Книга - Synnöve Solbakken: Erzählung

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Synnöve Solbakken: Erzählung
Bjørnstjerne Bjørnson






Synnöve Solbakken: Erzählung





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In einem weiten Tal findet man zuweilen eine nach allen Seiten hin freiliegende Erhöhung, auf die die Sonne ihre Strahlen vom Aufgang bis zum Untergang hinabsendet. Und die, die hart am Fuße der Berge wohnen und weniger Sonne haben, nennen eine solche Stelle einen Sonnenhügel. Die, von der hier erzählt werden soll, wohnte auf einem solchen, von dem auch der Hof seinen Namen erhalten hatte. Dort blieb der Schnee zuletzt liegen im Herbst, dort schmolz er auch im Frühling zuerst wieder.

Die Besitzer des Hofes waren Haugianer und wurden Leser genannt, weil sie eifriger in der Bibel lasen als alle andern Leute. Der Mann hieß Guttorm und die Frau Karen; sie bekamen einen Knaben, der wieder starb, und drei Jahre lang kamen sie nicht an die Ostseite der Kirche. Nach dieser Zeit bekamen sie ein Mädchen, das sie nach dem Knaben nannten; er hatte Syvert geheißen, und sie wurde Synnöv getauft, da sie nichts Näherliegendes fanden. Die Mutter aber nannte sie Synnöve, weil sie, solange das Kind klein war, die Gewohnheit hatte, »mein« hinten an den Namen anzuhängen, und meinte, daß es so leichter auszusprechen sei. Wie es nun auch sein mochte: als das Mädchen größer wurde, nannten sie alle Synnöve wie die Mutter, und die meisten sagten, seit Menschengedenken sei im ganzen Kirchspiel kein so schönes Mädchen herangewachsen wie Synnöve Solbakken[1 - Solbakken = Sonnenhügel.]. Sie war noch ganz klein, als die Eltern sie an jedem Sonntag, wo gepredigt wurde, mit in die Kirche nahmen, obwohl Synnöve anfangs nichts weiter begriff, als daß der Pfarrer dastand und den Zuchthaus-Bert ausschalt, den sie gerade unter der Kanzel sitzen sah. Der Vater aber wollte, daß sie mitgehn sollte, »um sich zu gewöhnen«, wie er sagte; und die Mutter wollte es auch, »da man ja nicht wissen konnte, ob daheim jemand acht auf sie gebe«. War auf dem Hofe ein Lamm, ein Zicklein oder ein kleines Ferkel, das nicht gedeihen wollte, oder eine Kuh, der etwas fehlte, so ward das betreffende Tier immer Synnöve zu eigen gegeben, und die Mutter wollte wissen, daß es sich von der Stunde an erhole; der Vater glaubte nicht so recht, daß es daher käme, aber »es war ja einerlei, wem von ihnen das Vieh gehörte, wenn es nur gedieh«.

Jenseits des Tals und hart am Fuße des hohen Berges lag ein Hof, der Granliden hieß, weil er mitten in einem großen Tannenwalde lag, dem einzigen in weitem Umkreise. Der Urgroßvater des Besitzers war mit unter denen gewesen, die in Holstein gelegen und auf die Russen gewartet hatten, und von diesem Zuge hatte er viele fremde und merkwürdige Sämereien in seinem Tornister mit heimgebracht. Die hatte er rings um seine Hofgebäude gepflanzt; im Laufe der Zeiten war aber eine Pflanze nach der andern ausgegangen, nur einige Tannenzapfen, die merkwürdigerweise dazwischengekommen waren, waren zu einem dichten Walde herangewachsen und beschatteten nun die Gebäude von allen Seiten. Der Holsteinfahrer hatte nach seinem Großvater Thorbjörn geheißen, sein ältester Sohn nach seinem Vater Sämund, und so hatten auf diesem Hofe die Besitzer abwechselnd Thorbjörn und Sämund geheißen – seit unvordenklichen Zeiten. Aber die Sage ging, daß in Granliden nur jeder zweite Mann Glück habe, und das war nicht der, der Thorbjörn hieß. Als der jetzige Besitzer, Sämund, den ersten Sohn bekam, machte er sich allerlei Gedanken darüber, wagte aber doch nicht, die Familientradition zu durchbrechen, und so nannte er ihn denn Thorbjörn. Er grübelte nun darüber, ob der Knabe nicht so erzogen werden könnte, daß er an dem Steine, den ihm das Schicksal und das Gerede der Leute in den Weg gelegt hatten, glücklich vorüberkommen könnte. Er war sich nicht ganz sicher, aber er glaubte, einen widerspenstigen Sinn bei dem Knaben zu spüren. »Das muß ausgetrieben werden,« sagte er zu der Mutter, und sobald Thorbjörn drei Jahre alt geworden war, setzte sich der Vater oft mit einer Rute in der Hand hin, zwang ihn, alle Holzscheite wieder auf ihren Platz zu legen, die Tasse wieder aufzuheben, die er hinuntergeworfen, die Katze zu streicheln, die er gekniffen hatte. Die Mutter pflegte hinauszugehn, wenn den Vater diese Laune anwandelte.

Sämund wunderte sich darüber, daß, je größer der Knabe ward, um so mehr an ihm zu tadeln war, und das, obgleich er immer strenger behandelt wurde. Er hielt ihn frühzeitig zum Lesen an und nahm ihn mit aufs Feld, um ihn unter Augen zu haben. Die Mutter hatte einen großen Haushalt und kleine Kinder, sie konnte nichts weiter tun, als den Sohn streicheln und ihm jeden Morgen, wenn sie ihn ankleidete, gute Ermahnungen geben und freundlich mit dem Vater reden, wenn sie an Sonn- und Feiertagen zusammensaßen. Thorbjörn aber dachte, wenn er Schläge bekam, weil ab nicht »ba«, sondern »ab« hieß, und weil er die kleine Ingrid nicht prügeln durfte, wie der Vater ihn prügelte: Es ist doch merkwürdig, daß ich es so schlecht haben soll, während alle meine kleinen Geschwister es so gut haben!

Da er meistens bei dem Vater war und nicht wagte, sonderlich viel mit ihm zu reden, wurde er wortkarg, obwohl er keineswegs gedankenarm war. Einmal, als sie das nasse Heu wendeten, entschlüpfte es ihm jedoch: »Weshalb ist alles Heu da drüben auf Solbakken trocken und eingefahren, während es hier naß ist?« – »Weil sie mehr Sonne haben als wir.« – Es war dies das erstemal, daß es ihm zum Bewußtsein kam, daß er selber von dem Sonnenglanz da drüben, über den er sich so oft gefreut hatte, ausgeschlossen sei. Seit jenem Tage war sein Blick öfter nach Solbakken hinübergerichtet als bisher. – »So sitz doch nicht da und gaffe,« sagte der Vater und versetzte ihm einen Puff; »hier unten müssen wir uns abmühen, soviel wir können, groß und klein, wenn wir etwas unter Dach und Fach haben wollen.«

Als Thorbjörn etwa sieben oder acht Jahre alt sein mochte, wechselte Sämund seinen Knecht. Der neue hieß Aslak, und er war, wie es schien, schon weit in der Welt herumgekommen, obwohl er hier nur Kleinknecht war. An dem Abend, als er kam, war Thorbjörn schon zu Bett gegangen, aber am nächsten Tage, als er dasaß und lernte, schlug jemand die Tür mit einem solchen Fußstoß auf, wie er es noch nie gehört hatte, und das war Aslak, der mit einem großen Arm voll Holz hereingepoltert kam und es mit einer solchen Gewalt zu Boden warf, daß die Scheite nach allen Seiten auseinanderflogen. Er selber sprang hoch in die Luft, um den Schnee abzuschütteln, und bei jedem Sprung rief er: »›Es ist kalt,‹ sagte die Braut des Kobolds, als sie bis an den Gürtel im Eis steckte.« – Der Vater war nicht zu Hause – die Mutter aber fegte den Schnee zusammen und trug ihn stillschweigend hinaus. – »Wonach glotzt du denn da?« fragte Aslak Thorbjörn. – »Nach nichts Besonderm,« erwiderte dieser, denn er fürchtete sich. – »Hast du den Hahn gesehn, den du da hinten im Buche hast?« – »Ja!« – »Er hat eine Menge Hühner um sich, wenn das Buch zu ist; hast du das gesehn?« – »Nein!« – »Nun, so sieh nach!« – Der Knabe tat es. – »Du bist ein Schafskopf,« sagte Aslak. Aber seit diesem Augenblick hatte niemand eine solche Macht über ihn wie Aslak.

