Книга - Wenn Sie Rennen Würde

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Wenn Sie Rennen Würde
Blake Pierce


„Ein Meisterwerk von Thriller und Mystery. Auf großartige Art und Weise hat Blake Pierce seine Charaktere entwickelt, und dabei deren psychologischen Seiten so präzise beschrieben, dass wir uns in deren Gedankenwelt einfinden und ihren Ängsten und ihren ErfolgserlebnisseN folgen können. Dieses Buch ist so reich an unerwarteten Wendungen, dass es Sie bis tief in die Nacht wachhalten wird, bis zur letzten Seite.“

–Buch- und Film-Kritiken, Roberto Mattos (über Once Gone)

WENN SIE RENNEN WÜRDE (Ein Kate Wise Mystery) ist das dritte Buch in der neuen psychologischen Krimireihe von Bestseller Autor Blake Pierce, dessen Nummer 1 Bestseller Once Gone (Buch Nr. 1) – erhältlich als gratis Download – mehr als eintausend 5-Sterne-Kritiken erhalten hat.

Kate Wise, eine sechsundfünfzigjährige FBI-Agentin; wird aus ihrem Ruhestand gerissen, als ein zweiter Ehemann aus einem wohlhabenden Vorort New York Citys ermordet aufgefunden wird; erschossen auf dem Nachhauseweg. Kann dies ein Zufall sein?

Der eine Fall, den Kate niemals lösen konnte, hat sie ein Jahrzehnt lang verfolgt. Nun, zehn Jahre später, wird ein weiterer Ehemann aus dem gleichen Vorort ermordet aufgefunden – getötet auf die gleiche Art und Weise wie der erste.

Gibt es eine Verbindung, und wenn ja, welche?

Kann Kate ihren damalige Misserfolg wettmachen und den Fall lösen, bevor die Spuren kalt werden?

WENN SIE RENNEN WÜRDE ist das dritte Buch dieser actionreichen Thrillerreihe, der Ihr Herz schneller schlagen lässt und garantiert, dass Sie das Buch bis spät in die Nacht nicht aus der Hand legen.

Buch Nr. 4 in der KATE WISE MYSTERY Serie kann ab sofort vorbestellt werden.





Blake Pierce

Wenn Sie Rennen Würde



Copyright © 2018 Blake Pierce. Alle Rechte vorbehalten. Außer durch Genehmigung gemäß U.S. Copyright Act von 1976 darf kein Teil dieses Buches ohne ausdrückliche Genehmigung des Autors vervielfältigt, vertrieben oder in irgendeiner Form übermittelt oder in Datenbanken oder Abfragesystemen gespeichert werden. Dieses E-Book ist nur für ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Es darf nicht weiterverkauft oder an Dritte weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit anderen teilen möchten, erwerben Sie bitte für jeden Empfänger eine zusätzliche Kopie. Wenn Sie dieses Buch lesen, aber nicht gekauft haben, oder es nicht für Sie gekauft wurde, geben Sie es bitte zurück und erwerben Sie eine eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit des Autors respektieren. Dieses Buch ist Fiktion. Namen, Figuren, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind vom Autor frei erfunden oder werden fiktiv verwendet. Ähnlichkeiten mit echten Personen, lebendig oder verstorben, sind zufällig. Einband Image Copyright Tom Tom, unter der Lizenz von Shutterstock.com.



Blake Pierce

Blake Pierce ist der Autor der fünfzehnteiligen RILEY PAGE Mystery-Bestsellerserie (Fortsetzung in Arbeit). Blake Pierce hat außerdem folgende Bücher geschrieben:

Die MACKENZIE WHITE Mystery-Serie, bestehend aus neun Büchern (Fortsetzung in Arbeit), die AVERY BLACK Mystery-Serie, bestehend aus sechs Büchern (Fortsetzung in Arbeit) und die KERI LOCKE Mystery-Serie, aus bestehend aus fünf Büchern, DAS ENTSTEHEN DER RILEY PAGE Mysterie-Serie, das aus drei Büchern besteht (Fortsetzung in Arbeit), die KATE WISE Mystery-Serie, bestehend aus vier Büchern (Fortsetzung in Arbeit), die CHLOE FINE Psychothriller, bestehend aus drei Büchern (Fortsetzung in Arbeit) und die JESSE HUNT Psychothriller, die aus drei Büchern besteht (Fortsetzung in Arbeit).

Als leidenschaftlicher Leser und langjähriger Fan von Mystery- und Thriller-Romanen freut sich Blake Pierce, von Ihnen zu hören. Besuchen Sie www.blakepierceauthor.com (http://www.blakepierceauthor.com/) für weitere Infos und um auf dem Laufenden zu bleiben.


BÜCHER VON BLAKE PIERCE

JESSIE HUNT PSYCHOTHRILLER-SERIE

DIE PERFEKTE EHEFRAU (Buch Nr. 1)

DER PERFEKTE BLOCK (Buch Nr. 2)

DAS PERFEKTE HAUS (Buch Nr. 3)



CHLOE FINE PSYCHOTHRILLER-SERIE

NEBENAN (Buch Nr. 1)

DES NACHBARS LÜGE (Buch Nr. 2)

SACKGASSE (Buch Nr. 3)



KATE WISE MYSTERY-SERIE

WENN SIE WÜSSTE (Buch Nr. 1)

WENN SIE SÄHE (Buch Nr. 2)

WENN SIE RENNEN WÜRDE (Buch Nr. 3)

WENN SIE SICH VERSTECKEN WÜRDE (Buch Nr. 4)



DAS MAKING OF RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

BEOBACHTET (Buch 1)

WARTET (Buch 2)

LOCKT (Buch 3)



RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

VERSCHWUNDEN (Buch 1)

GEFESSELT (Buch 2)

ERSEHNT (Buch 3)

GEKÖDERT (Buch 4)

GEJAGT (Buch 5)

VERZEHRT (Buch 6)

VERLASSEN (Buch 7)

ERKALTET (Buch 8)

VERFOLGT (Buch 9)

VERLOREN (Buch 10)

BEGRABEN (Buch 11)

ÜBERFAHREN (Buch 12)

GEFANGEN (Buch 13)

RUHEND (Buch 14)



MACKENZIE WHITE MYSTERY-SERIE

BEVOR ER TÖTET (Buch 1)

BEVOR ER SIEHT (Buch 2)

BEVOR ER BEGEHRT (Buch 3)

BEVOR ER NIMMT (Buch 4)

BEVOR ER BRAUCHT (Buch 5)

EHE ER FÜHLT (Buch 6)

EHE ER SÜNDIGT (Buch 7)

BEVOR ER JAGT (Buch 8)

VORHER PLÜNDERT ER (Buch 9)

VORHER SEHNT ER SICH (Buch 10)



AVERY BLACK MYSTERY-SERIE

DAS MOTIV (Buch 1)

LAUF (Buch 2)

VERBORGEN (Buch 3)

GRÜNDE DER ANGST (Buch 4)

RETTE MICH (Buch 5)

ANGST (Buch 6)



KERI LOCKE MYSTERY-SERIE

EINE SPUR VON TOD (Buch 1)

EINE SPUR VON MORD (Buch 2)

EINE SPUR VON SCHWÄCHE (Buch 3)

EINE SPUR VON VERBRECHEN (Buch 4)

EINE SPUR VON HOFFNUNG (Buch 5)




Kapitel eins


Ihre Nerven standen in Flammen und sie meinte, sich jeden Augenblick übergeben zu müssen. Die Boxhandschuhe an ihren Händen fühlten sich fremd an und der Kopfschutz erstickte sie fast. Nichts davon war neu für Kate Wise – sie trainierte jetzt seit knapp zwei Monaten, aber bisher noch nie mit einem wirklichen Sparringpartner. Ihr war natürlich klar, dass es hier um erster Linie um Spaß ging und es ein Teil ihres Workouts war, aber trotzdem machte es sie nervös. Sie schlug auf den Körper eines anderen ein, und das war etwas, was sie noch nie auf die leichte Schulter genommen hatte.

Sie blickte auf ihren Sparringpartner, der auf der anderen Seite des Rings stand. Sie versuchte die jüngere Frau – die genau wie Kate Mitglied dieses Fitnessstudios war und am gleichen Boxing-Kurs teilnahm – nicht als Gegnerin wahrzunehmen. Die Frau hieß Margo Dunn, und sie nahm aus dem gleichen Grund wie Kate an diesem Kurs teil, nämlich, weil es der perfekte Fullbody-Workout war, ohne dass man dabei viel laufen oder Gewichte stemmen musste.

Margo grinste Kate an, als der Trainer ihr den Mundschutz einlegte. Kate nickte zurück, während auch ihrer eingelegt wurde. Als er richtig saß, spürte Kate, wie sich ein Schalter in ihr umlegte. Sie war jetzt im Box-Modus. Klar, sie war immer noch nervös und die Situation ließ sie sich etwas unwohl fühlen, aber jetzt war der Zeitpunkt gekommen, loszulegen. Einsatz zu zeigen. Nur sieben Leute schauten zu – Trainer und zwei andere Mitglieder des Studios, die einfach neugierig waren.

Am Rande des Rings läutete jemand eine kleine Glocke, die den Start des Kampfes signalisierte. Kate trat in die Mitte des Rings, wo Margo schon stand. Ihre Handschuhe berührten sich und beide traten zwei respektvolle Schritte zurück.

Und dann ging es los. Kate umkreiste ihre Gegnerin ein wenig, ihre Füße fanden den Rhythmus, den sie gelernt hatte; so, als würde sie tanzen. Sie trat vor und schlug zum ersten Mal zu. Margo wehrte den Schlag mit Leichtigkeit ab, aber es war gut fürs warm werden. Mit ihrer Linken schlug Kate nochmals zu. Wieder wehrte Margo den Schlag ab und landete dann ihrerseits einen Schlag mit ihrer Linken, die Kate an der Seite des Kopfes traf. Sie hatte nicht hart zugeschlagen – schließlich war dies ein Sparring-Match – und der Schlag wurde abfedert durch den schweren Kopfschutz. Trotzdem verlor Kate fast ihre Balance.

Du bist sechsundfünfzig, dachte sie. Was glaubst du eigentlich, was zum Teufel du hier machst?

Noch während sie über diese Frage nachdachte, landete Margo einen rechten Haken, dem Kate mit einer solchen Behändigkeit auswich, dass sie sogleich an Selbstbewusstsein gewann. Und wie sie mit Leichtigkeit den Schlag abwehrte, motivierte sie in höchstem Maße.

Du weißt ganz genau, warum du das hier tust, dachte sie. Nach neun Wochen hast du neun Kilo verloren und die beste Muskeldefinition, die du je gehabt hast. Du fühlst dich zwanzig Jahre jünger und jetzt mal ehrlich… hast du dich jemals zuvor so stark gefühlt?

Nein, das hatte sie nicht. Zwar hatte sie in Sachen Boxen noch verdammt viel zu lernen, aber die Grundlagen hatte sie schon verinnerlicht.

Mit dieser Einstellung fest im Kopf verankert, trat sie vor, täuschte einen linken Haken vor, um dann mit der Rechten zuzuschlagen. Als sie direkt Margos Kinn traf, legte sie mit der Linken nach … und dann nochmal. Beide Schläge trafen hundertprozentig und in Margos Augen trat ein überraschter Ausdruck, als sie rückwärts in die Seile taumelte. Trotzdem grinste sie. Genau wie Kate wusste Margo, dass dies mehr oder weniger nur Training war, und sie hatte gerade eine Lektion gelernt: Achte immer auf die vorgetäuschten Schläge deines Gegners.

Margo erwiderte mit zwei gezielten Schlägen auf Kates Körper, von denen einer Kates Rippen traf. Sie rang einen Moment nach Atem, währenddessen sie noch einen Schlag einsteckte. Sie sah noch, wie Margos harter rechter Haken von links kam, aber ihr blieb keine Zeit mehr zu reagieren. Sie versuchte auszuweichen, aber es war zu spät. Der Schlag traf sie mit voller Wucht seitlich am Kopf und ließ sie nach hinten taumeln.

Einen Moment lang war ihr schwindelig. Ihre Sicht verschleierte sich und ihre Knie fühlten sich schwach an. Sie dachte daran, ihre Knie einfach nachgeben zu lassen, nur um sich eine kurze Pause gönnen zu können.

Tja… also doch zu alt hierfür…

Doch dann dachte sie: Kennst du irgendeine andere Frau über fünfzig, die solch einen Schlag einsteckt und trotzdem noch steht?

Sie erwiderte mit zwei Schlägen und dann noch einen, den sie auf Margos Torso richtete. Nur einer der ersten beiden Schläge traf sein Ziel, aber der Schlag auf den Torso war genau richtig platziert. Margo stolperte rückwärts in die Seile. Sie stieß sich ab und versetzte Kate einen Kinnhaken, der nicht wirklich weh tun sollte, sondern Kate nur dazu veranlassen sollte, ihre Arme zur Abwehr nach oben zu reißen, damit Margo dann auf ihren ungeschützten Körper einschlagen konnte. Kate machte jedoch das Zögern in Margos Bewegungen aus und erkannte blitzschnell ihre Taktik. Statt den Kinnhaken abzuwehren, wich sie nach rechts aus, wartete das volle Momentum von Margos Schlag ab, und landete dann selbst einen harten Schlag mit ihrer Rechten, der Margo an der Seite ihres Kopfes traf.

Margo ging sofort zu Boden. Sie fiel vornüber auf den Bauch und rollte sich schnell ab. Sie zog sich in ihre Ecke zurück und nahm den Mundschutz heraus. Dann lächelte sie Kate ungläubig an.

„Tut mir leid“, sagte Kate und kniete sich vor Margo.

„Das muss es nicht“, entgegnete Margo. „Es ist kaum zu glauben, wie du es schaffst, so schnell zu sein. Ich muss mich bei dir entschuldigen. Wegen deines Alters hatte ich angenommen, dass du… langsamer bist.“

Kates Trainer – ein ergrauter Mittsechziger mit langem weißem Bart – kletterte schmunzelnd durch die Seile. „Der gleiche Fehler ist mir auch unterlaufen“, sagte er zu Margo. „Deshalb hatte ich ungefähr eine Woche lang ein blaues Auge. Habe genau den gleichen Schlag eingesteckt wie du eben.“

„Du brauchst wirklich nicht so entschuldigend zu klingen“, sagte Kate. „Dein Schlag, der mich am Kopf getroffen hat, hat mich fast k.o. geschlagen.“

„Er hätte dich k.o. schlagen sollen“, entgegnete der Trainer. „Er war schon ein Stück härter, als ich das eigentlich gutheiße in einem einfachen Sparring-Match.“ Dann blickte er Margo an. „Du kannst es dir aussuchen, ob du weitermachen willst oder nicht.“

Margo nickte und rappelte sich auf. Der Trainer legte ihr wieder den Mundschutz ein. Dann begaben sich beide Frauen wieder in ihre jeweiligen Ecken und warteten auf das Einläuten der nächsten Runde.

