Книга - Der Sichelmond

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Der Sichelmond
Massimo Longo

Maria Grazia Gullo


Die Welt, in die sich Elio geflüchtet hat, ist möglicherweise nicht seiner Phantasie entsprungen, sondern ein Tuch, das um ihn herum gesponnen wurde. Während der Ferien auf dem Land lernt er eine Hüterin kennen, die ihm die Wahrheit enthüllen wird, und zusammen mit einer fröhlichen Bande von sowohl realen als auch imaginären Freunden kämpft er darum, seine Freiheit zurückzugewinnen In den Abenteuern dieses Jungen lernst du Dämonen, behütete Wesen, Schatten, Bosowe, Jiwon-Wächter und magische Gesänge kennen. Du wirst durch die Welt touren, indem du Ampeln benutzt, dich um einen Affenbrotbaum drehst oder in einer Eiskugel fliegst.







Maria Grazia Gullo - Massimo Longo



Der Sichelmond

Die Hüter von Campoverde



Übersetzt von Firmina Anna Pagano


Copyright © 2018 M.G. Gullo – M. Longo

Titelbild und Illustrationen realisiert und herausgegeben von Massimo Longo

Alle Rechte vorbehalten

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Inhaltsverzeichnis






Prolog



„Du wirst schon sehen, es wird alles gut. Du bist jetzt ein großer Junge... Geh wieder zu den anderen Kindern, wir werden uns eines Tages wiedersehen. Versprochen!

Mit Tränen in den Augen, sah der Junge, wie sein Spielgefährte, der, seit er denken konnte, immer bei ihm gewesen war, langsam im Nichts verschwand.

Er rannte in Windeseile zu den Spielgeräten auf dem Spielplatz unter der Sonne zurück, um mit den Kindern aus der Nachbarschaft weiter zu spielen, während die Erinnerung an seinen Fantasiefreund langsam verblasste.

Nach viel Geschiebe und Geschubse stand er endlich oben auf der Rutsche. Ohne einen Moment zu zögern, stieß er sich mit aller Kraft ab und rutschte hinunter. Er war noch nicht unten angekommen, als plötzlich ein kleines blondes Mädchen vor ihm auftauchte, das sich von seiner Mutter losgerissen hatte. Er konnte nicht bremsen und prallte mit voller Wucht gegen das Kind.

Das kleine Mädchen verlor sein Gleichgewicht und schlug mit dem Kopf auf die Bordsteinkante, die um die Rutsche herum angelegt war.

Er versuchte, zu dem kleinen Mädchen zu gelangen, um sich zu vergewissern, dass ihm nichts geschehen war, wurde aber von der Mutter, die hastig herbeieilte, grob zur Seite gestoßen. In Sekundenschnelle, so schien es ihm, hatte sich eine Schar von Großeltern und Müttern um die arme Frau herum aufgebaut.

Während er versuchte, aus diesem Wald von Erwachsenenbeine heraus zu kommen, hörte er nur den einen Satz:

„Sie ist bewusstlos! Wir brauchen einen Krankenwagen!“

Diese Worte dröhnten in seinen Ohren, Angst stieg in ihm hoch. Er floh in das Waldstück hinter dem Spielplatz.

Plötzlich wurde alles um ihn herum dunkel. Ein eisiger Wind trug eigenartige Laute durch die Luft und zusammen mit den Worten, die er kurz zuvor gehört hatte, erklangen nun auch Verse, die er nur schwer verstehen konnte. Sie kamen aus einer Baumgruppe, aus der ein langer Schatten auftauchte. Die Stimme wurde immer eindringlicher und drang aus verschiedenen Richtungen auf ihn ein. Jetzt war sie nahe und kam immer näher, bis sie ihm schließlich die folgenden Worte in die Ohren flüsterte:



„Damnabilis ies iom, mirdo cavus mirdo, cessa verunt ies iom, mirdo oblivio ement, mors damnabils ies iom, ospes araneus ies iom…“

Er hielt seinen Kopf mit beiden Händen fest, um es nicht zu hören, aber es war zwecklos. Schließlich fiel er auf die Knie und seine Augen füllten sich mit Leere ...



„Damnabilis ies iom, mirdo cavus mirdo, cessa verunt ies iom, mirdo oblivio ement, mors damnabils ies iom, ospes araneus ies iom…“


Kapitel Eins



Er ist glitschig wie ein Fisch, wenn ich versuche, ihn zu umarmen



„Helios, Helios, beeil dich! Hilf mir mit den Einkaufstüten, bevor das Gewitter losgeht!“

Helios stand regungslos in seinen ewig neuen Schuhen und schaute zu, wie sich seine Mutter abplagte.

„Helios!“ Was stehst du da wie angewurzelt rum? Nimm die hier!“ Sie packte ihn und lud ihm eine riesige Tüte mit Gemüse auf den Arm.

Helios machte keinerlei Anstalten, noch irgendetwas tun zu wollen. Er ging die Stufen zum Haus hoch, drehte sich mit dem Rücken zur Haustür, um sie aufzustoßen, und blieb stehen, um dieses verdammte, rot blinkende Licht am Aufzug anzustarren, bevor er machtlos die Treppen bis zur Wohnung hinaufstieg, die Tüte auf dem Küchentisch ablegte und sich schnurstracks in sein Zimmer zurückzog, um ausgestreckt auf seinem Bett Musik zu hören.

Als seine Mutter erschöpft oben ankam, suchte sie nach ihm.

Sie schaute in sein Zimmer und fuhr ihn an: „Was machst du da? Wir sind längst noch nicht fertig. Steh auf und hilf mir!“

„Ja, ja...ich komm ja schon“, antwortete Helios, ohne sich zu rühren, nur damit sie ihn in Ruhe ließ.

Giulia ging fort, in der Hoffnung, es könnte diesmal anders sein. Sie war verzweifelt und hatte keine Kraft mehr, ihren Sohn, der immer apathischer wurde, aufzurütteln.

Von der Wohnungstür konnte man die schnellen, energischen Schritte seiner Schwester hören, die mit fröhlicher Stimme nach ihm rief: „Helios!“ Helios! Beweg deinen Hintern aus dem Bett und komm her, um Mama zu helfen. Sie wartet unten auf dich“, rief sie, obwohl sie wusste, dass es vergebens war und nichts bringen würde.

Helios rührte sich nicht, drehte die Lautstärke seines Players auf und starrte weiter gleichgültig gegen die Decke.

Giulia, die der Zwist mit ihrem Sohn mehr mitnahm als die körperliche Anstrengung, brachte die restlichen Einkäufe zusammen mit ihrer Tochter Gaia in die Wohnung. Sie dachte unentwegt an Helios, während sie die Treppen hinaufstieg. Die Fassade des fünf Stockwerke hohen Gebäudes war weiß und orange, wie die der anderen Häuser in dieser Siedlung, die Gialingua hieß. Der Aufzug funktionierte nur alle zwei Tage mal, und aus unerfindlichen Gründen nie an den Tagen, an denen Giulia den Einkauf nach oben tragen musste. Zwanzig Familien lebten hier in ebenso vielen gegenüberliegenden Wohnungen.

„Das ist das letzte Mal, dass du dir das erlaubst!“, rief sie aus der Küche, „Wir klären die Sache später, wenn dein Vater nach Hause kommt!“

Helios hörte sie nicht einmal, er war ganz in die monotone Musik versunken, die in seine Ohren drang, ohne ihn gefühlsmäßig zu berühren. Nichts und niemand würde dieses leere und paranoide Gefühl verdrängen, das ihn umgab. Er wurde von seiner interessenlosen Welt umhüllt, wie Linus von seiner Decke. Das war nun mal Fakt, und die Welt hatte sich damit abzufinden.

Gaia war ganz anders als er: fünfzehn Jahre alt, schwarzes kurzgeschnittenes Haar und zwei quicklebendige, neugierige Augen. Ein Vierundzwanzigstundentag reichte ihr nicht aus, um allen ihren Interessen nachzugehen.

Auch Giulia war dynamisch. Im Gegensatz zu ihrer Tochter hatte sie blondes lockiges Haar, war leicht übergewichtig aber flott und resolut. Kurz gesagt, eine klassische 42-jährige Mama, die im Spagat zwischen Arbeit und Familie immer tausend Sachen zu erledigen hatte.

Es war Zeit fürs Abendessen, aber aus Helios Zimmer war kein Mucks zu hören, es herrschte absolute Stille. Tatsächlich war Helios, nachdem er sich auf das Bett gestürzt und die Kopfhörer aufgesetzt hatte, regungslos liegen geblieben.

In der Wohnungstür drehte sich ein Schlüssel. Im gleichen Moment, noch bevor die Tür aufging, ergoss sich auch schon Giulias verärgerte und seufzende Stimme über ihren Mann.

„So kann es nicht weitergehen!“

„Schatz, lass mich doch wenigstens reinkommen ...“

Giulia gab ihrem Mann einen Kuss und fing sofort wieder an zu jammern.

„Es geht wieder um Helios, nicht wahr?“, erkundigte sich der Mann mit resignierter Stimme.

„Ja, natürlich!“, erwiderte Giulia.

Während sie redeten, nahm Carlo den Lunch-Behälter aus seiner Tasche, um ihn in die Küche zu bringen. Dann verstaute er die Tasche mitsamt Ersatzhemd, das er mit zur Arbeit nahm im Schrank. Denn obwohl es erst Ende Mai war, machte sich die schwüle Hitze bereits bemerkbar.

Er war ein sanftmütiger Mann, im gleichen Alter wie seine Frau, mit einer großen, schlanken Figur. Sein Haar - ehemals genauso pechrabenschwarz wie das seiner Tochter - war inzwischen fast vollständig grau geworden. Er hatte ein längliches Gesicht mit eingefallenen Wangen und auf der Adlernase saß eine runde Metallbrille.

„Können wir nicht nach dem Essen darüber sprechen?“, fragte er liebevoll seine Frau, in der Hoffnung, sie zu beruhigen.

„Du hast recht, Liebling“, antwortete sie, aber ohne es zu merken, fuhr sie mit dem Gejammer fort, bis das Abendessen auf dem Tisch stand.

