum. Sheriff Wightman trat von einem Fuß auf den anderen und schaute zu Boden.

Es war ein Fehler hierher zu kommen, dachte Riley.

Sie dachte daran, dass Wightman ihr auf dem Revier gesagt hatte, dass Lauren Hillis in tiefer Verleugnung der Tatsachen war.

Ich hätte auf ihn hören sollen, dachte sie.

Aber das hier war viel schlimmer, als sie hätte erwarten können. Die arme Frau hatte ein ganzes Jahr damit verbracht zu hoffen und zu trauern, zu versuchen, das Schlimmste zu akzeptieren und doch zugleich auf gute Nachrichten zu warten, und das alles auf einmal. Verwirrung und Trauma hatten ihr offensichtlich schrecklich zugesetzt. Riley spürte, dass sie wohl nicht mehr ganz bei sich war.

Mit ruhiger Stimme sagte ihr Bruder: „Vielleicht würden Sie drei sich gerne setzen.“

Riley wollte nein sagen, sagen dass sie und ihre Kollegen gehen müssten und mit ihrer Arbeit fortfahren. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Lauren klare, zusammenhängende Antworten auf irgendwelche Fragen geben könnte. Selbst schon diese zu stellen würde sicherlich eine Bedrängung und eine Zeitverschwendung darstellen. Doch abrupt zu gehen schien auch keine Option zu sein.

Das wäre zu unmenschlich, dachte sie.

Riley und der Sheriff setzten sich auf ein paar Stühle, die vor der Couch standen. Riley war überrascht, als Ann Marie sich auf die Couch direkt neben Lauren setzte.

Sie war noch erstaunter, als Ann Marie die Hand der Frau nahm.

Nein! dachte sie.

Das war absolut unangemessen. Wusste das Mädchen nicht, dass man keinen solch intimen Kontakt herstellte, wenn man eine Befragung durchführte? Riley befürchtete eine bevorstehende emotionale Katastrophe.

Dann schnurrte Ann Marie mit leiser, sanfter Stimme.

„Ms. Hillis, es tut uns schrecklich leid, wie schwer das alles für Sie gewesen ist.“

Ann Maries Ton schien einen sofortigen Beruhigungseffekt auf die Frau zu haben.

„Sie haben keine Ahnung“, sagte Lauren Hillis.

„Nein, natürlich nicht“, sagte Ann Marie, während sie weiterhin Laurens Hand hielt. „Niemand außer Ihnen kann auch nur annähernd wissen, was Sie durchmachen.“

Dann saßen sie und die Frau einen Moment lang da und schauten einander an. Riley begriff sofort, was ihre Juniorpartnerin machte.

Sie verhält sich, wie eine Bestatterin.

Sie hatte zweifelsohne viele Male dabei zugesehen, wie ihr Vater Trauernde in den verschiedensten Stadien der Verzweiflung getröstet hatte. Doch diese Erkenntnis gab Riley keinesfalls ein besseres Gefühl.

Wir sind FBI Agenten, keine Bestatter.

Das hier ist absolut verrückt.

Sie wollte Ann Marie von der Frau wegreißen, aus dem Haus zerren und ihr einen zornigen Vortrag über professionelles Verhalten abhalten. Doch das konnte sie nicht tun – nicht in diesem Moment, nicht ohne alles noch schlimmer zu machen. Sie musste bloß hoffen, dass die Situation sich nicht genauso entwickeln würde, wie sie befürchtete.

Mit einer warmen, leisen Stimme sagte Ann Marie: „Ms. Hillis, ich möchte Sie um etwas bitten. Wäre das in Ordnung?“

Lauren nickte.

Ann Marie ließ die Hand der Frau los, holte ihr Handy raus und begann mit ihrem Finger darauf rumzuwischen.

Was macht sie jetzt? fragte Riley sich.

Dann sagte Ann Marie: „Ich habe dieses Foto heute Morgen am Tatort gemacht. Hatte Ihre Tochter ein Muttermal auf ihrer rechten Wange. Eins wie dieses?“

Ann Marie zeigte ihr das Foto auf ihrem Handybildschirm. Laurens Augen wurden groß und sie wurde etwas blasser. Dann ließ sie einen langen, komischen Seufzer der Überraschung aus, der irgendwie gleichzeitig entsetzt und erleichtert klang.