Allerdings war es nicht die Glocke, die Kate nun hörte, sondern das Klingeln ihres Handys. Und es war der Klingelton, der ausschließlich für Anrufe des FBIs reserviert war.

Sie spuckte den Mundschutz aus und erhob ihre behandschuhten Hände in Richtung ihres Trainers. „Tut mir leid“, sagte sie. „Den Anruf muss ich annehmen.“

Ihr Trainer wusste Bescheid über ihren Teilzeitjob als Agent beim FBI. Er hielt sie für eine beinharte Lady (dies waren seine Worte, nicht ihre), weil sie sich weigerte, sich komplett von solch einem Job zurückzuziehen. Deshalb löste er ihre Handschuhe so schnell wie möglich.

Kate stieg durch die Seile und eilte zu ihrer Sporttasche, die an der hinteren Wand stand. Sie behielt sie immer in Reichweite, für den Fall, wenn eben solch ein Anruf kam. Sie griff das Handy und verspürte sowohl Aufregung als auch Beklommenheit, als sie den Namen von Deputy Director Duran auf dem Display sah.

„Agent Wise hier“, sagte sie.

„Wise, hier ist Duran. Haben Sie einen Moment?“

„Ja“, sagte sie, wobei sie einen sehnsüchtigen Blick in Richtung des Boxrings warf, wo Margos Trainer gerade mit ihr daran arbeitete, vorgetäuschte Schläge rechtzeitig zu erkennen. „Was kann ich für Sie tun?“

„Ich hatte gehofft, dass Sie sich um einen Fall kümmern können, und zwar umgehend. Sie und DeMarco müssen noch heute abfliegen.“

„Ich kann noch nicht sagen, ob das klappt“, sagte sie, und das entsprach der Wahrheit. Dies kam sehr kurzfristig und während der letzten Wochen hatte sie mehrfach mit ihrer Tochter Melissa darüber gesprochen, dass sie sich nicht mehr für solche Last-Minute-Jobs zur Verfügung halten wollte. Während des letzten Monats hatte sie sehr viel Zeit mit Melissa und ihrer Enkelin Michelle verbracht, und sie hatten endlich so etwas wie eine Routine etabliert. Eine Routine, bei der die Familie an erster Stelle stand.

„Ich weiß es zu schätzen, dass Sie gleich an mich gedacht haben“, begann Kate. „Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich zusagen kann. Es ist extrem kurzfristig. Und dass wir irgendwohin fliegen müssen… lässt darauf schließen, dass es sich um einen Fall handelt, der ziemlich weit weg ist. Ich weiß nicht, ob ich mich auf einen langen Trip einlassen kann. Um welchen Ort handelt es sich denn eigentlich?“

„New York. Kate… ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Fall mit dem Nobilini-Fall zu tun hat.“

Bei dem Namen lief es Kate kalt den Rücken herunter. Sie vernahm ein Klingeln in den Ohren, und das hatte nichts mit dem Schlag zu tun, den ihr Margo kurz zuvor versetzt hatte. Flashbacks des Falls, der sich vor acht Jahren ereignet hatte, durchfluteten ihre Erinnerung – quälend, sie geradezu auslachend.

„Kate?“

„Ich bin noch dran“, sagte sie. Erneut blickte sie zum Boxring herüber. Margo machte Dehnübungen und joggte leichtfüßig auf der Stelle, bereit für die nächste Runde.

Es war schade, dass es keine nächste Runde geben würde. Denn sobald Kate den Namen Nobilini vernommen hatte, war ihr klar, dass sie den Fall einfach annehmen musste. Sie konnte keinesfalls ablehnen.

Vor acht Jahren hatte sie sich an dem Nobilini-Fall die Zähne ausgebissen – eine der wenigen echten Niederlagen ihrer Karriere.

Und dies war nun die Gelegenheit, den Fall doch noch zum Abschluss zu bringen – den einzigen Fall, dem sie nicht gewachsen gewesen war, zu lösen,

„Wann geht der Flug?“, fragte sie Duran.

„Dulles Airport zum JFK Airport. Abflug in vier Stunden.“

Schweren Herzens dachte sie an Melissa und Michelle. Melissa würde kein Verständnis dafür aufbringen können, aber Kate konnte sich diese Gelegenheit schlichtweg nicht entgehen lassen.

„Ich werde da sein“, sagte sie.




Kapitel zwei


In weniger als anderthalb Stunden schaffte Kate es, ihre Sachen zu packen und nach Richmond zu fahren. Als sie sich mit ihrem Partner Kristen DeMarco bei einem Starbucks am Dulles International Airport traf, blieben ihnen kaum mehr als zehn Minuten bis zum Abflug. Die meisten anderen Passagiere waren schon an Bord der Maschine.

DeMarco lächelte und schüttelte ihren Kopf, als sie im Stechschritt und mit ihrem Kaffee in der Hand auf Kate zuging. „Wenn du einfach nach Washington DC umziehen würdest, dann müsstest du dich nicht immer so furchtbar beeilen und dir solch einen Stress machen.“

„Das geht nicht“, entgegnete Kate, als sie aufeinandertrafen und gemeinsam zum Gate eilten. „Es reicht schon, dass dieser sogenannte Teilzeitjob mich so viel von meiner Familie fernhält. Wenn es auch noch eine Voraussetzung wäre, dass ich nach Washington DC umziehen muss, dann wäre ich nicht mehr dabei.“

„Und, wie geht es eigentlich Melissa und Michelle?“, wollte DeMarco wissen.

„Gut geht es ihnen. Ich habe mit Melissa auf den Weg hierher telefoniert. Sie sagte, dass sie mich versteht und hat mir Glück gewünscht. Und zum ersten Mal glaube ich, dass sie es sogar ernst gemeint hat.“

„Gut. Ich habe ja gesagt, dass sie sich erstmal an die Situation gewöhnen muss. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es supercool ist, so eine beinharte Mutter zu haben.“

„Naja, ich bin ja wohl alles andere als beinhart“, sagte Kate, als sie das Gate erreichten. Allerdings musste sie jetzt kurz daran denken, womit sie gerade beschäftigt gewesen war, als Durans Anruf sie erreichte, und meinte, das Kompliment eigentlich doch akzeptieren zu können; wenigstens ein bisschen.

„Das letzte, was ich von dir gehört habe“, sagte Kate zu DeMarco, „war, dass du an einem Dreifachmord in Maine gearbeitet hast.“

„Ja, habe ich. Vor einer Woche haben wir den Fall abgeschlossen. Insgesamt sechs Agenten waren daran beteiligt. Als Duran mich hinsichtlich dieses Falls anrief, sagte er, er wolle dich hinschicken und fragte, ob ich wieder gern mit dir ein Team bilden würde. Ich war natürlich sofort Feuer und Flamme. Ich habe ihm gesagt, dass ich auch in Zukunft bei jeder Gelegenheit mit dir im Team arbeiten will.“

„Danke“, sagte Kate und beließ es dabei. Eigentlich bedeutete ihr diese Aussage viel, aber sie wollte gegenüber DeMarco nicht rührselig erscheinen.

Gemeinsam bestiegen sie das Flugzeug und suchten sich ihre Plätze, die direkt nebeneinander lagen. Als sie es sich bequem gemacht hatten, griff DeMarco in ihr Handgepäck und zog eine dicke Akte heraus, aus der allerlei Dokumente und anderer Papierkram hervor quollen.

„Das ist alles, was es an Informationen in Sachen des Nobilini-Falls gibt“, sagte sie. „In Anbetracht dessen, dass du damals von Anfang an dabei warst, gehe ich davon aus, dass du davon alles bis ins Detail kennst?“

„Wahrscheinlich“, meinte Kate.

„Es ist ein ziemlich kurzer Flug“, meinte DeMarco. „Ich möchte die Details lieber aus erster Hand von dir hören, als die Notizen und Akten durchzugehen.“

Genauso dachte auch Kate. Das starke Bedürfnis, das sie verspürte, die Details mit DeMarco zu teilen, überraschte sie allerdings ein wenig. All die Jahre hatte dieser Fall an ihr genagt, er war wie eine juckende Stelle am Rücken gewesen, an die man nicht heran kam. Sie hatte jedoch mit der Zeit gelernt, den Fall und seine Details gedanklich auszusperren, um nicht ständig an die einzige bittere Niederlage ihrer Karriere erinnert zu werden.

Als das Flugzeug langsam auf das Rollfeld zusteuerte, begann sie, DeMarco all die Details darzulegen. Einmal wurde sie von der Ansage zur sicheren Anwendung der Rettungswesen und dergleichen unterbrochen, und während dieser kurzen Pause wurde ihr bewusst, dass ihr all diese vertrauten Einzelheiten des Nobilini-Falls jetzt doch wie ganz neue Informationen vorkamen.

Vielleicht lag es an den vielen Jahren, die der Fall nun zurücklag, oder an ihrer halbherzigen Pensionierung, oder vielleicht lag aus auch an der Kombination aus beidem; jedenfalls erschien er ihr wie ein neuer und aktiver Falls.

Sie erzählte DeMarco, dass sich der Fall in einem noblen Vorort von New York City zugetragen hatte. Es hatte nur einen Toten gegeben, aber irgendein Mitglied im Kongress, das eine enge Verbindung zu dem Opfer gehabt hatte, hatte starken Druck auf das FBI ausgeübt. Es hatte weder Fingerabdrücke noch andere Hinweise jeglicher Art gegeben. Das Opfer, ein Mann namens Frank Nobilini, war im Midtown District von New York City tot gefunden worden. Es hatte den Anschein, als sei er auf dem Weg zur Arbeit gewesen und den einen Block von der Tiefgarage, wo er seinen Wagen abgestellt hatte, bis zu seinem Büro zu Fuß gegangen. Der eine Schuss in den Hinterkopf, mit dem er niedergestreckt worden war, erinnerte stark an eine Hinrichtung.

„Wie kann es denn wie eine Hinrichtung aussehen, wenn er offensichtlich gegen seinen Willen in eine finstere Seitengasse geschleift wurde?“, fragte DeMarco.

„Das ist eine der offenen Fragen. Es wurde angenommen, dass Nobilini zusammengeschlagen wurde, bevor man ihn in diese Seitengasse schleifte und ihm in den Hinterkopf schoss. Blut und Gehirnmasse waren über die ganze Wand des Gebäudes, neben dem sich die Leiche Nobilinis befand, verteilt. Die Schlüssel zu seinem BMW hatte er noch in der Hand.“

DeMarco nickte nur und ließ Kate fortfahren.

„Das Opfer lebte in einem recht noblen Vorort namens Ashton“, sagte Kate. „Es ist einer dieser Orte, dessen Vielzahl an Antiquitätenläden, überteuerten Restaurants und exklusiven Immobilien viele Besucher anlockt.“

„Und das ist genau das, was ich nicht verstehe“, meinte DeMarco. „Das ist doch einer der Orte, an dem garantiert viel getratscht wird, oder nicht? Man sollte doch annehmen, dass irgendjemand etwas wusste, oder dass ein Gerücht im Umlauf war hinsichtlich dessen, wer der Killer ist. Aber dazu steht hier absolut nichts“, sagte sie, und klopfte ungeduldig mit dem Finger auf die umfangreiche Akte.

„Das hat mich auch immer gewurmt“, räumte Kate ein. „Ashton ist ein schickes Pflaster. Aber abgesehen davon, ist es auch eine sehr eng verbandelte Gemeinde. Jeder kennt jeden dort. Generell gehen alle höflich miteinander um. Nachbarn, die sich untereinander helfen. Gut besuchte Veranstaltungen der Schule, um Geld für dies oder jenes zu sammeln. Eben alles, was so dazugehört. Der Ort hat eine blütenreine Weste.“

„Gab es keine Motive für den Mord?“, fragte DeMarco.

„Von einem Motiv habe ich nie etwas gehört. Ashton hat kaum mehr als dreitausend Einwohner. Und es mag zwar viele Besucher aus New York City und den umliegenden Gemeinden anziehen, hat aber dennoch eine extrem niedrige Kriminalitätsrate. Deshalb war der Nobilini-Mord damals vor acht Jahren so eine große Sache für den Ort Ashton, obwohl die Tat selbst ja gar nicht dort verübt wurde.“

„Und es gab nie andere Morde, die dem Nobilini-Mord ähnelten?“

„Nein. Jedenfalls nicht bis heute. Ich bin der Meinung, dass die starke FBI-Präsenz den Killer damals vergrault hat. In solch einer kleinen Stadt ist es fast unmöglich, das FBI nicht zu bemerken.“ Hier hielt Kate inne und griff nach der dicken Akte, die vor DeMarco auf dem Klapptisch lag. „Was genau hat dir Duran denn eigentlich zu dem Nobilini-Fall erzählt?“

„Eigentlich kaum etwas. Er sagte nur, dass wir es sehr eilig hätten und bat deshalb, dass ich mich anhand der Akte mit dem Fall vertraut mache.“

„Hast du mitbekommen, welche Art Waffe im Nobilini-Mord benutzt wurde?“, fragte Kate.

„Ja, und zwar eine Ruger Hunter Mark IV, was ich merkwürdig finde. Das wirkt unprofessionell. Das ist eine verdammt teure Waffe für den Mord an einem scheinbar zufälligen Opfer; einem Mord ohne jedes erkennbare Motiv.“

„Da bin ich ganz deiner Meinung. Die Kugel und die Hülse gaben damals schnell Aufschluss auf die verwendete Tatwaffe. Aber allein die Tatsache, dass der Mord mit einer so schönen und sehr teuren Waffe verübt wurde, ist an sich schon aussagekräftig. Es besagt, dass jemand, der keine Ahnung vom Töten hat, diesen Mord verübt hat.“

„Was verleitet dich zu der Annahme?“

„Jeder, der etwas von Töten versteht, wüsste, dass eine Ruger Hunter Mark IV eine Patronenhülse hinterlässt. Damit ist diese Waffe eine wirklich schlechte Wahl.“

„Und ich gehe davon aus, dass unser jetziges Opfer mit eben solch einer Waffe getötet wurde?“, fragte DeMarco.

„Duran sagt, der Mord wurde mit genau derselben Waffe verübt.“

„Das heißt also, dass der Nobilini-Killer sich acht Jahre Zeit gelassen hat, um erneut zuzuschlagen. Höchst merkwürdig.“

„Das bleibt abzuwarten“, entgegnete Kate. „Alles, was mir Duran mitgeteilt hat, war, dass das Opfer sozusagen in Pose zurückgelassen wurde. Und dass es sich bei der Waffe, die das Opfer tötete, um die gleiche Waffe handelt wie im Nobilini-Fall.“

„Ja, und er sagte auch, dass der Mord in Midtown New York verübt wurde. Ich frage mich, ob das jetzige Opfer irgendetwas mit dem Ort Ashton verbindet.“

Kate zuckte nur mit den Schultern. Kurz darauf wurde das Flugzeug auf Grund von Turbulenzen leicht durchgeschüttelt, und beide schwiegen.

