Книга - Akte Null

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Akte Null
Jack Mars


“Sie werden nicht schlafen, bis Sie AGENT NULL zu Ende gelesen haben. Ein erstklassiges Werk, mit einer Reihe von gut entwickelten, sehr genießenswerten Figuren. Die Beschreibung der Action-Szenen befördert uns direkt in eine Realität, in der man meinen könnte, man säße im Kino mit Surroundsound und 3D (es würde wirklich einen tollen Hollywood Film abgeben). Ich kann die Fortsetzung kaum abwarten.” -Roberto Mattos, Books and Movie Reviews

In AKTE NULL (Buch #5) kommen Agent Nulls Erinnerungen endlich wieder flutartig zurückgeströmt – und damit auch schockierende Enthüllungen über den geheimen Komplott der CIA, einen Krieg anzufackeln und sein Leben auszulöschen. Doch kann er, verleugnet und auf der Flucht, ihn rechtzeitig stoppen?

Als ein Vorfall in der Meerenge von Hormuz droht, sich zu einem Großkrieg auszubreiten, erlangt Agent Null sein Gedächtnis zurück und damit auch die Chance, die Verschwörung aufzudecken, die seinen Gedächtnisverlust überhaupt erst hervorgerufen hat. In Verruf geraten und nur noch mit wenigen Freunden an seiner Seite kämpft Agent Null allein, um die CIA zu stoppen und gleichzeitig seine Familie zu retten, die im Visier steht.

Doch als er der Sache tiefer auf den Grund geht, kommt eine weitere, noch ruchlosere Verschwörung zum Vorschein. Die verlangt es von ihm, keinem mehr zu vertrauen und alles zu riskieren, um das Land, das er liebt, zu retten.

AKTE NULL (Buch #5) ist ein Spionage-Thriller, den man einfach nicht aus der Hand legen kann. Sie werden bis spät nachts weiterlesen. Buch #6 der AGENT NULL Serie ist jetzt ebenfalls verfügbar.

“Thriller-Schriftstellerei vom besten.” -Midwest Book Review (in Bezug auf Koste es was es wolle)

“Einer der besten Thriller, die ich dieses Jahr gelesen habe.” -Books and Movie Reviews (in Bezug auf Koste es was es wolle)

Jack Mars’ #1 Bestseller LUKE STONE THRILLER Serie (7 Bücher) ist ebenfalls erhältlich. Sie beginnt mit Koste es was es wolle (Buch #1), das gratis heruntergeladen werden kann und über 800 fünf-Sterne-Rezensionen erhielt!





Jack Mars

Akte Null



Copyright © 2019 durch Jack Mars. Alle Rechte vorbehalten. Außer wie gemäß unter dem US Urheberrecht von 1976 ausdrücklich gestattet, darf kein Teil dieser Veröffentlichung auf irgendeine Weise oder in irgendeiner Form, reproduziert, verteilt oder übertragen, oder in einem Datenbank- oder Datenabfragesystem gespeichert werden, ohne zuvor die ausdrückliche Erlaubnis des Autors eingeholt zu haben. Dieses E-Book ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt. Dieses E-Book darf kein zweites Mal verkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch an andere Personen weitergeben wollen, so erwerben Sie bitte für jeden Empfänger ein zusätzliches Exemplar. Wenn Sie dieses Buch lesen, ohne es käuflich erworben zu haben oder es nicht für Ihren alleinigen Gebrauch erworben wurde, so geben Sie es bitte zurück und erwerben Sie Ihr eigenes Exemplar. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit des Autors respektieren. Es handelt sich um eine fiktive Handlung. Namen, Charaktere, Geschäfte, Organisationen, Orte, Ereignisse und Zwischenfälle entspringen entweder der Fantasie des Autors oder werden fiktional benutzt. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen, ob tot oder lebendig, sind zufälliger Natur.



Jack Mars

Jack Mars ist der USA Today Bestseller Autor der LUKE STONE Thriller Serie, welche sieben Bücher umfasst (und weitere in Arbeit). Er ist außerdem der Autor der neuen WERDEGANG VON LUKE STONE Vorgeschichten Serie und der AGENT NULL Spionage-Thriller Serie.

Jack würde sich freuen, von Ihnen zu hören. Besuchen Sie seine Webseite www.jackmarsauthor.com (http://www.jackmarsauthor.com/) und registrieren Sie sich auf seiner Email-Liste, erhalten Sie ein kostenloses Buch und gratis Kundengeschenke. Sie können ihn ebenfalls auf Facebook und Twitter finden und in Verbindung bleiben!


BÜCHER VON JACK MARS

LUKE STONE THRILLER SERIE

KOSTE ES WAS ES WOLLE (Buch #1)

AMTSEID (Buch #2)

LAGEZENTRUM (Buch #3)



EINE AGENT NULL SPIONAGE-THRILLER SERIE

AGENT NULL (Buch #1)

ZIELOBJEKT NULL (Buch #2)

JAGD AUF NULL (Buch #3)

EINE FALLE FÜR NULL (Buch #4)

AKTE NULL (Buch #5)

RÜCKRUF NULL (Buch #6)

ATTENTÄTER NULL (Buch #7)

KÖDER NULL (Buch #8)


EINE FALLE FÜR NULL (Buch #4) – Zusammenfassung

Eine neue Bedrohung gelangt an die Macht und bedroht die Fundamente Amerikas bis zu ihrem Kern zu erschüttern. Es liegt an CIA Agent Kent Steele, den brillanten aber tödlichen Masterplan aufzudecken, bevor er durchgeführt wird – und dabei jenen auszuweichen, die ihn lieber tot als lebendig sähen.



Agent Null: Obwohl es ihm nicht gelang, die Brüderschaft davon abzuhalten, den Midtown Tunnel in New York zu zerstören, zerschlug Agent Null erfolgreich die Terrororganisation und half dabei, tausende Menschenleben zu retten. Während einer geheimen Preisverleihung im Weißen Haus kehren seine Erinnerung plötzlich alle wieder zurück – und damit auch sein Wissen über die Kriegsverschwörung.



Maya und Sara Lawson: Sie haben nun erfahren, was ihr Vater tut, deshalb verstehen Nulls Töchter, dass sie nützliche Ziele für jene sind, die es auf ihn abgesehen haben. Doch sie weigern sich, erneut zu Opfern zu werden, weshalb sie für ihr Alter ungewöhnliche Intelligenz und Hartnäckigkeit beweisen.



Agent Maria Johansson: Maria arbeitet weiterhin mit den Ukrainern zusammen, obwohl Null darauf besteht, dass sie die Verbindung abbricht. Es liegt ihr zwar am Herzen, den Krieg aufzuhalten, doch sie ist genauso entschlossen, herauszufinden, ob ihr Vater, ein hochrangiges Mitglied des nationalen Sicherheitsrates, an der Regierungsverschwörung beteiligt ist – und falls dies nicht der Fall ist, was ihm geschehen könnte, wenn er nicht einwilligt.



Agent Todd Strickland: Der junge CIA Agent und ehemalige Army Ranger war fassungslos, als er durch seinen Freund, Agent Null, von der Regierungsverschwörung hörte. Jetzt, wo er darüber Bescheid weiß, ist er sehr entschlossen, dazu beizutragen, dem ein Ende zu setzen und unschuldige Leute vor einem unnötigen Tod zu bewahren.



Dr. Guyer: Der brillante schweizer Neurologe, der ursprünglich den Gedächtnishemmer in Agent Nulls Kopf implantierte, versuchte seine Erinnerungen anhand einer Maschine, die er selbst erfunden hatte, wiederzuerlangen. Er glaubte, dass der Prozess versagt hatte, doch ist sich nicht dessen bewusst, dass Nulls Erinnerungen verspätet zurückkamen.



Agent Talia Mendel: Die israelische Mossad Agentin half dabei, das Komplott der Brüderschaft sowohl in Haifa als auch New York aufzuhalten. Sie ist sich zwar nicht der Verschwörung bewusst, doch versucht weder ihre Anerkennung noch ihre Zuneigung zu Agent Null zu verstecken und ist dazu bereit, auf jede mögliche Art zu helfen.



Fitzpatrick: Der Anführer der “privaten Sicherheitskräfte” genannt die Division wurde von Deputy Direktorin Ashleigh Riker auf Agent Null angesetzt, um ihn in New York aufzuhalten. Fitzpatrick wurde von einem Auto, das Talia Mendel fuhr, getroffen. Sein Schicksal ist größtenteils unbekannt.




Kapitel eins


Ich bin Agent Null.

Er hatte es schon gewusst, wenigstens während der letzten paar Monate, seitdem der Gedächtnishemmer von den drei iranischen Terroristen, die für Amun arbeiteten, gewaltsam aus seinem Schädel gerissen wurde. Doch dies… dies hier war etwas ganz anderes, als es nur zu wissen. Es war ein Bewusstsein, ein Sinn für Sein und Zugehörigkeit, der ihn so schnell und plötzlich wie ein Herzinfarkt überkommen hatte.

“Agent Null?” fragte Präsident Eli Pierson. “Müssen Sie sich setzen?”

Reid Lawson stand im Oval Office. Ihm gegenüber war der Präsident der Vereinigten Staaten und trug zwar ein Lächeln auf den Lippen, doch Verwirrung stand in seinen Augen. In seinen Händen hielt der Präsident eine polierte Kiste aus dunklem Kirschholz. Ihr Deckel stand offen und auf einem kleinen Samtkissen lag das Hochrangige Geheimdienstkreuz, die höchste Auszeichnung, welche die CIA verleihen konnte.

Nur eine Minute zuvor konnte sich Reid nicht daran erinnern, jemals das Weiße Haus zuvor betreten zu haben. Doch jetzt erinnerte er sich an alles. Er war mehrmals hier gewesen, auf geheimen Treffen, genau wie diesem, damit der Präsident ihn für erfolgreiche Arbeit loben konnte.

Weniger als eine Minute zuvor hatte der Präsident gesagt: “Entschuldigung. Direktor Mullen, ist dies das Geheimdienstkreuz oder – stern? Ich kann die zwei nicht auseinanderhalten. Sie liegen so eng beisammen.”

Und da war es geschehen. Ein einzelnes Wort hatte alles ausgelöst:

Eng.

Das Wort setzte sich in Reids Gehirn fest und sandte ein elektrisches Kribbeln seine Wirbelsäule hinauf. Meeresenge.

Dann öffneten sich die Schleusen plötzlich und ohne Vorwarnung. Es spürte sich an, als ob ein Eindringling die Tür zu seinem Gehirn eingetreten hätte, dort eingedrungen wäre und es sich zu seinem neuen Zuhause gemacht hätte. So schnell wie ein Blitz kam seine Erinnerung zurück.

Er erinnerte sich an alles.

Die Jagd auf Terroristen im Gazastreifen. Die Festnahme von Bombenherstellern in Kandahar. Mitternächtliche Razzien in Lagern. Einweisungen, Nachbesprechungen, Waffentraining, Kampftraining, Flugstunden, Sprachen, Verhörtechniken, blitzschnelle Interventionen… Binnen einer halben Sekunde zerbarst der Damm in Reid Lawsons limbischem System und Agent Null strömte hervor. Es war zu viel, viel zu viel, um es so schnell zu verarbeiten. Seine Knie drohten, nachzugeben und seine Hände zitterten. Er sackte zusammen, doch Marias Arme fingen ihn auf, bevor er auf den Teppich fiel.

“Kent”, sagte sie leise doch eindringlich. “Alles in Ordnung?”

“Ja”, murmelte er.

Ich muss hier raus.

“Alles in Ordnung.”

Doch es ist nicht in Ordnung.

“Es sind nur…” er räusperte sich und zwang sich wieder auf die Beine, auch wenn sie zittrig waren. “Es sind nur die Schmerzmittel für meine Hand. Die machen mich ein wenig benommen. Mir geht’s gut.” Sein rechte Hand war mit mehreren Schichten Metallschienen, Mull und Klebeband umwickelt, nachdem der Terrorist Awad bin Saddam sie mit dem Anker eines Motorbootes zerschlagen hatte. Neun der siebenundzwanzig Knochen in seiner Hand waren gebrochen.

Vor nur einer Minute war da noch ein pulsierender Schmerz, doch jetzt spürte er nichts.

Präsident Pierson lächelte. “Ich verstehe. Niemand hier ist beleidigt, wenn Sie sich setzen.” Der Präsident war ein charismatischer Mann. Mit nur sechsundvierzig Jahren ging er auf das Ende seiner ersten Amtszeit zu und war jung für das Amt. Er war ein hervorragender Redner, wurde von der Mittelklasse geliebt und war ein Freund für Null gewesen. Jetzt wusste er, dass es wahr war: seine Erinnerungen sagten es ihm.

“Wirklich. Mir geht’s gut.”

“Gut.” Der Präsident nickte und hob die dunkle Kirschholzkiste in seinen Händen an. “Agent Null, es ist mir eine große Ehre und aufrichtige Freude, Ihnen dieses Hochrangige Geheimdienstkreuz zu überreichen.”

Reid nickte, zwang sich dazu, gerade und still zu stehen, als Pierson ihm die goldene Medaille mit acht Zentimetern Durchmesser verlieh. Er übergab sie sanft an Reid und Reid nahm sie an.

“Ich danke Ihnen… Äh, Mister Präsident.”

“Nein”, antwortete Pierson. “Danke Ihnen, Agent Null.”

Agent Null.

Leichter Applaus brach im Zimmer aus und Null blickte schnell und verwirrt auf. Er hatte fast vergessen, dass da noch andere Leute im Oval Office waren. Links neben Piersons Schreibtisch stand Vizepräsident Cole und neben ihm waren die die Sekretäre für Verteidigung, Innere Sicherheit und Staat. Ihnen gegenüber stand Christopher Poe, Vorstand des FBI, Gouverneur Thompson aus New York und der Direktor für nationalen Geheimdienst John Hillis.

Neben dem Direktor des nationalen Geheimdienstes stand Nulls eigener Chef, CIA Direktor Mullen. Seine Hände holten weit zum Klatschen aus, doch gaben kaum einen Laut von sich. Seine von grauem Haar umrahmte Glatze glänzte im Schein des Lichtes. Deputy Direktorin Ashleigh Riker war neben ihm, in ihrer gewöhnlichen Uniform aus kohlgrauem Bleistiftrock und passendem Blazer gekleidet.

Er wusste über sie Bescheid. Er hatte über fast jeden, der ihm hier applaudierte, Informationen, die auf eine Verwicklung in die Verschwörung hinwiesen, gesammelt. Das Wissen überkam ihn, als ob es immer dagewesen wäre. Der Verteidigungssekretär, der zur Ruhe gesetzte General Quentin Rigby, Vizepräsident Cole, selbst der Direktor des nationalen Geheimdienstes Hillis, Mullens einziger Vorgesetzter abgesehen vom Präsidenten. Keiner von ihnen war unschuldig. Man konnte ihnen nicht vertrauen. Sie waren alle darin verwickelt.

Vor zwei Jahren hatte Null die Verschwörung, oder zumindest einen Teil davon, entdeckt und daran gearbeitet, einen Fall aufzubauen. Während er einen Terroristen im geheimen Lager H-6 in Marokko verhörte, war Null über eine Verschwörung der Vereinigten Staaten gestolpert, in der ein Krieg im Nahen Osten ausgelöst werden sollte.

Die Meeresenge – das war der Auslöser. Die USA wollte die Kontrolle über die Meeresenge von Hormus erlangen. Sie war ein enger Wasserweg zwischen dem Golf von Oman und Iran, eine weltweite Durchgangsstraße für Ölverschiffung und einer der strategischsten Meeresengpässe auf der ganzen Welt. Es war kein Geheimnis, dass die Vereinigten Staaten mit einer ganzen Flotte sehr präsent im Persischen Golf waren. Sie war nur aus einem Grund dort: um ihre Interessen zu schützen. Und ihre Interessen beschränkten sich letztendlich auf ein einen einzelnen Rohstoff.

Öl.

Darum ging es. Darum war es schon immer gegangen. Öl bedeutete Geld, und Geld bedeutete, dass die Menschen an der Macht weiterhin an der Macht blieben.

Der Anschlag der Brüderschaft auf New York war der Auslöser. Ein groß angelegter Anschlag durch Terroristen war genau die Provokation, welche die Regierung brauchte, um nicht nur einen Krieg zu rechtfertigen, sondern auch, um das amerikanische Volk zu extremem Patriotismus zu treiben. Es hatte schon bei dem Attentat des elften Septembers funktioniert und sie hatten sich dieses Ass im Ärmel aufbewahrt, bis sie es erneut bräuchten.

Awad bin Saddam, der junge Anführer der Brüderschaft, der geglaubt hatte, dass er das Attentat arrangiert hatte, wurde nur ausgenutzt. Man hatte ihn zu den Entscheidungen geleitet, von denen er dachte, dass er sie selbst getroffen hätte. Der libysche Waffenhändler, der die Terroristen mit Unterwasserdrohnen ausgestattet hatte, war zweifellos eine Verbindung zwischen den USA und der Brüderschaft. Doch es gab keinen Weg, das jetzt zu beweisen, denn der Libyer war tot. Bin Saddam war tot. Jeder, der Nulls Vermutungen hätte bestätigen können, war tot.

Jetzt war der Auslöser geschehen. Auch wenn Null und sein kleines Team den großen Verlust an Menschenleben, den bin Saddam sich erhofft hatte, vermeiden konnten, so wurden doch Hunderte getötet und der Midtown Tunnel war zerstört. Das amerikanische Volk war außer sich. Fremdenhass und Feindschaft gegenüber Menschen aus dem Nahen Osten breiteten sich hemmungslos aus.

Vor zwei Jahren dachte er, dass er Zeit hätte, um einen Fall aufzubauen, Beweise zu sammeln – doch dann kamen Amun, Rais und der Gedächtnishemmer. Jetzt war ihm die Zeit ausgegangen. Die Männer um ihn, die ihm applaudierten, diese Staatsoberhäupter und Regierungschefs standen kurz davor, einen Krieg zu beginnen.

Doch dieses Mal war Null nicht allein.

Links neben ihm waren die Menschen, die er zu seinen Freunden zählte, vor dem Schreibtisch des Präsidenten aufgereiht. Jene, denen er vertrauen konnte, oder von denen er zumindest glaubte, ihnen vertrauen zu können.

John Watson. Todd Strickland. Maria Johansson.

Watsons eigentlicher Name ist Oliver Brown. Geboren und aufgewachsen in Detroit. Sein sechsjähriger Sohn starb vor drei Jahren an Leukämie.

Marias wirklicher Name ist Clara. Sie erzählte dir das nach eurer ersten gemeinsamen Nacht. Nachdem Kate gestorben war.

Nein. Nachdem Kate ermordet wurde.

Mein Gott. Kate. Die Erinnerung schlug wie ein Hammer auf seinem Kopf ein. Sie wurde mit einem starken Toxin vergiftet, das Atem- und Herzversagen auslöste, als sie nach einem Arbeitstag auf ihr Auto zuging. Null hatte immer geglaubt, dass Amun und ihr schlimmster Attentäter dafür verantwortlich waren, doch Rais’ letzte Worte waren nur drei Buchstaben.

C–I-A.

Ich muss hier raus.

“Agenten”, sagte Präsident Pierson, “erneut danke ich Ihnen im Namen des amerikanischen Volkes für Ihren Dienst.” Er strahlte ein gewinnendes Lächeln in Richtung der vier, bevor er sich an den ganzen Raum wandte. “Jetzt haben wir ein hervorragendes Mittagessen im State Dining Room vorbereitet, wenn Sie alle so nett wären, mich zu begleiten. Hier entlang —”

“Sir”, unterbrach ihn Null. Pierson drehte sich zu ihm um, das Lächeln immer noch auf seinen Lippen. “Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Einladung, doch, äh, ich glaube, ich sollte wirklich etwas ausruhen.” Er hielt seine rechte Hand hoch, die so dick wie ein Baseballhandschuh eingewickelt war. “Mein Kopf ist ganz verwirrt von den Schmerzmitteln.”