»Du weißt gar nichts,« sagte Aslak eines Tages zu Thorbjörn. – Dieser trippelte wie gewöhnlich hinter ihm drein, um achtzugeben. – »Doch, ich weiß bis zum vierten Hauptstück.« – »Pah! Du hast ja nicht einmal von dem Kobold gehört, der so lange mit der Dirne tanzte, bis die Sonne unterging, und dann platzte wie ein Kalb, das saure Milch gefressen hat!« – Sein ganzes Leben lang hatte Thorbjörn noch nicht so viel Gelehrsamkeit auf einmal gehört. »Wo war denn das?« fragte er. – »Wo? – ja, das – war drüben auf Solbakken!« – Thorbjörn starrte ihn an. – »Hast du von dem Manne gehört, der sich dem Teufel für ein Paar alte Stiefel verkaufte?« – Thorbjörn vergaß zu antworten, so verwundert war er. – »Du denkst wohl darüber nach, wo das geschehen sein mag, he? Das war auch drüben auf Solbakken, da unten an dem Bach, den du da siehst! – Du großer Gott! Sieht das aber traurig aus mit deinem Christentum,« fuhr er fort. »Du hast wohl nicht einmal von Kari mit dem hölzernen Rock gehört?« – Nein, er hatte nichts davon gehört. Und während Aslak jetzt eifrig arbeitete, erzählte er noch eifriger, nämlich von Kari mit dem hölzernen Rock und von der Mühle, die auf dem Meeresgrunde Salz mahlte, von dem Teufel mit den Holzschuhen, von dem Kobold, der mit dem Bart in dem Baumstamm hängen blieb, von den sieben grünen Jungfrauen, die dem Schützenpeter die Haare aus den Waden zwickten, während er schlief, und durchaus nicht aufwachen konnte, und das alles trug sich drüben auf Solbakken zu.

»Was in Gottes Namen ist nur mit dem Jungen los?« sagte die Mutter am nächsten Tage. »Den ganzen Morgen, seit es hell geworden ist, hat er auf den Knien auf der Bank gelegen und nach Solbakken hinübergestarrt.« – »Ja, er hat es heute sehr damit,« sagte der Vater, der dalag und sich den lieben langen Sonntag ausruhte. – »Die Leute sagen, er sei mit Synnöve Solbakken verlobt,« sagte Aslak; »aber die Leute sagen ja immer soviel,« fügte er hinzu. Thorbjörn verstand es nicht so recht, errötete aber doch über das ganze Gesicht. Als Aslak die andern hierauf aufmerksam machte, kroch er von der Bank herab, nahm seinen Katechismus und begann darin zu lesen. – »Ja, tröste du dich nur mit Gottes Wort, du,« sagte Aslak; »du bekommst sie doch nicht.«

Späterhin im Laufe der Woche, als er glaubte, daß sie es vergessen hätten, fragte er die Mutter ganz leise, denn er war ein wenig verschämt: »Du – wer ist Synnöve Solbakken?« – »Das ist ein kleines Mädchen, das einst Besitzerin von Solbakken werden wird.« – »Hat sie denn keinen hölzernen Rock?« – Die Mutter sah ihn verwundert an. »Was sagst du da?« fragte sie. Er fühlte, daß es etwas Dummes sein müßte, und schwieg. – »Niemand hat je ein schöneres Kind gesehn, als sie ist,« fuhr die Mutter fort, »und der liebe Gott hat sie so gemacht zur Belohnung dafür, daß sie immer so artig und brav ist und so fleißig lernt.« – Jetzt wußte er das auch.

Eines Tages, als Sämund mit Aslak auf dem Felde gewesen war, sagte er am Abend zu Thorbjörn: »Du sollst nicht so oft mit dem Knecht zusammen sein.« – Thorbjörn aber achtete nicht weiter darauf. Nach einer Weile hieß es: »Wenn ich dich noch einmal mit ihm zusammen sehe, geht es dir schlecht!« Da schlich Thorbjörn ihm nach, wenn es der Vater nicht sah. Dieser überraschte sie aber, als sie beieinander saßen und schwatzten; da bekam Thorbjörn Prügel und wurde hineingejagt. Von nun an aber paßte Thorbjörn Aslak auf, wenn der Vater nicht zu Hause war.

Eines Sonntags, als der Vater in der Kirche war, machte Thorbjörn zu Hause Unfug. Aslak und er warfen einander mit Schneebällen. – »Nein, nein, du erstickst mich noch,« bat Thorbjörn; »laß uns zusammen nach was anderm werfen.« – Aslak war gleich dazu bereit, und so warfen sie denn erst nach der kleinen Tanne neben dem Vorratshause, dann nach der Tür und endlich nach dem Fenster des Vorratshauses. – »Nicht nach dem Fenster selber,« sagte Aslak, »sondern nach dem Rahmen!« – Thorbjörn traf aber das Fenster und erbleichte. – »Pah! Wer erfährt das? Wirf besser!« – Er warf abermals, traf aber wieder eine Fensterscheibe. – »Jetzt werfe ich nicht mehr,« sagte er. – In demselben Augenblick kam seine älteste Schwester, klein Ingrid, heraus. »Wirf nach ihr!« – Thorbjörn war gleich bereit, die Kleine schrie, und die Mutter kam heraus. Sie befahl ihm, mit dem Werfen aufzuhören. »Wirf! Wirf!« flüsterte Aslak. Thorbjörn war heiß und aufgeregt; er tat es. – »Ich glaube, du hast deinen Verstand verloren,« sagte die Mutter und lief auf ihn zu. Er entwischte ihr, sie lief hinter ihm drein – rund um den Hof herum; Aslak lachte, und die Mutter drohte. Aber endlich gelang es ihr, ihn in einer Schneewehe zu fassen, und sie schickte sich an, ihn gehörig durchzuprügeln. – »Ich schlage wieder – das tu ich – das ist hier so Sitte.« – Die Mutter hielt verwundert inne und sah ihn an. »Das hat dich ein andrer gelehrt,« sagte sie dann, nahm ihn stillschweigend bei der Hand und führte ihn hinein. Sie sagte kein Wort mehr zu ihm, sondern beschäftigte sich freundlich mit den kleinen Geschwistern und erzählte ihnen, daß der Vater jetzt gleich aus der Kirche heimkehre. Da begann es entsetzlich heiß in der Stube zu werden. Aslak bat um die Erlaubnis, einen Verwandten besuchen zu dürfen; er erhielt sie sogleich. Thorbjörn aber wurde sehr klein, sobald Aslak gegangen war. Er hatte schreckliche Magenschmerzen, und seine Hände waren so feucht, daß sie am Buche festklebten, wenn er es anfaßte. Wenn nur die Mutter dem Vater nichts sagen wollte, wenn er nach Hause käme, aber sie darum zu bitten, das brachte er nicht fertig. Alles um ihn her hatte sich verändert, und die Stubenuhr sagte: »Prügel, Prügel – Prügel, Prügel!« Er mußte aufs Fenster hinaufklettern und nach Solbakken hinübersehn. Es lag verschneit, einsam und friedlich da und lachte wie immer im Sonnenschein; das Haus stand da und blitzte aus allen Fenstern, und dort war sicher nicht ein einziges zerschlagen; übermütig, fröhlich stieg der Rauch aus dem Schornstein auf, sicher wurde dort auch für die Kirchgänger gekocht. Synnöve schaute wohl nach ihrem Vater aus und sollte sicher keine Schläge haben, wenn der heimkehrte. Er wußte nicht, was er anfangen sollte, und wurde plötzlich so liebevoll gegen seine Schwestern, daß er kein Ende fand. Gegen Ingrid war er so gut, daß er ihr einen blanken Knopf schenkte, den er von Aslak bekommen hatte. Sie umarmte ihn, und auch er schlang seine Arme um ihren Hals. – »Meine liebe kleine Ingrid, bist du mir auch böse?« – »Nein, lieber Thorbjörn, du kannst mich meinetwegen so viel schneeballen, wie du willst.« – Aber da stampfte sich jemand draußen den Schnee von den Füßen. Richtig, es war der Vater; er sah so sanft und freundlich aus, und das war noch schlimmer. – »Nun?« sagte er und sah sich um – es war ein Wunder, daß die Wanduhr nicht herabstürzte! Die Mutter trug das Essen auf. – »Wie steht es denn hier?« fragte der Vater, indem er sich hinsetzte und den Löffel ergriff.