Zum Glück gab es Gaia, die in einem Atemzug von ihrem Tag erzählte und selbst kleine Missgeschicke mit Humor und heiterer Gelassenheit nahm.

Sie hatte gerade den Tisch fertig gedeckt, als ihre Mutter sie aufforderte:

„Ruf doch bitte Helios!“

„Es ist sinnlos“, erwiderte sie, „du weißt doch, dass er sich nicht rührt, wenn Papa...“

Giulia fiel ihr ins Wort, wendete sich aber nun an ihren Mann:

„Er hat das Zimmer nicht verlassen, seit ich ihn von der Schule abgeholt habe, es wird immer schlimmer.“

„Hatten wir nicht vereinbart, dass er allein nach Hause kommen soll?“

„Ich war gerade in der Gegend, weil ich einkaufen war...“

„Du hast immer eine Ausrede, um ihn in Schutz zu nehmen, und dann beklagst du dich!“

Carlo sah seine Frau an und schüttelte missbilligend den Kopf. Dann stand er von der Couch auf, um den Jungen zum Essen zu rufen.

Ohne an die Tür zu klopfen betrat er das Zimmer und fand Helios genauso vor, wie seine Mutter ihn zurückgelassen hatte. Seine Augen starrten gegen die Decke ins Leere, er trug noch immer die weißen WLAN-Ohrhörer. Nicht einmal seine Schuhe hatte er ausgezogen.

Carlo gelang es nicht, in diesem Jungen das Kind wiederzuerkennen, mit dem er immer auf seinem Fahrrad spazieren gefahren war. Er war inzwischen dreizehn Jahre alt und fast so groß wie er. Seine wallenden blonden Kinderlocken hatte er aus Faulheit herausgeglättet, so brauchte er sie nicht zu kämmen. Seine grünen Augen waren immer noch wunderschön, aber stumpf. In den letzten Jahren hatte er auf keinerlei Anregungen mehr reagiert. Er hatte ihn schon ewig nicht mehr lachen hören und vollkommen vergessen, wie sich sein Lachen anhörte. Es tat ihm leid, nicht mehr so viel Zeit wie früher mit seinem Sohn verbringen zu können, als er noch klein war. Er bezweifelte allerdings, dass seine Aufmerksamkeiten jetzt geschätzt würden.

Durch die Wirtschaftskrise hatte er vor einigen Jahren leider seinen Arbeitsplatz in der Nähe der Wohnung verloren. Ehrlich gesagt war es nicht so sehr die Krise als vielmehr die Profitgier gewesen, die das multinationale Unternehmen, für das er damals arbeitete, veranlasst hatte, den Standort zu verlagern - ein Verhalten, das für viele Unternehmen dieser Art typisch ist.

Mit Mühe war es ihm gelungen, eine neue Stelle zu finden, allerdings musste er jetzt jeden Tag viele Kilometer weit mit verschiedenen öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, um zu seinem neuen Arbeitsplatz zu kommen, sodass er weniger Zeit für seine Familie hatte. Er kam abends immer müde nach Hause, dass es ihm schwer fiel, selbst dann anwesend zu sein, wenn er da war. Nach dem Essen legte er sich auf die Couch und schlief unweigerlich ein, obwohl er sich bemühte, wach zu bleiben.

Carlo bedeutete seinem Sohn, die Kopfhörer abzunehmen, Helios gehorchte, um sich nicht einen langen Vortrag anhören zu müssen, der seinen Kopf zu sehr anstrengen würde.

„Komm, das Abendessen ist fertig“, forderte er ihn verärgert auf. „Deine Mutter hat mir erzählt, dass du seit vier Uhr heute Nachmittag hier herumliegst!“

Helios stand auf und ging mit gesenktem Kopf an seinem Vater vorbei in die Küche, ohne sich die Mühe zu machen, mit ihm zu sprechen.

Gaia saß bereits an einer Seite am Tisch, den sie gedeckt hatte. Sie tauschte mit dem Smartphone Nachrichten mit ihren Freundinnen aus, um die kommenden Ereignisse zu organisieren.

Helios setzte sich seiner Schwester gegenüber und sprach während des ganzen Abendessens kein Wort mit ihr.

Das Abendessen verlief ruhig, alle plauderten über die Geschehnisse des Tages, außer Helios – er biss ein paarmal in sein Brötchen und verschwand so schnell er konnte wieder in sein Zimmer, sehr zur Enttäuschung seiner Mutter, was sich wiederum im düsteren Gesichtsausdruck seines Vaters widerspiegelte.

Als Giulia und Carlo allein waren und den Tisch zu Ende abräumten, sprachen sie wie gewohnt über das immer gleiche Thema der letzten Jahre: ihre Sorge über das Verhalten ihres Sohnes.

„Was machen wir nur falsch? Ich kann es nicht verstehen! Gaia ist so dynamisch, fröhlich und lebhaft!“, sagte Giulia.

„Ich vernachlässige ihn zu sehr!“, beschuldigte sich Carlo wie immer selbst.

„Du bist ganz sicher nicht der einzige Vater, der wegen seiner Arbeit so viele Stunden außer Haus ist. Und ich bin doch jeden Nachmittag zu Hause“, wiederholte Giulia zum x-ten Mal, weil sie nicht wollte, dass Carlo auch die Sorge auf sich nahm, womöglich die Ursache für die Probleme ihres Sohnes zu sein.

„Es ist keine Frage des Charakters, Giulia, Helios war nicht immer so, und das weißt du genau!“

„Ich wünschte, es wäre so, Carlo, aber man verändert sich, wenn man größer wird und wie du selbst siehst, es wird immer schlimmer. Auch in der Schule ist er eine Katastrophe. Ich hoffe nur, dass er keine Nachprüfungen machen muss und wir ihn womöglich nicht wie sonst in den letzten Jahren, in ein Ferienlager schicken können. Im Sommercamp in der Stadt würde er vollkommen phlegmatisch werden!“

„Giulia, ich bitte dich, die anderen Kinder haben Spaß im Sommercamp. Francescas und Giuseppes Kinder lieben es. Du weißt genau, dass er auch im Sommerlager völlig teilnahmslos ist! Wir müssen eine Alternative finden, etwas, das ihn zwingt, zu reagieren. Er scheint völlig leblos, erinnerst du dich, wie wir in seinem Alter waren?“

„Natürlich! Meine Mutter stand abends draußen vor der Haustür, um mich zum Abendessen zu rufen, meistens hörte ich sie nicht einmal, so beschäftigt war ich, wenn ich über die Felder rannte und mich im Gras wälzte. Wir waren frei und glücklich. Das können wir ihm in der Stadt nicht bieten, aber im Sommerlager weiß er die Gelegenheit auch nicht zu schätzen. Er hat keinen einzigen Freund, niemanden, den er nach Hause einladen könnte, um diese monotone Existenz, die er sich selbst aufgebaut hat, zu durchbrechen. Er lässt niemanden zu nahe an sich rankommen, manchmal frage ich mich, was er für uns empfindet. Er ist glitschig wie ein Fisch, wenn ich versuche, ihn zu umarmen...

„Giulia, die Kinder sind aus dem Alter raus, in dem sie mit ihrer Mutter schmusen. Aber ich bin sicher, dass er uns noch immer liebt. Wir finden nur nicht mehr den richtigen Zugang zu ihm. Wir müssen einen Weg finden. Wir müssen einen Weg finden, um ihn aufzurütteln. Ich wollte mit Ida darüber reden, sie hat zwei Jungs, vielleicht kann sie uns einen Rat geben.“

„Befürchtest du, er könnte nach Libero kommen? Meinst du, er könnte eine psychische Störung geerbt haben?“, fragte Giulia.

„Nein, Libero hatte andere Probleme, die hingen mit dem Tod seines Vaters zusammen. Aber es gibt eine gemeinsame Basis und Idas Erfahrung kann uns von Nutzen sein. Seit sie aufs Land gezogen ist, hat sie wahre Wunder an diesem Jungen vollbracht. Und das als allein erziehende Mutter! Und mit einem Bauernhof, den sie aufbauen musste.“

„Ja, rede mit ihr, ich vertraue deiner Schwester. Mir gefällt ihre Art, die Dinge zu sehen.“

„Wann gibt es Zeugnisse?“, fragte Carlo seine Frau.

„Am 19. Juni...“

„Das ist zu spät, um eine Entscheidung zu treffen! Versuch doch mit der Italienischlehrerin zu sprechen. Wir müssen entscheiden, wo wir die Kinder hinschicken wollen und ob Sommerlager oder ein Sommercamp in der Stadt, die warten mit den Anmeldungen nicht bis zu den Schulzeugnissen“, meinte Carlo.

„Ja, du hast recht. Besser, wir wissen, woran wir sind, obwohl Helios in der Schule ja so schlecht auch wieder nicht ist. Es ist nur, dass er alles immer ohne jede Begeisterung tut. Heute sind übrigens die neuen Nachbarn aus dem zweiten Stock eingezogen! Sie scheinen ganz nett zu sein. Frau Giovanna hat mir erzählt, dass sie aus Potenza hergezogen sind. Das ist ziemlich weit weg! Die erste Zeit wird bestimmt nicht einfach für sie sein. Sie haben einen Sohn in Helios Alter, ich könnte ihn doch an einem der kommenden Nachmittage mal zu uns einladen...“

Giulia bemerkte, dass Carlo, der auf der Couch lag, bereits eingeschlafen war.

„Komm, lass uns ins Bett gehen, Liebling“, weckte sie ihn sanft auf.


Kapitel Zwei



Er setzte ihm mit einem eisigen Geflüster nach



Helios stand wie angewurzelt auf dem großen Bürgersteig vor der Schule. Alle wirbelten um ihn herum, sprangen zu ihren Eltern in die Autos oder jagten sich gegenseitig hinterher, während sie in Gruppen nach Hause liefen. Er hatte gehofft, dass seine Mutter nach dem Gespräch mit seiner Italienischlehrerin auf ihn warten würde. Verwirrt schaute er nach rechts und links, auf der Suche nach dem rettenden Auto seiner Mutter.

