Книга - Jagd Auf Null

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Jagd Auf Null
Jack Mars


“Sie werden nicht schlafen können, bis sie AGENT NULL ausgelesen haben. Ein großartiges Werk mit einer Reihe von Charakteren, die ausgereift und unterhaltsam sind. Die Beschreibung der Actionszenen entführt uns in eine Realität, die sich fast wie im Kino mit Surround-Sound und 3D-Effekt anfühlt (es würde sich großartig als Hollywood-Film machen). Ich kann die Fortsetzung kaum erwarten.“ – Roberto Mattos, Books and Movie Reviews

Als CIA-Agent Null in JAGD AUF NULL (Buch #3) erfährt, dass seine beiden Teenager-Mädchen entführt wurden und sich auf dem Weg zu einem Menschenhandelsring nach Osteuropa befinden, beginnt er eine rasante Verfolgungsjagd quer durch ganz Europa und hinterlässt dabei eine Spur der Verwüstung, während er alle Regeln bricht, sein eigenes Leben riskiert und alles tut, um seine Töchter zurückzubekommen. Kent, der von der CIA zum Rückzug aufgefordert wird, weigert sich. Ohne die Unterstützung der Agentur, mit Maulwürfen und Auftragskillern zu allen Seiten, mit einer Geliebten, der er kaum vertrauen kann und während er selbst ins Visier genommen wird, muss sich Agent Null zahlreichen Gegnern stellen, um seine Mädchen zurückzubekommen. Gegen den tödlichsten Menschenhandelsring Europas, dessen politische Verbindungen bis an die Spitze reichen, ist dies ein unmöglicher Kampf – ein Mann gegen eine Armee – ein Gefecht, das nur Agent Null führen kann. Ihm wird bewusst, dass seine eigene Identität jedoch das möglicherweise verhängnisvollste Geheimnis von allen ist.

JAGD AUF NULL (Buch #3) ist ein Spionage-Thriller, den Sie nicht wieder aus den Händen legen werden können und der Sie bis tief in die Nacht hinein an sich fesseln wird.

“Thriller-Schreiben vom Feinsten.“ – Midwest Book Review (über Koste es, was es wolle)

“Einer der besten Thriller, die ich dieses Jahr gelesen habe.“ – Books and Movie Reviews (über Koste es, was es wolle)

Ebenfalls erhältlich ist Jack Mars’ #1 meistverkaufte LUKE STONE THRILLER SERIE (7 Bücher), die mit Koste es, was es wolle (Buch #1), einem kostenlosen Download mit über 800 Fünf-Sterne Bewertungen, beginnt!





Jack Mars

Jagd Auf Null



Copyright © 2019 durch Jack Mars. Alle Rechte vorbehalten. Außer wie gemäß unter dem US Urheberrecht von 1976 ausdrücklich gestattet, darf kein Teil dieser Veröffentlichung auf irgendeine Weise oder in irgendeiner Form, reproduziert, verteilt oder übertragen, oder in einem Datenbank- oder Datenabfragesystem gespeichert werden, ohne zuvor die ausdrückliche Erlaubnis des Autors eingeholt zu haben. Dieses E-Book ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt. Dieses E-Book darf kein zweites Mal verkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch an andere Personen weitergeben wollen, so erwerben Sie bitte für jeden Empfänger ein zusätzliches Exemplar. Wenn Sie dieses Buch lesen, ohne es käuflich erworben zu haben oder es nicht für Ihren alleinigen Gebrauch erworben wurde, so geben Sie es bitte zurück und erwerben Sie Ihr eigenes Exemplar. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit des Autors respektieren. Es handelt sich um eine fiktive Handlung. Namen, Charaktere, Geschäfte, Organisationen, Orte, Ereignisse und Zwischenfälle entspringen entweder der Fantasie des Autors oder werden fiktional benutzt. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen, ob tot oder lebendig, sind zufälliger Natur.



Jack Mars

Jack Mars ist der USA Today Bestseller Autor der LUKE STONE Thriller Serie, welche sieben Bücher umfasst (und weitere in Arbeit). Er ist außerdem der Autor der neuen WERDEGANG VON LUKE STONE Vorgeschichten Serie und der AGENT NULL Spionage-Thriller Serie.