Pierson nickte tief. “Selbstverständlich, Null. Sie haben sich etwas Ruhe verdient, Zeit mit ihrer Familie. Es fühlt sich zwar etwas seltsam an, einen Empfang ohne den Ehrengast abzuhalten, doch ich zweifle daran, dass dies die letzte Gelegenheit ist, bei der wir uns begegnen.” Der Präsident grinste. “Das muss wohl jetzt schon das vierte Mal sein, dass wir uns so treffen?”

Auch Null zwang sich zu einem Lächeln. “Das fünfte, wenn ich nicht ganz falsch liege.” Er schüttelte noch einmal die Hand des Präsidenten, eher ungelenk, mit seiner unversehrten Linken. Als er, begleitet von zwei Geheimdienstagenten, das Oval Office verließ, bemerkte er den Ausdruck auf Rigbys und Mullens Gesichtern.

Die sind misstrauisch. Wissen sie, dass ich Bescheid weiß?

Du bist paranoid. Du musst hier raus und dich konzentrieren.

Er war nicht paranoid. Als er den zwei Agenten in schwarzen Anzügen den Gang entlang folgte, klingelte ein Alarm in seinem Kopf. Er bemerkte, was er gerade getan hatte. Wie konntest du nur so unvorsichtig sein! rügte er sich selbst.

Er hatte gerade vor dem ganzen Oval Office voller Verschwörer zugegeben, dass er sich genau daran erinnerte, wie oft er schon von Pierson persönlich gelobt wurde.

Vielleicht haben die es nicht gemerkt. Doch natürlich hatten sie das. Indem er die Brüderschaft stoppte, hatte Null deutlich gemacht, dass er das hauptsächliche Hindernis war, das ihnen im Weg stand. Sie waren sich dessen bewusst, dass Reid etwas wusste. Und wenn sie auch nur für einen Moment befürchteten, dass seine Erinnerungen zurückgekehrt waren, dann achteten sie noch genauer auf alles, was er tat.

Das bedeutete für ihn nur, dass er schneller als sie sein müsste. Die Männer, die er im Oval Office hinterlassen hatte, führten ihren Plan schon aus und Null war die einzige Person, die genug wusste, um sie aufzuhalten.


* * *

Draußen war ein wunderschöner Frühlingstag. Das Wetter wurde endlich besser. Die Sonne spürte sich warm auf seiner Haut an und an den Hartriegelbäumen auf dem Rasen des Weißen Hauses sprossen gerade die ersten kleinen weißen Blüten. Doch Null bemerkte das kaum. In seinem Kopf drehte sich alles. Er musste sich vor dem Einströmen der Stimuli zurückziehen, damit er diese plötzlichen Informationen verarbeiten konnte.

“Kent, warte mal”, rief Maria hinter ihm. Sie und Strickland eilten hinter ihm her, als er auf die Tore zuging. Er lief nicht in Richtung Parkplatz oder zu seinem Auto. Er wusste nicht, wo er gerade hinging. Er war sich überhaupt nichts sicher. “Ist bei dir wirklich alles in Ordnung?”

“Ja”, murmelte er, ohne langsamer zu gehen. “Ich brauche nur ein wenig frische Luft.”

Guyer. Ich muss Dr. Guyer kontaktieren und ihm mitteilen, dass die Prozedur verspätet funktionierte.

Nein. Das kann ich nicht tun. Die könnten unsere Telefone abhören. Auch dein E-Mail.

War ich schon immer so paranoid?

“Hey.” Maria hielt ihn an der Schulter fest und er drehte sich um. “Sprich mit mir. Sag mir, was los ist.”

Null starrte in ihre grauen Augen, bemerkte, wie ihr blondes Haar in Wellen um ihre Schultern fiel, und die Erinnerung daran, wie sie zusammen waren, stürmte erneut durch seinen Kopf. Wie sich ihre Haut anfühlte. Die Form ihrer Hüften. Der Geschmack ihres Mundes auf seinem.

Doch da war noch etwas anderes. Er spürte es als ein stechendes Gefühl von Schuld. Kate war noch nicht ermordet worden. Haben wir… habe ich…?

Er schüttelte den Gedanken aus seinem Kopf. “Wie schon gesagt. Die Medikamente. Die treiben wirklich Unfug in meinem Kopf. Ich kann nicht richtig denken.”

“Ich fahre dich heim”, bot ihm Strickland an. Agent Todd Strickland war erst siebenundzwanzig, doch er hatte eine einwandfreie Erfolgsgeschichte als ein Army Ranger und war schnell zur CIA übergewechselt. Er trug immer noch eine militärische Frisur auf seinem dicken Nacken und muskulösen Oberkörper, doch er war gleichzeitig auch sehr sanft und ansprechbar, wenn die Situation danach verlangte. Er hatte sich mehr als einmal als wahrer Freund erwiesen.

Null war sich dessen zwar bewusst, doch jetzt musste er etwas allein sein. Es war unmöglich, richtig zu denken, während jemand mit ihm sprach. “Nein. Es geht schon. Danke.”

Er versuchte, sich wieder umzudrehen, doch Maria ergriff erneut seine Schulter. “Kent —”

“Ich habe gesagt, mir geht’s gut!” schnappte er.

Maria zog sich bei seinem Ausbruch nicht zurück, doch verengte ein wenig die Augen, als ihr Blick den seinen traf und versuchte, zu mehr Verständnis zu gelangen.

Die Erinnerung an ihre gemeinsame Nacht kam unwillkürlich wieder hoch und er spürte, wie sein Gesicht sich erhitzte. Wir waren auf einem Einsatz. In irgendeinem griechischen Hotel untergebracht. Warteten auf Anweisungen. Sie verführte mich. Ich war schwach. Kate lebte noch. Sie fand es niemals heraus…

“Ich muss los.” Er ging ein paar Schritte rückwärts, um sicherzustellen, dass keiner seiner Agentenkollegen versuchte, ihm erneut zu folgen. “Folgt mir nicht.” Dann drehte er sich um und ging weg, hinterließ die beiden auf dem Rasen des Weißen Hauses.

Er hatte fast die Tore erreicht, als er jemanden hinter sich spürte, Schritte hörte. Er drehte sich schnell um. “Ich habe dir doch gesagt, dass du —”

Eine kleine Frau mit schulterlangem, braunen Haar blieb stehen. Sie trug einen dunkelblauen Blazer mit passenden Hosen und Absatzschuhen und zog eine Augenbraue hoch, als sie Null neugierig anblickte. “Agent Null? Mein Name ist Emilia Sanders”, stellte sie sich vor. “Hilfskraft von Präsident Pierson.” Sie hielt eine weiße Visitenkarte mit ihrem Namen und ihrer Nummer hoch. “Er möchte wissen, ob Sie sein Angebot nochmal überdacht haben.”

Null zögerte. Pierson hatte ihm zuvor einen Platz auf dem nationalen Sicherheitsrat angeboten, was ihn misstrauisch bezüglich der Mitwirkung des Präsidenten gemacht hatte, doch es schien, als wäre das Angebot aufrichtig.

Nicht, dass er es annehmen wollte. Er nahm dennoch ihre Karte.

“Falls Sie irgendetwas brauchen, Agent Null, dann zögern Sie bitte nicht, mich anzurufen”, sagte Sanders. “Ich bin ziemlich einfallsreich.”

“Eine Fahrt nach Hause wäre jetzt von großer Hilfe”, gab er zu.

“Selbstverständlich. Ich rufe sofort jemanden für Sie.” Sie zog ein Handy hervor und tätigte einen Anruf, während Null ihre Visitenkarte in seine Tasche steckte. Piersons Angebot war das Letzte, woran er jetzt dachte. Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit ihm blieb, um zu handeln.

Was mache ich nur? Er kniff die Augen zu und schüttelte seinen Kopf, als ob er versuchte, eine Antwort loszulösen.

726. Die Nummer drehte sich in seinem Gehirn. Es war das Sicherheitsfach einer Bank in der Innenstadt Arlingtons, wo er die Aufzeichnungen seiner Nachforschungen aufbewahrte – Fotos, Dokumente und Transkripte der Telefonate jener, die diese geheime Intrige anführten. Er hatte das Sicherheitsfach für fünf Jahre im Voraus bezahlt, damit es nicht inaktiv wurde.

“Hier entlang, Agent.” Die Hilfskraft des Präsidenten, Emilia Sanders, machte ihm ein Zeichen, ihr zu folgen, während sie ihn rasch auf eine Garage und ein wartendes Auto zuführte. Auf dem Weg dorthin dachte Null erneut über die misstrauischen Blicke von General Rigby und Direktor Mullen nach. Es war nur Paranoia, nichts weiter – zumindest versuchte er, sich das einzureden. Doch hätten sie auch nur den kleinsten Verdacht, dass er über sie Bescheid wusste, so würden sie ihn sicherlich mit allen Mitteln verfolgen, die ihnen zur Verfügung ständen. Und nicht nur ihn.

Null bereitete eine mentale Checkliste vor:

Die Mädchen in Sicherheit bringen.

Den Inhalt des Sicherheitsfaches abholen.

Den Krieg aufhalten, bevor er beginnt.

Null musste nur einen Weg finden, eine Gruppe der mächtigsten und reichsten Männer der Welt aufzuhalten, die dieses Ereignis seit mehr als zwei Jahren planten, die Unterstützung fast jeder Regierungsabteilung der Vereinigten Staaten hatten und die viel verlieren konnten.

Nur ein weiterer Tag im Leben von Agent Null, dachte er bitterlich.




Kapitel zwei





Das Letzte, was Leutnant Thomas Cohen im Sinn hatte, war Krieg.

Während er vor einer Reihe von Radargeräten an Bord der USS Constitution saß und die kleinen, leuchtenden Punkte, die sich langsam über die Bildschirme bewegten, beobachtete, dachte er über Melanie nach. Sie war seine Freundin zu Hause in Pensacola. Es fehlten nicht einmal mehr drei Wochen, bevor er nach Hause gesandt wurde. Er hatte schon den Ring, er hatte ihn eine Woche zuvor gekauft, als er einen freien Tag in Qatar hatte. Thomas bezweifelte, dass es jemanden an Bord gab, dem er den Ring noch nicht stolz gezeigt hatte.

Der Himmel über dem Persischen Golf war klar und sonnig, es gab keine einzige Wolke, doch Thomas hatte nicht die Möglichkeit, ihn zu genießen, denn er saß in der Ecke der Brücke versteckt und die dicken, gepanzerten Fenster wurden durch die Radargeräte verdeckt. Er konnte ein leichtes Gefühl von Neid gegenüber dem Fähnrich, mit dem er per Funkgerät kommunizierte, nicht unterdrücken. Er war draußen auf Deck und konnte die Schiffe mit eigenen Augen sehen, die für Thomas nur kleine Pünktchen auf dem Bildschirm waren.

Sechzig Milliarden Dollar, dachte er mit düsterer Belustigung. Das war die Summe, welche die Vereinigten Staaten jährlich ausgaben, um präsent im Persischen Golf, im Arabischen Meer und dem Golf von Oman zu sein. Die Fünfte Flotte der US Navy nannte Bahrain ihr Hauptquartier und bestand aus mehreren Sondereinheiten mit spezifischen Patrouillenstrecken entlang den Künsten von Nordafrika und dem Nahen Osten. Die Constitution, ein Schiff der Zerstörerklasse, war ein Teil der kombinierten Sondereinheit 152, welche den Persischen Golf vom nördlichen Ende bis hinunter zur Meeresenge von Hormus, zwischen Oman und Iran, patrouillierte.

Thomas’ Freunde zu Hause dachten, es wäre so toll, dass er auf einem Zerstörer der US Navy arbeitete. Er ließ sie in diesem Glauben. Doch die Realität war einfach nur eine seltsame, vielleicht sogar etwas langweilige und repetitive Existenz. Er saß auf einem modernen Wunder des Ingenieurswesens, das mit der besten Technologie und ausreichend Waffen ausgestattet war, um eine halbe Stadt zu zerstören, doch ihr ganzer Zweck bestand letztendlich darin, zu tun, was Thomas gerade in diesem Moment tat – kleine, leuchtende Punkte anzustarren. All die Feuerkraft und Geld und Männer kamen letztendlich einer glorifizierten was-wenn-Situation gleich.

Das bedeutete aber nicht, dass es niemals Aufregung gab. Thomas und die anderen Typen, die schon seit einem Jahr oder länger dort dienten, amüsierten sich darüber, wie nervös die Neuankömmlinge wurden, wenn sie das erste Mal hörten, dass die Iraner auf sie schossen. Es geschah nicht jeden Tag, doch oft genug. Iran und Irak waren gefährliche Gebiete, sie mussten wenigstens dein Schein wahren, nahm Thomas an. Hin und wieder erhielt die Constitution eine Drohung von der Navy der Iranischen Revolutionsgarde, das war Irans maritime Macht im Persischen Golf. Die Schiffe segelten ein wenig zu nah an sie heran und manchmal – an besonders aufregenden Tagen – schossen sie ein paar Raketen ab. Normalerweise schossen sie in die entgegengesetzte Richtung der US Schiffe. Alles nur Gehabe, dachte Thomas. Doch die Neuankömmlinge machten sich vor Angst schier in die Hosen und für die nächsten paar Wochen machten sich alle anderen lustig über sie.

Das Trio von leuchtenden Pünktchen auf dem Bildschirm näherte sich noch weiter an ihren Standpunkt an, sie kamen vom Nordosten heran. “Gilbert”, sprach Thomas in das Funkgerät, “wie sieht’s da oben aus?”

“Oh, es ist ein wunderschöner Nachmittag. Etwa dreiundzwanzig Grad und sonnig”, gab Fähnrich Gilbert durch das Funkgerät zurück und versuchte, das Lachen in seiner Stimme zu unterdrücken. “Die Luftfeuchtigkeit ist gering. Der Wind beträgt etwa acht Stundenkilometer. Wenn ich meine Augen schließe, fühlt es sich wie Florida im beginnenden Frühjahr an. Wie geht es euch da drinnen?”

“Arschloch”, murmelte Leutnant Davis, der Kommunikationsoffizier, der in der Nähe von Thomas an den Radargeräten saß. Er grinste und sprach in das Radio: “Wie bitte, Fähnrich Gilbert? Kannst du das für deinen Leutnant wiederholen?”

Thomas kicherte, als Gilbert ein leises Stöhnen von sich gab. “OK, OK”, sagte der junge Mann vom Deck aus. “Ich sehe drei Schiffe der Iranischen Revolutionsgarde in Richtung Nordosten, die etwa vierzehn Knoten schnell fahren. Es sieht so aus, als seien sie ein wenig mehr als einen Kilometer von uns entfernt.” Dann fügte er schnell hinzu: “Sir.”

Thomas nickte beeindruckt. “Du bist gut. Sie sind neunhundert Meter entfernt. Will jemand irgendwas dagegen tun?”

“Ich wette fünf Dollar, dass sie bei sechshundert Metern abdrehen”, sagte Davis.

“Das will ich sehen und erhöhe”, sagte Maat Miller hinter ihnen und drehte sich dabei auf seinem Stuhl um. “Zehn Dollar, dass sie fünfhundert Meter erreichen. Bietest du auch, Cohen?”

Thomas schüttelte seinen Kopf. “Ganz sicher nicht. Das letzte Mal habt ihr mich um fünfundzwanzig Dollar erleichtert.”

“Und der muss für eine Hochzeit sparen”, tadelte ihn David mit einem leichten Stoß in die Rippen.

“Ihr denkt alle zu klein”, ertönte Gilberts Stimme aus dem Funkgerät. “Die Jungs sind Cowboys, ich kann es spüren. Ein bestimmter Mister Jackson sagt, dass sie nicht nur auf vierhundert Meter herankommen, sondern wir auch noch ein iranisches Schwanzfoto bekommen.”

“Sei nicht so derb”, ermahnte Davis Gilbert für seine unzüchtige Metapher für eine Rakete, die von der Iranischen Revolutionsgarde abgeschossen würde.

“Das wäre ein netter Tempowechsel”, murmelte Miller. “Das Aufregendste, was hier in den letzten zwei Wochen passierte, war der Tag, an dem es mexikanisches Essen gab.”

Leutnant Cohen war sich schon bewusst, dass ein außenstehender Beobachter vielleicht denken könnte, dass es verrückt von ihnen war, kleine Wetten darüber abzuschließen, ob ein Schiff eine Rakete feuerte oder nicht. Doch nach so vielen sogenannten Konfrontationen, die zu nichts geführt hatten, war es kaum etwas, über das sie sich Sorgen machten. Außerdem waren die amerikanischen Einsatzregeln klar: sie schössen nicht, falls man nicht direkt zuerst auf sie abfeuerte, und die Iraner wussten das. Die Constitution war genau so, wie ihre Klasse sie beschrieb: ein Zerstörer. Falls eine Rakete nah genug an sie herankam, um sie zu bedrohen, dann könnten sie das Schiff der iranischen Revolutionsgarde binnen Sekunden auslöschen.

“Sechshundertfünfzig Meter und es kommt näher heran”, gab Thomas bekannt. “Tut mir leid, Davis. Du bist raus.”

Er zuckte mit den Schultern. “Man kann ja nicht immer gewinnen.”

Thomas runzelte die Stirn vor den Radargeräten. Es sah aus, als ob die beiden Schiffe, die das dritte flankierten, abdrehten, doch das mittlere Schiff fuhr auf einem geraden Kurs weiter. “Gilbert, überprüfe die Sicht.”

“Jawohl, Sir.” Es war einen Moment still, bevor der Fähnrich berichtete: “Sieht so aus, als ob zwei der Schiffe abdrehten, in Richtung Süd-Südosten und Süd-Südwesten. Aber ich glaube, dass dieses dritte Boot Freundschaft schließen will. Was habe ich gesagt, Cohen? Cowboys.”

Miller seufzte. “Wo ist Kapitän Warren? Wir sollten ihm Bescheid—”

“Kapitän auf der Brücke!” rief eine scharfe Stimme plötzlich. Thomas sprang von seinem Sitz auf und salutierte, genauso wie die vier weiteren Offiziere im Kontrollraum.

Der Erste Offizier kam zuerst herein. Er war ein großer Mann mit kantigem Kiefer, der viel ernster aussah, als er es oft war. Ein geeilter Kapitän Warren folgte ihm, die unteren Knöpfe seines beigen, kurzärmeligen Hemdes spannten über seinem kleinen Bauch. Auf dem Kopf trug er eine Navy Baseballkappe, deren dunkles Blau im schwachen Licht der Brücke fast wie schwarz aussah.

“Zurück an eure Plätze”, ordnete Warren schroff an. Thomas setzte sich langsam wieder, tauschte einen besorgten Blick mit Davis aus. Der Kapitän war sich wahrscheinlich der sich annähernden Schiffe bewusst, doch wenn er jetzt anwesend war, dann bedeutete das, dass etwas vor sich ging. “Hört mir gut zu, denn ich will das nicht wiederholen.” Der Kapitän zog seine Stirn in tiefe Falten. Er hatte sie fast immer gerunzelt – Thomas konnte sich nicht daran erinnern, jemals ein Lächeln auf Warrens Lippen gesehen zu haben – doch dieses Mal sah sein Gesichtsausdruck besonders besorgt aus. “Wir haben gerade neue Anweisungen erhalten. Es gab eine Änderung der Einsatzregeln. Jegliches Schiff, das innerhalb einer Distanz von achthundert Metern feuert, muss als feindlich betrachtet und mit extremem Vorurteil behandelt werden.”

Thomas blinzelte nach dieser plötzlichen Flut von Worten und verstand zuerst nicht.

Maat Miller vergaß sich selbst für einen Moment und sagte: “Behandelt werden? Sie meinen zerstört?”