Thorbjörn sah die Mutter an, bis ihm die Tränen in die Augen kamen. – »Ach, ganz gut,« sagte sie unglaublich langsam, und sie wollte noch mehr sagen, das sah er deutlich. – »Ich habe Aslak erlaubt, auszugehn,« sagte sie. – »Das ist nur der Anfang,« dachte Thorbjörn und fing an mit Ingrid zu spielen, als denke er an nichts weiter in der Welt. So lange hatte der Vater niemals gegessen, und Thorbjörn fing schließlich an jeden Bissen zu zählen; als er aber an den vierten kam, wollte er sehn, wie weit er zwischen dem vierten und fünften zählen könnte, und dadurch kam er aus dem Zählen heraus. Endlich erhob sich der Vater und ging hinaus. – »Die Fensterscheiben! die Fensterscheiben!« klang es ihm in den Ohren, und er sah sich um, ob die in der Stube alle heil seien. Ja, sie waren alle heil. Aber nun ging auch die Mutter hinaus. Thorbjörn nahm die kleine Ingrid auf den Schoß und sagte so sanft, daß sie ihn ganz verwundert anstarrte: »Wir beide wollen einmal Goldkönigin auf der Wiese spielen, wir!« – Das wollte sie gern. Und dann sang er, während ihm die Beine schlotterten:

»Kleine Blume,
Wiesenblume,
Hör mich einmal an:
Willst du meine Liebste sein,
Schenk ich dir ein Mantel fein
Aus Samt und Gold,
Von Perlen voll.
Ditteli, dutteli, döh,
Die Sonne scheint auf der Höh.«

Und sie antwortete:

»Goldkönigin,
Perlenkönigin,
Hör mich einmal an:
Ich will sein die Liebste dein,
Will haben auch den Mantel fein
Aus Samt und Gold,
Von Perlen voll.
Ditteli, dutteli, döh,
Die Sonne scheint auf der Höh.«

Als nun aber dies Spiel gerade im besten Gange war, kam der Vater herein und sah ihn forschend an. Er preßte Ingrid fester an sich und fiel gar nicht vom Stuhl! Der Vater wandte sich ab und sagte kein Wort; eine halbe Stunde verging, und noch immer hatte er nichts gesagt – und Thorbjörn war nahe daran, ganz fröhlich zu werden, wagte es aber doch nicht. Er wußte nicht, was er davon denken sollte, als ihm der Vater selber beim Auskleiden half; er fing von neuem an zu zittern. Da fuhr ihm der Vater liebkosend über den Kopf und streichelte ihm die Wange; das hatte er nicht getan, solange der Knabe zurückdenken konnte, und deswegen wurde ihm so warm ums Herz und über den ganzen Leib, daß die Furcht aus seiner Seele schwand wie das Eis vor der Sonne. Er wußte nicht, wie er ins Bett kam, und da er sich weder durch Rufen noch durch Singen Luft machen konnte, faltete er still die Hände, betete sechsmal das Vaterunser ganz leise vorwärts und rückwärts – und fühlte, als er einschlief, daß es auf Gottes grüner Erde doch niemand gebe, den er so lieb hätte wie seinen Vater.

