Книга - Der Golem / Голем

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Der Golem / Голем
Gustav Meyrink


Exklusive KlassikExklusive Klassik (Taschenbuch)
«Голем» – признанный шедевр экспрессионистской литературы, принесший австрийскому писателю Густаву Майринку мировую славу.

Написанный в жанре магического реализма, роман переносит читателя в загадочную Прагу, где главному герою стали являться удивительные сны. В них он проживает жизнь своего двойника Атанасиуса Перната – владельца шляпы, которую он по ошибке взял вместо своей. Существует ли Пернат в реальности, или он – всего лишь плод сновидения? А возможно, Пернат – человеческое воплощение глиняного монстра Голема, оживающего с помощью каббалистических заклятий раввина? Да и важно ли это, если, пробудившись ото сна, люди «делаются добычей нового сна, более глубокого, чем тот, из которого они только что вышли».

Книга издана в неадаптированной версии. Наслаждайтесь мистическим романом Густава Майринка в оригинале!

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Gustav Meyrink

Der Golem




* * *

© ООО «Издательство АСТ», 2023




Schlaf


Das Mondlicht fällt auf das Fußende meines Bettes und liegt dort wie ein großer, heller, flacher Stein.

Wenn der Vollmond in seiner Gestalt zu schrumpfen beginnt und seine rechte Seite fängt an zu verfallen, – wie ein Gesicht, das dem Alter entgegengeht, zuerst an einer Wange Falten zeigt und abmagert, – dann bemächtigt sich meiner um solche Zeit des Nachts eine trübe, qualvolle Unruhe.

Ich schlafe nicht und wache nicht, und im Halbtraum vermischt sich in meiner Seele Erlebtes mit Gelesenem und Gehörtem, wie Ströme von verschiedener Farbe und Klarheit zusammenfließen.

Ich hatte über das Leben des Buddha Gotama gelesen, ehe ich mich niedergelegt, und in tausend Spielarten zog der Satz immer wieder von vorne beginnend durch meinen Sinn:

«Eine Krähe flog zu einem Stein hin, der wie ein Stück Fett aussah, und dachte: vielleicht ist hier etwas Wohlschmeckendes. Da nun die Krähe dort nichts Wohlschmeckendes fand, flog sie fort. Wie die Krähe, die sich dem Stein genähert, so verlassen wir – wir, die Versucher, – den Asketen Gotama, da wir den Gefallen an ihm verloren haben».

Und das Bild von dem Stein, der aussah wie ein Stück Fett, wächst ins Ungeheuerliche in meinem Hirn:

Ich schreite durch ein ausgetrocknetes Flußbett und hebe glatte Kiesel auf.

Graublaue mit eingesprengtem glitzerndem Staub, über die ich nachgrüble und nachgrüble und doch mit ihnen nichts anzufangen weiß, – dann schwarze mit schwefelgelben Flecken wie die steingewordenen Versuche eines Kindes, plumpe, gesprenkelte Molche nachzubilden.

Und ich will sie weit von mir werfen, diese Kiesel, doch immer fallen sie mir aus der Hand, und ich kann sie aus dem Bereich meiner Augen nicht bannen.

Alle jene Steine, die je in meinem Leben eine Rolle gespielt, tauchen auf rings um mich her.

Manche quälen sich schwerfällig ab, sich aus dem Sande ans Licht emporzuarbeiten – wie große schieferfarbene Taschenkrebse, wenn die Flut zurückkommt, – und als wollten sie alles daransetzen, meine Blicke auf sich zu lenken, um mir Dinge von unendlicher Wichtigkeit zu sagen.

Andere – erschöpft – fallen kraftlos zurück in ihre Löcher und geben es auf, je zu Worte zu kommen.

Zuweilen fahre ich empor aus dem Dämmer dieser halben Träume und sehe für einen Augenblick wiederum den Mondschein auf dem gebauschten Fußende meiner Decke liegen wie einen großen, hellen, flachen Stein, um blind von neuem hinter meinem schwindenden Bewußtsein herzutappen, ruhelos nach jenem Stein suchend, der mich quält – der irgendwo verborgen im Schutte meiner Erinnerung liegen muß und aussieht wie ein Stück Fett.

Eine Regenröhre muß einst neben ihm auf der Erde gemündet haben, male ich mir aus – stumpfwinklig abgebogen, die Ränder von Rost zerfressen, – und trotzig will ich mir im Geiste ein solches Bild erzwingen, um meine aufgescheuchten Gedanken zu belügen und in Schlaf zu lullen.

Es gelingt mir nicht.

Immer wieder und immer wieder mit alberner Beharrlichkeit behauptet eine eigensinnige Stimme in meinem Innern – unermüdlich wie ein Fensterladen, den der Wind in regelmäßigen Zwischenräumen an die Mauer schlagen läßt: es sei das ganz anders, das sei gar nicht der Stein, der wie Fett aussehe.

Und es ist von der Stimme nicht loszukommen.

Wenn ich hundertmal einwende, alles das sei doch ganz nebensächlich, so schweigt sie wohl eine kleine Weile, wacht aber dann unvermerkt wieder auf und beginnt hartnäckig von neuem: gut, gut, schon recht, es ist aber doch nicht der Stein, der wie ein Stück Fett aussieht. —

Langsam beginnt sich meiner ein unerträgliches Gefühl von Hilflosigkeit zu bemächtigen.

Wie es weiter gekommen ist, weiß ich nicht. Habe ich freiwillig jeden Widerstand aufgegeben, oder haben sie mich überwältigt und geknebelt, meine Gedanken?

Ich weiß nur, mein Körper liegt schlafend im Bett, und meine Sinne sind losgetrennt und nicht mehr an ihn gebunden. —

Wer ist jetzt «ich», will ich plötzlich fragen; da besinne ich mich, daß ich doch kein Organ mehr besitze, mit dem ich Fragen stellen könnte; dann fürchte ich, die dumme Stimme werde wieder aufwachen und von neuem das endlose Verhör über den Stein und das Fett beginnen.

Und so wende ich mich ab.




Tag


Da stand ich plötzlich in einem düsteren Hofe und sah durch einen rötlichen Torbogen gegenüber – jenseits der engen, schmutzigen Straße – einen jüdischen Trödler an einem Gewölbe lehnen, das an den Mauerrändern mit altem Eisengerümpel, zerbrochenen Werkzeugen, verrosteten Steigbügeln und Schlittschuhen und vielerlei anderen abgestorbenen Sachen behangen war.

Und dieses Bild trug das quälend Eintönige an sich, das alle jene Eindrücke kennzeichnet, die tagtäglich so und so oft wie Hausierer die Schwelle unserer Wahrnehmung überschreiten, und rief in mir weder Neugierde noch Überraschung hervor.

Ich wurde mir bewußt, daß ich schon seit langer Zeit in dieser Umgebung zu Hause war.

Auch diese Empfindung hinterließ mir trotz ihres Gegensatzes zu dem, was ich doch vor kurzem noch wahrgenommen und wie ich hierher gelangt, keinerlei tieferen Eindruck. —

Ich muß einmal von einem sonderbaren Vergleich zwischen einem Stein und einem Stück Fett gehört oder gelesen haben, drängte sich mir plötzlich der Einfall auf, als ich die ausgetretenen Stufen zu meiner Kammer emporstieg und mir über das speckige Aussehen der Steinschwellen flüchtige Gedanken machte.

Da hörte ich Schritte die oberen Treppen über mir vorauslaufen, und als ich zu meiner Tür kam, sah ich, daß es die vierzehnjährige, rothaarige Rosina des Trödlers Aaron Wassertrum gewesen war.

Ich mußte dicht an ihr vorbei, und sie stand mit dem Rücken gegen das Stiegengeländer und bog sich lüstern zurück.

Ihre schmutzigen Hände hatte sie um die Eisenstange gelegt, – zum Halt – und ich sah, wie ihre nackten Unterarme bleich aus dem trüben Halbdunkel hervorleuchteten.

Ich wich ihren Blicken aus.

Mich ekelte vor ihrem zudringlichen Lächeln und diesem wächsernen Schaukelpferdgesicht.

Sie muß schwammiges, weißes Fleisch haben wie der Axolotl, den ich vorhin im Salamanderkäfig bei dem Vogelhändler gesehen habe, fühlte ich.

Die Wimpern Rothaariger sind mir widerwärtig wie die eines Kaninchens.

Und ich sperrte auf und schlug rasch die Tür hinter mir zu. —

Von meinem Fenster aus konnte ich den Trödler Aaron Wassertrum vor seinem Gewölbe stehen sehen.

Er lehnte am Eingang der dunklen Wölbung und zwickte mit einer Beißzange an seinen Fingernägeln herum.

War die rothaarige Rosina seine Tochter oder seine Nichte? Er hatte keine Ähnlichkeit mit ihr.

Unter den Judengesichtern, die ich Tag für Tag in der Hahnpaßgasse auftauchen sehe, kann ich deutlich verschiedene Stämme unterscheiden, die sich so wenig durch die nahe Verwandtschaft der einzelnen Individuen verwischen lassen, wie sich öl und Wasser vermengen wird. Da darf man nicht sagen: die dort sind Brüder oder Vater und Sohn.

Der gehört zu jenem Stamm und dieser zu einem andern, das ist alles, was sich aus den Gesichtszügen lesen läßt.

Was bewiese es auch, wenn selbst Rosina dem Trödler ähnlich sähe!

Diese Stämme hegen einen heimlichen Ekel und Abscheu voreinander, der sogar die Schranken der engen Blutsverwandtschaft durchbricht, – aber sie verstehen ihn geheimzuhalten vor der Außenwelt, wie man ein gefährliches Geheimnis hütet.

Kein einziges läßt ihn durchblicken, und in dieser Übereinstimmung gleichen sie haßerfüllten Blinden, die sich an ein schmutzgetränktes Seil klammern: der eine mit beiden Fäusten, ein anderer nur widerwillig mit einem Finger, alle aber von abergläubischer Furcht besessen, daß sie dem Untergang verfallen müssen, sobald sie den gemeinsamen Halt aufgeben und sich von den übrigen trennen.

Rosina ist von jenem Stamme, dessen rothaariger Typus noch abstoßender ist, als der der andern. Dessen Männer engbrüstig sind und lange Hühnerhälse haben mit vorstehendem Adamsapfel.

Alles scheint an ihnen sommersprossig, und ihr ganzes Leben leiden sie unter brünstigen Qualen, diese Männer, – und kämpfen heimlich gegen ihre Gelüste einen ununterbrochenen, erfolglosen Kampf, von immerwährender widerlicher Angst um ihre Gesundheit gefoltert.

Ich war mir nicht klar, wieso ich Rosina überhaupt in verwandtschaftliche Beziehungen mit dem Trödler Wassertrum bringen konnte.

Nie habe ich sie doch in der Nähe des Alten gesehen oder bemerkt, daß sie jemals einander etwas zugerufen hätten.

Auch war sie fast immer in unserem Hofe oder drückte sich in den dunklen Winkeln und Gängen unseres Hauses umher.

Sicherlich halten sie alle meine Mitbewohner für eine nahe Verwandte oder zumindest Schutzbefohlene des Trödlers, und doch bin ich überzeugt, daß kein einziger einen Grund für solche Vermutungen anzugeben vermöchte.

Ich wollte meine Gedanken von Rosina losreißen und sah von dem offenen Fenster meiner Stube hinab auf die Hahnpaßgasse.

Als habe Aaron Wassertrum meinen Blick gefühlt, wandte er plötzlich sein Gesicht zu mir empor.

Sein starres, gräßliches Gesicht mit den runden Fischaugen und der klaffenden Oberlippe, die von einer Hasenscharte gespalten ist.

Wie eine menschliche Spinne kam er mir vor, die die feinste Berührung ihres Netzes spürt, so teilnahmslos sie sich auch stellt.

Und wovon er nur leben mag? Was denkt er, und was ist sein Vorhaben?

Ich wußte es nicht.

An den Mauerrändern seines Gewölbes hängen unverändert Tag für Tag, jahraus jahrein dieselben toten wertlosen Dinge.

Mit geschlossenen Augen hätte ich sie hinzeichnen können: hier die verbogene Blechtrompete ohne Klappen, das vergilbte Bild auf Papier gemalt, mit den so sonderbar zusammengestellten Soldaten. Dann eine Girlande verrosteter Sporen an einem schimmligen Lederriemen und anderes halb vermodertes Gerümpel.

Und vorne auf dem Boden, dicht nebeneinander geschichtet, so daß niemand die Schwelle des Gewölbes überschreiten kann, eine Reihe runder eiserner Herdplatten. —

Alle diese Dinge nahmen an Zahl nie zu, nie ab, und blieb wirklich hier und da einmal ein Vorübergehender stehen und fragte nach dem Preis des einen oder andern, geriet der Trödler in heftige Erregung.

In grauenerregender Weise zog er dann seine Lippen mit der Hasenscharte empor und sprudelte gereizt irgend etwas Unverständliches in einem gurgelnden, stolpernden Baß hervor, daß dem Käufer die Lust weiter zu fragen verging und er abgeschreckt seinen Weg fortsetzte.

Der Blick des Aaron Wassertrum war blitzschnell von meinen Augen abgeglitten und ruhte jetzt mit gespanntem Interesse an den kahlen Mauern, die vom Nebenhause an mein Fenster stoßen.

Was konnte er dort nur sehen?

Das Haus steht doch mit dem Rücken gegen die Hahnpaßgasse, und seine Fenster blicken in den Hof! Nur eines ist in die Straße gekehrt.

Zufällig schienen die Räume, die nebenan in derselben Stockhöhe wie die meinigen liegen – ich glaube, sie gehören zu einem winkligen Atelier – in diesem Moment betreten worden zu sein, denn durch die Mauern hörte ich plötzlich eine männliche und eine weibliche Stimme miteinander reden.

Unmöglich konnte das aber der Trödler von unten aus wahrgenommen haben! —

Vor meiner Tür bewegte sich jemand, und ich erriet: es ist immer noch Rosina, die draußen im Dunkeln steht in begehrlichem Warten, daß ich sie doch vielleicht zu mir hereinrufen wolle.

Und unten, ein halbes Stockwerk tiefer, lauert der blatternarbige, halbwüchsige Loisa auf den Stiegen mit angehaltenem Atem, ob ich die Tür öffnen werde, und ich spüre förmlich den Hauch seines Hasses und seine schäumende Eifersucht bis herauf zu mir.

Er fürchtet sich näher zu kommen und von Rosina bemerkt zu werden. Er weiß sich von ihr abhängig wie ein hungriger Wolf von seinem Wärter und möchte doch am liebsten aufspringen und besinnungslos seiner Wut die Zügel schießen lassen! —

Ich setzte mich an meinen Arbeitstisch und suchte meine Pinzetten und Stichel hervor.

Aber ich konnte nichts fertigbringen und meine Hand war nicht ruhig genug, die feinen japanischen Gravierungen auszubessern.

Das trübe, düstere Leben, das an diesem Hause hängt, läßt mein Gemüt nicht stillwerden, und immer tauchen alte Bilder in mir auf.

Loisa und sein Zwillingsbruder Jaromir sind wohl kaum ein Jahr älter als Rosina.

An ihren Vater, der Hostienbäcker gewesen, konnte ich mich kaum mehr erinnern, und jetzt sorgt für sie, glaube ich, ein altes Weib.

Ich wußte nur nicht, welche es war unter den vielen, die versteckt im Hause wohnen wie Kröten in ihrem Schlupfwinkel.

Sie sorgt für die beiden Jungen, das heißt: sie gewährt ihnen Unterkunft; dafür müssen sie ihr abliefern, was sie gelegentlich stehlen oder erbetteln. —

Ob sie ihnen wohl auch zu essen gibt? Ich konnte es mir nicht denken, denn erst spät abends kommt die Alte heim.

Leichenwäscherin soll sie sein.

Loisa, Jaromir und Rosina sah ich, als sie noch Kinder waren, oft harmlos im Hof zu dritt spielen.

Die Zeit aber ist lang vorbei.

Den ganzen Tag ist Loisa jetzt hinter dem rothaarigen Judenmädel her.

Zuweilen sucht er sie lange umsonst, und wenn er sie nirgends finden kann, dann schleicht er sich vor meine Tür und wartet mit verzerrtem Gesicht, daß sie heimlich hierher komme.