“Korrekt, Miller”, antwortete Kapitän Warren und blickte dem jungen Mann in die Augen. “Ich meine zerstört, vernichtet, ausgemerzt, verwüstet, zertrümmert und/oder demoliert.”

“Äh, Sir?” fragte Davis. “Wenn es überhaupt feuert? Oder wenn es auf uns feuert?”

“Der Abschuss einer Waffe, aus dem sich ein Verlust von Leben ergeben kann, Leutnant”, gab Kapitän Warren zurück. “Ob sie auf uns zielt oder nicht.”

Thomas konnte nicht glauben, was er da hörte. Die Iranische Revolutionsgarde hatte schon öfter Raketen abgefeuert, seit er an Bord der Constitution war, und viele von ihnen waren innerhalb von einem Abstand von achthundert Metern. Er fand es extrem seltsam, dass die Einsatzregeln so rasch verändert wurden – sicherlich war es kein Zufall, dass dies gerade dann geschah, als ein iranisches Schiff sich ihnen annäherte.

“Schaut mal”, erklärte Warren, “mir gefällt das auch nicht besser als euch, aber ihr wisst alle, was geschah. Ehrlich gesagt bin ich darüber überrascht, dass die Regierung so lange gebraucht hat. Aber jetzt ist es geschehen.”

Thomas wusste genau, worüber der Kapitän sprach. Gerade ein paar Tage zuvor hatte eine Terroristenorganisation versucht, die USS New York zu sprengen. Das war ein Arleigh-Burke-Zerstörer, der am Hafen von Haifa in Israel festgemacht war. Und nur vor zwei Tagen hatte dieselbe Rebellenzelle einen Unterwassertunnel in New York zerstört. Kapitän Warren hatte die gesamte Mannschaft in der Messe versammelt, um ihr die traurigen Nachrichten mitzuteilen. Die CIA hatte von dem Attentat nur einige Stunden zuvor mitbekommen und schaffte es, viele Leben zu retten, doch dennoch waren Hunderte gestorben und es gab immer noch viel zu viele Verschüttete. Das Ausmaß des Attentates war bei langem nicht so groß wie jenes des elften Septembers, doch es handelte sich dennoch um einen der erheblichsten Angriffe auf amerikanischem Boden der letzten hundert Jahre.

“In dieser Art von Welt leben wir jetzt, Jungs”, sagte Warren und schüttelte seinen Kopf verachtend. Er dachte offensichtlich dasselbe wie Thomas. Sie alle taten dies.

“Es dreht ab”, informierte Gilbert durch das Funkgerät und riss Thomas damit aus seinen Gedanken und zurück zu seinen Radargeräten. Der Fähnrich hatte recht, das dritte Schiff war auf fünfhundert Meter herangekommen und drehte jetzt Richtung Westen ab. “Scheint, als verlöre ich zwanzig Dollar.”

Thomas atmete erleichtert auf. In einer weiteren Minute wäre das Schiff weg, außerhalb der sechshundert Meter-Linie und die Constitution führe weiter auf ihrer östlichen Patrouille auf die Meeresenge zu. Bitte mach jetzt keine Dummheiten, dachte er, als er sagte: “Kreuzer der Iranischen Revolutionsgarde ist in vierhundertfünfzig Metern Entfernung, dreht östlich ab. Sieht nicht so aus, als sei er an uns interessiert, Sir.”

Warren nickte, doch falls er so froh darüber war wie Thomas, so zeigte er es nicht. Der Leutnant konnte erraten, warum. Die Einsatzregeln hatten sich geändert, und das sogar sehr plötzlich. Wie lange könnte es dauern, bis sie sich erneut in einer Situation wie dieser befanden?

Leutnant Davis blickte plötzlich scharf auf. “Die funken uns an, Sir.”

Kapitän Warren schloss seine Augen und seufzte. “In Ordnung. Gib dies weiter, und schnell bitte.” Davis war nicht nur der Kommunikationsoffizier, sondern sprach auch fließend arabisch und farsi. Er übersetzte die Mitteilung des Kapitäns, während Warren sprach, hörte gleichzeitig zu, während er redete. “Dies ist Kapitän James Warren der USS Constitution. Die Einsatzregeln der US Navy haben sich geändert. Ihre Vorgesetzten sollten zu diesem Zeitpunkt schon darüber informiert sein, doch falls dem nicht so ist: es ist uns komplett durch die amerikanische Regierung genehmigt, tödliche Gewalt anzuwenden, sollte jegliches Schiff —”

“Rakete abgeschossen!” rief Gilbert in Thomas’ Ohr.

“Rakete abgeschossen!” wiederholte Thomas. Bevor er noch wusste, was er da tat, hatte er schon den Kopfhörer heruntergerissen und rannte auf das Fenster zu. In der Ferne sah er den Kreuzer der iranischen Revolutionsgarde und den hellroten Streifen, der in einem hohen Bogen in den Himmel flog und eine Rauchwolke hinterließ.

Während er herausblickte, wurde eine zweite Rakete von dem iranischen Schiff abgefeuert. Sie wurden in einer Bahn parallel zur Constitution abgefeuert, weit genug entfernt, sodass sie dem Zerstörer kaum Probleme bereiteten.

Thomas drehte sich zum Kapitän um. Warrens Gesicht war bleicher geworden. “Sir —”

“Gehen Sie zurück auf Ihren Posten, Leutnant Cohen.” Warrens Stimme klang angestrengt.

Ein Knoten von Grauen bildete sich in Thomas’ Magen. “Aber Sir, wir können doch nicht ernsthaft —”

“Kehren Sie auf Ihren Posten zurück, Leutnant”, wiederholte der Kapitän mit angespanntem Kiefer. Thomas gehorchte, er setzte sich wieder, doch hörte nicht auf, Warren anzustarren.

“Das kommt nicht vom Admiral”, sagte er, als ob er versuchte, ihnen zu erklären, was geschehen müsste. “Nicht mal vom Chef der Marineoperationen. Das kommt vom Verteidigungssekretär. Versteht ihr das? Es ist eine direkte Anordnung im Interesse der nationalen Sicherheit.”

Ohne ein weiteres Wort, hob Warren ein rotes Telefon, das an der Wand angebracht war, ab. “Dies ist Kapitän Warren. Feuert die Torpedos.” Für einen Moment herrschte Stille und dann wiederholte der Kapitän nachdrücklich: “Positiv. Feuert die Torpedos.” Er legte auf, doch seine Hand blieb noch auf dem Telefon liegen. “Möge Gott uns helfen”, murmelte er.

Thomas Cohen hielt den Atem an. Er zählte die Sekunden. Er kam bis zwölf, bevor er Gilberts Stimme hörte, leise und hauchend und fast ehrfurchtsvoll durch das Funkgerät.

“Oh Gott.”

Thomas stand auf, er verließ nicht seinen Posten, doch hatte teilweise Sicht durch das Fenster. Durch das dicke, gepanzerte Glas der Brücke, das dazu entworfen wurde, schweres Feuergefecht zu durchstehen, hörten sie keine Explosion. Sie fühlten keine Schockwelle, die von dem weiten Persischen Golf absorbiert wurde. Doch er sah es. Er sah den orangefarbenen Feuerball, der in dem Himmel aufstieg, als das Schiff der Iranischen Revolutionsgarde, wie er vorhergesehen hatte, binnen Sekunden von einer Welle von Torpedos von dem US Zerstörer vernichtet wurde.

Das grüne, leuchtende Pünktchen verschwand von seinem Bildschirm. “Ziel zerstört”, bestätigte er leise. Er hatte keine Ahnung, wie viele Menschen er gerade getötet hatte. Zwanzig. Vielleicht fünfzig. Vielleicht auch hundert.

Davis stand ebenfalls auf und schaute aus dem Fenster, während das orangefarbene Feuer sich verflüchtigte, das Schiff in Stücke zerrissen wurde und schnell in den Tiefen des Persischen Golfes versank. Vielleicht war es nur der Winkel oder der Widerschein des Sonnenlichtes, doch er hätte schwören können, dass er sah, wie seine Augen sich mit Tränen füllten.

“Cohen?” sagte er leise, seine Stimme war fast ein Flüstern. “Haben wir gerade den dritten Weltkrieg angefangen?”

Nur fünf Minuten zuvor war Krieg das Letzte, was Leutnant Thomas Cohen im Sinn hatte. Doch jetzt hatte er jedes Recht, zu bezweifeln, dass er es in drei Wochen nach Hause nach Pensacola schaffte.




Kapitel drei


“Entschuldigen Sie bitte”, sagte Null, “glauben Sie, wir könnten ein wenig schneller fahren?” Er saß auf dem Rücksitz eines schwarzen Stadtwagens, während ihn der Chauffeur des Weißen Hauses nach Hause nach Alexandria fuhr, weniger als dreißig Minuten von Washington, DC entfernt. Sie fuhren die meiste Zeit in Stille, wofür Null dankbar war. So hatte er einige wertvolle Minuten zum Nachdenken. Er hatte keine Zeit, um die Flut von neuen Fähigkeiten und Geschichten zu ordnen, die sich gerade in seinem Kopf entschlüsselt hatten. Er musste sich auf die Aufgabe vor ihm konzentrieren.

Denk nach, Null. Von wem weißt du, dass sie darin verwickelt sind? Der Verteidigungssekretär, der Vizepräsident, Kongressmitglieder, eine Handvoll Senatoren, Mitglieder der nationalen Geheimdienstagentur, der nationale Sicherheitsrat, sogar die CIA… Namen und Gesichter blitzten in seinem Gehirn auf wie eine mentale Rotationskartei. Null atmete tief ein, nachdem er spürte, wie ein angespanntes Kopfweh sich in seiner Stirn ausbreitete. Er hatte viele von ihnen beschattet, hatte sogar einige Beweise gefunden – die Dokumente, die er in dem Sicherheitsfach in Arlington verschlossen hatte – doch er fürchtete, dass das nicht ausreichte, um sicher zu beweisen, was da geschah.

In seiner Tasche klingelte sein Handy. Er nahm nicht ab.

Warum jetzt? Er brauchte nicht seine gerade erst wiedergefundenen Erinnerungen für diesen Teil. Es war ein Wahljahr. In etwas über sechs Monaten würde Pierson entweder für eine zweite Amtszeit gewählt oder von einem Demokraten geschlagen. Nichts könnte mehr Unterstützung bringen, als eine erfolgreiche Kampagne gegen einen feindlichen Gegner.

Er war sich sicher, dass Pierson nicht dazugehörte. Null erinnerte sich sogar daran, dass Piersons während seines ersten Amtsjahres einen Gesetzesentwurf unterzeichnete, der die amerikanische militärische Präsenz in Irak und Iran verminderte. Er war gegen weiteren, grundlosen Krieg im Nahen Osten. Deshalb brauchten jene, die sich in den Schatten aufhielten, die Brüderschaft als Auslöser.

Und während die USA ihre Anwesenheit verminderte, haben die Russen ihre vermehrt. Maria hatte erwähnt, dass die Ukrainer nervös waren, weil sie befürchteten, dass Russland vorhatte, ölproduzierende Posten im Schwarzen Meer zu ergreifen. Darum war sie auf eine verhaltene Zusammenarbeit mit ihnen eingegangen, die es beiden erlaubte, Informationen zu teilen. Die amerikanischen Verschwörer machten gemeinsame Sache mit den Russen. Die USA bekäme die Meeresenge und die Russen das Schwarze Meer. Die USA täten nichts, um Russland von ihrem Vorhaben abzuhalten, und Russland handelte ebenso, bot ihnen vielleicht sogar Unterstützung im Nahen Osten.

Zwei der Weltmächte würden reicher, stärker und fast unaufhaltbar. So lange es Frieden zwischen ihnen gäbe, könnte sich ihnen keiner in den Weg stellen.

Sein Telefon klingelte erneut. Der Anrufer wurde als unbekannt angezeigt. Er überlegte kurz, ob es Deputy Direktor Cartwright sein könnte. Nulls direkter Vorgesetzter in der Sonderabteilung der Agentur war spürbar abwesend bei dem Treffen mit Präsident Pierson im Oval Office. Vielleicht war es ein gesellschaftliches Engagement, das ihn abhielt, doch Null hatte Zweifel daran. Dennoch, der Anrufer (oder die Anrufer) hinterließen keine Nachricht auf dem Anrufbeantworter und Null hatte keine Lust, sich an die CIA zu wenden.

Als sie sich an sein Zuhause in der Spruce Straße annäherten, tätigte er zwei Anrufe. Der erste war an die Georgetown Universität gerichtet. “Hier spricht Professor Reid Lawson. Leider habe ich mir irgendwas eingefangen. Wahrscheinlich eine Grippe. Ich gehe nachher zum Arzt. Können Sie nachsehen, ob Dr. Ford meine Vorlesungen für mich übernehmen kann?”

Der zweite Anruf ging an die Third Street Garage.

“Ja”, antwortete der Mann mit einem Grummeln.

“Mitch? Hier spricht Null.”

“Hm.” Der stämmige Mechaniker sagte es, als ob er den Anruf schon erwartet hätte. Mitch war ein Mann weniger Worte und half außerdem auch der CIA. Er hatte Null geholfen, als er seine Töchter aus den Händen Rais’ und eines Menschenhändlerringes retten musste.



“Ich habe da ein Problem. Ich brauche möglicherweise einen Unterschlupf für zwei. Kannst du dich bereithalten?” Die Worte taumelten aus seinem Mund, als wären sie gut geübt – was sie auch waren, bemerkte er, selbst wenn er sie seit einiger Zeit nicht ausgesprochen hatte. Er wollte es nicht riskieren, Watson oder Strickland darum zu bitten. Die würden wahrscheinlich genauso beobachtet wie er. Doch Mitch arbeitete versteckt.

“Kein Problem”, gab Mitch einfach zurück.

“Danke, ich melde mich.” Er legte auf. Zuerst hatte er darüber nachgedacht, seine Töchter sofort in einen geheimen Unterschlupf zu bringen, doch jegliche Abweichung von ihrem normalen Tagesablauf könnte Verdacht hervorrufen. Mitchs Unterkunft war ausfallsicher, falls er Grund hatte, zu glauben, dass die Leben seiner Töchter in unmittelbarer Gefahr stünden – und trotz der Sorge um seinen erhöhten Sinn von Paranoia hatte er ausreichend Grund, um zu glauben, dass sie gerechtfertigt war.

Sein Zuhause war ein zweistöckiges Eckhaus in der Vorstadt von Alexandria. Auf der anderen Seite stand ein leeres Haus, das gerade zum Verkauf angeboten wurde. Es war das ehemalige Zuhause von David Thompson, eines pensionierten CIA Einsatzagenten, der in Nulls Eingangshalle ermordet worden war.

Er schloss die Tür auf und gab schnell den Sicherheitscode für das Alarmsystem ein. Er hatte es so eingestellt, dass man den Code jedes Mal eingeben musste, wenn jemand kam oder ging, egal, wer sonst noch zu Hause war. Gab man den Code nicht binnen sechzig Sekunden nach dem Öffnen der Tür ein, so erklang ein Alarm und die örtliche Polizei würde informiert. Zusätzlich zu dem Alarmsystem hatten sie außerdem Sicherheitskameras, die Außen und Innen installiert waren, Riegel an den Türen und Fenstern und einen Panikraum mit einer Stahlsicherheitstür im Keller.

Dennoch fürchtete er, dass dies nicht ausreichte, um seine Töchter in Sicherheit zu wissen.

Maya lag auf ihrem Rücken auf dem Sofa und spielte etwas auf ihrem Handy. Sie war fast siebzehn und schwankte oft zwischen impulsiven Launen eines Teenagers und der Andeutung, eine anspruchsvolle Erwachsene zu werden. Von ihrem Vater hatte sie das dunkle Haar und die scharfen Gesichtszüge geerbt, von ihrer Mutter die scharfe Intelligenz und den beißenden Witz.

“Hallo”, begrüßte sie ihn, ohne dabei vom Bildschirm aufzublicken. “Hat es beim Präsidenten was zu Essen gegeben? Ich hätte heute nämlich wirklich Lust auf was chinesisches.”

“Wo ist deine Schwester?” fragte er schnell.

“Esszimmer.” Maya legte die Stirn in Falten und setzte sich auf, erkannte die Dringlichkeit in seiner Stimme. “Warum? Was ist los?”

“Noch nichts”, antwortete er rätselhaft. Null eilte durch die Küche und fand seine jüngere Tochter, Sara, dabei, wie sie ihre Hausaufgaben am Tisch machte.

Sie blickte beim plötzlichen Eindringen ihres Vaters auf. “Hallo Papa.” Dann machte auch sie ein ernstes Gesicht, bemerkte scheinbar, das irgendetwas nicht stimmte. “Alles in Ordnung?”

“Ja, mein Schatz, alles in Ordnung. Ich wollte nur wissen, was du machst.” Ohne ein weiteres Wort ging er schnell nach oben in sein Büro. Er wusste schon, was er brauchte und wo genau er dies fände. Oben auf der Liste stand das Handy, ein älteres Modell, dass er mit Bargeld gekauft hatte und das einige hundert Minuten Guthaben hatte. Maya hatte die Nummer. Als Zweites brauchte er den Schlüssel für das Sicherheitsfach. Er wusste, wo er war, geradeso als ob er es niemals vergessen hatte, obwohl sich ein paar Stunden zuvor an diesem Morgen nicht mal daran hätte erinnern können, wozu er diente oder warum er ihn hatte. Der Schlüssel befand sich in einer alten Kiste in seinem Schrank, die er seine,Müllkiste’ getauft hatte, gefüllt mit allen möglichen alten Dingen. Er konnte sich nicht dazu überwinden, sie loszuwerden, obwohl sie es kaum Wert schienen, aufbewahrt zu werden.

Als er zurück in die Küche kam, war er nicht besonders überrascht, seine beiden Töchter mit erwartungsvollen Blicken vor sich stehen zu sehen.

“Papa?” fragte Maya unsicher. “Was ist los?”

Null nahm sein Handy aus seiner Tasche und legte es auf die Küchentheke. “Es gibt da was, das ich tun muss”, erklärte er vage. “Und es ist…”

Unglaublich gefährlich. Monumental idiotisch, es alleine zu tun. Bringt euch direkt in Gefahr. Mal wieder.

“Es bedeutet, dass wir vermutlich beschattet werden. Gründlich. Und wir müssen darauf vorbereitet sein.”

“Müssen wir wieder in einen geheimen Unterschlupf?” fragte Sara.

Es brach Nulls Herz, dass sie eine solche Frage überhaupt stellen musste. “Nein”, antwortete er. Dann tadelte er sich selbst und erinnerte sich daran, dass er ihnen Ehrlichkeit versprochen hatte. “Noch nicht. Dazu könnte es später noch kommen.”

“Hat es etwas damit zu tun, was in New York geschehen ist?” fragte Maya gerade heraus.

“Ja”, gab er zu. “Aber hört bitte einfach nur zu. Es gibt da einen Mann, der die Agentur unterstützt, der sich Mitch nennt. Er ist ein großer Typ, stämmig, mit einem buschigen Bart, der eine Fernfahrermütze trägt. Ihm gehört die Third Street Garage. Wenn ich es ihm anweise, dann kommt er hierher und bringt euch an einen sicheren Ort, von dem noch nicht mal die CIA weiß.”

“Warum gehen wir da nicht sofort hin?” fragte Sara.

“Weil die Möglichkeit besteht”, erwiderte Null ehrlich, “dass wir jetzt schon beobachtet werden. Oder dass man mindestens darauf achtet, dass etwas außergewöhnliches geschieht. Wenn ihr nicht zur Schule geht oder ich etwas anders als gewohnt tue, dann kann das diese Leute aufmerksam machen. Ihr wisst schon Bescheid: lasst niemanden rein, geht mit niemandem mit und vertraut niemandem außer Mitch, Agent Strickland oder Agent Watson.”

