Книга - Rückruf Null

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Rückruf Null
Jack Mars


“Sie werden nicht schlafen, bis Sie AGENT NULL zu Ende gelesen haben. Ein erstklassiges Werk, mit einer Reihe von gut entwickelten, sehr genießenswerten Figuren. Die Beschreibung der Action-Szenen befördert uns direkt in eine Realität, in der man meinen könnte, man säße im Kino mit Surroundsound und 3D (es würde wirklich einen tollen Hollywood Film abgeben). Ich kann die Fortsetzung kaum abwarten.” – Roberto Mattos, Books and Movie Reviews

In RÜCKRUF NULL (Buch #6) ist die Übersetzerin des Präsidenten die einzige Eingeweihte einer geheimen Unterhaltung, die unsere Welt ändern könnte. Dadurch wird sie zum Ziel eines Mordanschlags, bei dem man sie zur Strecke bringen will. Agent Null, den wieder die Pflicht ruft, ist möglicherweise der Einzige, der sie noch retten könnte. Agent Null, der versucht, sein Leben wieder auf die Reihe zu bringen und das Vertrauen seiner Töchter zurückzugewinnen, schwört, dass er nie wieder in den Dienst tritt. Doch als man ihn ruft, um das Leben dieser wehrlosen Übersetzerin zu retten, kann er nicht ablehnen. Die Übersetzerin ist allerdings genauso faszinierend wie die Geheimnisse, die sie hütet. Null, der sich mit ihr gemeinsam auf der Flucht befindet, könnte ihr fast verfallen.

Welches Geheimnis verbirgt sie? Warum versuchen die mächtigsten Organisationen der Welt, sie deshalb zu töten? Wird es Null gelingen, sie rechtzeitig zu retten?

RÜCKRUF NULL (BUCH #6) ist ein Spionage-Thriller, den man einfach nicht aus der Hand legen kann. Sie werden bis spät nachts weiterlesen. Buch #7 der AGENT NULL Serie ist bald verfügbar.

“Thriller-Schriftstellerei vom besten.” – Midwest Book Review (in Bezug auf Koste es was es wolle)

“Einer der besten Thriller, die ich dieses Jahr gelesen habe.” – Books and Movie Reviews (in Bezug auf Koste es was es wolle)

Jack Mars’ #1 Bestseller LUKE STONE THRILLER Serie (7 Bücher) ist ebenfalls erhältlich. Sie beginnt mit Koste es was es wolle (Buch #1), das gratis heruntergeladen werden kann und über 800 fünf-Sterne-Rezensionen erhielt!





Jack Mars

Rückruf Null



Copyright © 2019 durch Jack Mars. Alle Rechte vorbehalten. Außer wie gemäß unter dem US Urheberrecht von 1976 ausdrücklich gestattet, darf kein Teil dieser Veröffentlichung auf irgendeine Weise oder in irgendeiner Form, reproduziert, verteilt oder übertragen, oder in einem Datenbank- oder Datenabfragesystem gespeichert werden, ohne zuvor die ausdrückliche Erlaubnis des Autors eingeholt zu haben. Dieses E-Book ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt. Dieses E-Book darf kein zweites Mal verkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch an andere Personen weitergeben wollen, so erwerben Sie bitte für jeden Empfänger ein zusätzliches Exemplar. Wenn Sie dieses Buch lesen, ohne es käuflich erworben zu haben oder es nicht für Ihren alleinigen Gebrauch erworben wurde, so geben Sie es bitte zurück und erwerben Sie Ihr eigenes Exemplar. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit des Autors respektieren. Es handelt sich um eine fiktive Handlung. Namen, Charaktere, Geschäfte, Organisationen, Orte, Ereignisse und Zwischenfälle entspringen entweder der Fantasie des Autors oder werden fiktional benutzt. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen, ob tot oder lebendig, sind zufälliger Natur.



Jack Mars

Jack Mars ist der USA Today Bestseller Autor der LUKE STONE Thriller Serie, welche sieben Bücher umfasst (und weitere in Arbeit). Er ist außerdem der Autor der neuen WERDEGANG VON LUKE STONE Vorgeschichten Serie und der AGENT NULL Spionage-Thriller Serie.

Jack würde sich freuen, von Ihnen zu hören. Besuchen Sie seine Webseite www.jackmarsauthor.com (http://www.jackmarsauthor.com/) und registrieren Sie sich auf seiner Email-Liste, erhalten Sie ein kostenloses Buch und gratis Kundengeschenke. Sie können ihn ebenfalls auf Facebook und Twitter finden und in Verbindung bleiben!


BÜCHER VON JACK MARS

LUKE STONE THRILLER SERIE

KOSTE ES WAS ES WOLLE (Buch #1)

AMTSEID (Buch #2)

LAGEZENTRUM (Buch #3)



EINE AGENT NULL SPIONAGE-THRILLER SERIE

AGENT NULL (Buch #1)

ZIELOBJEKT NULL (Buch #2)

JAGD AUF NULL (Buch #3)

EINE FALLE FÜR NULL (Buch #4)

AKTE NULL (Buch #5)

RÜCKRUF NULL (Buch #6)

ATTENTÄTER NULL (Buch #7)

KÖDER NULL (Buch #8)


AKTE NULL (Buch #5) – Zusammenfassung

Als eine internationale Krise droht, einen neuen Weltkrieg auszulösen, arbeiten dunkle Mächte in den höchsten Rängen der US Regierung daran, ihren eigenen Komplott weiterzuspinnen. Die einzige Person außerhalb ihrer Ränge, die darüber Bescheid weiß, ist Kent Steele, der sich verzweifelt darum bemüht, Millionen von Leben zu retten, während er jene, die ihm nahestehen, nicht in die Hände derer fallen lässt, deren Interessen dadurch gefördert würden.



Agent Null: Nachdem er seine verlorenen Erinnerungen wiedererlangt hatte, wandte sich Null mit dem Wissen, das er Jahre zuvor hatte, an die höchste Instanz, den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Allerdings inspirierte das jene, die hinter den Kulissen arbeiteten, nur dazu, den Präsidenten zu ihrem Zielobjekt zu machen und die Ermordung dem Iran anzuhängen. Null hielt den Mordversuch auf und fand dabei heraus, dass sein Freund und Verbündeter, Agent John Watson, derjenige war, der Nulls Frau und die Mutter seiner Kinder im Auftrag seiner CIA Vorgesetzten ermordete.



Maya und Sara Lawson: Nulls beide Töchter wurden beide kühn und fähig, nachdem ihre Leben mehrmals bedroht wurden, doch sie sind sich nicht der erschütternden Umstände des Todes ihrer Mutter bewusst, die ihr Vater kürzlich herausfand.



Agent Maria Johansson: Marias wollte durch ihre Zusammenarbeit mit den Ukrainern herausfinden, ob ihr Vater, ein hohes Mitglied des nationalen Sicherheitsrates, in die Verschwörung verwickelt war. Sie fand heraus, dass dem nicht so war und nachdem sie Null dabei half, den Mordversuch aufzuhalten, löste sie ihre Verbindung zum ukrainischen Geheimdienst. Nach dem Skandal und den darauffolgenden Verhaftungen wurde ihr Vater zum zwischenzeitlichen CIA Direktor ernannt.



Alan Reidigger: Nulls bester Freund und CIA Agentenkollege, von dem alle dachten, er wäre schon lange tot, erscheint wieder als Mitch, der stämmige Mechaniker, der Null schon zuvor geholfen hatte. Sein Aussehen wurde drastisch verändert, doch nachdem Null sein Gedächtnis wiedererlangte, erkennt er seinen alten Freund schnell wieder.



Deputy Direktor Shawn Cartwright: Obwohl Null an Cartwrights Unschuld bei dem Komplott, einen Krieg im Nahen Osten auszulösen, zweifelte, bewies dieser sich als loyal, als er Null half, der Division zu entkommen. Dennoch wurde Cartwright in einem Keller erschossen, während er die Söldner aufhielt.



Deputy Direktor Ashleigh Riker und Direktor Mullen: Die beiden Vorgesetzten der CIA, die in die Verschwörung verwickelt waren und aktiv gegen Null arbeiteten, wurden beide nach dem Mordversuch verhaftet, gemeinsam mit Dutzenden anderen, viele davon im Kabinett des Präsidenten.




Prolog


Karina Pavlo sah zu, als die beiden Männer am Konferenztisch neben ihr aufstanden. Auch sie stand auf, da sie wusste, dass es sich so gehörte, doch ihre Beine fühlten sich schwach und zittrig an. Sie sah dabei zu, als sie einander freundlich anlächelten, diese zwei Männer in teuren Anzügen, diese stark kontrastierenden Staatsoberhäupter. Sie sagte nichts, während sie ihr Geschäft damit abschlossen, sich über den Tisch hinweg die Hand zu geben.

Karina war immer noch schockiert darüber, was sie gerade gehört hatte, über die Worte, die über ihre eigenen Lippen kamen.

Sie war nie zuvor im Weißen Haus gewesen, doch der Teil des Gebäudes, den sie besuchte, lag kaum im Auge der Öffentlichkeit. Der Keller (wenn man ihn überhaupt so nennen konnte, denn er sah kaum so aus, wie man sich einen Keller vorstellt) unter dem nördlichen Säulengang enthielt alle mögliche Ausstattung, wie etwa eine Kegelbahn, Wäschestationen, eine Schreinerwerkstatt, einen Zahnarzt, den Krisensaal, das Büro des Präsidenten, drei Konferenzsäle und einen bequemen Warteraum, in den Karina bei ihrer Ankunft geführt wurde.

In diesem Warteraum nahm ein Geheimdienstagent ihre persönlichen Gegenstände entgegen, ihr Handy und eine kleine, schwarze Handtasche und bat sie darum, ihren dunklen Blazer auszuziehen. Der Agent durchsuchte ihn gründlich, jede Tasche und jede Naht und führte dann eine gründliche, doch mechanische Abklopfung durch, bei der sie ihre Arme in einem Winkel von neunzig Grad ausstrecken musste. Er bat sie darum, ihren Mund zu öffnen, ihre Zunge anzuheben, ihre Schuhe auszuziehen und stillzustehen, während er mit einem Metalldetektor-Stab über sie fuhr.

Das einzige, was Karina mit zu dem Treffen bringen durfte, war die Kleidung an ihrem Körper und die Perlenohrringe, die sie trug. Die strengen Sicherheitsmaßnahmen waren jedoch nicht außergewöhnlich. Karina war schon seit einigen Jahren Dolmetscherin, hatte bei den Vereinten Nationen gearbeitet und für mehrere Staatsoberhäupter übersetzt. Karina, die in der Ukraine geboren, in Wolgograd in Russland ausgebildet wurde und schon lange genug in den USA lebte, um ein permanentes Visum zu erhalten, hielt sich für eine Weltbürgerin. Sie sprach vier Sprachen fließend und konnte sich in drei weiteren unterhalten. Ihre Sicherheitsfreigabe war so hoch, wie die eines Zivilen nur sein konnte.

Doch dieses war ihre große Chance. Die Gelegenheit, das Weiße Haus zu besuchen, um bei einem Treffen zwischen den neuen Präsidenten von Russland und den Vereinigten Staaten zu dolmetschen, kam ihr nicht einmal zwanzig Minuten zuvor wie der neueste Höhepunkt ihrer Karriere vor.

Wie falsch sie doch lag.

Zu ihrer Linken knöpfte sich der russische Präsident Aleksandr Kozlovsky den obersten Knopf seiner Anzugjacke zu. Es war eine fließende, eingeübte Geste, die Karina fast irrational gelassen erschien, wenn man bedachte, was sie gerade Momente zuvor gehört hatte. Mit seinen fast zwei Metern überragte Kozlovsky beide. Sein schlanker Körper und sein Gang auf seinen langen Gliedmaßen ließen ihn wie eine Kellerspinne aussehen. Er sah schlicht aus, hatte ein glattes, faltenfreies Gesicht, als würde er sich noch weiterentwickeln.

Achtzehn Monate zuvor war der vorherige russische Präsident, Dmitri Ivanov, in den Ruhestand getreten. Zumindest nannte man es so. Nachdem der riesige amerikanische Skandal aufgedeckt wurde, hatte man gleichzeitig entdeckt, dass die russische Regierung ebenfalls mit den Verschwörern unter einer Decke steckte. Nicht nur unterstützten sie die USA im Nahen Osten, sondern warteten auch darauf, dass die Welt sich auf die Meeresenge von Hormus konzentrierte, damit sie ukrainische ölproduzierende Ressourcen in der Ostsee für sich vereinnahmen könnten.

In Russland wurde niemand verhaftet. Es gab keine Verurteilungen, keine Haft. Durch den Druck der Vereinten Nationen und der ganzen Welt trat Ivanov einfach von seinem Posten zurück und wurde durch Kozlovsky ersetzt, von dem Karina wusste, dass er vielmehr ein Ersatzdarsteller als der wirkliche politische Rivale war, als den die Medien ihn darstellten.

Kozlovsky lächelte selbstgefällig. “Es war mir eine Freude, Präsident Harris.” Pavlo nickte er nur kurz zu, bevor er sich rasch umdrehte und aus dem Saal schritt.

Zwanzig Minuten zuvor hatte der Geheimdienstagent Karina zu dem kleinsten der drei Konferenzsäle im Keller des Weißen Hauses gebracht, in dem sich ein dunkler, langer Tisch aus einem exotischen Holz, acht Lederstühle, ein Fernsehbildschirm und sonst nichts befanden. Keine einzige Seele. Als Karina den Auftrag zum Dolmetschen bekam, dachte sie, dass bei dem Treffen Kameras, Nachrichtensprecher, Mitglieder der Kabinette beider Regierungen, Presse und Medien anwesend wären.

Doch es waren nur sie, und dann Kozlovsky, und dann Samuel Harris.

Der Präsident der Vereinigten Staaten, Samuel Harris, stand rechts von ihr. Er war siebzig Jahre alt, halb glatzköpfig, sein Gesicht war vom Alter und Stress faltig und seine Schultern hingen aufgrund einer Verletzung am Rücken, die er bei seinem Einsatz in Vietnam erlitt, ständig vor. Dennoch bewegte er sich entschlossen und seine raue Stimme war viel dominanter, als man sich vorstellen konnte.

Harris hatte den vorherigen Präsidenten, Eli Pierson, bei den Wahlen im vorherigen November leicht geschlagen. Trotz dem Mitleid der Öffentlichkeit wegen des Mordversuches an ihm achtzehn Monate zuvor, und trotz der noblen Anstrengung, sein Kabinett nach dem iranischen Skandal wieder aufzubauen, hatte Amerika seinen Glauben an ihn verloren.

Karina kam Harris wie ein Geier vor, was sie nur dadurch bestätigt sah, wie er angeflogen kam und die Wahlstimmen von Pierson stahl, wie ein Aasvogel, der die Innereien aus einem Kadaver von viel zu vielen Fehlern und Vertrauen in die falschen Leute riss. Harris, der demokratische Kandidat, musste kaum Versprechen machen, außer jegliche weitere Korruption im Weißen Haus aufzudecken und schnellstmöglich zu beenden. Doch wie Karina Pavlo gerade herausgefunden hatte, gab es weitere Korruption im Weißen Haus, die sich möglicherweise ausschließlich auf das Amt des Präsidenten beschränkte.

Über den Besuch des russischen Präsidenten Kozlovsky wurde bei fast allen Medien der USA berichtet. Es war das erste Mal seitdem die verräterische Intrige beider Regierungen bekannt wurde, dass die beiden neuen Weltführer sich persönlich trafen. Es gab Pressekonferenzen, ständige Berichterstattung und Treffen mit hundert Kameras im Raum, um zu besprechen, wie die beiden Nationen auf freundliche und abgestimmte Weise nach der Beinahe-Katastrophe nach vorne schauen konnten.

Doch Karina wusste jetzt, dass es alles nur Täuschung war. Die letzten Minuten, die sie mit den beiden Weltführern, der Spinne und dem Geier, verbrachte, hatten das bewiesen. Kozlovskys Englisch war höchstens elementar und Harris sprach kein Wort russisch, sodass ihre Anwesenheit notwendig war und die Rede der beiden zu ihrer wurde.

Es hatte alles recht harmlos begonnen. Nettigkeiten wurden ausgetauscht, Englisch kam von Harris zu ihr und dann ging Russisch von ihr zu Kozlovsky, als ob Karina eine Übersetzungsmaschine wäre. Die beiden Männer sahen sich gegenseitig an, fragten sie nicht einmal etwas oder bemerkten auch nur ihre Anwesenheit, nachdem das Treffen begonnen hatte. Sie spuckte die Worte mechanisch heraus wie ein Prozessor. Sie drangen durch ihr Ohr in einer Sprache ein und verließen sie durch ihre Kehle in einer anderen.

Erst als die ominöse Motivation für das private Treffen sich enthüllte, verstand Karina, dass dies – diese paar Minuten in einem verschlossenen Raum im Untergeschoss des Weißen Hauses, bei denen nur die beiden und eine Dolmetscherin anwesend waren – der wirkliche Grund für den Besuch des russischen Präsidenten in den Vereinigten Staaten war. Sie konnte nur so sachlich wie möglich dolmetschen und verzweifelt hoffen, dass ihr eigener Gesichtsausdruck sie nicht verriet.

Plötzlich wurde sich Karina Pavlo akut bewusst, dass es nicht wahrscheinlich war, dass sie das Weiße Haus lebendig verließe.

Nachdem Kozlovsky den Saal verlassen hatte, wandte sich Präsident Harris an sie, lächelte sie lüstern an, also ob die Unterhaltung, deren Zeugin sie gerade geworden war, nicht stattgefunden hätte, als wäre sie nichts weiter als eine Formalität gewesen. “Danke Ihnen, Frau Pavlo”, sagte er väterlich. “Wir wissen Ihre Erfahrung und Kompetenz zu schätzen und halten Sie für außerordentlich wertvoll.”