Sie schaute direkt in Ann Maries Augen.

„Das ist sie“, flüsterte sie. „Das ist sie wirklich.“

Ann Marie nickte und sagte: „Das haben wir befürchtet. Es tut mir leid.“

Zu Rileys Überraschung brach die Frau nicht in Tränen aus. Stattdessen schaute sie zum Sheriff, dann zu Riley und dann erneut zu Ann Marie. Sie sprach mit einer Stimme, die tiefen Ärger vermuten ließ.

„Sie müssen denjenigen finden, der ihr das angetan hat.“

Ann Marie nickte. „Das ist wozu meine Partnerin und ich hier sind. Wir wären wirklich dankbar für Ihre Hilfe.“

„Natürlich“, sagte Lauren.

Riley spürte ein Kribbeln von unerwartetem Optimismus. Lauren schien plötzlich viel klarer im Kopf zu sein, als sie es gewesen war.

Vielleicht hält das nicht lange an, dachte Riley.

Vielleicht ist die Wahrheit noch nicht ganz durchgesickert.

Doch in der Zwischenzeit konnte Lauren vielleicht einige ihrer Fragen beantworten.

Riley sagte: „Könnten Sie uns vom letzten Mal erzählen, dass Sie ihre Tochter gesehen haben?“

Lauren nickte.

“Es war ungefähr um halb neun am Abend von Halloween. Sie hatte gerade ihr Skelettkostüm angezogen und sie ist ins Wohnzimmer gekommen – genau hier – um es ihrem Vater und mir vorzuführen. Wir fanden es alle ziemlich lustig. Sie sagte dann, dass sie sich jetzt auf den Weg zur Party machen würde.“

„Zur Party?“, fragte Riley.

„Drüben bei Patsy Haley zuhause, im Hobbyraum ihrer Familie“, sagte Lauren. Patsy war eine Freundin von Allison und wir kennen ihre Familie seit Jahren. Sie haben jedes Jahr eine Halloween Party veranstaltet und Allison hat sich dort immer gut amüsiert.  Brady und ich waren uns sicher, dass alles gut sein würde.“

„Wie ist sie zur Party gekommen?“, fragte Riley.

„Sie ist gelaufen“, sagte Lauren. „Das Haus ist nur einige Blocks entfernt und unsere Straßen sind normalerweise sehr sicher.“

Lauren starrte einen Moment lang ins Leere und wiederholte: „Wir waren uns sicher, dass alles gut sein würde.“

Die Frau schwieg, doch Riley wusste, dass sie sie nicht mit den Fragen ködern brauchte.

Sie wird von sich aus reden.

Wie erwartet fuhr Lauren bald fort: „Dann, gegen neun Uhr dreißig, rief Patsy bei uns an. Sie bat Allison an den Apparat. Sie wollte wissen, wieso sie noch nicht auf der Party war. Sie lachte und sagte: ‚Ich rufe an, um ihr zu sagen, sie soll ihren Popo hierher bewegen.‘ Ich habe Patsy gesagt… dass Allison nicht hier war und…“

Lauren verstummte, dann sagte sie: „Da haben Brady und ich begonnen uns Sorgen zu machen.“

Ihre Miene verdüsterte sich, als sie Sheriff Wightman zornig anstarrte.

Sie sagte: „Da haben wir dich angerufen, Emory. Ich habe dir gesagt, dass Brady und ich nicht wussten, wo Allison war, obwohl sie auf der Party sein sollte und ich habe dich gebeten zu versuchen sie zu finden.“

Laurens Lippen verzogen sich vor Zorn.

Sie sagte zu Wightman mit einem leichten Knurren: „Du hast mir gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen. Du hast gesagt, es sei Halloween und Allison könnte allerorts sein. Teenager schmissen in ganz Winneway Partys, hast du gesagt. Allison könnte auf jeder davon sein, hast du gesagt.“

Der Sheriff sah getroffen aus.

„Lauren…“, sagte er.