“Und Maria”, fügte Sara hinzu. “Stimmt’s?”

“Ja”, murmelte Null. “Und Maria. Natürlich.” Er griff nach der Türklinke. “Ich brauche nicht lange. Schließt hinter mir ab. Ich habe das alte Handy, falls ihr mich braucht.” Er ging aus der Tür und schritt schnell auf sein Auto zu, bestürzt, dass die Erinnerung an seine Nacht mit Maria ihm wieder durch den Kopf ging.

Kate. Du hast sie betrogen.

“Nein”, murmelte er zu sich selbst, als er das Auto erreichte. Das hätte er nie getan. Er liebte Kate mehr als alles, mehr als jeden. Während er sich hinter das Steuer setzte und den Motor zündete, suchte er in seiner Erinnerung nach einem Hinweis, der ihm sagte, dass er falsch lag, dass er und Maria keine Affäre hatten, während Kate noch am Leben war. Doch er fand keinen. Seine Beziehung zu Hause war eine glückliche. Kate hatte keine Ahnung, dass er als CIA Agent arbeitete. Sie glaubte, dass seine häufigen Reisen Gastvorlesungen an anderen Universitäten, Recherche für ein Geschichtsbuch, Gipfel und Tagungen waren. Sie unterstützte ihn vollkommen und kümmerte sich um die zwei Mädchen. Er versteckte seine Verletzungen vor ihr und wenn dies nicht möglich war, dann fand er Ausreden. Er war tollpatschig. Er war gefallen. Wenigstens einmal wurde er überfallen. Die Agentur half ihm bei seinen Deckungsgeschichten aus und mehr als einmal stellten sie sogar gefälschte Polizeiberichte aus, um seine Behauptungen zu untermauern.

Sie wusste es nicht.

Doch Maria wusste es. Maria wusste die ganze Zeit, dass sie zusammen waren, während Kate noch am Leben war, und sie hatte nichts gesagt. Solange Nulls Gedächtnis geschädigt war, konnte sie ihm sagen, was immer er hören wollte und unterschlagen, was er nicht wusste.

Er bemerkte plötzlich, wie fest er sich am Lenkrad gekrallt hatte. Seine Fingerknöchel waren weiß und seine Ohren brannten vor Wut. Kümmere dich später darum. Jetzt gibt es wirklich wichtigeres zu tun, sagte er sich auf dem Weg zur Bank, um die Beweise zurückzuholen, von denen er nur hoffen konnte, dass sie ausreichten, um dies aufzuhalten.




Kapitel vier


Am frühen Nachmittag, als Null zur Bank in Arlington fuhr, gab es nur wenig Verkehr. Er missachtete zwei Stoppschilder und trat sogar auf das Gas, um durch eine orangene Ampel zu kommen. Bei jedem Mal erinnerte er sich daran, dass es am besten wäre, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Ein Verkehrsdelikt würde sicherlich im CIA System aufgezeichnet und gäbe den Verschwörern, die sich in der Agentur befinden, einen Hinweis auf seinen Standort.

Doch er konzentrierte sich kaum auf die Verkehrsregeln. Er hatte Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um die Mädchen mindestens für den Moment in Sicherheit zu wissen. Als Nächstes holte er die Akten aus dem Sicherheitsfach zurück. Soweit so gut. Doch danach käme der schwierige Teil. Zu wem bringe ich sie? Zu den Medien? Nein, er war sich im Klaren, dass das zu schmutzig wäre. Auch wenn er einige Namen durch den Schmutz zöge, so wäre der Prozess, um die Leitfiguren aus ihren Posten zu entlassen, dennoch langwierig und erforderte Gerichtsverfahren.

Die Vereinten Nationen? NATO? Auch hier würde der politische und rechtliche Prozess wirklichen Fortschritt verhindern. Er brauchte etwas Schnelles. Er musste sich mit dem, was er wusste, an jemanden wenden, der die Macht hatte, etwas Sofortiges und Unwiderrufliches zu tun.

Er hatte schon die Antwort. Pierson. Wäre sich der Präsident der Verschwörung wirklich nicht bewusst, dann könnte Null ihn um Hilfe bitten. Er müsste es schaffen, den Präsidenten alleine zu sehen und ihm alles zu zeigen, was er hatte und wusste. Der Präsident könnte all dies aufhalten und die Verantwortlichen entlassen. Pierson schien Agent Null sehr zu schätzen. Er vertraute ihm und behandelte ihn wie einen Freund. Auch wenn diese Verhaltensweise Null in der Vergangenheit dazu veranlasst hatte, Zweifel und Widerwillen bezüglich Pierson zu spüren, so war er jetzt jedoch mit seinem Gedächtnis bewaffnet, seinem wirklichen Gedächtnis, und er sah den Präsidenten so, wie er war: eine Schachfigur in diesem Spiel. Jene, die an der Macht waren, wollten vier weitere Jahre, damit sie die Dinge zu ihrem Vorteil manipulieren konnten, auf eine Art, die Langlebigkeit bedeutete, egal wer an der Spitze stand.

Er parkte zwei Häuserblocks von der Bank auf der Straße. Das war gar nicht so einfach mit nur einer brauchbaren Hand. Bevor er aus dem Auto stieg, griff er hinüber zum Handschuhfach, öffnete es und kramte darin herum, bis er das kleine, faltbare Einsatzmesser fand, das er dort verstaut hatte.

Dann eilte er zur Bank.

Null versuchte, geduldig auszusehen, während er wartete, bis die drei Kunden vor ihm ihre Angelegenheiten erledigt hatten und zeigte dann der Angestellten, einer Frau mittleren Alters mit einem freundlichen Lächeln und zu viel Lippenstift, seinen Fotoausweis.

“Lassen Sie mich den Filialleiter rufen”, sagte sie ihm höflich.

Zwei Minuten später führte ihn ein Mann in einem Anzug durch die Tür eines Tresorraumes zu den Sicherheitsfächern. Er schloss die schmale, rechteckige Tür zum Fach 726 auf, zog die Kiste heraus und stellte sie auf einen ansonsten leeren Stahltisch, der in der Mitte des Raumes am Boden verschraubt war.

“Nehmen Sie sich Zeit, mein Herr.” Der Manager nickte ihm zu und ließ ihm seine Privatsphäre.

Sobald der Mann gegangen war, hob Null den Deckel der Kiste an.

“Nein”, murmelte er. Er trat einen Schritt zurück und blickte instinktiv über seine Schulter, als könnte jemand da sein.

Die Kiste war leer.

“Nein, nein.” Er schlug mit einer Faust auf den Tisch. “Nein!” Alle seine Dokumente, alles, was er über jene, von denen er wusste, dass sie an der Verschwörung beteiligt waren, ausgegraben hatte, war verschwunden. Jedes Stück illegal erhaltener Beweise, die möglicherweise die Entlassung von Staatschefs erzwingen könnten, waren weg. Fotos, Transkripte, E-Mails… alles verschwunden.

Null legte sich die Hände an den Kopf und ging mehrmals schnell im Raum hin und her. Sein erster Gedanke war die wahrscheinlichste Lösung: jemand anders wusste von den Dokumenten und hatte sie gestohlen. Wer sonst wusste von diesem Fach? Niemand. Er war sich sicher. Hast du ganz sicher nicht die Information jemand anderem gegeben und es vergessen? Nein. Das hätte er nicht getan. Er lachte fast über sich selbst, wie verrückt die Idee war, dass er etwas vergessen hätte, von dem er vor ein paar Stunden nicht mal wusste, dass er es wusste.

Doch dann erinnerte sich Null an etwas anderes. Es war keine der zurückgekehrten Erinnerungen, sondern etwas, das er nur Tage zuvor erlebt hatte, im Büro eines schweizer Neurochirurgen.

Ich sollte sie vorwarnen, hatte Dr. Guyer ihm gesagt, bevor er die Prozedur durchführte, um Nulls Erinnerungen zurückzurufen. Falls dies funktioniert, dann sind einige der Dinge, an die Sie sich erinnern, möglicherweise unterbewusste Fantasien, Wünsche, Vermutungen aus Ihrem früheren Leben. All diese Aspekte, die keine Erinnerungen sind, wurden zusammen mit Ihren tatsächlichen Erinnerungen entfernt.

Null hatte das nicht gefallen. Sie sagen also, dass wenn ich mich an etwas erinnere, dann vielleicht einige dieser Erinnerungen gar nicht wahr sind?

Die Antwort des Arztes war einfach, doch erschütternd. Ihnen werden sie wahr erscheinen.

Falls dies der Fall war, dachte er, wäre es dann nicht möglich, dass er selbst etwas mit diesen Dokumenten getan hatte?

Ich werde verrückt.

Konzentrier dich, Null.

Er zog das Klappmesser aus seiner Tasche, faltete es auf und steckte vorsichtig die rasiermesserscharfe Spitze in die untere Kante der Kiste. Er schob es sanft hin und her, gab Acht darauf, sie nicht zu zerkratzen, bis die Unterseite sich löste.

Er atmete erleichtert auf. Wer auch immer seine Dokumente gestohlen hatte, wusste nichts von dem doppelten Boden, den er in die Box installiert hatte. Er war weniger als zwei Zentimeter über dem echten Boden. Dazwischen lag ein einzelner Gegenstand – ein USB-Stick.

Wenigstens haben sie nicht die Aufnahmen gefunden. Aber reicht das aus? Er war sich nicht sicher, doch es war alles, was er hatte. Er griff ihn auf, steckte sich das Messer und den USB-Stick in die Tasche und legte dann vorsichtig den doppelten Boden wieder ein. Anschließend schob er die Kiste zurück in das Sicherheitsfach und schloss die Tür.

Nachdem er fertig war, ging Null zurück zu der Angestellten mit dem Lippenstift.

“Entschuldigen Sie bitte”, sagte er, “könnten Sie mir sagen, ob jemand anderes in den letzten zwei Jahren auf mein Sicherheitsfach zugegriffen hat?”

Die Frau blinzelte ihn an. “Zwei Jahre?”

“Ja. Bitte. Sie führen doch Protokoll, oder?”

“Äh… sicherlich. Ein Moment, bitte.” Während einer langen Minute klackten Fingernägel gegen die Tastatur. “Da ist es ja. Es wurde nur einmal während der letzten zwei Jahre auf Ihr Sicherheitsfach zugegriffen und das war erst vor ein paar Monaten, im Februar.”

“Ich war es nicht”, entgegnete Null ungeduldig. “Also wer war es dann?”

Sie blinzelte ihn erneut an, dieses Mal verwirrt. “Nun ja, mein Herr, es war die einzige andere Person, die autorisierten Zugriff auf das Fach hat. Ihre Frau. Katherine Lawson.”

Null starrte die Angestellte länger an, als es ihr recht war.

“Nein”, antwortete er langsam. “Das ist unmöglich. Meine Frau starb vor zwei Jahren.”

Sie legte die Stirn in tiefe Falten, die mit Lippenstift verschmierten Mundwinkel verzogen sich nach unten, als hätte jemand daran gezogen. “Es tut mir sehr leid, das zu hören, mein Herr. Und das ist sicherlich seltsam. Doch… wir bestehen auf einen Fotoausweis und die Person, die auf das Sicherheitsfach zugegriffen hat, hatte ihn offensichtlich. Der Name Ihrer Frau wurde nicht aus dem Mietvertrag des Faches gestrichen, nachdem sie verstarb.”

Null erinnerte sich daran, dass er ihren Namen auf den Vertrag setzte. Kate wusste zu der Zeit nichts davon. Er hatte ihre Unterschrift gefälscht, um einen gemeinsamen Vertrag zu machen. Auf diese Weise wüsste jemand davon, falls er sterben sollte.

Und nur vor zwei Monaten hatte sich jemand als Kate ausgegeben, hatte sogar einen Ausweis gefälscht, der von der Bank akzeptiert wurde und den Inhalt des Sicherheitsfaches entwendet.

“Ich versichere Ihnen”, erklärte ihm die Angestellte, “dass wir uns diese Sache noch genauer ansehen werden. Der Filialleiter hat sich für heute gerade verabschiedet, doch er kann sich morgen bei Ihnen melden. Möchten Sie einen Diebstahl melden?”

“Nein, nein.” Null winkte mit der Hand ab. Er wollte keine legalen Behörden mit hineinziehen, damit das Sicherheitsfach in keinem System auftauchte, zu dem die CIA Zugriff hatte. “Es wurde nichts gestohlen”, log er. “Vergessen wir es einfach. Danke.”

“Mein Herr?” rief sie hinter ihm her, doch er war schon durch die Tür gegangen.

Jemand kam hierher und gab sich als Kate aus. Er wusste, dass er jetzt kaum etwas dagegen tun könnte. Die Bank hatte vielleicht noch die Aufnahmen der Überwachungskameras dieses Tages, doch sie erlaubten ihm kaum Zugriff darauf, solange es keine Ermittlung und Ermächtigung gab.

Aber wer? Die Agentur war der offensichtlichste Verdächtige. Mit den unbeschränkten Ressourcen, die der CIA zur Verfügung standen, hätten sie einen akzeptablen Fotoausweis herstellen können und eine weibliche Agentin, die sich als Kate ausgab, dort hinschicken können. Doch Null war seit zwei Jahren nicht an dem Fach gewesen. Selbst wenn sie damals davon gewusst hätten, warum hätten sie so lange gewartet, um es zu entleeren?

Weil ich zurückkam. Sie dachten, ich wäre tot und als dies nicht der Fall war, mussten sie herausfinden, was ich wusste.

Ein weiterer Gedanke ging ihm durch den Kopf: Maria. Bist du dir sicher, dass du ihr nie davon erzählt hast? Nicht mal im Fall einer Notlage? Sie war eine der besten verdeckten Geheimagenten, die er kannte. Sie hätte einen Weg gefunden. Doch auch hier stellte sich die Frage, warum sie es jetzt täte, warum sie wartete, obwohl sie über das Sicherheitsfach schon zuvor Bescheid wusste.

Plötzlich fühlte er sich müde und überwältigt. Er hatte so viel dessen verloren, was er zuvor aufgedeckt hatte. Nur noch das kleinste Fetzchen von potentiellem Beweismaterial war auf dem USB-Stick in seiner Tasche. Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit ihm blieb, um mit Pierson unter vier Augen zu sprechen, zu versuchen, ihn davon zu überzeugen, was geschah und ihn irgendwie zu überreden, die Verantwortlichen näher zu untersuchen, obwohl es kaum Beweise gab.

Es fühlte sich unüberwindbar an. Düster bemerkte er, dass Reid Lawson, der in der Hölle seiner unvollständigen Erinnerungen als Agent Null lebte, vermutlich schon aufgegeben hätte. Er hätte vielleicht seine Töchter und alles, was sie tragen konnten, eingesammelt und wäre irgendwohin geflohen. In den mittleren Westen vielleicht. Er hätte seinen Kopf möglicherweise in den Sand gesteckt und die Dinge so geschehen lassen. Reid Lawsons höchste Priorität waren seine Mädchen.

Doch Agent Null hatte eine Verantwortung. Dies war nicht nur sein Beruf. Es war sein Leben. Dies war, wer er wirklich war und auf keinen Fall lehnte er sich zurück und sähe dabei zu, wie ein Krieg sich entfaltete. Er sähe nicht dabei zu, wie unschuldige Menschen stürben. Sähe nicht dabei zu, wie amerikanische Soldaten und Zivile aus dem Nahen Osten in einen Konflikt gezwungen würden, der zugunsten einer Handvoll größenwahnsinniger Männer, die ihre Macht behalten wollten, heraufbeschworen wurde.

Er hörte die Schritte wie ein Echo seiner eigenen und widerstand dem Drang, sich umzudrehen. Als er sich seinem Auto annäherte, das zwei Häuserblocks von der Bank entfernt war, hielten die schweren Schritte genau mit ihm mit.

Etwa drei Meter hinter dir. Sie halten die Entfernung ein. Sie sind schwer, ganz sicher ein Mann, etwa eins-achtzig groß, hundert bis hundertfünf Kilo schwer.

Null machte bei seinem Auto nicht Halt. Er ging daran vorbei bis zur nächsten Ecke und bog dann rechts in eine Seitenstraße ab. Während er an einem Blumengeschäft vorbeilief, demselben, in dem er einmal Sträuße für seine Mädchen gekauft hatte, bevor er sie aus dem geheimen Unterschlupf sechs Häuserblocks westlich abholte, überprüfte er sein Umfeld. Dies hatte er als Reid Lawson instinktiv getan, doch gemeinsam mit seinen Erinnerungen kamen auch seine Fähigkeiten zurück. Es war so leicht, wie in einen Spiegel zu blicken. Ohne seinen Blick vom Bürgersteig vor ihm zu nehmen, konzentrierte er sich auf die äußersten Bereiche seines Blickfeldes.

Ein Mann in einem schwarzen T-Shirt ging über die Straße auf ihn zu. Er war groß, mindestens hundertfünfzehn Kilo schwer, sein Hals war so dick wie sein Kopf und sein T-Shirt spannte sich über seine muskulösen Arme.

So wird es also werden. Die Härchen auf Nulls Armen standen ab, doch sein Herzschlag blieb ruhig. Seine Atmung normal. Kein Schweiß rann ihm von der Stirn.

Er war nicht paranoid. Sie verfolgten ihn. Sie wussten Bescheid. Und er war mehr als bereit, die Herausforderung anzunehmen.




Kapitel fünf


Ohne sein Tempo zu vermindern, bog Null erneut rechts ab und verschwand in einem schmalen Durchgang zwischen zwei Gebäuden. Er war keine zwei Meter breit, nicht mal breit genug, um ihn Gasse zu nennen. Etwa auf halbem Wege hielt er an und drehte sich um.

Am Eingang des Durchgangs stand einer seiner zwei Verfolger. Der Mann war etwa im gleichen Alter wie er, ein paar Zentimeter größer, mit einem drahtigen Körper und ein paar Tagen dunklen, dichten Stoppeln am Kinn. Er trug schwarze Stiefel, Jeans und eine schwarze Lederjacke.

“Baker”, sagte Null instinktiv. Dieser Mann war ein Mitglied der Division, einer privaten Sicherheitsgruppe, die gelegentlich von der CIA angeheuert wurde, um bei internationalen Arbeiten Unterstützung zu leisten. Sie waren wahrhaftige Söldner, dieselbe Gruppe, die vor nicht mal einer Woche versucht hatte, ihn im Lager der Brüderschaft, außerhalb von Al-Baghdadi, umzubringen. Dieselbe Gruppe, die versucht hatte, Agent Watson zu überwältigen und seine Töchter in der Schweiz zu entführen.

Doch dieser besondere Mann war ihm bekannt. Sobald Null sein Gesicht sah, erinnerte er sich, dass die Division im Jahr 2013 gerufen wurde, um bei einer Geiselnahme von einem Dutzend US Soldaten durch eine Splittergruppe von Al Qaeda Hilfe zu leisten. Baker war unter ihnen.

Der Söldner hob eine Augenbraue. “Du kennst mich?”

Scheiße. Null rügte sich dafür, den Namen des Mannes ausgeplaudert zu haben. Er hatte sein Ass im Ärmel gezeigt. Er zuckte mit den Schultern und versuchte, es herunterzuspielen. “Einige Dinge kommen zurück. Bruchstückhaft.”

Baker grinste. “Na klar, Null. Was war in der Bank?”

“Geld. Ich habe etwas abgehoben.”

Der Söldner schüttelte seinen Kopf. “Das glaube ich nicht. Ich habe da nämlich angerufen. Du hast kein Konto dort. Aber die Techniker erzählten mir von einem Sicherheitsfach, das es dort in deinem und dem Namen deiner verstorbenen Frau gibt.”

Null regte sich für einen Moment über das gefühllose Kommentar fürchterlich auf und hätte es auch fast gezeigt, doch er zwang sich dazu, ruhig zu bleiben.