Da sehe ich ihn, wenn ich bei meiner Arbeit sitze, im Geiste draußen in dem winkligen Gange lauern, den Kopf mit dem ausgemergelten Genick horchend vorgebeugt.

Manchmal bricht dann durch die Stille plötzlich ein wilder Lärm.

Jaromir, der taubstumm ist, und dessen ganzes Denken eine ununterbrochene wahnsinnige Gier nach Rosina erfüllt, irrt wie ein wildes Tier im Hause umher, und sein unartikuliertes heulendes Gebell, das er, vor Eifersucht und Argwohn halb von Sinnen, ausstößt, klingt so schauerlich, daß einem das Blut in den Adern stockt.

Er sucht die beiden, die er stets beieinander vermutet – irgendwo in einem der tausend schmutzigen Schlupfwinkel versteckt – in blinder Raserei, immer von dem Gedanken gepeitscht, seinem Bruder auf den Fersen sein zu müssen, daß nichts mit Rosina vorgehe, von dem er nicht wisse.

Und gerade diese unaufhörliche Qual des Krüppels ist, ahnte ich, das Reizmittel, das Rosina antreibt, sich stets von neuem mit dem andern einzulassen.

Wird ihre Neigung oder Bereitwilligkeit schwächer, so ersinnt Loisa immer wieder besondere Scheußlichkeiten, um Rosinas Gier von neuem zu entfachen.

Da lassen sie sich scheinbar oder wirklich von dem Taubstummen ertappen und locken den Rasenden heimtückisch hinter sich her in dunkle Gänge, wo sie aus rostigen Faßreifen, die in die Höhe schnellen, wenn man auf sie tritt, und eisernen Rechen – mit den Spitzen nach oben gekehrt – bösartige Fallen errichtet haben, in die er stürzen muß und sich blutig fällt.

Von Zeit zu Zeit denkt sich Rosina, um die Folter aufs äußerste anzuspannen, auf eigene Faust etwas Höllisches aus.

Dann ändert sie mit einem Schlage ihr Benehmen zu Jaromir und tut, als fände sie plötzlich Gefallen an ihm.

Mit ihrer ewig lächelnden Miene teilt sie dem Krüppel hastig Dinge mit, die ihn in eine fast irrsinnige Erregung versetzen, und sie hat sich dazu eine geheimnisvoll scheinende, nur halbverständliche Zeichensprache ersonnen, die den Taubstummen rettungslos in ein unentwirrbares Netz von Ungewißheit und verzehrenden Hoffnungen verstricken muß. —

Einmal sah ich ihn im Hofe vor ihr stehen, und sie sprach mit so heftigen Lippenbewegungen und Gestikulationen auf ihn ein, daß ich glaubte, jeden Augenblick würde er in wilder Aufregung zusammenbrechen.

Der Schweiß lief ihm übers Gesicht vor übermenschlicher Anstrengung, den Sinn der absichtlich so unklaren, hastigen Mitteilungen zu erfassen.

Und den ganzen folgenden Tag lauerte er dann fiebernd in Erwartung auf den finsteren Stiegen eines halb versunkenen Hauses, das in der Fortsetzung der engen, schmutzigen Hahnpaßgasse liegt, – bis er die Zeit versäumt hatte, sich an den Ecken ein paar Kreuzer zu erbetteln.

Und als er spät abends halbtot vor Hunger und Aufregung heim wollte, hatte ihn die Pflegemutter längst ausgesperrt. —

Ein fröhliches Frauenlachen drang aus dem anstoßenden Atelier durch die Mauern herüber zu mir.

Ein Lachen! – In diesen Häusern ein fröhliches Lachen? Im ganzen Getto wohnt niemand, der fröhlich lachen könnte.

Da fiel mir ein, daß mir vor einigen Tagen der alte Marionettenspieler Zwakh anvertraute, ein junger, vornehmer Herr hätte ihm das Atelier teuer abgemietet – offenbar, um mit der Erwählten seines Herzens unbelauscht zusammenkommen zu können.

Nach und nach, jede Nacht, müßten nun, damit niemand im Hause etwas merke, die kostbaren Möbel des neuen Mieters heimlich Stück für Stück hinaufgeschafft werden.

Der gutmütige Alte hatte sich vor Vergnügen die Hände gerieben, als er es mir erzählte, und sich kindlich gefreut, wie er alles so geschickt angefangen habe: keiner der Mitbewohner könne auch nur eine Ahnung von dem romantischen Liebespaar haben.

Und von drei Häusern aus sei es möglich, unauffällig in das Atelier zu gelangen. – Sogar durch eine Falltüre gäbe es einen Zugang!

Ja, wenn man die eiserne Tür des Bodenraumes aufklinke, – und das sei von drüben aus sehr leicht, – könne man an meiner Kammer, vorbei zu den Stiegen unseres Hauses gelangen und diese als Ausgang benützen…

Wieder klingt das fröhliche Lachen herüber und läßt in mir die undeutliche Erinnerung an eine luxuriöse Wohnung und an eine adlige Familie auftauchen, zu der ich oft gerufen wurde, um an kostbaren Altertümern kleine Ausbesserungen vorzunehmen. —

Plötzlich höre ich nebenan einen gellenden Schrei. Ich horche erschreckt.

Die eiserne Bodentür klirrt heftig, und im nächsten Augenblick stürzt eine Dame in mein Zimmer.

Mit aufgelöstem Haar, weiß wie die Wand, einen goldenen Brokatstoff über die bloßen Schultern geworfen.

«Meister Pernath, verbergen Sie mich, – um Gottes Christi willen! – fragen Sie nicht, verbergen Sie mich hier!»

Ehe ich noch antworten konnte, wurde meine Tür abermals aufgerissen und sofort wieder zugeschlagen. —

Eine Sekunde lang hatte das Gesicht des Trödlers Aaron Wassertrum wie eine scheußliche Maske hereingegrinst. —

Ein runder, leuchtender Fleck taucht vor mir auf, und im Schein des Mondlichtes erkenne ich wiederum das Fußende meines Bettes. Noch liegt der Schlaf auf mir wie ein schwerer, wolliger Mantel und der Name Pernath steht in goldenen Buchstaben vor meiner Erinnerung.

Wo nur habe ich diesen Namen gelesen? – Athanasius Pernath?

Ich glaube, ich glaube vor langer, langer Zeit habe ich einmal irgendwo meinen Hut verwechselt, und ich wunderte mich damals, daß er mir so genau passe, wo ich doch eine höchst eigentümliche Kopfform habe.

Und ich sah in den fremden Hut hinein – damals und – ja, ja, dort hatte es gestanden in goldenen Papierbuchstaben auf dem weißen Futter:

ATHANASIUS PERNATH.

Ich hatte mich vor dem Hut gescheut und gefürchtet, ich wußte nicht warum.

Da fährt plötzlich die Stimme, die ich vergessen hatte, und die immer von mir wissen wollte, wo der Stein ist, der wie Fett ausgesehen habe, auf mich los, gleich einem Pfeil.

Schnell male ich mir das scharfe, süßlich grinsende Profil der roten Rosina aus, und es gelingt mir auf diese Weise, dem Pfeil auszuweichen, der sich sogleich in der Finsternis verliert.

Ja, das Gesicht der Rosina! Das ist doch noch stärker als die stumpfsinnige plappernde Stimme; und gar, wo ich jetzt gleich wieder in meinem Zimmer in der Hahnpaßgasse geborgen sein werde, kann ich ganz ruhig sein.




I


Wenn ich mich nicht getäuscht habe in der Empfindung, daß jemand in einem gewissen, gleichbleibenden Abstand hinter mir die Treppe heraufkommt, in der Absicht, mich zu besuchen, so muß er jetzt ungefähr auf dem letzten Stiegenabsatz stehen.

Jetzt biegt er um die Ecke, wo der Archivar Schemajah Hillel seine Wohnung hat, und kommt von den ausgetretenen Steinfliesen auf den Flur des oberen Stockwerkes, der mit roten Ziegeln ausgelegt ist.

Nun tastet er sich an der Wand entlang, und jetzt, gerade jetzt, muß er, mühsam im Finstern buchstabierend, meinen Namen auf dem Türschild lesen.

Und ich stellte mich aufrecht in die Mitte des Zimmers und blickte zum Eingang.

Da öffnete sich die Türe, und er trat ein.

Nur wenige Schritte machte er auf mich zu und nahm weder den Hut ab, noch sagte er ein Wort der Begrüßung.

So benimmt er sich, wenn er zu Hause ist, fühlte ich, und ich fand es ganz selbstverständlich, daß er so und nicht anders handelte.

Er griff in die Tasche und nahm ein Buch heraus.

Dann blätterte er lange drin herum.

Der Umschlag des Buches war aus Metall, und die Vertiefungen in Form von Rosetten und Siegeln waren mit Farbe und kleinen Steinen ausgefüllt.

Endlich hatte er die Stelle gefunden, die er suchte, und deutete darauf.

Das Kapitel hieß «Ibbur», «die Seelenschwängerung», entzifferte ich.

Das große, in Gold und Rot ausgeführte Initial «I» nahm fast die Hälfte der ganzen Seite ein, die ich unwillkürlich überflog, und war am Rande verletzt.

Ich sollte es ausbessern.

Das Initial war nicht auf das Pergament geklebt, wie ich es bisher in alten Büchern gesehen, schien vielmehr aus zwei Platten dünnen Goldes zu bestehen, die im Mittelpunkte zusammengelötet waren und mit den Enden um die Ränder des Pergaments griffen.

Also mußte, wo der Buchstabe stand, ein Loch in das Blatt geschnitten sein?

Wenn das der Fall war, mußte auf der nächsten Seite das «I» verkehrt stehen?

Ich blätterte um und fand meine Annahme bestätigt.

Unwillkürlich las ich auch diese Seite durch und die gegenüberliegende.

Und ich las weiter und weiter.

Das Buch sprach zu mir, wie der Traum spricht, klarer nur und viel deutlicher. Und es rührte mein Herz an wie eine Frage.

Worte strömten aus einem unsichtbaren Munde, wurden lebendig und kamen auf mich zu. Sie drehten sich und wandten sich vor mir wie buntgekleidete Sklavinnen, sanken dann in den Boden oder verschwanden wie schillernder Dunst in der Luft und gaben der nächsten Raum. Jede hoffte eine kleine Weile, daß ich sie erwählen würde und auf den Anblick der Kommenden verzichten.

Manche waren unter ihnen, die gingen prunkend einher wie Pfauen, in schimmernden Gewändern, und ihre Schritte waren langsam und gemessen.

Manche wie Königinnen, doch gealtert und verlebt, die Augenlider gefärbt, – mit dirnenhaftem Zug um den Mund und die Runzeln mit häßlicher Schminke verdeckt.

Ich sah an ihnen vorbei und nach den kommenden, und mein Blick glitt über lange Züge grauer Gestalten mit Gesichtern, so gewöhnlich und ausdrucksarm, daß es unmöglich schien, sie dem Gedächtnis einzuprägen.

Dann brachten sie ein Weib geschleppt, das war splitternackt und riesenhaft wie ein Erzkoloß.

Eine Sekunde blieb das Weib vor mir stehen und beugte sich nieder zu mir.

Ihre Wimpern waren so lang wie mein ganzer Körper, und sie deutete stumm auf den Puls ihrer linken Hand.

Der schlug wie ein Erdbeben, und ich fühlte, es war das Leben einer ganzen Welt in ihr.

Aus der Ferne raste ein Korybantenzug heran.

Ein Mann und ein Weib umschlangen sich. Ich sah sie von weitem kommen, und immer näher brauste der Zug.

Jetzt hörte ich den hallenden Gesang der Verzückten dicht vor mir, und meine Augen suchten das verschlungene Paar.

Das aber hatte sich verwandelt in eine einzige Gestalt und saß, halb männlich, halb weiblich, – ein Hermaphrodit – auf einem Throne von Perlmutter.

Und die Krone des Hermaphroditen endete in einem Brett aus rotem Holz; darein hatte der Wurm der Zerstörung geheimnisvolle Runen genagt.

In einer Staubwolke kam eilig hinterdreingetrappelt eine Herde kleiner, blinder Schafe: die Futtertiere, die der gigantische Zwitter in seinem Gefolge führte, seine Korybantenschar am Leben zu erhalten.

Zuweilen waren unter den Gestalten, die aus dem unsichtbaren Munde strömten, etliche, die kamen aus Gräbern, – Tücher vor dem Gesicht.

Und blieben sie vor mir stehen, ließen sie plötzlich ihre Hüllen fallen und starrten mit Raubtieraugen hungrig auf mein Herz, daß ein eisiger Schreck mir ins Hirn fuhr und sich mein Blut zurückstaute wie ein Strom, in den Felsblöcke vom Himmel herniedergefallen sind – plötzlich und mitten in sein Bette. —

Eine Frau schwebte an mir vorbei. Ich sah ihr Antlitz nicht, sie wandte es ab, und sie trug einen Mantel aus fließenden Tränen. —

Maskenzüge tanzten vorüber, lachten und kümmerten sich nicht um mich.

Nur ein Pierrot sieht sich nachdenklich um nach mir und kehrt zurück. Pflanzt sich vor mich hin und blickt in mein Gesicht hinein, als sei es ein Spiegel.

Er schneidet so seltsame Grimassen, hebt und bewegt seine Arme, bald zögernd, bald blitzschnell, daß sich meiner ein gespenstiger Trieb bemächtigt ihn nachzuahmen, mit den Augen zu zwinkern, mit den Achseln zu zucken und die Mundwinkel zu verziehen.

Da stoßen ihn ungeduldig nachdrängende Gestalten zur Seite, die alle vor meine Blicke wollen.

Doch keines der Wesen hat Bestand.

Gleitende Perlen sind sie, auf eine Seidenschnur gereiht, die einzelnen Töne nur einer Melodie, die dem unsichtbaren Mund entströmen.

Das war kein Buch mehr, das zu mir sprach. Das war eine Stimme. Eine Stimme, die etwas von mir wollte, was ich nicht begriff; wie sehr ich mich auch abmühte. Die mich quälte mit brennenden, unverständlichen Fragen.

Die Stimme aber, die diese sichtbaren Worte redete, war abgestorben und ohne Widerhall.

Jeder Laut, der in der Welt der Gegenwart erklingt, hat viele Echos, wie jegliches Ding einen großen Schatten hat und viele kleine Schatten, doch diese Stimme hatte keine Echos mehr, – lange, lange schon sind sie wohl verweht und verklungen. —

Und bis zu Ende hatte ich das Buch gelesen und hielt es noch in den Händen, da war mir, als hätte ich suchend in meinem Gehirn geblättert und nicht in einem Buche! —

Alles, was mir die Stimme gesagt, hatte ich, seit ich lebte, in mir getragen, nur verdeckt war es gewesen und vergessen und hatte sich vor meinem Denken versteckt gehalten bis auf den heutigen Tag. —

Ich blickte auf.

Wo war der Mann, der mir das Buch gebracht hatte?

Fortgegangen!?

Wird er es holen, wenn es fertig ist?

Oder sollte ich es ihm bringen? -

Aber ich konnte mich nicht erinnern, daß er gesagt hätte, wo er wohne.

Ich wollte mir seine Erscheinung ins Gedächtnis zurückrufen, doch es mißlang.

Wie war er nur gekleidet gewesen? War er alt, war er jung? – Und welche Farben hatten sein Haar und sein Bart gehabt?

Nichts, gar nichts mehr konnte ich mir vorstellen. – Alle Bilder, die ich mir von ihm schuf, zerrannen haltlos, noch ehe ich sie im Geiste zusammenzusetzen vermochte.

Ich schloß die Augen und preßte die Hand auf die Lider, um einen winzigen Teil nur seines Bildnisses zu erhaschen.

Nichts, nichts.

Ich stellte mich hin, mitten ins Zimmer, und blickte auf die Tür, wie ich es getan – vorhin, als er gekommen war, und malte mir aus: jetzt biegt er um die Ecke, jetzt schreitet er über den Ziegelsteinboden, liest jetzt draußen mein Türschild «Athanasius Pernath» und jetzt tritt er herein.

Vergebens.

Nicht die leiseste Spur einer Erinnerung, wie seine Gestalt ausgesehen, wollte in mir erwachen.