Am nächsten Tage erwachte er in furchtbarer Angst, weil er nicht schreien konnte, denn nun sollte er doch Prügel haben. Als er aber die Augen aufschlug, merkte er zu seiner großen Erleichterung, daß er es nur geträumt hatte, aber er merkte auch bald, daß gerade ein andrer Prügel haben sollte, nämlich Aslak. Sämund ging im Zimmer auf und nieder, und den Gang kannte Thorbjörn nur zu gut. Der ziemlich kleine, aber stämmige Mann sah von Zeit zu Zeit unter seinen buschigen Brauen so zu Aslak hinüber, daß dieser sehr wohl fühlte, was in der Luft lag; Aslak selber saß oben auf einem großen Faß und ließ seine Beine bald herabbaumeln, bald zog er sie unter sich in die Höhe. Er hatte wie gewöhnlich die Hände in den Taschen, und die Mütze auf dem Kopfe war leicht in die Stirn gedrückt, so daß das dicke, dunkle Haar in Büscheln unter dem Schirm hervorguckte. Der etwas schiefe Mund war heute noch schiefer als gewöhnlich, den ganzen Kopf hielt er ein wenig schief und sah Sämund unter halb geschlossenen Augenlidern von der Seite an. – »Ja, dein Junge ist nicht recht gescheit,« sagte er, »weit schlimmer aber ist es, daß dein Pferd verhext ist.« – Sämund blieb stehn. »Du bist ein Lümmel!« sagte er, daß es durch die Stube dröhnte und Aslak die Augenlider noch fester schloß. Sämund ging wieder auf und nieder, Aslak saß wieder eine Weile schweigend da. – »Ja, weiß Gott, es ist verhext!« – Er schielt von der Seite zu ihm hinüber, um zu sehn, welche Wirkung dies auf ihn mache. – »Nein, aber es ist bange vor dem Walde, das ist es,« sagte Sämund und schritt weiter auf und nieder. »Du hast im Felde einen Baum über das Tier gefällt, du nichtsnutziger Schlingel, und deswegen will es jetzt dort nicht mehr ruhig gehn.« – Aslak hörte das eine Weile an. – »Ja, ja! Glaub du das nur, der Glaube macht niemand zuschanden. Ich zweifle nur, daß er dein Pferd wieder kuriert,« fügte er hinzu, schob sich ein wenig höher auf die Tonne hinauf und bedeckte sein Gesicht mit der einen Hand. Sämund kam wirklich zu ihm hinüber und sagte in leisem, aber unheilverkündendem Tone: »Du bist ein schlechter –« – »Sämund!« ertönte eine Stimme vom Herde herüber. Es war Ingebjörg, seine Frau, die ihn beschwichtigte, wie sie ihr kleinstes Kind beschwichtigte, das bange war und schreien wollte. Das Kind hatte sie schon zum Schweigen gebracht, und nun schwieg auch Sämund, aber er hielt doch seine für einen so stämmigen Mann sehr kleine Faust Aslak gerade unter die Nase und hielt sie dort eine Weile, indem er sich vorbeugte und ihm seine zornsprühenden Augen ins Gesicht bohrte. Darauf schritt er wieder auf und nieder und sah von Zeit zu Zeit hastig zu ihm hinüber. Aslak war sehr bleich, grinste aber doch mit dem halben Gesicht zu Thorbjörn hinüber, während er die Seite, die er Sämund zugewandt hatte, ganz stramm hielt. – »Gott schenke uns Geduld!« sagte er nach einer Weile, hob aber in demselben Augenblick die Ellenbogen in die Höhe, als wollte er einen Schlag abwehren. Sämund blieb plötzlich stehn und schrie mit der ganzen Kraft seiner Stimme, indem er auf die Erde stampfte, so daß Aslak zusammenzuckte: »Nenne ihn nicht! – du! –« Ingebjörg sprang mit dem Säugling auf und faßte ihn sanft am Arm. Er sah sie nicht an, ließ aber doch sofort den Arm sinken. Sie setzte sich hin, er schritt von neuem auf und nieder; niemand aber sprach ein Wort. Als dies eine Weile gewährt hatte, konnte sich Aslak nicht länger bezwingen: »Jawohl, er hat hier auf Granliden freilich viel zu tun!« – »Sämund! Sämund!« flüsterte Ingebjörg; ehe das aber zu ihm drang, war Sämund schon auf Aslak losgerast, der den Fuß vorstreckte; den schlug er zurück, faßte den Burschen daran und am Rockkragen, hob ihn in die Höhe und warf ihn mit solcher Gewalt gegen die geschlossene Tür, daß die Füllung hinausfiel und er kopfüber durchflog. Die Mutter, Thorbjörn und alle Kinder schrien und baten für ihn, und das ganze Haus erscholl von Jammergeschrei. Sämund aber stürzte ihm nach, dachte nicht daran, die Tür gehörig aufzumachen, sondern stieß die Überbleibsel beiseite, nahm ihn nochmals auf, trug ihn von dem Vorbau auf den Hof hinaus, hob ihn hoch in die Höhe und warf ihn mit aller Gewalt nieder. Und als er merkte, daß da zu viel Schnee lag, als daß er sich hätte gründlich Schaden zufügen können, setzte er ihm das Knie auf die Brust und schlug ihn gerade ins Gesicht, packte ihn dann zum drittenmal, trug ihn wie ein Wolf, der einen zerrissenen Hund davonschleppt, an eine mehr schneefreie Stelle, schleuderte ihn noch heftiger zu Boden als zuerst, setzte ihm das Knie auf die Brust – und niemand weiß, wie dies geendet hätte, wenn nicht Ingebjörg mit dem Säugling im Arm dazwischengestürzt wäre. – »Mach uns nicht unglücklich!« schrie sie.

Eine Weile darauf saß Ingebjörg im Zimmer. Thorbjörn kleidete sich an, der Vater ging wieder auf und nieder, trank von Zeit zu Zeit ein wenig Wasser, aber die Hand zitterte ihm so, daß das Wasser über den Rand der Tasse floß und auf den Boden platschte. Aslak kam nicht zurück, und nach einer Weile schickte sich Ingebjörg an, hinauszugehn. – »Bleib hier,« sagte er in einem Ton, als spräche er nicht mit ihr, und sie blieb. Aber nach einiger Zeit ging er selber hinaus. Er kam nicht wieder. Thorbjörn nahm sein Buch und las unablässig ohne aufzusehn, obwohl er nicht einen einzigen Satz verstand.

Etwas später, am Vormittag, war das Haus wieder in seiner alten Ordnung, obgleich alle ein Gefühl hatten wie nach einem fremden Besuch. Thorbjörn wagte sich endlich hinaus, und der erste, der ihm an der Tür begegnete, war Aslak, der all sein Hab und Gut auf einen Schlitten gepackt hatte; der Schlitten aber gehörte Thorbjörn. Thorbjörn starrte ihn an, denn er sah schrecklich aus. Das Blut war ihm im Gesicht festgeklebt, und alle seine Kleider waren mit Blut beschmutzt. Er hustete und griff sich oft nach der Brust. Eine Weile sah er Thorbjörn schweigend an, dann rief er heftig: »Ich kann deine Augen nicht ausstehn, Junge!« – Damit spreizte er die Beine über den Schlitten, setzte sich und fuhr bergab. – »Du kannst sehn, wie du deinen Schlitten wiederkriegst!« sagte er und lachte, indem er sich noch einmal umwandte und ihm die Zunge ausstreckte. So zog Aslak von dannen.

Aber in der Woche, die nun folgte, kam der Vogt nach Granliden. Der Vater war oft abwesend, die Mutter weinte, und auch sie war mehrmals fort. »Was ist nur, Mutter?« – »Ach, Aslak ist an allem schuld.«

Und dann eines Tages ertappten sie die kleine Ingrid, wie sie dasaß und sang:

»O du glückselige Welt,
Nun bist du mir ganz vergällt.
Das Mädel streckt den Fuß hervor,
Der Junge ist ein blöder Tor,
Die Mutter Wassersuppen braut,
Der Vater liegt auf der Bärenhaut.
Die Katze ist noch die klügste im Haus,
Sie leckt den Rahm im Topfe aus.«

Es wurde ein Verhör angestellt, wo sie das Stück Lied her hätte. Ja, sie hatte es von Thorbjörn gehört. Dieser wurde sehr ängstlich und sagte, Aslak habe es ihn gelehrt. Da erhielt er denn den Bescheid, daß er, wenn er selber solche Lieder sänge oder sie der Schwester beibrächte, sich auf eine Tracht Prügel gefaßt machen könne. Kurz darauf fing die kleine Ingrid an zu fluchen. Thorbjörn wurde abermals ins Verhör genommen, und Sämund meinte, es würde wohl das beste sein, wenn er gleich die Rute bekäme; aber er weinte und gelobte heilig und teuer, sich zu bessern, so daß er diesmal mit der Angst davonkam.

Am nächsten Sonntag, wo gepredigt wurde, sagte der Vater zu ihm: »Heute sollst du keine Gelegenheit haben, daheim Unheil anzustiften, du kannst mich in die Kirche begleiten.«




2


Die Kirche steht in den Gedanken des Bauern auf einer hohen Stelle und ganz für sich, weihevoll, die Feierlichkeit der Gräber ringsumher, den lebendigen Gottesdienst drinnen. Es ist das einzige Haus im ganzen Tal, worauf er Pracht verwandt hat, und ihr Turm ragt deswegen auch etwas höher empor, als er zu ragen scheint. Ihre Glocken begrüßen ihn schon aus der Ferne auf seinem Gange durch den klaren Sonntagmorgen, und er lüftet immer die Mütze, wenn er sie hört, als wollte er sagen: »Dank für das letztemal!« Es besteht ein Bündnis zwischen ihm und ihnen, das niemand kennt. In frühester Kindheit stand er wohl in der offnen Tür und lauschte ihrem Klang, während die Kirchgänger in stillem Zuge unten auf dem Wege vorübergingen; der Vater schloß sich ihnen an, aber er selbst war noch zu klein. Er verband damals mancherlei Vorstellungen mit diesem schweren, vollen Ton, der eine oder auch zwei Stunden die Herrschaft zwischen den Bergen hatte und von einer Felswand zur andern widerhallte; eins aber war unzertrennlich von diesem Getön: reine, neue Kleider, geschmückte Frauen, geputzte Pferde mit blitzendem Geschirr.