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BÜCHER VON JACK MARS

LUKE STONE THRILLER SERIE

KOSTE ES WAS ES WOLLE (Buch #1)

AMTSEID (Buch #2)

LAGEZENTRUM (Buch #3)



EINE AGENT NULL SPIONAGE-THRILLER SERIE

AGENT NULL (Buch #1)

ZIELOBJEKT NULL (Buch #2)

JAGD AUF NULL (Buch #3)

EINE FALLE FÜR NULL (Buch #4)

AKTE NULL (Buch #5)

RÜCKRUF NULL (Buch #6)

ATTENTÄTER NULL (Buch #7)

KÖDER NULL (Buch #8)


Agent Null – Buch 2 Zusammenfassung (Rekapitulation für Buch 3)

Proben eines antiken, tödlichen Virus werden aus Sibirien gestohlen und in Spanien freigesetzt, wo sie Hunderte von Menschen binnen Stunden töten. Obwohl seine Erinnerungen als Agent der CIA immer noch bruchstückhaft sind, wird Agent Null dennoch wieder eingesetzt, um zu helfen, den Virus zu finden und zu sichern, bevor eine terroristische Organisation ihn in den Vereinigten Staaten freisetzen kann.



Agent Null: Weitere Erinnerungen an sein früheres Leben als Agent der CIA kehren zu ihm zurück, insbesondere jene über einen geheimen Komplott der amerikanischen Regierung, einen vorgeplanten Krieg aus heimtückischen Gründen zu entfesseln. Die Details über das, was er vor zwei Jahren wusste, sind trübe und wage. Bevor er jedoch die Möglichkeit hat, weiteres zu erforschen, kehrt er nach Hause zurück, wo er entdeckt, dass seine zwei Töchter entführt wurden.



Maya und Sara Lawson: Während der Abwesenheit ihres Vaters waren die Mädchen unter der aufmerksamen Obhut von Mr. Thompson, ihrem Nachbarn, einem pensionierten CIA Agenten. Als der Attentäter Rais einbrach, gab Thompson sein Bestes, um ihn abzuwehren, doch fand letzten Endes seinen Tod, während Maya und Sara entführt wurden.



Agent Maria Johansson: Erneut war Maria eine unentbehrliche Verbündete, als sie dabei half, den Pockenvirus zu sichern. Obwohl ihre neue Beziehung zu Kent fast romantisch wirkt, hat sie ihre eigenen Geheimnisse. Sie traf einen mysteriösen ukrainischen Agenten am Flughafen von Kiew, um zu besprechen, bei wem Agent Nulls Loyalitäten liegen.



Rais: Nach dem er geschlagen und seinem Tod in der Schweiz überlassen wurde, erholte sich Rais für mehrere Wochen in Handschellen und unter Aufsicht in einem Krankenhaus. Da ihm nichts weiteres als Zeit zur Verfügung stand, leitete er nicht nur eine blutige und tollkühne Flucht in die Wege, sondern schaffte es auch noch, in die USA einzureisen, bevor die internationalen Grenzen aufgrund des Virus geschlossen wurden. Von dort aus fiel es ihm leicht, das Zuhause der Lawsons aufzuspüren, den alten Mann umzubringen und Agent Nulls jugendliche Töchter zu entführen.



Agent John Watson: Als ein Mitglied des Teams, das den Pockenvirus sichern sollte, nahm Watson kein Blatt vor den Mund, dass ihm Agent Nulls waghalsige Taktiken missfallen. Nach ihrem Erfolg dabei, Imam Khalil aufzuhalten, haben die beiden jedoch Verständnis und gegenseitigen Respekt für einander entwickelt.



Deputy Direktorin Ashleigh Riker: Sie ist eine ehemalige Geheimdienstoffizierin, die sich zur Sondereinsatzgruppe hochgearbeitet hat. Riker arbeitet direkt unter der Leitung des Deputy Direktors Shawn Cartwright bei dem Einsatz, den Virus zu sichern. Sie versucht erst gar nicht, ihre Verachtung für Agent Null und die Freiheiten, die ihm die Agentur zugesteht, zu verstecken. Nachdem Null von einem weiteren Agenten unprovoziert angegriffen wurde, begann er, zu vermuten, dass Riker ein Teil der Verschwörung war – und dass man ihr deshalb nicht vertrauen darf.




Kapitel eins


Mit sechzehn Jahren war sich Maya Lawson fast sicher, dass sie bald sterben würde.