Ich sah das Buch auf dem Tische liegen und wünschte mir im Geiste die Hand dazu, die es aus der Tasche gezogen und mir gereicht hatte.

Nicht einmal, ob sie einen Handschuh getragen, ob sie entblößt gewesen, ob jung oder runzlig, mit Ringen geschmückt oder nicht, konnte ich mich entsinnen.

Da kam mir ein seltsamer Einfall.

Wie eine Eingebung war es, der man nicht widerstehen darf.

Ich zog meinen Mantel an, setzte meinen Hut auf und ging hinaus auf den Gang und die Treppen hinab. Dann kam ich langsam wieder zurück in mein Zimmer.

Langsam, ganz langsam, so wie er, als er gekommen war. Und als ich die Tür öffnete, da sah ich, daß meine Kammer voll Dämmerung lag. War es denn nicht heller Tag noch gewesen, als ich soeben hinausging?

Wie lange mußte ich da gegrübelt haben, daß ich nicht bemerkte, wie spät es ist!

Und ich versuchte den Unbekannten nachzuahmen in Gang und Mienen und konnte mich an sie doch gar nicht erinnern. —

Wie sollte es mir auch glücken, ihn nachzuahmen, wenn ich keinen Anhaltspunkt mehr hatte, wie er ausgesehen haben mochte.

Aber es kam anders. Ganz anders, als ich dachte.

Meine Haut, meine Muskeln, mein Körper erinnerten sich plötzlich, ohne es dem Gehirn zu verraten. Sie machten Bewegungen, die ich nicht wünschte und nicht beabsichtigte.

Als ob meine Glieder nicht mehr mir gehörten!

Mit einem Male war mein Gang tappend und fremdartig geworden, als ich ein paar Schritte im Zimmer machte.

Das ist der Gang eines Menschen, der beständig im Begriffe ist, vornüber zu fallen, sagte ich mir.

Ja, ja, ja, so war sein Gang!

Ganz deutlich wußte ich: so ist er.

Ich trug ein fremdes, bartloses Gesicht mit hervorstehenden Backenknochen und schaute aus schrägstehenden Augen.

Ich fühlte es und konnte mich doch nicht sehen.

Das ist nicht mein Gesicht, wollte ich entsetzt aufschreien, wollte es betasten, doch meine Hand folgte meinem Willen nicht und senkte sich in die Tasche und holte ein Buch hervor.

Ganz so, wie er es vorhin getan hatte. —

Da plötzlich sitze ich wieder ohne Hut, ohne Mantel, am Tische und bin ich. Ich, ich.

Athanasius Pernath.

Grausen und Entsetzen schüttelten mich, mein Herz raste zum Zerspringen, und ich fühlte: gespenstische Finger, die soeben noch in meinem Gehirn herumgetastet, haben von mir abgelassen.

Noch spürte ich im Hinterkopf die kalten Spuren ihrer Berührung. —

Nun wußte ich, wie der Fremde war, und ich hätte ihn wieder in mir fühlen können, – jeden Augenblick – wenn ich nur gewollt hätte; aber sein Bild mir vorzustellen, daß ich es vor mir sehen würde Auge in Auge – das vermochte ich noch immer nicht und werde es auch nie können.

Es ist wie ein Negativ, eine unsichtbare Hohlform, erkannte ich, deren Linien ich nicht erfassen kann – in die ich selber hineinschlüpfen muß, wenn ich mir ihrer Gestalt und ihres Ausdrucks im eigenen Ich bewußt werden will —

In der Schublade meines Tisches stand eine eiserne Kassette; – in diese wollte ich das Buch sperren und erst, wenn der Zustand der geistigen Krankheit von mir gewichen sein würde, wollte ich es wieder hervorholen und an die Ausbesserung des zerbrochenen Initialen «I» gehen.

Und ich nahm das Buch vom Tisch.

Da war mir, als hätte ich es gar nicht angefaßt; ich griff die Kassette an: dasselbe Gefühl. Als müßte das Tastempfinden eine lange, lange Strecke voll tiefer Dunkelheit durchlaufen, ehe es in meinem Bewußtsein mündete, als seien die Dinge durch eine jahresgroße Zeitschicht von mir entfernt und gehörten einer Vergangenheit an, die längst an mir vorübergezogen!

Die Stimme, die nach mir suchend in der Finsternis kreist, um mich mit dem fettigen Stein zu quälen, ist an mir vorbeigekommen und hat mich nicht gesehen. Und ich weiß, daß sie aus dem Reiche des Schlafes stammt. Aber was ich erlebt, das war wirkliches Leben, – darum konnte sie mich nicht sehen und sucht vergeblich nach mir, fühle ich.




Prag


Neben mir stand der Student Charousek, den Kragen seines dünnen, fadenscheinigen Überziehers aufgeschlagen, und ich hörte, wie ihm vor Kälte die Zähne aufeinanderschlugen.

Er kann sich den Tod holen in diesem zugigen, eisigen Torbogen, sagte ich mir, und ich forderte ihn auf, mit hinüber in meine Wohnung zu kommen.

Er aber lehnte ab.

«Ich danke Ihnen, Meister Pernath», murmelte er fröstelnd, «leider habe ich nicht mehr so viel Zeit übrig; – ich muß eilends in die Stadt. – Auch würden wir bis auf die Haut naß, wenn wir jetzt auf die Gasse treten wollten – schon nach wenigen Schritten! – Der Platzregen will nicht schwächer werden!»

Die Wasserschauer fegten über die Dächer hin und liefen an den Gesichtern der Häuser herunter wie ein Tränenstrom.

Wenn ich den Kopf ein wenig vorbog, konnte ich da drüben im vierten Stock mein Fenster sehen, das, vom Regen überrieselt, aussah, als seien seine Scheiben aufgeweicht, – undurchsichtig und höckerig geworden wie Hausenblase.

Ein gelber Schmutzbach floß die Gasse herab, und der Torbogen füllte sich mit Vorübergehenden, die alle das Nachlassen des Unwetters abwarten wollten.

«Dort schwimmt ein Brautbukett», sagte plötzlich Charousek und deutete auf einen Strauß aus welken Myrten, der in dem Schmutzwasser vorbeigetrieben kam.

Darüber lachte jemand hinter uns laut auf.

Als ich mich umdrehte, sah ich, daß es ein alter, vornehm gekleideter Herr mit weißem Haar und einem aufgedunsenen, krötenartigen Gesicht gewesen war.

Charousek blickte ebenfalls einen Augenblick zurück und brummte etwas vor sich hin.

Unangenehmes ging von dem Alten aus; – ich wandte meine Aufmerksamkeit von ihm ab und musterte die mißfarbigen Häuser, die da vor meinen Augen wie verdrossene alte Tiere im Regen nebeneinander hockten.

Wie unheimlich und verkommen sie alle aussahen!

Ohne Überlegung hingebaut standen sie da, wie Unkraut, das aus dem Boden dringt.

An eine niedrige, gelbe Steinmauer, den einzigen standhaltenden Überrest eines früheren, langgestreckten Gebäudes, hat man sie angelehnt – vor zwei, drei Jahrhunderten, wie es eben kam, ohne Rücksicht auf die übrigen zu nehmen. Dort ein halbes, schiefwinkliges Haus mit zurückspringender Stirn; – ein andres daneben: vorstehend wie ein Eckzahn.

Unter dem trüben Himmel sahen sie aus, als lägen sie im Schlaf, und man spülte nichts von dem tückischen, feindseligen Leben, das zuweilen von ihnen ausstrahlt, wenn der Nebel der Herbstabende in den Gassen liegt und ihr leises, kaum merkliches Mienenspiel verbergen hilft.

In dem Menschenalter, das ich nun hier wohne, hat sich der Eindruck in mir festgesetzt, den ich nicht loswerden kann, als ob es gewisse Stunden des Nachts und im frühesten Morgengrauen für sie gäbe, wo sie erregt eine lautlose, geheimnisvolle Beratung pflegen. Und manchmal fährt da ein schwaches Beben durch ihre Mauern, das sich nicht erklären läßt, Geräusche laufen über ihre Dächer und fallen in den Regenrinnen nieder, – und wir nehmen sie mit stumpfen Sinnen achtlos hin, ohne nach ihrer Ursache zu forschen.

Oft träumte mir, ich hätte diese Häuser belauscht in ihrem spukhaften Treiben und mit angstvollem Staunen erfahren, daß sie die heimlichen, eigentlichen Herren der Gasse seien, sich ihres Lebens und Fühlens entäußern und es wieder an sich ziehen können, – es tagsüber den Bewohnern, die hier hausen, borgen, um es in kommender Nacht mit Wucherzinsen wieder zurückzufordern.

Und lasse ich die seltsamen Menschen, die in ihnen wohnen wie Schemen, wie Wesen – nicht von Müttern geboren, – die in ihrem Denken und Tun wie aus Stücken wahllos zusammengefügt scheinen, im Geiste an mir vorüberziehen, so bin ich mehr denn je geneigt zu glauben, daß solche Träume in sich dunkle Wahrheiten bergen, die mir im Wachsein nur noch wie Eindrücke von farbigen Märchen in der Seele fortglimmen.

Dann wacht in mir heimlich die Sage von dem gespenstischen Golem, jenem künstlichen Menschen, wieder auf, den einst hier im Getto ein kabbalakundiger Rabbiner aus dem Elemente formte und ihn zu einem gedankenlosen automatischen Dasein berief, indem er ihm ein magisches Zahlenwort hinter die Zähne schob.

Und wie jener Golem zu einem Lehmbild in derselben Sekunde erstarrte, in der die geheime Silbe des Lebens aus seinem Munde genommen ward, so müßten auch, dünkt mich, alle diese Menschen entseelt in einem Augenblick zusammenfallen, löschte man irgendeinen winzigen Begriff, ein nebensächliches Streben, vielleicht eine zwecklose Gewohnheit bei dem einen, bei einem andern gar nur ein dumpfes Warten auf etwas gänzlich Unbestimmtes, Haltloses – in ihrem Hirn aus.

Was ist dabei für ein immerwährendes, schreckhaftes Lauern in diesen Geschöpfen!

Niemals sieht man sie arbeiten, diese Menschen, und dennoch sind sie früh beim ersten Leuchten des Morgens wach und warten mit angehaltenem Atem – wie auf ein Opfer, das doch nie kommt.

Und hat es wirklich einmal den Anschein, als träte jemand in ihren Bereich, irgendein Wehrloser, an dem sie sich bereichern könnten, dann fällt plötzlich eine lähmende Angst über sie her, scheucht sie in ihre Winkel zurück und läßt sie von jeglichem Vorhaben zitternd abstehen.

Niemand scheint schwach genug, daß ihnen noch so viel Mut bliebe, sich seiner zu bemächtigen.

«Entartete, zahnlose Raubtiere, von denen die Kraft und die Waffe genommen ist», sagte Charousek zögernd und sah mich an. —

Wie konnte er wissen, woran ich dachte? -

So stark facht man zuweilen seine Gedanken an, daß sie imstande sind, auf das Gehirn des Nebenstehenden überzuspringen wie sprühende Funken, fühlte ich.

«– wovon sie nur leben mögen?» sagte ich nach einer Weile.

«Leben? Wovon? Mancher unter ihnen ist ein Millionär!»

Ich blickte Charousek an. Was konnte er damit meinen!

Der Student aber schwieg und sah nach den Wolken.

Für einen Augenblick hatte das Stimmengemurmel in dem Torbogen gestockt, und man hörte bloß das Zischen des Regens.

Was er nur damit sagen will: «Mancher unter ihnen ist ein Millionär!?»

Wieder war es, als hätte Charousek meine Gedanken erraten. Er wies nach dem Trödlerladen neben uns, an dem das Wasser den Rost des Eisengerümpels in fließenden, braunroten Pfützen vorbeispülte.

«Aaron Wassertrum! Er zum Beispiel ist Millionär, – fast ein Drittel der Judenstadt ist sein Besitz. Wissen Sie es denn nicht, Herr Pernath?!»

Mir blieb förmlich der Atem im Mund stecken. «Aaron Wassertrum! Der Trödler Aaron Wassertrum Millionär?!»

«Oh, ich kenne ihn genau», fuhr Charousek verbissen fort, und als hätte er nur darauf gewartet, daß ich ihn frage. «Ich kannte auch seinen Sohn, den Dr. Wassory. Haben Sie nie von ihm gehört? Von Dr. Wassory, dem – berühmten – Augenarzt? – Vor einem Jahr noch hat die ganze Stadt begeistert von ihm gesprochen, – von dem großen – Gelehrten. Niemand wußte damals, daß er seinen Namen abgelegt und früher Wassertrum geheißen. – Er spielte sich gerne auf den weitabgewandten Mann der Wissenschaft hinaus, und wenn einmal auf Herkunft die Rede kam, warf er bescheiden und tiefbewegt so mit halben Worten hin, daß sein Vater noch aus dem Getto stamme, – sich aus den niedrigsten Anfängen heraus unter Kummer aller Art und unsäglichen Sorgen empor ans Licht habe arbeiten müssen.

Ja! Unter Kummer und Sorgen!

Unter wessen Kummer und unsäglichen Sorgen aber und mit welchen Mitteln, das hat er nicht dazu gesagt!

Ich aber weiß, was es mit dem Getto für eine Bewandtnis hat!» Charousek faßte meinen Arm und schüttelte ihn heftig.

«Meister Pernath, ich bin so arm, daß ich es selbst kaum mehr begreife; ich muß halbnackt gehen wie ein Vagabund, sehen Sie her, und ich bin doch Student der Medizin, – bin doch ein gebildeter Mensch!»

Er riß seinen Überzieher auf und ich sah zu meinem Entsetzen, daß er weder Hemd noch Rock anhatte und den Mantel über der nackten Haut trug.

«Und so arm war ich bereits, als ich diese Bestie, diesen allmächtigen, angesehenen Dr. Wassory zu Fall brachte, – und noch heute ahnt keiner, daß ich, ich der eigentliche Urheber war.

Man meint in der Stadt, ein gewisser Dr. Savioli sei es gewesen, der seine Praktiken ans Tageslicht gezogen und ihn dann zum Selbstmord getrieben hat. – Dr. Savioli war nichts als mein Werkzeug, sage ich Ihnen. Ich allein habe den Plan erdacht und das Material zusammengetragen, habe die Beweise geliefert und leise und unmerklich Stein um Stein in dem Gebäude Dr. Wassorys gelockert, bis der Zustand erreicht war, wo kein Geld der Erde, keine List des Gettos mehr vermocht hätten, den Zusammenbruch, zu dem es nur noch eines unmerklichen Anstoßes bedurfte, abzuwenden.

Wissen Sie, so – so wie man Schach spielt.

Gerade so wie man Schach spielt.

Und niemand weiß, daß ich es war!

Den Trödler Aaron Wassertrum, den läßt wohl manchmal eine furchtbare Ahnung nicht schlafen, daß einer, den er nicht kennt, der immer in seiner Nähe ist und den er doch nicht fassen kann, – ein anderer als Dr. Savioli – die Hand im Spiele gehabt haben müsse.

Wiewohl Wassertrum einer von jenen ist, deren Augen durch Mauern zu schauen vermögen, so faßt er es doch nicht, daß es Gehirne gibt, die auszurechnen imstande sind, wie man mit langen, unsichtbaren, vergifteten Nadeln durch solche Mauern stechen kann, an Quadern, an Gold und Edelsteinen vorbei, um die verborgene Lebensader zu treffen».

Und Charousek schlug sich vor die Stirn und lachte wild.

«Aaron Wassertrum wird es bald erfahren; genau an dem Tage, an dem er Dr. Savioli an den Hals will! Genau an demselben Tage!

Auch diese Schachpartie habe ich ausgerechnet bis zum letzten Zug. – Diesmal wird es ein Königsläufergambit sein. Da gibt es keinen einzigen Zug bis zum bittern Ende, gegen den ich nicht eine verderbliche Entgegnung wüßte.

Wer sich mit mir in ein solches Königsläufergambit einläßt, der hängt in der Luft, sage ich Ihnen, wie eine hilflose Marionette an feinen Fäden, – an Fäden, die ich zupfe, – hören Sie wohl, die ich zupfe, und mit dessen freiem Willen ist’s dahin».