Und wenn sie dann eines Sonntags über seinem eignen Glück läuten und er selber in funkelnagelneuen, aber viel zu großen Kleidern gesetzt an der Seite des Vaters einhergeht und das erstemal dahin soll – ja, dann liegt Freude und Jubel in ihrem Klange. Da öffnen sie ihm die Türen zu alledem, was er nun zu sehn bekommen soll! Und auf dem Heimwege, wenn sie über seinem Haupte dröhnen, das noch schwer und wirr ist von dem Gesang, der Messe, den Worten der Predigt, die auf ihn eingedrungen und wieder verdrängt worden sind von alledem, was das Auge zugleich aufgenommen hat: die Altartafel, die Trachten, alle die Menschen – da wölben sie sich ein für allemal über alle diese Eindrücke und geben der kleinern Kirche, die er fortan in seinem Innern trägt, die rechte Weihe.

Ist er ein wenig älter geworden, so muß er auf den Bergen das Vieh hüten; wenn er aber an einem schönen, taufrischen Sonntagmorgen so auf dem Felsblock sitzt, das Vieh zu seinen Füßen, und hört, wie die Kirchenglocken das Herdengeläute übertönen, da wird ihm ganz wehmütig ums Herz. Denn mit ihnen tönt etwas Lichtes, Leichtes, Lockendes zu ihm herauf, der Gedanke an die Bekannten bei der Kirche, an die Freude, wenn man da ist, und die noch größere, wenn man dagewesen ist, an das gute Essen daheim, an den Vater, die Mutter, die Geschwister, an das Spiel auf der Wiese an fröhlichen Sonntagabenden – und das kleine Herz wird ganz aufrührerisch in der Brust. Aber seine Gedanken kehren doch immer wieder zu den Kirchenglocken zurück, die zu ihm heraufschallen; er sinnt nach und entdeckt schließlich auch ein Bruchstück eines Kirchenliedes in seinem Gedächtnis; das singt er mit gefalteten Händen und einem sehnsüchtigen Blick ins Tal hinab, spricht dann ein kleines Gebet hinterher, springt auf, ist fröhlich und stößt in sein langes Hirtenhorn, daß es in den Bergen widerhallt.

Hier in den stillen Bergtälern hat die Kirche noch ihre besondre Sprache für jedes Alter, ihr besondres Aussehn für jedes Auge; vieles kann sich dazwischen aufgetürmt haben, nichts aber ragt über sie hinweg. Den Konfirmanden steht sie erhaben und vollkommen da – mit erhobnem Finger, halb drohend, halb winkend dem Jüngling, der seine Wahl getroffen hat; breitschultrig und stark über der Sorge des Mannes, geräumig und mild über dem müden Greise. Mitten während des Gottesdienstes werden die kleinen Kinder hereingetragen und getauft, und es ist bekannt, daß bei dieser Handlung die Andacht am größten ist.

Man kann deswegen norwegische Bauern – weder gute noch schlechte – nicht zeichnen, ohne irgendwo mit der Kirche in Berührung zu kommen. Das mag einförmig erscheinen, aber das ist vielleicht nicht das Schlimmste. Dies sei ein für allemal gesagt, und nicht einzig und allein wegen des Kirchenbesuchs, der nun folgt.

Thorbjörn war glücklich über den Gang zur Kirche und alles, was er sah; wunderlich viele Farben nahm sein Auge vor der Kirche in sich auf, er fühlte sich bedrückt durch die Stille drinnen, die auf allen und allem ruhte, ehe noch die Messe begonnen hatte; und obwohl er selber vergaß, den Kopf zu senken, als das Gebet verlesen wurde, war er doch wie gebeugt durch den Anblick mehrerer hundert gebeugter Köpfe. Der Gesang erschallte, und alle rings um ihn her sangen, sangen auf einmal, so daß es ihm fast ängstlich zumute wurde. So versunken saß er da, daß er wie aus einem Traum in die Höhe fuhr, als ihr Stuhl leise geöffnet wurde und jemand eintrat. Nachdem der Gesang beendet war, reichte der Vater dem Manne die Hand und fragte: »Geht alles gut auf Solbakken?«

Thorbjörn riß die Augen auf; aber soviel er auch starrte, war es ihm unmöglich, diesen Mann mit irgendeiner Art von Zauberei in Zusammenhang zu bringen. Es war ein freundlich aussehender, blonder Mann mit großen blauen Augen, hoher Stirn und stattlicher Haltung; er lächelte, wenn man ihn anredete, und sagte ja zu allem, was Sämund sagte, war aber sonst wortkarg. – »Da kannst du Synnöve sehn,« sagte der Vater, indem er sich zu Thorbjörn hinabbeugte, ihn auf sein Knie zog und nach dem ihnen gerade gegenüberliegenden Frauenstuhl zeigte. Da kniete ein kleines Mädchen oben auf der Bank und sah über die Seitenlehne des Kirchstuhls herüber; sie war noch blonder als der Mann, so blond, wie er nie etwas Ähnliches gesehn hatte. Sie hatte rote, flatternde Bänder an der Mütze, unter der das weißblonde Haar hervorguckte, und lachte zu ihm herüber, so daß er eine ganze Weile nichts andres ansehn konnte als ihre weißen Zähne. Sie hielt ein schimmerndes Gesangbuch in der einen Hand und ein zusammengefaltetes rotgelbes seidnes Taschentuch in der andern und ergötzte sich nun damit, daß sie das Tuch um das Gesangbuch wickelte. Je mehr er sie anstarrte, um so mehr lachte sie, und nun wollte auch er auf die Bank knien, so wie sie. Da nickte sie ihm zu. Er sah sie eine Weile ganz ernsthaft an, dann nickte auch er. Sie lachte und nickte noch einmal; er nickte zurück, und noch einmal und noch einmal; sie lachte, nickte aber nicht mehr – bis nach einer Weile, als er es schon vergessen hatte, da nickte sie.

»Ich will auch sehn!« hörte er eine Stimme hinter sich, und in demselben Augenblick fühlte er sich an den Beinen auf den Boden herabgezogen, so daß er beinahe gefallen wäre; es war ein vierschrötiger kleiner Bursche, der sich nun tapfer auf seinen Platz hinaufarbeitete; auch er hatte blondes, aber struppiges Haar und eine Stumpfnase. Aslak hatte Thorbjörn gelehrt, wie die bösen Jungen, mit denen er in der Kirche und in der Schule zusammentreffen würde, gehandhabt werden müßten; deswegen kniff denn Thorbjörn den Buben von hinten, so daß der schon laut aufschreien wollte, sich aber zusammennahm und statt dessen ganz geschwinde wieder von der Bank herabkroch und Thorbjörn bei beiden Ohren packte. Dieser faßte ihn beim Schopf und zwang ihn unter sich, noch schrie er nicht, biß aber Thorbjörn in den Schenkel; Thorbjörn zog sein Bein zurück und preßte das Gesicht des andern hart gegen die Erde. Da wurde er selber beim Rockkragen gepackt und wie ein Strohsack in die Höhe gehoben – es war der Vater, der ihn auf seinen Schoß setzte. »Wäre es nicht in der Kirche, so bekämst du Prügel,« flüsterte er ihm ins Ohr und drückte seine Hand so, daß es ihn bis in den Fuß schmerzte. Da fiel ihm Synnöve ein, und er sah wieder hinüber; sie stand noch da, aber so starr und entsetzt, daß ihm eine Ahnung davon aufging, daß das, was er getan hatte, etwas sehr Schlimmes sein müsse. Sobald sie merkte, daß er sie ansah, kroch sie auf die Bank hinab und war nicht mehr zu sehn.

