Книга - Nebenan

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Nebenan
Blake Pierce


Ein Chloe Fine Suspense Psycho-Thriller #1
Ein Meisterwerk der Spannung! Blake Pierce ist es auf hervorragende Weise gelungen, Charaktere mit einer psychologischen Seite zu entwickeln, die so gut beschrieben ist, dass wir uns in ihren Köpfen fühlen, ihren Ängsten folgen und ihren Erfolg bejubeln. Voller Wendungen wird Sie dieses Buch bis zur letzten Seite wach halten. Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (zu Verschwunden) NEBENAN (Ein Chloe Fine Psycho-Thriller) ist Band 1 einer neuen spannenden Buchreihe der Bestsellerautorin Blake Pierce, deren #1 Bestseller Once Gone (einem kostenloser Download) über 1. 200 Fünf-Sterne-Kritiken erhalten hat. Als ihre gestörte Zwillingsschwester ihre Hilfe braucht und eine Leiche in ihrer kleinen Vorstadtsiedlung gefunden wird, sieht sich Chloe Fine, eine 27-jährige Praktikantin des FBI Spurensicherungs-Teams gezwungen, sich ihrer eigenen dunklen Vergangenheit zu stellen. Chloe hat das Gefühl, dass ihr Leben endlich perfekt ist, als sie zurück in ihre Heimatstadt und mit ihrem Verlobten in ein neues Haus zieht. Ihre Karriere beim FBI sieht vielversprechend aus, und ihre Hochzeit steht vor der Tür. Aber sie merkt schnell, dass in der kleinen Vorstadt nicht alles so ist, wie es scheint. Chloe beginnt, die Kehrseite zu sehen - den Klatsch, die Geheimnisse, die Lügen - und sie wird von ihren eigenen Dämonen heimgesucht: dem mysteriösen Tod ihrer Mutter, als sie 10 Jahre alt war, und der Inhaftierung ihres Vaters. Und als eine Leiche gefunden wird, erkennt Chloe, dass ihre Vergangenheit und diese kleine Vorstadt den Schlüssel zur Lösung beider Fälle in sich bergen könnte. NEBENAN ist ein emotional geprägter Psycho-Thriller mit vielschichtigen Charakteren, kleinstädtischem Ambiente und atemberaubender Spannung. NEBENAN ist das erste Buch einer fesselnden neuen Serie, die Sie bis spät in die Nacht wach halten wird. Buch 2 der CHLOE FINE Reihe ist jetzt auch vorbestellbar.







n e b e n a n



(ein chloe fine suspense psycho-thriller--buch 1)



b l a k e p i e r c e


Blake Pierce



Blake Pierce ist die Autorin der Bestseller-Reihe RILEY PAGE, die dreizehn Bücher umfasst und fortgesetzt wird. Blake Pierce ist auch die Autorin der MACKENZIE WHITE Mystery-Reihe, die bislang neun Bücher umfasst; der AVERY BLACK Mystery-Reihe, die sechs Bücher umfasst; der KERI LOCKE Mystery-Reihe, die fünf Bücher umfasst; der DAS MAKING OF RILEY PAIGE Mystery-Reihe, die bislang zwei Bücher umfasst; der KATE WISE Mystery-Reihe, die bislang zwei Bücher umfasst; und der CHLOE FINE Suspense Psycho-Thriller-Reihe, die bislang zwei Bücher umfasst.

Als begeisterte Leserin und lebenslanger Fan der Mystery- und Thriller-Genres liebt Blake es, von ihren Lesern zu hören. Bitte besuchen Sie www.blakepierceauthor.com (http://www.blakepierceauthor.com/), um mehr zu erfahren und in Kontakt zu bleiben.



Copyright © 2018 by Blake Pierce. Alle Rechte vorbehalten. Deutsche Übersetzung: Anna Grossmann. Außer wie im US Copyright Act von 1976 erlaubt, darf kein Teil dieser Publikation ohne vorherige Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln reproduziert, verteilt oder übertragen oder in einer Datenbank oder einem Abfragesystem gespeichert werden. Dieses E-Book ist nur für Ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Dieses E-Book darf nicht weiterverkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit einer anderen Person teilen möchten, erwerben Sie bitte eine zusätzliche Kopie für jeden Empfänger. Wenn Sie dieses Buch lesen und es nicht gekauft haben oder es nicht für Sie gekauft wurde, senden Sie es bitte zurück und kaufen Sie Ihre eigene Kopie. Danke, dass Sie die harte Arbeit dieses Autors respektieren. Dies ist eine Fiktion. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Zwischenfälle sind entweder das Produkt der Phantasie des Autors oder werden fiktional verwendet. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist völlig zufällig. Copyright Umschlagfoto: Jan Faukner, unter Lizenz von Shutterstock.com.


DEUTSCHE BÜCHER VON BLAKE PIERCE



CHLOE FINE SUSPENSE PSYCHO-THRILLER-SERIE

NEBENAN (Buch 1)

DIE LÜGE EINES NACHBARN (Buch 2)



KATE WISE MYSTERY-SERIE

WENN SIE WÜSSTE (Buch 1)



DAS MAKING OF RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

BEOBACHTET (Buch 1)

WARTET (Buch 2)



RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

VERSCHWUNDEN (Buch 1)

GEFESSELT (Buch 2)

ERSEHNT (Buch 3)

GEKÖDERT (Buch 4)

GEJAGT (Buch 5)

VERZEHRT (Buch 6)

VERLASSEN (Buch 7)

ERKALTET (Buch 8)

VERFOLGT (Buch 9)

VERLOREN (Buch 10)

BEGRABEN (Buch 11)

ÜBERFAHREN (Buch 12)

GEFANGEN (Buch 13)



MACKENZIE WHITE MYSTERY-SERIE

BEVOR ER TÖTET (Buch 1)

BEVOR ER SIEHT (Buch 2)

BEVOR ER BEGEHRT (Buch 3)

BEVOR ER NIMMT (Buch 4)

BEVOR ER BRAUCHT (Buch 5)

EHE ER FÜHLT (Buch 6)

EHE ER SÜNDIGT (Buch 7)

BEVOR ER JAGT (Buch 8)

VORHER PLÜNDERT ER (Buch 9)



AVERY BLACK MYSTERY-SERIE

DAS MOTIV (Buch 1)

LAUF (Buch 2)

VERBORGEN (Buch 3)

GRÜNDE DER ANGST (Buch 4)

RETTE MICH (Buch 5)

ANGST (Buch 6)



KERI LOCKE MYSTERY-SERIE

EINE SPUR VON TOD (Buch 1)

EINE SPUR VON MORD (Buch 2)

EINE SPUR VON SCHWÄCHE (Buch 3)

EINE SPUR VON VERBRECHEN (Buch 4)

EINE SPUR VON HOFFNUNG (Buch 5)


INHALT



PROLOG (#u82695143-6f4f-5914-9b67-9dde2c3467f5)

KAPITEL EINS (#uf791676f-a864-57a1-8181-d26074673fc9)

KAPITEL ZWEI (#u70d05d4b-f4c0-5625-8d39-998c5d6a6061)

KAPITEL DREI (#ub5a3fe7c-172f-54d5-bc7b-2fbfd0934b94)

KAPITEL VIER (#u81f53ef6-7e12-5b96-87a5-9caac88f62b4)

KAPITEL FÜNF (#u398e8838-dcae-5611-8d2d-217566f4f529)

KAPITEL SECHS (#ub052db52-c97e-5949-be51-65699c9f23b8)

KAPITEL SIEBEN (#ub2e6d571-11a2-53e6-acef-95011e256e32)

KAPITEL ACHT (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ELF (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWÖLF (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL FÜNFZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHSUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

EPILOG (#litres_trial_promo)




PROLOG


Chloe saß neben ihrer Zwillingsschwester Danielle auf den Treppenstufen vor ihrem Wohnblock und beobachtete, wie die Polizisten ihren Vater in Handschellen die Vordertreppe hinunterführten. Ein großer Polizist mit rundem Bauch stand vor Chloe und Danielle. Seine schwarze Haut glitzerte vor Schweiß in der Schwüle der Sommernacht.

»Ihr Mädchen solltet das nicht mitansehen«, sagte er.

Chloe fand diese Bemerkung ziemlich albern. Obwohl sie erst zehn Jahre alt war, wusste sie, dass er einfach versuchte, ihnen die Sicht auf ihren Vater zu versperren, der zum Heck eines Streifenwagens geführt wurde.

Dieser Anblick war das geringste ihrer Probleme. Sie hatte bereits das Blut unten an der Treppe gesehen. Sie hatte gesehen, wie es auf die untere Stufe gespritzt und dann in den Teppich, der ins Wohnzimmer führte, eingesickert war. Sie hatte auch die Leiche gesehen, die mit dem Gesicht nach unten da gelegen hatte. Ihr Vater hatte sich sehr bemüht, sie das nicht sehen zu lassen. Aber egal, was er auch getan hatte, der Anblick von all dem Blut hatte sich in jede Zelle ihres Gehirns eingenistet.

Es war das, was sie sah, als der fette Polizist vor ihr stand. Das war alles, was sie sah.

Chloe hörte, wie die Tür des Streifenwagens zugeschlagen wurde. Sie wusste, dass dies der Klang des Verlassenwerdens durch ihren Vater war − sie spürte, dass es endgültig war.

»Geht es euch gut?«, fragte der Polizist.

Keine von beiden antwortete. Chloe sah immer noch das ganze Blut unten an der Treppe, das in den blauen Teppich eindrang. Sie drehte sich schnell zu Danielle um und sah, dass ihre Schwester auf ihre Füße starrte. Sie blinzelte nicht einmal. Chloe war ziemlich sicher, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Chloe glaubte, dass Danielle mehr von der Leiche gesehen hatte, vielleicht sogar die wirklich dunkle Stelle, von der das ganze Blut zu kommen schien.

Der fette Polizist schaute plötzlich die Treppe hoch. Nach einem tiefen Seufzer sagte er mit zischender Stimme: »Mensch, könnt ihr nicht warten? Die Mädchen sind noch hier.«

Hinter dem Polizisten wurde eine Trage mit einem Sack aus dem Gebäude und die Treppe heruntergebracht. Es war die Leiche. Die, aus der das ganze dunkelrote Blut auf den Teppich gesickert war.

Ihre Mutter.

»Mädchen?«, fragte der Polizist. »Möchte eine von euch mit mir reden?«

Aber Chloe wollte nicht reden.

Einige Zeit später fuhr ein ihr vertrautes Auto vor und parkte hinter einem der verbliebenen Streifenwagen. Der fette Polizist hatte aufgehört, sie zum Reden bringen zu wollen, und Chloe spürte, dass er nur bei ihnen war, damit sie sich nicht noch mehr alleingelassen fühlten.

Neben Chloe sprach Danielle ihr erstes Wort, seit sie aus dem Haus gebracht worden war.

»Granny«, sagte Danielle.

Das Auto, das gerade an den Straßenrand fuhr, gehörte ihrer Großmutter. Sie stieg aus dem Wagen, so schnell es ihre Beine erlaubten. Chloe konnte sehen, dass sie weinte.

Sie fühlte eine Träne über ihr Gesicht gleiten, aber es war nicht wie beim normalen Weinen. Es fühlte sich an, als würde etwas zerbrechen.

»Eure Großmutter ist hier«, sagte der Polizist. Er klang erleichtert; froh, sie los zu sein.

»Mädchen«, war das einzige Wort, das ihre Großmutter herausbrachte, als sie die Treppe hinaufkam. Danach begann sie zu schluchzen und zog ihre beiden Enkelinnen in eine merkwürdig steife Umarmung.

Seltsamerweise war es diese Umarmung, an die sich Chloe erinnern würde.

Der Anblick des Blutes verblasste mit der Zeit. Der fette Polizist verblasste schon nach wenigen Wochen, ebenso der surreale Anblick der Handschellen.

Aber Chloe würde sich ihr ganzes Leben lang an diese steife Umarmung erinnern.

Und an das Gefühl, dass tief im Inneren etwas erst riss und dann zerbrach.

Hatte wirklich ihr Vater ihre Mutter getötet?




KAPITEL EINS


17 Jahre später



Chloe Fine stieg die Treppe zu ihrem neuen Zuhause hinauf – dem Haus, nach dem sie und ihr Verlobter monatelang auf der Suche gewesen waren − und konnte ihre Begeisterung kaum zügeln.

»Ist die Kiste nicht zu schwer?«

Steven stürmte die Stufen neben ihr hinauf und trug eine Kiste mit der Aufschrift KISSEN.

»Überhaupt nicht«, sagte sie und hievte ihre eigene Kiste hoch, auf der GESCHIRR stand.

Steven stellte seine Kiste ab und nahm ihre.

»Lass uns tauschen«, sagte er lächelnd.

Er hatte in letzter Zeit viel gelächelt. Eigentlich schien er permanent zu lächeln, seit sie ihm vor acht Monaten erlaubt hatte, einen Verlobungsring auf ihren Finger zu stecken.

Sie marschierten zusammen die Einfahrt hinauf. Während sie gingen, nahm Chloe den Garten in Augenschein. Es war nicht der große, weitläufige Garten, den sie sich immer vorgestellt hatte. In ihrer Vorstellung hatte ihr Haus einen großen offenen Garten mit Bäumen entlang der Rückseite. Stattdessen hatten sie und Steven sich in einer ruhigen Gegend mit kleinen Grundstücken niedergelassen. Aber sie war erst 27, sie hatte Zeit. Steven und sie wussten beide, dass dies nicht das Haus war, in dem sie alt werden würden. Und etwas daran machte es noch spezieller. Dies sollte ihr erstes Zuhause sein, der Ort, an dem sie die Besonderheiten der Ehe erfahren würden und vielleicht, an dem sie daran arbeiten würden, ein oder zwei Kinder zu bekommen.

Sie konnte das Haus ihrer Nachbarn ganz deutlich sehen. Die Rasenflächen waren nur durch eine Reihe von hohen Büschen getrennt. Die malerische weiße Veranda war fast identisch mit ihrer eigenen.

»Ich weiß, dass ich hier aufgewachsen bin«, sagte Chloe. »Aber es fühlt sich einfach nicht mehr so an. Es fühlt sich an wie eine andere Stadt.«

»Ich versichere dir, sie ist immer noch genau dieselbe«, sagte Steven. »Nun, bis auf ein paar neue Wohnsiedlungen, wie die, in der wir jetzt Hausbesitzer sind. Das gute alte Pinecrest, Maryland. Klein genug, damit du immer auf Leute triffst, die du nicht treffen willst, aber gerade groß genug, um nicht eine Stunde zu einem Lebensmittelladen fahren zu müssen.«

»Ich vermisse Philly jetzt schon.«

»Ich nicht«, sagte Steven. »Keine Eagles-Fans mehr, keine Rocky-Witze, kein Verkehr mehr.«

»Alles gute Argumente«, stimmte Chloe zu. »Aber trotzdem ...«

»Lass dir etwas Zeit«, sagte Steven. »Es wird sich bald wie zu Hause anfühlen.«

Chloe wünschte, ihre Großmutter wäre in diesem Moment hier, um dieses Haus zu sehen. Chloe war ziemlich sicher, dass sie stolz auf sie wäre. Sie würde wahrscheinlich auch keine Zeit verlieren und den brandneuen Ofen in der Küche anheizen, um ein festliches Dessert zu backen.