Vielleicht war es der Schock über das, was sie gerade herausgefunden hatte, der sie veranlasste, ebenfalls ein Lächeln zu erzwingen. Oder vielleicht war es die Mühelosigkeit, mit der Harris ein solch höfliches Verhalten an den Tag legte, während er ganz genau wusste, dass die Dolmetscherin gerade jedes einzelne Wort gehört und sogar für den anderen Gesprächspartner wiederholt hatte. Aus welchem Grund auch immer, Karina bemerkte, wie ihre Lippen sich gegen ihren Willen nach oben zogen und ihre Stimme sagte: “Danke für die Gelegenheit, Mr. Präsident.”

Er lächelte erneut. Ihr gefiel sein Lächeln nicht, denn es lag keine Heiterkeit darin. Es war eher lüstern als heiter. Sie hatte es hundert Mal auf dem Fernseher gesehen, bei seiner Wahlkampagne, doch es persönlich zu erleben war noch unangenehmer. Es erschien ihr, als wüsste er etwas, dass ihr verborgen war – was ja auch ganz und gar stimmte.

Ein Alarm schmetterte in ihrem Kopf. Sie fragte sich, wie weit sie wohl kommen würde, falls sie ihn aus dem Weg stieße und versuchte, zu rennen. Nicht besonders weit, dachte sie. Sie hatte mindestens sechs Geheimdienstagent im Gang des Kellers gesehen, und sie war sich genauso sicher, dass der Weg, auf dem sie hier heruntergekommen war, bewacht wäre.

Der Präsident räusperte sich. “Wissen Sie”, sagte ihr Harris, “es gab einen guten Grund, warum sonst niemand anwesend waren. Das können Sie sich ja sicher vorstellen.” Er kicherte ein wenig, als ob die Bedrohung für die Weltsicherheit, von der Karina gerade herausgefunden hatte, ein Witz wäre. “Sie sind die Einzige auf der ganzen Welt, die von dem Inhalt dieser Unterhaltung weiß. Sollte es an die Öffentlichkeit geraten, dann wüsste ich durch wen. Und die Dinge würden dann für diese Person nicht mehr besonders glatt laufen.”

Das Lächeln blieb auf Harris’ Gesicht, doch es war überhaupt nicht beruhigend.

Sie zwang ihre Lippen dazu, liebenswürdig zu lächeln. “Selbstverständlich, Sir. Diskretion ist eine meiner besten Eigenschaften.”

Er lehnte sich herüber und tätschelte ihre Hand. “Das glaube ich Ihnen.”

Ich weiß zu viel.

“Und ich vertraue darauf, dass Sie still bleiben.”

Der beschwichtigt mich. Die lassen mich auf keinen Fall leben.

“Ich bin mir sogar sehr sicher, dass ich Ihre Fähigkeiten erneut in der nahen Zukunft benötige.”

Es gab nichts, was Harris sagen konnte, um sie von ihren Instinkten abzubringen. Der Präsident hätte sie um ihre Hand bitten können und dennoch wäre das kribbelnde Gefühl im Nacken, das ihr sagte, dass sie in unmittelbarer Gefahr war, nicht verschwunden.

Harris stand auf und knöpfte sich seine Anzugjacke zu. “Kommen Sie. Ich bringe Sie raus.” Er ging vor ihr aus dem Raum und Karina folgte. Ihre Knie waren schwach. Sie war an einem der sichersten Orte des Planeten, umringt von trainierten Agenten des Geheimdienstes. Als sie den Gang erreichte, sah sie das halbe Dutzend Agenten, die dort aufgestellt waren. Sie hatten ihre Rücken gegen die Wand und die Hände vor sich verhakt und warteten so auf den Präsidenten.

Oder möglicherweise auf sie.

Bleib ruhig.

“Joe.” Harris winkte dem Agenten zu, der sie zuvor vom Wartezimmer abgeholt hatte. “Sorge bitte dafür, dass Frau Pavlo wieder sicher zu ihrem Hotel zurückkehrt, ja? Mit dem besten Auto, das wir haben.”

“Ja Sir”, erwiderte der Agent mit einem leichten Nicken. Ihr erschien das Nicken seltsam. Ein Nicken der Verständnis.

“Danke sehr”, sagte sie so freundlich wie sie konnte, “doch ich kann ein Taxi nehmen. Mein Hotel ist nicht weit.”

“Unsinn”, antwortete Harris liebenswürdig. “Welchen Sinn hat es, für den Präsidenten zu arbeiten, wenn Sie nicht mal ein paar der Vorteile genießen können?” Er kicherte. “Danke nochmal. Es war mir eine Freude, Sie kennenzulernen. Wir melden uns.”

Er schüttelte ihre Hand. Sie schüttelte seine. Sein Lächeln blieb auf seinem Gesicht, doch seine Augen verrieten ihn.

Karina hatte kaum eine Wahl. Sie folgte dem Geheimdienstagente, dem Mann, der sich Joe nannte (falls das sein richtiger Name war), durch das Untergeschoss des Weißen Hauses. Jeder Muskel in ihrem Körper war angespannt, nervös, bereit, jederzeit auf den Kampf-oder-Flucht-Impuls zu reagieren. Doch sie war überrascht, dass der Agent sie wirklich eine Treppe hinauf- und einen Gang zu einer weiteren Tür entlangführte, die nach draußen ging. Er führte sie wortlos zu einer kleinen Parkgarage mit einer privaten Flotte von Fahrzeugen und dann öffnete er die Passagiertür eines schwarzen Geländewagens für sie.

Steig nicht ein.

Sie stieg ein. Wenn sie jetzt kämpfte oder versuchte, wegzurennen, dann schaffte sie es nicht einmal bis zu den Toren.

Zwei Minuten später hatten sie das Gelände des Weißen Hauses verlassen und fuhren die Pennsylvania Avenue entlang. Der bringt mich irgendwo hin, um es zu tun. Die werden sich mir woanders entledigen. An einem Ort, wo niemand mich jemals finden wird.

“Sie können mich einfach zum Hilton in der Stadtmitte bringen”, sagte sie gelassen.

Der Geheimdienstagent lächelte schüchtern. “Wir sind die US Regierung, Frau Pavlo. Wir wissen, wo sie logieren.”

Sie kicherte ein wenig und versuchte, die Nervosität in ihrer Stimme zu verbergen. “Da bin ich mir sicher. Doch ich treffe einen Freund zum Abendessen im Hilton.”

“Dennoch”, antwortete der Agent, “waren die Anordnungen des Präsidenten, sie zurück zu Ihrem Hotel zu bringen, weshalb ich das tun muss. Aus Sicherheitsgründen.” Danach seufzte er, als ob er Mitleid mit ihrer Situation hätte, obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass er sie umbringen würde. “Ich bin mir sicher, dass Sie das verstehen können.”

“Oh”, sagte sie plötzlich. “Meine Sachen? Mein Telefon und meine Handtasche?”

“Die habe ich.” Joe klopfte auf die Brusttasche seines Anzugs.

Nach einer langen Stille bat Karina: “Darf ich sie bitte haben…?”

“Natürlich”, sagte er heiter. “Sobald wir ankommen.”

“Ich möchte sie aber wirklich jetzt zurück”, drängte sie.

Der Agent lächelte erneut, doch er hielt seinen Blick auf die Straße gerichtet. “Wir kommen in ein paar Minuten an”, sagte er beruhigend, als wäre sie ein nervendes Kleinkind. Karina bezweifelte sehr stark, dass er ihre Dinge in seiner Jacke hatte.

Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück oder ließ es zumindest so aussehen, versuchte, so entspannt wie möglich zu erscheinen, als der Geländewagen an einer roten Ampel hielt. Der Geheimdienstagent kramte im Mittelfach nach einer schwarzen Sonnenbrille und zog sie an.

Die Ampel schaltete auf grün um.

Das Auto vor ihnen fuhr los.

Der Agent nahm seinen Fuß von der Bremse und trat auf das Gaspedal.

Mit einer schnellen Bewegung löste Karina Pavlo ihren Sicherheitsgurt mit einer Hand während sie die Tür mit der anderen aufdrückte. Sie sprang aus dem fahrenden Geländewagen, ihre Absätze schlugen gegen den Asphalt. Einer brach entzwei. Sie ließ sich nach vorne fallen, fiel mit den Ellenbogen auf die Straße, rollte sich ab und kam dann taumelnd wieder auf die Beine. Sie zog sich die Schuhe mit einem Tritt aus und rannte dann in ihren Strumpfhosen weiter.

“Was zum Teufel?!” Der Geheimdienstagent trat auf die Bremse und hielt den Wagen direkt auf der Mitte der Straße an. Er rief nicht, dass sie zurückkommen sollte und er ließe sie ganz sicher nicht so einfach gehen – beides waren Anzeichen dafür, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag.

Fahrer hupten und riefen, als der Agent aus dem Auto sprang, doch zu dem Zeitpunkt hatte sie schon mehr als einen halben Häuserblock Vorsprung, rannte praktisch barfuß, da ihre Strumpfhosen rissen, ignorierte den gelegentlichen Stein, der sich in ihre Fußsohlen bohrte.

Sie bog scharf um die Ecke und flitzte in die erste Öffnung, die sie sah. Es war nicht einmal eine Gasse, sondern eher ein Pfad zwischen zwei Geschäften. Dann bog sie links ab, rannte so schnell sie konnte, blickte hin und wieder über ihre Schulter nach dem Agenten, doch sah ihn nicht.

Als sie an der nächsten Straße herauskam, sah sie ein gelbes Taxi.

Der Fahrer spuckte fast seinen Kaffee aus, er hielt einen Styroporbecher an seine Lippen, als sie sich auf den Rücksitz warf und schrie: “Fahren Sie! Bitte fahren Sie!”

“Verdammt, Lady!” schimpfte er. “Sie haben mich zu Tode erschreckt…”

“Jemand verfolgt mich, bitte fahren Sie”, bettelte sie.

Er legte seine Stirn in Falten. “Wer jagt sie?” Der verärgerte Fahrer blickte sich um. “Ich sehe niemanden —”

“Fahren Sie bitte verdammt noch mal los!” Brüllte sie ihn an.

“Ist ja gut!” Der Fahrer lenkte das Taxi in den Verkehr und löste dabei eine Salve von Gehupe aus, die dem Agenten sicherlich verrieten, wo sie sich aufhielt.

Und so war es auch. Als sie sich auf dem Sitz umdrehte, um aus dem Rückfenster zu schauen, sah sie, wie der Agent um die Ecke rannte. Er verlangsamte sein Tempo und ihre Blicke trafen sich. Eine seiner Hände glitt kurz in seine Jacke, doch er schien es sich nochmal zu überlegen, bei helllichtem Tag eine Waffe zu ziehen und legte stattdessen eine Hand an sein Ohr, um jemanden per Funkgerät zu kontaktieren.

“Biegen Sie hier links ab,” wies Karina den Fahrer an. Danach fuhr er einige Häuserblocks weiter und bog rechts ab, bevor Karina wieder heraussprang, während er ihr wegen der Bezahlung hinterherrief. Sie rannte den Häuserblock entlang und wiederholte das noch drei Mal, sprang in und aus Taxis, bis sie ihren Weg durch Washington DC in einer solchen Schlangenlinie gemacht hatte, dass sie sich sicher war, dass Joe der Geheimdienstagent sie nicht mehr finden könnte.

Sie kam wieder zu Atem und glättete sich das Haar, als sie ihr Tempo zu einem schnellen Gang verlangsamte, ihren Kopf dabei geneigt hielt und versuchte, nicht erschöpft zu wirken. Es war am wahrscheinlichsten, dass der Agent die Nummernschilder des Taxis notiert hatte und der unglückselige (doch irgendwie geistesschwache) Taxifahrer angehalten und durchsucht würde, bevor man einen Hintergrundcheck durchführte, um sicherzustellen, dass er nicht Teil eines vorgeplanten Fluchtkomplotts war.

Karina stahl sich in einen Bücherladen und hoffte, dass niemand bemerkte, dass sie barfuß war. Der Laden war ruhig und die Regale hoch. Sie erreichte schnell den hinteren Teil, ging in ein WC, spritzte sich Wasser in ihr Gesicht und kämpfte darum, nicht in Schluchzen und Tränen auszubrechen.

Ihr Gesicht war vom Schock immer noch leichenblass. Wie schnell doch alles falsch gelaufen war.

“Bozhe moy,” seufzte sie schwer. Mein Gott. Als das Adrenalin nachließ, wurde ihr der ganze Ernst ihrer Lage bewusst. Sie hatte Dinge gehört, die niemals den Keller des Weißen Hauses hätten verlassen sollen. Sie hatte keinen Ausweis. Kein Handy. Kein Geld. Verdammt, sie hatte nicht mal Schuhe. Sie konnte nicht zurück zu ihrem Hotel gehen. Es war sogar gefährlich, nur ihr Gesicht an einem öffentlich Ort zu zeigen, an dem es eine Kamera gab.

Die würden nicht aufhören, sie wegen dessen, was sie wusste, zu jagen.

Doch sie hatte die Perlen in ihren Ohren. Karina berührte abwesend ihr linkes Ohrläppchen, streichelte über den glatten Schmuck dort. Sie hatte die Worte, die bei dem Treffen ausgetauscht wurden, festgehalten – und nicht nur in ihrer Erinnerung. Sie hatte Beweis für das gefährliche Wissen, dass der amerikanische Präsident, angeblich ein liberaler Demokrat, der die Bewunderung des Volkes verdient hatte, von den Russen als Marionette benutzt wurde.

Dort, im Damen-WC eines Bücherladens sah sich Karina im Spiegel an, als sie verzweifelt murmelte: “Ich werde Hilfe brauchen.”




Kapitel eins


Null saß auf dem Rand des Doppelbettes und rang nervös die Hände auf dem Schoß. Er hatte das schon einmal erlebt, hatte es tausend Mal in seiner Vorstellung gesehen. Doch hier war er wieder.

Seine zwei jugendlichen Töchter saßen auf dem Bett neben seinem, ein enger Gang zwischen ihnen. Sie waren in einem Zimmer des Plaza, einem gehobenen Hotel ein wenig außerhalb von Washington. Sie hatten sich nach dem Mordversuch an Präsident Pierson dazu entschlossen, dortzubleiben, anstatt nach Hause zurückzukehren.

“Es gibt da was, das ich euch sagen muss.”

Maya war fast siebzehn. Sie hatte das braune Haar und die Gesichtszüge ihres Vaters, doch den scharfen Sinn für Humor und beißenden Sarkasmus ihrer Mutter. Sie sah ihn passiv an, mit einem Hauch von Beklommenheit über eine solch dramatische Andeutung.

“Es fällt mir nicht leicht, es zu erzählen. Doch ihr habt es verdient, Bescheid zu wissen.”

Sara war vierzehn, immer noch mit dem rundlichen Gesicht eines Kindes, am Rand eines widersprüchlichen Alters, in dem sie einerseits noch an der Kindheit hing, doch andererseits schon zur Frau wurde. Sie hatte Kates blondes Haar und ausdrucksstarkes Gesicht geerbt. Sie war ihrer Mutter jeden Tag ähnlicher, doch jetzt sah sie eher nervös aus.

“Es geht um eure Mutter.”

Sie hatten so viel durchgemacht, wurden entführt, wurden Zeugen von Mord und blickten selbst in den Lauf eines Gewehres. Doch sie waren immer stark geblieben. Sie hatten es verdient, Bescheid zu wissen.

Und dann erzählte er es ihnen.

Er hatte es schon so oft in seiner Vorstellung abgespielt, doch es fiel ihm dennoch schwer, die Worte auszusprechen. Sie kamen langsam, wie Baumstämme, die einen Fluss hinuntertreiben. Er dachte, dass es nach dem Beginn einfacher würde, doch das war überhaupt nicht der Fall.

Dort im Plaza Hotel, wo Alan gerade Pizza holen gegangen war und eine Komödie still auf dem Fernseher nur ein paar Meter vor ihnen lief, erklärte Null seinen Töchtern, dass ihre Mutter, Kate Lawson, nicht an einem ischämischen Schlaganfall gestorben war, wie man es berichtet hatte.

Sie wurde vergiftet.

Die CIA hatte sie ermorden lassen.

Wegen ihm. Agent Null. Seiner Handlungen.

Und die Person, die den Auftrag ausgeführt hat…

“Er wusste es nicht”, sagte Null seinen Töchtern. Er starrte auf die Bettdecke, den Teppich, alles außer ihren Gesichtern. “Er wusste nicht, wer sie war. Man log ihn an. Er wusste es nicht bis später. Bis danach.” Er schweifte aus. Er machte Ausreden für den Mann, der seine Frau getötet hatte, die Mutter seiner Kinder. Den Mann, den Null weggeschickt hatte, anstatt ihn zu töten.

“Wer?” erklang Mayas Stimme rau. Es war ein hartes Flüstern, mehr Klang als Wort.

Agent John Watson. Ein Mann, der das Leben seiner Töchter mehr als einmal gerettet hatte. Ein Mann, den sie kennengelernt hatten, dem sie vertrauten, den sie mochten.

Die Stille der nächsten Momente war erdrückend, wie eine unsichtbare Hand, die sein Herz auspresste. Die Klimaanlage des Hotelzimmers erwachte plötzlich zum Leben, so laut wie ein Flugzeugmotor in dem sonstigen Vakuum.

“Wie lange weißt du das schon?” Mayas Ton war direkt, fast fordernd.

Sei ehrlich. Das war die Haltung, die er seinen Mädchen gegenüber einnehmen wollte. Ehrlichkeit. Egal, wie sehr sie auch schmerzte. Sein Zugeständnis war die letzte Barrikade zwischen ihnen. Er wusste, dass es an der Zeit war, sie niederzureißen.

Er wusste ebenfalls, dass es sie zerbräche.

“Ich weiß seit einer kleinen Weile, dass es kein Unfall war”, sagte er ihr. “Ich musste wissen, wer. Und jetzt weiß ich es.”

Er wagte es, in ihre Gesichter zu blicken. Sara weinte still, Tränen strömten über ihre beiden Wangen, sie gab keinen Ton von sich. Maya starrte auf ausdruckslos auf ihre Hände.

Sein Arm streckte sich nach ihr aus. Es war das Einzige, was gerade Sinn machte. Sich zu berühren, eine Hand zu halten.