In Windeseile war der Schulhof leergefegt und Helios musste sich damit abfinden, zu Fuß nach Hause zu gehen. Er hasste es, sich zu bewegen und noch mehr hasste er es, durch diese verdammte Lindenallee zu laufen, die zwischen der Schule und seinem Zuhause lag.

Er wartete noch ein paar Minuten, dann machte er sich langsam auf den Heimweg. Er befahl seinem Fuß, sich zu heben, was manchen Menschen einfach erscheinen mag, aber für Helios, der seit Jahren nur wenig mit seinen Gliedmaßen kommunizierte, war es ein gewaltiger Akt.

Als erstes bog er nach links in die Allee ab, kaum war er um die Ecke gebogen, sah er auch schon die so verhasste Strecke vor sich. Auf beiden Seiten der Allee standen frisch blühende Linden, die wohl jeder Mensch als wunderschön empfunden hätte, und deren Duft vom Wind durch die ganze Nachbarschaft getragen wurde. Schritt für Schritt lief er unter großer Anstrengung die Baumreihe entlang, wobei ihn das unangenehme Gefühl nicht losließ, verfolgt zu werden.

Er drehte sich schnell um und meinte, ein pechschwarzes Tier zu sehen, das hinter einen Baum zurückwich.

„Das kann nicht sein“, sagte er sich immer wieder, „dieser komische bösartige Hund sah aus, als hätte er einen Zwicker auf der Nase!“

Ängstlich lief er weiter und hatte das Gefühl, kleine Schatten hinter den Bäumen zu sehen. Und als ob das noch nicht genug wäre, verfolgte ihn der Wind, der durch die Äste blies mit einem eisigen Geflüster, das in seine Ohren eindrang und in seinem Kopf stecken blieb.

Er konnte nicht verstehen, was diese Laute bedeuteten. Eingenommen von diesem unbehaglichen Gefühl, befahl er seinem Körper, zu rennen. Er schwitzte, je mehr er rannte, desto mehr schienen die Laute ihn zu verfolgen und desto mehr näherten sich die Schatten.

Er lief so schnell er konnte, hörte eine schreckliche Stimme, die ihn aufforderte, stehen zu bleiben. Wieder drehte er sich ruckartig um, und wieder meinte er, etwas Schwarzes zu sehen, das sich hinter einem nahe stehenden Baum versteckte. Inzwischen war er fast an der Biegung angekommen, die ihn aus diesem Alptraum befreien würde.

Er spürte, wie ein Atemzug seinen Nacken streifte, ohne stehen zu bleiben drehte er sich um, irgendetwas traf ihn voller Wucht und warf ihn zu Boden.

Erschrocken rollte sich Helios wie ein Igel zusammen und warf die Arme schützend über den Kopf.

Im selben Augenblick hörte er, wie eine vertraute Stimme nach ihm rief:

„Helios!“ Helios! Was zum Teufel machst du da?“

Es war seine Schwester, die ihn wütend anfuhr, weil er sie umgerannt hatte. Gaia bemerkte den jämmerlichen Zustand, in dem sich Helios befand.

Ihr Tonfall wurde ruhiger:

„Wie geht's dir?“

Als Helios ihre Stimme hörte, öffnete er die Arme und hob den Kopf.

Gaia registrierte sein verstörtes Gesicht, das noch blasser als sonst und verschwitzt war. Sie dachte einen Moment darüber nach, dass ihr Bruder gerannt war, was für ihn normalerweise völlig unüblich war. Sie hatte den Eindruck, dass er vor etwas oder jemandem davon lief und half ihm auf die Beine.

„Warum bist du so gerannt?“, fragte sie ihn. „Was hat dich erschreckt?“

Gaia konnte sich nicht erinnern, wann sie ihren Bruder das letzte Mal rennen sehen hatte. Helios antwortete nicht, er wollte nur so schnell wie möglich von dieser Straße weg. Also bog er, ohne ein Wort zu sagen, um die Ecke.

Gaia lief ihm besorgt hinterher.

„Helios!“ rief sie ihm wieder zu.

„Es ist nichts!“, antwortete Helios grob. „ Es ist nichts!“

Gaias Sorge verwandelte sich in Wut über sein Verhalten:

„Nichts, sagst du? Du hast mich gerade umgerannt, und sagst nichts!?“

Helios, der weitere Diskussionen, die seinen bereits erschöpften Körper beanspruchen würden, vermeiden wollte, entschuldigte sich.

„Tut mir leid“, sagte er.

Diese oberflächlichen Ausreden verärgerten Gaia nur noch mehr. Sie ließ ihren Bruder aber trotzdem nicht in diesem besorgniserregenden Zustand zurück.



Am Sonntagmorgen hatten Carlo und Giulia endlich eine Entscheidung getroffen, sie sprachen darüber, während sie das Frühstück zubereiteten und waren ungeduldig, es endlich den Kindern mitzuteilen, die noch schliefen.

„Es war wirklich nett von ihr, uns dieses Angebot zu machen, hoffen wir, dass die Kinder keine Dummheiten anstellen“, sagte Giulia gut gelaunt.

Es war ihr und Carlo schwer gefallen, diese Entscheidung zu treffen, und jetzt, nachdem sie sich entschieden hatten, waren sie in einer seltsamen Hochstimmung.

„Gaia wird begeistert sein“, meinte Carlo. „Du wirst sehen, Helios wird wie immer gleichgültig reagieren“.

„Ich weiß nicht, Gaia hat so viele Freunde im Sommerlager, sie wird enttäuscht sein, nicht hinzufahren. Helios dagegen, hasst es“, erwiderte Giulia.

„Ich halte es nicht länger aus, ich werde sie wecken“, schlug Carlo kategorisch vor und ging in die Zimmer seiner Kinder, um sie zu wecken.

Er gab ihnen nicht mal Zeit, sich das Gesicht zu waschen.

„Eure Mutter und ich haben entschieden, wo ihr euren Sommer verbringen werdet. Freitag ist der letzte Schultag und am Samstagmorgen werdet ihr reisefertig mit einem netten Koffer in der Hand am Bahnhof stehen!“

„Aber das Sommerlager geht es erst in zwei Wochen los!“, meinte Gaia besorgt und schaute zu ihrer Mutter, die das Geschehen im Flur von der Küchentür aus beobachtete.

„Richtig, ihr werdet dieses Jahr nicht ins Sommerlager fahren“, erklärte Giulia, womit sie die Befürchtungen ihrer Tochter bestätigte. „Wir haben gedacht, euch einen Sommer zu bieten, wie wir ihn aus unserer Jugend kennen.“

„Was soll das heißen?“, fragte Gaia, während Helios stumm und mit einem immer düsterer werdenden Gesichtsausdruck dastand.

„Frische Luft und wilde Verfolgungsjagden, schwimmen im Teich und Abende im Dorf“, beantwortete Carlo die Frage seiner Tochter.

Gaia sah, wie ihre Eltern lachten und sich dabei einvernehmlich ansahen und dachte, es sei alles nur ein Scherz.

„Hört auf, euch über uns lustig zu machen. Was ist mit euch los heute Morgen?“

„Niemand macht sich über euch lustig. Tante Ida hat sich angeboten, euch bei sich aufzunehmen“, offenbarte Carlo schließlich seinen Kindern, die ihn ungläubig anstarrten.

„Das ist ein Albtraum, ich gehe wieder schlafen!“, schnaubte Gaia wütend.

„Und ich dachte, du würdest dich darüber freuen“, antwortete ihr Vater.

„Freuen? Ich habe mich bereits mit meinen Freunden verabredet, ich freue mich schon den ganzen Winter darauf, ins Ferienlager zu fahren“.

„Gaia, du wirst auch auf dem Land bei Tante Ida Freunde finden“, versuchte Giulia sie zu trösten.

„Aber wieso? Dort gefällt es mir. Frische Luft und schwimmen im See, das ist alles, was ich brauche“.

„Du brauchst nichts anderes, aber Helios schon, er braucht Tapetenwechsel“, fügte Carlo hinzu.

„Wusste ich es doch, es ist wegen Helios!“, sprang Gaia auf. „Dann schickt ihn doch allein aufs Land zu unserer Tante.“

„Wir wollen nicht, dass er allein fährt“, erwiderte Giulia.

„Ich bin doch nicht sein Babysitter!“

„Aber du bist die große Schwester. Hast du denn gar nichts dazu zu sagen, Helios?“, fragte Carlo.

Helios sagte nicht ein Wort, er zuckte nur mit den Schultern.

Das brachte Gaia zur Weißglut:

„Du sagst nichts? Dir ist ja sowieso alles gleich, sag es Mama und Papa, dass du auch auf dem Land nicht vorhast, irgendetwas zu tun“.

Helios nickte zustimmend mit dem Kopf.

„Hör auf damit, Gaia! Die Entscheidung ist gefallen. Libero, euer Cousin, kommt euch abholen“, beendete Carlo das Gespräch.

Gaia lief enttäuscht und wütend davon.

„Sie wird sich wieder fangen“, sagte Giulia, die die optimistische Lebenseinstellung ihrer Tochter kannte.

Helios schlich in sein Zimmer zurück.

Carlo war verblüfft aber überzeugt, dass die getroffene Entscheidung seit Jahren die beste war.



So kam der nächste Freitag, Carlo holte seinen Neffen vom Bahnsteig ab: Es war schön, ihn wieder in die Arme zu schließen.

Libero war ein fröhlicher Bursche, mit einer einfachen und auf jeden Fall nicht konventionellen Art. Er war groß und schlank aber keineswegs mager, hatte große Hände, die es gewohnt waren, die Arbeiten auf dem Bauernhof zu verrichten, und ein sonnengebräuntes Gesicht, Aus dem die grünen Augen hervorstachen. Das braune Haar war kurzgeschnitten und mit Seitenscheitel gekämmt, wie es nach dem Krieg in Mode war. Er umarmte seinen Onkel kraftvoll und redete auf der ganzen Nachhausefahrt wie ein Wasserfall.