Sie saß auf dem Rücksitz eines Kleintransporters mit großer Kabine, während er die I-95 nach Süden, in Richtung Virginia, entlangraste. Ihre Knie waren noch weich vom Trauma und dem Gräuel dessen, was sie kaum eine Stunde zuvor erlebt hatte. Sie starrte teilnahmslos nach vorne und ihr Mund stand in dem erschütterten, leeren Blick ein wenig offen.

Der Wagen hatte ihrem Nachbarn, Mr. Thompson, gehört. Er war jetzt tot und lag wahrscheinlich noch in dem gefliesten Foyer der Lawsons in Alexandria. Der jetzige Fahrer des Transporters war sein Mörder.

Neben Maya saß ihre jüngere Schwester, Sara, die erst vierzehn war. Sie hatte ihre Beine unter sich eingezogen und ihren Körper an Mayas geschmiegt. Sara hatte, zumindest für den Moment, aufgehört zu schluchzen, doch mit jedem Atemzug entglitt ihrem offenen Mund ein leises Stöhnen.

Sara hatte keine Ahnung, was los war. Sie wusste nur, was sie gesehen hatte – den Mann in ihrem Zuhause. Den toten Mr. Thompson. Den Angreifer, der drohte, die Gliedmaßen ihrer Schwester zu brechen, damit Sara die Tür zum Panikraum im Keller öffnete. Sie hatte keine Ahnung davon, was Maya wusste, und auch Maya kannte nur einen kleinen Teil der ganzen Wahrheit.

Doch die ältere der beiden Lawson Geschwister wusste eines, oder sie war sich zumindest fast sicher: sie würde bald sterben. Sie wusste nicht, was der Fahrer des Wagens mit ihnen vorhatte – er hatte versprochen, ihnen nichts anzutun, solange sie tun würden, was er von ihnen verlangte – doch das hatte nichts zu bedeuten.

Trotz des gefühllosen Ausdrucks auf ihrem Gesicht arbeitete Mayas Gehirn wie verrückt. Nur eines war jetzt wirklich wichtig: es ging darum, Sara in Sicherheit zu bringen. Der Mann am Steuer war aufmerksam und kompetent, doch irgendwann würde er einen Fehler begehen. Wenn sie alles täten, was er verlangte, würde er zu selbstsicher werden, möglicherweise für nur eine Sekunde, und dann würde Maya handeln. Sie wusste noch nicht, was sie tun würde, doch es musste direkt, erbarmungslos und entkräftend sein. Es würde Sara die Chance zur Flucht ermöglichen, um in Sicherheit zu gelangen, zu anderen Menschen, zu einem Telefon.

Es würde Maya wahrscheinlich das Leben kosten. Dessen war sie sich jetzt schon schmerzhaft bewusst.

Ein weiteres, leises Seufzen entsprang den Lippen ihrer Schwester. Sie steht unter Schock, dachte Maya. Doch das Seufzen bekam ein Murmeln und sie bemerkte, dass Sara versuchte, zu sprechen. Sie beugte ihren Kopf in die Nähe von Saras Mund, um ihre leise Frage zu hören:

“Warum geschieht uns das?”

“Pssst.” Maya hielt Saras Kopf gegen ihre Brust und strich ihr sanft über das Haar. “Es kommt schon wieder alles in Ordnung.”

Sie bereute es, alsbald sie es gesagt hatte, denn es war eine leere Floskel, etwas, das die Menschen sagten, wenn sie sonst nichts anzubieten hatten. Nichts war in Ordnung und sie konnte auch nicht versprechen, dass wieder alles in Ordnung käme.

“Die Sünden des Vaters.” Der Mann am Steuer sprach zum ersten Mal, seit er sie gezwungen hatte, einzusteigen. Er sagte es ganz lässig, mit einer schaurig ruhigen Stimme. Dann erläuterte er etwas lauter: “Das geschieht euch, wegen der Entscheidungen und des Handelns eines bestimmten Reid Lawson, den andere als Kent Steele kennen und noch viele mehr als Agent Null.”

Kent Steele? Agent Null? Maya hatte keine Ahnung, wovon dieser Mann, der Mörder, der sich selbst Rais nannte, sprach. Doch sie wusste einige Dinge. Genug, um zu wissen, dass ihr Vater ein Agent einer Regierungsgruppe war – FBI, möglicherweise CIA.

“Er hat mir alles weggenommen.” Rais starrte geradeaus auf den Highway vor ihnen, doch er sprach in einem Tonfall von unverfälschtem Hass. “Jetzt habe ich ihm alles weggenommen.”