Er erinnerte sich genau daran, wie es geschah. Als seine Finger sich um ihre schlossen, zog sie sich gewaltsam zurück. Sie kroch nach hinten, sprang vom Bett. Sara sprang erschreckt auf, als Maya ihm sagte, dass sie ihn hasste. Ihn mit jedem möglichen Schimpfwort schalt. Er saß still da und nahm alles entgegen, weil er es verdient hatte.

Doch nicht dieses Mal. Als seine Finger sich um ihre schlossen, verschwand Mayas Hand unter seiner in einer Nebelschwade.

“Nein…”

Er griff nach ihr, nach einer Schulter oder einem Arm, doch sie verschwand bei seiner Berührung wie Asche in einer Brise. Er drehte sich schnell um und griff nach Sara, doch sie schüttelte nur traurig ihren Kopf, während auch sie vor seinen Augen verschwand.

Und dann war er allein.


* * *

“Sara!”

Null wachte erschreckt auf und stöhnte sofort. Kopfweh röhrte in seiner Stirn. Es war ein Traum – ein Alptraum. Einen, den er schon tausend Mal zuvor hatte.

Doch es war so geschehen, oder fast so.

Null hatte die Situation gerettet. Den Mordversuch auf den Präsidenten vereitelt. Einen Krieg aufgehalten, bevor er begann. Eine Verschwörung aufgedeckt. Und dann sind er und seine Mädchen zum Plaza gegangen, keiner von ihnen wollte zu ihrem zweistöckigen Haus in Alexandria, Virginia zurück. Zu viel war dort geschehen. Zu viel Tod.

Dort hatte er es ihnen erzählt. Sie verdienten, die Wahrheit zu wissen.

Und dann hatten sie ihn verlassen.

Das war… wie lange war das jetzt her? Fast achtzehn Monate, soweit er sich erinnern konnte. Vor eineinhalb Jahren. Doch der Traum plagte ihn weiter fast jede Nacht. Manchmal lösten die Mädchen sich vor ihm in Luft auf. Manchmal schrien sie ihn an, brüllten weitaus schlimmere Schimpfworte als jene, die sie tatsächlich ausgesprochen hatten. Andere Male gingen sie still und wenn er hinter ihnen her in den Gang rannte, dann waren sie schon verschwunden.

Auch wenn das Ende variierte, so waren die Auswirkungen im wirklichen Leben doch dieselben. Er wachte aus dem Alptraum mit Kopfschmerzen und der düsteren, verzweifelnden Erinnerung auf, dass sie wirklich weg waren.

Null streckte sich und stand vom Sofa auf. Er konnte sich gar nicht daran erinnern, eingeschlafen zu sein, doch es war nicht überraschend. Er schlief nachts gar nicht gut, und das nicht nur wegen des Alptraumes über seine Töchter. Vor eineinhalb Jahren hatte er sein Gedächtnis wiedererlangt, all seine Erinnerungen als Agent Null, und damit begannen die qualvollen Alpträume. Erinnerungen drängten sich in sein Unterbewusstsein während er schlief, oder es zumindest versuchte. Widerliche Folterszenen. Bomben, die auf Gebäude geworfen wurden. Der Einschlag von Hohlspitzengeschossen in einen menschlichen Schädel.

Noch schlimmer war, dass er nicht wusste, ob sie echt waren oder nicht. Dr. Guyer, der brillante schweizer Neurologe, der ihm geholfen hatte, sein Gedächtnis wiederzuerlangen, warnte ihn, dass einige Dinge vielleicht nicht real wären, sondern ein Produkt seines limbischen Systems, das Fantasien, Verdachte und Alpträume als Realität darstellte.

Seine eigene Realität fühlte sich kaum wie eine an.

Null schleppte sich für ein Glas Wasser barfüßig und angeschlagen in die Küche, als es an der Tür klingelte. Er erschreckte ein wenig bei dem plötzlichen Riss in der Stille, jeder Muskel spannte sich instinktiv an. Er war immer noch ziemlich schreckhaft, selbst nach so langer Zeit. Er blickte auf die digitale Uhr am Herd. Es war fast halb fünf. Das konnte nur eine Person sein.

Er ging zur Tür und erzwang für seinen alten Freund ein Lächeln. “Gerade rechtzeitig.”

Alan Reidigger grinste, als er ein Sechserpack mit Daumen und Zeigefinger hochhielt. “Für deine wöchentliche Therapiesession.”

Null schnaubte sarkastisch und trat zur Seite. “Komm, wir gehen in den Garten.”

Er führte ihn durch das kleine Haus und durch eine Glasschiebetür auf den Hinterhof. Das Wetter Mitte Oktober war zwar noch nicht kalt, aber frisch genug, um ihn daran zu erinnern, dass er barfuß war. Sie nahmen auf zwei Gartenstühlen Platz, während Alan zwei Dosen herauszog und Null eine davon gab.

Er schaute sich die Etikette an. “Was ist das?”

“Keine Ahnung. Der Typ im Laden schaute sich meinen Bart und mein Flanellhemd an und sagte, dass es mir schmecken würde.” Alan lachte, öffnete die Dose und nahm einen großen Schluck. Er zuckte zusammen. “Das ist… anders. Oder vielleicht werde ich einfach alt.” Er wandte sich ernst an Null. “Also. Wie geht’s dir?”

Wie geht’s dir. Das schien plötzlich wie eine sehr seltsame Frage. Wenn jemand anders als Alan sie gestellt hätte, dann sähe er sie als Förmlichkeit an und beantwortete sie mit einem einfachen und schnellen “Gut und dir?” Doch er wusste, dass Alan es wirklich wissen wollte.

Dennoch wusste er nicht, wie er sie beantworten sollte. So viel hatte sich in achtzehn Monaten verändert. Nicht nur in Nulls persönlichem Leben, sondern auch auf einer Makroebene. Die Vereinigten Staaten hatten einen Krieg mit dem Iran und seinen Nachbarn vermieden, doch die Spannungen waren weiterhin hoch. Die amerikanische Regierung hatte sich anscheinend von der Infiltration durch Verschwörer und russischem Einfluss erholt, doch nur durch eine gründliche Säuberung. Präsident Eli Pierson war nach dem Mordversuch weitere sieben Monate auf seinem Posten geblieben, wurde aber schließlich bei den nächsten Wahlen von dem demokratischen Kandidaten geschlagen. Es war ein einfacher Sieg, nachdem sich gezeigt hatte, dass Piersons Kabinett ein wahrhaftiges Schlangennest war.

Doch Null war das ziemlich egal. Er war darin nicht mehr verwickelt. Er hatte nicht einmal eine Meinung über den neuen Präsidenten. Er wusste kaum, was in der Welt vor sich ging, er vermied die Nachrichten, soweit er konnte. Er war jetzt nur noch ein Bürger. Was immer hinter den Kulissen vor sich ging, tat es, ohne seinen Einfluss.

“Es geht.”

Er stockte.

“Echt. Mir geht’s gut.”

Alan nahm noch einen Schluck, zweifelte offensichtlich, doch erwähnte es nicht. “Und Maria?”

Ein dünnes Lächeln breitete sich auf Nulls Lippen aus. “Ihr geht es gut.” Und das war wahr. Sie füllte ihre neue Position wunderbar aus. Nachdem die Verschwörung ans Tageslicht gekommen war, wurde die CIA komplett neu strukturiert. David Barren, ein hochstehendes Mitglied des nationalen Sicherheitsrates und Marias Vater, wurde zum zwischenzeitlichen Direktor der Agentur ernannt und überblickte die Überprüfung jeder dort arbeitenden Person, bis ein neuer Direktor ernannt wurde, ein ehemaliger Direktor der nationalen Nachrichtendienste, der sich Edward Shaw nannte.

Maria Johansson wurde zur Deputy Direktorin der Division für Sondereinsätze ernannt —ein Posten, der zuvor dem jetzt verstorbenen Shawn Cartwright gehörte, Nulls altem Chef. Sie wiederum hatte Todd Strickland zum Sonderermittler ernannt, ein Posten, der zuvor durch einen bestimmten Agenten Kent Steele besetzt war.

Und sie tat ihre Arbeit gut. Unter ihrer Führung gäbe es keine Korruption, keine abtrünnigen Agenten wie Jason Carver und keine düsteren Verschwörer wie Ashleigh Riker. Es war trotzdem offensichtlich, dass sie immer noch die Einsätze vermisste. Es geschah nicht oft, doch manchmal begleitete sie ihr Team auf einen Einsatz.

Null hingegen war nicht zurückgekehrt. Nicht zur CIA, nicht mal zur Universität. Er war zu nichts zurückgekehrt.

“Wie läuft’s in der Werkstatt?” fragte er Alan, um das Thema zu etwas anderem als ihn selbst und seiner griesgrämigen Introspektion zu wechseln.

“Ich halte mich beschäftigt”, erwiderte Reidigger locker. Ihm gehörte die Third Street Garage, die, trotz Alans Hintergrund als Spion und versteckter Einsatzagent, tatsächlich eine Werkstatt war. “Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Was macht der Keller?”

Null rollte mit den Augen. “Der ist noch nicht fertig.” Nachdem seine Mädchen ihn verlassen hatten, konnte er einfach nicht weiter alleine in dem Haus in Alexandria leben. Er stellte es zum Verkauf bereit und nahm das erste Angebot entgegen. Er und Maria hatten ihre Beziehung bis dahin schon öffentlich gemacht und auch sie wollte etwas Veränderung, also kauften sie ein kleines Haus in einem Vorort von Langley, nicht weit des Hauptquartiers der CIA. Der Makler nannte es einen “Bungalow im Handwerksstil”. Es war ein einfaches Haus, was ihnen beiden guttat. Eines der vielen Dinge, die er mit Maria gemeinsam hatte, war ihr Verlangen nach Einfachheit. Sie hätten sich etwas Größeres, Moderneres leisten können, doch das kleine, einstöckige Haus kam ihnen gerade recht. Es war gemütlich, angenehm, hatte ein großes Panoramafenster vorne, ein großes Schlafzimmer im Dachgeschoss und einen unfertigen Keller, mit glatten Betonwänden und – boden.

Etwa vier Monate zuvor, als der Sommer begann, hatte Null die Idee, den Keller fertigzustellen und ihn in nutzbaren Lebensraum zu verwandeln. Seitdem hatte er den Keller mit Holzgerüst und ein wenig flauschig rosa Isoliermaterial ausgelegt.

In letzter Zeit erschöpfte ihn der bloße Gedanke, dort wieder hinunterzugehen.

“Sag mir einfach Bescheid, falls du Hilfe brauchst”, bot Alan sich an.

“Ja.” Alan bot ihm jede Woche seine Hilfe an. “Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.”

“Vielleicht wäre es das, wenn sie Bauunternehmer angeheuert hätten, die wussten was sie taten.” Alan zwinkerte.

Null schnaubte verächtlich, doch lächelte. Die Dose in seiner Hand fühlte sich leicht an, zu leicht. Er schüttelte sie und war überrascht, dass sie leer war. Er erinnerte sich nicht einmal daran, einen Schluck genommen zu haben oder überhaupt den Geschmack bemerkt zu haben. Er stellte sie auf die Veranda neben sich und griff nach einer weiteren.

“Vorsicht”, warnte ihn Reidigger grinsend. Er zeigte auf Nulls Taille und den Wanst, der sich dort entwickelte.

“Ja, ja.” Dann hatte er also ein paar Pfund in seinem Halbruhestand zugenommen. Zehn, vielleicht auch fünfzehn. Er war sich nicht sicher und würde ganz bestimmte nicht auf eine Waage steigen, um es herauszufinden. “Guck mal wer da spricht.”

Reidigger lachte. Er sah lange nicht mehr wie der Agent mit dem runden Gesicht, dem jungenhaften Aussehen und dem sturen, dicken Rumpf aus, den Null vier Jahre zuvor kannte. Um sein Aussehen nach seinem gefälschten Tod zu verstecken und sein Alias als der Mechaniker namens Mitch einzunehmen, hatte Alan mindestens zwanzig Kilo zugenommen, sich einen buschigen, graugefleckten Bart wachsen lassen und trug ständig eine Fernfahrermütze tief ins Gesicht gezogen, deren Rand permanent mit Schweiß und dunklen, öligen Fingerabdrücken befleckt war.

Die Mütze war so allgegenwärtig geworden, dass Null sich wunderte, ob er sie auch im Bett trüge.

“Was, das hier?” Reidigger kicherte wieder und haute sich auf den Bauch. “Das sind alles Muskeln. Weißt du, ich geh zwei Mal pro Woche zum Fitnessstudio. Dort gibt es einen Boxring. Die jungen Kerle machen sich gern über die älteren lustig. Direkt bevor ich ihnen den Arsch versohle.” Er nahm einen Schluck und fügte hinzu: “Du solltest mal mitkommen. Normalerweise gehe ich —”

“Dienstags und Donnerstags”, beendete Null seinen Satz für ihn. Auch dieses Angebot machte Alan jede Woche.

Er wusste seine Anstrengen zu schätzen. Er wusste es zu schätzen, dass Alan so oft vorbeikam, um mit seinem alten Freund im Garten zu sitzen und zu plaudern. Er wusste die Besuche und die Versuche, ihn aus dem Haus zu bekommen, die jedes Mal halbherziger wurden, zu schätzen.

Die Wahrheit war, dass er ohne die CIA, die Vorlesungen oder seine Töchter sich nicht wie er selbst fühlte und das hatte zu einer Art Krankheit in seinem Gehirn geführt, ein generelles Unwohlsein, dass er anscheinend einfach nicht abschütteln konnte.

Die Glasschiebetür öffnete sich plötzlich und beide Männer drehten sich um und beobachteten, wie Maria in den Oktobernachmittag heraustrat. Sie war vornehm mit einem weißen Blazer mit schwarzen Hosen und einem dünnen Goldkettchen gekleidet. Ihr blondes Haar fiel ihr um die Schultern und dunkle Wimperntusche akzentuierte ihre grauen Augen.

Es war seltsam, doch für einen kurzen Augenblick überkam Null Eifersucht, als er sie sah. Wo er steckenblieb, war sie aufgeblüht. Doch er verdrängte auch das, stopfte es tief in das finstere Moor seiner unterdrückten Gefühle und sagte sich, dass er sich freute, sie zu sehen.

“Hallo Jungs”, sagte sie lächelnd. Sie schien guter Laune. Ihre Gemütsstimmung bei Ankunft zu Hause nach der Arbeit war ebenso wechselhaft wie ihre seltsamen Arbeitsstunden. “Alan, schön dich zu sehen.” Sie neigte sich, um ihn zu umarmen.

“Erstaunt” war nicht unbedingt das Wort, das Null einfiel, als Maria entdeckte, dass Alan nicht nur weiterhin am Leben war, sondern sich in einer Werkstatt weniger als dreißig Minuten von Langley entfernt versteckte. Doch sie nahm die Nachricht auf – ein harter Schlag auf die Schulter und ein strenge Rüge, die aus “das hättest du uns sagen sollen!” war anscheinend alle Katharsis, die sie brauchte.

“Hallo Kent.” Sie küsste ihn, bevor sie ein Bier aus Alans Sechserpack nahm und sich zu ihnen setzte. “War es ein guter Tag?”

“Ja.” Er nickte. “Ein guter Tag.” Er ging nicht weiter darauf ein, denn er hätte ihr nur erzählen können, dass er den Tag damit verbracht hatte, alte Filme zu sehen, zu schlafen und ein wenig darüber nachzudenken, in den wartenden, unfertigen Keller zurückzukehren. “Und du?”

Sie zuckte mit den Schultern. “Besser als die meisten.” Sie sprach für gewöhnlich nicht viel über ihre Arbeit mit ihm – das lag nicht nur an der Sicherheitsfreigabe, die Null gerade nicht hatte, sondern auch an der unausgesprochenen Angst (dies nahm Null zumindest an), dass es ihn aufregen könnte, eine alte Erinnerung hervorrufen oder ihn dazu inspirieren könnte, wieder mitzumischen. Es schien, dass es ihr gefiel, wo er war. Doch sein Verdacht darüber war eine ganz andere Angelegenheit.

“Kent”, sagte sie, “vergiss nicht, dass wir Pläne fürs Abendessen haben.”

Er lächelte. “Ach so, natürlich.” Er hatte den Gast nicht vergessen, den sie an diesem Abend empfangen würden. Doch er versuchte aktiv, nicht daran zu denken.

Kent.

Sie war die Einzige, die ihn noch so nannte.

Agent Kent Steele war sein Alias bei der CIA gewesen, doch jetzt war das nichts weiter als eine Erinnerung. Null war sein Sendezeichen, Alan Reidigger begann damit als ein Witz – und nannte ihn weiterhin Null. Und seitdem er sein Gedächtnis wieder erhalten hatte, war das der Name, mit dem er sich selbst identifizierte. Doch er war weder Kent noch Null, nicht mehr. Er war nicht mehr Professor Lawson. Verdammt, er fühlte sich kaum noch wie er selbst, sein wahrhaftiges Selbst, Reid Lawson, Vater von zwei Kinder, Geschichtsprofessor und verdeckter CIA Agent und mit was auch immer er sich sonst noch identifizierte. Obwohl achtzehn Monate vergangen waren, erinnerte er sich immer noch verbittert daran, wie die dunklen Verschwörer seinen Namen durch den Schlamm gezogen hatten, sein Bild an die Medien freigaben, ihn einen Terroristen nannten und versuchten, ihm den Mordversuch anzuhängen. Natürlich wurde er von diesen Anschuldigungen freigesprochen und er hatte keine Ahnung, ob sich jemand anders überhaupt noch daran erinnerte. Doch er tat es. Und jetzt fühlte sich der Name fremd für ihn an. Er vermied es, sich als Reid Lawson bekanntzugeben und das ging soweit, dass das Haus, die Rechnungen und sogar die Autos alle in Marias Namen waren. Keine Post mit seinem Namen kam an. Niemand rief jemals an und fragte nach Reid.

Oder Kent.

Oder Null.

Oder Vater.

Also wer zum Teufel bin ich dann?