Aber sie war vor zwei Jahren gestorben, nur zehn Monate nachdem Chloes Großvater bei einem Autounfall ums Leben kam. Es wäre poetisch gewesen zu denken, sie sei an einem gebrochenen Herzen gestorben, aber das war nicht der Fall; am Ende war es ein Herzinfarkt, der ihr die Großmutter nahm.

Chloe dachte auch an Danielle. Direkt nach der High-School war Danielle für ein paar Jahre nach Boston gezogen. Es gab ein oder zwei Verhaftungen, mehrere gescheiterte Jobs und einige panische Tage, in denen sie geglaubt hatte, schwanger zu sein. All das hatte ihre Schwester vor einigen Jahren nach Pinecrest zurückgebracht.

Was Chloe betraf, hatte sie das College in Philadelphia besucht, Steven kennengelernt und begonnen, auf ihre Karriere als FBI-Agentin hinzuarbeiten. Sie hatte noch ein paar Kurse zu absolvieren, aber der Übergang war reibungslos verlaufen. Baltimore lag nur eine halbe Stunde Fahrt nach Westen entfernt und alle ihre Punkte waren ohne Probleme übertragen worden.

Die Sterne schienen günstig zu stehen, denn auch Steven hatte es geschafft, einen Job in Pinecrest zu finden. So sehr Chloe auch darüber scherzte, dass sie nicht nach Pinecrest zurückkehren wollte, etwas in ihr wusste, dass sie immer wieder hier landen würde, wenn auch nur für ein paar Jahre. Es war eine blöde Gefühlsduselei, aber sie fühlte sich ihren Großeltern verpflichtet. Nachdem sie die Schule abgeschlossen hatte, konnte sie diesen Ort nicht schnell genug verlassen und sie hatte das Gefühl, dass ihre Großeltern das immer ein wenig persönlich genommen hatten.

Und dann hatten sie das perfekte Haus gefunden und Chloe hatte sich mit der Idee angefreundet, wieder in einer kleineren Stadt zu leben. Pinecrest war keineswegs winzig − eine Bevölkerung von etwa 35.000 Menschen machte es zu einer komfortablen Größe für Chloe.

Außerdem wartete sie ungeduldig darauf, sich mit Danielle treffen zu können.

Aber zuerst mussten sie den Einzug hinter sich bringen. Die wenigen Sachen, die Steven und sie besaßen, waren auf der Ladefläche des U-Hauls verstaut, der derzeit schief in ihrer kleinen Betoneinfahrt geparkt war. Sie waren jetzt seit zwei Stunden damit beschäftigt, alles auszuladen, und liefen hin und her, hoch und runter, bis sie endlich die Rückseite des Anhängers zwischen den letzten Kisten und Möbelstücken sehen konnten.

Als Steven die letzten Sachen hereingebracht hatte, begann Chloe auszupacken. Es war irgendwie surreal, all die Gegenstände aus ihren getrennten Wohnungen auszupacken und zu realisieren, dass sie sich dieselben Räumlichkeiten teilen würden wie sie als Paar. Es war ein angenehmes Gefühl, das sie mit einem selbstbewussten Lächeln auf den Ring an ihrem Finger blicken ließ.

Beim Auspacken hörte sie ein Klopfen an der Haustür − das erste Klopfen in ihrem neuen Zuhause. Darauf folgte die hohe Stimme einer Frau, die »Hallo?« sagte.

Verwirrt hörte Chloe auf auszupacken und ging zur Vordertür. Sie war sich nicht sicher, was sie erwartet hatte, aber mit Sicherheit niemanden, den sie von früher kannte. Seltsamerweise sah sie jedoch ein bekanntes Gesicht an der Tür.

»Chloe Fine?«, fragte die Frau.

Es war acht Jahre her, aber Chloe erkannte das Gesicht von Kathleen Saunders mühelos. Sie waren zusammen auf der High-School gewesen. Es war sehr schön, sie hier vor ihrer Haustür zu sehen. Obwohl sie nicht die besten Freundinnen in der High-School gewesen waren, waren sie doch etwas mehr als nur flüchtige Bekannte. Doch ein Gesicht aus ihrer Vergangenheit an der Schwelle ihrer Zukunft zu sehen, war so unerwartet, dass Chloe für einen Moment schwindelig wurde.

»Kathleen?«, fragte sie. »Was zum Teufel machst du hier?«

»Ich lebe hier«, sagte Kathleen mit einem Lächeln. Sie hatte seit der High-School einiges an Gewicht zugelegt, aber ihr Lächeln war immer noch dasselbe.

»Hier?«, fragte Chloe. »In dieser Gegend?«

»Ja. Zwei Häuser weiter, auf der rechten Seite. Ich bin gerade mit meinem Hund spazieren gegangen und war mir sicher, dich erkannt zu haben. Nun, dich oder deine Schwester. Also bin ich rübergekommen und habe den Mann hinten im U-Haul gefragt und er sagte, ich soll ruhig hochgehen und hallo sagen. Ist das dein Mann?«

»Mein Verlobter«, sagte Chloe.

»Nun, wie klein die Welt doch ist«, sagte sie. »Oder eher, wie klein diese Stadt doch ist.«

»Ja, ich nehme an, das ist sie wirklich«, sagte Chloe.

»Ich würde gerne bleiben und plaudern, aber ich muss mich in etwa einer Stunde mit einem Kunden treffen«, sagte Kathleen. »Und außerdem will ich dich nicht vom Auspacken abhalten. Aber hör zu ... es gibt ein Straßenfest diesen Samstag und ich wollte die Erste sein, die dich persönlich dazu einlädt.«

»Nun, danke. Ich weiß das zu schätzen.«

»Sag mal, nur auf die Schnelle ... wie geht‘s Danielle? Ich weiß, dass sie nach dem Ende der High-School einiges durchgemacht hat. Gerüchten zufolge lebt sie in Boston.«

»Sie war in Boston«, sagte Chloe. »Aber sie ist schon seit ein paar Jahren hier in Pinecrest.«

»Das ist so cool«, sagte Kathleen. »Vielleicht lädst du sie auch zu dem Straßenfest ein? Ich würde gerne mit euch beiden über alte und neue Zeiten plaudern!«

»Ich auch«, sagte Chloe.

Sie schaute Kathleen kurz über die Schulter und sah Steven im hinteren Teil des U-Haul. Er zuckte mit den Schultern und machte ein zusammengekniffenes Gesicht, das zu sagen schien: Es tut mir leid!

»Nun, es war so schön, dich wiederzusehen«, sagte Kathleen. »Ich hoffe, wir sehen uns auf dem Straßenfest. Und wenn nicht, weißt du nun, wo ich wohne!«

»Ja! Zwei Häuser weiter rechts.«

Kathleen nickte und überraschte Chloe mit einer Umarmung. Chloe erwiderte die Umarmung und war ziemlich sicher, dass die Kathleen aus ihren High-School-Tagen nicht der Typ gewesen war, der gern Leute umarmte. Sie beobachtete, wie ihre alte (und neue) Freundin Steven zuwinkte, als sie wieder auf den Bürgersteig entlanglief.

Steven kam die Verandatreppe hoch und trug die letzten beiden Kisten. Chloe nahm ihm die obere ab und sie schafften sie ins Wohnzimmer. Der Raum war ein Wirrwarr aus Kisten, Behältern und Koffern.

»Tut mir leid«, sagte Steven. »Ich wusste nicht, ob das ein willkommener Besucher sein würde oder nicht.«

»Nein, schon gut. Es war seltsam, aber gut.«

»Sie sagte, sie sei eine Freundin aus der High-School?«

»Ja. Und jetzt sind wir hier, leben nur zwei Häuser voneinander entfernt. Sie schien wirklich sehr nett zu sein. Sie hat uns für dieses Wochenende zu einem Straßenfest eingeladen.«

»Klingt gut.«

»Sie kennt auch Danielle aus der High-School. Ich glaube, ich werde sie auch zu dem Fest einladen.«

Steven fing an, eine der Kisten zu öffnen und seufzte. »Chloe, wir sind noch nicht mal einen ganzen Tag hier. Können wir nicht noch etwas warten, bevor wir deine Schwester in unser Leben einladen?«

»Können wir«, sagte sie. »Das Straßenfest ist erst in drei Tagen.«

»Du weißt, was ich meine. Danielle neigt dazu, Dinge schwieriger zu machen, als sie es sein müssten.«

Chloe wusste, was er meinte. Steven hatte Danielle viermal getroffen und jedes dieser Zusammentreffen war unangenehm − und keiner von ihnen hatte viel zu sagen gehabt. Danielle hatte eine Reihe von Problemen, die es allesamt schwierig machten, sie mit Menschen zusammenzubringen, die ihr fremd waren. Also nahm sie an, dass Steven recht hatte. Warum sie zu einem Straßenfest einladen, wo sie niemanden kannte?

Aber die Antwort war einfach: Weil sie meine Schwester ist. Sie war in den letzten Jahren allein und verletzlich gewesen und, so lahm es auch klingen mag, sie braucht mich.

Ein schnelles Aufblitzen des Bildes von ihnen beiden auf der Vordertreppe ihres alten Hauses raste ihr wie ein Wüstenwind durch den Kopf.

»Du wusstest, dass ich sie irgendwann treffen würde«, sagte Chloe. »Ich kann nicht in derselben Stadt leben und sie weiterhin aus meinem Leben ausschließen.«

Steven nickte und kam zu ihr. »Ich weiß, ich weiß«, sagte er. »Aber ein Mann darf doch noch Träume haben.«

Sie wusste, dass der Kommentar ein wenig sarkastisch gemeint war, aber sie erkannte auch den scherzhaften Ton darin. Er gab nach und wollte nicht zulassen, dass eine Diskussion über ihre Schwester den Umzugstag für sie ruinierte.

»Es könnte gut für sie sein«, sagte Chloe. »Rauskommen und Kontakte knüpfen. Ich denke, ich kann sie da herausholen, wenn ich so etwas wie eine feste Größe in ihrem Leben werden kann.«

Steven kannte die komplexe Geschichte zwischen den beiden Schwestern. Und obwohl er kein Geheimnis daraus machte, Danielle nicht besonders zu mögen, hatte er Chloe immer liebevoll unterstützt und ihre Sorge um ihre Schwester verstanden.

»Dann tu, was du für das Beste für sie hältst«, sagte er. »Und nachdem du sie angerufen hast, hilf mir, das Bett in unserem Schlafzimmer aufzustellen. Ich habe später noch etwas damit vor.«

»Oh, hast du das?«

»Ja. Dieser ganze Umzug hat mich völlig ausgelaugt. Ich bin erschöpft, ich werde so tief schlafen ... aber vorher wird es heiß hergehen.«

Sie hielten beide inne und fanden ihren Weg in die Arme des anderen. Sie teilten einen langen Kuss, der nahelegte, dass sie das Bett in ihrer ersten Nacht in ihrem neuen Zuhause gut gebrauchen könnten. Aber vorher gab es noch Berge von Kisten zum Auspacken.

Noch dazu einen möglicherweise unerfreulichen Anruf bei ihrer Schwester.

Es war ein Gedanke, der sie mit ebenso viel Freude wie Besorgnis erfüllte.

Selbst als ihre Zwillingsschwester war Chloe nie sicher, was sie von Danielle zu erwarten hatte. Und der Gedanke daran, wieder in Pinecrest zu sein, machte sie bedauerlicherweise sicher, dass die Dinge mit Danielle wahrscheinlich nur noch schlimmer geworden waren.




KAPITEL ZWEI


Danielle Fine nahm sich eine NoDoz, schluckte die Aufputschpille mit einer warmen Cola hinunter, öffnete dann ihre Unterwäscheschublade und durchwühlte sie auf der rechten Seite nach den nuttigsten Teilen, die sie finden konnte.

Danielle dachte dabei an Martin. Sie waren jetzt seit etwa sechs Wochen zusammen. Und während beide beschlossen hatten, es langsam angehen zu lassen, hatte Danielle die Geduld verloren. Sie hatte entschieden, dass sie sich ihm heute Abend an den Hals werfen würde. Jedes Mal, wenn sie sich sahen, fühlte sie sich wie ein dummer Teenager, der nicht wusste, was er tat.

Sie wusste, was sie wollte. Und sie war sich ziemlich sicher, dass es Martin genauso ging. Am Ende der Nacht würde sie es mit Sicherheit wissen.

Sie wählte ein schwarzes Höschen aus Spitze, das die Vorderseite kaum bedeckte und hinten praktisch nicht existierte. Sie dachte darüber nach, welchen BH sie tragen sollte, entschied sich aber dafür, überhaupt keinen zu tragen. Martin und sie waren keine Mode-Junkies und außerdem wusste sie, dass sie nicht gerade viel Busen hatte. Selbst der teuerste BH auf der Welt würde ihr nicht helfen können. Außerdem ... Martin hatte ihr gesagt, dass er es mochte, wie ihre Brüste aussahen, wenn sich ihre Formen durch ein T-Shirt abzeichneten.

Sie wollten sich zeitig treffen und ein frühes Abendessen einnehmen, um es rechtzeitig zu dem Film um 18 Uhr 30 zu schaffen. Die bloße Tatsache, dass sie zum Abendessen und Kino verabredet waren und nicht zu billigen Drinks und einer Fahrt zurück zu seinem Haus für eine peinliche Rummacherei, sprach für ihn. Sie fragte sich, ob Martin der Typ war, der sich gerne wie ein Gentleman verhielt.

Sechs Wochen mit dem Kerl ... du solltest diese Art von Scheiße schon kennen, dachte sie, als sie in ihr Höschen schlüpfte.

Sie zog sich vor dem durchgehenden Spiegel an ihrer Schlafzimmerwand an. Sie probierte ein paar Blusen an, bevor sie sich entschied, es entspannt anzugehen. Sie entschied sich für ein schwarzes, etwas enges T-Shirt und eine sehr einfache Jeans. Sie war nicht die Sorte Mädchen, die einen Haufen Kleider oder Röcke besaß. Normalerweise zog sie das Erste an, was ihr morgens in die Hände fiel. Sie wusste, dass sie mit dem guten Aussehen ihrer Mutter gesegnet war. Da sie auch eine makellose Haut hatte, verzichtete sie meist auch auf viel Make-up. Ihre gefärbten schwarzen Haare und intensiven braunen Augen komplettierten ihr Äußeres; im Handumdrehen konnte sie die Verwandlung von unschuldig und süß zu aggressiv sexy machen. Das war einer der Gründe, warum sie sich nie wirklich um ihre kleinen Brüste gekümmert hatte.