“Er wird uns finden”, erwiderte Maya. Ihr Ton war gedämpft, nicht herausfordernd, so als würde sie nur eine Tatsache erläutern. “Er wird uns suchen und Sie töten.”

Rais nickte, als ob er mit ihr übereinstimmen würde. “Er wird euch suchen, das stimmt. Und er wird versuchen, mich umzubringen. Das hat er schon zwei Mal versucht und mich dabei meinem Tod überlassen… einmal in Dänemark und dann nochmal in der Schweiz. Wusstest du das?”

Maya antwortete nicht. Sie hatte vermutet, dass ihr Vater etwas mit dem Terrorkomplott zu tun hatte, der einen Monat zuvor, im Februar, statt gefunden hatte. Dabei versuchte eine radikale Splittergruppe ein Bombenattentat auf das Weltwirtschaftsforum in Davos durchzuführen.

“Doch ich lebe weiter”, fuhr Rais fort. “Siehst du, ich dachte, es wäre meine Bestimmung, deinen Vater zu töten, doch ich lag falsch. Es ist mein Schicksal. Kennst du den Unterschied?” Er sprach in einem etwas zynischen Ton. “Natürlich weißt du das nicht. Du bist ein Kind. Die Bestimmung besteht aus Ereignissen, die man erfüllen sollte. Es ist etwas, dass man kontrollieren, lenken kann. Das Schicksal hingegen ist mächtiger als wir selbst. Es wird von einer anderen Macht bestimmt, einer, die wir nicht vollkommen verstehen können. Ich glaube nicht, dass ich aus dem Leben scheiden kann, bevor dein Vater durch meine Hand gestorben ist.”

“Du gehörst zu Amun”, sagte Maya. Es war keine Frage.

“Ich tat es einst. Doch Amun gibt es nicht mehr. Ich alleine bestehe weiter.”

Der Attentäter hatte bestätigt, was sie schon befürchtet hatte. Er war ein Fanatiker, jemand, der von der sektenähnlichen Terrorgruppe Amun indoktriniert wurde, bis er glaubte, dass seine Handlungen nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar notwendig wären. Maya hatte von Natur aus eine Gabe, die aus der gefährlichen Kombination von Intelligenz und Neugier bestand. Nach dem Bombenattentat in Davos hatte sie viel über Terrorismus und Fanatismus gelesen. Die Abwesenheit ihres Vaters während dieses Ereignisses führte sie zu der Spekulation, dass er etwas damit zu tun hatte, dass diese Organisation aufgehalten und zerlegt wurde.

Sie wusste ganz genau, dass dieser Mann sich nicht durch Bitten, Betteln oder Flehen beeinflussen lassen würde. Sie wusste, dass man ihn nicht umstimmen konnte, und es war ihr auch klar, dass er nicht davor Halt machen würde, Kinder zu verletzen. Das alles stärkte sie nur in ihrem Beschluss, zu handeln, sobald sich eine Möglichkeit ergeben würde.

“Ich muss zur Toilette.”

“Das ist mir egal”, antwortete Rais.

Maya runzelte die Stirn. Sie war schon einmal einem Mitglied von Amun auf der New Jersey Uferpromenade entkommen, indem sie vorgab, auf die Toilette zu müssen. So konnte sie auch ihre Schwester Sara in Sicherheit bringen. Keine Sekunde hatte sie die Geschichte ihres Vaters, dass es sich um ein Mitglied einer örtlichen Bande hielt, geglaubt. Es war das Einzige, was ihr jetzt einfiel, damit die beiden auch nur eine kostbare Minute allein zusammen hätten, doch ihre Bitte wurde abgelehnt.

Still fuhren sie einige Minuten auf der Bundesstraße in Richtung Süden weiter, während Maya über Saras Haar strich. Ihre jüngere Schwester schien sich soweit beruhigt zu haben, dass sie nicht mehr weinte. Vielleicht waren ihr aber auch einfach die Tränen ausgegangen.

Rais blinkte und lenkte den Wagen die nächste Abfahrt hinunter. Maya schielte aus dem Fenster und verspürte ein wenig Hoffnung, denn sie fuhren auf eine Raststätte zu. Sie war winzig, kaum mehr als ein Flecken für ein Picknick, der von Bäumen umsäumt war, und neben dem ein kleines, niedriges Backsteinhaus mit Toiletten stand, doch das war schon etwas.

Er würde sie die Toilette benutzen lassen.