Es hatte Kate gut getan, die Details des Nobilini-Falls noch einmal Revue passieren zu lassen. Damit hatte sie die Spinnenweben beseitigt, die den Fall umgaben, und ihn wieder zum Leben erweckt. Und es kam ihr in den Sinn, dass die acht Jahre, die seit dem Fall vergangen waren, es ihr nun vielleicht erlaubten, die Geschehnisse aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten.


* * *

Es war schon eine ganze Weile her, seitdem Kate zum letzten Mal in New York gewesen war. Mit ihrem verstorbenen Mann Michael hatte Kate kurz vor seinem Tod ein Wochenende hier verbracht. Sie staunte jedesmal aufs Neue darüber, wie unglaublich lebendig, voll und bunt New York war. Die Straßen waren so dermaßen verstopft, dass New York den Verkehrskollaps, der ständig in Washington DC drohte, absolut lächerlich erscheinen ließ. Dass es fast 21 Uhr an einem Freitagabend war, machte die Sache kaum besser.

Sie erreichten den Tatort um 20:42 Uhr. Kate parkte den Mietwagen so dicht wie möglich am Polizeiabsperrband. Der Tatort befand sich in einer finsteren Seitengasse der 43. Straße, nur einige Blocks von Central Station – wo zu jeder Tages- und Nachtzeit viel los war – entfernt. Am Zugang zu der Gasse standen zwei mit den Kühlern einander zugewandt parkende Polizeiwagen. So versperrten sie weder die Sicht auf das gelbe Band, das den Tatort umgab, noch versperrten sie die Seitengasse selbst, aber machten dennoch jedem Neugierigen, der versuchte, einen Blick zu erheischen, klar, dass dies Ärger nach sich ziehen würde.

Als Kate und DeMarco das Band erreichten, versuchte ein Beamter, ihnen den Zugang zu versperren, doch als Kate ihm ihre FBI-Marke zeigte, zuckte er nur mit den Schultern und hob das Band für sie an, so dass sie darunter hindurch schlüpfen konnten. Kate fiel auf, dass der Beamte zumindest nicht offensichtlich DeMarco eines näheren Blickes würdigte und fragte sich unbewusst, ob DeMarco, die offen lesbisch lebte, an männlichem Interesse Anstoß genommen oder es als Kompliment verstanden hätte.

„FBI“, kommentierte der Beamte nur, „ich habe schon gehört, dass sie euch gerufen haben. Scheint mir etwas übertrieben. Wie es aussieht, handelt es sich hier um einen ziemlich simplen Fall.“

„Wir überprüfen nur etwas“, meinte Kate, als sie und DeMarco in die finstere Gasse traten.

Die Polizeiwagen am Zugang der Seitengasse waren in einem Winkel geparkt, so dass ihre Scheinwerfer die ansonsten dunkle Gasse beleuchteten. Die langen Schatten von Kate und DeMarco ließen die Szene geradezu unheimlich erscheinen.

Am Ende der Gasse, wo sie auf eine Steinmauer traf, befanden sich zwei Polizeibeamte und ein Beamter in Zivil, die alle in einem Halbkreis standen. Etwas lehnte in ihrer Mitte an der Mauer. Das Opfer, nahm Kate an. Sie gingen zu den dreien hinüber, zeigten erneut ihre FBI-Marken, und stellten sich den drei Beamten vor.

„Freut mich, Sie kennenzulernen“, sagte einer der Beamten. „Um ehrlich zu sein, frage ich mich allerdings, warum es dem FBI so wichtig ist, hier jemanden herzuschicken.“

„Herrgott nochmal“, meinte der Beamte in Zivil. Er schien in seinen Vierzigern zu sein und wirkte leicht ungepflegt. Lange, dunkle Haare, Dreitagebart und eine Brille, die Kate an jedes Bild erinnerte, das sie jemals von Buddy Holly gesehen hatte.

„Das haben wir doch nun schon mehrfach durchgekaut“, sagte er. Er blickte Kate an, rollte die Augen und fuhr fort: „Wenn es um einen Tatort geht, der älter als eine Woche ist, will das NYPD nichts mehr davon wissen. Es übersteigt deren Vorstellungskraft, dass jemand einen ungeklärten Mord von vor acht Jahren ausbuddeln will. Ich war übrigens derjenige, der das FBI verständigt hat. Ich weiß, dass sich das FBI damals in den Nobilini-Fall eingeschaltet hat. Da ging es doch auch um irgendeine Freundschaft mit einem Kongressmitglied, richtig?“

„Richtig“, sagte Kate. „Und ich war als der leitende Agent mit dem Fall betraut.“

„Oh. Schön Sie kennenzulernen. Ich bin Detective Luke Pritchard. Ich bin ein wenig besessen von ungeklärten Fällen. Was hier meine Aufmerksamkeit erregt hat, war die Waffe, die scheinbar benutzt wurde, und die Tatsache, dass der Mord nach einer Hinrichtung aussieht. Wenn Sie genau hinschauen, sehen Sie Schrammen an der Stirn des Opfers. Der Killer hat ihn offensichtlich gezwungen, sich mit der Stirn an die Steinmauer zu lehnen, und zwar genau hier.“ Er legte seine Hand an die Mauer, auf die großflächig inzwischen getrocknetes Blut gespritzt war.

„Darf ich?“, fragte Kate.

Die zwei Polizeibeamten zuckten mit den Schultern und traten einen Schritt zurück. „Tun Sie sich keinen Zwang an“, sagte einer von ihnen. „Wo jetzt ein Detective und zwei FBI-Agents involviert sind, überlassen wir den Fall gerne Ihnen.“

„Viel Spaß dabei“, fügte der andere Beamte hinzu, als sich beide schon abwandten und die Seitengasse verließen.

Kate und DeMarco gingen vor dem Opfer in die Hocke. Pritchard trat einen Schritt zurück, um ihnen etwas mehr Raum zu geben, blieb aber dicht bei ihnen.

„Also“, begann DeMarco, „ich würde sagen, es ist ziemlich klar, woran er gestorben ist.“

Dies war richtig. Im Hinterkopf des Opfers befand sich ein einzelnes Einschussloch. Es war recht sauber, wenn auch an den Rändern leicht verkohlt und blutig – genau wie damals bei Frank Nobilini. Dieses Opfer hier war ein Mann, den Kate auf Ende Dreißig oder Anfang Vierzig schätzte. Er trug teure Fitnesskleidung – eine dünne Kapuzenjacke mit Reißverschluss und teuer wirkende Fitnesshosen. Die Schnürbänder seiner High-Class-Laufschuhe waren sorgfältig gebunden und die Apple-Kopfhörer lagen wie absichtlich platziert neben seinem Kopf.

„Ist er schon identifiziert worden?“, fragte Kate.

„Ja“, sagte Pritchard. „Er heißt Jack Tucker. Nach den Ausweispapieren in seinem Portemonnaie wohnt er in einer Stadt namens Ashton. Das war für mich eine noch stärkere Verbindung zu dem Nobilini-Fall.“

„Kennen Sie Ashton, Detective?“, fragte Kate.

„Nicht besonders gut. Ich bin ein paar Mal durchgefahren, aber der Ort sagt mir nicht sonderlich zu. Zu perfekt, zu ruhig; stößt mir sauer auf.“

Kate wusste, was der Detective damit meinte. Sie fragte sich, wie er es wohl finden würde, wieder nach Ashton zurückkehren zu müssen.

„Wann wurde die Leiche entdeckt?“, fragte DeMarco.

„Heute morgen um 4:30 Uhr. Um kurz nach 5 Uhr bin ich hier am Tatort eingetroffen und habe gleich die Verbindungen zum Nobilini-Fall erkannt. Ich musste das NYPD geradezu anflehen, die Leiche nicht zu bewegen, bis Sie eintreffen, denn ich meine, Sie müssen den Tatort und die Leiche selbst in Augenschein nehmen.“

„Na, das hat Sie bei denen sicher sehr beliebt gemacht“, kommentierte Kate.

„Ach was, daran bin ich nun wirklich gewöhnt. Ich meine das ernst, wenn ich sage, dass mich viele der Polizisten hier „Cold Case Pritchard“ nennen.“

Kate wusste, dass unaufgeklärte Fälle polizeiintern oftmals als „Cold Cases“ bezeichnet wurden und fand den Spitznamen für Pritchard daher passend.

„Sie haben das ganz richtig entschieden“, stimmte Kate ihm zu. „Selbst wenn sich herausstellt, dass die Fälle nichts miteinander zu tun haben… dennoch läuft ja jemand frei herum, der diesen Mann erschossen hat. Jemand, den wir so schnell wie möglich ausfindig machen müssen, denn wir müssen in Betracht ziehen, dass dies kein Einzelfall war.“

„Tja, dazu kann ich nichts sagen“, sagte Pritchard. „Ich habe das, was mir zu dem Fall durch den Kopf ging, als Sprachnotiz aufgenommen. Sie können es sich gern anhören.“

„Das könnte sehr hilfreich sein. Ich gehe davon aus, dass die Forensiker Fotos gemacht haben?“

„Ja, die digitalen Fotos stehen sicherlich schon zur Verfügung.“

Während sie Jack Tuckers Leichnam nicht aus den Augen ließ, erhob sich Kate langsam.

Jack Tuckers Kopf war nach rechts gedreht, so als starre er sehnsüchtig auf die Kopfhörer, die so sorgsam neben ihn gelegt worden waren.

„Ist seine Familie schon informiert worden?“, fragte DeMarco.

„Nein. Und ich befürchte, dass das NYPD diese Aufgabe nun mir überlässt, da ich sie doch davon abgehalten haben, den Leichnam abzutransportieren, bis Sie beide eingetroffen waren.“

„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dann würde ich gerne diese Aufgabe übernehmen. Je weniger Leute mit den Details vertraut sind, desto besser.“

„Natürlich, wenn Sie dies für das Beste halten“, gab Pritchard zurück.

Schließlich wandte Kate ihren Blick von dem Leichnam ab und blickte in Richtung des Zugangs der Seitengasse, wo die beiden Beamten mit dem Polizisten, der für Kate und DeMarco das Absperrband angehoben hatte, zusammen standen. Kate hatte schon mehr Todesnachrichten überbringen müssen als sie noch zählen konnte, und es wurde niemals einfacher. Tatsächlich schien es sogar von Mal zu Mal schwieriger zu werden. Allerdings hatte sie auch gelernt, dass es gerade in den Momenten tiefster Trauer war, dass die Betroffenen sich an die kleinsten Details erinnerten.

Kate hoffte, dass dies auch diesmal zutraf.

Und wenn dem so war, dann half ihr vielleicht eine nichtsahnende Witwe, einen Fall abzuschließen, der sie fast ein Jahrzehnt lang verfolgt hatte.




Kapitel drei


Die Fahrt von Midtown nach Ashton dauerte nur zwanzig Minuten. Es war 21:20 Uhr, als sie den Tatort verließen, und der Verkehr New York Citys war nach wie vor unnachgiebig und zäh. Als sie den dichtesten Teil des Verkehrs hinter sich gelassen hatten und endlich auf dem Freeway waren, wurde Kate bewusst, dass DeMarco ungewöhnlich still war. Sie saß auf dem Beifahrersitz und starrte geradezu rebellisch auf die an ihr vorbeiziehende Skyline von New York.

„Alles klar bei dir?“, fragte Kate.

DeMarco antwortete sofort, ohne sich jedoch Kate zuzuwenden. Damit war Kate klar, dass DeMarco etwas beschäftigt hatte, schon seitdem sie den Tatort verlassen hatten.

„Ich weiß, dass du diesen Job schon eine Weile machst und dich wirklich auskennst“, begann sie. „Aber ich habe erst ein einziges Mal eine Todesnachricht überbringen müssen, und ich habe es gehasst. Ich habe mich ganz furchtbar gefühlt. Und ich hätte mir wirklich gewünscht, dass du das mit mir besprochen hättest, bevor du uns freiwillig für den Job gemeldet hast.“

„Das tut mir leid, das habe ich gar nicht bedacht. Allerdings ist es in einigen Fällen einfach Teil des Jobs. Auch wenn das jetzt herzlos klingt, es ist am besten, sich gleich zu Anfang daran zu gewöhnen. Außerdem leiten wir jetzt die Ermittlungen; was bringt es also, diese miese Aufgabe dem armen Detective aufzudrücken?“

„Trotzdem… wie wäre es in Zukunft mit einer kleinen Vorwarnung, was das anbelangt?“

In DeMarcos Tonfall schwang Wut mit, etwas, was Kate von DeMarco noch nicht gehört hatte, zumindest nicht an sie gerichtet. „Klar“, antwortete sie nur und beließ es dabei.

Den Rest der Fahrt nach Ashton schwiegen beide. Da Kate schon so oft Todesnachrichten überbracht hatte, wusste sie, dass Spannungen innerhalb des Teams die Aufgabe erschwerte. Allerdings war ihr auch klar, dass DeMarco keine Ratschläge annehmen würde, solange sie wütend war. Diese Lektion, meinte Kate, würde sie vielleicht einfach lernen müssen, indem sie sich in die Aufgabe stürzte.

Um 21:42 Uhr erreichten sie das Haus der Tuckers. Es erstaunte Kate nicht, dass das Licht auf der Veranda brannte, ebenso wie quasi jedes andere Licht innerhalb des Hauses. Seiner Kleidung nach zu urteilen, war Jack Tucker auf seiner morgendlichen Joggingrunde unterwegs gewesen. Die Frage, warum sein Leichnam in New York gefunden worden war, warf deshalb viele Frage auf. Die Antwort auf all diese Fragen konnte eventuell seine besorgte Ehefrau geben.

Eine besorgte Ehefrau, die kurz davor ist herauszufinden, dass sie jetzt Witwe ist, dachte Kate. Mein Gott, ich hoffe, sie haben keine Kinder.

Kate parkte den Wagen vor dem Haus und stieg aus. Dann stieg auch DeMarco aus, langsam, so als wolle sie Kate damit unmissverständlich klar machen, dass es ihr ganz und gar nicht passte, hier dabei sein zu müssen. Sie gingen den mit Steinplatten ausgelegten Weg zur Haustür entlang und Kate sah, wie sich die Vordertür öffnete, noch bevor sie die Stufen der Veranda erreicht hatten.

Die Frau, die in der Tür stand, erblickte sie und erstarrte. Es hatte den Anschein, dass es ihr nicht leicht fiel, Worte zu finden. Am Ende konnte sie nichts weiter sagen als „Wer sind Sie?“

Ganz langsam griff Kate in ihre Jackentasche und zog ihre FBI-Marke hervor. Bevor sie sie der Frau richtig zeigen konnte, hatte diese schon begriffen, was los war. Man konnte es in ihren Augen sehen. Ihr Gesichtsausdruck fiel langsam in sich zusammen. Und als Kate und DeMarco endlich die Treppenstufen erreicht hatten, ging die Frau auf die Knie und begann zu schreien.