Der Student redete wie im Fieber, und ich sah ihm entsetzt ins Gesicht.

«Was haben Ihnen Wassertrum und sein Sohn denn getan, daß Sie so voll Haß sind?»

Charousek wehrte heftig ab:

«Lassen wir das – fragen Sie lieber, was Dr. Wassory den Hals gebrochen hat! – Oder wünschen Sie, daß wir ein andres Mal darüber sprechen? – Der Regen hat nachgelassen. Vielleicht wollen Sie nach Hause gehen?»

Er senkte seine Stimme, wie jemand, der plötzlich ganz ruhig wird. Ich schüttelte den Kopf.

«Haben Sie jemals gehört, wie man heutzutage den grünen Star heilt? – Nicht? – So muß ich Ihnen das deutlich machen, damit Sie alles genau verstehen, Meister Pernath!

Hören Sie zu: Der ›grüne Star‹ also ist eine bösartige Erkrankung des Augeninnern, die mit Erblinden endet, und es gibt nur ein Mittel, dem Fortschreiten des Übels Einhalt zu tun, nämlich die sogenannte Iridektomie, die darin besteht, daß man aus der Regenbogenhaut des Auges ein keilförmiges Stückchen herauszwickt.

Die unvermeidlichen Folgen davon sind wohl greuliche Blendungserscheinungen, die fürs ganze Leben bleiben; der Prozeß des Erblindens jedoch ist meistens aufgehalten.

Mit der Diagnose des grünen Stars hat es aber eine eigene Bewandtnis.

Es gibt nämlich Zeiten, besonders bei Beginn der Krankheit, wo die deutlichsten Symptome scheinbar ganz zurücktreten, und in solchen Fällen darf ein Arzt, obwohl er keine Spur einer Krankheit finden kann, dennoch niemals mit Bestimmtheit sagen, daß sein Vorgänger, der andrer Meinung gewesen, sich notwendigerweise geirrt haben müsse.

Hat aber einmal die erwähnte Iridektomie, die sich natürlich genauso an einem gesunden Auge wie an einem kranken ausführen läßt, stattgefunden, so kann man unmöglich mehr feststellen, ob früher wirklich grüner Star vorgelegen hat oder nicht.

Und auf diese und noch andere Umstände hatte Dr. Wassory einen scheußlichen Plan aufgebaut.

Unzählige Male – besonders an Frauen – konstatierte er grünen Star, wo harmlose Sehstörungen vorlagen, nur um zu einer Operation zu kommen, die ihm keine Mühe machte und viel Geld eintrug.

Da endlich hatte er vollkommen Wehrlose in der Hand; da gehörte zum Ausplündern auch keine Spur von Mut mehr!

Sehen Sie, Meister Pernath, da war das degenerierte Raubtier in jene Lebensbedingungen versetzt, wo es auch ohne Waffe und Kraft seine Opfer zerfleischen konnte.

Ohne etwas aufs Spiel zu setzen! – Begreifen Sie?! Ohne das geringste wagen zu müssen!

Durch eine Menge fauler Veröffentlichungen in Fachblättern hatte sich Dr. Wassory in den Ruf eines hervorragenden Spezialisten zu setzen verstanden und sogar seinen Kollegen, die viel zu arglos und anständig waren, um ihn zu durchschauen, Sand in die Augen zu streuen gewußt.

Ein Strom von Patienten, die alle bei ihm Hilfe suchten, war die natürliche Folge.

Kam nun jemand mit geringfügigen Sehstörungen zu ihm und ließ sich untersuchen, so ging Dr. Wassory sofort mit tückischer Planmäßigkeit zu Werke.

Zuerst stellte er das übliche Krankenverhör an, notierte aber geschickt immer nur, um für alle Fälle gedeckt zu sein, jene Antworten, die eine Deutung auf grünen Star zuließen.

Und vorsichtig sondierte er, ob nicht schon eine frühere Diagnose vorläge.

Gesprächsweise ließ er einfließen, daß ein dringender Ruf aus dem Auslande behufs wichtiger wissenschaftlicher Maßnahmen an ihn ergangen sei und er daher schon morgen verreisen müsse. —

Bei der Augenspiegelung mit elektrischen Lichtstrahlen, die er sodann vornahm, bereitete er dem Kranken absichtlich so viel Schmerzen wie möglich.

Alles mit Vorbedacht! Alles mit Vorbedacht!

Wenn das Verhör vorüber und die übliche bange Frage des Patienten, ob Grund zur Befürchtung vorhanden sei, erfolgt war, da tat Wassory seinen ersten Schachzug.

Er setzte sich dem Kranken gegenüber, ließ eine Minute verstreichen und sprach dann gemessen und mit sonorer Stimme den Satz:

«Erblindung beider Augen ist bereits in der allernächsten Zeit wohl unvermeidlich!»

Die Szene, die naturgemäß folgte, war entsetzlich.

Oft fielen die Leute in Ohnmacht, weinten und schrien und warfen sich in wilder Verzweiflung zu Boden.

Das Augenlicht verlieren, heißt alles verlieren.

Und wenn der wiederum übliche Moment eintrat, wo das arme Opfer die Knie Dr. Wassorys umklammerte und flehte, ob es denn auf Gottes Erde gar keine Hilfe mehr gäbe, da tat die Bestie den zweiten Schachzug und verwandelte sich selbst in jenen – Gott, der helfen konnte!

Alles, alles in der Welt ist wie ein Schachzug, Meister Pernath! -

Schleunigste Operation, sagte Dr. Wassory dann nachdenklich, sei das einzige, was vielleicht Rettung bringen könne, und mit einer wilden, gierigen Eitelkeit, die plötzlich über ihn kam, erging er sich mit einem Redeschwall in weitschweifigem Ausmalen dieses und jenes Falles, die alle mit dem vorliegenden eine ungemein große Ähnlichkeit gehabt hätten, – wie unzählige Kranke ihm allein die Erhaltung des Augenlichts verdankten und dergleichen mehr.

Er schwelgte förmlich in dem Gefühl, für eine Art höheren Wesens gehalten zu werden, in dessen Hände das Wohl und Wehe seines Mitmenschen gelegt ist.

Das hilflose Opfer aber saß, das Herz voll brennender Fragen, gebrochen vor ihm, Angstschweiß auf der Stirne, und wagte ihm nicht einmal in die Rede zu fallen, aus Furcht: ihn – den einzigen, der noch Hilfe bringen konnte – zu erzürnen.

Und mit den Worten, daß er zur Operation leider erst in einigen Monaten schreiten könne, wenn er von seiner Reise wieder zurück sei, schloß Dr. Wassory seine Rede.

Hoffentlich – man solle in solchen Fällen immer das Beste hoffen – sei es dann nicht zu spät, sagte er.

Natürlich sprangen dann die Kranken entsetzt auf, erklärten, daß sie unter gar keinen Umständen auch nur einen Tag länger warten wollten, und baten flehentlich um Rat, wer von den andern Augenärzten in der Stadt sonst wohl als Operateur in Betracht kommen könnte.

Da war der Augenblick gekommen, wo Dr. Wassory den entscheidenden Schlag führte.

Er ging in tiefem Nachdenken auf und ab, legte seine Stirn in Falten des Grams und lispelte schließlich bekümmert, ein Eingriff seitens eines andern Arztes bedinge leider eine abermalige Bespiegelung des Auges mit elektrischem Licht, und das müsse – der Patient wisse ja selbst, wie schmerzhaft es sei – wegen der blendenden Strahlen geradezu verhängnisvoll wirken.

Ein andrer Arzt also, ganz abgesehen davon, daß so manchem von ihnen gerade in der Iridektomie die nötige Übung fehle – dürfe, eben weil er wiederum von neuem untersuchen müsse, gar nicht vor Ablauf längerer Zeit, bis sich die Sehnerven wieder erholt hätten, zu einem chirurgischen Eingriff schreiten.

Charousek ballte die Fäuste.

«Das nennen wir in der Schachsprache ›Zugzwang‹, lieber Meister Pernath! – Was weiter folgte, war wiederum Zugzwang, – ein erzwungener Zug nach dem andern.

Halb wahnsinnig vor Verzweiflung beschwor nun der Patient den Dr. Wassory, er möge doch Erbarmen haben, einen Tag nur seine Abreise verschieben und die Operation selber vornehmen. – Es handle sich doch um mehr als um schnellen Tod, die grauenhafte, folternde Angst, jeden Augenblick erblinden zu müssen, sei ja das Schrecklichste, was es geben könne.

Und je mehr das Scheusal sich sträubte und jammerte: ein Aufschub seiner Reise könne ihm unabsehbaren Schaden bringen, desto höhere Summen boten freiwillig die Kranken.

Schien schließlich die Summe Dr. Wassory hoch genug, gab er nach und fügte bereits am selben Tage, ehe noch ein Zufall seinen Plan aufdecken konnte, den Bedauernswerten an beiden gesunden Augen jenen unheilbaren Schaden zu, jenes immerwährende Gefühl des Geblendetseins, das das Leben zu stetiger Qual gestalten mußte, die Spuren des Schurkenstreiches aber ein für allemal verwischte.

Durch solche Operationen an gesunden Augen vermehrte Dr. Wassory nicht nur seinen Ruhm und seinen Ruf als unvergleichlicher Arzt, dem es noch jedesmal gelungen sei, die drohende Erblindung aufzuhalten, – es befriedigte gleichzeitig seine maßlose Geldgier und frönte seiner Eitelkeit, wenn die ahnungslosen, an Körper und Vermögen geschädigten Opfer zu ihm wie zu einem Helfer aufsahen und ihn als Retter priesen.

Nur ein Mensch, der mit allen Fasern im Getto und seinen zahllosen, unscheinbaren, jedoch unüberwindlichen Hilfsquellen wurzelte und von Kindheit an gelernt hat, auf der Lauer zu liegen wie eine Spinne, der jeden Menschen in der Stadt kannte und bis ins kleinste seine Beziehungen und Vermögensverhältnisse erriet und durchschaute, – nur ein solcher – «Halbhellseher» möchte man es beinahe nennen, – konnte jahrelang derartige Scheußlichkeiten verüben.

Und wäre ich nicht gewesen, bis heute triebe er sein Handwerk noch, würde es bis ins hohe Alter weiterbetrieben haben, um schließlich als ehrwürdiger Patriarch im Kreise seiner Lieben, angetan mit hohen Ehren, künftigen Geschlechtern ein leuchtendes Vorbild, seinen Lebensabend zu genießen, bis – bis endlich auch über ihn das große Verrecken hinweggezogen wäre.

Ich aber wuchs ebenfalls im Getto auf, und auch mein Blut ist mit jener Atmosphäre höllischer List gesättigt, und so vermochte ich ihn zu Fall zu bringen, – so wie die Unsichtbaren einen Menschen zu Fall bringen, – wie aus heiterm Himmel heraus ein Blitz trifft.

Dr. Savioli, ein junger deutscher Arzt, hat das Verdienst der Entlarvung, – ihn schob ich vor und häufte Beweis auf Beweis, bis der Tag anbrach, wo der Staatsanwalt seine Hand nach Dr. Wassory ausstreckte.

Da beging die Bestie Selbstmord! – Gesegnet sei die Stunde!

Als hätte mein Doppelgänger neben ihm gestanden und ihm die Hand geführt, nahm er sich das Leben mit jener Phiole Amylnitrit, die ich absichtlich in seinem Ordinationszimmer bei der Gelegenheit hatte stehenlassen, als ich selbst ihn einmal verleitet, auch an mir die falsche Diagnose des grünen Stars zu stellen, – absichtlich und mit dem glühenden Wunsche, daß es dieses Amylnitrit sein möchte, das ihm den letzten Stoß geben sollte.

Der Gehirnschlag hätte ihn getroffen, hieß es in der Stadt.

Amylnitrit tötet, eingeatmet, wie Gehirnschlag. Aber lange konnte das Gerücht nicht aufrechterhalten werden».

Charousek starrte plötzlich geistesabwesend, als habe er sich in ein tiefes Problem verloren, vor sich hin, dann zuckte er mit der Achsel nach der Richtung, wo Aaron Wassertrums Trödlerladen lag.

«Jetzt ist er allein», murmelte er, «ganz allein mit seiner Gier und – und – und mit der Wachspuppe!»

Mir schlug das Herz bis zum Hals.

Ich sah Charousek voll Entsetzen an.

War er wahnsinnig? Es mußten Fieberphantasien sein, die ihn diese Dinge erfinden ließen.

Gewiß, gewiß! Er hat alles erfunden, geträumt!

Es kann nicht wahr sein, was er da über den Augenarzt Grauenhaftes erzählt hat. Er ist schwindsüchtig, und die Fieber des Todes kreisen in seinem Hirn.

Und ich wollte ihn mit ein paar scherzenden Worten beruhigen, seine Gedanken in eine freundliche Richtung lenken.

Da fuhr, noch ehe ich die Worte fand, wie ein Blitz in meine Erinnerung das Gesicht Wassertrums mit der gespaltenen Oberlippe, wie es damals in mein Zimmer mit runden Fischaugen durch die aufgerissene Tür hereingeschaut hatte.

Dr. Savioli! Dr. Savioli! – ja, ja, so war auch der Name des jungen Mannes gewesen, den mir der Marionettenspieler Zwakh flüsternd anvertraut als den des vornehmen Zimmerherrn, der von ihm das Atelier gemietet hatte.

Dr. Savioli! – Wie ein Schrei tauchte es in meinem Innern auf. Eine Reihe nebelhafter Bilder zuckte durch meinen Geist, jagte sich mit schreckhaften Vermutungen, die auf mich einstürmten.

Ich wollte Charousek fragen, ihm voll Angst rasch alles erzählen, was ich damals erlebt, da sah ich, daß ein heftiger Hustenanfall sich seiner bemächtigt hatte und ihn fast umwarf. Ich konnte nur noch unterscheiden, wie er sich mühsam mit den Händen an der Mauer stützend in den Regen hinaustappte und mir einen flüchtigen Gruß zunickte.

Ja, ja, er hat recht, er sprach nicht im Fieber, – fühlte ich, – das unfaßbare Gespenst des Verbrechens ist es, das durch diese Gassen schleicht Tag und Nacht und sich zu verkörpern sucht.

Es liegt in der Luft, und wir sehen es nicht. Plötzlich schlägt es sich nieder in einer Menschenseele, – wir ahnen es nicht, – da, dort, und ehe wir es fassen können, ist es gestaltlos geworden und alles längst vorüber.

Und nur noch dunkle Worte über irgendein entsetzliches Geschehnis kommen an uns heran.

Mit einem Schlage begriff ich diese rätselhaften Geschöpfe, die rings um mich wohnten, in ihrem innersten Wesen: sie treiben willenlos durchs Dasein von einem unsichtbaren magnetischen Strom belebt – so, wie vorhin das Brautbukett in dem schmutzigen Rinnsal vorüberschwamm.

Mir war, als starrten die Häuser alle mit tückischen Gesichtern voll namenloser Bosheit auf mich herüber, – die Tore: aufgerissene schwarze Mäuler, aus denen die Zungen ausgefault waren, – Rachen, die jeden Augenblick einen gellenden Schrei ausstoßen konnten, so gellend und haßerfüllt, daß es uns bis ins Innerste erschrecken müßte.

Was hatte zum Schluß noch der Student über den Trödler gesagt? – Ich flüsterte mir seine Worte vor: – Aaron Wassertrum sei jetzt allein mit seiner Gier und – seiner Wachspuppe.

Was kann er nur mit der Wachspuppe gemeint haben?

Es muß ein Gleichnis gewesen sein, beschwichtigte ich mich, – eines jener krankhaften Gleichnisse, mit denen er einen zu überfallen pflegt, die man nicht versteht, und die einen, wenn sie später unerwartet sichtbar werden, so tieferschrecken können wie die Dinge von ungewohnter Form, auf die plötzlich ein greller Lichtstreif fällt.

Ich holte tief Atem, um mich zu beruhigen und den furchtbaren Eindruck, den mir Charouseks Erzählung verursacht hatte, abzuschütteln.

Ich sah die Leute genauer an, die mit mir in dem Hausflur warteten: Neben mir stand jetzt der dicke Alte. Derselbe, der vorhin so widerlich gelacht hatte.