Die Bäume, dachte sie. Wenn Sara es zum Wald schafft, dann kann sie ihn vielleicht abhängen.

Rais parkte den Kleintransporter und ließ den Motor einen Moment laufen, während er das Gebäude beobachtete. Maya tat dasselbe. Dort standen zwei Laster, lange Sattelzugmaschinen, die parallel zum Backsteinhaus geparkt waren, doch sonst war da niemand. Außerhalb der Toiletten standen ein paar Verkaufsautomaten unter einem Vordach. Mit Bestürzung bemerkte sie, dass es auf dem Gelände keine Kameras gab, zumindest keine sichtbaren.

“Die Damentoilette ist auf der rechten Seite,” stellte Rais fest. “Ich bringe euch dort hin. Solltest du versuchen, zu schreien oder nach jemandem zu rufen, dann bringe ich die Person um. Wenn du auch nur eine Geste oder ein Signal von dir gibst, dass irgendetwas nicht stimmt, dann bringe ich sie um. Ihr Blut klebt dann an deinen Händen.”

Sara zitterte erneut in ihren Armen. Maya umarmte sie fest. “Ihr zwei haltet euch an den Händen. Wenn ihr euch trennt, dann wird Sara verletzt.” Er drehte sich ein wenig um, damit er sie ansehen konnte – insbesondere Maya. Er hatte schon vermutet, dass sie diejenige sei, die ihm eher Schwierigkeiten bereiten würde. “Habt ihr mich verstanden?”

Maya nickte und lenkte dabei ihren Blick von seinen wilden, grünen Augen weg. Er hatte dunkle Ringe unter ihnen, so als ob er schon einige Zeit nicht mehr geschlafen hätte, und sein dunkles Haar war kurz abrasiert. Er schien nicht sehr alt, ganz bestimmt jünger als ihr Vater, doch sie konnte sein Alter nicht erraten.

Er hielt eine schwarze Pistole hoch – die Glock, die gerade noch ihrem Vater gehört hatte. Maya hatte versucht, sie gegen ihn zu verwenden, als er in das Haus eingebrochen war, und er hatte sie ihr entrissen. “Die hier ist in meiner Hand, und meine Hand wird in meiner Tasche sein. Wenn du mir Schwierigkeiten bereitest, so bedeutet das Schwierigkeiten für sie.” Mit dem Kopf wies er auf Sara. Sie wimmerte ein wenig.

Rais stieg zuerst aus und steckte seine Hand mit der Pistole in seine schwarze Jackentasche. Dann öffnete er die hintere Tür des Wagens. Maya kam zuerst heraus, ihre Beine zitterten als ihre Füße den Asphalt berührten. Sie streckte sich zurück in das Auto, um nach Saras Hand zu greifen und ihrer jüngeren Schwester herauszuhelfen.

“Los.” Die Mädchen liefen vor ihm, als sie sich auf die Toilette zubewegten. Sarah fröstelte, denn Ende März in Virginia bedeutete, dass das Wetter gerade erst umschlug und es zwischen 12 und 15 Grad waren. Beide Mädchen hatten noch ihre Schlafanzüge an. Maya trug nur Flip-Flops an den Füßen, gestreifte Flanellhosen und ein schwarzes, ärmelloses Hemd. Ihre Schwester hatte Turnschuhe ohne Socken, Popeline-Schlafanzughosen mit einem Ananasaufdruck und ein altes T-Shirt ihres Vaters, ein gebatiktes, altes Ding mit dem Logo einer Band, von der die beiden noch nie etwas gehört hatten, an.

Maya drehte den Türknopf und ging zuerst in die Toilette. Angewidert rümpfte sie instinktiv ihre Nase. Der Raum stank nach Urin und Schimmel, und der Boden war aufgrund eines undichten Rohres am Waschbecken nass. Dennoch zerrte sie Sarah hinter sich in die Toilette hinein.

Es gab ein einziges Fenster dort, mit einer Scheibe aus mattiertem Glas, hoch oben an der Wand, die sich nach außen öffnen würde, gäbe man ihr einen kräftigen Stoß. Bekäme sie ihre Schwester dort durch einen Schubs hoch und hinaus, dann könnte sie Rais ablenken, während Sara ihm entkäme…

“Bewegt euch.” Maya zuckte zusammen, als der Attentäter nach ihnen in die Toilette kam. Er würde sie keine Minute allein lassen. “Du, dahin.” Er zeigt auf Maya und dann auf das zweite von drei Toilettenabteilen. Er wies Sara auf das dritte.