* * *

Wie sich herausstellte, hatten die Tuckers in der Tat Kinder. Und zwar drei, im Alter von sieben, zehn und dreizehn Jahren. Sie alle waren noch wach und hielten sich im Wohnzimmer auf, während sich Kate alle Mühe gab, die Ehefrau – Missy, wie sie sich unter krampfhaften Schluchzern vorgestellt hatte – nach drinnen und aufs Sofa zu befördern. Die Dreizehnjährige war sogleich an der Seite ihrer Mutter, während DeMarco versuchte, die anderen beiden auf Abstand zu halten, während deren Mutter versuchte, die schlimme Nachricht, die sie soeben erhalten hatte, zu verinnerlichen.

Mit leicht schlechtem Gewissen meinte jetzt auch Kate, dass sie DeMarco gegenüber vielleicht doch etwas unbedacht vorgegangen war. Diese ersten zwanzig Minuten im Hause der Tuckers waren herzzerreißend. Ihr selbst fiel nur ein einziger anderer Moment während ihrer gesamten Karriere ein, der ebenso schlimm gewesen war. Sie beobachtete, wie DeMarco sich um die beiden Kinder kümmerte und vermutete, dass sie ihr dies noch sehr lange nachtragen würde.

Irgendwann inmitten des Chaos wurde Missy Tucker klar, dass sie jemanden finden musste, der bei den Kindern sein konnte, wenn sie irgendeine Hilfe für Kate und DeMarco sein wollte. Immer wieder unterbrochen von langem Schluchzen rief sie ihren Schwager an, dem sie nun ihrerseits die Nachricht vom Tod seines Bruders überbringen musste. Der Bruder von Jack Tucker lebte auch in Ashton, und seine Frau und er fuhren sofort los, um sich um die Kinder zu kümmern.

In erster Linie, um Missy und den Kinder etwas Privatsphäre zu ermöglichen und mit ihrer Trauer klarzukommen, holte Kate Missys Einverständnis ein, sich im Haus umzugucken und so vielleicht auf etwas zu stoßen, was darauf hinwies, was dazu geführt haben konnte, dass Jack Tucker ermordet worden war. Sie begannen im Eheschlafzimmer, wo sie die Nachttische der Eheleute Tucker durchsuchten und private Gegenstände untersuchten, begleitet vom Schluchzen der Familie, das von unten zu ihnen herauf drang.

„Das hier ist wirklich das Allerletzte“, meinte DeMarco.

„Das ist es. Und es tut mir leid, DeMarco. Wirklich. Ich dachte nur, dass es so für alle Beteiligten leichter wird.“

„Ach, wirklich?“, schoss DeMarco zurück. „Ich weiß, dass ich dich nicht allzu gut kenne. Was ich allerdings weiß ist, dass du dazu neigst, alles daran zu setzen, um dir selbst soviel Druck wie irgend möglich zu machen. Deshalb verstehe ich nur allzu gut, dass es dir Schwierigkeiten bereitet, die relativ einfach Balance zwischen deiner Familie und der Arbeit für das FBI zu finden.“

„Wie bitte?“, hakte Kate nach und spürte, wie die Wut in ihr hochkochte.

„Tut mir ja leid, aber genau so ist es doch“, entgegnete DeMarco und zuckte die Schultern. „Die hiesige Polizei hätte dies doch erledigen können und du könntest schon längst woanders nach Spuren in diesem Fall suchen.“

„Ohne Zeugen ist die Ehefrau die beste Option“, entgegnete Kate. „Außerdem muss sie gerade den Tod ihres Mannes verdauen. Es ist für alle Beteiligten eine beschissene Situation. Aber du musst darüber hinwegkommen, dass dir die Situation an die Nieren geht. Und frage dich doch mal, wer es denn im Großen und Ganzen am schwersten hat; du oder die trauernde Witwe, die da unten sitzt?“

Kate war sich nicht bewusst gewesen, wie laut sie bei ihren letzten Worten geworden war. DeMarco starrte sie einen Moment lang an, bevor sie dann einfach den Kopf schüttelte, wie ein zurechtgewiesener Teenager, dem nichts mehr zu sagen einfiel, und den Raum verließ.

Als auch Kate mit der Überprüfung des Schlafzimmers fertig war, sah sie, dass DeMarco den Flur entlang ein Büro und eine kleine Bibliothek untersuchte. Kate entschied, DeMarco einen Augenblick in Frieden zu lassen und ging selbst nach draußen, um sich dort nach irgendwelchen Hinweisen umzusehen. Sie erwartete eigentlich nicht, auf etwas zu stoßen, als sie so um das Haus herumging, aber ihr war bewusst, dass es grob fahrlässig gewesen wäre, nicht alles zu untersuchen.

Als sie wieder das Haus betrat, sah sie, dass Jack Tuckers Bruder und dessen Frau inzwischen eingetroffen waren. Der Bruder und Missy hielten sich in einer festen, verzweifelten Umarmung, während seine Ehefrau bei den Kindern kniete und sie umarmte. Kate bemerkte den leeren Gesichtsausdruck der Dreizehnjährigen – einem Mädchen, das ihrem Vater sehr ähnelte, und Kate konnte nicht umhin, DeMarco ihre Wut nicht länger übelzunehmen.

„Agent Wise?“

Gerade als sie wieder nach oben gehen wollte, kam ihr Missy den Flur entlang entgegen geeilt. Kate wandte sich um. „Ja?“

„Wenn wir uns unterhalten sollen, dann bitte jetzt. Ich weiß nicht, wie viel länger ich mich noch zusammenreißen kann.“ Ihr kamen schon jetzt Klagelaute und Stöhnen über die Lippen. In Anbetracht dessen, dass sie die Nachricht des Todes ihres Mannes vor kaum einer Stunde erhalten hatte, musste Kate sie für ihre Stärke wirklich bewundern.

Mit einem schnellen Blick zum Wohnzimmer hinter sich, in dem sich ihre Kinder und Verwandten aufhielten, ging sie rasch die Treppe hinauf. DeMarco, die sich gerade das Medizinschränkchen im Badezimmer oben vorgenommen hatte, gesellte sich zu ihnen und zu dritt gingen sie in das Eheschlafzimmer, das Kate und DeMarco schon untersucht hatten.

Missy setzte sich auf die Bettkante; sie wirkte wie eine Frau, die gerade aus einem Albtraum erwacht war, nur um sich bewusst zu werden, dass er niemals enden würde.

„Sie haben mich gefragt, warum Jack in New York City gewesen ist“, begann sie. „Jack arbeitete in einer leitenden Funktion in der Buchhaltung einer ziemlich großen Firma – bei Adler and Johnson. In letzter Zeit haben sie Tag und Nacht an den Finanzen einer Firma in South Carolina, die mit der Stilllegung von Atomkraftwerken zu tun hat, gearbeitet. Wenn es richtig spät wurde, hat er in New York übernachtet.“

„Haben Sie ihn heute Abend zurück erwartet, oder haben Sie angenommen, er übernachte in New York im Hotel?“, fragte DeMarco.

„Ich habe heute Morgen gegen 7 Uhr mit ihm gesprochen, bevor er zu seiner morgendlichen Joggingrunde aufgebrochen ist. Er sagte, dass er nicht nur plane, heute Abend nach Hause zu kommen, sondern sogar ziemlich früh – circa gegen 16 Uhr.“

„Ich nehme an, Sie haben zu einer bestimmten Uhrzeit anfangen, ihn anzurufen, als Sie feststellten, dass er sich verspätete?“

„Ja, aber erst so gegen 19 Uhr. Wenn es bei seiner Firma richtig zur Sache geht, zerrinnt ihnen Zeit oftmals zwischen den Fingern.“

„Mrs. Tucker, das FBI wurde eingeschaltet, weil die Umstände des Mordes an Ihrem Mann sich decken mit denen eines Falls von vor acht Jahren. Das damalige Opfer war ein Mann, der auch hier in Ashton lebte, und ebenfalls in New York getötet wurde“, erklärte Kate. „Es gibt keine handfesten Beweise, die diese Verbindung untermauern, aber die Umstände ähneln sich dennoch ausreichend, dass das FBI den Fall an sich gezogen hat. Deshalb ist es sehr wichtig, dass Sie darüber nachdenken, ob Ihr Mann sich Feinde gemacht hat.“

Es war Missy anzusehen, dass sie wieder mit den Tränen kämpfte. Sie unterdrückte das Bedürfnis, ihrer Trauer freien Lauf zu lassen und bekam sich wieder in den Griff.

„Nein, mir fällt niemand ein. Das sage ich nicht nur, weil ich meinen Mann liebe, sondern weil er ein sehr gutherziger Mensch war. Abgesehen von einigen kleinen Meinungsverschiedenheiten bei der Arbeit kann ich mich an keinen wirklichen Streit in seinem Leben erinnern.“

„Wie sieht es mit engen Freunden aus?“, fragte Kate. „Gibt es Freunde, insbesondere männliche, mit denen er Zeit verbrachte und die vielleicht eine andere Seite Ihres Mannes kennengelernt haben könnten?“

„Nun ja, er hatte diese Gruppe von Freunden – draußen im Yachtclub, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die irgendetwas Negatives über ihn zu berichten haben.“

„Haben Sie die Namen von denjenigen, mit denen Ihr Mann dort seine Zeit verbrachte, damit wir uns mit ihnen unterhalten könnten?“, fragte DeMarco.

„Ja, es gab diesen harten Kern der Gruppe… mein Mann und noch drei weitere. Sie haben sich am Yachtclub getroffen, oder gingen zusammen in eine Zigarren-Bar, wo sie Sport geguckt haben. Vor allem Football.“

„Wissen Sie, ob einer der anderen Feinde hatte?“, wollte DeMarco wissen. „Selbst eifersüchtige Ex-Frauen oder Familienmitglieder, mit denen es nicht so glatt lief?“

„Ich weiß nicht. Ich kenne die nicht allzu gut und…“

Das unkontrollierte Schluchzen, das von unten zu ihnen drang, unterbrach Missy. Sie blickte zur Schlafzimmertür mit einem Gesichtsausdruck, der Kate im Herzen weh tat.

„Das war Dylan, unser mittleres Kind. Er und Jack waren…“

Mit zitternder Lippe hielt sie inne und versuchte, sich zusammenzureißen.

„Es ist okay, Mrs. Tucker“, sagte DeMarco. „Gehen Sie nach unten zu Ihren Kindern. Wenn Sie noch so nett wären, uns die Namen von Jacks Freunden aus dem Yachtclub zu geben, haben wir erstmal genügend Informationen.“

Schnell erhob sich Missy und rannte weinend zur Tür. DeMarco ging hinter ihr und bedachte Kate mit einem wütenden Blick. Kate selbst blieb einen Moment länger inmitten des Schlafzimmers stehen und versuchte, ihre Emotionen in den Griff zu bekommen. Nein, dieser Teil des Jobs war wahrlich niemals leicht gewesen. Und die Tatsache, dass sie eigentlich kaum brauchbare Informationen von Missy bekommen hatten, machte es nur noch schlimmer.

Schließlich betrat sie den Flur. Ihr war klar, warum DeMarco sauer auf sie war. Herrgott nochmal, sie war sogar etwas sauer auf sich selbst.

Kate ging nach unten und verließ das Haus. Sie sah, dass sich DeMarco die Tränen wegwischte, als sie gerade in den Wagen einstieg. Kate schloss leise die Haustür und spürte, wie die Trauer sie tiefer und tiefer in einen alten Fall hineinschob, den sie schon verloren geglaubt hatte.




Kapitel vier


Um 9 Uhr morgens hatte die Nachricht von Jack Tuckers Mord in Ashton schon die Runde gemacht. Das war der Grund, warum es für Kate und DeMarco so einfach war, Jacks Freunde zu kontaktieren. Die Namen hatte Missy am vorigen Abend DeMarco gegeben. Nicht nur hatten sie die Nachricht vom Tod ihres Freundes schon gehört, sondern hatten sich sogar schon Gedanken gemacht, wie sie Missy und den Kindern zur Seite stehen konnten in dieser schweren Zeit der Trauer.

Es bedurfte nur einiger kurzer Telefonate, bis Kate und DeMarco ein Treffen mit drei von Jacks Freunden am Yachtclub arrangiert hatten. Da es Samstag war, war der Parkplatz schon um 9 Uhr morgens ziemlich voll. Der Club lag direkt am Long Island Sound und hatte wohl den bestmöglichen Ausblick, ohne dass angeberische Yachtbesitzer mit ihren Yachten die Sicht versperrten.

Der Club selbst war in einem zweistöckigen Gebäude angesiedelt, das im Kolonialstil gehalten war, jedoch mit einer modernisierten Fassade und schöner Gartenlandschaft. Kate wurde von einem Mann begrüßt, der sie schon am Eingang empfing. Er trug ein einfaches Hemd und Khakihosen – was wahrscheinlich als legere Kleidung zu werten war für jemanden, der hier Mitglied war.

„Sind Sie Agent Wise?“, fragte er.

„Ja. Und dies ist mein Partner, Agent DeMarco.“

DeMarco nickt nur. Ihr Ärger des vorherigen Abends war noch nicht verflogen. Als sie sich gestern Abend im Hotel getrennt hatten, hatte DeMarco nicht ein einziges Wort gesagt. Heute Morgen hatte sie sich gerade einmal ein kurzes Guten Morgen beim Frühstück herausgepresst, aber mehr hatte sie heute noch nicht gesagt.

„Ich bin James Cortez. Wir haben vorhin telefoniert. Die anderen sind hinten auf der Terrasse und warten auf Sie“, sagte der Mann und fügte hinzu, „mit Kaffee.“

Er führte sie durch den Club, der mit seinen hohen Decken und der warmen Einrichtung eine charmante Atmosphäre verströmte. Kate fragte sich, was es wohl kosten mochte, hier Mitglied zu sein. Der Preis lag definitiv außerhalb ihrer Preisklasse. Dies wurde umso klarer, als sie die Terrasse betraten, die den Blick auf den Long Island Sound freigab. Es war wunderschön. Man blickte direkt aufs Wasser, mit der Skyline New York Citys auf der anderen Seite.

An einem hohen Holztisch, auf dem Platten mit Gebäck und Bagels sowie eine Kanne Kaffee standen, saßen zwei weitere Männer. Beide blickten auf, als die Agents sich näherten, und erhoben sich, um sie zu begrüßen. Einer von ihnen war jung, sicherlich nicht älter als Dreißig, während James Cortez und der andere Mann locker Mitte Vierzig waren.

„Duncan Ertz“, stellte sich der junge Mann vor und streckte ihnen seine Hand entgegen.