Die Frau fuhr fort: „Ich habe dir gesagt, dass etwas nicht stimmte. Ich habe dir gesagt, dass es Allison einfach nicht ähnlichsah, irgendwo hinzugehen, ohne irgendjemandem Bescheid zu sagen. Und da wurdest du gereizt. ‚Es ist der Abend von Halloween‘, sagtest du. ‚Soll ich etwa irgendeinen Suchtrupp rausschicken? Meine Leute haben alle Hände voll zu tun mit Kindern, die Streiche spielen.‘“

Lauren wand sich vom Sheriff ab und fügte hinzu: „Du hast versprochen, dass alles in Ordnung sein würde. Erst als sie die ganze Nacht über verschwunden war, habt ihr begonnen nach ihr zu suchen. Und da war es bereits zu spät.“

Ein düsteres Schweigen folgte. Riley tat der Sheriff leid. Von dem, was Lauren sagte, hatte er offensichtlich nichts falsch gemacht. Freilich, Riley wusste, dass die meisten Sheriffs nicht einmal am nächsten Tag mit der Suche begonnen hätten. Es hätten Tage vergehen können, bevor sie die Situation ernst genommen hätten.

Endlich gab Lauren ein schluchzendes Geräusch von sich und begann zu weinen.

„Sie ist tot“, japste sie. „Sie ist wirklich tot.“

Ann Marie reichte Lauren ein Taschentuch. Dann nahm sie erneut Laurens Hand und streichelte sie vorsichtig.

Riley wusste, dass die Befragung hier vorbei war. Doch sie hatte sich nicht in die Katastrophe verwandelt, die sie befürchtet hatte. Obwohl die Angaben, die Lauren gemacht hatte der Polizei schon seit Langem vorliegen mussten, hatten sie den Ausgangspunkt von Rileys Ermittlungen bestätigt.

Riley erhob sich von ihrem Stuhl und sagte: „Ms. Hillis, wir danken Ihnen für Ihre Zeit und ihre Hilfe. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um denjenigen zu finden, der Ihrer Tochter das angetan hat.“

Lauren nickte schluchzend.

Ihr Bruder sagte: „Ich begleite Sie hinaus.“

Senator Danson führte Riley, Ann Marie und Sheriff Wightman zurück zur Eingangstür. Riley konnte sehen, dass seine Miene streng war, als er mit ihnen auf die Veranda hinaustrat.

Danson sprach zu Riley und ihrer Partnerin.

„Wie bald denken Sie werden Sie diesen Mörder schnappen?“, fragte er.

Riley war überrascht von dieser Frage. Sie klang überhaupt nicht wie eine Frage. Es klang so, als würde er erwarten, dass sie die Auffindung und Festnahme des Mörders präzise zeitlich festmachen könnten.

„Ich weiß es nicht“, sagte Riley. „Aber wir werden ihn finden.“

Danson verschränkte die Arme vor der Brust und sah alles andere als zufriedengestellt aus, sagte jedoch nichts mehr.

Als sie und ihre Kollegen von der Veranda herabgestiegen waren, blickte Riley auf die Nachbarschaft. Es wurde nun allmählich dunkel und die Rasenbeleuchtung begann anzugehen und Lichter auf die Häuser zu werfen. Sie konnte das grelle Orange einer Halloween Dekoration vor einem Haus auf der anderen Straßenseite ausmachen.

Halloween war beinahe hier. Würde der Mörder bald erneut zuschlagen? Wenn er das tat, würde es wieder in dieser selben schicken Nachbarschaftssiedlung sein?

Sie fragte Sheriff Wightman: „Ich nehme an, dass Sie die Gegend auf das Genauste durchsucht haben, nachdem Allison verschwunden ist.“

Wightman nickte und sagte: „Sie können es sich nicht vorstellen. Wir haben mindestens die Hälfte von Aurora Groves befragt. Niemand hatte irgendeine Ahnung, was mit ihr passiert sein könnte.“

Riley stand einen Moment lang da und dachte nach. Sie war sich sicher, dass Wightman und sein Team sorgfältige Arbeit geleistet hatten.

Dann sagte Riley: „Zeigen Sie mir den Weg, den Allison zum Haus ihrer Freundin gegangen wäre.“

Wightman seufzte müde.