Er hatte einen schwarzen Gehrock an und Handschuhe und starrte mit vorquellenden Augen unverwandt auf den Torbogen des Hauses gegenüber.

Sein glattrasiertes Gesicht mit den breiten, gemeinen Zügen zuckte vor Erregung.

Unwillkürlich folgte ich seinen Blicken und bemerkte, daß sie wie gebannt an der rothaarigen Rosina hingen, die drüben jenseits der Gasse stand, ihr immerwährendes Lächeln um die Lippen.

Der Alte war bemüht, ihr Zeichen zu geben, und ich sah, daß sie es wohl wußte, aber sich benahm, als verstünde sie nicht.

Endlich hielt es der Alte nicht länger aus, watete auf den Fußspitzen hinüber und hüpfte mit lächerlicher Elastizität wie ein großer schwarzer Gummiball über die Pfützen.

Man schien ihn zu kennen, denn ich hörte allerhand Glossen fallen, die darauf hinzielten. Ein Strolch hinter mir, ein rotes, gestricktes Tuch um den Hals, mit blauer Militärmütze, die Virginia hinter dem Ohr, machte mit grinsendem Mund Anspielungen, die ich nicht verstand.

Ich begriff nur, daß sie den Alten in der Judenstadt den «Freimaurer» nannten und in ihrer Sprache mit diesem Spitznamen jemand bezeichnen wollten, der sich an halbwüchsigen Mädchen zu vergehen pflegt, aber durch intime Beziehungen zur Polizei vor jeder Strafe sicher ist. —

Dann waren das Gesicht Rosinas und der Alte drüben im Dunkel des Hausflures verschwunden.




Punsch


Wir hatten das Fenster geöffnet, um den Tabakrauch aus meinem kleinen Zimmer strömen zu lassen.

Der kalte Nachtwind blies herein und wehte an die zottigen Mäntel, die an der Türe hingen, daß sie leise hin und her schwankten.

«Prokops würdige Haupteszierde möchte am liebsten davonfliegen», sagte Zwakh und deutete auf des Musikers großen Schlapphut, der die breite Krempe bewegte wie schwarze Flügel.

Josua Prokop zwinkerte lustig mit den Augenlidern.

«Er will», sagte er, «er will wahrscheinlich – »

«Er will zum ›Loisitschek‹ zur Tanzmusik», nahm ihm Vrieslander das Wort vorweg.

Prokop lachte und schlug mit der Hand den Takt zu den Klängen, die die dünne Winterluft her über die Dächer trug.

Dann nahm er meine alte, zerbrochene Gitarre von der Wand, tat, als zupfe er die zerbrochenen Saiten und sang mit kreischendem Falsett und gespreizter Betonung in Rotwelsch ein wunderliches Lied:

«An Bein-del von Ei-sen
recht alt
«An Stran-zen net gar
a so kalt
«Messinung, a’ Räucherl
und Rohn
«und immerrr nurr putz-en —

«Wie großartig er mit einem Mal die Gaunersprache beherrscht!» und Vrieslander lachte laut auf und brummte mit:

«Und stok-en sich Aufzug
und Pfiff
«Und schmallern an eisernes
G’süff.
«Juch, —
«Und Handschuhkren, Harom net san —

«Dieses kuriose Lied schnarrt jeden Abend beim ›Loisitschek‹ der meschuggene Nephtali Schaffranek mit dem grünen Augenschirm, und ein geschminktes Weibsbild spielt Harmonika und grölt den Text dazu», erklärte mir Zwakh. «Sie sollten auch einmal mit uns in diese Schenke gehen, Meister Pernath. Später vielleicht, wenn wir mit dem Punsch zu Ende sind, – was meinen Sie? Zur Feier Ihres heutigen Geburtstages?»

«Ja, ja, kommen Sie nachher mit uns», sagte Prokop und klinkte das Fenster zu, – «man muß so etwas gesehen haben».

Dann tranken wir den heißen Punsch und hingen unsern Gedanken nach.

Vrieslander schnitzte an einer Marionette.

«Sie haben uns förmlich von der Außenwelt abgeschnitten, Josua», unterbrach Zwakh die Stille, «seit Sie das Fenster geschlossen haben, hat niemand mehr ein Wort gesprochen».

«Ich dachte nur darüber nach, als vorhin die Mäntel so flogen, wie seltsam es ist, wenn der Wind leblose Dinge bewegt», antwortete Prokop schnell, wie um sich wegen seines Schweigens zu entschuldigen: «Es sieht gar so wunderlich aus, wenn Gegenstände plötzlich zu flattern anheben, die sonst immer tot daliegen. Nicht? – Ich sah einmal auf einem menschenleeren Platz zu, wie große Papierfetzen, – ohne daß ich vom Winde etwas spürte, denn ich stand durch ein Haus gedeckt, – in toller Wut im Kreise herumjagten und einander verfolgten, als hätten sie sich den Tod geschworen. Einen Augenblick später schienen sie sich beruhigt zu haben, aber plötzlich kam wieder eine wahnwitzige Erbitterung über sie, und in sinnlosem Grimm rasten sie umher, drängten sich in einen Winkel zusammen, um von neuem besessen auseinander zu stieben und schließlich hinter einer Ecke zu verschwinden.

Nur eine dicke Zeitung konnte nicht mitkommen; sie blieb auf dem Pflaster liegen und klappte haßerfüllt auf und zu, als sei ihr der Atem ausgegangen und als schnappe sie nach Luft.

Ein dunkler Verdacht stieg damals in mir auf: was, wenn am Ende wir Lebewesen auch so etwas Ähnliches wären wie solche Papierfetzen? – Ob nicht vielleicht ein unsichtbarer, unbegreiflicher «Wind» auch uns hin und her treibt und unsre Handlungen bestimmt, während wir in unserer Einfalt glauben unter eigenem, freiem Willen zu stehen?

Wie, wenn das Leben in uns nichts anderes wäre als ein rätselhafter Wirbelwind? Jener Wind, von dem die Bibel sagt: Weißt du, von wannen er kommt und wohin er geht? – Träumen wir nicht auch zuweilen, wir griffen in tiefes Wasser und fingen silberne Fische, und nichts anderes ist geschehen, als daß ein kalter Luftzug unsere Hände traf?»

«Prokop, Sie sprechen in Worten wie Pernath, was ist’s mit Ihnen?» sagte Zwakh und sah den Musiker mißtrauisch an.

«Die Geschichte vom Buch Ibbur, die vorhin erzählt wurde, – schade, daß Sie so spät kamen und sie nicht mit anhörten, – hat ihn so nachdenklich gestimmt», meinte Vrieslander.

«Eine Geschichte von einem Buche?»

«Eigentlich von einem Menschen, der ein Buch brachte und seltsam aussah. – Pernath weiß nicht, wie er heißt, wo er wohnt, was er wollte, und obwohl sein Aussehen sehr auffallend gewesen sein soll, lasse es sich doch nicht recht schildern».

Zwakh horchte auf.

«Das ist sehr merkwürdig», sagte er nach einer Pause, «war der Fremde vielleicht bartlos, und hatte er schrägstehende Augen?»

«Ich glaube», antwortete ich, «das heißt, ich – ich – weiß es ganz bestimmt. Kennen Sie ihn denn?»

Der Marionettenspieler schüttelte den Kopf. «Er erinnerte mich nur an den ›Golem‹».

Der Maler Vrieslander ließ sein Schnitzmesser sinken:

«Golem? – Ich habe schon so viel davon reden hören. Wissen Sie etwas über den Golem, Zwakh?»

«Wer kann sagen, daß er über den Golem etwas wisse?», antwortete Zwakh und zuckte die Achseln. «Man verweist ihn ins Reich der Sage, bis sich eines Tages in den Gassen ein Ereignis vollzieht, das ihn plötzlich wieder aufleben läßt. Und eine Zeitlang spricht dann jeder von ihm, und die Gerüchte wachsen ins Ungeheuerliche. Werden so übertrieben und aufgebauscht, daß sie schließlich an der eigenen Unglaubwürdigkeit zugrunde gehen. Der Ursprung der Geschichte reicht wohl ins siebzehnte Jahrhundert zurück, sagt man. Nach verlorengegangenen Vorschriften der Kabbala soll ein Rabbiner da einen künstlichen Menschen – den sogenannten Golem – verfertigt haben, damit er ihm als Diener helfe die Glocken in der Synagoge läuten, und allerhand grobe Arbeit tue.

Es sei aber doch kein richtiger Mensch daraus geworden und nur ein dumpfes, halbbewußtes Vegetieren habe ihn belebt. Wie es heißt, auch das nur tagsüber und kraft des Einflusses eines magischen Zettels, der ihm hinter den Zähnen stak und die freien siderischen Kräfte des Weltalls herabzog.

Und als eines Abends vor dem Nachtgebet der Rabbiner das Siegel aus dem Munde des Golem zu nehmen versäumt, da wäre dieser in Tobsucht verfallen, in der Dunkelheit durch die Gassen gerast und hätte zerschlagen, was ihm in den Weg gekommen.

Bis der Rabbi sich ihm entgegengeworfen und den Zettel vernichtet habe.

Und da sei das Geschöpf leblos niedergestürzt. Nichts blieb von ihm übrig als die zwerghafte Lehmfigur, die heute noch drüben in der Altneusynagoge gezeigt wird».

«Derselbe Rabbiner soll einmal auch zum Kaiser auf die Burg berufen worden sein und die Schemen der Toten beschworen und sichtbar gemacht haben», warf Prokop ein, «moderne Forscher behaupten, er habe sich dazu einer Laterna magica bedient».

«Jawohl, keine Erklärung ist abgeschmackt genug, daß sie bei den Heutigen nicht Beifall fände», fuhr Zwakh unbeirrt fort. – «Eine Laterna magica!! Als ob Kaiser Rudolf, der sein ganzes Leben solchen Dingen nachging, einen so plumpen Schwindel nicht auf den ersten Blick hätte durchschauen müssen!

Ich kann freilich nicht wissen, worauf sich die Golemsage zurückführen läßt, daß aber irgend etwas, was nicht sterben kann, in diesem Stadtviertel sein Wesen treibt und damit zusammenhängt, dessen bin ich sicher. Von Geschlecht zu Geschlecht haben meine Vorfahren hier gewohnt, und niemand kann wohl auf mehr erlebte und ererbte Erinnerungen an das periodische Auftauchen des Golem zurückblicken als gerade ich!»

Zwakh hatte plötzlich aufgehört zu reden, und man fühlte mit ihm, wie seine Gedanken in vergangene Zeiten zurückwanderten.

Wie er, den Kopf aufgestützt, dort am Tische saß und beim Scheine der Lampe seine roten, jugendlichen Bäckchen fremdartig von dem weißen Haar abstachen, verglich ich unwillkürlich im Geiste seine Züge mit den maskenhaften Gesichtern seiner Marionetten, die er mir so oft gezeigt.

Seltsam, wie ähnlich ihnen der alte Mann doch sah!

Derselbe Ausdruck und derselbe Gesichtsschnitt!

Manche Dinge der Erde können nicht loskommen voneinander, fühlte ich, und wie ich Zwakhs einfaches Schicksal an mir vorüberziehen ließ, da schien es mir mit einemmal gespenstisch und ungeheuerlich, daß ein Mensch wie er, obschon er eine bessere Erziehung als seine Vorfahren genossen hatte und Schauspieler hätte werden sollen, plötzlich wieder zu dem schäbigen Marionettenkasten zurückkehren konnte, um nun abermals auf die Jahrmärkte zu ziehen und dieselben Puppen, die schon seiner Vorväter kümmerliches Erwerbsmittel gewesen, von neuem ihre ungelenken Verbeugungen machen und schläfrigen Erlebnisse vorführen zu lassen.

Er vermag es nicht, sich von ihnen zu trennen, begriff ich; sie leben mit von seinem Leben, und als er fern von ihnen war, da haben sie sich in Gedanken verwandelt, haben in seinem Hirn gewohnt und ihn rast- und ruhelos gemacht, bis er wieder heimkehrte. Darum hält er sie jetzt so liebevoll und kleidet sie stolz in Flitter.

«Zwakh, wollen Sie uns nicht weitererzählen?» forderte Prokop den Alten auf und sah fragend nach Vrieslander und mir hin, ob auch wir gleichen Wunsches seien.

«Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll», meinte der Alte zögernd, «die Geschichte mit dem Golem läßt sich schwer fassen. So wie Pernath vorhin sagte: er wisse genau, wie jener Unbekannte ausgesehen habe, und doch könne er ihn nicht schildern. Ungefähr alle dreiunddreißig Jahre wiederholt sich ein Ereignis in unsern Gassen, das gar nichts besonders Aufregendes an sich trägt und dennoch ein Entsetzen verbreitet, für das weder eine Erklärung noch eine Rechtfertigung ausreicht:

Immer wieder begibt es sich nämlich, daß ein vollkommen fremder Mensch, bartlos, von gelber Gesichtsfarbe und mongolischem Typus, aus der Richtung der Altschulgasse her, in altmodische, verschossene Kleider gehüllt, gleichmäßigen und eigentümlich stolpernden Ganges, so, als wolle er jeden Augenblick vornüber fallen, durch die Judenstadt schreitet und plötzlich – unsichtbar wird.

Gewöhnlich biegt er in eine Gasse und ist dann verschwunden.

Ein andermal heißt es, er habe auf seinem Wege einen Kreis beschrieben und sei zu dem Punkte zurückgekehrt, von dem er ausgegangen: einem uralten Hause in der Nähe der Synagoge.

Einige Aufgeregte wiederum behaupten, sie hätten ihn um eine Ecke auf sich zukommen sehen. Wiewohl er ihnen aber ganz deutlich entgegengeschritten, sei er dennoch, genau wie jemand, dessen Gestalt sich in weiter Ferne verliert, immer kleiner und kleiner geworden und – schließlich ganz verschwunden.

Vor Sechsundsechzig Jahren nun muß der Eindruck, den er hervorgebracht, besonders tief gegangen sein, denn ich erinnere mich – ich war noch ein ganz kleiner Junge —, daß man das Gebäude in der Altschulgasse damals von oben bis unten durchsuchte.

Es wurde auch festgestellt, daß wirklich in diesem Hause ein Zimmer mit Gitterfenster vorhanden ist, zu dem es keinen Zugang gibt.

Aus allen Fenstern hatte man Wäsche gehängt, um von der Gasse aus einen Augenschein zu gewinnen, und war auf diese Weise der Tatsache auf die Spur gekommen.

Da es anders nicht zu erreichen gewesen, hatte sich ein Mann an einem Strick vom Dache herabgelassen, um hineinzusehen. Kaum aber war er in die Nähe des Fensters gelangt, da riß das Seil, und der Unglückliche zerschmetterte sich auf dem Pflaster den Schädel. Und als später der Versuch nochmals wiederholt werden sollte, gingen die Ansichten über die Lage des Fensters derart auseinander, daß man davon abstand.

Ich selber begegnete dem ›Golem‹ das erste Mal in meinem Leben vor ungefähr dreiunddreißig Jahren.

Er kam in einem sogenannten Durchhause auf mich zu, und wir rannten fast aneinander.

Es ist mir heute noch unbegreiflich, was damals in mir vorgegangen sein muß. Man trägt doch um Gottes willen nicht immerwährend, tagaus tagein die Erwartung mit sich herum, man werde dem Golem begegnen.

In jenem Augenblick aber, bestimmt – ganz bestimmt, noch ehe ich seiner ansichtig werden konnte, schrie etwas in mir gellend auf: der Golem! Und im selben Moment stolperte jemand aus dem Dunkel des Torflures hervor, und jener Unbekannte ging an mir vorüber. Eine Sekunde später drang eine Flut bleicher, aufgeregter Gesichter mir entgegen, die mich mit Fragen bestürmten, ob ich ihn gesehen hätte.

Und als ich antwortete, da fühlte ich, daß sich meine Zunge wie aus einem Krampfe löste, von dem ich vorher nichts gespürt hatte.

Ich war förmlich überrascht, daß ich mich bewegen konnte, und deutlich kam mir zum Bewußtsein, daß ich mich, wenn auch nur den Bruchteil eines Herzschlags lang – in einer Art Starrkrampf befunden haben mußte.