Carlo schaute ihn verwundert an, er erinnerte sich an die Zeit, als es im schlecht ging und er immer apathisch und leicht reizbar war. Klar, Libero war kein Genie, aber das einfache Leben, das er führte, machte ihn glücklich und Carlo wünschte sich, Helios könnte ebenso unbeschwert sein. Libero saß schon im Auto seines Onkels, drückte seine Nase gegen die Scheibe und stellte Fragen zu allem, was er sah.

Zu Hause wurde er schon von allen erwartetet.

Giulia war aufgeregt, während sie die Koffer fertig packte, jetzt war der Moment gekommen und sie fragte sich, wie die Dinge laufen würden. Ihr Gluckeninstinkt gewann die Oberhand.

Gaia hingegen hatte den Schock bereits verdaut, sie lief ihrer Mutter hinterher und stellte tausend Fragen darüber, was es auf dem Bauernhof alles zu tun und zu sehen gab.

Sie waren nicht mehr dort gewesen, seit sie noch sehr klein waren und ihre Großeltern noch lebten. Außer einer vagen Erinnerung an die Felder oder den Geruch der Bäume, mit denen sie Verstecken spielten, gab es fast nichts, woran sie sich noch erinnern konnten.

Nach dem Tod ihres Mannes, hatte die Tante Schwierigkeiten gehabt, ihr Leben neu zu organisieren und beschlossen, mit ihren Kindern auf den inzwischen verlassenen, alten Bauernhof ihrer Eltern zu ziehen.

Gaia hörte den Schlüssel in der Wohnungstür und beeilte sich, ihren Cousin zu begrüßen, der sie in den Arm nahm, wie er es mit ihrem Vater getan hatte, und sie wie auf einem Karussell herumwirbelte. Gaia lächelte, diese Art Zuneigung hatte sie nicht erwartet.

„Hallo Libero, wie geht's dir?“, begrüßte sie ihren Cousin, den sie lange nicht gesehen hatte, herzlich.

„Gut, meine Kleine“, antwortete Libero.

Inzwischen war Giulia auch dazu gekommen. Sie war die einzige, der gegenüber sich Libero wie ein Kavalier benahm und mit einem hastigen Kuss auf die Wangen begrüßte.

„Wie war deine Reise?“, fragte Giulia zuvorkommend.

„Gut, die eiserne Kuh ist wirklich bequem und schnell zum Reisen und die Stadt ist voller interessanter Dinge. Es ist schön, hier zu sein!“

„Setz dich doch, du bist bestimmt müde. Möchtest du ein Eis?“, fragte Giulia weiter.

„Ja, danke, Tante Giulia. Ich liebe Eis“, nahm Libero das Angebot begeistert an. „Aber wo ist denn Helios?“

„Helios ist in seinem Zimmer, er kommt gleich“, sagte Carlo, der auf seinen Sohn wütend war, weil er es nicht für nötig erachtete, seinen Cousin zu begrüßen, der die ganze Reise gemacht hatte, nur um ihn abzuholen. Er wollte ihn aus seinem Zimmer holen.

„Nein, nein Onkel Carlo“, hielt ihn Libero zurück. „Lass mich das machen, ich will ihn überraschen. Sag mir einfach, welches sein Zimmer ist.“

Nachdem Carlo es ihm gezeigt hatte, stürzte sich Libero in das Zimmer, wo man seine Freudenrufe hörte, während er ihn begrüßte.

Nicht einmal Helios gelang es, trotz seiner kühlen Distanziertheit, der wirbelnden Umarmung zu entgehen.

Gaia sah ihre Mutter überrascht an und flüsterte: „Ich hatte ihn gar nicht als einen solchen Dummling in Erinnerung!“

„Sag doch nicht so was“, ermahnte sie Giulia hastig, „er ist ein netter Junge und auch sehr gutherzig.“

„Ja, aber...bist du sicher, dass er uns an unser Reiseziel bringen wird?“, fragte Gaia verdutzt.

„Aber natürlich!“, beruhigte sie Carlo. „Unterschätze ihn nicht, er führt zusammen mit seiner Mutter den Bauernhof. Er ist stark und klug.“

Es wurde Zeit fürs Abendessen und die Stimmung war sehr ausgelassen, mit all den farbigen Geschichten, die Libero vom Land mitgebracht hatte - natürlich für alle, außer für Helios.

„Ich kann es kaum erwarten, euch alles zu zeigen“, sagte Libero am Ende seiner Beschreibung des Bauernhofs zu seiner Cousine und seinem Cousin.

„Bist du sicher, dass du nicht ein paar Tage bleiben möchtest, bevor du wieder abreist?“, fragte Giulia.

„Ich kann Mama im Moment nicht allein lassen, es gibt so viel zu tun.“

„Du hast recht, Libero, du bist wirklich ein guter Junge", lobte Carlo ihn und klopfte im liebevoll auf die Schulter.

„Weißt du, Onkel Carlo, ich hab da noch eine Frage zum Auto, bevor ich in die Stadt kam, dachte ich, dass die Hupe an den Autos nur im Gefahrenfall gebraucht...“

„Natürlich“, antwortete Carlo, „warum fragst du?“

„Weil ich den Eindruck habe, man benutzt sie hier von allem zum Feiern, die Leute hupen ein einem fort!“

Alle, außer Helios, brachen in schallendes Gelächter aus und fragten sich insgeheim, ob Libero diese Naivität nur spielte oder ob er tatsächlich so war ...


Kapitel Drei



Als sie sein Entsetzen bemerkte, fing sie an zu lachen.



Am nächsten Morgen wurde Giulia unsanft von Libero geweckt, als er im Korridor über den Teppich stolperte. Und so kam es, dass er und seine Tante gemeinsam frühstückten, bevor alle anderen aufwachten. Als der frische Kaffeeduft Carlos Schlafzimmer durchflutete, gesellte er sich ebenfalls dazu und so erzählten er und Giulia, was mit Helios los war.

„Macht euch keine Sorgen“, beruhigte Libero sie, „diese Erfahrung weg von zu Hause wird ihm eine Hilfe sein und Mama hat auch schon einen Angriffsplan vorbereitet!“



Am Bahnhof ermahnte Giulia ihre Kinder in einem fort, sich bei ihrer Tante anständig zu benehmen.

Gaia hielt es vor Aufregung und Neugier kaum mehr aus, während man Helios wie üblich schon von weitem ansehen konnte, dass er in diese Geschichte hineingezwängt worden war. Er zog Gaias schweren Koffer hinter sich her, weil Libero ihn dazu gezwungen hatte: „Ein Fräulein trägt keine schweren Lasten!“, dieser Cousin hatte ihn schon ganz mürbe gemacht.

Libero, der eine Jeans und ein T-Shirt und dazu eine ockergelbe Mütze vom Katastrophenschutz trug, die seinem Cousin und seiner Cousine unpassend erschien, schleppte das ganze restliche Gepäck so mühelos, als ob es leere Koffer wären.

Der Zug verließ den Bahnhof pünktlich nach Fahrplan. Nur sie drei besetzten das Abteil. Libero hob die Koffer auf die Gepäckablage und schlug vor:

„Komm, Gaia, lass uns in den Restaurantwagen gehen und einen Snack besorgen, wir werden erst spät auf dem Bauernhof eintreffen und bis dahin solltet ihr bei Kräften bleiben. Helios wird in der Zwischenzeit auf die Koffer aufpassen, es wird sich niemand an unseren Sachen vergreifen. Falls doch, dann knurr ganz einfach!“ meinte er und grinste seinen Cousin dabei an. „Und wenn du nicht eingeschnappt bist, bringen wir dir auch was zu essen mit...“

Libero und Gaia verließen zusammen das Abteil, zur großen Erleichterung von Helios, der nun endlich allein sein konnte.

Er starrte aus dem Fenster in die monotone Landschaft. Sie hatten gerade das Industriegebiet hinter sich gelassen und man konnte die ersten bestellten Felder sehen. Sein Blick schweifte über Felder, Felder und noch mehr Felder und dann über Hügel, Hügel und noch mehr Hügel und Felder.

Plötzlich sah er das Spiegelbild eines Mannes im Fenster, er saß auf dem Sitz in der benachbarten Sitzreihe, auf der anderen Seite des Ganges.

Wann war er ins Abteil gekommen? Helios hatte das Öffnen der Tür nicht bemerkt.

Der Mann war ganz in Schwarz gekleidet und trug eine seltsame Brille auf der Nase. Er las ein Buch mit einem schwarzen Ledereinband. Die Seiten waren aus Seidenpapier. Das Buch schien gut hundert Jahre alt zu sein. Auf dem Kopf trug er einen Hut mit großer Krempe, die sein Gesicht verdeckte. Er wirkte zugegebenermaßen alles andere als vertrauenerweckend.

Helios drehte sich nicht um, sondern beobachtete das Spiegelbild weiter durch die Fensterscheibe. Allein mit diesem Kerl zu sein, machte ihm Angst. Jetzt wünschte er sich, dass sein großer, starker Cousin so schnell wie möglich ins Abteil zurückkehren würde, aber von ihm und Gaia war weit und breit nichts zu sehen.

Währenddessen las der Mann weiter in seinem Buch und hielt nur gelegentlich inne, um auf eine alte Uhr zu schauen, die er aus der Westentasche, unter seinem eleganten aber altmodischen Anzug zog.

Das brachte Helios noch mehr auf die Palme. Er fragte sich, worauf er wartete, es musste sich ganz sicher um etwas sehr Wichtiges handeln, wenn er ununterbrochen auf die Uhr schaute.

Dann, nachdem der Mann ein weiteres Mal auf seine Uhr geschaut hatte, klappte er das Buch plötzlich zu und bückte sich, um etwas aus seiner schwarzen Tasche zu holen, die zwischen seinen Beinen auf dem Boden stand. Die leicht hochgezogenen Hosenbeine gaben den Blick auf die schwarzen, mageren Knöchel und die seltsamen Socken frei, die wie schwarzes Fell aussahen.