Nach einem kurzen Blick in den Spiegel, bei dem sie die gleiche Figur, das gleiche Gesicht und das gleiche Band-T-Shirt sah, wie schon zu Teenager-Zeiten, war Danielle bereit, sich auf den Weg zu machen, um Martin zu treffen. Er war eine Art Greaseball, nur nicht von der Sorte, die in Autowerkstätten oder auf Rennstrecken herumhing. Er hatte früher mal als Amateur-Boxer ›herumgespielt‹, wie er es ausdrückte, und besaß den Körper, um sie das glauben zu machen (ein weiterer Grund, warum sie nicht mehr länger warten wollte) und arbeitete derzeit als freiberuflicher IT-Spezialist. Aber wie sie nahm er das Leben nicht allzu ernst und genoss es, eine Menge zu trinken. Bisher schienen sie perfekt zusammen zu passen.

Aber trotzdem, sechs Wochen ohne Sex. Sie fühlte eine Menge Druck. Was, wenn er sich weigerte? Was, wenn er es wirklich langsam angehen wollte und sie einfach nicht warten konnte?

Seufzend ging sie zum Kühlschrank. Um ihre Nerven zu beruhigen, schnappte sie sich ein Guinness aus dem Kühlschrank, öffnete den Verschluss und nahm einen Schluck. Ihr fiel ein, dass sich Alkohol und ihr NoDoz vielleicht nicht so gut vertrugen, aber es war ihr egal. Sie würde ihrem Körper sicherlich noch mehr zumuten.

Ihr Telefon klingelte. Wenn er mich anruft, um abzusagen, bringe ich ihn um, dachte sie.

Als sie sah, dass nicht sein Name auf dem Display stand, entspannte sie sich. Doch als ihr bewusst wurde, dass es ihre Schwester war, sackten ihre Schultern zusammen. Sie wusste, dass sie den Anruf annehmen sollte, denn wenn sie es nicht tat, würde Chloe sie in 15 Minuten wieder anrufen. Ausdauer war eine der wenigen Eigenschaften, die sie gemeinsam hatten.

Sie nahm den Anruf entgegen und übersprang wie immer die Begrüßung. »Willkommen zurück in Pinecrest«, sagte sie, so monoton wie möglich. »Es ist also amtlich und du wohnst wieder hier?«

»Hängt davon ab, ob du mich fragst oder all diese nicht ausgepackten Kisten«, antwortete Chloe.

»Seit wann bist du hier?«, fragte Danielle.

»Seit heute Morgen. Wir haben endlich alles aus dem U-Haul geholt und versuchen nun, uns durch die Kisten zu arbeiten und herauszufinden, wo alles hinmuss.«

»Brauchst du Hilfe?«, fragte Danielle.

Das kurze Schweigen am anderen Ende der Leitung deutete darauf hin, dass Chloe diese Art von Großzügigkeit nicht erwartet hatte. Um die Wahrheit zu sagen, Danielle hatte nur gefragt, weil sie wusste, dass Chloe sie nicht darauf ansprechen würde. Oder besser gesagt, Steven würde nicht wollen, dass Chloe sie darauf ansprach.

»Weißt du, ich denke, wir kommen jetzt klar. Ich wünschte, ich hätte daran gedacht, dich anzurufen, bevor wir alle Kisten aus dem Transporter geschleppt haben.«

»Vielleicht hätte ich meine Hilfe dann nicht angeboten«, sagte Danielle mit monotoner Stimme.

»Egal, hör zu. Erinnerst du dich an Kathleen Saunders aus der High-School?«

»Vage«, sagte Danielle, die sich bei dem Namen an ein strahlendes und lächelndes Teenagergesicht erinnert − die Art von Gesicht, das einem beim Sprechen immer ein wenig zu nahekam.

»Wie es sich herausgestellt hat, lebt sie in meiner Nachbarschaft. Nur zwei Häuser weiter die Straße runter. Sie kam vor einer Weile vorbei, um hallo zu sagen. Sie hat Steven und mich zu einem Straßenfest am Wochenende eingeladen.«

»Wow, du bist noch keinen Tag hier und klingst schon domestiziert wie die Hölle. Hast du schon einen Minivan gekauft?«

Wieder gab es ein kurzes Schweigen. Danielle dachte, Chloe würde versuchen zu entscheiden, ob der Kommentar eine giftige Gehässigkeit oder nur ein Witz war. »Noch nicht«, antwortete sie schließlich. »Ich brauche zuerst die Babys. Aber wegen des Straßenfestes ... ich denke, du solltest auch kommen. Kathleen hat nach dir gefragt.«

»Ich fühle mich geschmeichelt«, sagte Danielle, was eine glatte Lüge war.

»Sieh mal, wir werden sowieso irgendwann zusammen abhängen«, sagte Chloe. »Wir sollten es lieber früher als später hinter uns bringen, um die ganze Telefoniererei zu vermeiden. Und ich möchte wirklich, dass du das Haus siehst.«

»Ich habe vielleicht noch ein Date heute«, sagte Danielle.

»Ein richtiges Date oder ist er nur einer deiner armen One-Night-Jungs?«

»Ein richtiges Date. Du würdest ihn mögen, glaube ich.« Das war natürlich Schwachsinn. Sie war ziemlich sicher, dass Chloe Martin überhaupt nicht billigen würde.

»Weißt du, wie wir das herausfinden können? Bring ihn doch einfach mit.«

»Oh Jesus, du bist eine Plage.«

»Ist das ein Ja?«, fragte Chloe.

»Das werden wir sehen.«

»Ich nehme das für ein Ja. Wie geht es dir, Danielle? Läuft alles gut?«

»Ja, nehme ich an. Die Arbeit läuft gut und ich bin dabei, zum zwanzigsten Mal mit demselben Kerl auszugehen.«

»Ooh, er scheint etwas Besonderes zu sein«, scherzte Chloe.

»Da wir gerade davon sprechen, ich muss los«, sagte Danielle.

»Sicher. Ich texte dir unsere Adresse. Ich hoffe, du kommst zu dem Straßenfest. 15 Uhr, diesen Samstag.«

»Ich kann nichts versprechen«, sagte Danielle und nahm dann einen sehr langen Schluck von ihrem Guinness. »Tschüss Chloe.«

Sie hatte aufgelegt, ohne auf Chloes Abschied zu warten. Sie hatte keine Ahnung, warum, aber das Gespräch war anstrengend gewesen.

Ein Straßenfest, dachte sie mit bitterem Sarkasmus. Ich weiß, wir reden nicht so oft miteinander, aber man sollte meinen, dass sie mich besser kennt.

Als ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, begann sie an ihre Mutter zu denken. Das ist es, wohin ihr Verstand normalerweise wanderte, wenn sie sich über Chloe ärgerte. Während sie an ihre Mutter dachte, fuhr sie mit der Hand an ihren Hals. Als sie den Bereich dort nackt vorfand, eilte sie durch ihre kleine Wohnung zurück ins Schlafzimmer. Sie ging zum Schmuckkästchen auf ihrer Kommode und zog die silberne Halskette ihrer Mutter heraus, die so ziemlich der einzige Gegenstand in ihrem Besitz war, der einst Gale Fine gehört hatte. Sie legte sie um ihren Hals und steckte den einfachen kleinen Anhänger unter ihr Shirt.

Sie fühlte ihn auf ihrer Haut und fragte sich, wie oft Chloe an ihre Mutter dachte. Sie versuchte, sich auch daran zu erinnern, wann beide das letzte Mal darüber gesprochen hatten, was an diesem Morgen vor siebzehn Jahren geschehen war. Sie wusste, dass sie beide davon heimgesucht wurden, aber gab es wirklich jemanden, der gerne über Geister sprach?

Da es nur noch zehn Minuten waren, bis sie sich mit Martin treffen sollte, kippte sie den Rest ihres Bieres runter. Sie dachte sich, sie könnte einfach schon losgehen und ein bisschen zu früh da sein. Sie ging zur Vordertür, um genau das zu tun, aber dann blieb sie stehen.

Direkt auf dem Boden unter der Haustür lag ein Umschlag. Er hatte noch nicht dort gelegen, bevor sie mit Chloe telefoniert hatte.

Sie ging zur Tür und hob ihn vorsichtig auf. Es fühlte sich an wie in ein Déjà-vu, weil sie das schon mal gemacht hatte. Das war nicht der erste Brief, der gekommen war.

Der Umschlag war blank. Kein Name, keine Adresse, keine Markierungen jeglicher Art. Sie öffnete die Umschlagklappe, die nicht auf die Rückseite des Umschlags geklebt worden war. Sie griff hinein und fand ein einfaches Blatt Papier, etwas größer als eine Spielkarte.

Sie nahm den Zettel heraus und las ihn durch. Und dann las sie ihn noch einmal.

Sie steckte ihn zurück in den Umschlag und trug den Umschlag zum Schreibtisch, der an der hinteren Wand des Wohnzimmers stand. Sie platzierte ihn dort mit den anderen vier Briefen, die alle ähnliche Botschaften enthielten.

Sie starrte sie einen Moment lang an, ängstlich und verwirrt.

Ihre Handflächen schwitzten und ihr Herz begann heftiger zu schlagen.

Wer beobachtet mich, fragte sie sich. Und warum?

Dann tat sie, was sie normalerweise tat, wenn sie etwas beunruhigte. Sie ignorierte es. Sie verdrängte diese letzte Notiz aus ihren Gedanken, zusammen mit der einfachen Botschaft, die diese enthielt, und ging zur Tür hinaus, um sich mit Martin zu treffen.

Als sie das Gebäude verließ, blitzten die Worte in ihrem Kopf wie kleine Blitze auf, fast wie bei einem Neonschild.

ICH WEISS, WAS WIRKLICH PASSIERT IST.

Es ergab keinen Sinn, aber andererseits schien es allen Sinn der Welt zu machen.

Sie blickte auf ihren eigenen Schatten auf dem Bürgersteig und lief automatisch ein wenig schneller. Sie wusste, dass sie einem Problem nicht entkommen konnte, indem sie es ignorierte, aber es gab ihr zumindest ein besseres Gefühl.

ICH WEISS, WAS WIRKLICH PASSIERT IST.

Ihre Füße schienen ihr zuzustimmen, sie wollte aufhören zu laufen, wollte zurücklaufen und versuchen, die Botschaften zu verstehen – und jemanden anzurufen. Vielleicht die Bullen. Vielleicht sogar Chloe.

Aber Danielle lief nur schneller.

Sie hatte es größtenteils geschafft, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Warum sollten es mit diesen Briefen anders sein?




KAPITEL DREI


»Du bestehst also immer noch auf dem Huhn, was?«

In ihrem Kern war es eine so unschuldige Frage, aber sie sandte eine Woge der Wut durch Chloe. Sie biss leicht in die Innenseite ihrer Lippe, um zu verhindern, dass ihr irgendeine böse Bemerkung herausrutschte.

Sally Brennan, Stevens Mutter, saß ihr gegenüber mit einem alten Stepford-Frauen-Lächeln auf dem Gesicht.

»Ja, Mom«, sagte Steven. »Es ist Essen ... Essen, das ich wahrscheinlich nicht mal genießen werde, wegen all der Nervosität. Wenn sich jemand über das Essen bei meiner Hochzeitsfeier beschweren will, dann soll er nach Hause gehen und sich auf dem Weg ein paar Taco Bells holen.«

Unter dem Tisch drückte Chloe Stevens Hand. Er hatte offenbar ihre Irritation bemerkt. Es passierte nicht oft, dass Steven sich gegen seine Mutter auflehnte, aber wenn er es tat, erschien er ihr wie ein Held.

»Nun, das ist keine sehr nette Einstellung«, sagte Sally.

»Er hat recht«, sagte Wayne Brennan, Stevens Vater, vom anderen Ende des Tisches. Das Weinglas neben ihm war zum dritten Mal leer und er griff nach der Flasche Rotwein in der Mitte des Tisches. »Ehrlich gesagt wird sich niemand für das Essen bei dem Empfang interessieren. Es ist der Alkohol, auf den sie sich freuen. Und wir haben eine offene Bar, also ...«

Sie ließen das Thema auf sich beruhen, aber der saure Blick auf Sallys Gesicht machte deutlich, dass sie immer noch dachte, dass Huhn eine schlechte Wahl sei.

Aber das war nichts Neues. Sie hatte sich über fast jede Entscheidung beschwert, die Chloe und Steven getroffen hatten. Und sie hatte es nie versäumt, sie daran zu erinnern, wer für die Hochzeit aufkam.

Wie sich herausgestellt hatte, war Pinecrest nicht nur wieder das Zuhause von Chloe, sondern auch das von Stevens Eltern. Sie waren vor fünf Jahren dorthin gezogen, technisch gesehen etwas außerhalb von Pinecrest in eine kleinere Stadt namens Elon. Zusätzlich zu Stevens Job war es einer der Gründe, warum Chloe und Steven beschlossen hatten, nach Pinecrest zu ziehen. Er arbeitete als Softwareentwickler für einen staatlichen Arbeitgeber und hatte eine Stelle angeboten bekommen, die zu gut war, um sie abzulehnen. Was Chloe anging, sie machte gerade ein Praktikum beim FBI, während sie an ihrem Master in Strafjustiz arbeitete. Wegen der Nähe zum FBI-Hauptquartier in Baltimore war ihnen das alles sinnvoll erschienen.

Chloe bedauerte allerdings schon jetzt, in solcher Nähe zu Stevens Eltern zu leben. Wayne war die meiste Zeit in Ordnung. Aber Sally Brennan war, um es milde auszudrücken, ein überhebliches Miststück, das es liebte, ihre Nase in Sachen zu stecken, die sie nichts angingen.

Die Brennans als Paar waren nette Leute, beide im Ruhestand, wohlhabend und meist zufrieden. Aber sie hatten Steven ziemlich verhätschelt. Als einziges Kind, das hatte Steven Chloe gegenüber mehrfach zugegeben, hatten seine Eltern ihn völlig verwöhnt. Selbst jetzt, mit seinen achtundzwanzig Jahren, behandelten sie ihn immer noch wie ein Kind. Und ein Teil davon zeigte sich in übertriebener Fürsorge. Das war der Hauptgrund, warum Chloe jedes Mal, wenn sie die Hochzeitspläne durchgehen wollten, innerlich erschauderte.



Das wollten sie nun anscheinend beim Abendessen machen. Sally hatte keine Zeit vergeudet und war gleich zu Beginn auf den Empfang zu sprechen zu kommen.

»Wie ist das Haus?«, fragte Wayne, genauso begierig wie Chloe, vom Thema Hochzeit wegzukommen.

»Es ist toll«, sagte Chloe. »Wir werden es in ein paar Tagen durch das Labyrinth der Kisten geschafft haben.«

»Oh und wisst ihr was«, sagte Steven. »Eine Frau, mit der Chloe auf die High-School gegangen ist, lebt die Straße runter, nur zwei Häuser weiter. Ist das nicht verrückt?«

»Vielleicht nicht so verrückt, wie es scheint«, sagte Wayne. »Diese Stadt ist einfach zu klein. Man muss irgendwann über jemanden stolpern, den man kennt.«

»Besonders in den Vierteln, in denen die Häuser übereinandergestapelt sind«, sagte Sally mit einem Grinsen und machte einen nicht gerade subtilen Seitenhieb ob ihrer Standortwahl.