Über all das habe ich oft und lange nachgedacht, und mich dünkt, ich komme der Wahrheit am nächsten, wenn ich sage: Immer einmal in der Zeit eines Menschenalters geht blitzschnell eine geistige Epidemie durch die Judenstadt, befällt die Seelen der Lebenden zu irgendeinem Zweck, der uns verhüllt bleibt, und läßt wie eine Luftspiegelung die Umrisse eines charakteristischen Wesens erstehen, das vielleicht vorjahrhunderten hier gelebt hat und nach Form und Gestaltung dürstet.

Vielleicht ist es mitten unter uns, Stunde für Stunde, und wir nehmen es nicht wahr. Hören wir doch auch den Ton einer schwirrenden Stimmgabel nicht, bevor sie das Holz berührt und es mitschwingen macht.

Vielleicht ist es nur so etwas wie ein seelisches Kunstwerk, ohne innewohnendes Bewußtsein, – ein Kunstwerk, das entsteht, wie ein Kristall nach stets sich gleichbleibendem Gesetz aus dem Gestaltlosen herauswächst.

Wer weiß das?

Wie in schwülen Tagen die elektrische Spannung sich bis zur Unerträglichkeit steigert und endlich den Blitz gebiert, könnte es da nicht sein, daß auch auf die stetige Anhäufung jener niemals wechselnden Gedanken, die hier im Getto die Luft vergiften, eine plötzliche, ruckweise Entladung folgen muß? – eine seelische Explosion, die unser Traumbewußtsein ans Tageslicht peitscht, um – dort den Blitz der Natur – hier ein Gespenst zu schaffen, das in Mienen, Gang und Gehaben, in allem und jedem das Symbol der Massenseele unfehlbar offenbaren müßte, wenn man die geheime Sprache der Formen nur richtig zu deuten verstünde?

Und wie mancherlei Erscheinungen das Einschlagen des Blitzes ankünden, so verraten auch hier gewisse grauenhafte Vorzeichen das drohende Hereinbrechen jenes Phantoms ins Reich der Tat. Der abblätternde Bewurf einer alten Mauer nimmt eine Gestalt an, die einem schreitenden Menschen gleicht; und in Eisblumen am Fenster bilden sich Züge starrer Gesichter. Der Sand vom Dache scheint anders zu fallen als sonst und drängt dem argwöhnischen Beobachter den Verdacht auf, eine unsichtbare Intelligenz, die sich lichtscheu verborgen hält, werfe ihn herab und übe sich in heimlichen Versuchen, allerlei seltsame Umrisse hervorzubringen. – Ruht das Auge auf eintönigem Geflecht oder den Unebenheiten der Haut, bemächtigt sich unser die unerfreuliche Gabe, überall mahnende, bedeutsame Formen zu sehen, die in unsern Träumen ins Riesengroße auswachsen. Und immer zieht sich durch solche schemenhaften Versuche der angesammelten Gedankenherden, die Wälle der Alltäglichkeit zu durchnagen, für uns wie ein roter Faden die qualvolle Gewißheit, daß unser eigenstes Inneres mit Vorbedacht und gegen unsern Willen ausgesogen wird, nur damit die Gestalt des Phantoms plastisch werden könne.

Wie ich nun vorhin Pernath bestätigen hörte, daß ihm ein Mensch begegnet sei, bartlos, mit schiefgestellten Augen, da stand der «Golem» vor mir, wie ich ihn damals gesehen.

Wie aus dem Boden gewachsen stand er vor mir.

Und eine gewisse dumpfe Furcht, es stehe wieder etwas Unerklärliches nahe bevor, befiel mich einen Augenblick lang; dieselbe Angst, die ich schon einmal in meinen Kinderjahren verspürt, als die ersten spukhaften Äußerungen des Golem ihre Schatten vorauswarfen.

Sechsundsechzig Jahre ist das wohl jetzt her und knüpft sich an einen Abend, an dem der Bräutigam meiner Schwester zu Besuch gekommen war, und in der Familie der Tag der Hochzeit festgesetzt werden sollte.

Es wurde damals Blei gegossen – zum Scherz – und ich stand mit offenem Munde dabei und begriff nicht, was das zu bedeuten habe, – in meiner wirren, kindlichen Vorstellung brachte ich es in Zusammenhang mit dem Golem, von dem ich meinen Großvater oft hatte erzählen hören, und bildete mir ein, jeden Augenblick müsse die Tür aufgehen und der Unbekannte eintreten.

Meine Schwester leerte dann den Löffel mit dem flüssigen Metall in das Wasserschaff und lachte mich, der ich aufgeregt zusah, lustig an.

Mit welken, zitternden Händen holte mein Großvater den blitzenden Bleiklumpen heraus und hielt ihn ans Licht. Gleich darauf entstand eine allgemeine Erregung. Man redete laut durcheinander; ich wollte mich hinzudrängen, aber man wehrte mich ab.

Später, als ich älter geworden, erzählte mir mein Vater, es wäre damals das geschmolzene Metall zu einem kleinen, ganz deutlichen Kopf erstarrt gewesen, – glatt und rund, wie nach einer Form gegossen, und von unheimlicher Ähnlichkeit mit den Zügen des «Golem», daß sich alle entsetzt hätten.

Oft sprach ich mit dem Archivar Schemajah Hillel, der die Requisiten der Altneusynagoge in Verwahrung hat und auch die gewisse Lehmfigur aus Kaiser Rudolfs Zeiten, darüber. Er hat sich mit Kabbala befaßt und meint, jener Erdklumpen mit den menschlichen Gliedmaßen sei vielleicht nichts anderes als ein ehemaliges Vorzeichen, ganz so wie in meinem Fall der bleierne Kopf. Und der Unbekannte, der da umgehe, müsse das Phantasie- oder Gedankenbild sein, das jener mittelalterliche Rabbiner zuerst lebendig gedacht habe, ehe er es mit Materie bekleiden konnte, und das nun in regelmäßigen Zeitabschnitten, bei den gleichen astrologischen Sternstellungen, unter denen es erschaffen worden – wiederkehre, vom Triebe nach stofflichem Leben gequält.

Auch Hillels verstorbene Frau hatte den «Golem» von Angesicht zu Angesicht erblickt und ebenso wie ich gefühlt, daß man sich im Starrkrampf befindet, solange das rätselhafte Wesen in der Nähe weilt.

Sie sagte, sie sei felsenfest überzeugt gewesen, daß es damals nur ihre eigene Seele habe sein können, die – aus dem Körper getreten – ihr einen Augenblick gegenübergestanden und mit den Zügen eines fremden Geschöpfes ins Gesicht gestarrt hätte.

Trotz eines furchtbaren Grauens, das sich ihrer damals bemächtigt, habe sie doch keine Sekunde die Gewißheit verlassen, daß jener andere nur ein Stück ihres eignen Innern sein konnte». —

«Es ist unglaublich», murmelte Prokop in Gedanken verloren.

Auch der Maler Vrieslander schien ganz in Grübeln versunken.

Da klopfte es an die Türe und das alte Weib, das mir des Abends Wasser bringt und was ich sonst noch nötig habe, trat ein, stellte den tönernen Krug auf den Boden und ging stillschweigend wieder hinaus.

Wir alle hatten aufgeblickt und sahen wie erwacht im Zimmer umher, aber noch lange Zeit sprach niemand ein Wort.

Als sei ein neuer Einfluß mit der Alten zur Tür hereingeschlüpft, an den man sich erst gewöhnen mußte.

«Ja! Die rothaarige Rosina, das ist auch so ein Gesicht, das man nicht loswerden kann und aus den Winkeln und Ecken immer wieder auftauchen sieht», sagte plötzlich Zwakh ganz unvermittelt. «Dieses erstarrte, grinsende Lächeln kenne ich nun schon ein ganzes Menschenleben. Erst die Großmutter, dann die Mutter! – Und stets das gleiche Gesicht, kein Zug anders! Derselbe Name Rosina; – es ist immer eine die Auferstehung der andern».

«Ist Rosina nicht die Tochter des Trödlers Aaron Wassertrum?» fragte ich.

«Man spricht so», meinte Zwakh, – «Aaron Wassertrum aber hat manchen Sohn und manche Tochter, von denen man nicht weiß. Auch bei Rosinas Mutter wußte man nicht, wer ihr Vater gewesen, – auch nicht, was aus ihr geworden ist. – Mit fünfzehn Jahren hatte sie ein Kind geboren und war seitdem nicht mehr aufgetaucht. Ihr Verschwinden hing mit einem Mord zusammen, soweit ich mich entsinnen kann, der ihretwegen in diesem Hause begangen wurde.

Wie jetzt ihre Tochter, spukte damals sie den halbwüchsigen Jungen im Kopfe. Einer von ihnen lebt noch, – ich sehe ihn öfter, – doch sein Name ist mir entfallen. Die andern sind bald gestorben, und ich meine, sie hat sie alle frühzeitig unter die Erde gebracht. Ich erinnere mich aus jener Zeit überhaupt nur noch an kurze Episoden, die wie verblichene Bilder durch mein Gedächtnis treiben. So hat es damals einen halbblödsinnigen Menschen gegeben, der nachts von Schenke zu Schenke zog und den Gästen gegen ein paar Kreuzer Silhouetten aus schwarzem Papier schnitt. Und wenn man ihn betrunken machte, geriet er in eine unsägliche Traurigkeit, und unter Tränen und Schluchzen schnitzelte er, ohne aufzuhören, immer das gleiche scharfe Mädchenprofil, bis sein ganzer Papiervorrat verbraucht war.

Aus Zusammenhängen zu schließen, die ich längst vergessen, hatte er – fast ein Kind noch – eine gewisse Rosina, wohl die Großmutter der heutigen, so heftig geliebt, daß er den Verstand darüber verlor.

Wenn ich die Jahre zurückzähle, kann es keine andere als die Großmutter der jetzigen Rosina gewesen sein». —

Zwakh schwieg und lehnte sich zurück.

Das Schicksal in diesem Haus irrt im Kreise umher und kehrt immer wieder zum selben Punkt zurück, fuhr es mir durch den Sinn, und ein häßliches Bild, das ich einmal mit angesehen – eine Katze mit verletzter Gehirnhälfte im Kreise herumtaumelnd – trat vor mein Auge.

«Jetzt kommt der Kopf», hörte ich plötzlich den Maler Vrieslander mit heller Stimme sagen.

Und er nahm einen runden Holzklotz aus der Tasche und begann an ihm zu schnitzen.

Eine schwere Müdigkeit legte sich mir über die Augen, und ich rückte meinen Lehnstuhl aus dem Lichtschein in den Hintergrund.

Das Wasser für den Punsch brodelte im Kessel, und Josua Prokop füllte wiederum die Gläser. Leise, ganz leise klangen die Klänge der Tanzmusik durch das geschlossene Fenster; – manchmal verstummten sie vollends, dann wiederum wachten sie ein wenig auf, wie sie der Wind unterwegs verlor oder zu uns von der Gasse emportrug.

Ob ich denn nicht anstoßen wolle, fragte mich nach einer Weile der Musiker.

Ich aber gab keine Antwort, – so vollkommen war mir der Wille, mich zu bewegen, abhanden gekommen, daß ich gar nicht auf den Gedanken, den Mund zu öffnen, verfiel.

Ich dachte ich schliefe, so steinern war die innere Ruhe, die sich meiner bemächtigt hatte. Und ich mußte hinüber auf Vrieslanders funkelndes Messer blinzeln, das ruhelos aus dem Holz kleine Späne biß, – um die Gewißheit zu erlangen, daß ich wach sei.

In weiter Ferne brummte Zwakhs Stimme und erzählte wieder allerlei wunderliche Geschichten über Marionetten und krause Märchen, die er für seine Puppenspiele erdacht.

Auch von Dr. Savioli war die Rede und von der vornehmen Dame, der Gattin eines Adeligen, die in das versteckte Atelier heimlich zu Savioli zu Besuch komme.

Und wiederum sah ich im Geiste Aaron Wassertrums höhnische, triumphierende Miene. —

Ob ich Zwakh nicht mitteilen sollte, was sich damals ereignet hatte, überlegte ich, – dann hielt ich es nicht der Mühe für wert und für belanglos. Auch wußte ich, daß mein Wille versagen würde, wollte ich jetzt den Versuch machen zu sprechen.

Plötzlich sahen die drei am Tisch aufmerksam zu mir herüber, und Prokop sagte ganz laut: «Er ist eingeschlafen», – so laut, daß es fast klang, als ob es eine Frage sein sollte.

Sie redeten mit gedämpfter Stimme weiter, und ich erkannte, daß sie von mir sprachen.

Vrieslanders Schnitzmesser tanzte hin und her und fing das Licht auf, das von der Lampe niederfloß, und der spiegelnde Schein brannte mir in den Augen.

Es fiel ein Wort wie: «irr sein», und ich horchte auf die Rede, die in der Runde ging.

«Gebiete, wie das vom ›Golem‹ sollte man vor Pernath nie berühren», sagte Josua Prokop vorwurfsvoll, «als er vorhin von dem Buche Ibbur erzählte, schwiegen wir still und fragten nicht weiter. Ich möchte wetten, er hat alles nur geträumt».

Zwakh nickte: «Sie haben ganz recht. Es ist, wie wenn man mit offenem Lichte eine verstaubte Kammer betreten wollte, in der morsche Tücher Decke und Wände bespannen und der dürre Zunder der Vergangenheit fußhoch den Boden bedeckt; ein flüchtiges Berühren nur und schon schlägt das Feuer aus allen Ecken».

«War Pernath lange im Irrenhaus? Schade um ihn, er kann doch erst vierzig sein», sagte Vrieslander.

«Ich weiß es nicht, ich habe auch keine Vorstellung, woher er stammen mag und was früher sein Beruf gewesen ist. Aussehen tut er ja wie ein altfranzösischer Edelmann mit seiner schlanken Gestalt und dem Spitzbart. Vor vielen vielen Jahren hat mich ein befreundeter alter Arzt gebeten, ich möchte mich seiner ein wenig annehmen und ihm eine kleine Wohnung hier in diesen Gassen, wo sich niemand um ihn kümmern und mit Fragen nach früheren Zeiten beunruhigen würde, aussuchen». – Wieder sah Zwakh bewegt zu mir herüber. – «Seit jener Zeit lebt er hier, bessert Antiquitäten aus und schneidet Gemmen und hat sich damit einen kleinen Wohlstand gegründet. Es ist ein Glück für ihn, daß er alles, was mit seinem Wahnsinn zusammenhängt, vergessen zu haben scheint. Fragen Sie ihn beileibe nur niemals nach Dingen, die die Vergangenheit in seiner Erinnerung wachrufen könnten, – wie oft hat mir das der alte Arzt ans Herz gelegt! Wissen Sie, Zwakh, sagte er immer, wir haben so eine gewisse Methode; wir haben seine Krankheit mit vieler Mühe eingemauert, möchte ich’s nennen, – so wie man eine Unglücksstätte einfriedet, weil sich an sie eine traurige Erinnerung knüpft». —

Die Rede des Marionettenspielers war auf mich zugekommen wie ein Schlächter auf ein wehrloses Tier und preßte mir mit rohen, grausamen Händen das Herz zusammen.

Von jeher hatte eine dumpfe Qual an mir genagt, – ein Ahnen, als wäre mir etwas genommen worden und als hätte ich in meinem Leben eine lange Strecke Wegs an einem Abgrunde hin durchschritten wie ein Schlafwandler. Und nie war es mir gelungen, die Ursache zu ergründen.

Jetzt lag des Rätsels Lösung offen vor mir und brannte mich unerträglich wie eine bloßgelegte Wunde.

Mein krankhafter Widerwillen, der Erinnerung an verflossene Ereignisse nachzuhängen, – dann der seltsame, von Zeit zu Zeit immer wiederkehrende Traum, ich sei in ein Haus mit einer Flucht mir unzugänglicher Gemächer gesperrt, – das beängstigende Versagen meines Gedächtnisses in Dingen, die meine Jugendzeit betrafen, – alles das fand mit einem Male seine furchtbare Erklärung: ich war wahnsinnig gewesen und man hatte Hypnose angewandt, hatte das – «Zimmer» verschlossen, das die Verbindung zu jenen Gemächern meines Gehirns bildete, und mich zum Heimatlosen inmitten des mich umgebenden Lebens gemacht.

Und keine Aussicht, die verlorene Erinnerung je wieder zu gewinnen!