Nun kam der Küster, und dann kam der Pfarrer: aufmerksam hörte und sah er sie an. Dann kam abermals der Küster und hinterdrein wieder der Pfarrer; aber noch immer saß er da auf dem Schoß des Vaters und dachte: »Ob sie wohl nicht bald wieder aufsehn wird?« Der Junge, der ihn von der Bank heruntergezogen hatte, saß auf einem Schemel weiter hinten im Stuhl, und jedesmal, wenn er aufstehn wollte, bekam er einen Puff in den Rücken von einem alten Manne, der auch dasaß und nickte, aber regelmäßig aufwachte, sobald der Junge Miene machte, aufzustehn. – »Ob sie wohl nicht bald herübersehn wird?« dachte Thorbjörn, und jedes rote Band, das er ringsumher flattern sah, und jedes bunte Bild in der alten Kirche war entweder ebenso groß oder ebenso klein wie sie. Ja, da hob sie den Kopf wieder hervor! Sowie sie ihn aber erblickte, zog sie ihn ernsthaft wieder zurück. – Noch einmal kamen der Küster und der Geistliche zum Vorschein, die Glocken läuteten, und man erhob sich. Der Vater sprach wieder leise mit dem blonden Manne; sie gingen zusammen hinüber nach dem Frauenstuhl, wo man sich ebenfalls erhoben hatte. Die erste, die heraustrat, war eine blonde Frau, die ebenso lächelte wie der Mann, aber doch etwas schwächer; sie war ganz klein und blaß und hielt Synnöve an der Hand. Thorbjörn eilte sofort geradeswegs auf sie zu; sie aber entzog sich ihm schnell und verkroch sich hinter dem Kleide ihrer Mutter. – »Laß mich,« sagte sie. – »Der da ist wohl noch nie in der Kirche gewesen,« sagte die blonde Frau und legte ihm die Hand auf den Kopf. – »Nein, deswegen prügelt er sich auch das erstemal, wo er drin ist,« sagte Sämund. Thorbjörn sah beschämt zu ihr auf und dann zu Synnöve, die ihm noch ernster erschien. Sie gingen alle hinaus, die Eltern im Gespräch miteinander, Thorbjörn aber hinter Synnöve her, die sich jedesmal, wenn er ihr näher kam, dichter an die Mutter herandrängte. Den andern Jungen sah er nicht mehr. Draußen auf dem Kirchenanger blieben sie stehn und begannen ein längeres Gespräch. Thorbjörn hörte mehrmals den Namen Aslak, und da er fürchtete, es könne bei dieser Gelegenheit auch ein wenig von ihm selber geredet werden, zog er sich zurück. – »Du brauchst das nicht zu hören,« sagte die Mutter zu Synnöve, »geh ein wenig beiseite, mein Herz – geh weg, sage ich dir.« Synnöve zog sich zögernd zurück. Jetzt näherte sich Thorbjörn ihr und sah sie an, und sie sah ihn an, und so standen sie eine ganze Weile da und betrachteten sich gegenseitig. Endlich sagte sie: »Pfui!« – »Weshalb sagst du pfui?« fragte er. – »Pfui!« sagte sie noch einmal. »Pfui, schäm dich,« fügte sie hinzu. – »Was habe ich denn getan?« – »Du hast dich in der Kirche geprügelt, und noch dazu während der Pfarrer vor dem Altare stand – pfui!« – »Ja, aber das ist schon lange her.« – Das leuchtete ihr ein, und nach einer Weile sagte sie: »Bist du der, der Thorbjörn Granliden heißt?« – »Ja; und bist du die, die Synnöve Solbakken heißt?« – »Ja. Ich habe immer gehört, du wärst ein so artiger Junge.« – »Nein, das ist nicht wahr, denn ich bin zu Hause der schlimmste von uns allen,« sagte Thorbjörn. – »So was habe ich doch noch nie gehört!« sagte Synnöve und schlug die kleinen Hände zusammen; »Mutter, Mutter – er sagt –« – »Schweig und geh weg,« entgegnete ihr die Mutter. Sie blieb stehn, wandte sich dann langsam um und kehrte rückwärtsgehend zurück, die großen, blauen Augen auf die Mutter gerichtet. – »Ich habe immer gehört, du wärst so artig,« sagte Thorbjörn. – »Ja, zuweilen, wenn ich recht fleißig gelernt habe,« erwiderte sie. – »Ist es wahr, daß es bei euch von Kobolden und Hexen und andern bösen Geistern wimmelt?« fragte er, stemmte den Arm in die Seite, setzte den einen Fuß vor und stützte sich auf den andern, wie er es von Aslak gesehn hatte. – »Mutter, Mutter, weißt du, was er sagt? Er sagt –« – »Laß mich in Frieden, hörst du, und komm nicht hierher, bis ich dich rufe.« – Sie mußte abermals langsam und rückwärtsgehend umkehren, sie nahm einen Zipfel ihres Taschentuchs in den Mund, biß darauf und zerrte daran. – »Ist es denn gar nicht wahr, daß da drüben in den Hügeln jede Nacht Musik gemacht wird?« – »Nein!« – »Hast du denn nie einen Kobold gesehn?« – »Nein!« – »Aber in Jesu Namen –« – »Pfui, das mußt du nicht sagen!« – »Ach was, das ist nicht schlimm,« sagte er und spuckte durch die Zähne, um ihr zu zeigen, wie weit er spucken könne. – »Ja, ja,« sagte sie, »denn sonst kommst du in die Hölle!« – »Glaubst du das?« fragte er bedeutend kleinmütiger; denn er hatte nur gedacht, er könnte Prügel dafür bekommen, und der Vater stand jetzt weit von ihm entfernt. – »Wer bei euch ist der Stärkste?« fragte er und setzte die Mütze ein wenig mehr auf die eine Seite. – »Das weiß ich wirklich nicht!« – »Ja, bei uns ist es der Vater, er ist so stark, daß er Aslak geprügelt hat, und der ist stark, das kannst du mir glauben.« – »So?« – »Ja, er hat einmal ein Pferd genommen und es in die Höhe gehoben.« – »Ein Pferd?« – »Das ist so wahr, so wahr – denn er hat es selber erzählt!« – Da zweifelte sie auch nicht mehr daran. – »Wer ist Aslak?« fragte sie. – »Das ist ein schlimmer Gesell, das kannst du mir glauben. Vater, der hat ihn so geprügelt, wie auf der ganzen Welt noch nie ein Mann geprügelt worden ist.« – »Prügelt ihr euch denn da drüben bei euch?« – »Ja, manchmal, dann – tut ihr es bei euch nicht auch?« – »Nein, nie!« – »Was tut ihr denn?« – »Ach, die Mutter kocht das Essen und strickt und näht; das tut Kari auch, aber sie kann es nicht so gut wie die Mutter, denn Kari ist so faul. Und Randi besorgt die Küche, und der Vater und die Knechte sind auf dem Felde oder auch zu Hause.« – Diese Erklärung schien ihn vollständig zu befriedigen. – »Aber jeden Abend lesen und singen wir,« fuhr sie fort, »und das tun wir des Sonntags auch.« – »Alle zusammen?« – »Ja!« – »Das muß langweilig sein!« – »Langweilig! Mutter, er sagt –« Aber dann fiel ihr ein, daß sie die Mutter nicht stören sollte. – »Du kannst mir glauben, ich habe viele Schafe!« sagte sie. – »Wirklich?« – »Ja, zwei bekommen diesen Winter Lämmer, und das eine, glaube ich ganz sicher, bekommt zwei.« – »So, du hast also Schafe, du?« – »Ja, ich habe auch Kühe und Schweine. Hast du denn keine?« – »Nein!« – »Dann komm nur zu mir, dann will ich dir ein Lamm schenken. Du sollst sehn, du bekommst dann mehrere davon.« – Das würde schrecklich lustig sein! – Sie standen eine Weile schweigend da. – »Könnte Ingrid nicht auch ein Lamm bekommen?« fragte er. – »Ingrid? Wer ist Ingrid?« – »Ingrid – die kleine Ingrid!« – Nein, die kannte sie nicht. – »Ist sie kleiner als du?« – »Freilich ist sie kleiner als ich – ungefähr so wie du.« – »Ach ja, die mußt du mitbringen, hörst du!« – Ja, das wollte er tun. – »Aber,« sagte sie, »da du ein Lamm bekommst, so soll sie ein Ferkel haben!« – Das fand er auch viel vernünftiger, und dann sprachen sie ein wenig über gemeinsame Bekannte, deren sie freilich nicht viele hatten. Die Eltern waren fertig, und sie mußten nach Hause gehen.