»Unsere Häuser sind gar nicht so eng beieinander«, sagte Steven.

»Genau, wir haben sogar einen anständig großen Garten«, fügte Chloe hinzu.

Sally zuckte mit den Schultern und nahm noch einen Schluck Wein. Dann schien sie über ihren nächsten Kommentar nachzudenken und hatte sich beinahe entschieden, ihn stecken zu lassen, aber dann sprach sie ihn trotzdem aus.

»Deine Schulfreundin ist nicht die Einzige von früher in Pinecrest, oder?«, fragte sie. »Deine Schwester wohnt auch hier, wenn ich mich recht erinnere.«

»Ja, das tut sie.«

Sie antwortete entschieden, aber ohne unhöflich zu sein. Sally Brennan hatte nie irgendeinen Hehl wegen ihrer Abneigung gegenüber Danielle gemacht, obwohl sie sich nur zweimal begegnet waren. Sally hatte das Pech, eine dieser klischeehaft gelangweilten Hausfrauen zu sein, die für Skandal und Klatsch lebten. Als sie herausfand, dass Chloe eine Schwester mit einer steinigen und dunklen Vergangenheit hatte, war sie gleichermaßen entsetzt und fasziniert gewesen.

»Lass uns nicht darüber sprechen, Mom«, sagte Steven.

Chloe wünschte sich, dass sie sich durch seine Bemerkung beschützt fühlte, aber wenn überhaupt, dann fühlte sie sich verletzt. Normalerweise, wenn das Thema Danielle aufkam, schlug Steven sich auf die Seite seiner Mutter. Er hatte den gesunden Menschenverstand zu wissen, wann er den Mund halten sollte, aber nicht so seine Mutter.

»Wird sie deine Trauzeugin sein?«, fragte Sally.

»Ja.«

Sally rollte zwar nicht mit den Augen ob ihrer Antwort, aber ihr Gesichtsausdruck zeigte ihre Gefühle überdeutlich.

»Sie ist meine Schwester«, sagte Chloe. »Also habe ich sie gebeten, meine Trauzeugin zu sein.«

»Für dich mag das Sinn ergeben«, sagte Sally, »aber ich war immer der Meinung, dass die Trauzeugin sorgfältig ausgewählt werden sollte. Es ist eine große Ehre und Verantwortung.«

Chloe musste sich an der Tischkante festklammern, um nicht mit einem bissigen Kommentar darauf zu reagieren. Steven bemerkte ihre Spannung und tat sein Bestes, um die Situation zu retten. »Mom, lass es gut sein«, sagte er. »Danielle wird das schon schaffen. Und selbst wenn etwas schiefgehen sollte, sorge ich dafür, dass alles unter Kontrolle ist. Das ist meine Hochzeit, Mom. Ich werde nicht zulassen, dass etwas Schlimmes passiert.«

Diesmal war es Chloe, die fast mit den Augen gerollt hätte. Es war wieder einmal typisch für ihn, sich für sie einzusetzen, ohne seine Eltern zu verärgern. Cloe wünschte sich, dass er nur ein einziges Mal Danielle wirklich verteidigen würde. Sie wusste, dass Steven kein wirkliches Problem mit ihr hatte, sondern dass er sein Bestes tat, um das Unbehagen seiner Mutter zu beruhigen. Es widerte sie ein wenig an.

»Genug von diesem Unsinn«, sagte Wayne und griff nach einer zweiten Portion Bratkartoffeln. »Reden wir über Fußball. Nun, Chloe, du bist ein Redskins-Fan, richtig?«

»Oh Gott, nein, ein Fan der Giants.«

»Genauso schlimm«, sagte Wayne lachend.

Und einfach so wurde das Unbehagen des Abends unter den Teppich gekehrt. Chloe hatte schon immer Waynes Kühnheit geschätzt, die Zickigkeit seiner Frau zu ignorieren, indem er zu einem anderen harmloseren Thema wechselte, ob sie nun mit ihrem fertig war oder nicht. Es war eine Eigenschaft, von der Chloe sich wünschte, Steven hätte sie von seinem Vater geerbt.

Doch als der Abend voranschritt, fragte sich Chloe, ob Sallys Sorgen berechtigt waren. Danielle gehörte nicht zu den Leuten, die sich herausputzten, lange still blieben und sich gern vor Publikum in Szene setzten. Danielle würde bei der Hochzeit aus ihrer Komfortzone herauskommen müssen und Chloe hatte sich schon selbst gefragt, ob sie das alles würde bewältigen können.

Als ihr diese Sorgen durch den Kopf schwebten, dachte sie an die kleinen Mädchen von vor so vielen Jahren, die auf der Vordertreppe gesessen hatten, während der Leichensack aus ihrer Wohnung getragen wurde. Sie konnte sich leicht an den leeren Blick in Danielles Gesicht erinnern. Sie wusste, dass in diesem Moment etwas in ihr zerbrochen war, dass sie in dieser Nacht ihre Schwester verloren hatte.

Und sie hatte geahnt, dass Danielle von diesem Moment an nie wieder dieselbe sein würde.




KAPITEL VIER


Es regnete, als Chloe und ihr Ausbilder vor Ort eintrafen. Als sie aus dem Auto in den Regen stieg, hatte sie das Gefühl völliger Bedeutungslosigkeit. Da sie als Praktikantin mit ihrem Ausbilder in Schichten mit anderen Praktikanten arbeiten musste, wurden ihnen keine hochkarätigen Fälle zugeteilt. Dieser hier zum Beispiel klang wie ein typischer Fall von häuslicher Gewalt. Und während die Details des Falles nicht sehr plastisch oder brutal klangen, ließen sie alleine die Worte häusliche Gewalt erschaudern.

Schließlich hatte sie diese Worte nach dem Tod ihrer Mutter oft gehört. Ihr Ausbilder musste sich ihrer Vergangenheit bewusst gewesen sein − dessen, was mit ihren Eltern geschehen war − aber er hatte heute Morgen nichts davon erwähnt, als sie sich auf den Weg gemacht hatten.

Sie war das erste Mal in Willow Creek, einer kleinen Stadt etwa fünfzehn Meilen außerhalb von Baltimore. Chloe machte ein Praktikum beim FBI, um irgendwann ein Mitglied des Evidence Response Teams, dem Spurensicherungsteams des FBI, zu werden. Als sie sich dem einfachen zweistöckigen Haus näherten, ließ der Ausbilder sie sogar die Führung übernehmen. Ihr Ausbilder war Kyle Greene, ein fünfundvierzig Jahre alter Agent, der aus der normalen Einsatztätigkeit ausgeschieden war, als sein vorderes Kreuzband bei der Verfolgung eines Verdächtigen gerissen war. Er hatte sich nie vollkommen von der Verletzung erholt und die Möglichkeit bekommen, als Ausbilder und Mentor für Praktikanten zu fungieren. Er und Chloe hatten bis zum heutigen Morgen nur zweimal miteinander gesprochen, vor einer Woche über FaceTime und dann vor zwei Tagen, während ihrer Fahrt von Philly nach Pinecrest.

»Eine Sache, bevor wir da rein gehen«, sagte Greene. »Das habe ich Ihnen bis jetzt vorenthalten, weil ich nicht wollte, dass Sie den ganzen Morgen darüber nachdenken.«

»Okay.«

»Das ist zwar ein Fall von häuslicher Gewalt, aber es ist auch ein Mordfall. Da drinnen erwartet uns auch ein Leichnam, ein relativ frischer.«

»Oh«, sagte sie, unfähig, ihren Schock zu verbergen.

»Ich weiß, es ist mehr, als Sie erwartet haben. Aber es gab einige Diskussionen, bevor Sie bei uns angefangen haben. Darüber, ob es vielleicht besser ist, Sie von Anfang an hinter den Vorhang schauen zu lassen. Wir haben mit der Idee gespielt, den Praktikanten mehr Verantwortung zu übertragen und sie ein wenig mehr Erfahrung sammeln zu lassen. Und basierend auf Ihrem Dossier dachten wir, Sie wären die beste Kandidatin, um das zu testen. Ich hoffe, das ist okay für Sie.«

Sie war immer noch verblüfft und unfähig, darauf zu reagieren. Ja, es war mehr Verantwortung. Ja, es bedeutete, dass sie mehr Aufmerksamkeit bekommen würde. Aber sie war noch nie vor einer Herausforderung zurückgeschreckt und sie hatte nicht vor, jetzt damit anzufangen.

»Ich weiß die Gelegenheit zu schätzen.«

»Gut«, sagte Greene und sein Ton deutete darauf hin, dass er nie daran gezweifelt hatte.

Er forderte sie mit einem Winken auf, ihm zu folgen, während sie zur Veranda und die Treppe hinaufgingen. Drinnen unterhielten sich zwei Agenten mit dem Gerichtsmediziner. Chloe tat ihr Bestes, um sich auf die Szene vorzubereiten, und während sie dachte, dass es ihr ziemlich gut gelang, war sie dennoch erschüttert, als sie die Beine einer Frau hinter der Kücheninsel hervorragen sah.

»Also, ich bitte Sie, um den Leichnam herumzugehen«, sagte Greene. »Sagen Sie mir, was Sie sehen, sowohl in Bezug auf die Leiche als auch die Umgebung. Führen Sie mich durch Ihren Prozess.«

Chloe hatte während ihres Praktikums einige Leichen gesehen; als sie noch in Philadelphia lebte, war das nicht zu vermeiden gewesen. Aber das hier war etwas anderes. Es war ein wenig zu nah an ihrem Zuhause, fühlte sich ein wenig zu vertraut. Sie trat hinter die Küchentheke und betrachtete den Tatort.

Das Opfer war eine Frau, die in den Dreißigern zu sein schien. Ihr war mit einem sehr festen Gegenstand auf den Kopf geschlagen worden − höchstwahrscheinlich mit dem Toaster, der mehrere Meter von ihr entfernt in Trümmern lag. Die Hauptlast des Aufpralls hatte sich auf der linken Seite ihrer Stirn befunden und war stark genug gewesen, um die Augenhöhle zu zertrümmern, sodass ihr Auge so aussah, als könnte es jeden Moment auf den Boden gleiten. Eine Blutlache umgab ihren Kopf wie ein Heiligenschein.

Das merkwürdigste an ihr war vielleicht, dass ihre Jogginghose bis zu den Knöcheln und ihre Unterwäsche bis zu den Knien heruntergezogen war. Chloe kauerte sich näher an den Körper heran und suchte nach weiteren Details. Sie sah zwei kleine Kratzspuren an der Seite ihres Halses. Sie sahen frisch und nach Kratzern von Fingernägeln aus.

»Wo ist der Ehemann?«, fragte sie.

»In Gewahrsam«, sagte Greene. »Er hat es zugegeben und der Polizei bereits gesagt, was passiert ist.«

»Aber wenn es sich hier um einen häuslichen Streit handelt, warum wurde dann das FBI gerufen?«, fragte sie.

»Weil dieser Typ vor drei Jahren verhaftet wurde, weil er seine erste Frau so sehr verprügelt hatte, dass sie in die Notaufnahme musste. Aber sie wollte keine Anzeige erstatten. Und die IP-Adresse seines privaten Computers wurde vor zwei Wochen wegen potenzieller Snuff-Videos registriert.«

Chloe nahm all diese Informationen auf und setzte sie in Bezug zu dem, was sie hier sah. Sie verzahnte alles wie ein Puzzle und sprach ihre Gedanken und Theorien laut aus.

»In Anbetracht der Geschichte dieses Mannes war er anfällig für Gewalt. Extreme Gewalt, wenn der zertrümmerte Toaster ein Hinweis ist. Die herunter geschobene Jogginghose und die nicht ganz herunter gezogene Unterwäsche deutet darauf hin, dass er hier in der Küche versucht hatte, Sex mit ihr zu haben. Vielleicht hatten sie auch Sex und sie wollte ihn stoppen, als es ihr zu heftig wurde. Die Kratzspuren am Hals deuten darauf hin, dass der Sex grob und entweder einvernehmlich oder völlig unerwünscht war.«

Sie hielt inne und studierte das Blut. »Das Blut sieht relativ frisch aus. Ich würde schätzen, dass der Mord in den letzten sechs Stunden passiert ist.«

»Und was wären Ihre nächsten Schritte?«, fragte Greene. »Wenn wir diesen Kerl nicht in Gewahrsam hätten und es eine aktive Suche nach ihm gäbe, wie würden Sie vorgehen?«

»Ich würde nach Beweisen für Geschlechtsverkehr suchen. Wir könnten seine DNA bekommen und einen Treffer erzielen. Während ich auf diese Ergebnisse wartete, würde ich oben im Schlafzimmer nach etwas wie einer Brieftasche suchen, in der Hoffnung auf einen Führerschein. Natürlich nur, wenn man nicht schon vermutet hätte, dass es der Ehemann war. Wenn das der Fall wäre, könnten wir den Namen anhand der Adresse herausfinden.«

Greene lächelte sie an und nickte. »Das ist richtig. Sie wären überrascht, wie viele Neulinge die Tatsache übersehen, dass es eine Art Trickfrage ist. Sie sind im Haus des Typen, also kennen Sie schon seinen Namen. Aber wenn nicht der Verdacht bestand, dass es der Ehemann war, haben Sie vollkommen recht. Auch ... Sind Sie in Ordnung?«

Die Frage überraschte sie, vor allem, weil es ihr nicht gut ging. Sie war wie weggetreten und starrte auf das Blut auf den Küchenfliesen. Es zog sie wieder zurück in ihre Vergangenheit und sie starrte auf eine Blutlache, die in den Teppich am Ende der Treppe sickerte.

Ohne Vorwarnung wurde sie ohnmächtig. Sie lehnte sich gegen die Kücheninsel, weil sie Angst hatte, dass sie kotzen würde. Es war alarmierend und peinlich.

Ist es das, worauf ich mich bei jedem anderen grausamen Tatort einstellen kann? Besonders bei solchen Tatorten, die dem ähnelten, was mit Mom passiert war?

In ihrem Hinterkopf hörte sie Sally, eine der ersten Sachen, die sie jemals zu Chloe gesagt hatte: Ich weiß nicht, wie aus einer Frau jemals eine hervorragende Agentin werden kann. Besonders bei einer mit deinem traumatischen Hintergrund. Ich frage mich, ob du diese Art von Stress mit nach Hause nimmst.

»Entschuldigung«, murmelte sie. Sie stieß sich von der Kücheninsel ab und rannte zur Haustür. Auf dem Weg zum Rasen fiel sie beinahe die Verandatreppe hinunter, ganz sicher, dass sie sich übergeben würde.

Glücklicherweise ersparte ihr das Schicksal diese Schmach. Sie machte eine Reihe tiefer Atemzüge und konzentrierte sich so intensiv auf ihre Atmung, dass sie fast nicht bemerkte, wie Greene die Verandatreppe herunterkam.