Helios konnte seine Angst nicht mehr unter Kontrolle halten und fing an zu zittern. Da fing der Mann, während er weiter in der Tasche kramte, an zu lachen, so als hätte er sein Entsetzen bemerkt. Es war ein tiefes, schauriges Lachen, das in Helios Ohren widerhallte und um es nicht länger hören zu müssen, hielt er sich mit beiden Händen die Ohren zu. Er schloss die Augen, um das Spiegelbild dieses Mannes im Fenster nicht länger sehen zu müssen und betete im Stillen: „Mach, dass Libero zurückkommt, mach, dass Libero zurückkommt“.

Die Tür zum Abteil öffnete sich mit entschiedenem Schwung.

„Helios, was machst du da? Hast du dir in der Stadt eine Ohrenentzündung eingehandelt? Du willst doch hoffentlich nicht uns arme Bauerntölpel mit diesem Virus für zivilisierte Stadtmenschen umbringen!“

Helios zuckte zusammen, dann, als er die scherzende Stimme seines Cousins erkannte, drehte er sich um und sah Libero, der mit einer Tüte und einem Getränk in der Hand auf der Türschwelle stand und lachte. Hinter ihm biss Gaia in ein riesiges Croissant.

Von dem Mann keine Spur, wie er aufgetaucht war, war er auch wieder verschwunden. Es war alles verschwunden: der Mann, sein Buch, seine Uhr und seine Tasche.

Libero setzte sich neben ihn, gab ihm ein Croissant und bemerkte, dass er zitterte.

„Ist etwas passiert?“, fragte er ihn.

„Ich denke, ich bin nur etwas reisekrank vom Zugfahren ...“, log Helios.

Gaia verstand, dass ihr Bruder einen seiner Anfälle bekommen hatte und nahm sich vor, Libero unter vier Augen davon zu erzählen.

Der Rest der Reise verlief ohne weitere Zwischenfälle. Libero erzählte den Freunden vom Erntefest, das in Kürze stattfinden würde und an dem alle Nachbardörfer teilnahmen. Die Veranstaltung würde im Freien stattfinden, mit Volkstänzen wie der Taranta, aber auch mit moderneren Tänzen.

Helios blickte seine Schwester und seinen Cousin an und fragte sich, wie die beiden so schnell auf eine Wellenlänge gekommen waren. Aber er war froh, nicht allein zu reisen, diese seltsamen Ereignisse fingen an, ihn zu beunruhigen. War er das Opfer einer Verschwörung oder sollte er anfangen an seiner geistigen Gesundheit zu zweifeln?

Libero wurde aufgeregt, es war an der Zeit, sich zum Aussteigen vorzubereiten. Aus dem Fenster hatte er das Haus von Frau Gina gesehen, das er als Orientierungspunkt gewählt hatte. Der Zug hielt an, er trug alle Koffer, während Gaia die Wagentür öffnete und nach draußen sprang, sie war aufgeregt wie jemand, der wie sie sehr wenig reiste.

Die Einheimischen bezeichneten das, was nicht mehr als eine Haltestelle war, als Bahnhof. Der einzige Komfort waren ein Unterstand mit einem undichten Dach und ein Fahrkartenautomat, der immer außer Betrieb war und zu allen Passanten sagte: „Wir weisen darauf hin, dass der Bahnhof unbewacht ist. Seien Sie vorsichtig vor Taschendieben!“.

Libero holte tief Luft und meinte:

„Endlich kann man wieder atmen! Herzlich willkommen in Campoverde.“

„Ich rieche schon den Duft der Felder“, bemerkte Gaia, „Riechst du es nicht auch, Helios?“

Helios bemerkte keinen Unterschied zur Stadt und zuckte nur mit den Schultern.

„Helios, du nimmst Gaias Koffer, ich trage den Rest“, befahl Libero.

Gaia amüsierte dieses Kavaliersverhalten, das sie in anderen Situationen als störend empfunden hätte. Es war aber so natürlich, dass sie das Spiel amüsiert mitspielte. Vielleicht hatte sie zu voreilig über ihren Cousin geurteilt, so ein Dummling war er eigentlich gar nicht ...

Gaia und Libero gingen wohlgelaunt am Automaten, der zum x-ten Mal denselben Satz wiederholte, vorbei in Richtung Unterführung.

Helios musste Gaias riesigen Koffer mit beiden Händen packen, um die Treppen der Unterführung hinunter und dann wieder hinauf zu steigen. Das war echt anstrengend.

Er war überzeugt, dass die Tante mit ihrem Auto auf sie wartete, sodass er auf den letzten Stufen alle seine Kräfte zusammenraffte.

Aber draußen vor dem Bahnhof angekommen, erwartete sie nur ein leerer Parkplatz. Libero bog zusammen mit seiner Cousine links auf eine enge und mehr schlecht als recht gepflasterte Straße ab. Auf beiden Seiten der Straße gab es nur zwei Wasserkanäle, die die Straße auf der einen Seiten von den Maisfeldern und auf der anderen von den Weizenfeldern trennten.

Helios schnappte nach Luft und schrie ihnen verzweifelt zu, anzuhalten. Seine Schwester drehte sich verwundert um, sie hatte ihren Bruder seit Jahren nicht mit lauter Stimme sprechen, geschweige denn, derart schreien hören.

„Wo ist Tante Idas Auto?“, fragte Helios.

„Oh, ich habe vergessen zu sagen, dass sie mich vorhin angerufen hat, um mir zu sagen, dass sie nicht kommen kann. Camilla, unsere Kuh, könnte jede Minute kalben und sie kann sie nicht allein lassen“.

„Camilla, kalben? Aber wie sollen wir das schaffen?“, fragte Helios, außer Atem.

„Keine Sorge, es sind nur vier Kilometer bis zum Bauernhof“, erklärte Libero mit ruhigem Tonfall.

„Vier Kilometer?“, waren Helios letzte Worte.

„Komm schon, Mann! Der Koffer deiner Schwester hat sogar Räder!“, spornte Libero ihn an und lief weiter.



Von Weitem konnte man schon die ersten Häuser des Dorfes sehen.

„Da ist es! Das Haus mit dem Kirschbaum davor, das ist unser Bauernhof“.

Libero zeigte auf ein Bauernhaus in venezianischem Rot mit dunkelgrünen Fensterläden. Vor dem Haus gab es einen wunderschönen gepflegten Garten, hinter dem Haus befanden sich der Stall und die Wäscheleinen, und daher erstreckten sich die Felder.

„Mama, wir sind da!“, rief Libero, während er die Koffer auf dem Fußweg abstellte und zum Stall rannte.

Tante Ida trat vor die Haustür.

„Meine Nichte und mein Neffe!“, rief sie voller Freude.

Gaia fiel ihr um den Hals. Helios näherte sich erschöpft und gab ihr höflich einen Kuss auf die Wangen.

Ida war knapp über fünfzig, aber ihre Schönheit war noch nicht verblasst, auch wenn sie nichts tat, um sie hervorzuheben. Sie war mittelgroß und schlank, gut proportioniert, aber ihre Arme und Beine hatten verjüngte straffe Muskeln, die jeder Langstreckenläufer beneiden würde. Das harte Leben auf dem Bauernhof war ihr tägliches Training. Sie hatte blondes Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, einen hellen Gesichtseint und wunderschöne grüne Augen, wie die ihres Neffen.



Während Libero aus dem Stall zurück kam, rief er fröhlich:

„Camilla hat ein Mädchen bekommen! Es gibt frische Milch!“

Die Tante lud sie ein, ins Haus zu kommen. Der Tisch war gedeckt und in der Luft lag der Duft vom fertigen Mittagessen. Die Freunde aßen hungrig, Gaia hörte nicht auf, ihrer Tante von den Emotionen der Reise zu erzählen.

Nach dem Mittagessen half Gaia der Tante, die Küche aufzuräumen, während Libero Helios hinter sich her über den Bauernhof schleppte und ihn bat beziehungsweise befahl, ihm bei allen Arbeiten zur Hand zu gehen.

Am Abend erklärte ihnen die Tante, dass sie im Wohnzimmer auf dem Schlafsofa schlafen müssten, bis sie den Dachboden in Ordnung gebracht hätten, der ihr Sommerquartier sein würde.

Gaia eilte hinter ihrer Tante die Treppen hinauf, um den Dachboden zu besichtigen. Helios dagegen war von dieser weiteren schlechten Nachricht schockiert.

Sie stiegen in den ersten Stock, wo sich die Schlafzimmer der Tante, von Libero und Ercole, dem Nesthäkchen der Familie, der im Scout Camp war, befanden. Ida zeigte ihr die Holzleiter, die auf den Dachboden führte. Sie selbst würde nicht hinaufsteigen, sie war zu müde, um rauf und runter zu klettern. Sie war im Laufe des Tages schon mehrmals dort gewesen, um die Fensterläden zu öffnen und das Zimmer zu lüften.



In der Zwischenzeit ging die Tante in ihr Zimmer, um heimlich mit ihrer Schwägerin Giulia zu telefonieren. Sie wollte sie über die Ankunft der Geschwister informieren.

Giulia ließ das Telefon keine zweimal klingeln.

„Hallo meine Liebe, wie geht es dir?“, fragte Ida.

„Gut, danke. Aber jetzt erzähl‘ doch mal, wie ist es gelaufen?“

„Er hat es geschafft, zu Fuß vom Bahnhof bis hierher zu laufen. Er dachte, ich würde sie mit dem Auto abholen. Aber Libero hat ihm als Ausrede erzählt, dass Camilla, unsere Kuh, kalben musste“, lachte Ida.

„Ich hätte ihn zu gern so schweißgebadet gesehen!“

„Nach dem Mittagessen“, wollte Ida weitererzählen, aber Giulia unterbrach sie.

„Er hat etwas gegessen?“

„Ja, er hat die Nudeln und das Fleisch verputzt.“

„Wow! Zu Hause beißt er nur einmal von einem Brötchen ab.“

„Es wird nicht einfach sein, er sag nichts“, sagte Ida. „Aber du wirst sehen, dass wir ihn ein wenig aufbauen werden.“

Im Hintergrund hörte man Carlo Fragen stellen und lachen.