Kate und DeMarco gaben den beiden die Hand und stellten sich ihrerseits vor.

Der ältere Mann hieß Paul Wickers, war gerade in den Ruhestand gegangen. Er war als Stockbroker tätig gewesen und schien gern darüber zu reden, da dies so ungefähr das erste war, was er sagte, nachdem er sich vorgestellt hatte.

Kate und DeMarco setzten sich und Kate nahm sich eine Tasse Kaffee sowie Zucker und Sahne.

„Es tut einem richtig weh, an die arme Missy und die Kinder zu denken“, begann Duncan und biss herzhaft in ein Stück Plunderkuchen.

Kate übermannte die Erinnerung an den vorherigen Abend und dachte, sie müsse unbedingt sehen, wie es um die arme Missy stand. Sie blickte über den Tisch hinweg DeMarco an und fragte sich, ob sie nicht auch überprüfen sollte, wie es um DeMarco stand.

Kate überlegte, ob DeMarco sich die gestrige Situation vielleicht auf Grund eines Ereignisses in ihrer eigenen Vergangenheit so sehr zu Herzen genommen hatte. Etwas, das sie noch nicht verarbeitet hatte.

„Also“, begann Kate, „Missy hat Sie als diejenigen genannt, die Jack – abgesehen von seiner Familie – am nächsten standen. Ich versuche, mir ein Bild zu machen, was für eine Art Mensch er außerhalb seiner Arbeit und seines Zuhauses war.“

„Das ist ja genau das“, antwortete James Cortez. „Jack war immer derselbe, unabhängig davon, wo er war. Er war gerade heraus. Einer, der immer anderen helfen wollte. Wenn er überhaupt einen Fehler hatte, dann würde ich sagen war es, dass er zu tief in seiner Arbeit steckte.“

„Er erzählte immer Witze“, sagte Duncan. „Viele davon waren zwar nicht sonderlich lustig, aber er liebte es trotzdem, sie zu erzählen.“

„Das stimmt auf jeden Fall“, fügte Paul hinzu.

„Und er hatte keine Geheimnisse, die er mit Ihnen geteilt hat?“, fragte DeMarco. „Vielleicht eine Affäre, oder auch nur Gedanken an eine Affäre?“

„Oh Gott, nein“, rief Paul aus. „Jack Tucker hat seine Frau unglaublich geliebt. Ich kann mit Sicherheit behaupten, dass der Mann alles an seinem Leben geliebt hat. Seine Frau, seine Arbeit, seine Kinder…“

„Deshalb ergibt das alles keinen Sinn“, meinte James. „Ich meine das jetzt auf die respektvollste Art und Weise, aber aus der Sicht eines Außenstehenden war Jack absoluter Durchschnitt in allen Bereichen. Fast langweilig.“

„Haben Sie eine Ahnung, ob es zwischen ihm und dem Mordopfer von vor acht Jahren irgendeine Verbindung gab?“, fragte Kate. „Einem Mann namens Frank Nobilini, der auch in Ashton lebte, und der auch in New York ermordet wurde.“

„Frank Nobilini?“, wiederholte Duncan Ertz, schüttelte dabei aber den Kopf.

„Ach ja, der…“, meinte James. „Der arbeitete doch für diese High-Profile-Marketingagentur, die all die großen Jobs machte. Seine Frau hieß Jennifer. Deine Frau kennt sie bestimmt“, sagte er an Paul gewandt. „Nette Frau. Sehr engagiert in der Gemeinde und in der Förderung zur Einbringung von Eltern in den Schulalltag. Solche Sachen eben.“

Ertz zuckte die Schultern. Anscheinend war er noch neu in dieser Gruppe und kannte sich damit nicht aus.

„Und Sie glauben, der Mord an Jack könnte etwas zu tun haben mit dem an Nobilini?“, hakte Paul nach.

„Die Ermittlungen stehen noch ganz am Anfang. Es ist noch viel zu früh, um zu spekulieren“, antwortete Kate. „Aber angesichts der Umstände müssen wir diese Möglichkeit durchaus in Betracht ziehen.“

„Kennen Sie die Namen derer, mit denen Jack zusammen gearbeitet hat?“, fragte DeMarco.

„Er hat nur zwei Vorgesetzte“, sagte Paul. „Einer von ihnen heißt Luca. Er lebt in der Schweiz und kommt drei- bis viermal im Jahr her. Der andere lebt hier, ein Kerl namens Daiju Hiroto. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er der Leiter von Adler and Johnson am Standort New York City ist.“

„Nachdem, was Jack erzählt hat, scheint Daiju so einer zu sein, der praktisch in seinem Büro lebt“, meinte Duncan.

„Kam es oft vor, dass Jack am Wochenende gearbeitet hat?“, fragte Kate.

„Immer mal wieder, ja“, antwortete James. „Und in der letzten Zeit häufiger. Sie sind inmitten eines Jobs, in dem sie eine Firma unterstützen, die mit dem Rückbau von Kernkraftwerken zu tun hat. Als ich das letzte Mal mit Jack gesprochen habe, sagte er, wenn sie es richtig anpackten, dann könnte damit ein riesiges Vermögen gemacht werden.“

„Ich verwette eine Stange Geld, dass heute sein ganzes Team arbeitet“, meinte Paul. „Vielleicht können die Ihnen etwas erzählen, wovon wir nichts wissen.“

DeMarco schob James Cortez ihre Visitenkarte zu und nahm sich dann ein Stück Gebäck, das mit Kirschen garniert war. „Bitte rufen Sie uns an, wenn Ihnen in den nächsten Tagen noch etwas einfällt.“

„Und bitte behalten Sie die Sache mit dem Fall vor acht Jahren für sich“, fügte Kate hinzu. „Das letzte, was wir brauchen, ist, dass die Leute in Ashton Panik bekommen.“

Paul nickte, da ihm klar war, dass sie in erster Linie ihn angesprochen hatte.

„Vielen Dank, meine Herren“, sagte Kate, nahm noch einen letzten Schluck Kaffee und überließ die Männer ihrem Frühstück. Gedankenverloren blickte sie über die Long Island Sound hinweg, auf dem ein Segelboot langsam durchs Wasser glitt, so, als ziehe es den Beginn des Wochenendes hinter sich her.

„Ich besorge die Adresse von Jack Tuckers Büro“, sagte DeMarco und hatte schon ihr Handy in der Hand. Aber selbst bei diesen Worten klang sie distanziert und kalt.

Sie und ich werden dies hier regeln müssen, bevor es ein Eigenleben annimmt, dachte Kate. Klar, sie ist beinhart, aber ich werde sie daran erinnern müssen, dass ihr solch ein Verhalten nicht zusteht. Und ich werde nicht zögern, ihr genau das unmissverständlich klar zu machen.


* * *

Die Büroräume von Adler and Johnson lagen in einem der glamouröseren Hochhäuser Manhattans. Sie nahmen die gesamte erste und zweite Etage eines Gebäudes ein, in dem ansonsten eine Anwaltskanzlei, ein Immobilienmakler und ein kleiner Verlag ansässig waren. Wie sich herausstellte, sollte Paul Wickers Recht behalten. Die meisten, die zu Jack Tuckers Team gehörten, waren an diesem Samstag tatsächlich bei der Arbeit. Im Büro lag der Duft starken Kaffees, und obwohl über den Räumlichkeiten eine Atmosphäre von Geschäftigkeit lag, arbeiteten die acht Leute dort konzentriert und still.

Sie wurden sogleich von Daiju Hiroto begrüßt, der sie in sein geräumiges Büro führte. Er wirkte wie ein Mann zwischen den Fronten – einerseits hatte er ein Projekt, das er zum Abschluss bringen musste, andererseits war er von tiefer Trauer über den Tod seines Mitarbeiters und Freundes erfüllt.

„Ich habe es heute Morgen gehört“, begann er, während er hinter seinem großen Schreibtisch Platz nahm. „Ich bin seit heute Morgen um sechs bei der Arbeit und eine unserer Mitarbeiterinnen – Katie Mayer – hat diese schlimme Nachricht überbracht. Zu dem Zeitpunkt waren fünfzehn Mitarbeiter hier, und ich habe es allen freigestellt, sich das Wochenende frei zu nehmen. Sechs von ihnen haben das Angebot angenommen, um Jack Respekt zu zollen.“

„Wären Sie nicht selbst der Vorgesetzte dieses Teams, wären Sie dann selbst gegangen?“, fragte Kate.

„Nein. Es mag egoistisch klingen, aber der Job muss zu Ende gebracht werden. Wir haben nur noch zwei Wochen bis zum Ende der Frist, und wir sind leicht in Verzug. Und die Arbeitsplätze von mehr als fünfzig Mitarbeitern sind in Gefahr, wenn wir das Projekt nicht fristgerecht zu einem erfolgreichen Abschluss bringen.“

„Wer in Ihrem Team kannte Jack Ihrer Meinung nach am besten?“, fragte DeMarco.

„Wahrscheinlich ich selbst. Jack und ich haben über die letzten zehn Jahre hinweg mehrfach eng an sehr großen Projekten zusammen gearbeitet. Sie sind zusammen durch die Welt gereist, haben die Nächte durchgearbeitet und verhandelt; wir haben an Meetings teilgenommen, von denen der Rest des Teams nicht einmal etwas wusste.“

„Aber Sie haben erwähnt, dass jemand anderes zuerst von seinem Tod erfahren hat“, fragte DeMarco nach.

„Ja, Katie. Sie wohnt auch in Ashton und ist recht eng mit Jacks Ehefrau befreundet.“

Kate wollte schon etwas zu der Tatsache sagen, dass es beleidigend war, dass Hiroto selbst nicht nach Hause gegangen war und damit auch den anderen im Team, die zurückgeblieben waren, die Chance genommen hatte, zu trauern. Doch sie war sich auch bewusst, dass Männer manchmal von ihrer Arbeit getrieben waren, und sie meinte, dass es ihr nicht zustand, eine Wertung abzugeben.

„Während all der Zeit, die Sie Jack kannten, hat er da jemals Geheimnisse gehabt, von denen Sie wussten? Zum Beispiel seiner Frau gegenüber?“, fragte DeMarco.

„Nicht, dass ich wüsste. Und falls er doch welche hatte, dann war er nicht jemand, der sie mit mir hätte teilen wollen. Aber unter uns gesagt, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er Geheimnisse hatte oder ein Doppelleben führte. Er war ein Guter. Bei ihm wusste man, woran man ist.“

„Sie können sich also nicht vorstellen, warum ihn jemand umbringen wollte?“, bohrte Kate weiter.

„Nein. Das Ganze ist komplett absurd.“ Hier hielt Daiju inne und blickte durch die Glaswand, hinter der das Großraumbüro lag, in dem seine Mitarbeiter arbeiteten, auf sein Team. „Und es ist hier in New York City passiert?“, fragte er.

„So ist es. Haben Sie versucht, ihn zu erreichen, als Sie bemerkten, dass er nicht zur Arbeit erschien?“

„Oh ja, das habe ich. Mehrfach. Als ich ihn bis mittags noch immer nicht erreicht hatte, habe ich es sein lassen. Jack war immer sehr scharfsinnig, sehr smart. Wenn er mal für einige Stunden eine Auszeit brauchte – und das kam von Zeit zu Zeit vor – dann habe ich ihn sie nehmen lassen.“

„Mr. Hiroto, wir würden gern kurz mit einigen der anderen Mitarbeiter sprechen. Ist das in Ordnung?“, fragte Kate und nickte in Richtung der Glaswand.

„Ja, natürlich, bitte. Tun Sie sich keinen Zwang an.“

„Und könnten Sie uns bitte die Kontaktdaten derjenigen besorgen, die heute nach Hause gegangen sind“, bat DeMarco.

„Natürlich.“

Das Großraumbüro, das Kate und DeMarco jetzt betraten, war durch schulterhohe Trennwände in einzelne Arbeitsplätze unterteilt, in denen großen Schreibtische mit Monitoren standen. Es roch nach starkem Kaffee.

Noch bevor sie auch nur mit einem der anderen Mitarbeiter gesprochen hatten, war Kate klar, dass sie das Gleiche wie zuvor zu hören bekommen würden. Wenn mehrere Personen jemanden als normal und eher schlicht bezeichneten, dann entsprach dies gewöhnlich den Tatsachen.

Innerhalb von fünfzehn Minuten hatten sie mit allen der acht anderen Mitarbeiter gesprochen, die sich noch im Büro befanden. Kate hatte Recht gehabt; alle beschrieben Jack als gutherzig, lieb und smart; er war keiner gewesen, der sich mit anderen anlegte. Und zum zweiten Mal an diesem Morgen bezeichnete jemand Jack Tucker als langweilig – im besten Sinne natürlich.

Irgendwo in Kates Hinterkopf rührte sich etwas, eine Erinnerung an einen Spruch, den sie irgendwann einmal gehört hatte. Dass man die gelangweilte Ehefrau oder den gelangweilten Ehemann besser im Auge behalten sollte – weil die Langweile sie vielleicht irgendwann durchdrehen ließ. Aber sie konnte sich einfach nicht genau an den Spruch erinnern.

Nachdem sie noch einmal in Hirotos Büro vorbeischauten, um sich die Liste mit den Namen der abwesenden Mitarbeiter geben zu lassen, verließen Kate und DeMarco das Gebäude und traten hinaus in einen wunderbaren New Yorker Samstagmorgen. Kate musste an die arme Missy denken, die an diesem Morgen mit der Last des Schicksals zu kämpfen hatte und für die das Leben wohl erst einmal nicht mehr wunderbar sein würde.


* * *

Den restlichen Vormittag verbrachten sie mit den Mitarbeitern, die das Büro morgens verlassen hatten. Es waren tränenreiche Begegnungen und einige waren richtiggehend wütend, dass ein so gutherziger Mensch wie Jack Tucker ermordet worden war. Die Begegnungen waren genau wie die mit den Mitarbeitern im Büro, wenngleich in weniger verhaltener Atmosphäre.

Kurz nach Mittag sprachen sie mit dem letzten Mitarbeiter – einem Mann namens Jerry Craft. Sie erreichten sein Haus, als er gerade in seinen Wagen stieg. Kate parkte hinter ihm und verhinderte so, dass er wegfuhr. Sie erntete dafür einen gereizten Blick. Als sie ausstiegen und auf ihn zugingen, bemerkten sie seine geröteten Augen und seinen melancholischen Ausdruck.

„Entschuldigen Sie bitte die Störung“, begann Kate und zeigte ihm ihre FBI-Marke. DeMarco trat neben sie und hielt ihm auch ihre Marke hin. „Wir sind Agents Wise und DeMarco. Wir möchten gern kurz mit Ihnen über Jack Tucker sprechen.“

Der gereizte Ausdruck in Jerrys Gesicht verflüchtigte sich. Er nickte und lehnte sich gegen seinen Wagen.