“Ich denke schon, dass du etwas abgehoben hast”, fuhr Baker fort, “aber es war kein Geld. Was war in dem Fach, Null?”

Denke? Entweder bluffte Baker oder die Agentur wusste bisher wirklich nicht über das Sicherheitsfach Bescheid. Was bedeutete, dass die CIA nicht für die fehlenden Dokumente verantwortlich war. Doch er könnte lügen.

Null hörte Schritte hinter sich und blickte schnell über seine Schulter, um zu sehen, wie der große Mann von der Straßenecke am anderen Ende des schmalen Durchgangs in sein Blickfeld trat. Sein Kopf war kahl rasiert, doch sein Kinn war durch einen dicken, braunen Bart versteckt. Seine Unterlippe sprang in einem Knurren hervor. Er sah aus, als könnte er ein Football-Spieler oder ein professioneller Ringer sein.

Ich kenne ihn nicht. Der muss wohl neu sein, dachte Null sarkastisch.

Als er sich zurück zu Baker wandte, hatte der drahtige Söldner eine Hand in seiner Jacke. Sie kam langsam wieder heraus und Null war gar nicht überrascht, zu sehen, dass sie eine schwarze Sig Sauer hielt.

“Was soll das jetzt? Willst du mich im hellen Tageslicht erschießen?” Null hielt seine verletzte rechte Hand hoch. “Ich bin unbewaffnet und einhändig.”

“Ich habe gesehen, was du mit einer Hand tun kannst”, sagte Baker nonchalant, während er einen Schalldämpfer auf den Lauf der Pistole schraubte. “Das hier ist Selbstverteidigung. Was war in dem Fach, Null?”

Null zuckte mit einer Schulter. “Da musst du mich schon zuerst erschießen?” Wie zum Teufel schaffe ich es hier heraus? Er machte keine Witze, als er sagte, dass er einhändig wäre. Er war schon im Nachteil gegen einen von ihnen, um erst gar nicht von beiden zu sprechen.

“Unsere Anordnung ist nicht-tödliche Gewalt”, bemerkte Baker. Er sah seinen stämmigen Kollegen an Null vorbei an. “Was meinst du, Stevens? Ein Schuss ins Knie ist nicht tödlich, stimmt’s?”

Der große Mann, Stevens, antwortete nicht – zumindest nicht mit Worten. Er knurrte nur.

Nicht-tödliche Gewalt. Die beiden waren nicht geschickt worden, um ihn zu töten. Man schickte sie, um zu stehlen, was auch immer er von der Bank abholte und um so vermutlich festzustellen, ob sie ihn verhaften sollten oder nicht. Es ist schon zu spät, um mich umzubringen. Die Machthaber mussten wissen, was er wusste und wem er davon erzählt hatte. Es wäre vielleicht für jene, die nicht in die Verschwörung verwickelt waren, nicht zu verdächtig, wenn Agent Null plötzlich tot aufgefunden würde, doch wenn sie auch noch weitere auslöschen müssten – Strickland, Watson, Maria – dann könnten Leute beginnen, die falschen Fragen zu stellen und nachzuforschen, wo man ihre schmutzige Wäsche vielleicht fände.

Ich brauche eine Ablenkung. “Sag mal, wie geht’s eigentlich Fitzpatrick?” fragte er so beiläufig wie möglich. Er wusste, dass er sie damit anstachelte, doch er brauchte etwas Zeit. “Als ich ihn das letzte Mal sah, da war er irgendwie… nennen wir es verschmiert, mangels eines passenderen Wortes.”

Bakers Lippe kräuselte sich leicht. Der Anführer der Division, Fitzpatrick, wurde durch die Mossad Agentin Talia Mendel von einem Auto in einem Parkhaus in New York angefahren. Soweit Null wusste, war Fitzpatrick noch am Leben, doch er hatte keine Ahnung, wie schwer er verletzt war.

“Der ist am Leben”, erwiderte Baker ruhig, “trotz der besten Bemühungen deiner Freunde. Siebzehn gebrochene Knochen, eine punktierte Lunge, Verlust der Sehkraft in seinem rechten Auge.”

Null schnalzte bestürzt mit der Zunge. “Ich sollte ihm wirklich ein paar Blumen schicken —”

Baker ergriff die Pistole mit beiden Händen. “Genug jetzt. Es war ja wirklich nett, zu plaudern, doch wenn du mir jetzt nicht sagst, was in dem Fach war, dann werde ich schießen. Und anschließend wird Stevens hier deinen blutenden Körper am Fußgelenk zu einem hübschen, ruhigen Ort zerren, an dem wir dich an eine Autobatterie anschließen können, bis du uns sagst, an wie viel genau du dich erinnerst.”

Null rümpfte die Nase. “Das klingt aber unangenehm.”

Baker feuerte einen Schuss ab. Die Waffe gab ein,swipp!’ von sich und ein kleiner Brocken der Backsteinfassade rechts von Null explodierte, ließ kleine Stückchen Stein gegen Nulls Gesicht prasseln.

Seine Hände waren sofort erhoben. “Heee! OK, meine Güte. Ich sage es dir.” Trotzdem erhöhte sich sein Puls stetig.

Ich habe, was sie wollen. Ich habe die Kontrolle hier.

“Es ist ein USB-Stick, auf dem sich Information befindet.”

“Gib ihn mir”, befahl ihm Baker.

“Kann ich dafür in meine Tasche greifen?”

“Langsam”, knurrte Baker, die Sig Sauer auf Nulls Stirn gerichtet.

“OK.” Null zeigte seine leere linke Hand, wackelte mit den Fingern und fuhr dann mit der Hand langsam in seine Hosentasche. Baker ist etwa fünf Meter entfernt. Mit der Hand in seiner Tasche ergriff er den USB-Stick mit zwei Fingern, hielt ihn mit dem Zeige- und Mittelfinger fest. Stevens ist etwa sieben Meter entfernt. Er nahm das Klappmesser mit seinem kleinen und Ringfinger auf, hielt es mit dem Daumen fest. Das ist genau wie die Tueller-Übung.

An diesem Morgen hätte er noch geschworen, niemals den Namen Dennis Tueller gehört zu haben, doch jeder, der ausgebildet wurde, ein Messer in einem Feuergefecht zu verwenden, würde ihn kennen. 1983 führte Sergeant Tueller eine Reihe von Tests durch, um festzustellen, wie schnell ein Angreifer mit einem Messer eine Distanz von etwa sechs Metern zurücklegen könnte – und ob ein Verteidiger mit einer gehalfterten Waffe rechtzeitig reagieren könnte.

Weniger als zwei Sekunden. Das war die durchschnittliche Zeit, die ein Angreifer brauchte, um sechs Meter auf ein Ziel zu sprinten. Das Problem war nur, dass Bakers Waffe nicht gehalftert war.

Doch Stevens hatte seine Waffe noch nicht gezückt.

“Siehst du?” Null hob den USB-Stick, den er zwischen zwei Finger hielt, hoch, und achtete dabei darauf, dass sein Handrücken Baker zugewandt war.

“Wirf ihn rüber”, verlangte Baker. Hinter dem Söldner sprachen und lachten ein paar Passanten, während sie an der Mündung des Durchgangs vorbeigingen. Ein junger Mann unter ihnen blickte in den Durchgang hinein, doch da Baker ihm den Rücken zugedreht hatte, sah er nicht die Sig Sauer. Stattdessen runzelte der Mann nur kurz die Stirn und ging weiter.

Ich könnte wirklich eine Ablenkung gebrauchen. Doch Null war nicht dazu bereit, um Hilfe zu rufen, jemand weiteren zu gefährden.

Baker hielt seine Pistole mit nur einer Hand und streckte die andere aus. Die Handinnenfläche nach oben gedreht wartete er darauf, dass Null den USB-Stick herüberwarf.

Und das tat er auch. Er holte mit seinem Arm aus und warf den USB-Stick auf Baker in hohem Bogen zu. Als er den Stick losließ, brachte er das Klappmesser von seiner Hand in seine Finger.

Dann katapultierte er wie ein Sprung von seinem Platz und ließ das Messer währenddessen aufschnappen.

Als Bakers Blick von seinem Ziel auf den kleinen schwarzen USB-Stick wanderte, der in hohem Bogen durch die Luft flog, rannte Null von seiner Position – doch nicht auf Baker zu. Er hechtete wie ein Schuss in Richtung des größeren Mannes.

Eins-Komma-vier Sekunden. Er hatte die Tueller-Übung tausend Mal durchgeführt, er hatte für genau dieses Szenario geprobt, erinnerte sich noch so stark daran, als wäre es gestern geschehen. Eine Hochpräzisionsradarfalle in einem Trainingsfeld der CIA hatte einen Durchschnitt von eins-Komma-vier Sekunden gemessen, die er brauchte, um ein Ziel in etwa sechs Metern Abstand zu erreichen.

Die Menge an Minimalmathematik, die ihm blitzschnell durch das Gehirn schoss, war umwerfend. Es war immer dagewesen, verwurzelt durch verrückte Mengen an Wiederholung und Lernen, verschlossen in den dunkelsten Winkeln seines limbischen Systems, wartete es nur auf die Gelegenheit, wieder herauszubrechen. Die durchschnittliche Geschwindigkeit menschlicher Reaktion lag bei einer halben bis dreiviertel Sekunde. Selbst ein Profi wie Baker brauchte mindestens eine viertel Sekunde zwischen Schüssen auf einer halbautomatischen Pistole wie der Sig Sauer. Und Null war ein bewegliches Ziel.

Der große Mann, Stevens, war nicht schnell. Er hatte die Pistole kaum aus dem Halfter, seine Augen weiteten sich ungewollt vor Überraschung über Nulls Geschwindigkeit, als er auf ihn zuraste. Die Klinge war schon aufgeklappt. Null sprang die letzten zwei Meter auf Stevens zu und ließ die Spitze der Klinge mit einer raschen Bewegung durch seine Kehle rutschen.

Mit seiner verbundenen rechten Hand griff er nach Stevens großer Schulter und als die Messerspitze wieder herausrutschte, wand sich Null um den Körper des großen Mannes herum. Zwei Schüsse klangen hinter ihm – swipp-swipp aus der schallgedämpften Pistole – und trafen Stevens in die Brust, als Null hinter ihm landete. Scharfer, bemerkenswerter Schmerz brannte in seiner verletzten Hand, doch er war jetzt voll von Adrenalin, das in durchfloss, während er das Messer fallen ließ und nach Stevens Pistole griff, bevor der Mann zu Boden fiel. Er riss sie aus seiner fleischigen Hand und feuerte, sicher versteckt hinter seinem breiten, menschlichen Schutzschild, zwei Schuss auf Baker.

Auch mit seiner linken Hand war er ein guter Schütze, doch nicht gar so gut wie mit der rechten. Einer der Schüsse verfehlte. Glas zersprang irgendwo hinter dem Durchgang. Der zweite donnernde Schuss – Stevens’ Beretta war nicht mit einem Schalldämpfer ausgestattet – traf Baker in die Stirn.

Der Kopf des Söldners fiel nach hinten. Sein Körper folgte.

Null wartete nicht, bis er wieder zu Atem. Er rannte wieder voran, schnappte den USB-Stick auf, der immer noch auf dem Zement lag und rannte dann in die entgegengesetzte Richtung die Gasse hinunter. Zusammen mit dem blutigen Messer stopfte er den Stick in seine Tasche und nahm dann Stevens’ Beretta mit. Sie hatte seine Fingerabdrücke.

Irgendwo heulte ein Autoalarmanlage laut auf. Das zersplitterte Glas, das er gehört hatte, musste wohl ein Autofenster gewesen sein. Er hoffte, dass niemand getroffen wurde.

Die Brust des großen Mannes hob und senkte sich. Er war noch am Leben. Doch Null konnte sich nicht den Luxus leisten, ihn zu töten oder abzuwarten. Außerdem stürbe er mit der Stichwunde am Hals und den zwei Brustschüssen binnen Sekunden.

Menschen riefen alarmiert aus der Nähe auf, als Null auf das Ende der Gasse zurannte und dabei die Waffe hinter sich in seine Hose steckte. Er bog um die Ecke und sah sich fassungslos um, in der Hoffnung, als ein weiterer schockierter Passant wahrgenommen zu werden.

Er eilte zum Ende des Häuserblocks, als er den Schrei einer Frau hörte – zweifellos entdeckte sie die zwei Leichen in der engen Gasse – und dann den Ruf eines Mannes: “Ruft den Notdienst an!”!

Sie mussten sterben. Es gab keinen anderen Ausweg. Er hatte es schon in dem Moment gewusst, als er versehentlich sein Ass im Ärmel gezeigt hatte und Bakers Namen nannte. Er wusste es, als er ihnen den USB-Stick zeigte, den er von der Bank abgeholt hatte.

Seltsamerweise spürte er keine Reue. Es gab kein “was wäre wenn?”, ob er es geschafft hätte, sie umzustimmen oder sie überredet hätte, die Dinge aus seiner Perspektive zu sehen. Es war eine Situation, bei der entweder er oder sie stürben und er hatte sich entschlossen, nicht das Opfer zu sein. Sie hatten ihre Wahl getroffen und es war die falsche.

Das ganze Unterfangen, vom Wurf des USB-Sticks zur Flucht von der Gasse hatte sich binnen Sekundenschnelle entfaltet. Doch er konnte sich ganz klar an jeden Moment visuell erinnern, als ob alles in Zeitlupe in seinem Kopf abliefe. Das Seltsame daran war, dass Nulls Gedanken sich nicht darum drehten, wie nah die Kugel, die Baker nur Meter von ihm entfernt in die Backsteinmauer gefeuert hatte, an ihm vorbeigeflogen war, oder dass Baker ihn leicht hätte töten können, wenn er das wollte. Es ging auch nicht um die Mädchen. Stattdessen war er sich der zweigeteilten Natur seines Akademikerdaseins und seiner wiedergefundenen Erinnerungen nur zu bewusst. Null war kühl, gelassen und glaubte, vielleicht aus Selbstüberschätzung oder Erfahrung oder auch einer Kombination von beiden, dass er immer noch die Kontrolle über diese Situation hatte.

Es war ein seltsames Gefühl. Schlimmer noch war es, wie sehr es ihn gleichzeitig bangte und begeisterte. Bin ich das? War Reid Lawson eine Lüge? Oder habe ich die letzten zwei Jahre mit nur mit dem schwächsten Teil meiner Psyche gelebt?

Null schritt zum Ende des Häuserblocks, bog erneut ab, lief am Blumenladen vorbei und ging direkt zu seinem Auto. Er konnte sehen, dass eine Menschenmenge von Schaulustigen sich an der Ecke ansammelte, viele waren schockiert oder weinten sogar beim Anblick der beiden leblosen Körper.

Niemand achtete auf ihn.

Er fuhr lässig, hielt sich an die Geschwindigkeitsbeschränkung und achtete darauf, kein Stoppschild und keine rote Ampel zu ignorieren. Zweifellos war die Polizei auf dem Weg und die CIA wüsste in einigen Momenten, dass Schüsse gefeuert wurden und zwei Männer nur drei Häuserblocks von der Bank entfernt erschossen wurden, von der die Division berichtet hatte, dass Null darin war.

Die Frage war, was sie dagegen tun könnten. Es gab nichts am Tatort, das ihn direkt damit verband und wer immer auch die Divisionssöldner hinter ihm hergeschickt hatte – Riker, vermutete er – könnte das nicht öffentlich zugeben. Dennoch brauchte er Hilfe, mehr als er von seinen Agentenkollegen erwarten konnte. Auch sie würden beschattet. Wenn die Jagd auf Agent Null jetzt eröffnet war, dann brauchte er Verbündete. Mächtige Verbündete.

Doch zuerst musste er seine Mädchen in Sicherheit bringen.

Sobald er spürte, dass er ausreichend Abstand zwischen sich und die grausame Szene in der Gasse gebracht hatte, machte er hinter einer Tankstelle Halt. Er vergrub die Waffe, das Messer und den Sicherheitsfachschlüssel in dem Müllcontainer unter fürchterlich stinkendem Abfall. Dann stieg er wieder in sein Auto und tätigte einen Anruf. Es klingelte nur zwei Mal, bevor Mitch mit einem Grummeln antwortete.

“Ich brauche den geheimen Unterschlupf sofort, Mitch. Wo kann ich dich treffen?”

“Meadow Field,” erwiderte der Mechaniker sofort. “Kennst du das?”

“Ja.” Meadow Field war eine verlassene Landebahn etwa dreißig Kilometer südlich. “Ich komme dahin.”




Kapitel sechs


Maya zog die Jalousien des Fensters neben der Eingangstür vermutlich schon zum zwanzigsten Mal auseinander, seit ihr Vater gegangen war. Die Straße vor ihr war frei. Gelegentlich fuhr ein Auto vorbei, doch sie fuhren nicht langsamer oder hielten an.

Sie hatte wirklich Angst davor, auch nur darüber nachzudenken, worin ihr Vater wohl dieses Mal verwickelt war.

Nur zur Sicherheit ging sie durch die Eingangshalle in die Küche und schaute erneut auf das Telefon ihres Vaters. Er hatte sein persönliches Handy dagelassen. Es war zwar auf lautlos gestellt, doch auf dem Bildschirm konnte sie sehen, dass er drei verpasste Anrufe hatte, seitdem Maya das letzte Mal mit ihm gesprochen hatte.

Scheinbar versuchte Maria verzweifelt, ihn zu kontaktieren. Maya wollte sie anrufen, ihr sagen, dass da etwas vor sich ging, doch sie hielt sich zurück. Wenn ihr Vater wollte, dass Maria Bescheid wüsste, dann kontaktierte er sie selbst.

Sie sah, dass Sara seit einer halben Stunde in derselben Position im Wohnzimmer saß, die Beine unter sich eingezogen. Im Fernsehen lief eine Komödie, doch die Lautstärke war so gering, dass man sie kaum vernehmen konnte und Sara schaute auch nicht wirklich hin.

Maya wusste, dass ihre Schwester still litt, seitdem sie von Rais und den slawischen Menschenhändlern entführt wurden. Doch Sara wollte sich nicht öffnen, nicht darüber sprechen.

“Hey Mäuschen, wie wär’s mit was zu essen?” schlug Maya vor. “Ich könnte gegrillten Käse machen. Mit Tomaten. Und Schinken…” Sie schnalzte mit den Lippen und hoffte, ihre kleine Schwester aufzuheitern.

Doch Sara schüttelte nur den Kopf. “Keinen Hunger.”

“OK. Willst du über irgendwas reden?”

“Nein.”

Frust überkam sie, doch Maya schluckte ihn hinunter. Sie musste geduldig sein. Auch sie fühlte sich von den Ereignissen, die sie erlebt hatten, betroffen, doch ihre Reaktion war Wut und ein Verlangen nach Vergeltung. Sie hatte ihrem Vater gesagt, dass sie selbst eine CIA Agentin werden wollte, und das war nicht nur jugendlicher Unfug. Es war ihr sehr ernst damit.

“Ich bin für dich da”, beruhigte sie ihre Schwester. “Wenn du jemals Lust hast, zu reden. Du weißt das, oder?”

Sara blickte zu ihr hinüber. Es stand ihr fast ein Lächeln auf den Lippen – doch dann öffneten sich ihre Augen und sie setzte sich plötzlich auf. “Hast du das gehört?”

Maya horchte aufmerksam. Sie hörte es, das Geräusch eines kräftigen Motors, der in der Nähe brummte. Dann hörte es abrupt auf.

“Bleib hier.” Sie eilte zurück in die Eingangshalle und zog erneut die Jalousien auseinander. Ein silberner Geländewagen war auf ihre Auffahrt gefahren. Ihr Puls schnellte hoch, als vier Männer ausstiegen. Zwei von ihnen trugen Anzüge, die anderen zwei waren ganz schwarz gekleidet, mit schusssicheren Westen und Springerstiefeln.