Er wusste es nicht. Doch er wusste, dass er es selbst herausfinden musste, denn das Leben, das er jetzt führte, war es nicht wert, gelebt zu werden.




Kapitel zwei


Null war froh, dass er nicht über sie sprechen musste. Doch Alan wusste, dass er besser nicht nach den Mädchen fragte.

Reidigger blieb für eine dreiviertel Stunde, bevor er vom Gartenstuhl aufstand, sich streckte und auf seine gewöhnlich Art erklärte, dass er sich besser auf den “alten, staubigen Weg” machte. Null umarmte ihn kurz und winkte ihm nach, als der Kleintransporter von der Auffahrt fuhr. Er dankte ihm still, dass er nicht nach seinen Töchter gefragt hatte. Die Wahrheit war, dass Null Alans Frage nicht hätte beantworten können.

Maria stand mit einer Schürze über ihrer Arbeitskleidung in der Küche und hackte eine Zwiebel. “Guter Besuch?”

“Ja.”

Stille. Nur das rhythmische Schlagen des Messers gegen das Schnittbrett.

“Bist du bereit für heute Abend?” fragte sie nach einem langen Moment.

Er nickte. “Ja. Absolut.” Er war es nicht. “Was machst du?”

“Bigos.” Sie ließ den Inhalt des Schnittbretts in einen großen Topf auf dem Herd fallen, in dem sich schon köchelnde Krakauer, Kohl und anderes Gemüse befanden. “Das ist ein polnisches Gericht.”

Null runzelte die Stirn. “Bigos. Seit wann machst du Bigos?”

“Das habe ich von meiner Großmutter gelernt.” Sie grinste. “Es gibt immer noch viel, das du nicht über mich weißt, Mr. Steele.”

“Anscheinend.” Er zögerte, wunderte sich, wie er am besten das Thema ansprechen sollte, das ihm durch den Kopf ging und entschied sich dann, dass er es besser direkt täte. “Äh… hey. Also heute Abend, meinst du, dass du versuchen könntest, mich nicht Kent zu nennen?”

Maria hielt mit dem Messer über einem getrockneten Champignon inne. Sie blickte dunkel, doch nickte. “OK. Wie soll ich dich dann nennen? Reid?”

“Ich…” Er wollte gerade zustimmen, doch dann merkte er, dass er das auch nicht wollte. “Ich weiß es nicht.” Vielleicht, dachte er, könnte sie ihn einfach gar nicht ansprechen.

“Ha.” Ihr Ausdruck war eindeutig einer von Sorge, sie wollte weiter drängen, was in ihm vor sich ging, doch es war nicht der richtige Zeitpunkt, um das alles auszupacken. “Wie wär’s, wenn ich dich einfach,Herzelchen’ nenne?”

“Sehr witzig.” Er grinste trotz allem.

“Oder,Schnuckelputz’?”

“Ich ziehe mich jetzt um.” Er ging aus der Küche, während Maria ihm noch nachrief und sich amüsierte.

“Wart’ mal, ich hab’s. Ich nenne dich, Honigpferdchen’.”

“Ich ignoriere dich”, rief er zurück. Er wusste zu schätzen, was sie versuchte, zu tun, dass sie versuchte, die Situation mit Humor entwaffnen. Doch als er die kurze Treppe, die zum Dachgeschoss hinaufführte, hochgestiegen war, stieg wieder Angst in ihm auf. Er war froh über Alans Besuch gewesen, weil er bedeutete, dass er nicht darüber nachdenken musste. Er war froh, dass Alan nicht nach den Mädchen gefragt hatte, denn es bedeutete, dass er sich keinen Fakten oder Erinnerungen stellen musste. Doch jetzt konnte er das nicht mehr vermeiden.

Maya kam zum Abendessen.

Null inspizierte seine Jeans, versicherte sich, dass sie keine Löcher oder Kaffeeflecken hatte und wechselte sein altes T-Shirt durch ein gestreiftes Hemd aus.

Du bist ein Lügner.

Er fuhr sich mit dem Kamm durch sein Haar. Es wurde zu lang. Er ergraute langsam, besonders an den Schläfen.

Mama starb wegen dir.

Er drehte sich zur Seite und inspizierte sich im Spiegel, zog die Schultern zurück und versuchte, den kleinen Bauch einzuziehen, der sich um seinen Nabel gebildet hatte.

Ich hasse dich.

Die letzte bedeutungsvolle Unterhaltung, die er mit seiner ältesten Tochter hatte, war beißend. In dem Hotelzimmer des Plaza, als er ihnen die Wahrheit über ihre Mutter sagte, war Maya vom Bett aufgestanden. Sie begann ruhig, doch ihre Stimme erhob sich schnell um eine Oktave. Ihr Gesicht wurde immer röter, als sie ihn verfluchte. Sie nannte ihn bei jedem Schimpfwort, das er verdient hatte. Sagte ihm ganz genau, was sie über ihn, sein Leben und seine Lügen dachte.

Danach war nichts mehr wie früher. Ihre Beziehung hatte sich plötzlich dramatisch verändert, doch das war nicht der schmerzhafteste Teil. Wenigstens war sie damals noch körperlich anwesend. Nein, was danach kam war viel schlimmer. Nach dem Geständnis im Hotel, nachdem sie wieder zurück in ihr Haus in Alexandria gekehrt waren, ging Maya zurück zur Schule. Sie beendete die elfte Klasse. Zwar hatte sie zwei Monate verpasst, doch sie konzentrierte sich so stark auf ihre Aufgaben, wie Null es noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte.

Dann kam der Sommer und dennoch verschloss sie sich in ihr Zimmer zum Lernen. Er brauchte nicht lange, um zu verstehen, was geschah. Maya war extrem intelligent – zu schlau für ihr eigenes Wohl, hatte er oft gesagt. Doch in diesem Fall war sie zu clever für sein Wohl.

Maya lernte und arbeitete hart und konnte aufgrund einer wenig bekannten Statut ihrer Schule das letzte Jahr überspringen, indem sie alle Abschlussprüfungen schaffte. Sie schoss die High School vor dem Ende dieses ersten Sommers ab – doch es gab keine Zeremonie, keine Kappe und Robe, kein Abschlussfest mit den Klassenkameraden. Keine stolzen, lächelnden Fotos neben ihrem Vater und ihrer Schwester. Sie erhielt nur eines Tage einen formalen Brief und ein Zeugnis in der Post, was zu Nulls elendem Erstaunen führte, als er verstand, was sie versuchte, zu tun.

Und dann, erst dann, war sie weg.

Er seufzte. Das war schon länger als ein Jahr her. Er hatte sie zuletzt diesen letzten Sommer gesehen, im Juli oder August, kurz nach seinem vierzigsten Geburtstag. Sie kam nur selten zurück von New York. Bei dieser Gelegenheit war sie zurückgekehrt, um eine ihrer Sachen aus dem Lagerplatz abzuholen und hatte zögernd zugestimmt, mit ihm zu Mittag zu essen. Ihr Treffen war ungelenk, angespannt und größtenteils still. Er fragte, drängte sie dazu, von ihrem Leben zu erzählen und sie gab kurze Antworten und vermied Blickkontakt.

Und jetzt kam sie zum Abendessen.

“Hey.” Er hatte Maria nicht in das Loft-Schlafzimmer eintreten hören, doch er spürte ihre Arme um seine Taille, wie ihr Kopf sich gegen seinen Rücken lehnte, als sie ihn von hinten umarmte. “Es ist in Ordnung, nervös zu sein.”

“Ich bin nicht nervös.” Er war sehr nervös. Ich freue mich drauf, sie zu sehen.”

“Ja, natürlich.” Maria hatte das Treffen organisiert. Sie war diejenige, die Maya kontaktiert hatte, um sie einzuladen, wenn sie das nächste Mal in der Stadt wäre. Die Einladung hatte sie vor zwei Monaten gemacht. Maya war dieses Wochenende in Virginia, um ein paar Schulfreunde zu treffen und hatte zögernd zugestimmt, zu kommen. Nur zum Abendessen. Sie würde nicht bleiben. Das gab sie sehr deutlich bekannt.

“Hey,” sagte Maria sanft hinter ihm, “ich weiß, dass jetzt vielleicht nicht der beste Zeitpunkt dafür ist, aber…”

Null zuckte zusammen. Er wusste, was sie sagen würde und wünschte, dass sie es nicht täte.

“Ich habe meinen Eisprung.”

Für einen langen Moment erwiderte er nichts. Es war lang genug, um zu bemerken, dass die Stille, die zwischen ihnen gähnte, unangenehm war.

Als sie zusammenzogen, waren sie sich einig, dass keiner der beiden besonders an einer Hochzeit interessiert war. Kinder waren nicht mal auf seinem Radar. Doch Maria war nur zwei Jahre jünger als er, sie ging stark auf die Vierzig zu. Auf ihrer biologischen Uhr gab es keine Schlummertaste mehr. Zuerst bemerkte sie es nebenbei in einer Unterhaltung, doch dann hörte sie auf, zu verhüten und begann, ihren Zyklus streng zu verfolgen.

Dennoch hatten sie sich niemals zusammengesetzt, um es zu besprechen. Es war, als ob Maria einfach annahm, dass weil er schon zwei Kinder hatte, er gerne wieder Vater würde. Er sprach es zwar niemals laut aus, doch insgeheim hatte er den Verdacht, dass dies der Grund war, warum sie nicht darauf drängte, dass er zur Agentur zurückkehrte oder zumindest zur Universität. Es gefiel ihr, wo er war, denn es bedeutete, dass jemand da wäre, um sich um ein Baby zu kümmern.

Wie kann das sein, dachte er verbittert, dass mein Leben als arbeitsloser Ziviler komplizierter ist als jenes, das ich als Geheimagent hatte?

Er hatte mit seiner Antwort zu lange gewartet, und als er schließlich sprach, klang es erzwungen und lahm. “Ich glaube”, erwiderte er schließlich, “dass wir damit erst mal langsam machen sollten.”

Er spürte, wie ihre Arme von seiner Taille fielen und fügte hastig hinzu: “Nur, bis wir diesen Besuch hinter uns haben. Dann reden wir darüber und entscheiden —”

“Weiter zu warten.” Sie spuckte die Worte fast aus und als er sich drehte, um sie anzusehen, starrte sie mit unverhohlener Enttäuschung auf den Teppich.

“Das sage ich doch gar nicht.”

Doch, das sagst du.

“Ich glaube nur, dass es ein ernsthaftes Gespräch braucht”, erklärte er.

Damit ich genügend Mut aufbringe, um zuzugeben, dass ich es nicht will.

“Wir sollten uns zumindest zuerst darum kümmern, was jetzt vor uns liegt.”

Wie die Tatsache, dass die beiden Kinder, die ich schon großgezogen habe, mich hassen.

“Ja”, stimmte Maria leise zu. “Du hast recht. Wir warten weiter.” Sie wandte sich um und ging aus dem Schlafzimmer.

“Maria, warte…”

“Ich muss das Abendessen fertigkochen.” Er hörte ihre Schritte auf der Treppe und schalt sich selbst leise dafür aus, dass er so schlecht mit der Situation umgegangen war. So wie mit seinem ganzen Leben in letzter Zeit.

Dann klingelte es an der Tür. Das Geräusch sandte ein elektrisches Kribbeln durch sein Nervensystem.

Er hörte, wie die Tür sich öffnete. Marias fröhliche stimme: “Hallo! So schön, dich zu sehen. Komm rein, komm rein.”

Sie war hier. Plötzlich fühlten sich Nulls Füße wie Bleigewichte an. Er wollte nicht heruntergehen. Wollte sich der Situation nicht stellen.

“Und du musst Greg sein…” sagte Maria.

Greg? Wer zum Teufel ist Greg? Plötzlich fand er die Willenskraft, sich zu bewegen. Eine Stufe nach der anderen geriet sie langsam in sein Blickfeld. Es waren erst ein paar Monate vergangen, seitdem er sie gesehen hatte, doch sie raubte ihm dennoch den Atem.

Maya war jetzt achtzehn, kein Kind mehr, und das zeigte sich schneller als er zugeben wollte. Als sie sich im vergangenen Sommer zum Mittagessen trafen, war ihr Haar noch lang und zu dem durch das Militär vorgeschriebenen Knoten gebunden, doch seitdem hatte sie es kürzer geschnitten, ein sogenannter Pixie-Schnitt, kurz an den Seiten und am Hinterkopf, zog er sich über ihre Stirn, hob ihr schlankes Gesicht hervor, das reifer und kantiger wurde. Sie sah stärker aus, die Muskeln in ihren Armen entwickelten sich, klein doch fest.

Sie sah ihm jeden Tag ähnlicher, während er täglich weniger wie er selbst aussah und sich fühlte.

Maya blickte zu ihm herauf, als er die Treppe herunterkam. “Hallo.” Es war eine passive Begrüßung, nicht freudig, aber auch nicht widerwillig. Neutral. Wie jemand, der einen Fremden begrüßt.

“Hallo Maya.” Er bewegte sich auf sie zu, um sie zu umarmen und ein Anflug von Unbehagen warf einen Schatten über ihr Gesicht. Er ließ es bei einer halben Umarmung bleiben, legte einen Arm um ihre Schultern, während ihre Hand einmal auf seinen Rücken klopfte. “Du siehst… du siehst gut aus.”

“Mir geht es gut.” Sie räusperte sich und fuhr fort: “Das ist Greg.”

Der Junge, wenn man ihn überhaupt so nennen konnte, tat einen Schritt nach vorn und streckte eine enthusiastische Hand aus. “Mr. Lawson, es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen.” Er war groß, etwa eins-neunzig, mit kurzem blonden Haar, perfekten Zähnen und gebräunten Armen, um die sich die Ärmel seines Polo-Shirts spannten.

Er sah aus wie der Quarterback eines High School Footballteams.

“Äh, ebenfalls, Greg.” Null schüttelte die Hand des Jungen. Greg hatte einen festen Griff, fester als notwendig.

Null war er sofort unsympathisch. “Du bist ein, äh, Freund von Maya aus der Akademie?”

“Mein Freund”, sagte Maya unbeirrbar.

Der Typ? Null gefiel er jetzt noch weniger. Sein Lächeln, seine Zähne. Eifersucht brannte in ihm. Dieser grinsende Idiot stand seiner Tochter nah. Näher als Null es erlaubt war.

“Warum stehen wir hier herum? Kommt rein, bitte.” Maria schloss die Tür und führte sie auf das Wohnzimmer zu. “Setzt euch. Das Abendessen ist noch nicht ganz fertig. Kann ich euch was zu Trinken anbieten?”

Sie antworteten, doch Null hörte es nicht. Er war zu beschäftigt damit, diese relativ fremde Person in seinem Haus zu inspizieren – und damit meinte er nicht Greg. Maya blühte zu einer jungen Frau auf mit ihrem neuen Haar, ihrer gebügelten Kleidung, dem Freund, der Akademie und ihrer Karriere… und er war kein Teil davon. Hatte nichts damit zu tun.

Trotz allem, was geschehen war, hatte Maya sich nicht von dem Ziel abbringen lassen, das sie sich fast zwei Jahre zuvor gesetzt hatte. Sie wollte eine CIA Agentin werden – noch mehr, sie wollte die jüngste Agentin in der Geschichte der CIA werden. Doch es hatte nichts damit zu tun, in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Sie hatte selbst einige fürchterliche Erlebnisse überstanden, das schlimmste davon, als sie von einem psychopathischen Attentäter entführt und einem Menschenhändlerring übergeben wurde. Deshalb wollte sie zu den Beschützern gehören, die verhindern, dass solche Dinge anderen jungen Frauen geschehen.

Nachdem sie das letzte Jahr der High School übersprungen hatte, bewarb sich Maya ohne Nulls Mitwissen bei der Militärakademie West Point. Obwohl ihre Noten hervorragend waren, hatte sie keine Ausbildung als Reserveoffizier und nicht vor, in den Militärdienst zu treten, weshalb sie nicht die beste Kandidatin wäre. Doch auch dafür hatte sie einen Plan.

Mit einer List und Tücke, die auf eine illustre Karriere im Geheimdienst vorahnen ließ, ging Maya über den Kopf ihres Vater zu dem Agentenkollegen (und Freund) Todd Strickland. Durch ihn, und weil sie Agent Nulls Tochter war, schaffte sie es, ein Empfehlungsschreiben des damaligen Präsidenten Eli Pierson zu bekommen, der dachte, er täte Null einen persönlichen Gefallen. Sie wurde bei West Point akzeptiert und zog vor Ende dieses ersten Sommers, nachdem sie die Wahrheit über ihre Mutter erfahren hatte, nach New York.

Null fand das alles erst heraus, als sie schon ihre Taschen packte. Doch da war es schon zu spät, um sie aufzuhalten, obwohl er dies natürlich dennoch versuchte. Er schaffte es nicht, sie davon abzubringen.

Jetzt war sie in ihrem zweiten Jahr und obwohl die Bande zwischen Vater und Tochter fast aufgelöst waren, blieb Maria, so gut wie sie konnte, mit Maya in Kontakt und informierte Null. Er wusste, dass sie die Klassenbeste war, bei allem, was sie tat, glänzte und die Bewunderung der Fakultät auf sich zog. Er wusste, dass sie auf große Taten zuschritt.

Er wünschte sich nur, dass es nicht dieselbe Karriere wäre, die den Tod ihrer Mutter verursacht und die Beziehung zu ihrem Vater ruiniert hatte.

“Also.” Greg räusperte sich neben Maya auf dem Sofa, während Null ihnen gegenüber in einem Sessel saß. “Maya erzählt mir, dass Sie ein Buchhalter sind?”

Null lächelte dünn. Natürlich würde Maya einen so langweiligen Beruf als seine Deckung wählen. “Das stimmt”, erwiderte er, “Unternehmensfinanzierung.”

“Das ist… interessant.” Greg zwang sich zum Lächeln.

Was für ein Schleimer. Was findet sie nur an dem Typen? “Und du Greg?” fragte er. “Was hast du vor? Willst du Offizier werden?”