Maya ließ die Hand ihrer Schwester los und ging in das Abteil. Es war verdreckt. Sie hätte es nicht einmal benutzen wollen, wenn sie wirklich gemusst hätte, doch sie musste wenigstens so tun, als ob. Sie begann, die Tür zu schließen, doch Rais hielt sie mit seiner Handfläche offen.

“Nein”, befahl er ihr. “Lass sie offen.” Und dann drehte er sich um und blickte in Richtung Ausgang.

Er geht keine Risiken ein. Sie setzte sich langsam auf den geschlossenen Toilettendeckel und atmete in ihre Hände. Es gab nichts, was sie tun könnte. Sie hatte keine Waffen gegen ihn. Er hatte ein Messer und zwei Pistolen, von der sich eine gerade in seiner Hand, versteckt in der Jackentasche, befand. Sie könnte versuchen, auf ihn zu springen, damit Sara entkam, doch er blockierte die Tür. Er hatte schon Mr. Thompson umgebracht, und das war ein ehemaliger Marine und ein Bär von Mann, mit dem die meisten einen Kampf um jeden Preis vermeiden würden. Welche Chance hätte sie schon gegen ihn?

Sara schniefte in der Kabine neben ihr. Das ist nicht der richtige Moment, um zu handeln, wusste Maya. Sie hatte darauf gehofft, doch sie würde weiter warten müssen.

Plötzliche quietschte die Tür zur Toilette laut, als sie aufgestoßen wurde, und eine überraschte weibliche Stimme rief, “Oh! Entschuldigung… bin ich in der falschen Toilette?”

Rais trat einen Schritt zur Seite, neben das Abteil und außerhalb von Mayas Sichtweite. “Es tut mit so leid, meine Dame. Nein, sie sind am richtigen Ort.” Seine Stimme verstellte sich sofort zu einem angenehmen, fast höflichen Tonfall.

“Meine zwei Töchter sind hier drin und… naja, vielleicht bin ich ein wenig zu beschützerisch, aber dieser Tage kann man einfach nie zu vorsichtig sein.”

Diese Finte ließ den Ärger in Maya aufbrodeln. Die Tatsache, dass dieser Mann sie von ihrem Vater entführt hatte und jetzt vorgab, er zu sein, ließ ihr Gesicht vor Wut aufglühen.

“Oh, ich verstehe. Ich möchte nur das Waschbecken benutzen”, antwortete die Frau.

“Natürlich.”

Maya hörte, wie ihre Schuhe gegen die Kacheln klickten, und dann kam eine Frau teilweise in ihr Sichtfeld. Sie hatte ihr Gesicht von ihr abgewandt, als sie am Wasserhahn drehte. Sie schien mittleren Alters, mit Haar, das ihr ein wenig über die Schulter reichte, und war vornehm angezogen.

“Ich kann es ihnen nicht zum Vorwurf machen”, meinte die Frau zu Rais. “Unter gewöhnlichen Umständen würde ich niemals an einem solchen Ort anhalten, doch ich habe, auf dem Weg, meine Familie zu besuchen, meinen Kaffee verschüttet und… äh…” Sie wurde abgelenkt, als sie in den Spiegel blickte.

Dort konnte die Frau die offene Tür des Abteils erkennen und wie Maya da auf der geschlossenen Toilette saß. Maya hatte keine Ahnung, wie sie auf einen Fremden wirken würde – verheddertes Haar, die Wangen aufgedunsen vom Weinen, gerötete Augen – doch sie konnte sich vorstellen, dass ihr Anblick Grund zur Sorge auslöste.

Der Blick der Frau huschte zu Rais und dann wieder zurück zum Spiegel. “Äh… Ich konnte einfach keine weiteren anderthalb Stunden mit klebrigen Händen fahren…” Sie blickte über ihre Schulter, während das Wasser noch floss und sagte lautlos drei sehr klare Worte zu Maya.

Alles in Ordnung?

Mayas Unterlippe zitterte. Bitte sprich nicht mit mir. Bitte schau mich nicht mal an. Sie schüttelte langsam den Kopf. Nein.

Rais musste sich wieder in Richtung Tür umgedreht haben, denn die Frau nickte langsam.

Nein! Dachte Maya verzweifelt. Sie versuchte, nicht um Hilfe zu bitten.