Selbst aus dieser Entfernung konnte Maya die Abzeichen erkennen, die auf ihren Ärmeln angenäht waren. Die zwei schwarzgekleideten Männer waren von derselben Organisation, die versucht hatte, sie in der Schweiz zu entführen. Watson hatte sie die Division genannt.

Maya eilte in die Küche, rutsche auf ihren Socken und zog ein Steakmesser aus dem Bambusblock auf der Theke. Sara war von der Couch aufgestanden und eilte zu ihr.

“Geh runter.” Maya hielt das Griff des Messers ihrer Schwester hin. “Geh in den Panikraum. Ich komme gleich nach.”

Die Klingel schellte.

“Geh nicht hin”, bettelte Sara. “Komm einfach mit mir.”

“Ich mache die Tür nicht auf”, versprach Maya. “Ich will nur wissen, was sie wollen. Geh. Schließe die Tür. Warte nicht auf mich.”

Sara nahm das Messer und eilte die Kellertreppe hinunter. Maya schlich sich vorsichtig an die Eingangstür und blinzelte durch den Türspion. Die beiden Männer im Anzug standen direkt vor der Tür.

Wohin sind die anderen beiden? fragte sie sich. Hintertür, vermutlich.

Maya schrak ein wenig auf, als einer der beiden Männer fest an die Tür klopfte. Dann sprach er laut genug, damit sie ihn hören konnte. “Maya Lawson?” Er hielt einen Ausweis in einem Lederetui hoch, den sie durch den Türspion sah. “Agent Coulter, FBI. Wir müssen dir einige Fragen über deinen Vater stellen.”

Ihr Gedanken rasten. Sie war sich sicher, dass sie nicht die Tür für sie öffnen würde. Doch versuchten sie, sich gewaltsam Eintritt zu verschaffen? Sollte sie etwas sagen oder vorgeben, sie wären nicht zu Hause?

“Ms. Lawson?” sagte der Agent erneut. “Wir würden es wirklich bevorzugen, dies auf die leichte Art zu erledigen.

Lange Schatten tanzten auf dem Boden der Eingangshalle in der untergehenden Sonne. Sie blickte schnell auf und erkannte zwei Formen, die am Hintereingang vorbeigingen, eine Glasschiebetür, die zu einer kleinen Terrasse und einem Hinterhof führte. Es waren die beiden anderen Männer, jene von der Division, die hinter dem Haus schlichen.

“Ms. Lawson”, rief der Mann erneut. “Dies ist Ihre letzte Warnung. Bitte öffnen Sie die Tür.”

Maya atmete tief ein. “Mein Vater ist nicht hier”, rief sie zurück. “Und ich bin minderjährig. Sie müssen später wiederkommen.”

Sie blickte erneut durch den Türspion, um zu sehen, wie der FBI Agent grinste. “Ms. Lawson. Ich glaube, sie schätzen die Situation falsch ein.” Er wandte sich an seinen Partner, einen größeren und stämmigeren Mann. “Tritt sie ein.”

Maya atmete scharf ein und ging mehrere Schritte zurück. Der Türrahmen krachte, Holzsplitter segelten durch die Luft und die Eingangstür flog auf.

Die zwei Agenten traten einen Schritt voran in die Eingangshalle. Maya fühlte sich wie angewurzelt. Sie wunderte sich, ob sie es rechtzeitig bis in den Keller und in den Panikraum schaffte. Doch wenn Sara das getan hatte, worum ihre Schwester sie bat und die Tür verschlossen hatte, dann schafften sie es niemals, sie wieder zu verschließen, bis die Agenten sie eingeholt hätten.

Er ihr Blick musste zur Kellertür geschweift sein, denn der ihr näherstehende der zwei Agenten grinste. “Wie wär’s, wenn du da einfach stehen bleibst, mein Fräulein?” Der Agent, der durch die Tür sprach, hatte aschblondes Haar und ein Gesicht, das möglicherweise freundlich und jungenhaft wäre, hätten sie nicht gerade die Haustür eingetreten. Er hielt seine leeren Hände hoch. “Wir sind nicht bewaffnet. Wir wollen dir oder deiner Schwester nicht wehtun.”

“Ich glaube euch nicht”, antwortete Maya. Sie blickte schnell über ihre Schulter, nur eine halbe Sekunde, und sah die Schatten der zwei schwarzgekleideten Männer immer noch auf der Terrasse lungern.

WUUUPP! WUUUPP! WUUUPP! Plötzlich plärrte eine Sirene durch das Haus, ein ohrenbetäubender Hupton, der alle drei verwirrt um sich sehen ließ. Maya brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass es ihr Alarmsystem war, das aktiviert wurde, falls die Tür eingetreten wurde und nach sechzig Sekunden losging, wenn der Code nicht eingegeben wurde.

Die Polizei, dachte sie hoffnungsvoll. Die Polizei wird kommen.

“Mach es aus!” brüllte der Agent sie an. Doch sie bewegte sich nicht.

Dann – Glas zersprang hinter ihr. Maya sprang und drehte sich instinktiv um, als sie hörte, wie die Glasschiebetür zum Hinterhof nach innen explodierte. Einer der schwarzgekleideten Männer trat durch sie ein.

Sie hielt nicht an, um nachzudenken, doch eine Erinnerung blitzte sofort durch ihr Gedächtnis: Das Hotel in Engelberg in der Schweiz. Der Mann von der Division, der sich als CIA ausgab, der gewaltsam in ihr Zimmer drang, sie angriff.

Maya drehte sich schnell wieder zu den FBI Agenten um. Einer von ihnen war in der Nähe der Steuerung des Alarmsystems, doch er blickte sie an, als der Alarm weiter laut tönte. Die Augen des anderen Agenten, mit dem jugendlichen Gesichtsausdruck, waren weit geöffnet und seine Hände leicht in die Luft gehoben. Sein Mund bewegte sich, doch seine Worte wurden von dem dröhnenden Alarm übertönt.

Starke Arme ergriffen sie von hinten und sie schrie auf. Sie kämpfte gegen ihren Angreifer, doch er war stark. Sie roch seinen sauren Atem, als der Mann sich um sie schlang und sie immobilisierte.

Er riss sie von den Füßen und hielt sie fest, ihre Bein traten um sich und ihre Arme waren in einem schmerzhaften Winkel hochgezogen. Sie war nicht stark genug, um sich loszukämpfen.

Entspanne dich, wies sie ihr Gehirn an. Kämpfe nicht. Sie hatte an der Universität Selbstverteidigungsunterricht mit einem ehemaligen Marinesoldaten genommen, der sie genau in dieses Szenario gebracht hatte – ein größerer, schwerer Angreifer, der sie von hinten festhält.

Maya zog ihr Kinn ein, berührte fast ihr Schlüsselbein damit.

Dann warf sie ihren Kopf so fest wie sie konnte nach hinten.

Der Mann von der Division, der sie festhielt, schrie vor Schmerz auf, als ihr Hinterkopf auf seine Nase traf. Sein Griff wurde lose und ihre Füße berührten erneut den Boden. So bald dies geschehen war, drehte sie ihren Körper, zog den Kopf ein, um aus seinen Armen zu kommen und ließ sich in die Hocke fallen.

Sie wog ganze fünfzig Kilo. Doch als sie sich fallen ließ, während der Arm des Mannes noch weiter in ihrem Ellenbogen verhakt war, wurde er plötzlich fünfzig Kilo schwerer und er kam durch den scharfen Schlag ins Gesicht aus dem Gleichgewicht.

Er taumelte und fiel auf den gefliesten Boden der Eingangshalle. Maya sprang zurück, von ihm weg, als er fiel. Sie blickte über ihre Schulter und sah, dass der zweite Mann der Division in der kaputten Tür stand. Scheinbar zögerte er, einzutreten, nachdem sie seinen Kumpel zu Fall gebracht hatte.

Sie war nur einen Meter von der Kellertür entfernt. Sie könnte losrennen und den Panikraum erreichen, bis die Polizei ankam…

Der Söldner in der Tür griff hinter sich und zog eine schwarze Pistole heraus. Mayas Atem blieb ihr im Hals stecken, als sie die Waffe sah.

KRACK! Selbst mit dem heulenden Alarm hörten sie beide das scharfe Geräusch. Maya und der Söldner drehten sich beide wieder um.

Es war der FBI Agent, der die Tür eingetreten hatte, jener, der am nächsten an der Steuerung des Alarmsystems stand. Sein Kopf steckte in der Trockenbauwand des Eingangsbereiches. Sein Körper hing schlaff.

Eine Figur schlenderte voran und schwang den Reifenmontierhebel erneut, platzierte damit einen ordentlichen Schlag in den Kiefer des zweiten Agenten. Das Geräusch ließ Maya die Zähne aufeinanderbeißen und der Agent ging wie eine welke Nudel zu Boden.

Als der Söldner der Division seine Waffe gegen die neue Bedrohung erhob, holte der stämmige Mann aus und warf den Reifenmontierhebel durch die Luft. Er wirbelte knapp an Maya vorbei und traf den Söldner direkt in die Stirn. Er gab kaum ein Geräusch von sich, als sein Körper rückwärts durch die kaputte Tür fiel.

Der große Mann trug eine Fernfahrermütze über einem buschigen Bart. Seine Augen blitzten blau. Er nickte ihr einmal zu und zeigte auf die Steuerung des Alarmsystems.

Mayas Beine fühlten sie wie Pudding an, als sie herüberrannte und den Code eingab. Der Alarm war endlich stillgelegt.

“Mitch?” fragte sie atemlos.

“Hm”, brummelte der Mann. Auf dem Boden des Eingangs lag das Divisionsmitglied, das Maya festgehalten hatte. Er versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, hielt sich immer noch seine blutige Nase. “Ich kümmere mich um ihn. Ruf du die Polizei an. Sag ihnen, dass es kein Problem gibt.”

Das tat Maya. Sie eilte zur Küche, ergriff das Handy ihres Vaters und rief die Notfallnummer an. Sie schaute Mitch dabei zu, wie er herüber zu dem Söldner der Division schritt und einen schweren, braunen Stiefel anhob.

Sie schaute weg, bevor er mit ihm in das Gesicht des Mannes trat.

“Notfallzentrale, was ist der Grund Ihres Anrufs?”

“Mein Name ist Maya Lawson. Ich lebe in der Spruce Street 814 in Alexandria. Unser Alarmsystem wurde versehentlich ausgelöst. Ich habe die Tür offenstehen lassen. Es gibt keinen Notfall.”

“Bitte bleiben Sie einen Moment dran, Ms. Lawson.” Sie hörte, wie eine Tastatur einen Augenblick klackerte und dann sagte ihr die Stimme: “Ein Streifenwagen befindet sich auf dem Weg, etwa drei Minuten von Ihnen entfernt. Selbst wenn Sie sagen, dass es keinen Notfall gibt, dann würden wir dennoch gerne jemanden vorbeischicken. Unser Protokoll schreibt es vor.”

“Es ist aber wirklich alles in Ordnung.” Sie blickte verzweifelt hinüber zu Mitch. Sie könnten keine Polizei im Haus gebrauchen, während da vier Körper lagen. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie tot oder nur bewusstlos waren.

“Trotzdem, Ms. Lawson, ein Polizist wird wenigstens kurz vorbeikommen. Wenn es keinen Notfall gibt, dann ist das kein Problem.”

Mitch griff in die Tasche seiner ölverschmierten Jeans und zog ein faltbares Handy heraus, das etwa fünfzehn Jahre alt sein musste. Er wählte eine Nummer und grummelte dann leise etwas in das Gerät.

“Äh…” die Stimme zögerte. “Ms. Lawson, sind Sie sich sicher, dass es keinen Notfall gibt?”

“Ja, da bin ich mir sicher.”

“In Ordnung. Schönen Tag noch.” Der Anruf wurde abrupt beendet. Hinter der zerbrochenen Glastür konnte Maya plötzlich Sirenen aus der Ferne hören – die schnell verblassten.

“Was hast du getan?” fragte sie Mitch.

“Hab einen größeren Notfall gemeldet.”

“Sind die… am Leben?”

Mitch blickte um sich und zuckte dann mit einer Schulter. “Er nicht”, grummelte er und zeigte auf den Agenten mit dem Kopf in der Wand. Mayas Magen drehte sich, als sie den dünnen Blutstrom bemerkte, der die Trockenbauwand hinunterlief, in welcher der Kopf des Agenten steckte.

Wie viel Leute werden in diesem Haus sterben? Wunderte sie sich.

“Hol deine Schwester. Und eure Telefone. Wir hauen ab.” Mitch schritt über die Körper des Söldners und seines Freundes. Er ergriff den Mann an den Fußknöcheln, zog ihn ins Haus und hob danach die schwarze Pistole auf.

Maya eilte die Treppen in den Keller hinunter. Sie stellte sich vor die Kamera, die direkt über der Tür des Panikraumes angebracht war. “Ich bin’s, Sara. Du kannst die Tür öffnen.”

Die dicke Stahlsicherheitstür wurde von innen aufgedrückt und das schüchterne Gesicht ihrer Schwester erschien. “Alles in Ordnung?”

“Im Moment schon. Los, wir hauen ab.”

Als sie wieder im Erdgeschoss waren, bemerkte Sara das Blutbad mit weitgeöffneten Augen, doch sagte nichts. Mitch wühlte nach etwas in der Küche. “Habt ihr einen Erste-Hilfe-Kasten?”

“Ja, hier.” Maya zog eine Schublade auf und nahm eine kleine, weiße Metallkiste mit einem Klappdeckel und einem roten Kreuz darauf hinaus.

“Danke.” Mitch zog ein antiseptisches Tuch heraus und ließ dann ein rasierklingenscharfes Messer aufklappen. Maya tat bei seinem Anblick einen Schritt zurück. “Tut mir echt leid”, erklärte der Mechaniker, “doch der nächste Schritt wird ein wenig unangenehm. Ihr habt beide Ortungsgeräte in eurem rechten Arm. Die müssen raus. Sie liegen subkutan; unter der Haut, doch über dem Muskel. Das bedeutet, dass es wie die Hölle brennt für eine Minute, aber ich verspreche euch, dass es nicht zu schlimm wird.”

Maya biss sich nervös auf die Lippe. Sie hatte das Ortungsimplantat fast vergessen. Doch dann war sie sehr überrascht, zu sehen, wie Sara einen Schritt vortrat und ihren rechten Ärmel hochzog. Sie griff nach Mayas Hand und hielt sie fest. “Mach schon.”


* * *

Es gab eine Menge Blut, doch nicht besonders viel Schmerz, da Mitch die beiden Ortungsgeräte schnell herausnahm. Das Implantat war kaum so groß wie ein Reiskorn. Maya bewunderte es, während Mitch den Schnitt von einem Zentimeter Länge versorgte und eine Mullbinde darauflegte.

“Jetzt können wir los.” Mitch nahm den Erste-Hilfe-Kasten, die Waffe des Söldners, beide Telefone der Mädchen und die beiden winzigen Implantate. Sie folgten ihm nach draußen und sahen dabei zu, wie er die Telefone und die Implantate in den Geländewagen der Agenten legte. Dann tätigte er einen weiteren Anruf auf seinem Klapptelefon.

“Ich brauche eine Säuberung”, grummelte er. “Nulls Haus in der Spruce Street. Vier. Ein Auto. Bringt es in den Westen und lasst es dort verschwinden.” Er legte auf.

Die drei stiegen in die Fahrerkabine eines alten Lieferwagen, auf dessen Seite “Third Street Garage” stand. Der Motor brummte zu Leben und sie fuhren ab.

Keine der beiden Mädchen blickte zurück.

Maya saß in der Mitte zwischen Mitch und Sara. Sie bemerkte die dicken Fingerknöchel des Mechanikers, seine Fingerspitzen, die sowohl mit Öl als auch Blut verschmiert waren. “Wo fahren wir hin?” frage sie.

Mitch grummelte, ohne dabei die Augen von der Straße zu nehmen. “Nebraska.”




Kapitel sieben


Null parkte das Auto direkt auf dem verlassenen Rollfeld von Meadow Field. Er hatte eine etwas umständlichere Route genommen, sich auf kleineren Straßen fortbewegt und die Highways aus Angst vermieden, dass die CIA sein Auto meldete – was sie sicherlich getan hatten.

Meadow Field bestand nur aus einer Landebahn. Das Gebäude und die Flugzeughalle waren in den fünfzehn Jahren, seitdem es nicht mehr benutzt wurde, schon lange abgerissen worden. Unkraut und Blumen sprossen durch die Risse des Asphalts und das ignorierte Gras auf beiden Seiten der Landebahn wuchs hoch.

Doch trotz seines Erscheinungsbildes war es ein erfreulicher und willkommener Anblick für Null. In etwa dreißig Metern Entfernung stand ein alter Lieferwagen, auf dessen Seite mit einer Schablone die Aufschrift “Third Street Garage” gemalt war. Der stämmige Mechaniker lehnte sich gegen die Tür der Fahrerseite, seine Fernfahrermütze tief in die Stirn gezogen.

Als Null zum Lieferwagen eilte, stiegen seine Töchter aus der Fahrerkabine und rannten auf ihn zu. Er nahm jede in einen Arm, ignorierte den Schmerz seiner gebrochenen Hand und drückte sie beide fest an sich.

“Geht’s euch gut?” fragte er.

“Es gab ein paar Probleme”, gab Maya zu, während auch sie ihn umarmte. “Doch wir hatten Hilfe.”

Null nickte und ließ sie los, doch blieb auf einem Knie, so dass er Sara gerade in die Augen blickte. “In Ordnung, hört mir zu. Ich werde ehrlich mit euch sein.” Er hatte die ganze Fahrt über nachgedacht, was er ihnen sagen würde und hatte sich dazu entschlossen, ihnen einfach alles zu erklären. Ihre Leben waren so oder so bedroht und sie hatten das Recht, zu erfahren, warum. “Es gibt da ein paar mächtige Leute, die einen Krieg anfangen wollen. Die planen das schon seit einer langen Zeit und es geht dabei nur um ihren persönlichen Gewinn. Wenn sie das schaffen, dann bedeutet es, dass eine Menge unschuldiger Menschen sterben. Ich werde direkt mit dem Präsidenten sprechen und ihm zu verstehen geben, was da vor sich geht, doch ich kann mich nicht darauf verlassen, dass er sein Vertrauen in die falschen Hände legt. Dies könnte zu einem neuen Weltkrieg führen.”

“Und das kannst du nicht geschehen lassen”, sagte Sara leise.

Maya nickte ernst.

“Das stimmt. Und…” Null seufzte schwer. “Es bedeutet, dass es für eine kleine Weile ganz schön hart werden könnte. Sie wissen, dass ihr Zwei der einfachste Weg seid, um an mich zu kommen. Deshalb müsst ihr eine Weile verschwinden und euch verstecken, bis das alles vorbei ist. Ich weiß nicht, wie lange es dauert. Ich weiß nicht…” Er unterbrach sich selbst. Er wollte ihnen sagen: ich weiß nicht, ob ich das hier überleben werde. Doch er schaffte es nicht, diese Worte auszusprechen.

Er musste es nicht tun. Sie wussten, was er meinte. Tränen stiegen in Mayas Augen und sie blickte weg. Sara umarmte ihn noch einmal und er hielt sie fest.

“Ihr geht mit Mitch und macht, was immer er euch anweist, OK?”

Null hörte das Zittern in seiner eigenen Stimme. Er war sich jetzt mehr als sonst bewusst, dass dies das letzte Mal sein könnte, dass er seine Töchter sähe. “Bei ihm seid ihr in Sicherheit. Und ihr passt gegenseitig auf euch auf.”

“Das machen wir”, flüsterte Sara in sein Ohr.

“Gut. Jetzt wartet hier einen Moment, während ich mit Mitch spreche. Ich komme gleich wieder.” Er ließ Sara los und schritt auf den Lieferwagen zu, wo der Mechaniker ruhig wartete.