“Nein, nein, ich glaube, das ist nicht das Richtige für mich.” Der Junge winkte mit der Hand ab, als ob er die Idee wie eine Fliege totschlagen wollte. “Ich möchte zum NCAVC. Spezifischer zum BAU…” Er hielt inne und lachte leicht über sich. “Entschuldigung Mr. Lawson, Ich vergaß, dass ich mit einem Zivilen spreche. Ich möchte ein FBI Agent werden, bei der Einheit für Verhaltensanalyse. In der Division für gewalttätige Verbrechen. Wissen Sie, die Leute, die Massenmörder, inländische Terroristen und so jagen.”

“Das klingt aufregend”, gab Null flach zurück. Natürlich wusste er, was die NCAVC war und BAU – fast jeder, der das Abendprogramm im Fernsehen sah, wusste das – doch er sagte nichts. Er hatte sogar nur geringen Zweifel daran, dass wenn dieses kriecherische Kind ihm gegenüber wüsste, wer er war, Agent Null, ihm das ölige Grinsen vom Gesicht rutschen würde und er binnen einer halben Sekunde zu einem schleimigen Fan von ihm würde.

Doch er konnte nichts davon sagen. Stattdessen fügte er hinzu: “Klingt ganz schön ehrgeizig.”

“Greg schafft das”, stimmte Maya zu, “er ist der Beste der zweiten Klasse.”

“Das bedeutet,junior’”, erklärte Greg Null. “Aber im Point nennen wir sie nicht so. Und Maya hier ist die beste in der dritten Klasse.” Er reichte hinüber und drückte sanft Mayas Knie.

Null musste sich mit aller Gewalt davon abhalten, seine Lippe nicht zu einem Knurren hochzuziehen. Plötzlich verstand er, warum Maya den Jungen mitgebracht hatte. Er war mehr als nur ein Puffer zwischen ihnen. Wenn er dabei war, konnten sie nicht offen sprechen. Es gäbe kein Gespräch über die CIA, über die Vergangenheit. Verdammt, er war sich nicht mal sicher, ob er das fragen konnte, worüber er am meisten sprechen wollte, Sara.

Dass Maya ihn verließ, um zur Akademie zu gehen, erdrückte ihn. Doch Sara… trotz all der Zeit, die vergangen war, fühlte es sich immer noch wie der Sargnagel an, der sein Herz durchstochen hatte.

Greg redete immer noch, sagte etwas über das FBI und wie dort nach dem Skandal aufgeräumt wurde, und dass seine Familie Verbindungen hatte, oder irgendetwas. Null hörte nicht zu. Er blickte hinüber zu ihr, zu seiner Tochter, zu der jungen Frau, die er großgezogen hatte, der er alles gab, was er konnte. Er hatte ihre Windeln gewechselt. Ihr beigebracht, zu laufen und zu sprechen und zu schreiben und Softball zu spielen und wie man eine Gabel benutzt. Er hatte ihr Stubenarrest erteilt, sie umarmt, wenn sie weinte, sie aufgemuntert, wenn es ihr schlecht ging, Pflaster auf aufgeschürfte Knie geklebt. Er hatte ihr Leben gerettet und wegen ihm wurde ihre Mutter getötet.

Als er zu ihr herüberblickte und versuchte, ihr in die Augen zu schauen, sah sie weg.

In diesem Moment wusste er es. Es gäbe keine Versöhnung, zumindest nicht heute Abend. Dies war nur eine Formalität. Hiermit sagte ihm Maya, du verdienst es, zu wissen, dass ich am Leben bin und es mir gut geht, doch davon abgesehen nicht mehr.

Sie starrte auf den Teppich, während Greg über irgendetwas weiterplapperte, ihr Blick war nachdenklich. Ihr Lächeln stockte und als es verschwand, verließ auch Null die Hoffnung, seine Tochter zurückzuerlangen.




Kapitel drei


Maya stippte eine Kruste Sauerteigbrot in den polnischen Eintopf und kaute langsam darauf herum. Er war köstlich, viel besser als das Essen in der Akademie, doch sie hatte kaum Appetit. Ihr Vater saß ihr an dem kleinen Esstisch gegenüber, Maria links und Greg rechts von ihr.

Und er starrte sie wieder an.

Sie wünschte, sie wäre nicht gekommen. Sie schuldete ihm nichts. Und sie wusste, dass sie sich nicht dazu zwingen konnte, aufzublicken, ihm in die Augen zu schauen und den unverdeckten Schmerz ihres Bruches zu sehen. Stattdessen starrte sie auf ein geflecktes Stückchen Krakauer auf ihrem Teller.

Ihn hier, in diesem neuen Haus, in dem er mit Maria lebte, mit dunklen Ringen unter seinen Augen und mehr Gewicht um seine Taille zu sehen, ließ sie ihren eigenen Vater wie einen Fremden erscheinen. Er hatte nicht mehr das jugendliche, verspielte Licht in seinen Augen, das immer da war, als sie aufwuchsen. Sie hatte ihn seit mehr als einem Jahr nicht mehr lachen hören. Sie vermisste ihre sarkastischen, lustigen Gespräche und manchmal erhitzten Debatten.

“Stimmt’s Maya?”

“Wie?” Sie blickte auf, als sie ihren Namen hörte und sah Greg, der sie erwartend anschaute. “Oh. Ja. Das stimmt.” Du liebe Güte, redet der immer noch?

Greg war nicht wirklich ihr Freund. Zumindest sah sie das nicht so. Sie gingen damit lässig um, es war nichts offizielles. Er wusste, dass sie ihm gefiel – sie hatten sich ein paar Mal geküsst, doch sie ließ ihn nicht näher an sich heran —aber dennoch konnte sie es eigentlich nur als eine Frage des Status für ihn ansehen. Er kam aus einer guten Familie, seiner Mutter war in der Politik tätig und sein Vater ein hochrangiges Mitglied des nationalen Sicherheitsrates. Sie war Klassenbeste und (je nach dem, wen man fragte) vermutlich besser bei den meisten Dingen, insbesondere was akademische Leistungen anging. Einige der anderen Kadetten in der zweiten und dritten Klasse machten Witze darüber, dass sie das “Königspärchen des Abschlussballes von West Point” waren.

Er sah gut aus. Er war athletisch. Er war eigentlich ein netter Typ. Aber er war auch ein Angeber, egozentrisch und sich seinen Fehlern komplett unbewusst.

“Wenn ihr mich fragt”, sagte Greg, “hätte Pierson in den Knast gehört. Meine Mutter sagt – meine Mutter war die Bürgermeisterin von Baltimore für zwei Jahre, habe ich das schon erwähnt? Na, auf alle Fälle sagt sie, dass seine Fahrlässigkeit ausgereicht hätte, um ihn des Amtes zu entheben oder ihn zumindest nach seiner Amtszeit zu verklagen…”

Hör auf, mich anzustarren. Sie wollte es herausschreien, doch hielt die Zunge im Zaum. Sie konnte fühlen, wie verzweifelt ihr Vater mit ihr sprechen wollte. Das war ein Teil des Grundes, warum sie Greg mitgebracht hatte, damit sie während dieses Besuches in keine Wespennester stechen konnten. Sie wusste, dass er nach Sara fragen wollte. Sie wusste, dass er um Entschuldigung bitten wollte, alles wieder gutmachen wollte, die ganze Sache hinter sich lassen wollte.

Die Wahrheit war, dass sie ihn nicht hasste. Nicht mehr. Es brauchte Energie, um jemanden zu hassen und sie steckte all ihre Energie in die Akademie. Für sie war es kein Thema mehr. Dieser Besuch war nicht versöhnend, er war bürokratisch. Eine Gepflogenheit. Etikette. Die Werte, die sie von der Akademie eingeflößt bekamen, trafen zwar nicht ganz auf Mayas einzigartige Situation zu, doch für sie bedeutete das, dass sie mindestens hin und wieder den Mann sehen sollte, der sie großgezogen hatte, der nur noch ein Schatten seiner selbst war. Selbst wenn es zu nichts weiter nützte, als sich selbst zu beweisen, dass sie es immer noch aushielt, im selben Zimmer wie er zu sein.

Doch jetzt wünschte sie sich, dass sie nicht gekommen wäre.

“Also”, sagte Maria plötzlich. Greg hatte lange genug aufgehört, zu reden, um etwas Eintopf zu löffeln und Maria nahm die Gelegenheit beim Schopfe. “Maya. Hast du in letzter Zeit mit deiner Schwester gesprochen?”

Die Frage überraschte sie. Sie hatte sie von ihrem Vater erwartet, aber nicht von Maria. Dennoch war es eine gute Gelegenheit, die Fähigkeiten auszuprobieren, die sie entwickelt hatte. Sie bekämpfte den Instinkt, jeglichen verräterischen Gesichtsausdruck zu unterdrücken und lächelte stattdessen leicht.

“Das habe ich”, antwortete Maya. “Gerade erst gestern sogar. Ihr geht es gut.” Nur die Hälfte davon war eine Lüge.

“Du hast eine Schwester?” fragte Greg.

Maya nickte. “Zwei Jahre jünger. Sie ist in Florida bei einem Ausbildungsprogramm. Sehr beschäftigt.” Eine weitere Lüge, doch sie ging ihr leicht von den Lippen. Sie wurde immer besser dabei und erfand oft kleine Lügen, nur um zu üben – und weil es ehrlich gesagt ein bisschen aufregend war.

“Und äh…” Ihr Vater räusperte sich. “Kommt sie klar? Hat sie alles, was sie braucht?”

“Ja ja”, erwiderte Maya kurz, ohne ihn anzublicken. “Der geht’s toll.”

Greg lächelte gekünstelt, als er sich an ihren Vater wandte. “Sie fragen, als ob sie nicht mit ihr sprächen, Mr. Lawson.”

“Wie Maya schon sagte”, gab ihr Vater leise zurück, “Sara ist sehr beschäftigt.

Maya wusste, dass ihr eigener plötzlicher Umzug ihn verletzt hatte. Doch wenn dies der Fall war, dann war Saras Abschied der Todesstoß.

In diesem ersten Sommer, nur ein paar Monate nachdem ihr Vater Präsident Piersons Leben gerettet hatte, nachdem er ihnen die Wahrheit über ihre Mutter gesagt hatte und die Anspannung zu Hause sehr stark war, hatte Maya ihre Pläne ihrer Schwester anvertraut. Sie sagte Sara, dass sie das letzte Jahr High School übersprungen und sich für West Point beworben hatte.

So lange sie lebte, vergäße sie nicht den panischen Gesichtsausdruck ihrer kleinen Schwester. Bitte. Bitte nicht, bettelte Sara. Lass mich nicht allein hier mit ihm. Ich kann das nicht.

So sehr es ihr auch das Herz brach, Maya hatte ihre Pläne geschmiedet und hatte vor, sie durchzuziehen. Also machte Sara ihre eigenen Pläne. Sie ging ins Internet und fand einen Anwalt, der ihren Fall ehrenamtlich übernähme. Dann stellte sie einen Antrag auf Emanzipierung. Sie wusste, dass dies nur wenig Chance hatte. Es gab keine Beweise für Vernachlässigung, Misshandlung oder ähnliches.

Beide Schwestern waren jedoch schockiert, dass der Vater den Antrag nicht bekämpfte. Weniger als zwei Wochen, nachdem Maya zur Militärakademie in New York gezogen war, erschien ihr Vater zum Gerichtstermin und sagte seiner damals fünfzehnjährigen Tochter in Anwesenheit eines Richters, dass wenn sie so sehr erpicht darauf war, ihre Freiheit von ihm zu erlangen, dass sie ihn deshalb vor Gericht zog, sie ihre Freiheit haben könnte.

In derselben Nacht gab es noch ein weiteres Ereignis, das Maya nicht so schnell vergessen konnte. Ihr Vater rief sie an. Sie ignorierte ihn. Sie hasste ihn damals noch. Er hinterließ eine Nachricht auf ihrer Mailbox, die sie für zwei weitere Tage nicht abhörte. Als sie es schließlich tat, bereute sie ihre Entscheidung. Seine Stimme schwankte, brach fast. Er sagte ihr, dass Sara gegangen war. Er gab zu, dass er all das und noch mehr verdient hatte. Er entschuldigte sich drei Mal und sagte ihr dann, dass er sie liebte.

Es würde weitere sechs Monate dauern, bis sie wieder sprachen.

Doch Maya blieb in Kontakt mit ihrer Schwester. Nach der Emanzipation. Sara packte ein, was sie tragen konnte und stieg in einen Bus. Sie blieb schließlich in Florida und nahm den ersten Job an, den sie fand, als Kassiererin in einem Secondhandladen. Sie arbeitete dort immer noch. Sie lebte in einer Wohngemeinschaft, einem gemieteten Haus mit fünf weiteren Leuten. Sie teilte sich ein Schlafzimmer mit einem Mädchen, das ein paar Jahre älter als sie war und das Bad mit allen.

Maya rief ihre Schwester mindestens einmal pro Woche an, noch öfter, wenn ihr Stundenplan es zuließ. Sara sagte immer, dass es ihr gut ginge, doch Maya war sich nicht so sicher, dass sie das glaubte. Sie hatte die High School verlassen und versprochen, dass sie zurückginge, doch das war nicht der Fall. Dieser Tage versuchte Maya nicht einmal mehr, sie zu einer Rückkehr zu überreden. Stattdessen drängte sie Sara dazu, wenigstens ein generelles Bildungszertifikat zu erlangen. Ein weiteres der Dinge, die Sara versprach, zu tun. Irgendwann.

Maya lebte das ganze Jahr über in der Akademie und bekam jedes Semester ein Stipendium für Uniformen, Bücher, Essen und so weiter. Normalerweise blieb ihr nicht viel, doch sie schickte ihrer Schwester ein wenig Geld, wenn sie es konnte. Sara wusste das immer zu schätzen.

Keine der beiden brauchte noch etwas von ihm. Sie wollten nichts mehr von ihm.

Sie hatten wirklich einen Tag zuvor gesprochen, der Teil war keine Lüge. Sara war jetzt sechzehn und eine der Mädchen in ihrer Wohngemeinschaft brachte ihr das Autofahren bei. Es tat Maya weh, dass sie bei solch wichtigen Dingen in Saras Leben nicht dabei war, doch sie hatte ihre eigenen Ziele und war entschlossen, sie zu erreichen.

Einfach gesagt, die Wahrheit über den Tod ihrer Mutter und die Lügen ihres Vaters hatten nicht einen Keil zwischen ihn und sie getrieben, sondern auch zwischen die zwei Mädchen. Sie waren auf unterschiedlichen Wegen, und wenn sie auch in Kontakt blieben und einander so weit wie möglich hälfen, so war doch keine der beiden dazu bereit, ihr eigenes Leben zu stark für die andere zu unterbrechen.

“Möchte jemand noch mehr?” bot Maria an. “Es ist noch viel übrig.”

Mayas Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf das Abendessen. Sie war in ihren eigenen Gedanken verloren und als sie um sich blickte, bemerkte sie, dass alle anderen schon zu Ende gegessen hatten. Sie legte dennoch den Löffel nieder. Sie wollte einfach nur, dass dieser Besuch vorbei wäre, ihnen danken und hier endlich verschwinden. “Nein danke. Es war sehr lecker.”

“Das stimmt”, sagte Greg enthusiastisch. “Einfach köstlich.” Und dann öffnete der blonde Idiot schon wieder seinen Mund. “Danke Ihnen, Frau Lawson.”

Blitzartig explodierte Zorn in ihr. Die Worte sprangen aus Mayas Mund, bevor sie überhaupt über sie nachdenken konnte. “Sie ist nicht Frau Lawson.”

Maria blickte erstaunt. Ihr Vater starrte weiter, doch jetzt waren seine Augen vor Überraschung geweitet und sein Mund stand ihm ein wenig offen.

Greg räusperte sich nervös. “Tut mir leid”, murmelte er, “ich nahm nur an…”

Weiterer Zorn brodelte in ihr auf. “Ich habe dir das auf dem Weg hierher erklärt. Du müsstest nichts annehmen, wenn du einfach mal für nur fünf Minuten aufhören würdest, über dich selbst zu reden!”

“Hey”, sträubte sich Greg, “So kannst du nicht mit mir reden —”

“Warum nicht?” forderte sie ihn heraus. “Kommt sonst deine Mami? Ja Greg. Ich weiß, sie war die Bürgermeisterin von Baltimore für zwei Jahre. Das sagst du ständig. Niemand interessiert sich auch nur die Bohne dafür!”

Er schluckte und sein Gesicht wurde rot, doch er antwortete nicht.

“Maya”, sagte Maria sanft, doch streng, “ich weiß, dass du wütend bist, aber es war nur ein Unfall. Kein Grund, unhöflich zu werden. Wir sind hier alle Erwachsene —”

“Oh.” Maya schnaubte verächtlich. “Ich finde, es gibt jeden Grund, um unhöflich zu sein. Soll ich sie für dich aufzählen?” Sie war klug genug, um zu wissen, was da vor sich ging, doch wütend genug, damit es ihr egal war. Die Wahrheit war offensichtlich. Sie war immer noch sehr verärgert mit ihrem Vater, obwohl sie sich sagte, dass dem nicht so sei. Doch sie hatte all die Feindlichkeit und Wut in ihre Schule und ihre Ziele kanalisiert. Hier und jetzt, wo nichts davon da war und sie dem Mann gegenübersaß, der ihr das angetan hatte, kam wieder alles zurück an die Oberfläche. Ihr Gesicht fühlte sich heiß an und ihr Herzschlag verdoppelte sich.

Plötzlich merkte sie stärker als je zuvor, dass sie an keine glückliche Kindheitserinnerung denken konnte, ohne dabei zu erkennen, dass das Leben ihres Vaters, und damit auch große Teile ihres Lebens, eine riesige Lüge war, eingewickelt in tausende kleinere Lügen. Das hellste Licht ihres jungen Lebens, ihre Mutter, wurde deswegen brutal und kalt ausgelöscht, durch die Hand eines Mannes, dem Maya dummerweise vertraut hatte.

Und ihr eigener Vater wusste nicht nur davon. Er ließ den Mann, John Watson, frei.