In der Nacht träumte er von Solbakken, und es war ihm, als sähe er da drüben nur weiße Lämmer und ein kleines blondes Mädchen mit roten Bändern zwischen ihnen umhergehn. Ingrid und er sprachen jeden Tag davon, daß sie hinübergehn wollten, sie hatten so viele Lämmer und kleine Ferkel zu hüten, daß sie gar nicht wußten, wie sie damit fertig werden sollten. Indessen wunderten sie sich sehr darüber, daß sie nicht sofort hinübergehn durften. – »Nur weil euch das kleine Mädchen eingeladen hat?« fragte die Mutter. »Hast du je so etwas gehört?« – »Ja, ja, wartet nur bis zum nächsten Sonntag, wo gepredigt wird,« sagte Thorbjörn, »da werdet ihr schon sehn.«

Der Sonntag kam. – »Du sollst so arg prahlen und lügen und fluchen,« sagte Synnöve da zu ihm, »daß du nicht eher kommen darfst, als bis du dir das abgewöhnt hast.« – »Wer hat das gesagt?« fragte Thorbjörn ganz verwundert. – »Die Mutter.«

Ingrid sah voller Erwartung der Heimkehr entgegen, und er erzählte ihr und der Mutter, wie es ihm ergangen wäre. – »Siehst du wohl!« sagte die Mutter. Ingrid aber sagte nichts. Doch von nun an gaben sie und die Mutter acht auf ihn, sobald er prahlte oder fluchte. Ingrid und er gerieten sich indessen eines Tages darüber in die Haare, ob der Ausdruck: »Der Hund fahre in mich!« als Fluch zu betrachten sei oder nicht. Ingrid bekam Prügel, und nun sagte er den ganzen Tag: »Der Hund fahre in mich!« Am Abend aber hörte der Vater es. – »Ja, er soll in dich fahren!« sagte er und versetzte ihm eine Ohrfeige, daß er zu Boden taumelte. Thorbjörn schämte sich am meisten vor Ingrid; aber nach einer Weile kam sie zu ihm hin und streichelte ihn.

Als ein paar Monate vergangen waren, gingen sie beide nach Solbakken hinüber; dann kam Synnöve zu ihnen, und sie waren wieder bei ihr, und so ging es während der ganzen Zeit, daß sie heranwuchsen. Thorbjörn und Synnöve lernten um die Wette; sie gingen in dieselbe Schule, und er machte schließlich größre Fortschritte; so gute Fortschritte machte er, daß sich der Pfarrer seiner annahm. Mit Ingrid ging es nicht so gut, und die beiden andern halfen ihr. Sie und Synnöve wurden so unzertrennlich, daß die Leute sie die Schneehühner nannten, weil sie immer beieinander flatterten, und weil sie beide so blond waren.

Es kam wohl vor, daß Synnöve sich über Thorbjörn ärgerte, weil er gar zu wild war und beständig in Schlägerei geriet. Ingrid legte sich dann immer ins Mittel, und sie waren gute Freunde wie zuvor. Hörte aber Synnöves Mutter von der Schlägerei, so durfte er in der Woche nicht nach Solbakken und nur mit genauer Not in der nächsten. Sämund wagte niemand etwas von dergleichen zu erzählen; »er ist zu hart mit dem Jungen,« sagte die Mutter und gebot allen Schweigen.

Als sie nun heranwuchsen, waren sie alle drei schön anzusehn, jedes freilich auf seine Weise. Synnöve wurde groß und schlank, hatte hellblondes Haar, ein feines, leuchtendes Gesicht und sanfte, blaue Augen. Sie lächelte, wenn sie sprach, und schon früh sagten die Leute, es sei ein Segen, in den Bereich dieses Lächelns zu kommen. Ingrid war kleiner, aber rundlicher, sie hatte noch helleres Haar und ein ganz kleines, rundes, weiches Gesicht. Thorbjörn wurde mittelgroß, aber er war gut gewachsen, hatte dunkles Haar, dunkelblaue Augen, scharfe Gesichtszüge und starke Glieder. Er pflegte, wenn er zornig war, zu erzählen, daß er ebenso gut lesen und schreiben könne wie der Schulmeister und sich vor niemand im ganzen Tal fürchte – den Vater ausgenommen, dachte er bei sich; aber das sagte er nicht.

Thorbjörn wollte gern früh konfirmiert werden, aber daraus wurde nichts. »Solange du nicht konfirmiert bist, bist du nur ein Knabe, und ich kann besser mit dir fertig werden,« sagte sein Vater. So kam es denn, daß er, Synnöve und Ingrid zu derselben Zeit zum Pfarrer gingen. Synnöve hatte auch lange gewartet, sie war fünfzehn Jahre und ging ins sechzehnte. – Man kann nie genug, wenn man sein Glaubensbekenntnis ablegen soll, hatte die Mutter immer gesagt, und der Vater Guttorm Solbakken hatte sein Ja dazu gesprochen. Da war es denn nicht zu verwundern, daß sich schon ein paar Freier zeigten, der eine der Sohn eines vornehmen Mannes, der andre ein reicher Nachbar. »Das ist aber doch zu arg! Sie ist ja noch nicht einmal eingesegnet!« – »Ja, dann müssen wir sie wohl einsegnen lassen,« meinte der Vater. Von alledem wußte aber Synnöve selbst nichts.

Auf dem Pfarrhofe hatten die Damen Synnöve so gern, daß sie sie hereinholten, um sich mit ihr zu unterhalten. Ingrid und Thorbjörn waren draußen bei den andern stehngeblieben, und als einer der Knaben zu ihm sagte: »Du kamst also nicht mit hinein? Die schnappen sie dir gewiß noch weg!« da kostete es den Burschen ein blaues Auge. Von nun an wurde es Sitte bei den andern Knaben, ihn mit Synnöve zu necken, und es zeigte sich, daß ihn nichts in einen so großen Zorn versetzen konnte. In einem Walde unterhalb des Pfarrhofes kam es schließlich verabredetermaßen zu einer großen Prügelei, die ihren Grund in diesen Hänseleien hatte. Die Zahl seiner Gegner wuchs so an, daß sich Thorbjörn schließlich gegen eine ganze Schar auf einmal zu verteidigen hatte. Die Mädchen waren vorausgegangen, so daß niemand da war, der sie hätte auseinanderbringen können, und deswegen wurde es ärger und ärger. Nachgeben wollte er nicht, es drangen immer mehr auf ihn ein, und nun verteidigte er sich, wie er am besten konnte, und daher wurden Schläge ausgeteilt, die später selbst erzählten, was vorgefallen war. Die Veranlassung zu der Prügelei wurde zugleich bekannt, und infolgedessen entstand ein großes Gerede im Kirchspiel.