Die Triebfedern meines Denkens und Handelns liegen in einem andern, vergessenen Dasein verborgen, begriff ich, – nie würde ich sie erkennen können: eine verschnittene Pflanze bin ich, ein Reis, das aus einer fremden Wurzel sproßt. Gelänge es mir auch, den Eingang in jenes verschlossene «Zimmer» zu erzwingen, müßte ich nicht abermals den Gespenstern, die man darein gebannt, in die Hände fallen?!

Die Geschichte von dem Golem, die Zwakh vor einer Stunde erzählte, zog mir durch den Sinn, und plötzlich erkannte ich einen riesengroßen, geheimnisvollen Zusammenhang zwischen dem sagenhaften Gemach ohne Zugang, in dem jener Unbekannte wohnen sollte, und meinem bedeutungsvollen Traum.

Ja! auch in meinem Falle «würde der Strick reißen», wollte ich versuchen, in das vergitterte Fenster meines Innern zu blicken.

Der seltsame Zusammenhang wurde mir immer deutlicher und nahm etwas unbeschreiblich Erschreckendes für mich an.

Ich fühlte: es sind da Dinge – unfaßbare – zusammengeschmiedet und laufen wie blinde Pferde, die nicht wissen wohin der Weg führt, nebeneinander her.

Auch im Getto: ein Zimmer, ein Raum, dessen Eingang niemand finden kann, – ein schattenhaftes Wesen, das darin wohnt und nur zuweilen durch die Gassen tappt, um Grauen und Entsetzen unter die Menschen zu tragen! —

Immer noch schnitzte Vrieslander an dem Kopfe, und das Holz knirschte unter der Klinge des Messers.

Es tat mir fast weh, wie ich es hörte, und ich sah hin, ob es denn nicht bald zu Ende sei.

Wie der Kopf sich in des Malers Hand hin und her wandte, war es, als habe er Bewußtsein und spähe von Winkel zu Winkel. Dann ruhten seine Augen lange auf mir, befriedigt, daß sie mich endlich gefunden.

Auch ich vermochte meine Blicke nicht mehr abzuwenden und starrte unverwandt auf das hölzerne Antlitz.

Eine Weile schien das Messer des Malers zögernd etwas zu suchen, dann ritzte es entschlossen eine Linie ein, und plötzlich gewannen die Züge des Holzklotzes schreckhaftes Leben.

Ich erkannte das gelbe Gesicht des Fremden, der mir damals das Buch gebracht.

Dann konnte ich nichts mehr unterscheiden, der Anblick hatte nur eine Sekunde gedauert, und ich spürte, daß mein Herz zu schlagen aufhörte und ängstlich flatterte.

Dennoch blieb ich mir – wie damals – des Gesichtes bewußt.

Ich war es selber geworden und lag auf Vrieslanders Schoß und spähte umher.

Meine Augen wanderten im Zimmer umher, und eine fremde Hand bewegte meinen Schädel.

Dann sah ich mit einem Male Zwakhs aufgeregte Miene und hörte seine Worte: Um Gottes willen, das ist ja der Golem!

Und ein kurzes Ringen entstand, und man wollte Vrieslander mit Gewalt das Schnitzwerk entreißen, doch der wehrte sich und rief lachend:

«Was wollt ihr, es ist doch ganz und gar mißlungen». Und er wand sich los, öffnete das Fenster und warf den Kopf auf die Gasse hinunter.

Da schwand mein Bewußtsein, und ich tauchte in eine tiefe Finsternis, die von schimmernden Goldfäden durchzogen war, und als ich, wie es mir schien, nach einer langen, langen Zeit erwachte, da erst hörte ich das Holz klappernd auf das Pflaster fallen. —

«Sie haben so fest geschlafen, daß Sie nicht merkten, wie wir Sie schüttelten», – sagte Josua Prokop zu mir, «der Punsch ist aus, und Sie haben alles versäumt».

Der heiße Schmerz über das, was ich vorhin mitangehört, übermannte mich wieder, und ich wollte aufschreien, daß ich nicht geträumt habe, als ich ihnen von dem Buche Ibbur erzählte – und es aus der Kassette nehmen und ihnen zeigen könne.

Aber diese Gedanken kamen nicht zu Wort und konnten die Stimmung allgemeinen Aufbruches, die meine Gäste ergriffen hatte, nicht durchdringen.

Zwakh hängte mir mit Gewalt den Mantel und rief:

«Kommen Sie nur mit zum Loisitschek, Meister Pernath, es wird Ihre Lebensgeister erfrischen».




Nacht


Willenlos hatte ich mich von Zwakh die Treppe hinunterführen lassen.

Ich spürte den Geruch des Nebels, der von der Straße ins Haus drang, deutlicher und deutlicher werden. Josua Prokop und Vrieslander waren einige Schritte vorausgegangen, und man hörte, wie sie draußen vor dem Torweg mitsammen sprachen.

«Er muß rein in das Kanalgitter gefallen sein. Es ist doch zum Teufelholen».

Wir traten hinaus auf die Gasse, und ich sah, wie Prokop sich bückte und die Marionette suchte.

«Freut mich, daß du den dummen Kopf nicht finden kannst», brummte Vrieslander. Er hatte sich an die Mauer gestellt und sein Gesicht leuchtete grell auf und erlosch wieder in kurzen Intervallen – wie er das Feuer eines Streichholzes zischend in seine kurze Pfeife sog.

Prokop machte eine heftig abwehrende Bewegung mit dem Arm und beugte sich noch tiefer hinab. Er kniete beinahe auf dem Pflaster:

«Still doch! Hört ihr denn nichts?»

Wir traten an ihn heran. Er deutete stumm auf das Kanalgitter und legte horchend die Hand ans Ohr. Eine Weile standen wir unbeweglich und lauschten in den Schacht hinab.

Nichts.

«Was war’s denn?» flüsterte endlich der alte Marionettenspieler; doch sofort packte ihn Prokop heftig beim Handgelenk.

Einen Augenblick – kaum einen Herzschlag lang – hatte es mir geschienen, als klopfte da unten eine Hand gegen eine Eisenplatte – fast unhörbar. Wie ich eine Sekunde später darüber nachdachte, war alles vorbei; nur in meiner Brust hallte es wie ein Erinnerungsecho weiter und löste sich langsam in ein unbestimmtes Gefühl des Grauens auf.

Schritte, die die Gasse heraufkamen, verscheuchten den Eindruck.

«Gehen wir; was stehen wir da herum!» mahnte Vrieslander.

Wir schritten die Häuserreihe entlang.

Prokop folgte nur widerwillig.

«Meinen Hals möcht ich wetten, da unten hat jemand geschrien in Todesangst».

Niemand von uns antwortete ihm, aber ich fühlte, daß etwas wie leise dämmernde Angst uns die Zunge in Fesseln hielt.

Bald darauf standen wir vor einem rotverhängten Schenkenfenster.

«SALON LOISITSCHEK».

«Heinte großes Konzehr» stand auf einem Pappendeckel geschrieben, dessen Rand mit verblichenen Photographien von Frauenzimmern bedeckt war.

Ehe noch Zwakh die Hand auf die Klinke legen konnte, öffnete sich die Eingangstür nach innen, und ein vierschrötiger Kerl mit gewichstem schwarzem Haar, ohne Kragen – eine grünseidene Krawatte um den bloßen Hals geschlungen und die Frackweste mit einem Klumpen aus Schweinszähnen geschmückt – empfing uns mit Bücklingen.

«Jä, jä, das sin mir Gästäh. – Pane Schaffranek, rasch einen Tusch!» setzte er, über die Schulter in das von Menschen überfüllte Lokal gewendet, hastig seinem Willkommensgruß hinzu.

Ein klimperndes Geräusch, wie wenn eine Ratte über Klaviersaiten liefe, war die Antwort.

«Jä, jä, das sin mir Gästäh, das sin mir Gästäh. Da schaut man», murmelte der Vierschrötige immerwährend eifrig vor sich hin, während er uns aus den Mänteln half.

«Ja, ja, heinte ist der ganze verehrliche Hochadel des Landes bei mir versammelt», beantwortete er triumphierend Vrieslanders erstaunte Miene, als im Hintergrund auf einer Art Estrade, die durch Geländer und eine zweistufige Treppe vom vorderen Teil der Schenke getrennt war, ein paar vornehme junge Herren in Abendtoilette sichtbar wurden.

Schwaden beißenden Tabakrauches lagerten über den Tischen, hinter denen die langen Holzbänke an den Wänden vollbesetzt von zerlumpten Gestalten waren: Dirnen von den Schanzen, ungekämmt, schmutzig, barfuß, die festen Brüste kaum verhüllt von mißfarbigen Umhängetüchern, Zuhälter daneben mit blauen Militärmützen und Zigaretten hinter dem Ohr, Viehhändler mit haarigen Fäusten und schwerfälligen Fingern, die bei jeder Bewegung eine stumme Sprache der Niedertracht redeten, vazierende Kellner mit frechen Augen und blatternarbige Kommis mit karierten Hosen.

«Ich stell’ ich Ihnen spanische Plente umadum, damit Sie schön ungestört sein», krächzte die feiste Stimme des Vierschrötigen, und eine Rollwand, beklebt mit kleinen, tanzenden Chinesen, schob sich langsam vor den Ecktisch, an den wir uns gesetzt hatten.

Schnarrende Klänge einer Harfe machten das Stimmengewirr im Zimmer verlöschen.

Eine Sekunde eine rhythmische Pause.

Totenstille, als hielte alles den Atem an.

Mit erschreckender Deutlichkeit hörte man plötzlich wie die eisernen Gasstäbe fauchend die flachen herzförmigen Flammen aus ihren Mündern in die Luft bliesen – dann fiel die Musik über das Geräusch her und verschlang es.

Als wären sie soeben erst entstanden, tauchten da zwei seltsame Gestalten aus dem Tabakqualm vor meinem Blick empor.

Mit langem, wallendem, weißen Prophetenbart, ein schwarzseidenes Käppchen – wie es die alten jüdischen Familienväter tragen – auf dem Kahlkopf, die blinden Augen milchbläulich und gläsern – starr zur Decke gerichtet – saß dort ein Greis, bewegte lautlos die Lippen und fuhr mit dürren Fingern wie mit Geierkrallen in die Saiten einer Harfe. Neben ihm in speckglänzendem, schwarzen Taffetkleid, Jettschmuck und Jettkreuz an Hals und Armen – ein Sinnbild erheuchelter Bürgermoral – ein schwammiges Weibsbild, die Ziehharmonika auf dem Schoß.

Ein wildes Gestolper von Klängen drängte sich aus den Instrumenten, dann sank die Melodie ermattet zur bloßen Begleitung herab.

Der Greis hatte ein paarmal in die Luft gebissen und riß den Mund weit auf, daß man die schwarzen Zahnstumpen sehen konnte. Langsam aus der Brust herauf rang sich ihm, von seltsamen hebräischen Röchellauten begleitet, ein wilder Baß:

«Roo – n – te, blau – we Stern —»

«Rititit» (schrillte das Weibsbild dazwischen und schnappte sofort die keifigen Lippen zusammen, als habe sie schon zuviel gesagt)

«Roonte blaue Steern

Hörndlach ess i’ ach geern»;

«Rititit»

«Rotboart, Grienboart

allerlaj Stern» —

«Rititit, rititit».

Die Paare traten zum Tanze an.

«Es ist das Lied vom ›chomezigen Borchu‹», erklärte uns lächelnd der Marionettenspieler und schlug leise mit dem Zinnlöffel, der sonderbarerweise mit einer Kette am Tisch befestigt war, den Takt. «Vor wohl hundert Jahren oder mehr noch hatten zwei Bäckergesellen, Rotbart und Grünbart, am Abend des ›Schabbes Hagodel‹ das Brot – Sterne und Hörnchen – vergiftet, um ein ausgiebiges Sterben in der Judenstadt hervorzurufen; aber der ›Meschores‹ – der Gemeindediener – war infolge göttlicher Erleuchtung noch rechtzeitig draufgekommen und konnte die beiden Verbrecher der Stadtpolizei überliefern. Zur Erinnerung an die wundersame Errettung aus Todesgefahr dichteten damals die ›Landonim‹ und ›Bocherlech‹ jenes seltsame Lied, das wir hier jetzt als Bordellquadrille hören».

«Rititit – Rititit»

«Roote blaue Steern —» immer hohler und fanatischer erscholl das Gebell des Greises.

Plötzlich wurde die Melodie konfuser und ging allmählich in den Rhythmus des böhmischen «Schlapak» – eines schleifenden Schiebetanzes – über, bei dem die Paare die schwitzigen Wangen innig aneinander preßten.

«So recht. Bravo. Äh da! fang, hep, hep!» rief von der Estrade ein schlanker, junger Kavalier im Frack, das Monokel im Auge, dem Harfenisten zu, griff in die Westentasche und warf ein Silberstück in der Richtung. Es erreichte sein Ziel nicht: ich sah noch, wie es über das Tanzgewühl hinblitzte; da war es plötzlich verschwunden. Ein Strolch – sein Gesicht kam mir so bekannt vor; ich glaube, es muß derselbe gewesen sein, der neulich bei dem Regenguß neben Charousek gestanden – hatte seine Hand hinter dem Busentuch seiner Tänzerin, wo er sie bisher hartnäckig ruhen gehabt, hervorgezogen – ein Griff in die Luft mit affenhafter Geschwindigkeit, ohne auch nur einen Takt der Musik auszulassen, und die Münze war geschnappt. Nicht ein Muskel zuckte im Gesicht des Burschen auf, nur zwei, drei Paare in der Nähe grinsten leise.

«Wahrscheinlich einer vom ›Bataillon‹, nach der Geschicklichkeit zu schließen», sagte Zwakh lachend.

«Meister Pernath hat sicherlich noch nie etwas vom ›Bataillon‹ gehört», fiel Vrieslander auffallend rasch ein und zwinkerte heimlich dem Marionettenspieler zu, daß ich es nicht sehen sollte. – Ich verstand gar wohl: es war wie vorhin, oben auf meinem Zimmer. Sie hielten mich für krank. Wollten mich aufheitern. Und Zwakh sollte etwas erzählen. Irgend etwas.

Wie mich der gute Alte so mitleidig ansah, stieg es mir heiß vom Herzen in die Augen. Wenn er wüßte, wie weh mir sein Mitleid tat!

Ich überhörte die ersten Worte, mit denen der Marionettenspieler seine Worte einleitete, – ich weiß nur, mir war, als verblute ich langsam. Mir wurde immer kälter und starrer, wie vorhin, als ich als hölzernes Gesicht auf Vrieslanders Schoß gelegen hatte. Dann war ich plötzlich mitten drin in der Erzählung, die mich fremdartig umfing, – einhüllte, wie ein lebloses Stück aus einem Lesebuch.

Zwakh begann:

«Die Erzählung vom Rechtsgelehrten Dr. Hulbert und seinem Bataillon.

– No, was soll ich Ihnen sagen: Das Gesicht hatte er voller Warzen und krumme Beine wie ein Dachshund. Schon als Jüngling kannte er nichts als Studium. Trockenes, entnervendes Studium. Von dem, was er sich durch Stundengeben mühsam erwarb, mußte er noch seine kranke Mutter erhalten. Wie grüne Wiesen aussehen und Hecken und Hügel voll Blumen und Wälder, erfuhr er, glaube ich, nur aus Büchern. Und wie wenig von Sonnenschein in Prags schwarze Gassen fällt, wissen Sie ja selbst.

Sein Doktorat hatte er mit Auszeichnung gemacht; das war eigentlich selbstverständlich.

Nun, und mit der Zeit wurde er ein berühmter Rechtsgelehrter. So berühmt, daß alle Leute – Richter und alte Advokaten – zu ihm fragen kamen, wenn sie irgend etwas nicht wußten. Dabei lebte er ärmlich wie ein Bettler in einer Dachkammer, deren Fenster hinaus auf den Teinhof schaute.

So vergingen Jahre um Jahre und Dr. Hulberts Ruf als Leuchte seiner Wissenschaft wurde allmählich Sprichwort im ganzen Lande. Daß ein Mann wie er weichen Herzensempfindungen zugänglich sein konnte, zumal sein Haar schon anfing weiß zu werden und sich niemand erinnerte, ihn je von etwas anderem als von Jurisprudenz sprechen gehort zu haben, hatte wohl keiner geglaubt. Doch gerade in solchen verschlossenen Herzen glüht die Sehnsucht am heißesten.