“Maya”, begann ihr Vater, “bitte, lass —”

“Du hast hier nichts zu sagen!” blaffte sie ihn an. “Sie ist wegen dir tot!” Sie überraschte sich selbst mit der Intensität und war dann erneut überrascht, dass ihr Vater nicht in Wut ausbrach. Stattdessen wurde er still und starrte auf den Tisch wie ein getretenes Hündchen.

“Schaut mal, ich habe keine Ahnung, was hier vor sich geht”, sagte Greg leise, “aber ich glaube, ich mache mich besser auf den Weg.”

Er wollte gerade aufstehen, als Maya einen drohenden Finger in sein Gesicht hielt. “Setz dich! Du gehst nirgendwo hin.”

Greg setzte sich sofort wieder auf seinen Stuhl, als sei sie eine Militärausbilderin, die einen Grenadier herumbefahl. Maria beobachtete sie distanziert, eine Augenbraue ein wenig hochgezogen, als wartete sie darauf, herauszufinden, wie dies enden würde. Die Schultern ihres Vaters fielen vornüber und sein Kinn berührte fast sein Schlüsselbein.

“Verdammt”, murmelte Maya, als sie sich mit den Händen über ihr kurzes Haar fuhr. Sie dachte, dass sie damit schon durch wäre, dass sie dieses emotionale Aufbrausen, das wie fehlgeleitete Welle über ihr zusammenbrach, schon überwunden hatte, dass sie es nicht mehr versuchte, den lächelnden, humorvollen Professor, den sie Papa nannte, mit dem tödlichen Geheimagenten zu vereinbaren, der für das Trauma verantwortlich war, das sie für den Rest ihres Lebens hätte. Sie dachte, dass die Weinkrämpfe tief in der Nacht vorbei waren, wenn sie sich umzog und die dünnen weißen Narben der Nachricht sah, die sie in ihr eigenes Bein geritzt hatte, damals als sie dachte, dass sie stürbe und ihr letztes Bisschen Kraft dazu verwendete, um ihm einen Hinweis auf den Aufenthaltsort ihrer Schwester zu geben.

Wage es nicht zu heulen.

“Das hier war ein Fehler.” Sie stand auf und ging auf die Tür zu. “Ich will dich nie wieder sehen.”

Sie war zu wütend, um zu weinen, bemerkte sie. Zumindest war sie darüber hinweg.

Maya setzte sich hinter das Steuer des Mietwagens und drehte die Schlüssel im Zündschloss um, bevor Greg hinter ihr herausgejoggt kam.

“Maya!” rief er. “Hey, warte!” Er versuchte, den Türgriff auf der Beifahrerseite zu ziehen, doch sie hatte schon die Türen verschlossen. “Mach schon. Lass mich rein.”

Sie begann, rückwärts aus der Einfahrt zu fahren.

“Das ist nicht lustig!” Er schlug mit der Hand gegen eine Scheibe. “Wie soll ich denn wieder zurückkommen?”

“Deine Mama kann dir bestimmt dabei helfen”, rief sie ihm durch das geschlossene Fenster zu. “Versuch doch, sie anzurufen.”

Und dann fuhr sie weg, die Straße hinunter. Im Rückspiegel sah sie, wie Greg, mit seinen Händen ungläubig am Kopf, immer kleiner wurde. Sie wusste, dass sie dafür an der Akademie die Hölle erwartete, doch in diesem Moment war es ihr egal. Als das fremde Haus ihres Vaters kleiner hinter ihr wurde, fühlte es sich an, als ob ein Gewicht von ihren Schultern fiele. Sie war aus Familiensinn, aus Verantwortungsgefühl an diesem Tag hierhergekommen. Es war eigentlich eine Last.

Doch jetzt bemerkte sie, dass es in Ordnung für sie wäre, wenn sie die beiden oder dieses Haus nie wiedersähe. Es ginge ihr auch allein gut. Es gab keine Ende dafür und es würde niemals eines geben. Ihre Mutter war tot und ihr Vater war für sie ebenfalls gestorben.




Kapitel vier


Karina Pavlo saß in der hintersten Ecke der Theke, wurde zwar von Bierzapfhähnen verdeckt, doch hatte eine klare Sicht auf den vorderen Eingang. Sie hatte einen Ort gewählt, an dem niemand sie jemals vermutete, eine heruntergekommene Bar im südöstlichen Teil von Washington DC, nicht weit entfernt von Bellevue. Es war nicht gerade die feinste Nachbarschaft und die Abenddämmerung setzte allmählich ein, doch sie war nicht über Taschendiebe oder Straßenräuber besorgt. Sie hatte ein größeres Problem.

Außerdem hatte sie gerade selbst einen Kleindiebstahl begangen.

Nachdem sie den Geheimdienstagenten abgehängt und sich eine Weile in einem Bücherladen versteckt hatte, war Karina wieder hinaus auf die Straße gegangen, doch für nur weniger als einen Block, bevor sie ein Kaufhaus betrat. Abgesehen davon, dass sie barfuß ging, war sie immer noch schick bekleidet und mit hocherhobenem Kopfe und einem selbstbewussten Gang, den sie einlegte, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, sah sie wie jegliche Geschäftsfrau der gehobenen Mittelklasse aus.

Sie ging direkt auf die Frauenabteilung zu und nahm ein paar Stück lässige Kleidung von der Stange, Stücke, die keine Aufmerksamkeit erregten. Sie hinterließ ihren Rock, ihre Bluse und ihren Blazer in der Umkleidekabine, zog ein Paar Turnschuhe an und nahm eine andere Tür wieder hinaus auf die Straße, ohne dass sie jemand zwei Mal angeblickt hätte. Zwei Häuserblocks weiter machte sie bei einem anderen Geschäft Halt, gab vor, sich für ein paar Minuten umzusehen und verließ es wieder mit einer gestohlenen Sonnenbrille und einem Seidenschal, den sie über ihr dunkles Haar gebunden hatte.

Zurück auf der Straße erblickte sie einen pummeligen Mann in einem gestreiften Polohemd mit einer Kamera, die um seinen Hals hing. Er sah wie der absolut typische Tourist aus. Sie rempelte ihn rau an, als sie aneinander vorbeigingen, schnappte nach Luft und entschuldigte sich sofort. Sein Gesicht wurde rot und er öffnete seinen Mund, um sie anzuschreien, bis er sah, dass sie schlank, hübsch und braunhaarig war. Er murmelte eine Entschuldigung und eilte davon, bemerkte nicht, dass sein Portemonnaie verschwunden war. Karina war schon immer geschickt mit ihren Händen gewesen. Sie hieß Stehlen nicht gut, doch dies war eine Notlage.

In dem Portemonnaie waren fast hundert Dollar Bargeld. Sie nahm das Geld und warf den Rest – den Ausweis, die Kreditkarten und die Fotos von Kindern – in einen großen blauen Briefkasten an der nächsten Ecke.

Schließlich nahm sie ein Taxi auf die andere Seite der Stadt, in Richtung Osten, wo sie in die Spelunke ging, deren Fenster verdunkelt waren und die nach billigem Bier roch. Sie setzte sich an die Theke und bestellte ein Erfrischungsgetränk.

Der Fernseher hing über den Zapfhähnen. Er war angeschaltet und zeigte einen Nachrichtenkanal, der über die Sportergebnisse des vorherigen Abends berichtete. Sie nippte an ihrem Getränk, beruhigte ihre Nerven und fragte sich, was sie als Nächstes täte. Sie konnte nicht zurück zum Hotel, das wäre eine dämlich Idee. Außerdem konnten sie dort nichts finden, außer Kleidung und Toilettenartikeln. Sie kannte eine Telefonnummer auswendig, doch sie wollte nicht hinaus, um ein öffentliches Telefon zu finden. Es gab immer weniger von ihnen, selbst in der Stadt. Der Geheimdienst hatte ihr Handy und sie könnten die öffentlichen Telefone überwachen.

Sie dachte darüber nach, den Barkeeper darum zu bitten, sein Telefon zu benutzen, doch ihr Kontakt war eine internationale Nummer und das hätte ungewollte Aufmerksamkeit auf sie ziehen können.

Das nächste Mal, als Karina auf den Fernseher hochblickte, hatte der Beitrag sich geändert. Ein Nachrichtensprecher, den sie nicht erkannte, sprach und auch wenn die Lautstärke zu niedrig war, um ihn zu verstehen, konnte sie ganz klar die Worte auf der unteren Bildleiste erkennen: HARRIS UND KOZLOVSKY HALTEN PRIVATES TREFFEN.

“Korva”, seufzte sie. Scheiße. Dann auf englisch: “Können Sie das bitte lauter machen?”

Der Barkeeper, ein lateinamerikanischer Mann mit einem Schnauzbart, blickte sie für einen Moment finster an, bevor er sich umdrehte, um ihr zu zeigen, wie offensichtlich er sie ignorierte.

“Zalupa” murmelte sie, ein unfreundliches Schimpfwort auf ukrainisch. Dann lehnte sie sich über die Bar, fand die Fernbedienung und stellte den Fernseher selbst lauter ein.

“…eine anonyme Quelle im Weißen Haus hat bestätigt, dass heute ein privates Treffen zwischen Präsident Harris und dem russischen Präsidenten Aleksandr Kozlovsky stattgefunden hat”, erklärte der Nachrichtensprecher. “Über Kozlovskys Besuch in den Vereinigten Staaten wurde während der letzten zwei Tage viel berichtet, doch ein Treffen hinter verschlossenen Türen in einem Konferenzsaal im Keller des Weißen Hauses bringt viele Leute dazu, sich nervös an die Ereignisse vor fast eineinhalb Jahren zu erinnern.

“Als Antwort auf die Enthüllung veröffentlichte der Pressesekretär diese Erklärung, und hier zitiere ich:,Beide Präsidenten waren unter einem wahrhaftigen Mikroskop während der letzten zwei Tage, und das lag größtenteils an den Indiskretionen ihrer Vorgänger. Präsident Harris und sein Gast wollten einfach nur eine kurze Pause vom Scheinwerferlicht. Das Treffen, von dem man spricht, dauerte weniger als zehn Minuten, und es ging darum, dass die beiden Anführer sich besser kennenlernen, ohne dabei von den Medien umringt zu sein. Ich kann jeder Person hier und an den Bildschirmen zu Hause versichern, dass es keine geheime Tagesordnung gab. Dies war einfach nur eine Unterhaltung hinter verschlossenen Türen, nichts weiter.’ Als man ihn weiter über die Einzelheiten des Treffens fragte, scherzte der Pressesekretär:,Ich bin über die Einzelheiten leider nicht informiert, doch ich glaube, in dem Treffen ging es hauptsächlich um ihre geteilte Liebe zu Scotch und Dackeln.’

“Auch wenn der wahre Grund des Treffens in Verschwiegenheit verhüllt bleibt, so haben wir durch unsere anonyme Quelle bestätigt, dass nur eine weitere Person im Raum mit den beiden Anführern anwesend war – eine Dolmetscherin. Ihre Identität wurde zwar nicht bekanntgegeben, doch wir haben bestätigt, dass es sich um eine russische Frau handelt. Jetzt will die Welt wissen: haben die beiden Präsidenten wirklich Getränke und Hunde besprochen? Oder hat diese unidentifizierte Dolmetscherin die Antwort, die viele Amerikaner —”

Der Fernseher ging plötzlich aus, der Bildschirm wurde schwarz. Karina blickte scharf hinunter, um festzustellen, dass der lateinamerikanische Barkeeper die Fernbedienung geschnappt und ihn ausgestellt hatte.

Fast wollte sie ihn schon auf gut Englisch Arschloch nennen, doch sie hielt sich zurück. Es war sinnlos, jetzt Streit zu suchen, sie sollte unerkannt bleiben. Stattdessen dachte sie über den Bericht nach. Das Weiße Haus hatte ihre Identität nicht bekannt gegeben, zumindest noch nicht. Sie wollten sie finden und sie stillstellen, bevor sie jemandem sagen könnte, was sie hörte. Was die beiden Präsidenten planten. Was Kozlovsky von dem amerikanischen Staatsoberhaupt verlangte.

Doch Karina hatte ein Ass im Ärmel – zwei sogar. Sie fuhr erneut über die Perlenohrringe. Zwei Jahre zuvor hatte sie für einen deutschen Diplomaten gedolmetscht, der ihr vorwarf, seine Worte falsch interpretiert zu haben. Das hatte sie zwar nicht, doch sie wäre fast in echte Probleme deshalb geraten. Deshalb hatte sie mit der Hilfe ihrer Schwester und deren Kontakten in FIS die Ohrringe herstellen lassen. Jeder von ihnen enthielt ein winziges unidirektionales Mikrophon, das den Sprecher auf jeder Seite von ihr aufnahm. Zusammen nahmen die beiden Ohrringe jedes Gespräch auf, das Karina dolmetschte. Das war natürlich komplett illegal, doch auch sehr nützlich. Seit sie damit begonnen hatte, die Ohrringe zu benutzen, hatte sie niemals Grund dazu gehabt, die Aufnahmen zu verwenden und sie anschließend gelöscht.

Bis jetzt. Jedes Wort, das zwischen ihr, Harris und Kozlovsky ausgetauscht wurde, war in den beiden Steckern enthalten. Das Einzige, was jetzt zählte, war es, sie in die richtigen Hände zu befördern.

Sie rutschte still vom Barhocker und schlich sich in den hinteren Teil der Kneipe, ging auf das WC zu, doch schritt dann weiter einen düsteren Gang entlang und trat durch eine Metallsicherheitstür in eine Hintergasse hinaus.

Als sie wieder auf der Straße war, sah Karina so cool und gelassen wie möglich aus, doch in ihrem Inneren war sie fürchterlich verängstigt. Es war schon schlimm genug, dass der Geheimdienst nach ihr suchte – zweifellos hatten sie auch die Polizei und vielleicht sogar das FBI eingeschaltet – doch wenn Kozlovsky es herausfände, dann würde er seine eigenen Leute schicken, um sie aufzuspüren, falls das noch nicht geschehen war.

Und schlimmer noch, jeder normale Bürger, der die Nachrichten gehört hatte, könnte sie genauer ansehen und sich wundern. Amerikaner waren wirklich nicht die aufgeschlossensten, wenn es um Ausländer ging. Zum Glück konnte sie mit einem anständigen amerikanischen Akzent sprechen. Sie hoffte, dass er passabel war. Sie hatte ihn nie zuvor in einer ernsten Situation benutzen müssen. Bisher war es ihr immer gut gelungen, vorzugeben, sie wäre Russin.

Ich brauche ein Telefon. Sie konnte kein öffentliches riskieren. Sie konnte kein Handy stehlen, denn das Opfer würde es melden und der Geheimdienst könnte leicht den Standort des Gerätes und die zuletzt gewählte Nummer herausfinden, was auch Veronika gefährdete.

Denk nach, Karina. Sie drückte ihre Sonnenbrille auf der Nase nach oben und blickte sich um – aha. Die Antwort lag genau vor ihr, einen halben Häuserblock entfernt auf der anderen Straßenseite. Sie schaute nach rechts und links und eilte auf den Handyshop zu.

Er war winzig, roch nach Desinfektionsmittel und wurde durch zu viele Lichtröhren grell beleuchtet. Der junge schwarze Mann hinter der Theke konnte nicht älter als zwanzig sein. Er tippte gelangweilt auf dem Telefon vor sich und stützte sein Kinn in seiner Hand ab. Es war sonst niemand in dem Laden.

Karina stand einen langen Moment da, bevor er sie ausdruckslos ansah.

“Ja?”

“Schaltet ihr hier Handys frei?” fragte sie.

Er schaute sie von oben bis unten an. “Dieser Service ist uns nicht erlaubt.”

Karina lächelte. “Danach frage ich ja gar nicht.” Sie hoffte, dass ihr amerikanischer Akzent sie nicht verriet. In ihren Ohren klang er rundlich, mit einem Spritzer ukrainischer Betonung. “Ich bin kein Polizist und ich habe kein Handy. Ich will eines benutzen. Ich muss einen Anruf per Wi-Fi auf einem Gerät tätigen, dass bei keinem Netzwerk angemeldet ist. Am besten durch eine Drittanwendung. Etwas, das man nicht orten kann.”

Der Junge blinzelte sie an. “Was meinen Sie mit,Sie müssen einen Anruf tätigen’?”

Sie seufzte kurz und versuchte, ihre Geduld zu behalten. “Ich weiß nicht, wie ich es noch klarer darstellen kann.” Sie lehnte sich über die Theke und flüsterte verschwörerisch, obwohl sonst niemand in dem Laden war. “Ich habe ein paar Probleme, OK? Ich brauche fünf Minuten mit einem Telefon, wie ich es gerade beschrieben habe. Ich kann bezahlen. Hilfst du mir aus oder nicht?”

Er musterte sie verdächtig. “Was für Probleme haben Sie denn? So… mit der Polizei?”

“Schlimmer”, sagte sie. “Schau mal, wenn ich dir das erklären könnte, glaubst du dann, dass ich überhaupt hier wäre?”

Der Junge nickte langsam. “OK. Ich habe, was Sie brauchen. Und Sie können es verwenden. Fünf Minuten… fünfzig Dollar.”

Karina schnaubte verächtlich. “Fünfzig Dollar für ein Gespräch von fünf Minuten?”

Der Angestellte zuckte mit den Schultern. “Sie können es ja auch woanders ausprobieren.”

“Schon gut.” Sie zog das Bündel Bargeld hervor, das sie von dem Touristen gestohlen hatte, zählte fünfzig Dollar und schob sie zu ihm herüber. “Hier. Das Telefon?”

Der Junge kramte unter der Theke und zog ein iPhone hervor. Es war ein paar Jahre alt, eine Ecke des Bildschirms war gesprungen, doch es ließ sich problemlos anschalten. “Das hier hat kein Netzwerk und es befindet sich eine chinesische Anrufanwendung drauf”, erklärte er ihr. “Es leitet den Anruf durch eine zufällig gewählte Nummer, die sich außer Betrieb befindet, um. Er schob es zu ihr hinüber. “Fünf Minuten.”

“Toll. Danke. Hast du hier ein Büro?” Sie beantwortete seine gerunzelte Stirn mit: “Das ist natürlich ein privater Anruf.”