“Danke”, sagte ihm Null. “Du bist mir nichts schuldig. Ich weiß dies alles sehr zu schätzen und wenn es vorbei ist, dann zahle ich es dir auf jede mir mögliche Art zurück.”

“Nicht notwendig”, grummelte der Mechaniker. Seine Fernfahrermütze war immer noch tief in sein Gesicht gezogen und verdunkelte seine Augen. Sein dicker Bart bedeckte den Rest seines Gesichtes.

“Wo bringst du sie hin?”

“Es gibt da ein altes WITSEC Haus auf dem Land in Nebraska”, antwortete Mitch. “Ein kleines Häuschen direkt vor einer Kleinstadt, praktisch im Nirgendwo. Wird seit Jahren nicht benutzt, doch es ist immer noch von der Regierung registriert. Dort bringe ich sie hin. Da sind sie in Sicherheit.”

“Danke”, wiederholte sich Null. Er wusste nicht, was er sonst sagen könnte. Er war sich nicht mal sicher, warum er diesem Mann die beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben so einfach anvertrauen konnte. Es war ein Gefühl, ein Instinkt, der Logik überschritt. Doch er hatte vor langem gelernt – und erst vor Stunden wiedergelernt – seinen Instinkten zu vertrauen.

“Also”, grummelte Mitch. “Jetzt geht es doch los, was?”

Null blinzelte ihn überrascht an. “Ja”, sagte er vorsichtig. “Du weißt davon Bescheid?”

“Ja.”

Er schnaubte fast verächtlich. “Wer bist du wirklich?”

“Ein Freund.” Mitch blickte auf seine Armbanduhr. “Helikopter sollte gleich ankommen. Der bringt uns zu einer privaten Landebahn, wo wir in ein Flugzeug in Richtung Westen einsteigen.”

Null gab es auf. Es schien nicht, als bekäme er weitere Antworten von dem mysteriösen Mechaniker. “Danke”, murmelte er erneut. Dann drehte er sich, um von seinen Töchtern Abschied zu nehmen.

“Du bist zurück”, sagte der Mechaniker hinter ihm. “Stimmt’s?”

Null drehte sich um. “Ja. Ich bin zurück.”

“Wann?”

Er lachte auf. “Heute, falls du mir das glaubst. Es ist ein ganz schön seltsamer Nachmittag.”

“Na”, antwortete Mitch. “Ich möchte dich nicht enttäuschen wollen.”

Null erstarrte. Ein elektrisches Kribbeln rann ihm über den Rücken. Mitchs Stimme hatte sich plötzlich verändert, sie war nicht länger das bassige Grummeln, das er nur Sekunden zuvor von sich gegeben hatte. Sie war sanft und gleichmäßig und kam ihm so komisch bekannt vor, dass Null plötzlich die Division, seine Situation und sogar seine wartenden Töchter für einen Moment vergaß.

Mitch griff unter den Schirm seiner Fernfahrermütze und rieb sich die Augen. Zumindest sah es so aus, als ob er dies täte, doch dann fiel seine Hand hinab und es lagen zwei winzige konkave, kristallblaue Scheiben auf seinen Fingerspitzen.

Kontaktlinsen. Er trug farbige Kontaktlinsen.

Dann nahm Mitch die Fernfahrermütze vom Kopf, strich sich über das Haar und blickte Null an. Seine braunen Augen sahen einsam aus, fast verschämt, und augenblicklich wusste Null genau, warum dem so war.

“Oh Gott.” Seine Stimme klang wie ein heiseres Flüstern, als er ihm in die Augen blickte.

Er kannte diese Augen. Er würde sie überall erkennen. Doch es konnte nicht sein. Es war nicht möglich.

“Verdammt. Du… du warst tot.”

“Du doch auch für ein paar Jahre”, sagte der Mechaniker in seinem sanften, fast gesungenen Tonfall.

“Ich habe deine Leiche gesehen”, würgte Null hervor. Das kann nicht wahr sein.

“Du hast einen Körper gesehen, der wie meiner aussah.” Der stämmige Mann zuckte mit einer Schulter. “Jetzt tu bloß nicht so, als wäre ich nicht schon immer klüger als du gewesen, Null.”

“Du liebes Bisschen.” Null blickte ihn von oben bis unten an. Er hatte etwa fünfzehn Kilo zugenommen, vielleicht auch mehr. Sich einen Bart wachsen lassen. Trug die Fernfahrermütze und gefärbte Kontaktlinsen. Hatte seine Stimme verändert.

Doch er war es. Er war am Leben.

“Ich glaube es nicht.” Er trat zwei Schritte vorwärts und umarmte Alan fest.

Sein bester Freund, derjenige, der ihm auf so vielen Einsätzen Rückendeckung gegeben hatte, derjenige, der ihm geholfen hatte, den Gedächtnishemmer eingepflanzt zu bekommen, anstatt ihn auf der Hohenzollernbrücke zu töten, derjenige, den Null tot aufgefunden hatte, zu Tode erstochen in einer Wohnung in Zürich… er war hier. Er war am Leben.

Er dachte daran zurück, wie er ihn in Zürich entdeckt hatte. Das Gesicht des toten Mannes war aufgedunsen und geschwollen und sein Gehirn hatte den Doppelgänger direkt mit Reidigger verbunden. Dein Gehirn füllt die Leerstellen aus, hatte Maria ihm einst gesagt.

Reidigger hatte seinen eigenen Tod vorgetäuscht, genauso wie er Kent Steele geholfen hatte, den seinen vorzutäuschen. Und er hatte unter dem Deckmantel eines Mechanikers mit guten Verbindungen gelebt, nur zwanzig Minuten entfernt.

“Die ganze Zeit?” fragte Null. Seine Stimme war heiser und er sah alles etwas verschwommen, während eine Flut von Gefühlen an die Oberfläche drängte. “Du hast auf uns aufgepasst?”

“So gut, wie ich konnte. Watson half.”

Das stimmt. Watson weiß Bescheid. John Watson hatte Reid Lawson Mitch den Mechaniker vorgestellt – doch er hatte es erst getan, nachdem Reids Töchter entführt worden waren, als das Risiko zu hoch war und die CIA kaum helfen konnte.

“Weiß es sonst noch jemand?” fragte Null.

Alan schüttelte seinen Kopf. “Nein. Das geht nicht. Falls die Agentur es herausfindet, bin ich tot.”

“Du hättest es mir früher sagen können.”

“Nein, hätte ich nicht.” Alan lächelte. “Hättest du mich ohne dein Gedächtnis erkannt? Hättest du mir geglaubt, wenn ich es dir einfach erzählt hätte?”

Null musste zugeben, dass das ein gutes Argument war.

“War es Dr. Guyer? Hast du ihn gesehen?”

“Ja”, antwortete Null. “Es hat zu dem Zeitpunkt nicht funktioniert. Es geschah später, durch ein Stichwort. Und jetzt…” Er schüttelte seinen Kopf. “Jetzt weiß ich Bescheid. Ich erinnere mich. Ich muss es aufhalten, Alan.”

“Ich weiß. Und du weißt, dass mir nichts lieber wäre, als an deiner Seite zu stehen, während du es aufhältst.”

“Doch das geht nicht.” Null verstand es komplett. Außerdem hatte Alan eine Aufgabe, die in Nulls Augen wenigstens genauso wichtig war, wie einen Krieg aufzuhalten. “Du musst sie in Sicherheit bringen.”

“Das tue ich. Ich verspreche es dir.” Alans Augen leuchteten plötzlich auf. “Da fällt mir grade ein, dass ich etwas für dich habe.” Er griff durch das offene Fenster seines Lieferwagens und zog eine Sig Sauer Pistole heraus. “Hier. Schöne Grüße von dem Söldner der Division, der dein Haus angriff.”

Null nahm die Pistole ungläubig. “Die Division war bei mir zu Hause? Was ist geschehen?”

“Nichts, mit dem wir nicht umgehen konnten. Die zwei sind ganz sicher deine Kinder.” Alan grinste, doch das Lächeln verschwand schnell. “Du brauchst auch Hilfe, weißt du. Ruf Watson an. Oder deinen neuen Kumpel, den Ranger.”

“Nein”, erwiderte Null standhaft. Er weigerte sich, Watson oder Strickland da noch tiefer mit hineinzuziehen. “Ich arbeite besser allein.”

Alan seufzte. “Genauso stur wie immer.” Aus der Ferne erklangen die Rotoren eines Helikopters, der sich annäherte. “Da kommt unser Gefährt. Pass gut auf dich auf, Null.”

“Das mache ich.” Er umarmte Reidigger noch einmal. “Danke für alles. Wenn das hier vorbei ist, dann setzen wir zwei uns zusammen und haben eine lange Unterhaltung bei mehreren Bieren.”

“Abgemacht”, stimmte Reidigger zu. Doch in seiner Stimme klang ein melancholischer Unterton, einer, der verriet, dass er gerade dasselbe wie Null dachte – das einer oder beide von ihnen dieses Unterfangen vielleicht nicht überlebten. “Vertraue ihnen bis dahin nicht.”

Er runzelte die Stirn. “Wem?”

“Niemandem in der Agentur”, antwortete Alan. “Die waren schon mal bereit dazu, dich zu töten, und sie setzten mich darauf an. Die machen denselben Fehler nicht nochmal. Dieses Mal schicken sie jemanden, der keine Minute Schlaf darüber verliert, eine Kugel in deinen Hinterkopf zu schießen.”

“Ich weiß.” Null schüttelte seinen Kopf. “Ich habe darüber nachgedacht, mich wenigstens bei Cartwright zu melden. Ich glaube, der hat nichts damit zu tun —”

“Verdammt, was habe ich gerade gesagt? Niemand, verstehst du?” Alans Blick drang in ihn.

“Ganz besonders nicht Cartwright. Null… vor zwei Jahren hat Cartwright mich und Morris dir auf den Hals gehetzt, auf der Brücke.”

“Was?” ein Schauder lief Null über den Rücken.

“Ja. Er schickte nicht die Division. Er schickte keinen angeheuerten Killer. Die Anordnung für deine Ermordung kam von oben und Cartwright hat sich nicht dagegen gewehrt. Er schickte uns.”

Zorn stieg heiß in seiner Brust auf. Shawn Cartwright hatte vorgegeben, ein Freund zu sein, ein Verbündeter und hatte Null sogar gewarnt, nicht den anderen, wie Riker, zu vertrauen.

Die Rotoren des Helikopters lärmten über ihnen, als er über Meadow Field schwebte.

Alan lehnte sich nach vorn und sagte ihm “Auf Wiedersehen, Null” ins Ohr. Er schlug ihn auf die Schulter und schritt auf den Helikopter zu, der im hohen Gras landete.

Null eilte zu seinen wartenden Mädchen und umarmte sie beide noch einmal fest. “Ich liebe euch beide”, sage er ihnen ins Ohr. “Seid brav und passt aufeinander auf.”

“Ich liebe dich auch”, erwiderte Sara und umarmte ihn fest.

“Das machen wir”, versprach Maya und rieb sich die Augen.

“Los jetzt.” Er ließ sie los und sie eilten zu dem schwarzen Helikopter herüber. Beide blickten noch einmal zu ihm zurück, bevor sie mit Alans Hilfe in die Kabine kletterten. Dann schloss sich die Schiebetür und der Helikopter hob erneut ab. Null stand einen langen Moment da und sah zu, wie er am Himmel immer kleiner wurde. Alles drehte sich noch in seinem Kopf von dem Wissen, dass Alan Reidigger irgendwie noch am Leben war. Doch zu wissen, dass seine Töchter in seinen Händen waren, gab ihm Hoffnung – und um so mehr Entschlossenheit, dies hier zu überleben.

Endlich riss er seinem Blick von dem, was jetzt nur noch ein Fleckchen am Horizont war und ging zurück zum Auto. Für einen Augenblick saß er hinter dem Steuer und fragte sich, ob dies das letzte Mal wäre, dass er seine Töchter sähe. Das Blut, das durch sein Ohren rauschte, dröhnte betäubend.

Er griff hinüber und schaltete das Radio an, nur um eine Geräuschkulisse zu erzeugen. Die Stimme eines männlichen Sprechers füllte sofort den Raum.

“Unsere heutige Schlagzeile ist weiterhin die sich entwickelnde Situation im Persischen Golf”, sagte der Moderator ernst. “Vor nur ein paar Stunden schoss ein iranisches Kriegsschiff Raketen auf die USS Constitution, einen amerikanischen Zerstörer, der mit der Fünften Flotte der Navy das Gebiet patrouilliert. Als Gegenmaßnahme erwiderte die Constitution das Feuer, zerstörte dabei das iranische Schiff und damit die Leben aller sechsundsiebzig Mitglieder der Mannschaft an Bord.”

Die gehen schnell voran. Ein Knoten formte sich in Nulls Magen. Er hatte nicht erwartet, dass sich dies so schnell entwickelte. Das bedeutet nur, dass ich schneller voran muss.

“Die iranische Regierung hat schon eine öffentliche Stellungnahme herausgegeben”, fuhr der Moderator fort, “in der sie ihre Empörung über die Zerstörung ihres Schiffes ausdrückte und bekanntgab, und hier zitiere ich, dass,dieses Ereignis ein klares und offenes Kriegshandeln darstellte.’ Obwohl es keine formelle Erklärung gab, scheint es, als ob der Iran vorhat, einen erneuten Konflikt mit den USA einzugehen. Die Pressesekretärin des Weißen Hauses, Christine Cleary, veröffentlichte eine sehr kurze Stellungnahme, in der sie nur bekanntgab, dass Präsident Pierson sich der Situation vollkommen bewusst sei und sein Kabinett schnell arbeitet, um die vereinigten Stabschefs zusammenzurufen. Man erwartet, dass er heute Abend der Nation eine Rede hält.”

Das war also ihr nächster Spielzug. Das Attentat der Brüderschaft würde das Volk zum Fremdenhass gegen die Iraner anschüren und der,Angriff’ auf die USS Constitution war eine zeitige Folgeaktion, um einen Krieg heraufzubeschwören. Der Präsident träfe seine Berater und die würden ihn dazu überreden, dass einer erneuter Konflikt im Nahen Osten die einzige Lösung wäre.

Außer, dachte er plötzlich, er hat einen neuen Berater.

Er zog eine Karte aus seiner Tasche und wählte die Nummer darauf.

“Sanders”, antwortete die weibliche Hilfskraft, die sich ihm auf dem Rasen des Weißen Hauses angenähert hatte.

“Hier spricht Agent Kent Steele”, antwortete er. “Wir haben uns heute morgen kennengelernt —”

“Ich erinnere mich”, erwiderte sie abrupt. Ihre Stimme klang angespannt, zweifellos aufgrund der neuen Ereignisse. “Was kann ich für Sie tun, Agent?”

“Ich muss mit Präsident Pierson sprechen.”

“Der ist leider bei einem Treffen”, sagte Sanders. “Sicherlich wissen Sie, was gerade geschieht —”

“Ja.” Diesmal unterbrach Null sie. “Deshalb rufe ich an. Es geht hier um die nationale Sicherheit, Ms. Sanders. Also können Sie mir einfach ein Treffen mit Präsident Pierson verschaffen, oder Sie können ihm später erklären, dass Sie zwischen ihm und allem, was geschehen wird, standen.”




Kapitel acht


Weniger als eine halbe Stunde später befand sich Null erneut im Weißen Haus und wurde durch einen Korridor zum Oval Office geführt. Er versuchte, die Falten aus seinem Hemd zu glätten, doch das machte unter den Umständen kaum etwas aus.

Man ließ ihn in das innere Heiligtum des Präsidenten, wo es ihn überraschte, Pierson allein anzutreffen. Null hatte hektische Betriebsamkeit, eine Menge Berater und Kabinettsmitglieder, die Anrufe tätigten, Laptop-Netzwerke erstellten und mit einem Dutzend verschiedener Agenturen und ausländischer Machtinhaber kommunizierten, erwartet.

Doch es gab nichts davon. Präsident Pierson stand hinter seinem Schreibtisch auf als Null eintrat und sah aus, als wäre er in den letzten paar Stunden um ein Jahrzehnt gealtert. Seine Krawatte hing lose um seinen Hals und die obersten zwei Knöpfe seines gebügelten, weißen Hemdes waren geöffnet.

“Agent Steele.” Pierson streckte ihm seine rechte Hand hin, rügte sich dann selbst und schüttelte Nulls linke. “Entschuldigung, ich habe das mit der Hand vergessen. Gott, was für ein Durcheinander.”

“Ich habe es gehört.” Null blickte sich im Büro um. “Ich muss zugeben, dass ich mehr Leute erwartet habe.”

“Die vereinigten Stabschefs versammeln sich gerade im Krisenraum.” Pierson seufzte und lehnte sich mit beiden Händen auf den Tisch. “Ich werde dort gleich erwartet. Ich bin zwar froh, dass Sie hier sind, Null, aber ich bedaure, dass dieses Treffen verschoben werden muss.”

“Mr. Präsident”, drängte Null, “ich habe Informationen.” Die Finger seiner linken Hand schwebten über seiner Hosentasche, in der sich der USB-Stick befand. “Bevor Sie zu dem Treffen mit den vereinigten Stabschef gehen, gibt es etwas, das ich Ihnen —”

“Sir.” Die Tür des Oval Offices öffnete sich nur ein paar Zentimeter und Emilia Sanders Gesicht lugte herein. Ihr Blick strich vom Präsidenten zu Null und wieder zurück. “Man erwartet Sie jetzt.”

“Danke, Emilia.” Pierson schnürte sich die Krawatte fest und strich mit den Händen über sein Hemd. “Es tut mir leid Null, doch meine Aufmerksamkeit wird jetzt woanders benötigt.”

“Sir.” Er trat einen Schritt voran und senkte seine Stimme. Er musste ein Risiko eingehen. Er konnte Pierson nicht uninformiert den Krisenraum betreten lassen. “Ich habe sehr starken Grund zur Annahme, dass sie den Menschen, die sie beraten, nicht vertrauen können.”

Der Präsident runzelte die Stirn. “Welchen Grund? Was wissen Sie?”

“Ich habe…” begann Null, doch dann warf er einen Blick über seine Schulter und sah, dass ein Geheimagent in der Tür zum Oval Office stand und darauf wartete, den Präsidenten in den Krisensaals zu eskortieren. “Ich kann das jetzt nicht erklären. Ich brauche nur fünf Minuten. Allein.”

Pierson rieb sich das Kinn. Er sah müde aus. “Kommen Sie mit mir.”

“Sir?”

“Begleiten Sie mich zum Treffen. Anschließend gebe ich Ihnen fünf Minuten.” Pierson ging auf die Tür zu und Null folgte ihm. Mehr konnte er nicht tun. Er konnte den Präsidenten nicht davon abbringen, einem Treffen bezüglich einer nationalen Sicherheitskrise beizuwohnen. Und wenn es bedeutete, dass er später fünf Minuten mit Pierson allein hätte, dann folgte er ihm in die Höhle des Löwen.


* * *

Der John. F. Kennedy Konferenzsaal, der im Keller des Westflügels lag und den die Meisten als Krisenraum kannten, war das Zentrum für das Management von Geheiminformationen des Weißen Hauses. Es handelte sich um mehr als hundertfünfzig Quadratmeter voll von Kommunikationsausrüstung, die es einigen der mächtigsten Menschen erlaubten, die Sicherheit von einem einzigen Ort aus zu wahren.

Und es schien, als hätte Null sich gerade einen Platz am Tisch verdient.

Präsident Pierson trat gefolgt von zwei Geheimdienstagenten in den Saal, die sich sofort auf beiden Seiten der Doppeltüren aufstellten, durch die sie hereinkamen. Null folgte ihm. Nun traf er auf die hektische Betriebsamkeit, die er bei seinem Ankommen erwartet hatte. Um den langen, rechteckigen Tisch, der sich durch den Raum zog, saßen vierzehn Personen, die alle aufstanden, als der Präsident eintrat.