„Fernseher und Videospiele habe ich verschwinden lassen, wenn schon eine Rosskur, dann richtig.“



Helios lag auf dem Sofa und konnte keinen Muskel bewegen. Seit Jahren hatte er sich nicht so viel bewegt.

In der Schule gelang es ihm immer, mit der einen oder anderen Ausrede, die Sportstunde zu schwänzen.

„Helios, komm schon, ruf bitte deine Schwester, ich brauche jemanden, der mir hilft, das Abendessen vorzubereiten“.

Helios traute seinen Ohren nicht, es schien ihm unmöglich, aufzustehen.

Aber die Tante rief mit dem bestimmenden Ton eines Generals, der keinen Widerspruch zuließ:

„Helios, hast du gehört?“

„Ich geh‘ ja schon“, antwortete er und lief mit einem Begräbnisgesicht zur Leiter.

Unter der kleinen Holzleiter angekommen, blieb er stehen und fing an, nach seiner Schwester zu rufen.

Aber trotz der lauten Rufe ihres Bruders antwortete Gaia nicht.

Immer verzweifelter kletterte er die Stufen hinauf. Das Halbdunkel auf dem Dachboden machte ihm Angst. Der Weg erschien ihm Stufe um Stufe immer endloser. Als er den Kopf durch die rechteckige Luke steckte, rief er erneut nach seiner Schwester, aber wieder bekam er nur Schweigen zur Antwort. Er machte sich Mut und stieg auch die letzten Stufen hinauf. Von oben packte etwas seinen Arm.

Helios blieb erstarrt stehen, die Augen geschlossen. Panik breitete sich auf seinem Gesicht aus.

„Ich hab dich!“, rief Gaia, die ihren Bruder in diesem Zustand sah.

„Geh weg, du blöde Kuh, ich hab´ mir Sorgen gemacht, du hättest mir antworten können.“

Gaia ließ sich nicht provozieren und da sie fasziniert von all den Dingen war, die sie gefunden hatte, sagte sie:

„Dieser Dachboden ist voller seltsamer Sachen. Komm, sieh mal hier ...“

Helios stieg auf den Dachboden und folgte seiner Schwester, die alte Fotos durchblätterte.

„Sieh mal, wie komisch er aussieht“, sagte sie und gab ihm die Fotos.

„Was ist daran komisch?“, fragte Helios.

„Wie was?“ erwiderte Gaia, „erkennst du ihn denn nicht?“

„Wen?“, fragte Helios erneut.

„Na, Papa!“, rief Gaia.

„Papa? Du hast recht, so gekleidet hatte ich ihn nicht erkannt, er sieht Libero ähnlich. Der zieht sich genauso an!“

Endlich kam nach langer Zeit ein Lächeln über seine Lippen. Gaia schaute sich inzwischen neugierig die anderen Fotos an.

„Hast du das gesehen? Er sieht aus wie Libero, als er klein war. Er ist so seriös und schmollend, dass man ihn fast nicht wiedererkennt.“

Auf dem Foto konnte man ein Kind sehen, mager, mit einem starren Blick ins Leere, blass und ausdruckslos.

„Er sieht aus, als ob er von Außerirdischen entführt wurde", meinte Gaia.

Das Bild zeigte ihn im Garten, er hielt seine Spielautos fest in der Hand. Das Foto war in der Dämmerung aufgenommen worden, mit dem Sonnenuntergang im Rücken. Neben seinem langen Schatten war ein zweiter Schatten zu sehen, obwohl das Kind allein auf dem Foto war.

Helios starrte das Foto an und bemerkte besorgt:

„Siehst du diesen Schatten?“

„Welchen?“

Helios wurde aufgeregt:

„Den hier, siehst du den? Der gehört zu keinem Körper“, sagte er und zeigte darauf.

„Der hier? Du irrst dich, der kommt vom Baum“.

Obwohl sie von der Perspektive nicht unbedingt überzeugt war, versuchte Gaia trotzdem, ihren Bruder zu beruhigen.

Helios wollte nicht den Eindruck erwecken, verrückt zu sein, und um nicht wieder auf das Thema zurückzukommen, erklärte er, warum er da war.

„Wir müssen runter, die Tante hat nach dir geschickt, sie braucht Hilfe, um das Abendessen vorzubereiten.

„Bleibst du hier?“, fragte Gaia, sprang wie von einer Tarantel gestochen auf, um zur Leiter zu gehen.

Helios dachte nicht im Traum daran, alleine da oben zu bleiben.

„Nein, ich komme mit dir nach unten“, antwortete er.



Als Gaia in die Küche kam, hatte ihre Tante schon mit den Vorbereitungen für das Abendessen begonnen und sie machte sich sofort nützlich.

Helios wollte die Beine hoch legen und sich auf dem Sofa ausstrecken, als Idas Stimme ihn aufschreckte.

„Was machst du da? Komm schon, komm her und hilf uns. Es ist noch nicht Zeit, sich auszuruhen, du kannst den Tisch decken.“

„Wo ist Libero?“, fragte Gaia.

„Er ist sicher dabei, die Ställe zu schließen“, antwortete Ida. „Helios, warum gehst du ihn nicht holen, sobald du hier fertig bist“

„Ich gehe“, bot sich Gaia fröhlich an.

„Nein, dich brauche ich hier, lass deinen Bruder nur gehen“.

„Ja“, antwortete Helios erschöpft, der seltsamerweise einen Bärenhunger hatte.

Draußen vor der Haustür hielt er Ausschau nach seinem Cousin, der draußen auf den Feldern auf dem Traktor saß und in den Himmel schaute.

Helios kam laut rufend näher, heute schienen alle ihr Gehör verloren zu haben, so wie Gaia antwortete jetzt auch Libero nicht auf sein Rufen.

„Hoffen wir, dass es ansteckend ist, so verliere ich auch das Gehör und kann mich hinlegen, ohne auf irgendwen hören zu müssen", dachte Helios.

Er musste die ganze Strecke bis zum Traktor zurücklegen, bevor er eine Antwort bekam.

„Warum schreist du so?“, fragte Libero.

„Es ist Zeit nach Hause zu kommen, das Abendessen ist fertig“, antwortete Helios.

„Komm hoch“, lud ihn Libero ein, als ob er nicht gehört hätte, was Helios gesagt hatte.

„Ich, da hoch?“

„Ja, hier hoch, ich zeig dir was.“

Helios kletterte hinauf, Libero machte ein wenig Platz und sie setzten sich zusammen hin.

„Sieh nur, wie herrlich!“, rief Libero aus und zeigte auf den Himmel. „Kannst du dir vorstellen, dass ich bis vor ein paar Jahren nicht in der Lage war, ihn zu sehen?“

„Was?“, fragte Helios und versuchte Gott weiß welche Seltsamkeit zu entdecken.

„Den Himmel“, antwortete er.

„Den Himmel?“

„Ja, den Himmel, er ist so wunderschön, aber oft heben wir für eine lange Zeit unseres Lebens nicht den Kopf, um ihn anzuschauen. Damit meine ich nicht, ihn zu betrachten, um zu sehen, wie das Wetter ist, sondern ihn still zu bewundern, so wie das Meer, das sich mehr auf Augenhöhe befindet und deshalb häufiger geschätzt wird. Bleibst du jemals stehen, um ihn zu beobachten?“

„Nein“.

„Das solltest du aber. Das hat eine sehr belebende Wirkung und rückt viele Dinge in den richtigen Blickwinkel.“

Helios war erstaunt über die tiefen Gedanken seines Cousins und schwieg eine Weile mit ihm, um ihn zu betrachten.

Die blendend weißen bis rauchfarbenen Wolken hingen zwischen zwei Himmelslagen, einem bleiernen Himmel unter ihnen und einem türkisfarbenen über ihnen. Die Schattierung vermischten sich mit den ockerfarbenen Nachklängen einer inzwischen fast untergegangenen Sonne, die das Licht auf sie warf und ihren Scheitel Gold färbte, sodass der Eindruck entstand, das Licht aus einer anderen Welt zu sein, das dort war, um ein Leben zu erleuchten, das auf ihnen stattfand. Dicht, wie Eischnee, die weißen und chaotisch, wie der Malausbruch eines dreijährigen Jungen, die grauen.

Unter allen Wolken erregte eine seine besondere Aufmerksamkeit. Sie hatte die Gestalt eines Einhorns, die sich dunkel vor dem weißen Hintergrund abzeichnete, als würde das graue Tier über die weißen Himmelsweiden rennen. Genau wie in einem Fresko von Tiepolo, streckte sich diese natürlich aufgebrochene Decke ins Unendliche, jenseits des Sichtbaren empor, in ein Mysterium, dem gegenüber sich unsere Seelen klein und gleichzeitig unsterblich fühlen.

Libero sprang plötzlich vom Traktor.

„Jetzt habe ich Hunger“, sagte er laut lachend.

„Hast du keinen Hunger, Helios?“

„Doch, hab ich.“

„Also komm runter und lass uns essen gehen, vielleicht lasse ich dich beim nächsten Mal eine Runde mit dem Traktor fahren.“

Und dann machte er sich auf den Heimweg.

Helios vergeudete keine Zeit und folgte ihm, der Hunger machte sich wieder bemerkbar.


Kapitel Vier



Wie ein böses Omen, hauchte sie ihm Worte in einer fremden Sprache ins Ohr



Helios stand früh auf, es war unmöglich, seine Tante, die schon beharrlich nach ihm rief, zu ignorieren. Draußen war gerade die Sonne aufgegangen, er schaute in den dämmernden Himmel und dachte für einen Moment an den Sonnenuntergang vom Vorabend, an das Gefühl von Frieden, das er in diesen Augenblicken gespürt hatte. Aber das war von kurzer Dauer. Seine Ohren fingen an zu pfeifen, ein stummes, stechendes Pfeifen, das ihm die Seele zerschnitt und ihn in die kalte Realität zurück brachte.

Helios schleppte sich noch im Pyjama in die Küche, in der Hoffnung, mit dem Frühstück etwas aufzuwachen.