»Es gibt bestimmte Fälle, die auch mich treffen«, sagte er zu ihr. Er hielt einen respektablen Abstand, ließ ihr ihren Freiraum. »Es wird Tatorte geben, die viel schlimmer sind. Mit der Zeit wird man desensibilisiert, leider.«

Sie nickte, da sie das alles schon einmal gehört hatte. »Ich weiß. Es ist nur ... dieser Tatort hat etwas bei mir ausgelöst. Eine Erinnerung, mit der ich nicht gerne zu tun habe.«

»Das FBI hat hervorragende Therapeuten, die den Agenten helfen, solche Dinge zu verarbeiten. Also denken Sie nie, dass Sie damit alleine dastehen oder dass es Sie zu einer weniger guten Agentin macht.«

»Danke«, sagte Chloe und schaffte es endlich wieder aufrecht zu stehen.

Sie erkannte, dass sie auf einmal ihre Schwester sehr vermisste. So morbid es auch sein mochte, die liebevollen Gedanken an Danielle durchfluten sie immer dann, wenn Erinnerungen an den Tag, an dem ihre Mutter starb, in ihrem Kopf auftauchten. Es war jetzt nicht anders; Chloe musste an ihre Schwester denken. Danielle hatte im Laufe der Jahre viel durchgemacht − sie war sowohl ein Opfer der Umstände als auch ihrer eigenen schlechten Entscheidungen. Und nun, da Chloe in ihrer Nähe lebte, schien es undenkbar, dass sie so distanziert blieben.

Sicher, sie hatte Danielle für das kommende Wochenende zu dem Straßenfest eingeladen, aber Chloe konnte nicht so lange warten. Außerdem vermutete Chloe, dass sie nicht kommen würde.

Plötzlich merkte sie: Sie musste sie jetzt sofort sehen.



***



Chloe wusste nicht, warum sie so nervös war, als sie an Danielles Tür klopfte. Sie wusste, dass Danielle da war; das gleiche Auto, das sie als Teenager gehabt hatte, war auf dem Parkplatz des Apartmentkomplexes geparkt und hatte immer noch die Bandaufkleber. Nine Inch Nails. KMFDM. Ministry. Das Auto und die Aufkleber darauf brachten einen Hauch von Nostalgie mit sich. Mehr Wehmut als alles andere.

War sie wirklich nicht erwachsen geworden, fragte sich Chloe.

Als Danielle die Tür öffnete, sah Chloe, dass sie das nicht war. Oder besser gesagt, ihre Aufmachung sah nicht danach aus.

Die Schwestern schauten sich zwei Sekunden lang an, bevor sie sich schließlich kurz umarmten. Chloe sah, dass Danielle ihr Haar immer noch schwarz gefärbt hatte. Sie trug auch noch den Lippenring, der aus dem linken Mundwinkel herausragte. Sie hatte einen dünnen schwarzen Eyeliner aufgetragen und trug ein Bauhaus-T-Shirt und zerrissene Jeans.

»Chloe«, sagte Danielle und ein schwaches Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht. »Wie geht es dir?«

Es klang, als hätten sie sich erst gestern noch gesehen. Für Cloe war das aber in Ordnung, sie hatte nicht gerade eine überschwängliche Begrüßung von ihrer Schwester erwartet.

Chloe trat in die Wohnung und umarmte ihre Schwester noch einmal, ohne sich darum zu kümmern, wie Danielle darauf reagieren würde. Es war etwas mehr als ein Jahr her, seit sie sich gesehen hatten − und etwa drei, seit sie sich tatsächlich umarmt hatten. Etwas an der Tatsache, dass sie jetzt in derselben Stadt lebten, schien etwas zwischen ihnen zu verbinden. Etwas, das Chloe fühlen konnte, etwas, von dem sie wusste, dass es nicht ausgesprochen werden musste.

Danielle erwiderte die Umarmung, wenn auch nur zögerlich. »Also gut ... du bist du hier ... weil?«, stichelte Danielle.

»Nur so«, sagte Chloe. »Ich weiß, ich hätte anrufen sollen, aber ... ich weiß nicht. Ich hatte Angst, du würdest eine Entschuldigung dafür finden, dass ich nicht vorbeikommen kann.«

»Das hätte ich sicher gemacht«, gab Danielle zu. »Aber jetzt, wo du hier bist, komm rein. Entschuldige die Unordnung. Nun, eigentlich nicht. Du weißt, dass ich schon immer unordentlich war.«

Chloe lachte und als sie die Wohnung betrat, war sie überrascht, sie relativ aufgeräumt vorzufinden. Der Wohnbereich war spärlich eingerichtet, mit nur einer Couch, einem Fernseher auf einem Ständer, einem Couchtisch und einer Lampe. Chloe wusste, dass der Rest der Wohnung genauso aussehen würde. Danielle war die Art von Person, die sich nur mit wenigen Sachen umgab. Die einzige Ausnahme, wenn sie sich seit ihren Teenagerjahren nicht verändert hätte (und es schien, als hätte sie das nicht getan), waren Musik und Bücher. Cloe fühlte sich fast schuldig wegen des geräumigen und gut ausgestatteten Hauses, das Steven und sie kürzlich gekauft hatten.

»Soll ich einen Kaffee aufsetzen?«, fragte Danielle.

»Ja, das wäre toll.«

Sie gingen in die Küche, die wiederum nur mit dem Nötigsten aufwartete. Der Tisch war offenbar etwas, das aus einem Hofverkauf stammte und hatte zumindest ein wenig Eleganz mit seiner zerknitterten Tischdecke. Zwei einsame Stühle standen daran, einer auf jeder Seite.

»Bist du hier, um mich wegen deines Straßenfestes zu piesacken?«, fragte Danielle.

»Überhaupt nicht«, sagte Chloe. »Ich war heute im Rahmen meines Praktikums an diesem Tatort, der ... nun, er brachte alles zurück.«

»Autsch.«

Schweigen hing zwischen ihnen, als Danielle die Kaffeemaschine anstellte. Chloe beobachtete, wie sich ihre Schwester ein wenig schleichend durch die Küche bewegte, augenscheinlich hatte sie sich nicht verändert. Sie könnte ebenso auf das siebzehnjährige Mädchen blicken, das trotz der Wünsche der Großeltern mit der Hoffnung, eine Band zu gründen, von zu Hause weggegangen war. Alles sah gleich aus, bis auf den verschlafenen Gesichtsausdruck.

»Hast du in letzter Zeit etwas von Dad gehört?«, fragte Chloe.

Danielle schüttelte nur den Kopf. »Bei deinem Job dachte ich, du wärst diejenige, die irgendwas hören würde. Wenn es etwas Neues gäbe.«

»Ich habe vor einer Weile aufgehört, nachzusehen.«

»Darauf stoßen wir an«, sagte Danielle und verbarg ein kleines Gähnen mit dem Handrücken.

»Du siehst müde aus«, sagte Chloe.

»Das bin ich. Nur nicht so schläfrig müde. Der Arzt hat mich auf diese Stimmungsstabilisatoren gesetzt. Die haben meinen Schlafrhythmus durcheinandergebracht. Und wenn du als Barkeeper normalerweise erst nach drei Uhr morgens nach Hause kommst, brauchst du nicht auch noch Medikamente, die deinen Schlaf ruinieren.«

»Du hast gesagt, der Arzt hätte sie dir verschrieben. Nimmst du sie nicht mehr?«

»Nein. Sie haben meinen Schlaf, meinen Appetit und meine Libido versaut. Seitdem ich damit aufgehört habe, fühle ich mich viel besser ... nur eben die ganze Zeit müde.«

»Warum wurden sie dir überhaupt verschrieben?«, fragte Chloe.

»Damit ich mit meiner neugierigen Schwester fertig werde«, sagte Danielle, nur halb im Scherz. Sie wartete einen Moment, bevor sie Cloe eine ehrliche Antwort gab. »Ich war immer öfter depressiv. Und es kam immer wie aus dem Nichts. Ich bin damit auf eine ziemlich dumme Art umgegangen. Trinken. Sex. Muntermacher.«

»Wenn er sie wegen Depressionen verschrieben hat, solltest du sie wahrscheinlich wieder nehmen«, sagte Chloe und erkannte in dem Moment, als ihre Worte raus waren, wie aufdringlich sie war. »Wozu brauchst du überhaupt eine Libido?«, fragte sie mit einem Kichern.

»Für diejenigen von uns, die nicht gerade im Begriff sind zu heiraten, ist sie ziemlich wichtig. Wir können uns nicht einfach im Bett umdrehen und Sex haben, wann immer wir wollen.«

»Du hattest noch nie Probleme, Männer zu kriegen«, sagte Chloe.

»Und das habe ich immer noch nicht«, sagte sie und brachte Kaffeetassen an den Tisch. »Es ist einfach zu viel Arbeit. Besonders in letzter Zeit. Dieser Neue. Eine ernste Sache. Wir haben beschlossen, es langsam anzugehen ... was auch immer das heißt.«

»Das ist der einzige Grund, warum ich Steven heirate«, sagte Chloe und versuchte in die gleiche lockere Stimmung wie ihre Schwester zu kommen. »Ich hatte es satt, für Sex zu arbeiten.«

Darüber mussten sie beide lachen. Es hätte sich natürlich anfühlen sollen, wieder zusammen zu lachen, aber etwas daran fühlte sich gezwungen an.

»Also, was ist los, Schwesterchen?«, fragte Danielle. »Es sieht dir nicht ähnlich, dass du einfach so vorbeikommst. Nicht, dass ich das wissen könnte, da wir diese Gelegenheit seit fast zwei Jahren nicht mehr hatten.«

Chloe nickte und erinnerte sich an das einzige Mal, das sie in den letzten paar Jahren zusammen verbracht hatten. Danielle war für ein Konzert in Philly gewesen und war in ihrer Wohnung abgestürzt. Sie hatten ein bisschen geredet, aber nicht viel. Danielle war betrunken gewesen und auf ihrer Couch bewusstlos geworden. Ihre Mom war in dem Gespräch aufgetaucht, genau wie ihr Vater. Es war das einzige Mal, dass Chloe Danielle jemals darüber sprechen gehört hatte, ihn besuchen zu wollen.

»Dieser Tatort heute Morgen«, sagte Chloe. »Er hat mich an den Morgen vor unserer Wohnung erinnert. Ich musste immer wieder an das Blut unten an der Treppe denken und es ist mir ganz schön an die Nieren gegangen. Ich dachte, ich müsste kotzen. Eigentlich bin ich sonst nicht so, weißt du? Der Tatort selbst war ziemlich 08/15, verglichen mit einigen der Sachen, die ich schon gesehen habe. Es hat mich einfach nur schwer getroffen. Er brachte mich dazu, an dich zu denken, und ich musste dich sehen. Verstehst du das?«

»Ja. Die Stimmungsstabilisatoren ... ich bin mir ziemlich sicher, dass die ganze Depression von den Albträumen herrührt, die ich über Mom und Dad hatte. Ich hatte sie und war dann tagelang wie in Trance. Ich wollte nicht mal aufstehen, weil ich niemandem sonst auf der Welt vertraute.«

»Eigentlich wollte ich fragen, wie du damit fertig wirst, wenn du daran denkst, was passiert ist, aber ich schätze, ich kenne die Antwort, hm?«

Danielle nickte und sah weg. »Pillen.«

»Das ist deine Lösung?«

Danielle zuckte mit den Achseln, aber sie hätte Cloe genauso gut den Mittelfinger zeigen können. »Wir sind etwa zehn Minuten zusammen und schon fängst du damit an. Gott, Chloe ... hast du nicht gelernt, dein Leben zu leben, ohne diesen Scheiß mit dir rumzuschleppen? Erinnere dich daran: Als du angerufen hast, um mir zu sagen, dass du nach Pinecrest ziehst, haben wir beschlossen, nicht darüber zu reden. Schnee von gestern, erinnerst du dich?«

Chloe war sprachlos. Sie hatte gerade miterlebt, wie sich Danielle im Handumdrehen von sachlich und sarkastisch in absolut wütend verwandelt hatte. Sicher, ihre Eltern waren ein schmerzhaftes Thema, aber Danielle reagierte bipolar.

»Wie lange bist du schon ohne Medikamente?«, fragte Chloe.

»Fick dich.«

»Wie lange?«

»Drei Wochen oder so. Warum?«

»Weil ich erst seit fünfzehn Minuten hier bin und schon weiß, dass du sie brauchst.«

»Oh, danke, Frau Doktor.«

»Würdest du bitte wieder anfangen, sie zu nehmen? Ich will dich bei meiner Hochzeit dabeihaben. Als Trauzeugin, erinnerst du dich? So egoistisch es auch erscheinen mag, ich möchte, dass du es wirklich genießen kannst. Also würdest du bitte wieder anfangen, sie zu nehmen?«

Die Erwähnung der Trauzeugin hatte etwas in Danielle ausgelöst. Sie seufzte und entspannte dann ihre Haltung. Sie konnte Chloe wieder anschauen und obwohl sie noch wütend war, hatte sie auch etwas Warmes an sich.

»Okay«, sagte sie.

Sie stand vom Tisch auf und ging zu einem kleinen dekorativen Weidenkorb auf der Küchentheke. Sie zog eine Rezeptflasche hervor, schüttelte eine Pille heraus und schluckte sie mit ihrem Kaffee runter.

»Danke«, sagte Chloe. Dann hakte sie noch etwas mehr nach, weil sie spürte, dass noch etwas nicht stimmte. »Ist sonst alles in Ordnung?«

Danielle dachte einen Moment darüber nach und Chloe erwischte sie dabei, wie sie einen kurzen Blick auf ihre Wohnungstür warf. Er war sehr kurz, aber mit einem Anflug von Angst, dessen war sich Chloe sicher.

»Nein, mir geht's gut.«

Chloe kannte ihre Schwester gut genug, um zu wissen, dass sie sie nicht weiter bedrängen sollte.

»Also, was zum Teufel macht man eigentlich auf so einem Straßenfest?«, fragte Danielle.

Chloe lachte; sie hatte beinahe Danielles Fähigkeit vergessen, ein Thema fallen zu lassen und ein anderes mit der ganzen Anmut eines Elefanten in einem Porzellanladen zu beginnen. Und so wurde einfach das Thema gewechselt. Chloe beobachtete ihre Schwester, um zu sehen, ob sie noch einmal mit dieser Angst in den Augen zur Tür blickte, aber es passierte nicht wieder.

Trotzdem fühlte Chloe, dass da etwas war. Vielleicht würde Danielle es ihr erzählen, wenn sie mehr Zeit miteinander verbracht hätten.

Aber was, fragte sich Chloe und warf selbst einen Blick auf die Haustür.

Und dann wurde ihr klar, dass sie ihre Schwester überhaupt nicht kannte. In manchen Dingen war sie immer noch das siebzehnjährige Gothic-Mädchen, das ihr so vertraut gewesen war. Aber es gab auch etwas Neues an Danielle ... etwas Dunkleres. Etwas, das Medikamente brauchte, um ihre Stimmung zu kontrollieren, um ihr zu helfen, zu schlafen und zu funktionieren.