Der Junge zögerte, doch zeigte dann mit dem Daumen über seine Schulter. “Bitteschön.”

“Danke.” Sie ging in ein winziges Büro mit holzverkleideten Wänden und einem Melamintisch als Schreibtisch, der voll von Rechnungen und anderem Papierkram war. Sie öffnete die Anrufanwendung auf dem Handy, wählte die Nummer, die sie auswendig kannte und wartete, während der Anruf umgeleitet wurde. Es dauerte mehrere Sekunden und sie dachte schon es würde nicht funktionieren, dass der Anruf nicht durchginge, doch endlich klingelte es.

Jemand nahm ab. Doch die Person sprach nicht.

“Ich bin’s”, sagte sie auf ukrainisch.

“Karina?” Die Frau am anderen Ende der Leitung klang verwirrt. “Warum rufst du diese Nummer an?”

“Ich brauche Hilfe, V.”

“Was ist denn?” drängte Veronika.

Karina wusste nicht, wo sie beginnen sollte. “Es gab da ein Treffen,” sagte sie, “zwischen Kozlovsky und Harris…”

“Ich habe die Nachrichten gesehen.” Veronika atmete ein, als sie verstand. “Du? Du warst die Dolmetscherin bei dem Treffen?”

“Ja.” Karina erzählte schnell, was geschehen war, von ihrer Zeit mit den beiden Präsidenten bis zu ihrer Flucht von dem Geheimdienstagenten. Sie versuchte, ruhig zu bleiben, als sie sagte: “Wenn die mich finden, dann bringen sie mich um, V.”

“Mein Gott”, hauchte Veronika. “Karina, du musst das jemandem sagen, den du kennst!”

“Ich sage es dir. Verstehst du nicht? Ich kann damit nicht an die Medien. Die werden es unterdrücken. Die werden es verleugnen. Du bist die Einzige, der ich mit dieser Information vertrauen kann. Ich muss dir die Ohrringe bringen.”

“Du hast sie?” fragte Veronika. “Du hast das Treffen aufgenommen?”

“Ja. Jedes Wort.”

Ihre Schwester dachte einen langen Augenblick nach. “FIS hat eine Verbindung in Richmond. Kannst du da hinkommen?”

Veronika, Karinas zwei Jahr ältere Schwester, war eine Top Agentin des Auswärtigen Geheimdienstes FIS, die ukrainische Version der CIA. Es war Karina kein Geheimnis, das FIS mehrere Schläfer in den Vereinigten Staaten hatte. Der Gedanke, von ihnen beschützt zu werden, war anziehend, doch sie wusste, dass sie das nicht riskieren konnte.

“Nein”, sagte sie schließlich, “die erwarten, dass ich flüchte. Ich bin mir sicher, dass sie die Flughäfen und Highways gründlich überwachen.”

“Dann sage ich ihm, dass er zu dir soll —”

“Du verstehst nicht Veronika. Wenn die mich finden, töten sie mich. Und jeden, der bei mir ist. Dafür will ich nicht verantwortlich sein.” Ihre Stimme blieb ihr in der Kehle stecken. Als sie da in dem dunklen Büro eines zwielichtigen Handyshops stand, holten sie die Ereignisse der letzten paar Stunden schließlich ein. Doch sie konnte sich nicht von ihren Gefühlen überrumpeln lassen. “Ich habe Angst, V. Ich brauche Hilfe. Ich brauche einen Ausweg.”

“Ich lasse es nicht zu, dass dir etwas geschieht”, versprach ihre Schwester. “Ich habe eine Idee. Ich lasse unseren Kontakt einen anonymen Hinweis an die DC Metro geben, dass das Gespräch aufgenommen wurde —”

“Was? Bist du verrückt?” schnappte Karina.

“Und ich lasse es ihn auch an die Medien weitergeben.”

“Verdammt, V. Jetzt bist du völlig ausgerastet!”

“Nein. Hör mir zu, Karina. Wenn die glauben, dass du eine Aufnahme hast, dann kannst du sie zum Verhandeln verwenden. Ohne sie bist du so gut wie tot. Auf diese Weise wollen sie dich lebendig. Und wenn der Tipp aus Richmond kommt, dann glauben sie, dass du aus der Stadt geflüchtet bist. In der Zwischenzeit arbeite ich an einem Ausweg und bringe dich da raus.”

“Das ist zu heikel, um jemanden von dir zu schicken, der mich abholt”, sagte Karina. “Ich will nicht, dass jemand wegen mir kompromittiert oder getötet wird.”

“Aber du kannst das nicht alleine schaffen, sestra.” Veronika war einen Moment lang still, bevor sie hinzufügte, “Ich glaube, ich weiß, wer helfen kann.”

“FIS?” fragte Karina.

“Nein. Ein Amerikaner.”

“Veronika —”

“Ein ehemaliger CIA Agent.”

Das war es. Ihre Schwester war tatsächlich von Sinnen und Karina ließ es sie wissen.

“Vertraust du mir?” fragte Veronika.

“Vor einer Minute hätte ich noch ja gesagt…”

“Vertrau mir jetzt, Karina. Und vertraue diesem Mann. Ich sage dir, wo du hin musst und wann du da sein musst.”

Karina seufzte. Welche Wahl hatte sie schon? V. hatte recht. Sie konnte nicht alleine dem Geheimdienst, den Russen und jedem anderen, den sie hinter ihr herschickten, aus dem Weg gehen. Sie brauchte Hilfe. Und sie vertraute ihrer Schwester, auch wenn dieser Plan ihr aberwitzig vorkam.

“OK. Wie erkenne ich diesen Mann?”

“Wenn der immer noch gut ist, dann erkennst du ihn nicht, “ erwiderte Veronika, “aber er wird dich erkennen.”




Kapitel fünf


Sara inspizierte sich im Badezimmerspiegel, während sie ihren Zopf zurechtzog. Sie hasste ihr Haar. Es war zu lang, sie hatte es seit Monaten nicht mehr schneiden lassen. Die Spitzen waren gespalten. Etwa sechs Wochen zuvor hatte sie es Camilla mit einer Tönung aus der Drogerie rot färben lassen. Auch wenn es ihr damals gefiel, so sah man jetzt ihre hellblonden Wurzeln, die sich an den ersten Zentimetern zeigten. Das sah einfach nicht gut aus.

Sie hasste das dunkelblaue Poloshirt, das sie zur Arbeit tragen musste. Es war ihre eine Nummer zu groß und auf der linken Brust stand “Swift Thrift”. Die Buchstaben waren ausgeblichen, die Ecken vom vielen Waschen zerfranst.

Sie hasste ihre Arbeit beim Secondhandladen, wo es ständig nach Mottenkugeln und abgestandenem Schweiß roch und sie vorgeben musste, nett zu unhöflichen Kunden zu sein. Sie hasste es, dass sie als Sechzehnjährige ohne High School Abschluss nicht mehr als neun Dollar die Stunde verdienen konnte.

Doch sie hatte eine Entscheidung getroffen. Sie war fast unabhängig.

Die Badezimmertür ging plötzlich auf, wurde von der anderen Seite aufgestoßen. Tommy hielt inne, als er sie vor dem Spiegel stehen sah.

“Was zum Teufel, Tommy!” rief Sara. “Ich bin hier drin!”

“Warum hast du die Tür nicht abgeschlossen?” erwiderte er.

“Sie war doch zu, oder nicht?”

“Beeil dich! Ich muss pinkeln!”

“Raus jetzt!” Sie drückte die Tür zu und ließ den älteren Jungen hinter ihr fluchen. Das Leben in einer Wohngemeinschaft war alles andere als glamourös, doch sie hatte sich in dem letzten Jahr, seit sie hier wohnte, daran gewöhnt. Oder war es schon länger? Dreizehn Monate oder so, berechnete sie.

Sie legte etwas Wimperntusche auf und inspizierte sich erneut. Das reicht, dachte sie. Trotz Camillas Bemühungen trug sie nicht gerne viel Makeup. Und außerdem wuchs sie immer noch.

Sie ging gerade rechtzeitig aus dem Bad, das zur Küche hinaus öffnete, um zu sehen, wie Tommy sich von der Spüle abwandte und seinen Hosenstall zumachte.

“Oh Gott”, zuckte sie zusammen, “bitte sag mir, dass du nicht gerade in die Spüle gepinkelt hast.”

“Du hast zu lange gebraucht.”

“Gott, du bist widerlich.” Sie ging auf den alten beigen Kühlschrank zu und nahm eine Flasche Wasser heraus – ganz sicher tränke sie jetzt kein Leitungswasser, so viel stand fest – und als sie ihn wieder schloss, bemerkte sie die Tafel.

Sie zuckte erneut zusammen.

An der Kühlschranktür hing eine magnetische Tafel mit sechs Namen in schwarzer Schrift, alle Mitbewohner. Unter jedem Namen stand eine Nummer. Alle sechs waren für einen Teil der Miete verantwortlich und teilten sich auch die Rechnungen monatlich. Konnten sie ihren Teil nicht zahlen, dann hatten sie drei Monate Zeit, um ihre Schulden zu tilgen, sonst mussten sie ausziehen. Die Nummer unter Saras Namen war die größte.

Die Wohngemeinschaft war wirklich nicht der schlimmste Ort in Jacksonville. Das alte Haus brauchte ein paar Reparaturen, doch es war kein Desaster. Es gab vier Schlafzimmer, drei von ihnen waren von jeweils zwei Personen bewohnt und das vierte wurde als Aufbewahrungs- und Arbeitszimmer benutzt.

Ihr Vermieter, Mr. Nedelmeyer, war ein deutscher Typ, Anfang vierzig, der mehrere Immobilien wie diese in der Jacksonville Innenstadt besaß. Er war ziemlich entspannt, wenn man es sich genau überlegte. Er bestand sogar darauf, dass sie ihn einfach,Nadel’ nannten, was in Saras Ohren wie ein Name für einen Drogenhändler klang. Doch mit Nadel konnte man einfach umgehen. Es war ihm egal, ob Freunde über Nacht blieben oder ob sie hin und wieder eine Party veranstalteten. Drogen waren ihm egal. Er hatte nur drei Hauptregeln: wirst du verhaftet, dann fliegst du raus. Kannst du nach drei Monaten nicht bezahlen, dann fliegst du raus. Greifst du einen Mitbewohner an, dann bist du draußen.

Während sie da auf die Tafel am Kühlschrank starrte, machte Sara sich um die zweite Regel Sorgen. Doch dann hörte sie eine Stimme in ihrem Ohr, die sie über Regel drei beunruhigte.

“Was ist denn los kleines Mädchen? Hast du Angst wegen der großen Nummer da unter deinem Namen?” Tommy lachte, als ob er einen tollen Witz erzählt hätte. Er war neunzehn, schlaksig und knöchern und hatte auf beiden Armen Tätowierungen. Er und seine Freundin Jo teilten sich eines der Schlafzimmer. Keiner von ihnen arbeitete. Tommys Eltern schickten ihm jeden Monat Geld, mehr als genug, um ihre Ausgaben in der Wohngemeinschaft zu decken. Den Rest gaben sie für Kokain aus.

Tommy hielt sich für einen knallharten Typen. Doch er war nur ein Vorstadtkind in den Ferien.

Sara drehte sich langsam um. Der ältere Junge war fast dreißig Zentimeter größer als sie und stand nur ein paar Zentimeter von ihr entfernt. “Ich glaube”, sagte sie langsam, “du solltest ein paar Zentimeter zurücktreten.”

“Ansonsten?” grinste er bösartig. “Willst du mich schlagen?”

“Natürlich nicht. Das wäre gegen die Regeln.” Sie lächelte unschuldig. “Aber weißt du, kürzlich nahm ich ein kleines Video auf. Du und Jo, wie ihr Kokain vom Kaffeetisch geschnupft habt.”

Ein verängstigter Blick huschte über Tommys Gesicht, doch er blieb hart. “Na und? Nadel ist das egal.”

“Das hast du recht, ihm ist das egal.” Sara flüsterte weiter. “Aber Thomas Howell, der bei Binder & Associates arbeitet? Dem ist das vielleicht nicht egal.” Sie lehnte ihren Kopf zur Seite. “Das ist dein Papa, stimmt’s?”

“Woher…?” Tommy schüttelte seinen Kopf. “Das würdest du nicht wagen.”

“Vielleicht nicht. Liegt ganz an dir.” Sie ging an ihm vorbei, rempelte ihn rau mit ihrer Schulter dabei an. “Hör auf, in die Spüle zu pinkeln. Das ist widerlich.” Dann ging sie nach oben.

Sara hatte Virginia mehr als ein Jahr zuvor als eine verängstigte, naive Fünfzehnjährige verlassen. Nur wenig mehr als ein Jahr war vergangen, doch sie hatte sich verändert. Im Bus von Alexandria nach Jacksonville hatte sie sich zwei Regeln auferlegt. Die erste Regel besagte, dass sie niemanden um nichts bitten würde, am wenigsten ihren Vater. Und sie hielt sich daran. Maya half ihr hin und wieder ein wenig aus und Sara war dankbar – doch sie bat nie darum.

Die zweite Regel bestand darin, dass sie sich von niemandem etwas sagen ließe. Sie hatte schon zu viel mitgemacht. Sie hatte Dinge gesehen, über die sie niemals sprechen könnte. Dinge, die sie Nachts immer noch nicht schlafen ließen. Dinge, die sich ein Typ wie Tommy niemals vorstellen könnte. Sie war nicht wie andere Teenager, voller Angst. Sie hatte ihre eigene Vergangenheit überwunden.

Oben angelangt öffnete sie die Tür zum Schlafzimmer, das sie und Camilla teilten. Es war wie ein Zimmer im Studentenwohnheim eingerichtet: zwei Doppelbetten, die an entgegengesetzten Wänden standen, mit einem Gang und einem geteilten Nachttisch dazwischen. Sie hatten eine kleine Kommode und einen Schrank, den sie ebenfalls teilten. Ihre Mitbewohnerin lag noch im Bett. Sie lag wach auf dem Rücken und scrollte durch die sozialen Netzwerke auf ihrem Handy.

“Hey”, gähnte sie, als Sara eintrat. Camilla war achtzehn und zum Glück sehr angenehm. Sie war die erste Freundin, die Sara in Florida gewann. Es war ihre Internetanzeige für eine Mitbewohnerin, die Sara überhaupt hierher gebracht hatte. Sie verstanden sich gut. Camilla brachte ihr sogar bei, zu fahren. Sie brachte ihr bei, wie man Wimperntusche auflegte und welche Kleidung ihrem schmalen Körper gut stand. Sara hatte eine Menge neues Vokabular und Angewohnheiten von ihr gelernt. Fast wie eine große Schwester.

Fast wie eine große Schwester, die dich nicht mit einem Mann alleine lässt, den du nicht aushältst.

“Hey du. Steh auf, es ist schon fast zehn.” Sara nahm ihre Handtasche vom Nachttisch und schaute nach, ob sie alles hatte, was sie brauchte.

“Es wurde gestern Nacht bei mir spät.” Camilla arbeitete als Bedienung und Barkeeper bei einem Fischrestaurant. “Aber schau mal, ich hab das Bündel hier bekommen.” Sie zeigte ihr ein dickes Bündel Bargeld, das Trinkgeld der letzten Nacht.

“Toll”, murmelte Sarah, “ich muss zur Arbeit.”

“Cool. Ich habe heute Abend frei. Soll ich dir wieder das Haar machen? Sieht ein bisschen zerzaust aus.”

“Ja, ich weiß, sieht Scheiße aus”, erwiderte Sara verärgert.

“Aua, feindlich.” Camilla zog die Stirn in Falten. “Wer hat dir denn die Laune versauert?”

“Tut mir leid. War nur Tommy, der sich wie ein Esel benimmt.”

“Vergiss den Typen. Das ist doch ein Angeber.”

“Ich weiß”, seufzte Sara und rieb sich über ihr Gesicht. “OK. Ich gehe zur Maloche.”

“Wart mal. Du bist ganz schön nervös. Willst du ein Pillchen?”

Sara schüttelte ihren Kopf. “Nein, ist schon in Ordnung.” Sie ging zwei Schritte auf die Tür zu. “Scheiß drauf, her damit.”

Camilla grinste und setzte sich im Bett auf. Sie griff nach ihrer eigenen Tasche und zog zwei Dinge heraus – eine orangefarbene Rezeptflasche ohne Etikette und einen kleinen Plastikzylinder mit einer roten Kappe. Sie schüttelte eine längliche, blaue Xanax aus der Flasche, ließ sie in die Tablettenmühle fallen, drehte die rote Kappe fest zu und zerdrückte dabei die Tablette zu Pulver. “Hand her.”

Sara streckte ihre rechte Hand aus, mit der Innenfläche nach unten, und Camilla schüttelte das Puder auf die fleischige Brücke zwischen ihrem Daumen und Zeigefinger. Sara hielt ihre Hand an ihr Gesicht, verschloss ein Nasenloch und schniefte.

“Gutes Mädchen.” Camilla schlug ihr sanft auf den Hintern. “Jetzt aber raus hier, bevor du noch zu spät kommst. Bis heute Abend.”

Sara machte das Friedenszeichen, als sie die Tür hinter sich schloss. Sie konnte das bittere Puder in ihrer Kehle schmecken. Es dauerte nicht lang, bis es wirkte, doch sie wusste, dass eine Tablette sie kaum durch den halben Tag brächte.

Draußen war es selbst für Oktober noch sehr heiß, so wie die Spätsommer, die sie manchmal in Virginia hatten. Doch sie gewöhnte sich an das Wetter. Sie mochte den Sonnenschein, der fast das ganze Jahr währte, es gefiel ihr, so nah am Strand zu sein. Das Leben war nicht immer toll, doch es war viel besser, als es vor zwei Sommern war.

Sara war kaum aus der Tür, als ihr Handy in ihrer Tasche klingelte. Sie wusste schon, wer es war, eine der wenigen Personen, die sie überhaupt anrief.

“Hi!” antwortete sie, während sie lief.