„Ich wüsste nicht, was ich Ihnen erzählen könnte, was Sie nicht schon von anderen gehört haben. Ich nehme an, dass Sie schon mit Mr. Hiroto und den anderen im Büro gesprochen haben?“

„Das haben wir“, entgegnete Kate. „Aber wir wollen auch vor allem mit denen sprechen, die das Büro heute Morgen verlassen haben – was darauf hinweist, dass sie eine engere Verbindung zu Jack hatten.“

„Da bin ich nicht sicher, ob das so stimmt“, sagte Jerry. „Es waren nur einige von uns, die sich auch außerhalb der Arbeit mal gesehen haben, und Jack war normalerweise keiner von ihnen. Einige haben heute Morgen wahrscheinlich Mr. Hirotos Angebot angenommen, einfach um den Tag freizubekommen.“

„Haben Sie eine Ahnung, warum Jack normalerweise nicht mit den anderen außerhalb der Arbeit zusammentraf?“, fragte DeMarco.

„Ich glaube, es gibt keinen eigentlichen Grund. In seiner Freizeit war er gern zuhause bei seiner Frau und den Kindern. Er hatte unglaublich lange Arbeitszeiten. Er sah keinen Sinn darin, mit den gleichen Leuten, die er den ganzen Tag bei der Arbeit sah, danach noch in einer Bar abzuhängen. Wissen Sie, er hat seine Familie wirklich über alles geliebt. Für Geburtstage und Jahrestage hat er sich immer extravagante Dinge für sie einfallen lassen. Hat bei der Arbeit von seinen Kinder erzählt, und wie stolz er auf sie ist.“

„Sie meinen also auch, dass er ein perfektes Leben führte?“, fragte Kate.

„So scheint es jedenfalls. Allerdings, kann man überhaupt ein perfektes Leben führen? Ich meine, sogar Jack hatte hin und wieder Stress mit seiner Mutter, aber haben wir das nicht alle?“

„Worum ging es da?“

„Nichts Großartiges. Einmal habe ich ihn bei der Arbeit mit seiner Frau telefonieren hören. Er stand im Treppenhaus, um etwas Privatsphäre zu haben, aber ich saß gerade an einem der Arbeitsplätze, dessen Fenster aufs Treppenhaus hinaus geht, deshalb habe ich ihn gehört. Ich erinnere mich deshalb so gut daran, weil dies das einzige Mal war, dass er nicht in glücklichem Tonfall mit seiner Frau gesprochen hat.“

„Und in dem Telefonat ging es um seine Mutter?“, hakte Kate nach.

„Da bin ich mir ziemlich sicher, ja. Ich habe ihn damit etwas aufgezogen, als er wieder hereinkam, aber er war nicht in der Stimmung für Witze.“

„Wissen Sie irgendetwas über seine Eltern?“

„Nein. Wie ich schon sagte, er war ein klasse Typ, aber er war nicht direkt ein Freund.“

„Wohin wollten Sie gerade, als wir eintrafen?“, fragte DeMarco.

„Ich wollte gerade einen Strauß Blumen für seine Familie kaufen und ihn vorbeibringen. Ich habe seine Frau und seine Kinder mehrfach bei Weihnachtsfeiern und Firmenveranstaltungen getroffen. Eine tolle kleine Familie. Es ist eine verdammte Schande, dass das passiert ist. Da kann einem wirklich schlecht werden.“

„Gut, Mr. Craft, dann werden wir Sie nicht länger aufhalten“, sagte Kate. „Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.“

Als sie im Wagen saßen und Kate den Rückwärtsgang einlegte, sagte sie zu DeMarco: „Kannst du bitte die Informationen zu Jacks Mutter einholen?“

„Schon dabei“, antwortete DeMarco; in ihrer Stimme schwang noch immer Kälte mit.

Kate selbst musste sich zusammenreißen, um ruhig zu bleiben. Wenn DeMarco ihre Wut vom vergangenen Abend noch zeigen wollte, dann war das ihre Sache. Kate jedenfalls war entschlossen, dies auf keinen Fall den Fortschritt der Ermittlungen beeinträchtigen zu lassen.

Gleichzeitig musste sie ein ironisches Grinsen unterdrücken. Sie hatte soviel Zeit damit verbracht, mit sich zu kämpfen; zu entscheiden, ob ihre neue Position beim FBI sie zuviel Zeit mit ihrer Familie kostete. Und hier saß sie nun, im Wagen mit einer Frau, die sie so sehr an ihre eigene Tochter Melissa erinnerte, dass es schon fast beängstigend war. Während DeMarco am Telefon auf der Suche nach Informationen über Jacks Mutter von einer Abteilung des FBI in die nächste durchgestellte wurde, wanderten Kates Gedanken zu Melissa und Michelle. Sie dachte daran, wie Melissa reagiert hatte, als sich Kate damals so stark in den Nobilini-Fall involviert hatte. Das lag nun acht Jahre zurück; damals war Melissa einundzwanzig gewesen, noch ziemlich auf Anti gebürstet und fand eigentlich alles, was Kate tat, voll daneben. Eine Zeitlang hatte Melissa ihre Haare pink gefärbt. Eigentlich hatte das richtig gut ausgesehen, aber Kate hatte es nie fertig gebracht, ihr das zu sagen. Es war für beide eine anstrengende Zeit gewesen, selbst als ihr Mann Michael noch am Leben war und ihr bei Melissas Erziehung zur Seite stand.

„Das ist ja interessant“, sagte DeMarco plötzlich und riss Kate damit aus ihren Gedanken.

Sie legte das Handy in den Schoß und hatte plötzlich einen Funken Aufregung in den Augen.

„Was ist interessant?“, fragte Kate.

„Jacks Mutter heißt Olivia Tucker, sechsundsechzig Jahre alt, wohnhaft in Queens, New York. Blütenreine Weste, abgesehen von einer klitzekleinen Sache.“

„Was für eine klitzekleine Sache?“

„Vor zwei Jahren hat ihr jemand die Polizei auf den Hals gehetzt. Der Anruf kam von Missy Tucker, in der Nacht, als Olivia Tucker versuchte, sich gewaltsam Zutritt zu Missys und Jacks Haus zu verschaffen.

Die beiden tauschten einen Blick aus, und Kate spürte, wie die Spannung zwischen ihnen abebbte. Gute Spuren neigten nun einmal dazu, selbst distanzierte Partner zusammen zu bringen.

Mit dem Gefühl, etwas Brauchbares in Händen zu haben, wendete Kate den Wagen und gab Gas in Richtung Queens.




Kapitel fünf


Olivia Tucker lebte in einem Apartmentblock, wie es sie zu Hauf gab in Jackson Heights in Queens. Als Kate und DeMarco dort ankamen, hatte sie gerade Besuch von einem Pastor aus der Gegend. Er war es, der die Tür öffnete. Er war ein schwarzer, hochgewachsener Mann, der ernsthaft und sehr traurig aussah. Es betrachtete die Agents skeptisch und seufzte leise.

„Kann ich Ihnen helfen?“

„Wir müssen mit Mrs. Tucker sprechen“, sagte DeMarco. „Darf ich fragen, wer Sie sind?“

„Ich bin Leland Toombs, der Pastor ihrer Kirche. Und darf ich fragen, wer Sie sind?“

Wie üblich stellten sie sich vor und zeigten ihre FBI-Marken. Toombs trat einen Schritt zurück und blickte sie missbilligend an.

„Sie verstehen, dass sie sehr aufgebracht ist, ja?“

„Natürlich“, sagte Kate. „Wir versuchen, den Killer ihres Sohnes ausfindig zu machen und hoffen, dass sie vielleicht ein wenig Licht in die Sache bringen kann.“

„Wer ist da?“, fragte eine zittrige Stimme aus dem hinteren Teil des Apartments. Dann erschien eine Frau und kam auf die Eingangstür zu.

„Es ist das FBI“, sagte Leland zu ihr. „Aber Olivia… ich schlage vor, dass du dir einen Moment Zeit nimmst, um zu überlegen, ob du einem Gespräch gewachsen bist.“

Olivia Tucker kam zu Tür. Sie sah arg mitgenommen aus. Ihre Augen waren blutunterlaufen und es schien, als habe sie sogar Schwierigkeiten zu gehen. Sie blickte zu Kate und DeMarco und legte dann eine beruhigende Hand auf Toombs‘ Schulter.

„Ich denke, es ist nötig, mit ihnen zu sprechen“, sagte sie. „Pastor Toombs, bitte geben Sie uns einen Augenblick.“

„Ich denke, ich sollte vielleicht besser dabei sein.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich weiß das zu schätzen, aber das muss ich alleine tun.“

Toombs runzelte die Stirn und sah dann die Agents an. „Seien Sie taktvoll, bitte. Sie nimmt es sehr schwer.“ Dann blickte er Olivia noch ein letztes Mal an und verließ das Apartment. „Rufen Sie mich an, wenn Sie irgendetwas brauche, Olivia“, sagte er über die Schulter zurück ihr zu.

Olivia blickte ihm nach und sagte dann, „kommen Sie doch bitte ins Wohnzimmer.“

Ihre Stimme war sanft und rau zugleich und sie war unsicher auf den Beinen, so als wüssten ihre Beine nicht, was von ihnen verlangt wurde.

„Wussten Sie, dass die Polizei mich anrief und mir mitteilte, was passiert war, erst volle sechs Stunden, nachdem sein Leichnam entdeckt worden war?“

„Warum hat das so lange gedauert?“, wunderte sich Kate.

„Ich nehme an, dass sie dachten, dass Missy mich informieren würde. Natürlich haben sie es ihr zuerst mitgeteilt. Aber erst später, als Missy sich weigerte, mich zu informieren, rief die Polizei schließlich an.“

„Sind Sie sicher, dass sich Missy geweigert hat?“, fragte DeMarco. „Wäre es unter den Umständen nicht möglich, dass sie es vergessen hat?“

Daraufhin zuckte Olivia nur mit den Schultern, aber in einer Geste, die nicht Ich weiß es nicht ausdrückte, sondern eher Es ist mir wirklich egal.

„Wollen Sie damit sagen, dass Sie der Meinung sind, dass Missy Sie absichtlich nicht informieren wollte?“, hakte Kate nach.

„Ganz ehrlich, ich weiß es wirklich nicht. Die Frau ist so unglaublich rachsüchtig. Der würde ich alles zutrauen. Sie hat es wahrscheinlich vergessen, damit sie nicht mit mir sprechen muss, oder – Gott bewahre! – mich sehen muss.“

„Würden Sie uns bitte erzählen, warum Sie sie nicht mögen?“, bat DeMarco.

„Oh, ich mochte sie nie, nicht wirklich. Anfangs war sie ziemlich charmant, das muss man ihr lassen. Als sie noch versuchte, sich bei mir beliebt zu machen. Aber in dem Moment, als Jack ihr den Verlobungsring ansteckte, hat sie sich in einen anderen Menschen verwandelt. Sie wurde kontrollierend. Manipulativ. Sie wusste nie das gute Leben zu schätzen, das sie führt. Vielleicht hat sie Jack tief im Innern geliebt – auf eine kranke, verdrehte Art und Weise – das bezweifel ich ja gar nicht. Aber sie hat ihn nie zu schätzen gewusst.“

„Können Sie das etwas näher ausführen?“, fragte Kate.

„Sie wollte immer etwas anderes – sie wollte immer mehr. Und das hat sie nie verheimlicht. Alles was sie hatte, egal, was es war – Kinder, einen wohlhabenden Ehemann, egal was – es war nie gut genug für sie. Nichts, was Jack je tat, war gut genug für sie.“

Kate bemerkte den Ausdruck blanken Hasses in Olivias Gesicht. Olivia glaubte jedes Wort, das sie sagte. Doch Kate konnte ihr selbst nach der kurzen Zeit, die sie Missy Tucker erlebt hatte, nicht so recht glauben.

„Wissen Sie, ob Jack dasselbe ihr gegenüber empfunden hat?“

„Oh Gott, nein. Er war total geblendet. Von ihr und ihrer Schauspielerei.“

„Sie schließen also aus, dass er eine Affäre hatte?“

Der Ausdruck des Schocks auf Olivias Gesicht war Antwort genug.

„Angesichts dessen, was ich in den letzten Stunden durchgemacht habe… wie können Sie es wagen, mir so eine Frage zu stellen? Sind Sie absichtlich so unsensibel und unverschämt?“

„Ich stelle die Frage lediglich, weil es uns einen Anhaltspunkt geben würde, wo wir anfangen sollten zu suchen. Wenn er in eine Affäre verwickelt wäre, dann gäbe uns das eine Fülle an Spuren, denen wir nachgehen könnten. Denn, um ehrlich zu sein, haben wir im Moment gar nichts – keine Zeugen, und auch keine Verdächtigen.“

„Keine Verdächtigen? Ich habe Ihnen doch gerade gesagt, wer es getan hat. Es war seine hasserfüllte Ehefrau.“

Kate und DeMarco tauschten einen unbehaglichen Blick aus. Egal, ob Olivia Tucker Recht behalten sollte oder nicht, dieser Fall würde noch sehr unangenehm werden, bevor er abgeschlossen war.

Kate ließ Olivias Kommentar im Raum stehen und beschloss, nicht weiter darauf einzugehen. Als sie weitersprach, wählte sie ihre Worte mit Bedacht.

„Sind Sie sicher, dass Sie diese Behauptung so stehenlassen wollen?“, fragte Kate. „Wenn Sie dabei bleiben, dann muss ich diesen Hinweis ernst nehmen und ihm nachgehen. Das hieße, dass ich Missy Tucker als Mordverdächtige behandeln muss.“

„Tun Sie Ihren Job, wie Sie es für richtig halten“, meinte Olivia nur. „Aber ich kenne die Frau. Sie wollte immer etwas anderes. Sie wollte raus aus der Ehe mit Jack, aber ohne zu riskieren, dabei alles zu verlieren. Gibt es einen einfacheren Weg, dieses Ziel zu erreichen, als den eigenen Ehemann umzubringen?“

Kate meinte, während ihrer gesamten Karriere noch nie jemandem begegnet zu sein, der so blind vor Hass gewesen war wie diese Frau. Kate hatte schon alles gesehen – Schwiegereltern, Schwager, sich entfremdete Geschwister und so weiter. Aber diese Frau spielte in einer ganz anderen Liga.