Es kam Chloe in diesem Moment in den Sinn, dass sie Angst um ihre Schwester hatte und sie auf jede erdenkliche Weise helfen wollte.

Selbst wenn es bedeutete, in der Vergangenheit zu graben.

Aber nicht jetzt. Vielleicht nach der Hochzeit. Nur Gott wusste, was für Auseinandersetzungen und Stimmungsschwankungen wegen des Todes ihrer Mutter und der Inhaftierung ihres Vaters aufkommen würden. Doch Chloe fühlte die Geister ihrer Vergangenheit stärker als je zuvor, als sie mit Danielle dort saß und sich fragte, wie sehr Danielle von all dem verfolgt wurde.

Was für Geister lauerten in Danielles Kopf? Und was genau sagten sie ihr?

Wie sie einen aufkommenden Sturm spürte, wusste sie, dass alles, was Danielle unterdrückte, sie irgendwann einbeziehen würde. Ihr neues Leben. Ihr neuer Verlobter. Ihr neues Haus.

Und es würde zu nichts Gutem führen.




KAPITEL FÜNF


Danielle saß auf ihrer Couch, lehnte sich gegen Martin, ihr Bein lag über seinem, und sie war sich sehr bewusst, dass sie keine Unterwäsche unter ihrer Pyjamahose trug. Nicht, dass es eine Rolle spielen würde; irgendwie hatte er sie gestern Abend abgewiesen, trotz des fehlenden BHs und des knappen Höschens. Es schien so, als würde Martin diese ganze Sache mit der es-langsam-angehen-Sache ernst nehmen.

Sie fing auch an zu glauben, dass er entweder nur ein Gentleman war oder sich nicht sexuell zu ihr hingezogen fühlte. Letzteres war schwer zu glauben, denn sie hatte buchstäblich gespürt, wie sein Schwanz bei den vielen Malen, bei denen sie rumgemacht hatten, an ihren Beinen und Hüften rieb.

Sie hatte versucht, sich davon nicht stören zu lassen. Während sie in der Tat sexuell frustriert war, war es doch durchaus wichtig, endlich einen Mann zu finden, der mehr als nur Sex wollte.

Der heutige Abend war ein gutes Beispiel. Sie hatten beschlossen, nichts zu unternehmen, sondern nur in ihrer Wohnung zu sitzen und sich einen Film anzusehen. Zuvor hatten sie über Martins Tag gesprochen. Doch von seiner momentanen Arbeit als ITler in einer Druckerei hatte er nur wenig Spannendes zu berichten. Es war, als würde man jemandem zuhören, der erklärt, wie Buchdruckfarbe trocknet. Und Danielle hasste es, über ihren Tag zu reden. Als Barkeeperin in einem lokalen Restaurant waren ihre Tage eher eintönig. Sie saß herum und las die meiste Zeit. Die Nächte waren gefüllt mit einer Menge Geschichten, aber wenn sie es schaffte, etwas Schlaf zu bekommen und irgendwann am Nachmittag aufwachte, wollte sie nicht auch noch darüber reden.

Als der Austausch von Alltäglichkeiten vorbei war, hatten sie sich ein wenig geküsst, aber es war alles sehr jugendfrei. Wieder einmal stellte Danielle fest, dass sie kein Problem damit hatte. Außerdem war sie seit Chloes Besuch deprimiert. Die Stimmungsstabilisatoren würden wahrscheinlich nicht einmal wirken, bis sie ihre zweite Pille vor dem Schlafengehen nahm.

Dank Chloes Besuch hatte Danielle an ihre Mutter, ihren Vater und die Kindheit gedacht, die wie ein verzerrtes Flimmern an ihr vorübergezogen war. Eigentlich wollte sie nur von Martin festgehalten werden − etwas, das sie sich selbst gegenüber eingestehen musste.

Sie hatten sich auf eine ihrer DVDs geeinigt, ›Die Verurteilten‹ eingelegt und sich wie ein paar nervöse und unerfahrene Teenager auf der Couch zusammengerollt. Bei einigen Gelegenheiten rutschte seine Hand etwas tiefer über ihre Schulter und sie fragte sich, ob er versuchte, etwas weiter zu gehen. Aber er blieb anständig, was sowohl erfrischend als auch ärgerlich war.

Sie bemerkte auch, dass sein Telefon ein paar Mal vibrierte. Es lag auf ihrem Couchtisch direkt vor ihnen, aber er wollte nicht nachsehen. Zuerst nahm sie an, er sei nur höflich und wollte ihre gemeinsame Zeit nicht stören. Aber nach einer Weile − Danielle glaubte, dass es wenigstens sieben oder achtmal vibriert hatte − fing es an, lästig zu werden.

Gerade als Tim Robbins sich im Büro des Direktors einsperrte und Opernmusik aus der Sprechanlage des Shawshank-Gefängnisses dröhnte, vibrierte es ein weiteres Mal. Danielle sah zum Telefon und dann zu Martin.

»Willst du nicht nachschauen?«, fragte sie. »Jemand scheint dich wirklich zu brauchen.«



»Nein, es ist alles gut«, sagte er. Er zog sie näher heran und streckte sich mit ihr auf der Couch aus. Sie lagen Seite an Seite. Wenn sie wollte, könnte sie leicht seinen Hals küssen. Sie betrachtete den exponierten Raum dort und dachte darüber nach. Sie fragte sich, wie er reagieren würde, wenn sie ihn dort küsste, vielleicht sogar sanft ihre Zunge an seinem Hals entlang wandern ließe.

Das Telefon vibrierte wieder. Danielle stieß ein kleines Lachen aus und beugte sich ohne jede Vorwarnung über Martin. Sie nahm das Telefon und zog es an ihre Brust. Ihren Blick auf sein gesperrtes Display gerichtet, fragte sie: »Was ist dein Passcode?«

Martin riss ihr gewaltsam das Telefon aus der Hand. Er sah mehr überrascht als wütend aus. »Was sollte das denn?«, fragte er.

»Nichts«, sagte sie. »Ich spiele nur herum. Du kannst an dein Handy gehen, während du bei mir bist. Es macht mir nichts aus. Wenn es allerdings eine andere Frau oder so etwas ist, muss ich vielleicht einen Zickenkrieg mit ihr austragen.«

»Du hast mir nicht zu sagen, wann ich an mein Handy gehen soll oder nicht«, schnappte er.

»Ähm, warte mal. Es gibt keinen Grund, sich deswegen aufzuregen. Ich habe nur Spaß gemacht.«

Er grinste sie an und schob das Telefon in seine Tasche. Er seufzte und setzte sich auf, anscheinend nicht mehr daran interessiert, mit ihr zu kuscheln.

»Ah, dann bist du einer dieser Typen«, sagte sie und versuchte immer noch, die Grenze zwischen Scherzen und Beharrlichkeit zu finden. Einer, der sein Handy hütet, als wäre es sein Schwanz oder so was.«

»Lass es gut sein«, sagte er. »Sei nicht albern.«

»Ich? Martin, ich dachte, du wolltest mir die Handgelenke brechen, als du es mir aus den Händen gerissen hast.«

»Nun, es nicht dein Handy, oder? Vertraust du mir nicht?«

»Ich weiß nicht«, sagte sie und erhob ihre Stimme. »Wir kennen uns noch nicht so lange. Gott, es gibt keinen Grund, so verdammt defensiv zu werden.«

Er rollte mit den Augen und sah in den Fernseher. Es war eine abweisende Geste, die sie sauer machte. Sie schüttelte den Kopf und tat ihr Bestes, um ihre fröhliche Fassade aufrechtzuerhalten und schlang schnell ihre Beine um ihn. Sie griff nach unten, als ob sie nach seinem Reißverschluss suchte, taste dann aber nach der Tasche, in die er das Telefon gesteckt hatte. Mit ihrer anderen Hand fing sie an, seine rechte Seite zu kitzeln.

Er war verdutzt, offensichtlich unsicher, wie er reagieren sollte. Doch als ihre Finger den Rand seines Telefons fanden, schien er irgendwo einen Schalter umzulegen. Er packte ihren Arm und zog ihn mit einem schraubstockartigen Griff hoch. Dann schob er sie auf die Couch und hielt ihren Arm immer noch fest. Es tat höllisch weh, aber sie wollte nicht, dass er sie vor Schmerzen schreien hörte. Die Schnelligkeit und Kraft, die er zeigte, erinnerte sie daran, dass er einmal zum Amateurboxer ausgebildet worden war.

»Whoa, lass meinen verdammten Arm los!«

Er ließ ihren Arm los, während er überrascht auf sie herabblickte. Sein Gesichtsausdruck machte sie glauben, dass er nicht beabsichtigt hatte, so hart mit ihr umzugehen. Er schien sogar von sich selbst überrascht zu sein. Aber er war auch wütend; die zerfurchte Stirn und die zitternden Schultern waren ein Beweis dafür.

»Ich werde gehen«, sagte er.

»Ja, das ist eine gute Idee«, sagte Danielle. »Und mach dir nicht mal die Mühe, noch mal anzurufen, es sei denn, du beginnst mit einer Entschuldigung.«

Er schüttelte den Kopf, ob über sich selbst und seine Reaktion oder über sie, Danielle war sich da nicht sicher. Sie sah zu, wie er schnell zur Tür ging und sie geräuschvoll hinter sich schloss. Danielle saß auf der Couch und schaute für einige Augenblicke zur Tür, während sie versuchte herauszufinden, was genau passiert war.

Er hatte kein Interesse daran, mich zu vögeln, und war unerwartet aufbrausend gewesen. Der Kerl könnte mehr Ärger machen, als er wert war.

Aber sie fühlte sich immer zu solchen Kerlen hingezogen.

Sie schaute auf ihren Arm und entdeckte rote Flecken, dort, wo er sie gepackt und nach unten gedrückt hatte. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie blaue Flecken bekommen würde. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Mann ihr blaue Flecken zugefügt hätte, aber sie hatte sowas wirklich nicht bei Martin erwartet.

Sie spielte mit der Idee, ihm nachzulaufen, um zu sehen, was in ihn gefahren war. Aber stattdessen blieb sie auf der Couch und sah sich den Film weiter an. Wenn ihre Vergangenheit sie etwas gelehrt hatte, dann, dass Männer es einfach nicht wert waren, ihnen hinterherzujagen. Nicht einmal die, die zu gut schienen, um wahr zu sein.

Sie schaute den Film alleine zu Ende an und ärgerte sich über den vergeudeten Abend. Als sie alle Lichter ausmachte, fühlte sie sich, als würde sie beobachtet, als wäre sie nicht allein. Sie wusste natürlich, dass das lächerlich war, aber sie konnte nicht anders, als zu ihrer Haustür zu schauen, wo gestern und mehrere Male zuvor wie aus dem Nichts ein Brief erschienen war.

Sie blieb im Dunkeln auf der Couch sitzen, beobachtete die Tür und erwartete beinahe, dass ein weiterer Brief durch die Tür glitt. Zwanzig Minuten später stand sie auf, machte sich bereit für die Arbeit und löschte alle Lichter in der Wohnung.

Langsam kam eine schleichende Paranoia in ihr auf. Es war ein vertrautes Gefühl, ein Gefühl, das im Laufe der Jahre so etwas wie ein enger Freund geworden war - ein sehr enger Freund, seit diese Briefe ankamen.

Sie dachte an die Pillen und fragte sich für einen Moment, ob sie sich das nur einbildete. Alles. Inklusive der Briefe.

War irgendwas davon echt?

Sie kam nicht umhin, in ihre Vergangenheit zurück zu schweifen und sich an die Dunkelheit zu erinnern, von der sie gedacht hatte, ihr entkommen zu sein.

War sie dabei, wieder ihren Verstand zu verlieren?




KAPITEL SECHS


Chloe saß im Wartezimmer und betrachtete die spärliche Auswahl an Lektüre auf dem Couchtisch. Sie hatte nach dem Tod ihrer Mutter zwei verschiedene Therapeuten besucht, aber den Zweck dieser Besuche nie wirklich verstanden. Aber jetzt, im Alter von 27 Jahren, wusste sie, warum sie hier war. Sie hatte den Rat von Greene befolgt und den zuständigen FBI-Therapeuten angerufen, um mit ihm über ihre Reaktion auf den gestrigen Tatort zu sprechen. Jetzt versuchte sie, sich an die Praxen zu erinnern, die sie als Kind besucht hatte.

»Ms. Fine?« Eine Frau rief sie von der anderen Seite des Raumes auf.

Chloe war so tief in ihren eigenen Gedanken versunken gewesen, dass sie die Tür zum Wartezimmer nicht gehört hatte. Eine sympathisch aussehende Frau winkte ihr zu. Chloe stand auf und versuchte ihr Bestes, sich nicht wie ein Versager zu fühlen, als sie der Frau den Flur hinunter und zu einem großen Sprechzimmer folgte.

Sie dachte an das, was Greene ihr gestern gesagt hatte, als sie zusammen einen Kaffee getrunken hatten. Sie hatte seine Worte immer noch im Kopf, denn es war der erste richtige Ratschlag, den ihr ein erfahrener Agent während ihrer sehr jungen Karriere gegeben hatte.

»In meinen ersten Jahren bin ich mehrfach zu diesem Therapeuten gegangen. Mein vierter Tatort war ein erweiterter Selbstmord. Insgesamt vier Leichen. Eine davon war ein dreijähriges Kind. Hat mich ganz schön durcheinandergebracht. Ich kann Ihnen also aus eigenem Erleben bestätigen, dass die Therapie funktioniert. Besonders, wenn man sie in dieser Phase seiner Karriere beginnt. Ich habe Agenten gesehen, die denken, sie seien große Macker und bräuchten keine Hilfe. Werden Sie nicht einer von denen, okay.«

Also nein ... einen Therapeuten zu brauchen, würde sie nicht zum Versager machen. Wenn überhaupt, dann hoffte sie, dass es sie stärker machen würde.

Sie betrat das Büro und sah einen älteren Herrn von etwa sechzig Jahren hinter einem großen Schreibtisch sitzen. Ein Fenster hinter dem Schreibtisch offenbarte eine kunstvoll geschnittene Hecke, Schmetterlinge huschten hin und her. Sein Name war Donald Skinner und er machte das hier schon seit mehr als dreißig Jahren. Sie wusste das, weil sie ihn gegoogelt hatte, bevor sie sich entschied, den Termin zu machen. Skinner war sehr etepetete; er schien sich leicht aufzublähen und füllte den Raum noch ein wenig mehr, als er zur Begrüßung auf sie zukam.

Er deutete auf einen bequem aussehenden Sessel in der Mitte des Raumes. »Bitte«, sagte er. »Machen Sie es sich bequem.«

Sie setzte sich, deutlich nervös. Sie wusste, dass sie wahrscheinlich etwas zu sehr versuchte, es zu verbergen.

»Haben Sie so etwas schon mal gemacht?«, fragte Skinner.