Tante Ida, sein Cousin und seine Schwester saßen schon fertig angezogen und gekämmt da, als ob es schon acht Uhr morgens und nicht erst fünf Uhr dreißig wäre! Es herrschte eine festliche Stimmung, sein Cousin Ercole sollte heute aus dem Scout Camp nach Haus kommen. Ida freute sich auf die Rückkehr ihres Sohnes. Er war fünf Tage weg gewesen, aber seit Libero damals den Unfall gehabt hatte war sie immer in Sorge, wenn ihre Kinder außer Haus waren und sie würde sie am liebsten nie aus den Augen verlieren wollen.



Als der Feldwebel Ida den ungehorsamen Helios erblickte, schickte sie ihn rücklinks aus der Küche, um sich zu waschen und anzuziehen.

Ida war eine energische Frau, die von den Höhen und Tiefen des Lebens gezeichnet war. Nach dem Tod ihres Mannes und den Problemen mit ihrem Sohn musste sie sich einem völlig neuen Lebensstil anpassen, der vollkommen anders als der einer Stadtbewohnerin war, der die ersten Jahre ihrer Ehe geprägt hatte.

Hart und entschlossen hatte sie sich dieser neuen Herausforderung gestellt. Mehr als einmal war sie auf sich allein gestellt und verzweifelt in Tränen ausgebrochen, aber sie hatte sich nicht unterkriegen lassen.

Doch sollte man sich von ihrem Auftreten wie ein General nicht täuschen lassen, im Innern war Ida weich wie der flüssige Kern in einem Soufflé.



Kurz darauf kehrte Helios fertig angezogen und mehr oder weniger ordentlich zurück, obwohl seine Stimmung düster war und er nach wie vor Hunger hatte.

Es duftete nach Milch und Schokolade, aber vor allem lag noch der Duft der riesigen Plätzchen in der Luft, die seine Tante am Vortag gebacken hatte.

Riesige Milchgebäck-Zöpfe, die mit verschiedenen Gewürzen wie Zimt, Anis und natürlich seinen heiß geliebten Sesamkernen, die nicht fehlen durften, zubereitet wurden.

Seine Schwester und Libero tauchten sie bereits in ihre Milch ein.

Libero fragte ihn:

„Weißt du, wer heute nach Hause kommt?“

Helios war erstaunt über die Frage:

„Wen?“, fragte er.

„Ercole, mein kleiner Bruder!“

Helios erwiderte nichts, er hatte seinen gleichaltrigen Cousin völlig vergessen.

„Wo war er denn?“, fragte er, als hätten sie sich nicht schon am Vortag darüber unterhalten.

„Wie, wo war er?“ fragte Gaia, „Tante Ida hat es doch gestern erzählt.“

„Er kommt aus dem Scout Camp nach Hause“, sagte Libero lächelnd.

„Heute wartet der Dachboden auf euch“, meinte die Tante mit einem Ton, der keine Widerworte duldete. „Beeil dich, Helios, beende das Frühstück und mach dich an die Arbeit. Gaia kommt etwas später nach, um dir zu helfen, sie muss zuerst eine Besorgung für mich erledigen“.

Helios trank seine Milch in einem Zug aus und fühlte sich erleichtert, dass er für eine Weile allein und in Frieden auf dem Dachboden sein konnte. Er genoss die Vorstellung, sich die Kopfhörer seines geliebten mp3-Players in die Ohren stecken zu können.

Er suchte nach dem Gerät, konnte es aber nicht finden, also kam er in die Küche zurück und fragte:

„Hat jemand meinen Player gesehen?“

„Der ist gestern leider einem Unfall zum Opfer gefallen. Du hattest ihn auf dem Sofa liegen lassen und als ich das Sofa ausgezogen habe, um das Bett für euch herzurichten, ist er in den Ausziehmechanismus geraten ... es ist nicht viel übrig geblieben, aber ich habe die Speicherkarte aufbewahrt“, erzählte Tante Ida, während sie die Karte, von einem Zierteller auf dem nahm holte, um sie ihm zu geben.

Der Tag hatte wirklich schlecht begonnen, dachte der Junge, stieg mit der ihm typischen Langsamkeit die Leiter zum Dachboden hinauf und schaltete das Licht ein.

Überall stapelten sich Sachen, der Raum musste geputzt werden und es musste ein Platz geschaffen werden, wo sie die Betten aufstellen konnten - das war ehrlich gesagt zu viel Arbeit für ihn allein. Also beschloss Helios, das große mittlere Fenster zu öffnen, um Luft und Licht herein zu lassen und sich dann irgendwo entspannt hinzusetzen, um auf Gaia zu warten.

Seine Augen erblickten etwas, das ihn erstarren ließ. Ein Buch auf einer alten Holzkiste, wie das, das der seltsame Mann im Zugabteil gelesen hatte.

Wirklich eine seltsamer Zufall, das Buch war sicherlich kein aktueller Bestseller, das beunruhigte ihn. Plötzlich ging das Licht aus und Helios hörte eine seltsame Stimme, die ihm wie ein böses Omen Worte in einer fremden Sprache ins Ohr hauchte.

Obwohl er wusste, dass es unmöglich war, hatte er panische Angst, dass sich der Mann dort im Dunkeln aufhalten könnte. Er suchte nach dem Lichtschalter, konnte das Licht aber nicht wieder einschalten, die Glühbirne musste durchgebrannt sein. Eine tiefe Angst ergriff ihn, während die Stimme immer lauter in seinem Kopf widerhallte. Er versuchte, sich zum Fenster vorzutasten und schleifte dabei alle Gegenstände, die im Weg lagen, mit sich.

Als er an den Fenstergriff kam, ließ sich das Fenster nicht öffnen, also begann er verzweifelt dagegen zu schlagen, in der Hoffnung, es zu entriegeln.

Er zitterte, kalter Schweiß war ihm ausgebrochen.

Plötzlich ging das Licht an, Helios drehte sich schnell um, er hätte schreien wollen, aber die Stimme blieb ihm im Hals stecken.

Er erblickte Gaia.

„Helios, geht es dir gut? Was ist das für ein Lärm? Hast du dir weh getan?“

Der Junge war weiß wie ein Bettlaken, hatte einen verstörten Blick und zitterte.

Gaia nahm ihn zutiefst besorgt in den Arm und flüsterte:

„Ist alles gut? Es ist wieder passiert, stimmt´s? Diese seltsame Sache, die dich so verstört ...“

Helios antwortete nicht und schaute seine Schwester auch nicht an. Er war noch sehr weit weg, gefangen in seinen Gedanken, unfähig, die Wärme ihrer Umarmung zu spüren, so als wäre er aus Stein.

Langsam löste sich die Umarmung, Helios kam langsam wieder zu sich.

Als erstes drehte er sich um, um zu sehen, ob das seltsame Manuskript wirklich da lag, wo er es gesehen hatte, oder ob er es nur geträumt hatte.

Leider lag es noch da, sein Blick wurde wieder eiskalt.

Gaia, die die ganze Szene beobachtet hatte, näherte sich, um danach zu greifen und heraus zu finden, ob es wirklich der Grund für die Furcht ihres Bruders war. Sie beobachtete Helios Blick und das Buch.

Helios schaute genau dorthin, sie drehte sich um und griff danach, drehte sich dann mit dem Buch in der Hand zu ihm um und fragte:

„Ist es das, was dich so beunruhigt?“

Helios schwieg.

„Rede mit mir, Helios. Ich kann dir nicht helfen, wenn du nicht mit mir redest.“

„Der Zug“, flüsterte Helios.

„Der Zug, was bedeutet das, der Zug?“

„Ich sah eine Ausgabe von diesem Buch im Zug“.

„Was findest du daran seltsam?“

„Da saß ein komischer Kerl in der Sitzreihe Reihe neben mir, als ihr im Restaurantwagen wart.“

„Viele Leute lesen, wenn sie unterwegs sind.“

„Aber das ist kein gewöhnliches Buch, siehst du es denn nicht?“ erwiderte Helios aufgeregt.

Tatsächlich hatte Gaia die Besonderheit des Einbandes bemerkt und sie war noch überraschter, als sie das Buch aufschlug.

Es war in einer ihr fremden Sprache geschrieben, die Bilder, alle in schwarz-weiß, zeigten seltsame Figuren in Wäldern und bei Vollmond. Viele dieser Figuren waren, gelinde gesagt, Furcht einflößend.

Gaia gab vor, sie nicht zu bemerken, klappte das Buch sofort wieder zu und warf es in eine Ecke, um ihre Gleichgültigkeit vorzutäuschen.

„Komm schon, es ist nur ein Zufall, und das ist nur ein altes Buch“.

Helios war schon wieder in sein Schweigen zurückverfallen, es surrte wieder in seinen Ohren.

Das Mädchen versuchte, den Bruder abzulenken, obwohl diese gespenstischen Bilder ihr nicht aus dem Kopf gehen wollten.

„Komm, hilf mir, lass uns diese Kisten ins Licht schieben und fangen wir an, Platz unter dem Oberlicht zu schaffen. Ich möchte unser Bett dort aufstellen. Leider werden wir im selben Bett schlafen müssen und ich möchte beim Einschlafen auf die Sterne schauen.

Sie arbeiteten den ganzen Vormittag lang und legten dabei ein gutes Tempo vor. Mit ihrem Geplapper gelange es Gaia ihren Bruder, der nach dem Vorfall mit etwas mehr Energie zu reagieren schien, abzulenken.

Sie verbrachten auch einen Großteil des Nachmittags mit Putzen und Aufräumen, bis Tante Ida sie aufforderte, sich zu waschen, da Ercole am Abend eintreffen würde und das sollte gefeiert werden.

Libero hatte versprochen, sie zum Tanzen auszuführen, im Dorf sollte das jährliche Erntefest stattfinden.

Draußen war die Hupe des alten Busses zu hören, der zweimal wöchentlich ins Dorf kam, nachdem er die verschiedenen Ortsteile der Stadt hinter sich gelassen hatte. Die Scouts benutzten ihn, um vom Camp in Tresentieri, einem nahegelegenen Wald, nach Hause zu kommen.