„Ich sollte wohl erwähnen“, sagte DeMarco, „dass wir den Großteil unserer Zeit hier damit verbracht haben, alles über sowohl Jack als auch Missy zu erfahren. Zwar haben wir noch nicht alle Berichte, aber nichts von dem, was wir bisher gehört haben, lässt darauf schließen, dass es in der Ehe Probleme gab.“

„So ist es“, stimmte Kate zu. „Es gab auch keine finanziellen Probleme, Missy hat eine weiße Weste, es gibt nichts in dieser Richtung. Sie hingegen haben keine ganz reine Weste, Olivia. Wollen Sie mir von der Nacht erzählen, als Missy die Polizei rufen musste, weil Sie versuchten, sich gewaltsam Zutritt zu ihrem Haus zu verschaffen?“

„Jack hatte Probleme bei der Arbeit“, begann Olivia, und man sah, dass ihr unbehaglich zumute war. „Er hatte eine Panikattacke erlitten. Ich rief an, um zu sehen, wie es ihm geht, und um mit meinen Enkeln zu sprechen, aber Missy hat es nicht zugelassen. Sie sagte mir, dass Jack es mir zwar nicht sagen wollte, aber dass ich einer der Gründe für seine Panikattacke war. Als ich nochmals angerufen habe, hat sie einfach aufgelegt, deshalb habe ich mich kurzerhand dazu entschieden, einfach hinzufahren. Wir – Missy und ich – haben uns gestritten und sie hat mich vor die Tür gesetzt; sie weigerte sich, mich wieder einzulassen. Danach… habe ich wohl etwas die Kontrolle verloren und sie hat daraufhin die Polizei verständigt.“

„Wenn nötig, werden wir uns mit dem Vorfall befassen“, sagte Kate. „Aber um ehrlich zu sein, nichts, was wir gesehen haben, weist darauf hin, dass Missy einen Grund gehabt hätte, ihren Mann umzubringen. Unserer Meinung nach gibt es kein Motiv.“

„Wenn Sie der Meinung sind, warum zum Teufel sind Sie dann überhaupt hier?“

„Um ehrlich zu sein… weil Ihr Name im Zuge der Ermittlungen aufgetaucht ist. Einer von Jacks Mitarbeiter hat zufällig ein Telefonat mitgehört, in dem Jack einen Streit mit seiner Frau hatte… und es ging um Sie. Wir haben Sie überprüft und sind auf eben jenen Vorfall gestoßen.“

Olivia lächelte auf eine Art und Weise, wie man alte Ganoven in Filmen lächeln sieht. „Na dann. Wie es scheint, haben Sie sich ja schon Ihre Meinung über mich gebildet.“

„Nein, das trifft nicht zu. Wir wollen nur…“

„Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich muss Sie bitten zu gehen. Ich möchte in Ruhe um meinen Sohn trauern.“

Kate war sich bewusst, dass ihre Zeit mit Olivia Tucker abgelaufen war. Wenn sie noch weiterbohrte, würde die Frau dicht machen. Außerdem hatten sie von ihr keinerlei brauchbare Informationen bekommen – es sei denn, ihre Anschuldigungen gegen ihre Schwiegertochter beinhalteten doch ein Fünkchen Wahrheit. Und das bezweifelte Kate.

„Danke, dass Sie mit uns gesprochen haben“, sagte Kate. „Unser herzlichstes Beileid.“

Olivia nickte, erhob sich und verließ das Wohnzimmer. „Den Ausgang finden Sie sicher selbst“, sagte sie noch, bevor sie in den hinteren Teil des Apartments verschwand.

Auch Kate und DeMarco gingen. Sie hatten keine brauchbare Spur, waren allerdings leicht verstört auf Grund der Anschuldigungen, die Olivia gegen ihre Schwiegertochter ausgesprochen hatte.

„Glaubst du, dass da irgendetwas dran ist?“, fragte DeMarco. Motiviert durch den Fall schien sie ihre Wut langsam überwunden zu haben.

„Ich glaube, genau jetzt, in diesem Moment, während sie nach Antworten sucht, glaubt sie, was sie sagt. Ich glaube, sie nimmt die Ängste, die sie über die Jahre hatte und bündelt sie, vergrößert sie, um etwas – beziehungsweise jemanden – zu haben, worauf sie die Schuld und ihre eigene Wut projizieren kann.“

DeMarco nickte, als sie in den Wagen stieg. „Was immer es war, es war extrem unschön.“

„Und ich glaube auch, dass sie selbst damit aus dem Schneider ist. Trotzdem sollten wir Missy im Auge behalten, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Vielleicht sollten wir auch die Polizei in Ashton davon in Kenntnis setzen, dass Olivia mental so auf der Kippe steht.“

„Ja, und was dann?“

„Dann lassen wir alles noch einmal Revue passieren. Vielleicht bei ein, zwei Gläsern Wein im Hotel.“

Das schien eine gute Idee zu sein, aber trotzdem konnte Kate nicht umhin, immer wieder an Missy Tucker zu denken, und dass ihre Welt jetzt nur noch eine Hülle dessen war, was ihr Leben einmal ausgemacht. Kate konnte sich sehr genau daran erinnern, wie es sich anfühlte, den Mann, den man liebte, zu verlieren; den Mann, der einen so gut kannte wie ein Buch, das er eine Million Male gelesen hatte. Es war so herzzerreißend, dass es dafür keine Worte gab, und ließ das Leben aus einem selbst heraus sickern.

Jetzt dieses Gefühl wieder zu erleben, wo sie zum Hotel zurückfuhr, motivierte sie mehr als alles andere. Es veranlasste sie, tief in ihrer Erinnerung zu graben, wo sich die Details des ersten Falls versteckt gehalten hatten, seit dem Zeitpunkt, als sich der Nobilini-Fall ereignet hatte.

Ihre Gedanken versuchten einen Namen zu greifen – ein Name, der ihr nur allzu gut bekannt war, der aber ihrer bewussten Erinnerung entging. An diesen Namen war sie vorhin, als sie Jack Tuckers Freunde im Yachtclub getroffen hatte, unbewusst erinnert worden.

Cass Nobilini.

Du weißt, dass dort die Antworten liegen, dachte Kate.

Vielleicht war es so. Und zur Not würde sie dort nach den Antworten suchen.

Allerdings hoffte sie, dass es dazu nicht kommen würde. Sie hoffte, dass sie Cass Nobilini in ihrem ganzen Leben niemals wiedersehen müsse. Sie wusste aber auch, dass die Chancen dafür denkbar schlecht standen – dass sie Cass Nobilini wahrscheinlich sogar eher früher als später wiedersehen sollte.




Kapitel sechs


Sie hatten es sich gerade an der Hotelbar gemütlich gemacht, als der Ansturm der Gäste, die hier zu Abend essen wollten, begann. Obwohl sie sich auf ein Glas Wein freute, sah sie dem Burger, den sie bestellt hatte, mit noch viel mehr Vorfreude entgegen. Oft genug vergaß sie, wenn sie mitten in den Ermittlungen steckte, zu Mittag zu essen; dann war sie abends halb verhungert. Als sie endlich mit Genuss von ihrem Burger abbiss, sah sie, wie DeMarco ihr verhalten zulächelte. Es war ihr erstes echtes Lächeln dieses Tages.

„Was?“, fragte Kate mit vollem Mund.

„Nichts“, entgegnete DeMarco und beschäftigte sich mit ihrem Salat mit gegrilltem Hühnchen. „Weißt du, es hat etwas Tröstendes, eine schlanke Frau deines Alters so essen zu sehen.“

Kate nickte, während sie den Bissen hinunter schluckte. „Ich habe das Glück, einen unglaublichen Metabolismus zu haben.“

„Ach Gott, du Ärmste…“, neckte DeMarco.

„Tja, was soll ich sagen. Immerhin kann ich essen wie ein Pferd.“

Sie schwiegen kurz, um dann in schallendes Gelächter auszubrechen. Es fühlte sich gut an, dass Kate ganz sie selbst sein konnte, nach all den Spannungen zwischen DeMarco und ihr. Nach dem zu urteilen, was sie kurz darauf sagte, schien DeMarco dies genauso zu empfinden.

„Tut mir leid, dass ich den ganzen Tag so bitter war. Diese Sache, einer Familie so eine Todesnachricht überbringen zu müssen… das ist hart. Ich meine, natürlich ist es hart, aber für mich ist es noch härter. Ich habe etwas in meiner Vergangenheit, das hat mich gezeichnet. Ich dachte, ich bin darüber hinweg, aber anscheinend nicht.“

„Was ist passiert?“

DeMarco schwieg einen Moment; vielleicht dachte sie darüber nach, ob sie so tief in die Vergangenheit eintauchen wollte. Sie nahm noch einen großen Schluck Wein und entschloss sich dann, zu erzählen. Mit einem tiefen Seufzer begann sie.

„Schon im Alter von vierzehn wusste ich, dass ich lesbisch bin. Meine erste Freundin hatte ich mit sechszehn. Als ich siebzehn war, entschlossen meine Freundin Rose und ich uns – Rose war neunzehn – dass wir uns outen. Wir haben es immer geheim gehalten, vor allem gegenüber unseren Eltern. Also sollte es nun losgehen – wir wollten es ihnen erzählen. Wir wollten uns zuerst bei ihr zuhause treffen, um es ihren Eltern zu sagen. Die dachten, wir sind einfach beste Freundinnen. Ich war immer bei ihr, und andersrum, weißt du? Jedenfalls sitze ich also bei ihren Eltern auf der Couch und bekomme diesen Anruf. Von der Polizei. Sie sagten mir, dass Rose einen Unfall gehabt hatte und noch am Unfallort gestorben ist. Sie haben mich angerufen anstatt ihrer Eltern, weil neunzig Prozent der Nachrichten auf ihrem Handy von mir waren, oder von ihr an mich.

Ich bin sofort zusammengebrochen, und ihre Eltern sitzen da, haben keine Ahnung, was zum Teufel los ist – warum ich so weine, warum ich auf dem Boden knie. Und ich musste es ihnen sagen. Ich war diejenige, die Roses Eltern sagen musste, was mir die Polizei gerade mitgeteilt hatte.“ Sie hielt inne, stocherte in ihrem Salat und fügte dann hinzu, „das war der absolut schlimmste Augenblick meines Lebens.“

Nur mit Mühe konnte Kate DeMarco anblicken, die ihre Geschichte nicht wie jemand erzählt hatte, der emotional involviert ist, sondern sie hatte die Ereignisse wie ein Roboter abgespult. Kate wurde nun klar, warum DeMarco so heftig reagiert hatte, als sie sie am vorherigen Abend mitgeschleift hatte, um Missy Tucker die schlechten Nachrichten zu überbringen.

„Wenn ich davon gewusst hätte, dann hätte ich dir niemals diese Sache aufgehalst“, sagte Kate.

„Ich weiß. Gestern Abend wusste ich das auch, aber meine Gefühle haben mich nicht logisch denken lassen. Um ehrlich zu sein, ich musste erst einmal selber damit klarkommen. Tut mir leid, dass du das abbekommen hast.“

„Ist schon in Ordnung“, meinte Kate.

„Musstest du das oft tun während deiner Karriere? Ich meine, solche Nachrichten überbringen?“

„Oh ja. Und es wird nie einfacher. Es erleichtert die Sache ein wenig, sich selbst emotional zu distanzieren. Aber leicht wird diese Aufgabe nie.“

Sie schwiegen eine Zeitlang. Der Kellner kam und füllte die Weingläser auf, und Kate machte sich wieder über ihren Burger her.

„Wie läuft es eigentlich mit deinem Kerl?“, fragte DeMarco. „Allen heißt er, richtig?“

„Das läuft ganz gut. Er ist jetzt an dem Punkt unserer Beziehung, an dem er sich Sorgen darüber macht, dass ich beim FBI bin. Ihm wäre es lieber, wenn ich einen Schreibtischjob hätte. Oder ganz zuhause bliebe.“

„Dann ist es also ziemlich ernst mit euch?“

„Scheint so. Einerseits finde ich das aufregend. Andererseits gibt es einen kleinen Teil in mir, der denkt, dass dies Zeitverschwendung sein könnte. Er und ich, wir gehen beide auf die sechzig zu. In dem Alter noch eine neue Beziehung anzufangen fühlt sich irgendwie… merkwürdig an.“ Da sie spürte, dass DeMarco gern mehr darüber geredet hätte, wechselte sie schnell das Thema.

„Und wie sieht es bei dir aus? Ist dein Liebesleben in die Gänge gekommen, seitdem wir uns das letzte Mal darüber unterhalten haben?“

DeMarco schüttelte den Kopf und lächelte. „Nein, aber das ist meine eigene Wahl. Ich bin gern im Land der One-Night-Stands unterwegs, solange ich noch kann.“

„Und macht dich das glücklich?“

DeMarco schien ehrlich überrascht von der Frage. „Irgendwie schon. Ich habe momentan keinen Kopf für die Pflichten und Verantwortungen, die zu einer festen Beziehung gehören.“

Kate schmunzelte. Sie selbst war nie im Land der One-Night-Stands unterwegs gewesen. Sie hatte Michael kennengelernt, als sie noch am College war. Sie heirateten anderthalb Jahre später. Schon beim ersten Kuss war ihr klar, dass sie mit ihm ihr Leben verbringen wollte.

„Also, was ist der nächste Schritt in unserem Fall?“, fragte DeMarco.

„Ich überlege, ob es Sinn macht, sich mit dem alten Fall, dem Nobilini-Fall, noch einmal persönlich zu befassen, anstatt nur die Akten durchzugehen. Ich frage mich, ob es inzwischen innerhalb der Nobilini-Familie neue Erkenntnisse gegeben hat. Aber… es verhält sich ähnlich wie bei dir und dem Tod deiner Freundin… es ist nichts, womit ich mich freiwillig gern befassen möchte.“

„Das heißt, morgen stehen noch mehr unangenehme Besuche und Gespräche an?“

„Vielleicht. Ich bin mir noch nicht sicher.“

„Gibt es irgendetwas, das ich wissen sollte, bevor ich blindlings in etwas hineinstolpere?“

„Wahrscheinlich ja. Aber glaub mir… das heben wir uns lieber für morgen früh auf. Sonst wird es heute Abend zu spät, und es wird mir den Schlaf rauben.“

„Oh. Ich sehe schon, in welche Richtung das geht.“

„Genau…“

Sie tranken ihren Wein aus und bezahlten. Auf dem Weg in ihre Zimmer dachte Kate über die Geschichte nach, die DeMarco ihr erzählt hatte – dieses traurige Erlebnis in ihrer Vergangenheit. Wieder einmal wurde ihr bewusst, wie sie wenig über ihren Partner wusste. Wenn sie eine normale Arbeitsbeziehung hätten, in der sie sich fast täglich sähen, dann wäre das etwas anderes. So aber sahen sie sich nur alle paar Monate ein- oder zweimal. Sie fragte sich, ob sie sich genug Mühe gab, DeMarco wirklich kennenzulernen.

Ihre Wege trennten sich vor ihren Zimmern, die sich direkt gegenüber lagen. Kate verspürte das Bedürfnis, noch etwas zu sagen – irgendetwas, um DeMarco zu zeigen, dass sie ihre Offenheit zu schätzen wusste.