»Als ich noch ein Kind war«, antwortete sie.

Er nickte, als er auf einem identischen Stuhl vor ihr Platz nahm. Als er saß, hievte er sein rechtes Bein über sein linkes und faltete seine Hände über seinen Knien.

»Ms. Fine, warum erzählen Sie mir nicht, warum Sie heute hier sind.«

»Soll ich ganz von vorn anfangen?«, fragte sie und meinte es als Witz.

»Im Moment konzentrieren wir uns nur auf den Tatort gestern«, antwortete Skinner.

Chloe nahm sich einen Moment Zeit zum Nachdenken und fing dann an. Sie hielt nichts zurück, auch wenn sie sich ein wenig in ihre Vergangenheit vertiefte, um auch dieses Kapitel für ihn darzustellen. Skinner hörte aufmerksam zu und überdachte das, was ihm gerade erzählt worden war.

»Sagen Sie|«, sagte Skinner. »War das von den Tatorten, die Sie bisher gesehen haben, der grauenvollste?«

»Nein. Aber es war der grauenvollste, den ich mir je ansehen durfte.«

»Also sind Sie bereit zuzugeben, dass es dieses Ereignis aus Ihrer Vergangenheit war, dass Sie dazu gebracht hat, so zu reagieren, wie Sie es getan haben?«

»Ich nehme es an. Ich meine, das ist noch nie passiert. Und selbst wenn es mich beunruhigte, konnte ich dieses Gefühl stets leicht abschütteln.«

»Ich verstehe. Nun, gibt es noch andere Faktoren, die eine Rolle gespielt haben könnten? Es ist eine neue Stadt. Ein neuer Ausbilder, ein neues Haus. Es gibt eine Menge Veränderungen.«

»Meine Zwillingsschwester«, sagte Chloe. »Sie lebt hier in Pinecrest. Ich dachte mir, dass es vielleicht eine gute Idee wäre, sie nach über einem Jahr wiederzusehen ... vielleicht war es das, zusätzlich zu der ähnlichen Szenerie an diesem Tatort hier.«

»Das könnte sehr wohl der Fall sein«, sagte Skinner. »Bitte verzeihen Sie mir die simple Frage, aber hat der Mord an Ihrer Mutter Sie zu ihrer Karriere beim FBI geführt?«

»Ja. Seit ich zwölf war, wusste ich, dass ich das tun wollte.«

»Und was ist mit Ihrer Schwester? Was macht sie?«

»Sie arbeitet als Barkeeperin. Ich denke, sie genießt es, weil sie nur ein paar Stunden am Tag unter Leuten sein muss und dann nach Hause gehen und bis Mittag schlafen kann.«

»Und erinnert sie sich an diesen Tag genauso wie Sie? Haben Sie darüber gesprochen?«

»Haben wir, aber sie will nicht ins Detail gehen. Wenn ich es versuche, würgt sie mich sofort ab.«

»Also gehen wir jetzt ein bisschen ins Detail«, sagte Skinner. »Es ist klar, dass Sie das irgendwie besprechen müssen. Also warum nicht mit mir ... einer unparteiischen Person?«

»Nun, wie ich schon sagte, es schien ein ziemlich einfacher, aber unglücklicher Unfall gewesen zu sein.«

»Trotzdem wurde Ihr Vater deshalb verhaftet«, betonte Skinner. »Als jemand, der mit dem Fall nicht vertraut ist, tendiere ich nicht zu der Unfall-Theorie. Es macht mich neugierig, wie Sie sich da so sicher sein können. Also, lassen Sie es uns durchgehen. Was ist an diesem Tag passiert? Woran erinnern Sie sich?«

»Nun, es war ein Unfall, den mein Vater verursacht hatte. Deshalb wurde er verhaftet. Er hatte nicht einmal gelogen. Er war betrunken, Mom machte ihn wütend und er schubste sie.«

»Ich habe Ihnen die Chance gegeben, ins Detail zu gehen und das ist alles, was ich bekomme?«, fragte Skinner in einem freundlichen Ton.

»Nun, einiges davon ist verschwommen«, gab Chloe zu. »Wissen Sie, so wie man die Erinnerungen aus der Kindheit durch eine rosarote Brille sieht?«

»In der Tat. Also, ... ich möchte etwas mit Ihnen versuchen. Weil wir uns zum ersten Mal treffen, werde ich Sie nicht hypnotisieren. Ich werde jedoch eine andere bewährte Therapie ausprobieren. Es ist das, was manche als Zeitlinientherapie bezeichnen. Für heute hoffe ich, dass es helfen könnte, weitere Details von diesem Tag auszugraben, die in Ihrem Gehirn vorhanden sind, aber irgendwie versteckt wurden, weil Sie Angst haben, sie zu sehen. Wenn Sie auch weiterhin zu mir kommen, wird uns diese Art der Therapie helfen, die Sorgen und Ängste zu überwinden, die in Ihnen entstehen, wenn Sie mit diesem Tag konfrontiert werden. Hört sich das wie etwas an, das Sie heute ausprobieren würden?«

»Ja«, sagte sie ohne zu zögern.

»Okay. Gut. Also ... fangen wir damit an, wo Sie gesessen haben. Ich möchte, dass Sie die Augen schließen und sich entspannen. Nehmen Sie sich ein oder zwei Minuten Zeit, um den Kopf frei zu bekommen und es sich bequem zu machen. Nicken Sie, wenn Sie bereit sind.«

Chloe tat, worum sie gebeten wurde. Sie ließ sich wieder in den Stuhl sinken. Es war ein sehr bequemer Kunstledersessel. Sie fühlte, dass sie immer noch ihre Schultern anspannte und es ihr peinlich war, vor jemandem so ungeschützt zu sein, den sie noch nie getroffen hatte. Sie seufzte tief und fühlte, wie ihre Schultern lockerer wurden. Sie schmiegte sich in den Stuhl und achtete auf das Geräusch der Klimaanlage, lauschte ihrem Brummen und nickte dann. Sie war bereit.

»Okay«, sagte Skinner. »Sie sitzen draußen auf der Treppe mit Ihrer Schwester. Nun, selbst wenn Sie sich nicht mehr an die Art von Schuhen erinnern können, die Sie an diesem Tag trugen, möchte ich, dass Sie sich vorstellen, dass Sie auf Ihre Füße schauen. Schauen Sie auf Ihre Schuhe. Ich möchte, dass Sie sich auf sie und nichts anderes konzentrieren − nur auf die Schuhe, die Sie an dem Tag trugen, als Sie zehn Jahre alt waren. Sie und Ihre Schwester auf der Treppe. Aber behalten Sie nur die Schuhe im Auge. Beschreiben Sie sie mir.«

»Chuck Taylors«, sagte Chloe. »Rot. Zerkratzt. Große schlaffe Schnürsenkel.«

»Perfekt. Jetzt studieren Sie die Schnürsenkel. Konzentrieren Sie sich ganz auf sie. Dann will ich, dass Ihr zehnjähriges Ich aufsteht, ohne von den Schnürsenkeln wegzusehen. Ich möchte, dass Sie aufstehen und dorthin zurückgehen, wo Sie waren, bevor Sie das Blut auf dem Teppich unten an der Treppe entdeckten. Sie müssen ein paar Stunden zurückgehen. Aber schauen Sie nicht weg von diesen Schnürsenkeln. Können Sie das?«

Chloe wusste, dass sie nicht hypnotisiert war, aber die Anweisungen schienen so einfach. So einfach und unkompliziert. In Ihren Gedanken stand sie auf und ging zurück in die Wohnung. Als sie dort war, sah sie das Blut, sah ihre Mutter.

»Mom liegt genau da unten an der Treppe«, sagte sie. »Viel Blut. Danielle ist irgendwo und weint. Papa geht auf und ab.«

»Okay. Aber schauen Sie nur auf Ihre Schnürsenkel«, wies Skinner sie an. »Und dann schauen Sie, ob Sie weiter zurückgehen können. Können Sie das?«

»Ja. Langsam. Ich bin mit Beth zusammen ... einer Freundin von mir. Wir kommen gerade von einem Film zurück. Ihre Mutter hatte uns mitgenommen. Sie setzte mich ab und blieb dort am Bordstein stehen, bis ich hineingegangen war. Das hat sie immer getan, sie fuhr nicht weg, bis sie mich hineingehen sah.«

»Okay. Also achten Sie auf die Schnürsenkel, wenn Sie aus dem Auto steigen und die Treppe hochgehen. Dann führen Sie mich durch den Rest des Nachmittags.«

»Ich ging in das Gebäude und dann in den zweiten Stock, wo unsere Wohnung war. Als ich zur Tür kam und den Schlüssel herauszog, um sie zu öffnen, hörte ich Dad von drinnen. Also ging ich einfach rein. Ich schloss die Tür und ging ins Wohnzimmer, dann erblickte ich Moms Körper. Mom lag unten an der Treppe. Ihr rechter Arm war unter ihr festgeklemmt. Ihre Nase sah ganz zertrümmert aus und überall war Blut. Der größte Teil ihres Gesichts war damit bedeckt. Es war auf dem ganzen Teppich, genau da, unten an der Treppe. Ich denke, Dad könnte versucht haben, ihren Körper zu bewegen ...«

Hier stockte Chloe. Es fiel ihr schwer, sich auf diese schäbigen alten Schnürsenkel zu konzentrieren. Sie kannte die Szene, die sie wiedergab, viel zu gut, um sie zu ignorieren.

»Danielle steht genau da, direkt über ihr. Sie hat etwas Blut an den Händen und der Kleidung. Papa spricht wirklich laut ins Telefon und sagt jemandem, er soll schnell kommen, es hätte einen Unfall gegeben. Als er auflegt, sieht er mich an und fängt an zu weinen. Er wirft das Telefon durch den Raum und es zerschellt beim Aufprall an der Wand. Er kam zu uns herüber und kauerte sich hin. Er sagte, es tue ihm leid ... er sagte, es sei ein Krankenwagen unterwegs. Dann sah er Danielle an und wir konnten ihn durch die Tränen kaum verstehen. Er sagte, Danielle müsse nach oben gehen. Sie müsse sich umziehen.

Das tat sie und ich folgte ihr. Ich fragte sie, was passiert war, aber sie wollte nicht mit mir reden. Sie weinte nicht mal. Schließlich hörten wir Sirenen. Wir saßen da mit Papa und warteten darauf, dass er uns sagte, was als Nächstes passieren würde. Aber das tat er nicht. Der Krankenwagen kam, dann die Polizei. Ein freundlicher Polizist nahm uns mit auf die Treppe und blieb dort bei uns, bis Papa in Handschellen herausgebracht wurde. Bis sie Moms Leiche raus gebracht haben ...«

Plötzlich war die Vision der ausgeleierten Schnürsenkel verschwunden. Sie wartete darauf, dass ihre Großmutter sie abholte. Der übergewichtige Polizist war bei ihr und obwohl sie ihn nicht kannte, gab er ihr ein Gefühl von Sicherheit.

»Sind Sie okay?«, fragte Skinner.

»Ja«, sagte sie mit einem nervösen Lächeln. »Ich hatte ganz vergessen, dass Dad das Telefon an die Wand geworfen hatte ... das hatte ich total vergessen.«

»Wie fühlen Sie sich bei dem Anblick?«

Es war eine schwer zu beantwortende Frage. Ihr Vater war immer sehr schnell aufbrausend gewesen, aber ihn nach dem, was ihrer Mutter passiert war, zu sehen, ließ ihn fast schwach und verletzlich erscheinen.

»Es macht mich traurig für ihn.«

»Geben Sie ihm die Schuld am Tod Ihrer Mutter, seitdem es passiert ist?«, fragte Skinner.

»Es kommt auf den Tag an. Es kommt auf meine Laune an.«

Skinner nickte und brach seine statuenhafte Haltung. Er stand auf und sah sie mit einem beruhigenden Lächeln an.

»Ich denke, es ist genug für heute. Bitte rufen Sie mich an, wenn Sie diese Art von Reaktion auf einen Tatort noch einmal erleben. Und ich würde Sie gerne bald wiedersehen. Können wir einen Termin vereinbaren?«

Chloe dachte darüber nach und nickte. »Das können wir, aber ich heirate bald und wir haben all diese Treffen mit Floristen und Bäckern ... es ist ein Albtraum. Kann ich Sie wegen eines Termins anrufen?«

»Natürlich. Und bis dahin ... halten Sie sich an Agent Greene. Er ist ein guter Mann. Und er hatte recht damit, Sie zu mir zu schicken. Bitte seien Sie sich darüber im Klaren, dass es nichts bedeutet, so früh in Ihrer Karriere zu jemandem wie mir zu kommen, um sich mit Ihren Problemen zu beschäftigen. Es ist kein Spiegelbild Ihrer Fähigkeiten.«

Chloe nickte. Sie wusste das, aber es war trotzdem schön, Skinner das sagen zu hören. Sie stand auf und dankte ihm für seine Zeit. Als sie aus der Tür in das Wartezimmer ging, sah sie wieder ihren Vater das Telefon an die Wand werfen. Aber dann war da noch eine Bemerkung, die er gemacht hatte. Eine, die sie nicht vergessen hatte, die aber bis heute verschwommen gewesen war.

Er hatte Danielle angeschaut und mit etwas zu viel Dringlichkeit in seiner Stimme gesagt: »Danielle, Schatz ... zieh dich um. Es ist nicht mehr viel Zeit, bis sie hier sind.«

Dieser Kommentar geisterte den größten Teil des Nachmittags durch Chloes Kopf und ließ sie frösteln, während sie an einer verschlossenen Tür herumstocherte, die sie in den letzten siebzehn Jahren ignoriert hatte.




KAPITEL SIEBEN


Danielle wachte um acht Uhr auf und fühlte sich, als ob sie überhaupt nicht geschlafen hätte. Sie war um 2 Uhr 45 von der Arbeit gekommen und um 3 Uhr 10 ins Bett gefallen. Normalerweise schlief sie immer bis etwa elf Uhr, manchmal sogar noch länger, aber als sich ihre Augen an diesem Morgen um acht Uhr öffneten, konnte sie nicht mehr einschlafen. Um ehrlich zu sein, hatte sie nicht sehr gut geschlafen, seit sie wusste, dass Chloe zurück in die Stadt kommen würde. Es hatte sich so angefühlt, als würde ihre Vergangenheit ihr langsam folgen und sie würde nicht eher ruhen, bis sie sie vollständig verschluckt hätte.

Müde und schlecht gelaunt duschte Danielle und frühstückte dann. Das alles mit Skinny Puppys Too Dark Park Album im Hintergrund. Als sie ihr Frühstücksgeschirr in die Spüle stellte, wurde ihr klar, dass sie heute einkaufen gehen musste. An den meisten Tagen störte sie das nicht. Aber es gab den einen oder anderen Tag, an dem sie das Gefühl hatte, dass es ein Fehler war, in die Öffentlichkeit zu gehen, dass die Leute sie beobachteten, darauf warteten, dass sie etwas vermasselte und mit den Fingern auf sie zeigten.