Libero sprang aus dem Haus, um seinen Bruder, der noch den übergroßen Rucksack auf den Schultern trug, in der ihm typischen Weise zu packen, herumzuwirbeln und zur Haustür zu ziehen, wo er sich, nachdem er sich aus der Umklammerung seines Bruders befreit hatte, in den Armen seiner Mutter wiederfand.

Ercole freute sich über diesen Ausdruck der Zuneigung, obwohl er es ein wenig übertrieben fand, wo der doch bloß fünf Tage weg gewesen war.

Er begrüßte Gaia liebevoll mit zwei Küssen auf die Wange, die das sehr nett fand. Seinem Cousin dagegen war nur ein kühles „Hallo“ vorbehalten, da er ihn für das Verschwinden des Fernsehers und vor allem seiner geliebten Videospiele verantwortlich machte.

Ercole war genauso alt wie Gaia und in allem das Ebenbild seines mythischen Namensgebers: er war groß, muskulös und athletisch gebaut und Mitglied des Wrestling-Teams im Ort.

Er hatte schwarzes, an den Seiten kurz rasiertes Haar, mit Bürstenschnitt in der Mitte, dunkle Augen und einen olivfarbenen Hautteint. Aber sein „hartes“ Aussehen spiegelte in keiner Weise sein wahres, friedliches Wesen wider, das unfähig war, irgendwelchen Groll zu hegen.



Sie aßen schon früher zu Abend, um ausreichend Zeit zu haben, sich für das Fest herauszuputzen. Zu früh vielleicht, aber andererseits hatte Tante Ida für den Anlass ein Hochzeitsmahl vorbereitet und man brauchte Zeit, um alle Köstlichkeiten aufzutischen.

Auf dem Erntefest könnten sie dann alles verdauen.



Am längsten ließen natürlich die beiden Damen des Hauses wegen ihrer Vorbereitung auf sich warten. Helios hatte wenig Lust, er war so, wie er sich vor dem Frühstück angezogen hatte, schon startklar. Ercole zog eine Jeans an und schmierte sich ein paar Kilo Gel ins Haar, das spurlos darin verschwand.

Libero war unter den Männern derjenige, der die meiste Zeit benötigte. Er kam erst aus seinem Zimmer, als er fertig war. Er strahlte, er trug eine blaue Caprihose mit einem Hemd darüber, das die Hawaiianer für übertrieben gehalten hätten, ihm aber durchaus gut stand.

Seine Augen funkelten, dieses Dorffest war eines seiner liebsten.

Sobald alle fertig waren, versuchte Helios vergeblich, dieser Qual zu entgehen, aber er wurde von der Begeisterung seiner Tante überwältigt, die fast nicht wiederzuerkennen war. Sie trug ein schwarzes Blumenkleid, Schuhe mit Absätzen, offenes Haar und Make-up. Sie hakte sich bei ihm ein und führte ihn aus dem Haus.



Auf der Straße konnte man neben den herkömmlichen Lichtern und bunten Fähnchen die Dekorationen bewundern, die die Veranstalter des Festes dieses Jahr angefertigt hatten.

Am Straßenrand schmückten Heuballen in allen nur erdenklichen Formen und Größen das Dorf.

Im Zentrum war das Denkmal der Gefallenen von riesigen Strohrollen umgeben.

Auf dem Hauptplatz gab es eine Bühne, auf der die Blaskapelle ihre Instrumente arrangierte.

Rund um die Tanzfläche standen Stühle, auf denen die älteren Menschen bereits Platz genommen hatten und sich unterhielten, während sie darauf warteten, der Jugend beim Tanzen zuzusehen. Die Jüngsten rannten bereits auf der Tanzfläche herum und imitierten die Großen, die sie bei den Tänzen, die in Kürze beginnen würden, behutsam meiden würden.

Hauptgesprächsthema an diesem Abend war die Ankunft im Dorf von Gaia und Helios, den Kindern von Carlo und Giulia. Die älteren und erwachsenen Dorfbewohner erzählten sich von den Erinnerungen an die Jahre, die die beiden im Dorf verbracht hatten.

Wie üblich, gab es einige Ungereimtheiten: die einen hatten die beiden als Draufgänger in Erinnerung, andere als gute Menschen, während die ehemaligen Schulfreunde sich an die geschwänzten Schultage erinnerten, die sie mit Spielen und Faulenzen auf den Feldern verbracht hatten.

Die einen erkannten in Helios das Gesicht seines Vaters, die anderen in Gaia, andere wieder meinten in keinem der beiden irgendeine Ähnlichkeit zu erkennen und machten die Großeltern dafür verantwortlich.

Das Blasorchester begann die Instrumente aufzuwärmen. Es war fast alles bereit. Der Moderator oder besser gesagt der Mann, der jedes Jahr die Ansprache hielt, lud die üblichen Amtsträger des Dorfes ein, auf die Bühne zu kommen.

Schließlich beendete er seine Rede und auch die Danksagungen an die Sponsoren, begleitet vom allgemeinen Desinteresse der Bürger, die anfingen zu gähnen. Jetzt klatschten sie Beifall, in der Hoffnung, dass die Reden beendet waren und das Orchester endlich zum Tanz aufspielen könnte.

Sobald bekannt wurde, dass der Pseudo-Moderator die Bühne verlassen würde, nahm der Applaus zu. Der Dirigent machte einen kleinen Sprung und mit einer Handbewegung schwenkte er den Dirigentenstab zum Auftakt der Posaunen. Im Takt folgten das Schlagzeug, dann die Saxophone und schließlich die Klarinetten.

Der erste, der auf die Tanzfläche sprang, war Libero, zusammen mit seiner Lieblingspartnerin, mit der er jedes Jahr den Tanz eröffnete. Entgegen der Vorstellung, die man sich aufgrund der Beschreibung von Libero machen könnte, war er ein anmutiger Tänzer und die Frauen des Dorfes liebten es, jedes Jahr mindestens eine Runde mit ihm auf der Tanzfläche drehen zu können. Das galt sowohl für die jüngeren als auch für die älteren Damen, denen er es nie an Aufmerksamkeit fehlen ließ. Er liebte es zu tanzen und konnte diese Leidenschaft vermitteln, ohne mehr Interesse als tanzen an seinen Tanzpartnerinnen zu haben.

Die Tanzfläche füllte sich, Gaia erhielt eine Reihe von Tanzaufforderungen, die sie nicht abwies.

Helios hatte einen Augenblick lang ein seltsames Gefühl, ohne es zu merken, hatte sein Fuß angefangen, im Takt zu wippen.

Sobald der Tanz unförmlicher wurde und bevor er sich weigern konnte und man sich nur an der Hand halten und drehen brauchte, ergriff Tante Ida seine Hände, die an seinem Körper baumelten, und tanzte mit ihm am Rand der Tanzfläche.

Seltsamerweise wehrte sich Helios nicht, er spürte einen Augenblick lang, wie ihn der Rhythmus packte, er hatte Spaß und seine Wangen schmerzten bei dieser seltsamen Verrenkung, die seine Gesichtsmuskeln seit Jahren nicht mehr gewohnt waren.

Er schaffte es, von den Händen seiner Tante an die von mehreren neugierigen Mädchen des Dorfes weitergereicht zu werden, die ihn amüsiert anstarrten.

Am Ende der Tanzrunde kehrte Helios auf seinen Platz zurück und spürte, wie ihm das Blut durch die Muskeln schoss. Plötzlich begann das seltsame Pfeifen in seinen Ohren wieder und zwang ihn, sich vom Platz zu entfernen. Die Musik, die ihn kurz zuvor noch amüsiert hatte, wurde ohrenbetäubend.

Er lief zur grünen Wiese neben der Kirche, die voller Oldtimer-Traktoren stand, die dort ausgestellt wurden, und auf der es von kleinen Kindern wimmelte, die sie unermüdlich anstaunten und um sie herum liefen.

Helios setzte sich in eine dunkle Ecke und beobachtete sie.

Das ganze Gelächter hallte in ihm wider und erinnerte ihn an etwas - das Echo eines entfernten, längst begrabenen Glücks.

Er beneidete ein Kind, das glücklich auf den Vater zulief und seine Hand ergriff. In seinem Kopf versuchte eine tief begrabene Erinnerung aufzusteigen: die Wärme und der Geruch der Hand seines Vaters.

Ein stechender Schmerz durchbohrte seine Schläfen, hinderte ihn daran zu denken, er fasste sich mit beiden Händen an den Kopf, ihm war kalt.

„Helios, was machst du hier allein? Ist dir nicht gut?“

Die Tante, die ihn die ganze Zeit nicht aus den Augen verloren hatte, setzte sich zu ihm. Helios antwortete nicht.

Ida legte ihm einen Arm um die Schultern und zog ihn liebevoll an sich. Aber er spürte die Wärme nicht. In seiner Welt war es wieder kalt geworden.



An diesem Abend, als sie zum Bauernhof zurückkehrten, redete Gaia ununterbrochen davon, wie sehr sie sich amüsiert hatte und von ihren neuen Freunden.

Sie schliefen zum ersten Mal auf dem Dachboden, das Bett hatten sie unter dem Oberlicht aufgestellt, genau so, wie Gaia es sich gewünscht hatte, die in die Sterne blickend einschlief.





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Die Welt, in die sich Elio geflüchtet hat, ist möglicherweise nicht seiner Phantasie entsprungen, sondern ein Tuch, das um ihn herum gesponnen wurde. Während der Ferien auf dem Land lernt er eine Hüterin kennen, die ihm die Wahrheit enthüllen wird, und zusammen mit einer fröhlichen Bande von sowohl realen als auch imaginären Freunden kämpft er darum, seine Freiheit zurückzugewinnen In den Abenteuern dieses Jungen lernst du Dämonen, behütete Wesen, Schatten, Bosowe, Jiwon-Wächter und magische Gesänge kennen. Du wirst durch die Welt touren, indem du Ampeln benutzt, dich um einen Affenbrotbaum drehst oder in einer Eiskugel fliegst.

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