Null blickte schnell um sich und sah sich die Gesichter an. Er erkannte fast alle von ihnen. Unter anderem waren der Berater für nationale Sicherheit anwesend, der Berater für innere Sicherheit, der Stabschef des Weißen Hauses, der Verteidigungssekretär Quentin Rigby, der Direktor der nationalen Nachrichtendienste John Hillis und die Pressesekretärin Christine Cleary. Er bemerkte sarkastisch, dass, abgesehen von ihm, Pierson und Cleary, alle anderen im Raum Männer über fünfundfünfzig waren.

Er war ein wenig erleichtert, als er sah, dass die CIA nicht anwesend war. Er hatte schon halbwegs erwartet, Direktor Mullen oder möglicherweise sogar Deputy Direktorin Riker dort stehen zu sehen. Doch dies war eine Angelegenheit für Staatschefs und die CIA wurde durch den Direktor der nationalen Nachrichtendienste Hillis vertreten, der jegliche Anweisungen an Mullen weiterleitete.

“Bitte nehmen Sie Platz.” Pierson setzte sich auf einen schwarzen Stuhl am Kopf des Tisches, der sich am nächsten der Türen befand. Er zeigte auf den leeren Stuhl zu seiner Rechten und Null setzte sich.

Mehrere Augenpaare sahen ihn an, doch nur der Verteidigungssekretär sprach. Der zur Ruhe gesetzte vier Sterne General Quentin Rigby hatte einen verspannten Hals und Schultern, in seinem Gesicht standen tiefe Sorgenfalten, die darauf hinwiesen, dass er die schlimmsten Seiten der Menschheit gesehen hatte und obwohl er sehr scharfsichtig war, scheute er sich nicht, seine Meinung von sich zu geben.

“Mr. Präsident.” Rigby blieb stehen, als er sich an Pierson wandte. “Ich glaube, ich muss sie nicht daran erinnern, dass wir gleich etwas sehr vertrauliches diskutieren werden —”

“Bemerkt, General Rigby, danke.” Pierson unterbrach den General, indem er mit der Hand abwinkte. “Agent Steele wohnt dem Treffen als ein Sicherheitsberater bei. Er wurde durch die CIA überprüft und hat seine Fähigkeit, Vertrauliches für sich zu behalten, immer wieder von Neuem unter Beweist gestellt. Um gar nicht zu erwähnen, das er der Einzige im Raum ist, der jüngste Erfahrungen mit der Art von Situation hat, um die es gerade geht.”

“Dennoch”, drängte Rigby, “ist dies höchst unorthodox, Sir.”

“Ich glaube, ich muss Sie nicht daran erinnern, General, dass ich die einzige Person bin, die entscheidet, wer im Raum ist.” Pierson starrte Rigby an, bis dieser den Blick abwendete.

Null grinste fast. Er hatte niemals Pierson dabei gehört, so mit jemandem zu reden. Normalerweise war er diplomatisch und charmant. Einerseits bemerkte Null, dass der Präsident durch die Geschehnisse mitgenommen war. Andererseits war es aber auch schön, zu sehen, wie er richtiges Rückgrat bewies.

Rigby nickte und setzte sich wieder auf seinen Platz. “Ja, Sir.”

“Mr. Holmes.” Präsident Pierson nickte seinem Stabschef zu. Er war ein kleiner Mann mit einer wachsenden Glatze und eulenhafter Brille. “Wenn Sie dann so nett wären.”

“Natürlich, Sir.” Peter Holmes stand auf und räusperte sich. “Um etwa siebzehn Uhr Ortszeit feuerte ein iranisches Kampfschiff zwei Raketen auf den Zerstörer USS Constitution während einer Routinepatrouille im Persischen Golf. Aufgrund einer kürzlichen Änderung der Einsatzregeln, mit der wir glaube ich alle bekannt sind, war die Constitution autorisiert, um —”

“Entschuldigung.” Null hob seinen Arm, als ob er in einem Klassenzimmer säße und unterbrach den Stabschef. “Welche Änderung der Einsatzregeln?”

“Aufgrund des neulichen Angriffs auf amerikanischem Boden”, erklärte Rigby, “unterschrieb der Präsident gerade heute morgen eine Vollzugsanordnung, die vorschreibt, dass jegliche fremde Macht, die in einem bestimmten Umfeld auf amerikanisches Militär schießt, als feindlich angesehen wird und mit extremem Vorurteil behandelt werden muss.”

Null zeigte äußerlich keine Reaktion, doch sein Gehirn arbeitete hart. Welch Zufall, dachte er. “Und wie groß ist dieses bestimmte Umfeld, General?”

“Wir sind nicht hier, um die Details einer Vollzugsanordnung zu erklären”, erwiderte Rigby. “Wir sind hier, um eine sehr dringliche und brisante Situation zu besprechen.”

Rigby ging Fragen aus dem Weg. “Auf welcher Bahn befanden sich die Raketen?” fragte Null.

“Wie bitte?” Holms schob sich die Brille auf der Nase hoch.

“Die Flugbahn”, wiederholte Null. “Steigungs- und Fallwinkel, Art von Rakete, Nähe, etc. Wie stark, war die Bedrohung, die dieses Schiff gegenüber der Constitution darstellte?”

“Die Bedrohung war ausreichend stark, damit ein Kapitän der US Navy ein Urteil fällen musste”, erwiderte Rigby nachdrücklich. “Bezweifeln Sie das Urteil des Kapitäns, Agent Steele?”

Ich bezweifle seine Motivationen, hätte er fast gesagt. Doch er biss sich auf die Lippe. Er konnte es sich nicht leisten, schon wieder ein Ass im Ärmel zu zeigen, so wie er es schon zweimal getan hatte. “Überhaupt nicht. Ich möchte nur vorschlagen, dass es drei Seiten zu dieser Geschichte gibt. Die des Kapitäns, die der Iraner und die Wahrheit. Wie sieht es denn mit Kameras aus?”

“Kameras”, wiederholte Rigby. Er grinste herablassend. “Was wissen Sie eigentlich über Schiffe der Zerstörerklasse, Agent?”

“Ich kann nicht behaupten, dass ich viel Erfahrung damit habe,” grinste Null zurück. “Ich weiß nur, dass die USS Constitution ein Arleigh-Burke-Klassen-Zerstörer ist, der 1988 gebaut wurde und 1991 zuerst in Einsatz ging. Dies war die einzige Zerstörerklasse der USA, die von 2005 bis 2016 verwendet wurde, bis die Zumwalt-Klasse in Auftrag gegeben wurde. Die Constitution hat also ein Aegis integriertes Waffensystem, Anti-U-Boot-Raketen, ein passives, elektronisches Scan-Radarsystem und Tomahawk-Fernlenkgeschosse – mit denen vermutlich das iranische Schiff versenkt und sechsundsiebzig Menschenleben ausgelöscht wurden. Wenn man bedenkt, dass es sich hierbei um eine der technologisch am fortgeschrittensten Maschinen handelt, die ausreichend Feuerkraft an Bord hat, um jegliche Zahl von Bananenrepubliken zu erobern, nehme ich an, dass Kameras nicht außer Frage stehen.”

Rigby starrte ihn einen langen Augenblick an. “Keine Kameras haben den Angriffswinkel aufgezeichnet”, entgegnete er ihm schließlich. “Doch wenn Sie möchten, können Sie gerne den Bericht des Kapitäns lesen.” Der General schob ihm einen Hefter zu.

Er öffnete ihn. Auf der ersten Seite befand sich ein sehr kurzer Bericht von nur einigen Absätzen, verfasst durch einen Kapitän Warren. Die Details waren spärlich. Warren gab nur an, dass ein Schiff der Iranischen Revolutionsgarde zwei Raketen auf die Constitution gefeuert hatte. Keine der beiden traf, doch der Versuch wurde als ausreichend bedrohlich angesehen, um Warren zu dem Urteil zu führen, das Feuer zu erwidern. Dies tat er jedoch, wie Null richtig angenommen hatte, mit acht Tomahawk Geschossen. Das feindliche Schiff wurde ausgelöscht.

Nicht nur war es ein Overkill, doch es war auch der einzige Teil des Berichtes, den Null wirklich glaubte. Alles andere könnte man leicht fälschen. Der Golf von Persien und Kapitän Warren waren tausende von Kilometern entfernt. Zu weit weg, um ihn auf bedeutungsvolle Weise zu befragen.

“Um nun zurück zur Sache zu kommen”, fuhr Rigby fort. “Die Iraner betrachten dies öffentlich als eine Kriegshandlung. Sie sagen, wir hätten zuerst gefeuert. Es hat keine formelle Kriegserklärung von ihnen gegeben, doch das amerikanische Volk erwartet eine definitive Antwort. Wir können keinen weiteren Angriff dulden —”

“Weiteren Angriff?” unterbrach Null erneut.

Rigby blinzelte in seine Richtung. “Waren Sie nicht im Midtown Tunnel während des Attentats, Agent? Als Hunderte von amerikanischen Leben ausgelöscht wurden?”

Null schüttelte seinen Kopf. “Das war das Werk eine radikalen Terrorgruppe, die aus weniger als zwanzig Mann bestand. Keine ganze Nation oder Region.”

“Sagen Sie das dem amerikanischen Volk”, argumentierte Rigby.

Null antwortete nichts, doch er wusste in diesem Moment, dass seine Annahme korrekt war. Die Verschwörer wollten das kürzlich durchgeführte Attentat benutzen, um die Menschen für den Krieg zu stimmen.

“OK”, unterbrach Pierson und hielt eine Hand hoch. “Lasst uns mal einen Schritt zurückgehen hier. Roland, welche weltweiten Reaktion gibt es?”

Der Staatssekretär, Roland Kemmerer, überflog schnell seine Notizen, während er sprach. “Zuerst die schlechten Nachrichten. Geheime und Satelliteninformationen weisen darauf hin, dass der Iran schon Verbündete sowohl im Irak und Oman, als auch bei einigen syrischen nationalistischen Gruppen sucht. Schließen sie sich zusammen, dann hätten sie die Fähigkeit, die Hormus Meeresenge zu schließen.”

Er hielt einen Moment inne, damit das Kommentar seine Wirkung hätte, bevor Rigby sagte: “Sie wissen, wie schädlich das sein könnte, Mr. Präsident.”

“Nicht nur verhinderte es das strategische Vorteil der Fünften Flotte”, fügte Holmes hinzu, “sondern wir könnten uns ebenfalls einer großen wirtschaftlichen Krise ausgesetzt sehen.”

“Eine Rezession, um es milde auszudrücken. Vielleicht auch schlimmeres.” Kemmerer schüttelte seinen Kopf.

Null biss sich auf die Lippe, um nicht zu reagieren. Mistsäcke. Das war alles so geprobt wie ein Theaterstück. Die hatten Jahre auf diesen Augenblick gewartet. Er hätte niemals gedacht, dass er dabei anwesend wäre, doch hier saß er im Krisensaal, während diese Kriegshetzer versuchten, einen Präsidenten zu überzeugen.

Pierson rieb sich gedankenvoll das Kinn. Sein Gesicht war aschfarben. Nicht nur war er die einzige Person, die dafür verantwortlich war, ob Amerika in den Krieg zöge, doch eine Rezession war sicherlich nicht etwas, das er zuvor in Betracht gezogen hatte. “Gibt’s auch gute Nachrichten?”

Der Staatssekretär seufzte. “Die Vereinten Nationen wollen das Ereignis untersuchen. Die Europäische Union, China, Japan und fast alle anderen Verbündeten geben schon Verkündigungen von Neutralität für jeglichen zukünftigen Konflikt, der ausgelöst werden könnte, bekannt. Abgesehen von einem.”

Null wusste es schon, bevor Kemmerer es aussprechen konnte.

“Russland.” Der Staatssekretär wand sich ein wenig auf seinem Platz. “Es scheint, als ob ihre eigenen Handelsabkommen mit dem Iran sich verschlechtert hätten. Sie sind bereit, uns Hilfe zu leisten, falls wir sie benötigen.”

“Präsident Ivanov hat schon Ressourcen für unser Anliegen zur Verfügung gestellt, falls wir entscheiden, dass es in unserem besten Interesse liegt”, erklärte Holmes.

“Krieg”, murmelte der Präsident. “Lasst es uns besser beim Namen nennen. Falls Krieg in unserem besten Interesse liegt.”

Null blickte hinüber zu Pierson. Der Präsident sah fahl im Gesicht aus und er starrte ausdruckslos auf die glänzende Mahagonifläche des Tisches. Null war zwar sehr erfahren darin, Gesichtsausdrücke und kleine Hinweise zu lesen, doch er konnte nicht sagen, ob Pierson diesen Haufen Mist kaufte, den ihm sein Kabinett da versuchte, anzudrehen. Müsste er raten, dann sagte er, dass Pierson kurz davor stand, nachzugeben.

“General Rigby”, fragte der Präsident, “welches ist Ihre Position?”

Jetzt kommt’s. Der knallharte Ratschlag, dass die USA im Nahen Osten in den Krieg ziehen soll.

“Ich bin der Meinung, dass wir die Fünfte Flotte mobilisieren sollten”, antwortete Rigby, “und ihnen unser volles Potential im Persischen Golf zeigen sollten. Wir können noch weitere Unterstützung aus dem Golf von Oman einberufen. Aber…” Der General hielt inne und schüttelte seinen Kopf. “Ich kann nicht anraten, dass wir einen Krieg deswegen beginnen.”

Null sträubte sich. Er konnte seine Reaktion dieses Mal nicht verstecken. Sein Mund blieb bei der Bemerkung des Generals leicht offenstehen. Rigby spielte etwas vor, war er sich sicher, doch es war dennoch ein Ablenkungsmanöver.

“Ich finde, dass wir unsere Position im Golf halten und den Iranern zu verstehen geben sollten, dass wir Konflikt auf jede mögliche Art meiden wollen”, fuhr er fort. “Sollten sie handeln, so reagieren wir, doch bis dahin halten wir unseren Kurs.”

“Bei allem Respekt, General”, erwiderte Holmes, “doch aufgrund der kürzlich geschehenen Ereignisse bin ich mir nicht sicher, dass diese Perspektive gut beim amerikanischen Volk ankommen wird.”

“Nein”, stimmte Pierson zu, “doch der General hat recht. Wir können es nicht zulassen, dass man dieser Situation unverhältnismäßige Bedeutung zuspricht und ich glaube nicht, dass die Iraner ohne weitere Provokation einen Krieg erklären werden, Mr. Holmes”, wandte er sich an seinen Stabschef. “Lasst uns gleich mit einer Ansprache an die Nation anfangen. Wir erklären, dass der Angriff im Persischen Gold zu keinem Verlust von amerikanischen Leben führte, und dass wir uns nicht zu Feindlichkeiten hinziehen lassen.”

“Ja, Mr. Präsident.”

Nulls Gehirn arbeitete wie verrückt. Er hatte wirklich erwartet, dass dies das Treffen wäre, indem die USA dem Iran den Krieg erklärte und zügig handelte, um die Kontrolle über die Meeresenge von Hormus zu übernehmen…

Oh. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Ziegelstein auf den Kopf. Erklärten sie jetzt den Krieg, dann machte das ihr Vorhaben zu offensichtlich. Er, Agent Null, hatte es herausgefunden. Er wusste zwar, dass er extrem intelligent war – da war schon wieder diese Selbstüberschätzung – doch andere wussten es ebenfalls. Jemand anders könnte dasselbe annehmen wie er. Nein, diese Leute hatten Jahre, um das hier zu planen. Sie waren in keiner Eile.

Er hatte gedacht, hatte angenommen, dass dieses ganze Treffen das Theaterstück war. Doch es war nur eine Probe. Was bedeutete… Da wird es noch etwas anderes geben. Kein Attentat. Kein Gefecht.

Sie wissen schon, dass der Iran die Meeresenge schließen wird.

Dann hätte Pierson keine weitere Wahl mehr, außer zu handeln. Sie hatten das Konzept eingeführt. Jetzt mussten sie nur noch abwarten. Die Eskalation wäre jetzt schnell und skrupellos – sie würde mit der amerikanischen Kontrolle der Meeresenge enden, da der Iran und Oman nicht mehr vertrauenswürdig noch stabil wären.

Pierson stand auf. “OK, vielen Dank, euch allen. Ich möchte über alles auf dem Laufenden gehalten werden. Bis dahin ist das Treffen beendet.” Die Anwesenden standen auf, Pierson blickte auf sein faltiges Hemd hinunter und murmelte: “Ich sollte mich vor der Ansprache vielleicht noch umziehen.”

“Sir.” Null sprach leise unter dem Geräusch von Absätzen auf dem Boden und raschelndem Papier. “Unser Gespräch?” Er hatte immer noch eine Chance, dies aufzuhalten. Der Krieg war noch nicht erklärt worden und der USB-Stick brannte ein Loch in seine Tasche. “Es gibt da etwas, dass ich mit Ihnen teilen muss.”

Pierson blickte ihn für einen Augenblick eindringlich an. Sein Mund öffnete sich zur Antwort, doch eine weitere Stimme unterbrach ihn, bevor er sprechen konnte.

“Agent Steele.” Der Direktor des nationalen Nachrichtendienstes, John Hillis, war Mitte sechzig. Die Haut unter seinem Kinn war zwar schlaff, doch seine Augen waren so scharf und beobachtend wie die eines Raubvogels. “Direktor Mullen informierte mich nicht darüber, dass Sie anwesend wären. Sie denken wohl nicht darüber nach, die Agentur für einen bequemen Sicherheitsjob auszutauschen, oder?” Hillis kicherte ein wenig.





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“Sie werden nicht schlafen, bis Sie AGENT NULL zu Ende gelesen haben. Ein erstklassiges Werk, mit einer Reihe von gut entwickelten, sehr genießenswerten Figuren. Die Beschreibung der Action-Szenen befördert uns direkt in eine Realität, in der man meinen könnte, man säße im Kino mit Surroundsound und 3D (es würde wirklich einen tollen Hollywood Film abgeben). Ich kann die Fortsetzung kaum abwarten.” -Roberto Mattos, Books and Movie Reviews

In AKTE NULL (Buch #5) kommen Agent Nulls Erinnerungen endlich wieder flutartig zurückgeströmt – und damit auch schockierende Enthüllungen über den geheimen Komplott der CIA, einen Krieg anzufackeln und sein Leben auszulöschen. Doch kann er, verleugnet und auf der Flucht, ihn rechtzeitig stoppen?

Als ein Vorfall in der Meerenge von Hormuz droht, sich zu einem Großkrieg auszubreiten, erlangt Agent Null sein Gedächtnis zurück und damit auch die Chance, die Verschwörung aufzudecken, die seinen Gedächtnisverlust überhaupt erst hervorgerufen hat. In Verruf geraten und nur noch mit wenigen Freunden an seiner Seite kämpft Agent Null allein, um die CIA zu stoppen und gleichzeitig seine Familie zu retten, die im Visier steht.

Doch als er der Sache tiefer auf den Grund geht, kommt eine weitere, noch ruchlosere Verschwörung zum Vorschein. Die verlangt es von ihm, keinem mehr zu vertrauen und alles zu riskieren, um das Land, das er liebt, zu retten.

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“Thriller-Schriftstellerei vom besten.” -Midwest Book Review (in Bezug auf Koste es was es wolle)

“Einer der besten Thriller, die ich dieses Jahr gelesen habe.” -Books and Movie Reviews (in Bezug auf Koste es was es wolle)

Jack Mars’ #1 Bestseller LUKE STONE THRILLER Serie (7 Bücher) ist ebenfalls erhältlich. Sie beginnt mit Koste es was es wolle (Buch #1), das gratis heruntergeladen werden kann und über 800 fünf-Sterne-Rezensionen erhielt!

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Видео по теме - Kapitel 35.6 - Akte Null (Ein Agent Null Spionage-Thriller—Buch #5)

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