“Hallo.” Mayas Stimme klang leise, angestrengt. Sara bemerkte gleich, dass es ihr wegen irgendetwas nicht gut ging. “Hast du eine Minute Zeit?”

“Äh, ein paar. Ich bin auf dem Weg zur Arbeit.” Sara blickte um sich. Sie lebte in keinem schlechten Viertel, doch es wurde ein wenig rauer, als sie sich dem Secondhandladen annäherte. Sie hatte niemals selbst ein Problem gehabt, doch sie achtete immer aufmerksam auf ihr Umfeld und hielt den Kopf beim Gehen erhoben. Ein Mädchen, das durch ihr Telefon abgelenkt war, konnte ein mögliches Ziel sein. “Was gibt’s?”

“Ich, äh…” Maya zögerte. Es war sehr ungewöhnlich, dass sie verdrossen war und sich zögerlich verhielt. “Ich habe gestern Abend Papa gesehen.”

Sara hielt an, aber sagte nichts. Ihr Magen zog sich instinktiv zusammen, als ob sie sich auf einen Schlag vorbereitete.

“Es… lief nicht gut.” Maya seufzte. “Ich habe ihn zum Schluss angeschrien und bin rausgerannt —”

“Warum erzählst du mir das?” wollte Sara wissen.

“Was?”

“Du weißt, dass ich ihn nicht sehen will. Dass ich nichts von ihm hören will. Ich will nicht mal an ihn denken. Also warum erzählst du mir das?”

“Ich dachte, du wolltest es vielleicht wissen.”

“Nein”, sagte Sara nachdrücklich. “Du hattest eine schlechte Erfahrung und du willst mit jemandem darüber sprechen, von dem du annimmst, dass er dich versteht. Es interessiert mich nicht. Ich bin mit dem durch. OK?”

“Ja”, seufzte Maya. “Ich glaube, ich auch.”

Sara zögerte einen Moment. Sie hatte ihre Schwester nie so geschlagen gehört. Doch sie beharrte auf ihrer Position. “Gut. Mach mit deinem Leben weiter. Wie läuft es in der Akademie?”

“Da läuft’s super”, antwortete Maya, “ich bin die Klassenbeste.”

“Natürlich bist du das. Du bist brillant.” Sara lächelte, als sie weiterging. Doch gleichzeitig bemerkte sie Bewegung auf dem Bürgersteig in der Nähe ihrer Füße. Ein Schatten, der sich lang in der Morgensonne hinzog, hielt mit ihr Schritt. Jemand lief nicht weit hinter ihr.

Du bist paranoid. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie einen Fußgänger für einen Verfolger hielt. Es war eine bedauerliche Nachfolge ihrer Erlebnisse. Trotzdem ging sie langsamer, als sie sich der nächsten Kreuzung annäherte, um die Straße zu überqueren.

“Aber ernsthaft”, sagte Maya durch das Telefon. “Geht es dir gut?”

“Oh, ja.” Sara hielt inne und wartete auf die Ampel. Der Schatten tat das gleiche. “Mir geht’s gut.” Sie hätte sich umdrehen können, um ihn anzusehen, ihn wissen lassen, dass sie es bemerkt hatte, doch sie hielt ihre Augen nach vorn gerichtet und wartete, bis die Ampel auf grün schaltete, um herauszufinden, ob er folgen würde.

“Gut. Das freut mich. Ich versuche, dir in den nächsten Wochen was zu schicken.”

“Das musst du nicht tun”, sagte ihr Sara. Dann schaltete die Ampel um. Sie ging schnell über die Straße.

“Ich weiß, dass ich das nicht muss. Ich will es. Also, ich lasse dich jetzt zur Arbeit gehen.”

Ich habe morgen frei.” Sara erreichte die andere Straßenseite und ging weiter. Der Schatten hielt mit ihr mit. “Sprechen wir dann?”

“Unbedingt. Hab dich lieb.”

“Ich dich auch.” Sara legte auf und steckte das Handy wieder in ihre Tasche. Dann bog sie ohne Vorwarnung abrupt nach links ab und joggte ein paar Schritte, nur um aus seinem Blickfeld zu gelangen. Sie drehte sich um, verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust und legte einen ernsthaften Gesichtsausdruck auf, als ihr Verfolger hinter ihr um die Ecke kam.

Er rutschte fast zum Halt, als er sah, wie sie da stand und auf ihn wartete.

“Für einen angeblichen Geheimagenten machst du das wirklich beschissen”, sagte sie ihm. “Ich rieche dein Aftershave.”

Agent Todd Strickland grinste. “Schön dich zu sehen, Sara.”

Sie erwiderte nicht sein Lächeln. “Kontrollierst mich immer noch, wie ich bemerke.”

“Was? Nein. Ich war nur in der Gegend, auf einem Einsatz.” Er zuckte mit den Schultern. “Ich sah dich auf der Straße, da wollte ich Hallo sagen.”

“Aha”, entgegnete sie ausdruckslos. “Wenn das so ist, dann Hallo. Jetzt muss ich zur Arbeit. Tschüss.” Sie wandte sich um und ging hastig weiter.

“Ich laufe mit dir.” Er joggte, um mit ihr Schritt zu halten.

Sie schnaubte verächtlich. Strickland war für einen CIA Agenten jung, noch nicht einmal dreißig – doch er erinnerte sie auch zu sehr an ihren Vater. Die beiden waren Freunde, schon seit fast zwei Jahren, als Sara und ihre Schwester von den slowakischen Menschenhändlern entführt worden waren. Strickland hatte geholfen, sie zu retten und seitdem hatte er versprochen, dass, egal was geschah, er alles täte, damit die beiden Mädchen in Sicherheit wären.

Anscheinend bedeutete das, CIA Taktiken anzuwenden, um sich über Saras Aufenthaltsort zu informieren.

“Dir geht’s also gut?” fragte er sie.

“Ja. Super. Jetzt geh weg.”

Doch er ging weiter neben ihr her. “Nervt der Typ in deinem Haus dich weiter?”

“Oh Gott”, stöhnte sie. “Was, hast du das Haus verwanzt?”

“Ich will doch nur sicherstellen, dass es dir gut geht —”

Sie wandte sich zu ihm um. “Du bist nicht mein Vater. Wir sind nicht mal befreundet. Vor langer Zeit, da warst du vielleicht ein… ich weiß nicht. Ein glorifizierter Babysitter. Aber jetzt erscheinst du mehr wie ein verdammter Stalker.” Sie hatte gewusst, dass er sie schon seit einiger Zeit verfolgte. Dies war nicht das erste Mal, dass er plötzlich in Florida auftauchte. “Ich will dich nicht hier. Ich will nicht an dieses Leben erinnert werden. Wie wär’s, wenn du mir einfach sagst, was du von mir willst, und dann können wir wieder getrennte Wege gehen?”

Strickland reagierte kaum auf den Ausbruch. “Ich will, dass du in Sicherheit bist”, sagte er ruhig. “Und wenn ich ehrlich bin, dann will ich, dass du mit den Drogen aufhörst.”

Saras Augen verengten sich und ihr Mund fiel ihr ein wenig auf. “Was glaubst du eigentlich, wer du bist?”

“Jemand, der sich kümmert. Wenn dein Vater das wüsste, bräche es ihm das Herz.”

Wenn er es wüsste? “Oh, du meinst, du überbringst ihm keine wöchentlichen Berichte?”

Strickland schüttelte seinen Kopf. “Habe ihn seit Monaten nicht mehr gesehen.”

“Du verfolgst mich also nur aus einem unangebrachten Pflichtgefühl?”

Der junge Agent lächelte traurig und schüttelte seinen Kopf. “Ob es dir gefällt oder nicht, es gibt immer noch eine Menge Leute, die sich an Agent Null erinnern. Ich hoffe, dass es niemals dazu kommt, dass du mir dankst, dass ich auf dich aufpasse. Doch bis dahin werde ich es weiter tun.”

“Ja, das kann ich mir vorstellen.” Sie blickte direkt nach oben, blinzelte in den hellen Himmel. “Was ist es, ein Satellit? Überwachst du mich so?” Sara streckte eine Hand über ihren Kopf und zeigte den Wolken ihren Mittelfinger. “Hier ist ein Foto für dich. Schick es meinem Vater als Weihnachtskarte.” Dann drehte sie sich um und begann, zu gehen.

“Sara”, rief er hinter ihr her. “Die Drogen?”

Verdammt, warum haut der nicht ab? Sie wandte sich an. “Ich hab ein bisschen Gras geraucht. Was macht das schon? Ist praktisch legal hier.”

“Aha. Und das Xanax?”

Das Xanax. Ihre erste Frage war, wie wusste er darüber Bescheid? Die zweite, die ihr durch den Kopf ging, warum funktionierte es noch nicht? Doch sie kannte die Antwort auf die Letztere schon. Ihr Körper hatte sich zu sehr an eine Tablette gewöhnt. Sie reichte nicht mehr aus.

“Und das Kokain?”

Dann lachte sie ihn aus, ein bitteres, beißendes Lachen. “Hör auf damit. Versuche nicht, mich dazu zu bringen, mich wie eine kriminelle Gestörte zu fühlen, nur weil ich etwas ein oder zwei Mal auf einer Party ausprobiert habe.”

“Ein oder zwei Mal, was? Habt ihr diese Partys jede Nacht?”

Sara spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde. Nicht nur, weil er sie beleidigt hatte, sondern weil er recht hatte. Es hatte mit ein oder zwei Mal auf einer Party angefangen doch wurde schnell zu einer Angewohnheit nach der Arbeit. Etwas Kleines, um die Nerven zu beruhigen. Aber das würde sie jetzt nicht zugeben.

“Für dich muss es so einfach sein”, sagte sie. “Du stehst da, ein sauberer Pfadfinder, Army Ranger. CIA Agent. Es muss dir so leicht fallen, über jemanden wie mich zu urteilen. Du sagst, dass du weißt, was ich durchgemacht habe. Doch du verstehst es nicht. Du kannst es nicht.”

Strickland nickte langsam. Er starrte sie direkt mit diesen Augen an, die sie vielleicht charmant gefunden hätte, wenn es jemand anderes als er gewesen wäre. “Ja, ich schätze, du hast recht. Ich habe keine Ahnung, wie es sich anfühlt, mit siebzehn emanzipiert zu sein —”

“Ich war fünfzehn”, berichtigte ihn Sara.

“Und ich war siebzehn. Aber das wusstest du nicht von mir, oder?”

Sie wusste es nicht. Doch sie gab ihm nicht die Gunst einer Reaktion.

“Ich bin direkt zur Army gegangen. Viele Staaten erlauben das. Zwei Tage vor meinem achtzehnten Geburtstag tötete ich zum ersten Mal jemanden. Das ist das Komische am Militär. Die nennen es nicht,Mord’, wenn du jemanden umbringst.”

Sara biss sich auf die Lippe. Sie wusste, wie es war, jemanden zu töten. Es war ein Söldner mit dem geheimen Einsatzteam, das sich die Division nannte. Er hätte sie getötet, sie und ihre Schwester, also schoss Sara ihn in den Hals. Und obwohl die Alpträume sie immer noch plagten, hatte sie es niemals als einen Mord bezeichnet.

“Es gab eine Zeit, während der ich vier verschiedene Medikamente einnahm”, erzählte Strickland ihr. “Für PTBS. Angstzustände. Depressionen. Ich habe alle überdosiert. Es war so viel einfacher, taub zu sein, vorzugeben, dass alles was ich tat, jemand anderem geschah.”

Er lächelte traurig. “Und verdammt, ich war ein guter Abhängiger. Niemand wusste davon. Oder vielleicht war es auch allen egal, solange ich ein guter Soldat war. Schließlich fand einer meiner Rangers Freunde es heraus. Er begann, mich zu verfolgen, mich richtiggehend zu überwachen. Es ging mir so verdammt auf die Nerven. Der hat mich sogar zu einem Therapeuten geschleppt. Es war wirklich hart. Es ist so viel schwieriger, aufzuhören und dich um deine Scheiße zu kümmern, anstatt einfach nur etwas zu Schlucken. Ich gehe immer noch zu einem Therapeuten, zwei Mal pro Woche, wenn ich Zeit habe.”

Sara starrte auf einen kleinen Stein auf dem Gehweg und vermied Augenkontakt. Nach allem, was sie wegen ihres Vaters erlitten hatte, könnte auch Strickland lügen. Das könnte einfach nur eine Geschichte sein. Doch er hatte sie mit viel Überzeugung erzählt. Darauf war er ja auch trainiert.

“Ich weiß, dass du fürchterliche Dinge erlebt hast”, fuhr er fort. “Ich weiß wie schwer es ist, mit normalen Leuten Mitleid zu haben, wenn die sich über Geld oder Jobs oder Beziehungen beschweren, wenn du grausame, echte Horrorgeschichten erlebt hast. Aber stehe nicht da rum und lehne dich auf deine Stütze und erzähle mir, dass ich das nicht verstehe. Denn du lügst dich gerade selbst an. Du bist auf dem besten Weg zur Abhängigkeit. Obdachlosigkeit. Tod. Willst du das?”

“Was ich will…” Ihre Stimme zerbrach.

Du wirst nicht heulen. Das kannst du nicht mehr tun.

Sie räusperte sich und sagte so klar, wie sie konnte: “Ich will, dass du mich in Ruhe lässt. Ich will meine eigenen Entscheidungen treffen und mit den Konsequenzen leben. Ich will von Allem befreit werden, das mich daran erinnert, dass diese Dinge jemals geschahen. Und dazu gehörst du.”

Er nickte mit einem weit entfernten Blick in seinen Augen, die auf eine Niederlage hinwiesen. “OK Sara. Wenn du das willst, dann lasse ich dich in Ruhe. Alles Gute.” Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging denselben Weg zurück, den er gekommen war.

Sie stand für einen langen Augenblick da. Sie käme sowieso schon zur spät zur Arbeit, eine weitere Minute machte da auch nicht mehr viel aus. Sie wünschte, sie hätte Camilla um eine zweite Tablette gebeten. Es war noch Morgen und dieser Tag war jetzt schon furchtbar.

Was könnte sonst noch schieflaufen?




Kapitel sechs


Null lag auf dem Sofa auf dem Rücken, ein Bein hochgezogen, das andere auf dem Boden. Er hatte keine Ahnung, wie viel Uhr es war oder wie lange er da schon benommen gelegen hatte und sich die Szene der vorherigen Nacht immer wieder durch den Kopf gehen ließ, wie ein wiederkehrender Alptraum.

Er wusste, dass Sara nichts mit ihm zu tun haben wollte – sie hatte es ihm direkt gesagt – doch er dachte, dass er immer noch eine Chance mit Maya hätte, die Dinge in Ordnung zu bringen. Bis letzte Nacht.

Ich will dich nie wieder sehen.

Er hörte nicht einmal, wie die Tür sich öffnete. Doch dann stand sie da, über ihm, und blickte mitleidig zu ihm herunter.

“Hey”, sagte Maria sanft. “Alles in Ordnung?”

Er legte die Stirn in tiefe Falten. Es konnte unmöglich spät genug für ihren Feierabend sein. “Wie viel Uhr ist es?”

“Ungefähr eins. Ich habe mir den Nachmittag freigenommen. Habe ein paar Mal versucht, dich anzurufen.”

“Das Telefon ist auf stumm geschaltet. Entschuldigung.” Er setzte sich auf. Maria setzte sich neben ihn und nahm seine Hand in die ihren.

“Es tut mir leid, dass das passiert ist. Das wollte doch keiner von uns.”

Er schüttelte seinen Kopf. “Weißt du, ich spiele es immer wieder in meinem Kopf ab, als ob ich etwas daran ändern könnte, wenn ich nur genug darüber nachdächte.”

“Mach das nicht. Du quälst dich nur selbst —”





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“Sie werden nicht schlafen, bis Sie AGENT NULL zu Ende gelesen haben. Ein erstklassiges Werk, mit einer Reihe von gut entwickelten, sehr genießenswerten Figuren. Die Beschreibung der Action-Szenen befördert uns direkt in eine Realität, in der man meinen könnte, man säße im Kino mit Surroundsound und 3D (es würde wirklich einen tollen Hollywood Film abgeben). Ich kann die Fortsetzung kaum abwarten.” – Roberto Mattos, Books and Movie Reviews

In RÜCKRUF NULL (Buch #6) ist die Übersetzerin des Präsidenten die einzige Eingeweihte einer geheimen Unterhaltung, die unsere Welt ändern könnte. Dadurch wird sie zum Ziel eines Mordanschlags, bei dem man sie zur Strecke bringen will. Agent Null, den wieder die Pflicht ruft, ist möglicherweise der Einzige, der sie noch retten könnte. Agent Null, der versucht, sein Leben wieder auf die Reihe zu bringen und das Vertrauen seiner Töchter zurückzugewinnen, schwört, dass er nie wieder in den Dienst tritt. Doch als man ihn ruft, um das Leben dieser wehrlosen Übersetzerin zu retten, kann er nicht ablehnen. Die Übersetzerin ist allerdings genauso faszinierend wie die Geheimnisse, die sie hütet. Null, der sich mit ihr gemeinsam auf der Flucht befindet, könnte ihr fast verfallen.

Welches Geheimnis verbirgt sie? Warum versuchen die mächtigsten Organisationen der Welt, sie deshalb zu töten? Wird es Null gelingen, sie rechtzeitig zu retten?

RÜCKRUF NULL (BUCH #6) ist ein Spionage-Thriller, den man einfach nicht aus der Hand legen kann. Sie werden bis spät nachts weiterlesen. Buch #7 der AGENT NULL Serie ist bald verfügbar.

“Thriller-Schriftstellerei vom besten.” – Midwest Book Review (in Bezug auf Koste es was es wolle)

“Einer der besten Thriller, die ich dieses Jahr gelesen habe.” – Books and Movie Reviews (in Bezug auf Koste es was es wolle)

Jack Mars’ #1 Bestseller LUKE STONE THRILLER Serie (7 Bücher) ist ebenfalls erhältlich. Sie beginnt mit Koste es was es wolle (Buch #1), das gratis heruntergeladen werden kann und über 800 fünf-Sterne-Rezensionen erhielt!

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