An dem Tage, als Dr. Hulbert das Ziel erreichte, das ihm wohl schon als Höchstes seit seiner Studentenzeit vorgeschwebt hatte: – als nämlich Seine Majestät der Kaiser von Wien aus ihn zum Rector magnificus an unserer Universität ernannte, da ging es von Mund zu Mund, er habe sich mit einem jungen, bildschönen Fräulein aus zwar armer, aber adliger Familie verlobt.

Und wirklich schien von da an das Gluck bei Dr. Hulbert eingezogen zu sein. Wenn auch seine Ehe kinderlos blieb, so trug er doch seine junge Gattin auf Händen, und jeden Wunsch zu erfüllen, den er ihr nur irgend von den Augen abzulesen vermochte, war seine höchste Freude.

In seinem Gluck vergaß er jedoch keineswegs, wie es wohl so mancher andere getan hatte, seine leidenden Mitmenschen. «Mir hat Gott meine Sehnsucht gestillt», soll er einmal gesagt haben, – «er hat mir ein Traumgesicht zur Wahrheit werden lassen, das wie ein Glanz vor mir hergegangen ist seit Kindheit an: er hat mir das lieblichste Wesen zu eigen gegeben, das die Erde tragt. Und so will ich, daß ein Schimmer von diesem Gluck, soweit es in meiner Macht steht, auch auf andere fallt». —

Und so kam es, daß er sich bei Gelegenheit eines armen Studenten annahm wie seines eigenen Sohnes. Vermutlich in der Erwägung, wie wohl ihm selbst ein solch gutes Werk getan hatte, wäre es ihm am eigenen Leib und Leben in den Tagen seiner kummervollen Jugendzeit passiert. Wie aber nun auf Erden manche Tat, die dem Menschen gut und edel scheint, Folgen nach sich zieht gleich der einer fluchwürdigen, weil wir wohl doch nicht richtig unterscheiden können zwischen dem, was giftigen Samen in sich tragt und was heilsamen, so begab es sich auch hier, daß aus Dr. Hulberts mitleidsvollem Werk das bitterste Leid für ihn selbst sproß.

Die junge Frau entbrannte gar bald in heimlicher Liebe zu dem Studenten, und ein erbarmungsloses Schicksal wollte, daß sie der Rektor gerade in dem Augenblicke, als er unerwartet nach Hause kam, um sie zum Zeichen seiner Liebe mit einem Strauß Rosen als Geburtstagspräsent zu überraschen, in den Armen dessen antraf, auf den er Wohltat über Wohltat gehäuft hatte.

Man sagt, daß die blaue Muttergottesblume für immer ihre Farbe verlieren kann, wenn der fahle, schweflige Schein eines Blitzes, der ein Hagelwetter verkündet, plötzlich auf sie fällt; gewiß ist, daß die Seele des alten Mannes für immer erblindete an dem Tage, wo sein Gluck in Scherben ging. Am selben Abend noch saß er, er, der bis dahin nicht gewußt, was Unmäßigkeit ist, hier beim «Loisitschek» – fast bewußtlos vom Fusel – bis zum Morgengrauen. Und der «Loisitschek» wurde seine Heimstätte für den Rest seines zerstörten Lebens. Im Sommer schlief er irgendwo auf dem Schutt eines Neubaus, im Winter hier auf den hölzernen Bänken.

Den Titel eines Professors und Doktors beider Rechte beließ man ihm stillschweigend. Niemand hatte das Herz dazu, gegen ihn, den einst berühmten Gelehrten, den Vorwurf zu erheben, daß man Ärgernis nähme an seinem Wandel.

Allmählich sammelte sich um ihn, was an lichtscheuem Gesindel in der Judenstadt sein Wesen trieb, und so kam es zur Gründung jener seltsamen Gemeinschaft, die man noch heutigentags «das Bataillon» nennt.

Dr. Hulberts umfassende Gesetzeskenntnis wurde das Bollwerk für alle die, denen die Polizei zu scharf auf die Finger sah. War irgendein entlassener Sträfling daran zu verhungern, schickte ihn Dr. Hulbert splitternackt hinaus auf den Altstadter Ring – und das Amt auf der sogenannten «Fischbanka» sah sich genötigt, einen Anzug beizustellen. Sollte eine unterstandslose Dirne aus der Stadt gewiesen werden, so heiratete sie schnell einen Strolch, der bezirkszuständig war, und wurde dadurch ansässig.

Hundert solcher Auswege wußte Dr. Hulbert, und seinem Rate gegenüber stand die Polizei machtlos da. – Was diese Ausgestoßenen der menschlichen Gesellschaft «verdienten», übergaben sie getreulich auf Heller und Kreuzer der gemeinsamen Kassa, aus der der nötige Lebensunterhalt bestritten wurde. Niemals ließ sich auch nur einer die geringste Unehrlichkeit zuschulden kommen. Mag sein, daß angesichts dieser eisernen Disziplin der Name «das Bataillon» entstand.

Pünktlich am ersten Dezember, wo sich der Tag des Unglücks jährte, das den alten Mann betroffen hatte, fand jedesmal nachts beim «Loisitschek» eine seltsame Feier statt. Kopf an Kopf gedrängt standen sie hier: Bettler, Vagabunden, Zuhälter und Dirnen, Trunkenbolde und Lumpensammler, und eine lautlose Stille herrschte wie beim Gottesdienst. – Und dann erzählte ihnen Dr. Hulbert dort von der Ecke aus, wo jetzt die beiden Musikanten sitzen, gerade unter dem Krönungsbilde Seiner Majestät des Kaisers, seine Lebensgeschichte: – wie er sich emporgerungen, den Doktortitel erworben und später Rektor magnificus geworden war. Wenn er zu der Stelle kam, wo er mit dem Busch Rosen in der Hand ins Zimmer seiner jungen Frau trat, – zur Feier ihres Geburtstages und zugleich zum Gedächtnis jener Stunde, da er dereinst um sie anhalten gekommen und sie seine liebe Braut geworden war, – da versagte ihm jedesmal die Stimme, und weinend sank er am Tisch zusammen. Dann geschah es wohl zuweilen, daß irgendein liederliches Frauenzimmer ihm verschämt und heimlich, damit es keiner sehen sollte, eine halbwelke Blume in die Hand legte.

Von den Zuhörern rührte sich dann noch lange Zeit keiner. Zum Weinen sind diese Menschen zu hart, aber an ihren Kleidern blickten sie herunter und drehten unsicher die Finger.

Eines Morgens fand man Dr. Hulbert tot auf einer Bank unten an der Moldau. Er wird, denke ich, erfroren sein.

Sein Leichenbegängnis sehe ich noch heute vor mir. Das «Bataillon» hatte sich fast zerfleischt, um alles so prunkvoll wie möglich zu gestalten.

Voran ging der Pedell der Universität in vollem Ornat: in den Händen das purpurne Kissenpolster mit der güldenen Kette darauf und hinter dem Leichenwagen in unabsehbarer Reihe – das «Bataillon» barfuß, schmutzstarrend, zerlumpt und zerfetzt. Einer von ihnen hatte sein Letztes verkauft und ging daher: Leib, Beine und Arme mit Lagen aus altem Zeitungspapier umwickelt und umbunden.

So erwiesen sie ihm die letzte Ehre.

Auf seinem Grabe, draußen im Friedhof, steht ein weißer Stein, darein sind drei Figuren gemeißelt: Der Heiland gekreuzigt zwischen zwei Räubern. Von unbekannter Hand gestiftet. Man munkelt, Dr. Hulberts Frau habe das Denkmal errichtet. —

Im Testament des toten Rechtsgelehrten aber war ein Legat vorgesehen, danach bekommt jeder vom «Bataillon» mittags «beim Loisitschek» umsonst eine Suppe; zu diesem Zwecke hängen hier am Tisch die Löffel an den Ketten, und die ausgehöhlten Mulden in der Tischplatte sind die Teller. Um 12 Uhr kommt die Kellnerin und spritzt mit einer großen, blechernen Spritze die Brühe hinein und, wenn sich einer nicht ausweisen kann als «vom Bataillon», so zieht sie die Suppe mit der Spritze wieder zurück.

Von diesem Tisch aus machte die Gepflogenheit als Witz die Runde durch die ganze Welt».

Der Eindruck eines Tumultes im Lokal weckte mich aus meiner Lethargie. Die letzten Sätze, die Zwakh gesprochen, wehten über mein Bewußtsein hinweg. Ich sah noch, wie er seine Hände bewegte, um das Vor- und Zurückschieben eines Spritzenkolbens klarzumachen, dann jagten die Bilder, die sich rings um uns abrollten, so rasch und automatenhaft und dennoch mit so gespenstischer Deutlichkeit an meinem Auge vorüber, daß ich in Momenten ganz mich selbst vergaß und mir wie ein Rad vorkam in einem lebendigen Uhrwerk.

Das Zimmer war ein einziges Menschengewühl geworden. Oben auf der Estrade: dutzende Herren in schwarzen Fräcken. Weiße Manschetten, blitzende Ringe. Eine Dragoneruniform mit Rittmeisterschnüren. Im Hintergrund ein Damenhut mit lachsfarbigen Straußenfedern.

Durch die Stäbe des Geländers stierte das verzerrte Gesicht Loisas hinauf. Ich sah: er konnte sich kaum aufrecht halten. Auch Jaromir war da und schaute unverwandt hinauf, mit dem Rücken dicht, ganz dicht, an der Seitenwand, als presse ihn eine unsichtbare Hand dagegen.

Die Gestalten hielten plötzlich im Tanzen inne: der Wirt mußte ihnen etwas zugerufen haben, was sie erschreckt hatte. Die Musik spielte noch, aber leise; sie traute sich nicht mehr recht. Sie zitterte; man fühlte es deutlich. Und doch lag der Ausdruck hämischer wilder Freude in dem Gesicht des Wirtes.

– In der Eingangstür steht mit einem Mal der Polizeikommissär in Uniform. Er hatte die Arme ausgebreitet, um niemand hinauszulassen. Hinter ihm ein Kriminalschutzmann.

«Wird also doch hier getanzt? Trotz Verbotes? Ich sperre die Spelunke. Sie kommen mit, Wirt! Und was hier ist, marsch auf die Wachstube!»

Es klingt wie Kommandos.

Der Vierschrötige gibt keine Antwort, aber das hämische Grinsen bleibt in seinen Zügen.

Bloß starrer ist es geworden.

Die Harmonika hat sich verschluckt und pfeift nur noch.

Auch die Harfe zieht den Schwanz ein.

Die Gesichter sind plötzlich alle im Profil zu sehen: sie glotzen erwartungsvoll hinauf auf die Estrade.

Und da kommt eine vornehme schwarze Gestalt gelassen die paar Stufen herab und geht langsam auf den Kommissär zu.

Die Augen des Kriminalschutzmannes hängen gebannt an den heranschlendernden schwarzen Lackschuhen.

Der Kavalier ist einen Schritt vor dem Polizeibeamten stehen geblieben und läßt den Blick gelangweilt ihm von Kopf bis zu den Füßen und wieder zurück schweifen.

Die andern jungen Adligen oben auf der Estrade haben sich über das Geländer gebeugt und verbeißen das Lachen hinter ihren grauseidenen Taschentüchern.

Der Dragonerrittmeister klemmt ein Goldstück ins Auge und spuckt einem Mädchen, das unter ihm lehnt, seinen Zigarettenstummel ins Haar.

Der Polizeikommissär hat sich verfärbt und starrt in der Verlegenheit immerwährend auf die Perle in der Hemdbrust des Aristokraten.

Er kann den gleichgültigen, glanzlosen Blick dieses glattrasierten, unbeweglichen Gesichtes mit der Hakennase nicht ertragen.

Er bringt ihn aus der Ruhe. Schmettert ihn nieder.

Die Totenstille im Lokal wird immer quälender.

«So sehen die Ritterstatuen aus, die mit gefalteten Händen auf den Steinsärgen liegen in den gotischen Kirchen», flüstert der Maler Vrieslander mit einem Blick auf den Kavalier.

Da bricht der Aristokrat endlich das Schweigen: «Äh – Hm». – er kopiert die Stimme des Wirtes: «Jä, jä, das sin mir Gästäh – da schaut man». Ein schallendes Gejohle explodiert im Lokal, daß die Gläser klirren; die Strolche halten sich den Bauch vor Lachen. Eine Flasche fliegt an die Wand und zerschellt. Der vierschrötige Wirt meckert uns erläuternd und ehrfurchtsvoll zu: «Seine Durchlaucht Exzellenz Fürst Ferri Athenstädt».

Der Fürst hat dem Beamten eine Visitkarte hingehalten. Der Ärmste nimmt sie, salutiert wiederholt und schlägt die Hacken zusammen.

Es wird von neuem still, die Menge lauscht atemlos, was weiter geschehen wird.

Der Kavalier spricht wieder:

«Die Damen und Herren, die Sie hier versammelt sehen, – äh – sind meine lieben Gäste». Seine Durchlaucht deutet mit einer nachlässigen Armbewegung auf das Gesindel, «wünschen Sie, Herr Kommissär, – äh – vielleicht vorgestellt zu werden?»

Der Kommissär verneint mit erzwungenem Lächeln, stottert verlegen etwas von «leidiger Pflichterfüllung» und rafft sich schließlich zu den Worten auf: «Ich sehe ja, daß es hier anständig zugeht».

Das bringt Leben in den Dragonerrittmeister: er eilt in den Hintergrund auf den Damenhut mit der Straußenfeder zu und zerrt im nächsten Augenblick unter dem Jubel der jungen Adligen – Rosina am Arm herunter in den Saal.

Sie schwankt vor Trunkenheit und hält die Augen geschlossen. Der große, kostbare Hut sitzt ihr schief, und sie hat nichts an als lange rosa Strümpfe und – einen Herrenfrack auf dem bloßen Körper.

Ein Zeichen: Die Musik fallt ein wie rasend – «Rititit – Rititit» – und schwemmt den gurgelnden Schrei fort, den der taubstumme Jaromir, als er Rosina gesehen, an der Wand drüben ausgestoßen hat. —

Wir wollen gehen.

Zwakh ruft nach der Kellnerin.

Der allgemeine Lärm verschlingt seine Worte.

Die Szenen vor mir werden phantastisch wie ein Opiumrausch.

Der Rittmeister hält die halbnackte Rosina im Arm und dreht sich langsam mit ihr im Takt.

Die Menge hat respektvoll Platz gemacht.

Dann murmelt es von den Bänken: «Der Loisitschek, der Loisitschek», die Hälse werden lang und zu dem tanzenden Paar gesellt sich ein zweites noch seltsameres. Ein weibisch aussehender Bursche in rosa Trikots, mit langem blondem Haar bis zu den Schultern, Lippen und Wangen geschminkt wie eine Dirne und die Augen niedergeschlagen in koketter Verwirrung, – hängt schmachtend an der Brust des Fürsten Athenstädt.

Ein süßlicher Walzer quillt aus der Harfe.

Wilder Ekel vor dem Leben schnürt mir die Kehle zusammen.

Mein Blick sucht voll Angst die Türe: der Kommissär steht dort abgewendet, um nichts zu sehen, und flüstert hastig mit dem Kriminalschutzmann, der etwas einsteckt. Es klirrt wie Handschellen.





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«Голем» – признанный шедевр экспрессионистской литературы, принесший австрийскому писателю Густаву Майринку мировую славу.

Написанный в жанре магического реализма, роман переносит читателя в загадочную Прагу, где главному герою стали являться удивительные сны. В них он проживает жизнь своего двойника Атанасиуса Перната – владельца шляпы, которую он по ошибке взял вместо своей. Существует ли Пернат в реальности, или он – всего лишь плод сновидения? А возможно, Пернат – человеческое воплощение глиняного монстра Голема, оживающего с помощью каббалистических заклятий раввина? Да и важно ли это, если, пробудившись ото сна, люди «делаются добычей нового сна, более глубокого, чем тот, из которого они только что вышли».

Книга издана в неадаптированной версии. Наслаждайтесь мистическим романом Густава Майринка в оригинале!

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