Am folgenden Sonntag wollte Thorbjörn nicht zur Kirche gehn, und am nächsten Tage, als sie zum Pfarrer gehn sollten, stellte er sich krank. Ingrid ging deswegen allein. Er fragte sie bei der Heimkehr, was Synnöve gesagt habe. – »Nichts.«

Als er dann wieder mitging, glaubte er, alle Leute sähen ihn an, und die Konfirmanden lachten über ihn. Aber Synnöve kam später als die andern und war an diesem Tage lange im Pfarrhause. Er fürchtete, Vorwürfe von dem Pfarrer zu bekommen, merkte aber bald, daß die beiden einzigen im ganzen Kirchspiel, die nichts von der Schlägerei wußten, der Vater und der Pfarrer waren. Das war ja soweit alles ganz gut, nur wußte er nicht, wie er es anfangen sollte, wieder mit Synnöve zu sprechen, denn zum erstenmal wagte er nicht recht, Ingrid um ihre Vermittlung zu bitten. Nach dem Unterricht ging Synnöve wieder ins Pfarrhaus. Er wartete, solange noch andre auf dem Hofe waren; schließlich mußte aber auch er gehn. Ingrid war mit den ersten fortgegangen.

Am nächsten Tage war Synnöve vor allen andern gekommen und ging mit einer der Damen und einem jungen Herrn im Garten. Das Fräulein grub Blumen aus und gab sie Synnöve, der Herr war dabei behilflich, und Thorbjörn stand draußen unter den andern und sah zu. Sie erklärten ihr so laut, daß alle es hörten, wie diese Blumen eingepflanzt werden müßten, und Synnöve versprach, es eigenhändig zu tun, damit es genau so würde, wie sie es ihr gesagt hatten. – »Allein kannst du es nicht,« sagte der fremde Herr, und das merkte sich Thorbjörn. – Als Synnöve wieder zu den andern herauskam, erzeigten ihr diese noch mehr Achtung als sonst; Synnöve aber ging zu Ingrid hin, begrüßte sie freundlich und bat sie, mit ihr zusammen auf den Grasplatz hinauszukommen. Dort setzten sie sich hin, denn es war lange her, seit sie vertraulich miteinander geredet hatten. Thorbjörn stand wieder unter den andern und betrachtete Synnöves schöne, ausländische Blumen.

An diesem Tage ging Synnöve mit den andern zusammen nach Hause. – »Soll ich dir nicht die Blumen tragen?« fragte Thorbjörn. – »Das kannst du gern tun,« erwiderte sie sanft, aber ohne ihn anzusehn, dann nahm sie Ingrid bei der Hand und ging voran. In der Nähe von Solbakken blieb sie stehn und sagte Ingrid Lebewohl. »Das kleine Stück kann ich sie sehr gut noch selber tragen,« sagte sie und nahm den Korb auf, den Thorbjörn niedergesetzt hatte. Den ganzen Morgen lang hatte er darüber nachgedacht, daß er sich erbieten wollte, ihr die Blumen einzupflanzen, aber nun kam er nicht dazu, denn sie wandte sich rasch um. Er dachte aber an nichts andres danach, als daß er ihr doch bei den Blumen hätte helfen sollen. – »Worüber habt ihr beiden denn gesprochen?« fragte er Ingrid. – »Über nichts.«

Als die andern alle zu Bette gegangen waren, kleidete er sich leise wieder an und ging hinaus. Es war ein schöner Abend, warm und still; über den Himmel lag ein leichter Schleier von blaugrauen Wolken ausgebreitet, der hie und da zerrissen war, so daß es aussah, als ob jemand aus dem tiefen Blau wie aus einem Auge hervorluge. Niemand war zu sehn in der Nähe des Gehöfts und auch nicht in der Ferne, aber auf allen Seiten zirpten die Heuschrecken im Grase, rechts schlug eine Wachtel, eine andre antwortete ihr von links her, worauf ein Gesang im Grase hin und her anhub, so daß es ihm zuletzt war, wie er dahinging, als habe er ein großes Gefolge um sich, obwohl er nichts sehn konnte. Der Wald zog sich blau, dann dunkel und immer dunkler zum Gebirge hinauf und glich einem großen Nebelmeer. Drinnen aber hörte er den Auerhahn spielen und balzen; eine einsame Eule schrie, und der Gießbach sang seine alten, harten Reime lauter als je – jetzt, wo sich alles niedergelassen hatte, um ihn anzuhören. Thorbjörn schaute nach Solbakken hinüber und schritt weiter. Er bog von den gewöhnlichen Wegen ab, kam schnell hinüber und stand bald in dem kleinen Garten, der Synnöve gehörte und der gerade unter dem einen Giebelfenster lag, gerade unter dem, hinter dem sie schlief. Er lauschte und spähte, aber alles war still. Da sah er sich im Garten nach Arbeitsgerät um und fand auch richtig Spaten und Rechen. Mit der Umgrabung des einen Beetes war schon begonnen worden, aber nur eine kleine Ecke war fertig geworden, in die aber schon zwei Blumen gesetzt worden waren, wahrscheinlich um zu sehn, wie es sich ausnehmen würde. – Sie ist müde geworden, die Ärmste, und hat die Arbeit aufgeben müssen, dachte er; hier ist eine männliche Kraft nötig, dachte er weiter und nahm die Arbeit in Angriff. Er fühlte keine Lust zum Schlafen, ja es war ihm, als habe er niemals eine so leichte Arbeit verrichtet. Er erinnerte sich, wie die Blumen gepflanzt werden sollten, er erinnerte sich auch des Pfarrgartens und richtete nun das eine nach dem andern. Die Nacht verstrich, aber er merkte es nicht, er ruhte kaum, und es gelang ihm auch, das ganze Beet umzugraben, die Blumen einzupflanzen und die eine und die andre wieder umzusetzen, um es noch schöner zu machen, und dabei warf er von Zeit zu Zeit einen Blick nach dem Giebelfenster hinauf, ob nicht vielleicht doch jemand ihn bemerke. Aber weder dort noch anderswo war jemand, auch hörte er nicht einmal einen Hund bellen. Endlich begann der Hahn zu krähen und weckte die Vögel des Waldes, die nun einer nach dem andern aufflogen, um ihre »Guten Morgen« zu singen. Während er so dastand und die Erde glattklopfte, fielen ihm die Märchen ein, die ihm Aslak früher erzählt hatte, und daß er ehemals geglaubt hatte, drüben auf Solbakken wüchsen Kobolde und Hexen. Er schaute zum Giebelfenster hinauf und lächelte bei dem Gedanken, was Synnöve wohl sagen würde, wenn sie in der Morgenstunde herunterkäme. Es war schon ganz hell geworden, die Vögel machten schon einen großen Lärm, deswegen schwang er sich über die Gartenhecke und eilte nach Hause. Ja, nun sollte nur einer sagen, daß er es gewesen wäre, der drüben in Synnöve Solbakkens Garten die Blumen eingepflanzt hätte!





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Solbakken = Sonnenhügel.



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