Sie fürchtete auch, dass sie immer dann, wenn sie aus dem Haus ging, dem Briefschreiber eine Chance gab, ihr zu folgen. Irgendwann, so dachte sie, würde der Verfasser aufhören, mit ihr herumzuspielen und sie einfach umbringen. Vielleicht wäre heute dieser Tag.

Sie fuhr zum Lebensmittelladen und wusste bereits, dass dies einer dieser Tage sein würde ... einer dieser Tage, an denen sie vor allem Angst haben würde. Einer dieser Tage, an denen sie ständig über ihre Schulter schaute. Sie fuhr schnell, überfuhr sogar eine rote Ampel und wollte die Fahrt hinter sich bringen.

Seitdem Danielle die beunruhigenden Nachrichten unter ihrer Tür vorgefunden hatte, fand sie es angsteinflößend, zu lange an einem öffentlichen Ort zu sein. Es fiel ihr viel zu leicht, sich vorzustellen, dass die Person, die diese Briefe geschrieben hatte, ihr folgen würde. Sogar bei der Arbeit fragte sie sich, ob der Verfasser an der Bar saß, nachdem er gerade einen Drink von ihr bekommen hatte. Wenn sie ihr Essen vom Chinesen abholte, folgte er ihr dann und wartete darauf, sie überfallen zu können, wenn sie zu ihrem Auto zurückkehrte?

Selbst nachdem sie sicher am Ziel angekommen war, in den Lebensmittelladen eilte und praktisch mit einem Wagen mit einem quietschenden Rad den Gang hinunterraste, war die Sorge noch da. Der Briefschreiber könnte ebenfalls hier sein und ihre Schritte auf dem nächsten Gang spiegeln, um vielleicht einen Blick in der Obstabteilung oder bei den Frühstücksflocken auf sie zu werfen.

Es war eine sehr reale Angst, die ihr am Tag nach der überraschenden Wendung der Ereignisse mit Martin durch den Kopf ging. Die Paranoia sickerte in sie ein und veranlasste sie, ihren Kopf zu senken und ihre Schultern hochzuziehen. Wenn jemand ihr Gesicht sehen wollte, müsste er sehr entschlossen sein, bis zu dem Punkt, an dem er sie aufhalten und sich zu ihr hinunterbeugen müsse.

Sie hasste es, dass sie so war. Sie hatte immer diese Art von Problemen, weshalb die meisten ihrer Dating-Beziehungen selten länger als einen Monat dauerten. Sie wusste, dass sie sich während ihrer Jugend hier in Pinecrest den Ruf einer kleinen Schlampe erworben hatte, aber nicht, weil sie es genossen hatte, in der Gegend herumzuschlafen. Es war nur so, dass sie zu dem Zeitpunkt, wenn sie sich mit einem Kerl wohl genug fühlte, um mit ihm zu schlafen, anfing, das Schlimmste über ihn anzunehmen. Sie beendete die Beziehung, nahm sich etwas Zeit, um sich zu erholen, und fing dann von vorne an.

Es war etwas besser geworden, als sie vor ein paar Jahren nach Pinecrest zurückgekehrt war. Sie hatte Boston verlassen und sich gefühlt, als würde sie sich zurückziehen ... aber das war okay. Sie zog sich wenigstens an einen bekannten Ort zurück. Das Schwierigste, woran sie sich gewöhnen mussten, war die stagnierende Dating-Szene. Zuerst war es okay gewesen, obwohl sie es geschafft hatte, jede einzelne Beziehung, die sie begonnen hatte, zu ruinieren. Deshalb hatte sie der Kampf mit Martin so hart getroffen.

Natürlich hatte Pinecrest einen Nachteil. Viel zu viele Leute erinnerten sich an sie und Chloe. Sie erinnerten sich, dass die armen kleinen Fine-Mädchen bei ihren Großeltern gelebt hatten, nachdem ihre Mutter gestorben und ihr Vater ins Gefängnis gesteckt worden war.

»Danielle, bist du das?«

Erschrocken wandte sie sich der Stimme zu. Sie war so verloren in ihren Gedanken gewesen, dass sie vergessen hatte, ihr Gesicht zu verbergen, während sie nach einer Schachtel Froot Loops griff. Sie sah in ein Gesicht aus ihrer Vergangenheit – sah eine Frau, die schrecklich vertraut aussah, die sie aber nicht ganz zuordnen konnte.

»Erinnerst du dich nicht an mich?«, fragte die Frau, mit einer Mischung aus Amüsement und Beleidigung. Sie war wahrscheinlich 45, vielleicht 50. Und nein, Danielle konnte sich nicht an diese Frau erinnern.

»Ich schätze, du erinnerst dich nicht an mich«, sagte die Frau. »Ich denke, du warst erst dreizehn oder vierzehn, als ich dich das letzte Mal sah. Ich bin Tammy Wyler. Ich war eine Freundin deiner Mutter.«

»Oh ja, sicher«, sagte Danielle. Sie erinnerte sich überhaupt nicht an die Frau, aber der Name klang vertraut. Danielle nahm an, dass sie einer der Freunde der Familie war, die ihre Großeltern in den ein oder zwei Jahren nach dem Tod ihrer Mutter besucht hatten.

»Ich hätte dich fast nicht erkannt«, sagte Tammy. »Dein Haar ist ... dunkler.«

»Ja«, sagte Danielle emotionslos. Sie vermutete, dass sie gerade erst ihren vollen Rebellionsmodus begonnen hatte, als Tammy Wyler sie das letzte Mal gesehen hatte. Damals, im Alter von dreizehn oder vierzehn Jahren, hatte sie sich meist für neonrosa Haare mit schwarzen Streifen entschieden. Jetzt war es Rabenschwarz, ein Stil, von dem sie wusste, dass er alt und ausgedient war, aber immer noch perfekt zu ihr passte.

»Ich wusste die ganze Zeit, dass du wieder hier bist, aber ... ich hatte nie die Gelegenheit ... ich bin nur nie wirklich dazu gekommen, dich nach deinem Umzug aufzusuchen. Du warst eine Weile in Boston oder so, stimmt’s?«

»Richtig.«

»Oh, also ich habe gehört, dass Chloe auch wieder in der Stadt ist. Sie hat ein neues Haus in der Nähe von Lavender Hills gekauft, richtig?«

»Ja, sie ist zurück«, sagte Danielle und näherte sich schnell ihrer Toleranzgrenze für Smalltalk und Bullshit.

»Ich habe durch den Buschfunk erfahren, dass sie nur ein paar Häuser von einem der Mädchen entfernt wohnt, mit denen ihr zur High-School gegangen seid. Ich wohne ungefähr zwei Straßen weiter von ihr entfernt.«

Arme Chloe, dachte Danielle.

»Oh, und hat sie dir von dem Straßenfest erzählt?«, fragte Tammy, anscheinend nicht in der Lage, ihren Mund für mehr als drei Sekunden zu halten.

»Hat sie«, sagte Danielle. Sie hoffte, Tammy würde ihre kurzen Antworten als Hinweis darauf nehmen, dass sie wirklich nicht die Sorte Mensch war, der gern im Gang des Lebensmittelladens plauderte.

Es herrschte eine kurze Stille zwischen den beiden, in der Tammy dies anscheinend zu begreifen schien. Sie sah sich ungeschickt um und verabschiedete sich mit so viel Anmut wie möglich.

»Ich hoffe, du kommst zu dem Fest. Es war schön, dich wiederzusehen, Danielle.«

»Ja, ebenso«, sagte Danielle.

Sie vergeudete keine Zeit damit, ihre Schultern zu beugen und ihren Kopf nach unten zu neigen, während sie ihren Wagen weiter den Gang mit den Frühstücksflocken entlang schob. Ihr Bedürfnis, aus dem Laden und zurück in ihre Wohnung zu kommen, war stärker denn je − nicht nur wegen ihrer üblichen paranoiden Gefühle, sondern auch wegen der unangenehmen Begegnung mit Tammy Wyler.

Sie erledigte hastig den Rest ihres Einkaufs und kollidierte fast mit einer älteren Dame in der Milchabteilung. Sie ging durch die Selbstbedienungs-Kasse (warum sollte sie sich mit redseligen Kassierern auseinandersetzen, wenn sie es nicht musste) und eilte zu ihrem Auto. Als sie wieder an der frischen Luft war, fühlte sie sich etwas besser. Vielleicht saß der Mann, der die Briefe schickte, in einem der Autos auf dem Parkplatz. Vielleicht war er ihr im Lebensmittelladen gefolgt und hatte zugehört, wie sie ungeschickt mit Tammy sprach.

Sie legte ihre Taschen auf den Rücksitz und startete das Auto. Bevor sie den Parkplatz verlassen konnte, klingelte ihr Telefon. Sie sah Martins Namen auf dem Display und zögerte nicht zu antworten. Wenn er anrief, um zu streiten, war sie dabei. Wenn er anrufen würde, um sich zu entschuldigen, wäre sie auch dafür offen. Um ehrlich zu sein, sie mochte einfach die Idee, in diesem Moment mit jemandem zu telefonieren, den sie kannte.

Sie antwortete mit einem einfachen, »Hallo.«

»Hallo, Danielle«, sagte Martin. »Schau, ich schulde dir eine höllische Entschuldigung für letzte Nacht. Und nicht nur dafür, dass ich grob geworden bin. Ich hätte mich nicht so seltsam verhalten sollen, was mein Telefon angeht. Es ist nur so, dass die Dinge bei der Arbeit irgendwie den Bach runtergehen. Darum ging es bei den SMS. Ich wusste es von dem Moment an, als sie reinkamen. Ich wollte mich nur gestern Abend nicht damit auseinandersetzen. Macht das Sinn?«

»Das tut es. Aber was keinen Sinn ergibt, ist, warum du mir das letzte Nacht nicht einfach gesagt hast.«

»Weil ich dumm bin«, sagte er. »Ich wollte nicht, dass du weißt, dass mein Job auf dem Spiel stehen könnte. Und als du dann mit dem Handy herumgespielt hast, habe ich es einfach in den falschen Hals gekriegt. Danielle ... ich habe noch nie eine Frau verletzt. Bitte glaube mir das. Und ich habe dich gestern Abend so hart angefasst ... Gott, es tut mir so leid.«

Sie sagte nichts. Ihre Arme waren ein wenig gequetscht worden und sie hatte sich ein bisschen in Gefahr gefühlt. Dennoch konnte sie in seiner Stimme aufrichtiges Bedauern hören.

»Danielle?«

»Ich bin noch dran«, sagte sie. »Ich wünschte nur, du hättest mir das alles gesagt, bevor es dazu gekommen ist.«

»Ich weiß. Bitte ... kannst du mir verzeihen?«

Sie wusste, dass sie es tun würde. Sie versuchte einfach daran zu denken, was sie tun könnte, um die Dinge zu ihren Gunsten zu wenden. Sie lächelte über die Idee, die ihr gerade kam und konnte nicht an sich halten.

»Nun, wir werden diese jugendfreie Beziehung beenden. Du wirst mich heute Abend in meiner Wohnung treffen und wir werden rummachen. Ich werde noch nicht mit dir schlafen, aber ... nun, wir werden uns befummeln.«

»Ähm ...okay. Das kann ich«, sagte er, eindeutig verwirrt und doch dankbar.

»Das ist noch nicht alles. Meine Schwester ist gerade in die Stadt gezogen. Das habe ich dir doch gesagt, oder?«

»Ja.«

»Nun, es ist eine schicke, stockkonservative Gegend. Die Art, die Straßenfeste veranstaltet. Sie hat mich zu einem eingeladen. Ich will, dass du mit mir kommst.«

»Oh. Okay. Das kann ich machen.«

»Gut«, sagte sie. »Wir sehen uns dann heute Abend.«

Dann beendete sie den Anruf einfach so. Ihr gefiel der Gedanke, dass er keine Ahnung hatte, wie er auf sie reagieren sollte. Sie mochte es auch, dass sie jetzt im Grunde genommen die Kontrolle über ihn hatte − nicht auf irgendeine teuflische Weise, sondern nur, um sich etwas wohler in seiner Nähe zu fühlen.

Jetzt, da sie sich ein wenig besser fühlte, verzog sich die Paranoia in ihrem Hinterkopf und sie fuhr nach Hause. Und sie war froh festzustellen, dass sie sich auf heute Abend freute. Es war schon sehr lange her, dass sie das Bedürfnis gehabt hatte, von einem Mann angefasst zu werden.

Das und die schnell verblassende Paranoia ließen sie sich fragen, ob Martin vielleicht doch der richtige Mann für sie sein könnte. Er schien alle möglichen Dinge an ihr zu verändern. Natürlich wusste er sehr wenig über diese Dinge und sie würde es so lange wie möglich dabei belassen.





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Ein Meisterwerk der Spannung! Blake Pierce ist es auf hervorragende Weise gelungen, Charaktere mit einer psychologischen Seite zu entwickeln, die so gut beschrieben ist, dass wir uns in ihren Köpfen fühlen, ihren Ängsten folgen und ihren Erfolg bejubeln. Voller Wendungen wird Sie dieses Buch bis zur letzten Seite wach halten. Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (zu Verschwunden) NEBENAN (Ein Chloe Fine Psycho-Thriller) ist Band 1 einer neuen spannenden Buchreihe der Bestsellerautorin Blake Pierce, deren #1 Bestseller Once Gone (einem kostenloser Download) über 1. 200 Fünf-Sterne-Kritiken erhalten hat. Als ihre gestörte Zwillingsschwester ihre Hilfe braucht und eine Leiche in ihrer kleinen Vorstadtsiedlung gefunden wird, sieht sich Chloe Fine, eine 27-jährige Praktikantin des FBI Spurensicherungs-Teams gezwungen, sich ihrer eigenen dunklen Vergangenheit zu stellen. Chloe hat das Gefühl, dass ihr Leben endlich perfekt ist, als sie zurück in ihre Heimatstadt und mit ihrem Verlobten in ein neues Haus zieht. Ihre Karriere beim FBI sieht vielversprechend aus, und ihre Hochzeit steht vor der Tür. Aber sie merkt schnell, dass in der kleinen Vorstadt nicht alles so ist, wie es scheint. Chloe beginnt, die Kehrseite zu sehen – den Klatsch, die Geheimnisse, die Lügen – und sie wird von ihren eigenen Dämonen heimgesucht: dem mysteriösen Tod ihrer Mutter, als sie 10 Jahre alt war, und der Inhaftierung ihres Vaters. Und als eine Leiche gefunden wird, erkennt Chloe, dass ihre Vergangenheit und diese kleine Vorstadt den Schlüssel zur Lösung beider Fälle in sich bergen könnte. NEBENAN ist ein emotional geprägter Psycho-Thriller mit vielschichtigen Charakteren, kleinstädtischem Ambiente und atemberaubender Spannung. NEBENAN ist das erste Buch einer fesselnden neuen Serie, die Sie bis spät in die Nacht wach halten wird. Buch 2 der CHLOE FINE Reihe ist jetzt auch vorbestellbar.

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