„Einfacher gesagt als getan“, sagte er, als er mit dem Finger zeigte. „Die Haleys wohnen dort drüben, weniger als einen Kilometer von hier entfernt. Aber so wie die Straßen hier in Aurora Groves verlaufen und einander kreuzen, hätte sie auf mehreren Wegen dorthin kommen können. Niemand weiß, welchen Weg sie genau gewählt hat. Natürlich sind sie alle genau gleich, scheinbar sichere Fußwege durch die Nachbarschaft.“

Er ließ seinen Kopf hängen und sah erschöpft und entmutigt aus. „Es war ein Wahnsinnstag“, sagte er zu Riley und Ann Marie. „Wenn Sie nichts dagegen haben, mache ich für heute Schluss und fahre nach Hause.“

Riley nickte verständnisvoll. Nach dem wie Allisons Mutter mit ihm soeben geredet hatte, war Riley sich sicher, dass er emotional am Ende war.

Sie sagte zu ihm: „Meine Partnerin und ich werden uns noch eine Weile hier umschauen. Sagen Sie mir einfach die Adresse der Haleys. Außerdem könnten Sie uns vielleicht ein Motel empfehlen, in dem wir unterkommen könnten, solange wir hier sind.“

Wightman gab ihnen die Informationen, um die Riley gebeten hatte und ging zu seinem Einsatzwagen. Als sie und Ann Marie sich begannen vom Haus zu entfernen, schaute Riley sich um und sah Walker Danson immer noch auf der Veranda stehen. Er starrte ihnen mit verschränkten Armen nach.

Sein Anblick gefiel Riley nicht.

Schlimmer noch, es gefiel ihr nicht, dass er in irgendeiner Verbindung zu Carl Walder stand.

Würde Danson dem Chef der Verhaltensanalyse, einem Mann, der andauernd nach Gelegenheiten suchte Riley zu diskreditieren oder sie ganz loszuwerden, über ihren Progress oder dessen Ausbleiben berichten?

Das verheißt nichts Gutes, dachte sie.




KAPITEL ACHT


Als die zwei Agentinnen entlang einer sich windenden Straße gingen, die vom Haus der Hillis‘ wegführte, konnte Riley auf nichts von dem stolz sein, was sie heute erreicht hatten. Sie hatten soeben eine Mutter zurückgelassen, die den Tod ihrer Tochter betrauerte, ebenso wie einen Politiker, der ihren Ermittlungen wahrscheinlich Probleme bereiten würde. Im Fall selbst hatten sie noch keinerlei Fortschritte zu verzeichnen.





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"Ein Meisterwerk der Spannung! Die Autorin schafft es auf hervorragende Weise den Charakteren eine psychologische Seite zu geben, die so gut beschrieben ist, dass wir uns in ihre Köpfe versetzt fühlen und ihren Ängsten folgen und über ihren Erfolg jubeln können. Die Handlung ist sehr intelligent und wird Sie das ganze Buch hindurch unterhalten. Voller Wendungen wird Sie dieses Buch bis zur letzten Seite wach halten."

–Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (zu Verschwunden)

AUSERWÄHLT ist Band #17 der Riley Paige Bestsellerkrimireihe, die mit dem #1 Bestseller VERSCHWUNDEN (Band #1) beginnt – verfügbar als kostenloser Download mit über 1000 fünf-Sterne Rezensionen!

Ein Serienmörder schlägt jedes Halloween zu – die Leichen seiner Opfer tauchen erst Jahre später auf – und wenige Tage vor dem anstehenden Halloween liegt es an FBI Spezialagentin Riley Paige den Mörder aufzuhalten, bevor er erneut zuschlagen kann.

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FBI Spezialagentin Riley Paige muss gegen ihre eigenen Dämonen und ihr dysfunktionales Familienleben ankämpfen, während sie gegen die Zeit arbeitet um die Psyche eines diabolischen Mörders zu verstehen, nur Tage bevor er erneut zuschlagen wird – eines Mörders der brillanter als selbst sie sein könnte.

Kann sie ihn rechtzeitig aufhalten?

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