„Ich möchte mich noch einmal für gestern Abend entschuldigen“, sagte sie. „Mir wird langsam klar, dass ich dich nicht genügend kenne, um solche Entscheidungen für uns beide treffen zu können.“

„Es ist okay, wirklich“, sagte DeMarco. „Ich hätte dir gleich davon erzählen sollen.“

„Wir müssen beide mehr daran arbeiten, uns besser kennenzulernen. Das ist absolut nötig, wenn wir uns unser Leben anvertrauen. Vielleicht sollten wir deshalb auch außerhalb der Arbeit mehr gemeinsame Zeit verbringen.“

„Ja, das wäre gut“, meinte DeMarco, als sie ihre Tür aufschloss. „Du sagtest, du wolltest dir noch ein paar Gedanken machen zu dem alten Fall, dem Nobilini-Fall. Sag Bescheid, falls du etwas besprechen möchtest.“

„Das mache ich“, sagte Kate.

Und damit verschwanden beide in ihre jeweiligen Zimmer und beschlossen so den gemeinsamen Abend. Kate entledigte sich ihrer Schuhe und setzte sich direkt an den Laptop. Während sie ihn hochfuhr, rief sie Director Duran an. Wie schon erwartet, nahm er den Anruf nicht selbst entgegen, sondern Kates Anruf landete bei seiner Persönlichen Assistentin Nancy Saunders in seinem Vorzimmer. Kate bat sie darum, ihr schnellstmöglich die digitalisierten Akten des Nobilini-Falls zu emailen. Zwar hatte DeMarco einige der Akten im Gepäck, aber das waren nur die mit generellen Informationen zum Fall. Kate hatte das Bedürfnis, sich wieder neu mit den unappetitlichen Details vertraut zu machen. Saunders versprach, sich darum zu kümmern, und dass Kate die Email spätestens am nächsten Morgen um 9 Uhr erhalten würde.

Cass Nobilini, dachte Kate.

Sofort, als Duran die mögliche Verbindung des aktuellen Falls mit dem Nobilini-Fall erwähnte, hatte sie an die Frau denken müssen. Als sie die Klagelaute und das Weinen von Missy Tucker hörte, die gerade vom Tod ihres Mannes erfahren hatte, musste sie wieder an Cass Nobilini denken. Und dann wieder, als sie mit Jack Tuckers Freunden sprach.

Cass Nobilini, Frank Nobilinis Mutter. Die Frau, die es als beleidigend und absolut verwerflich angesehen hatte, dass die Medien den Mord an ihrem Sohn insbesondere auf Grund der Tatsache aufgriffen, dass er einst mehreren bekannten Mitgliedern des Kongresses als Finanzieller Berater zur Seite gestanden hatte. Kate schalt sich dafür, dass sie angenommen hatte, dass der aktuelle Fall sie nicht auf die eine oder andere Weise zum Nobilini-Fall zurück führen würde.

Die Erinnerung an Cass Nobilini blieb für den restlichen Abend im Vordergrund ihrer Gedanken, selbst als sie sich schließlich hinlegte und langsam einschlief.


* * *

Sie sah noch immer den Tatort vor sich. Durch die vielen Jahre, die inzwischen vergangen waren, war die Erinnerung etwas eingerostet und verblasst, aber wann immer sie träumte, gab es von Verschwommenheit keine Spur. In ihren Träumen sah sie alles messerscharf vor sich, so, als sähe sie fern.

Auch in dieser Nacht, als sie kurz nach 21 Uhr einschlief und sich dann bis Mitternacht unruhig im Schlaf hin und her wälzte, sah sie die Szene wieder vor sich.

Sie sah Frank Nobilini vor sich, getötet in einer Seitengasse liegend, seine BMW-Schlüssel noch in der Hand. Im Zuge der Ermittlungen war sie bei ihm zuhause gewesen. Er hatte in einem Haus mit vier Schlafzimmern in Ashton gelebt. In der Garage, in der es nach frisch gemähtem Gras roch, hatte sie mit der Untersuchung des Hauses begonnen. Sie kam sich fast wie in einem Geisterhaus vor, so als ob sich Frank Nobilinis Geist dort aufhielte und nur auf sie wartete. Vielleicht war er genau dort auf dem leeren Platz in der Garage, wo sein BMW – der mehrere Blocks vom Fundort seiner Leiche auf einem Parkplatz entdeckt worden war – hätte stehen sollen. In der Garage war es kalt gewesen; Kate hatte damals das Gefühl gehabt, sich in einer Grabkammer zu befinden. Aus Gründen, die sie nie verstanden hatte, war dies die Szene, an die sich über die Jahre tief in ihr Gedächtnis gebrannt hatte.

In Frank Nobilinis Fall hatte es keinerlei Hinweise darauf gegeben, warum ihn jemand umgebracht hatte. Man hätte annehmen können, dass sich jemand seines sehr schönen BMWs bemächtigen wollte, aber die Autoschlüssel hatte man in Franks Hand gefunden. Sein Haus war sauber gewesen – und zwar so sauber, dass es schon fast unheimlich wirkte. Es lagen keine Papiere herum, es gab keine Einträge in seinem Kalender, keinerlei Post. Nichts.

In ihrem Traum sah Kate sich in der Seitengasse stehen. Wie ein Kind, das vorsichtig einen Tropfen Sirup auf dem Küchentisch berührt, fuhren ihre Finger über die an der Hauswand klebende Masse. Sie wandte sich um und blickte hinter sich, in Richtung des Eingangs zur Gasse, aber sie sah stattdessen das Innere von Nobilinis Garage. Als ob man sie hereingebeten hatte, stieg sie im Traum die hölzerne Treppe hinauf, die zur Verbindungstür zur Küche führte. Dann bewegte sie sich auf eine fließende Art und Weise, wie man es nur in Träumen konnte; sie schwebte eher, als dass ihre Beine sie trugen. Irgendwie gelangte sie in das Badezimmer und blickte in die Duschwanne entlang der hinteren Wand. Sie war gefüllt mit Blut. Etwas schien sich unter der Oberfläche zu bewegen und ließ kleine Bläschen aufsteigen. Wenn eine die Oberfläche erreichte und zerplatzte, hinterließ dies kleine Blutspritzer an der gekachelten Wand.

Vor Schreck stolperte sie rückwärts zur Badezimmertür hinaus und in den Flur, wo ihr Frank Nobilini entgegen kam. Hinter ihm stand seine Frau Jennifer und schaute dem Geschehen zu. Sie winkte Kate sogar kurz zu, als ihr toter Ehemann den Flur entlang auf sie zu taumelte. Frank bewegte sich langsam, zombieartig, mit einem starken Hinken.

„Es ist alles okay“, sagte da eine Stimme hinter ihr.

Sie wandte sich um und sah Cass Nobilini, Franks Mutter, auf dem Boden sitzen. Sie sah müde aus, geschlagen… als warte sie auf des Henkers Schwert.

„Cass…?“

„Du hättest den Fall niemals gelöst. Das hattest du einfach nicht drauf. Aber die Zeit… die ändert Dinge, nicht wahr?“

Kate wandte sich wieder zu Frank um, der immer noch auf sie zukam. Als er an der Tür zum Badezimmer vorbeikam, sah Kate, dass das Blut über den Rand der Duschwanne getreten und über den Boden gelaufen war und sich jetzt im Flur ausbreitete. Als Frank in das Blut trat, war ein schmatzendes Geräusch zu vernehmen.

Frank Nobilini lächelte sie an und erhob wie zum Gruße eine schon vermoderte, abgefaulte Hand. Kate trat einige Schritte rückwärts, hob die Hände vors Gesicht und begann zu schreien.

Durch ihr Schreien wachte sie auf. Dieses verdammte Haus. Sie hatte nie begriffen, warum es sie so verstört hatte. Vielleicht lag es an Jennifer Noblinis Schreien, die damals durch dieses perfekt scheinende Haus gehallt waren… das alles war total surreal gewesen. Wie etwas aus einem Horrorfilm.

Kate setzte sich im Bett auf und drehte sich zur Bettkante. Nachdem sie ein paar Mal tief Luft geholt hatte, blickte sie auf ihren Wecker: es war 1:22 Uhr morgens. Das einzige Licht im Raum stammte von den Digitalzahlen ihres Weckers und von der Lampe draußen, deren schwacher Schein kaum durch die geschlossenen Jalousien drang.

Sie hatte schon zuvor von Cass Nobilini und diesem ersten Fall geträumt, aber dieser Traum war wirklich allzu realistisch gewesen. Ihr Herz hämmerte noch in ihrer Brust, als sie aus dem Bett stieg und zum Minikühlschrank ihres Hotelzimmers ging, um sich dort eine Flasche Wasser zu holen. Sie trank davon, während sie das Zimmer durchquerte und sich auf die Bettkante neben ihrem Laptop, der auf dem Nachttisch daneben stand, setzte.

Sie knipste die Nachttischlampe an, fuhr den Laptop hoch und checkte ihre Emails. Sie hatte nur eine neue Mail, und die kam von Director Durans Assistentin Nancy Saunders. Die hatte einen Agent beauftragt, die Nobilini-Akte auszubuddeln, welche ihr kurz vor Mitternacht gemailt wurde.

Sie wusste, dass sie auf keinen Fall wieder fest einschlafen würde, deshalb ging sie die einzelnen Akten, die sich als Anhang der Email befanden, durch. Ihr war etwas mulmig dabei zumute, als ihr klar wurde, dass sie das alles als natürlich empfand und wie vertraut ihr diese alten Akten waren. Kate ging sie zuerst nur oberflächlich durch, wie jemand, der an einen alt bekannten Ort zurückkehrt und sich erst einmal nur umschaut, bevor er alles genau in Augenschein nimmt. Nachdem sie die letzte der sechsundzwanzig Seiten überflogen hatte, fing sie von vorne an. Aber bevor sie sich eingehender damit befasste, durchquerte sie das Hotelzimmer und setzte sich eine kleine Kanne Kaffee auf, die dort für den Gast bereit gestellt war. Während der Kaffee durchlief, machte sie ihr Bett, stellte den Laptop auf den kleinen Tisch an der hinteren Wand und richtete sich einen kleinen Arbeitsplatz ein.

Fünf Minuten darauf, las sie – mit einer Tasse dunklem, billigem Kaffee in der Hand – die Akten aufmerksam Zeile für Zeile durch. Die Darlegung des Nobilini-Falls kam ihr wie ein alter Bekannter vor; die Art von Bekannten, der mit schlechten Nachrichten kommt. Die Akten gaben jedes Gespräch, das sie mit Noblinis Nachbarn und Freunden in Ashton geführt hatte, detailliert wieder. Als sie sie durchlas, war sie erstaunt, wie sehr sich die Gespräche mit denen ähnelten, die sie bisher im Fall Jack Tucker geführt hatte.

Damals im Nobilini-Fall war der einzig brauchbare Hinweis von der zweiundzwanzigjährigen Alice Delgado gekommen, die sich in ihrer Funktion als Nanny in Ashton um zwei Kinder im Alter von acht und elf Jahren gekümmert hatte. Alice hatte zugegeben, sich an Frank Nobilini herangemacht zu habe, als sie sich in einem Park begegneten. Frank war geschmeichelt gewesen, hatte aber höflich abgelehnt. Obwohl es bei dieser einen Begegnung geblieben war, hatte Alice, nachdem sie von Franks Tod erfuhr, ein solch schlechtes Gewissen, dass sie Jennifer Nobilini kontaktierte und ihr gestand, ihren Mann angebaggert zu haben. Jennifer, die liebende und scheinbar unfehlbar Ehefrau, hatte ihr sofort vergeben.

Abgesehen von dieser einen Begebenheit hatte es nichts gegeben. Es hatte sich nichts aus den Gesprächen ergeben und auch am Tatort und bei Nobilini zuhause gab es keinerlei Hinweise. Sowohl Frank als auch Jennifer Nobilini hatten weiße Westen. Sie waren noch niemals kriminell aufgefallen, hatten keine nennenswerten Feinde… nichts.

Sechs Monate blieb Kate an dem Fall dran, bevor sie sozusagen einen Schritt zurück trat und den Fall dann noch weitere acht Monate als Zweitprojekt im Hintergrund bearbeitete. Dann wurde der Fall vollends aufgegeben. Es war nicht nur der einzige ungelöste Fall ihrer Karriere, sondern auch derjenige mit den meisten Ungereimtheiten.

Während sie las, bemühte sie sich, Jack Tuckers Tod mit den Details im Nobilini-Mord in Bezug zu setzen. Und je mehr sie las und sich mit dem Fall vertraut machte, desto sicherer war sie sich, dass Jacks Mord mit Franks zusammenhing. Entweder handelte es um einen Trittbrettfahrer, oder hier war derselbe Killer am Werk.

Es war schon morgens um 4:10 Uhr, als sie schließlich meinte, sich ausreichend mit den Fakten vertraut gemacht zu haben. Gedankenverloren starrte sie ihre zweite Tasse Kaffee an, bevor sie langsam nach ihrem Handy griff. Sie rief die Nummer des FBI an, die rund um die Uhr besetzt war. Tagsüber war dies der umständliche Weg, aber um diese Uhrzeit blieb ihr nichts anderes übrig.





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„Ein Meisterwerk von Thriller und Mystery. Auf großartige Art und Weise hat Blake Pierce seine Charaktere entwickelt, und dabei deren psychologischen Seiten so präzise beschrieben, dass wir uns in deren Gedankenwelt einfinden und ihren Ängsten und ihren ErfolgserlebnisseN folgen können. Dieses Buch ist so reich an unerwarteten Wendungen, dass es Sie bis tief in die Nacht wachhalten wird, bis zur letzten Seite.“

–Buch- und Film-Kritiken, Roberto Mattos (über Once Gone)

WENN SIE RENNEN WÜRDE (Ein Kate Wise Mystery) ist das dritte Buch in der neuen psychologischen Krimireihe von Bestseller Autor Blake Pierce, dessen Nummer 1 Bestseller Once Gone (Buch Nr. 1) – erhältlich als gratis Download – mehr als eintausend 5-Sterne-Kritiken erhalten hat.

Kate Wise, eine sechsundfünfzigjährige FBI-Agentin; wird aus ihrem Ruhestand gerissen, als ein zweiter Ehemann aus einem wohlhabenden Vorort New York Citys ermordet aufgefunden wird; erschossen auf dem Nachhauseweg. Kann dies ein Zufall sein?

Der eine Fall, den Kate niemals lösen konnte, hat sie ein Jahrzehnt lang verfolgt. Nun, zehn Jahre später, wird ein weiterer Ehemann aus dem gleichen Vorort ermordet aufgefunden – getötet auf die gleiche Art und Weise wie der erste.

Gibt es eine Verbindung, und wenn ja, welche?

Kann Kate ihren damalige Misserfolg wettmachen und den Fall lösen, bevor die Spuren kalt werden?

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Видео по теме - Einführung & Kapitel 1.1 - Wenn Sie Rennen Würde (Ein Kate Wise Mystery - Buch 3)

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