Sie wollte die Frau davor schützen, dasselbe Schicksal wie Thompson zu erleiden.

Maya winkte die Frau mit der Hand weg und sagte stumm ein Wort zurück zu ihr. Geh. Geh.

Die Frau runzelte tief die Stirn, ihre Hände waren immer noch tropfnass. Sie blickte zurück in Richtung Rais. “Papiertücher sind wohl zu viel erwartet, was?”

Sie sagte es mit ein wenig zu viel Druck.

Dann machte sie, mit ihrem Daumen und kleinen Finger, eine Geste zu Maya, das Zeichen für ein Telefon.

Sie wollte wohl andeuten, dass sie jemanden anrufen würde.

Bitte geh einfach.

Als die Frau sich wieder in Richtung Tür umdrehte, bewegte sich alles plötzlich ganz schnell und verschwommen. Es geschah so schnell, dass Maya sich zuerst gar nicht sicher war, dass es überhaupt passiert war. Die Frau erstarrte, ihre Augen weiteten sich vom Schock.

Ein dünner Blutstrahl spritzte aus ihrem offenen Rachen und sprühte gegen den Spiegel und das Waschbecken.

Maya hielt sich mit beiden Händen den Mund zu, um den Schrei, der aus ihren Lungen stieß, zu ersticken. Gleichzeitig riss die Frau beide Hände zu ihrem Hals, doch den Schaden, der hier angerichtet wurde, konnte man nicht wieder gutmachen. Blut lief in Rinnsalen über und zwischen ihren Fingern, während sie auf die Knie sank und ein sanftes Gurgeln ihren Lippen entsprang.

Maya kniff ihre Augen zu, beide Hände immer noch über ihrem Mund. Sie wollte es nicht mit ansehen. Sie wollte nicht dabei zusehen, wie diese Frau wegen ihr starb. Ihr Atem entwich ihr in wogenden, erstickten Schluchzern. Aus der nächsten Kabine hörte sie, wie Sara leise wimmerte.

Als sie es wagte, ihre Augen erneut zu öffnen, starrte die Frau sie zurück an. Eine Wange ruhte auf dem dreckigen, nassen Boden.

Die Blutlache, die ihrem Hals entsprungen war, reichte fast bis zu Mayas Füßen.

Rais beugte sich hinunter und säuberte sein Messer an der Bluse der Frau. Als er Maya wieder ansah, blickte keine Wut oder Verzweiflung aus seinen zu grünen Augen. Es war Enttäuschung.

“Ich hatte dir gesagt, was geschehen würde”, erklärte er sanft. “Du hast versucht, ihr ein Zeichen zu geben.”

Tränen ließen Mayas Blick verschwimmen. “Nein”, gelang es ihr, herauszuwürgen. Sie konnte ihre bebenden Lippen und zitternden Hände nicht kontrollieren. “Ich – ich habe nicht…”

“Doch”, unterbrach er sie ruhig. “Hast du wohl. Ihr Blut klebt an deinen Händen.”

Maya begann, zu hyperventilieren, sie schluckte ihre Atemzüge keuchend hinunter. Sie lehnte sich vornüber, steckte ihren Kopf zwischen ihre Knie, die Augen dabei fest zugekniffen und ihre Finger in ihrem Haar.

Zuerst Mr. Thompson und jetzt diese unschuldige Frau. Beide waren nur deshalb gestorben, weil sie ihr zu nah waren, zu nah an dem, was dieser Verrückte wollte – und er hatte nun schon zwei Mal bewiesen, dass er bereit war zu töten, sogar ganz unwillkürlich, um das zu bekommen, was er wollte.

Als sie schließlich wieder ihren Atem unter Kontrolle bekam und den Mut gefasst hatte, erneut aufzublicken, hatte Rais die schwarze Handtasche der Frau ergriffen und war dabei, sie zu durchwühlen. Sie sah dabei zu, wie er ihr Telefon herausnahm und sowohl den Akku als auch die SIM-Karte herausriss.

“Steh auf”, befahl er Maya, als er in die Toilettenkabine trat. Sie stand schnell auf, wich an die Metall-Trennwand zurück und hielt den Atem an.

Rais spülte den Akku und die SIM-Karte das Klo hinunter. Dann drehte er sich zu ihr um, sein Gesicht nur Zentimeter von ihrem entfernt in dem begrenzten Raum. Sie konnte seinen Blick nicht erwidern. Stattdessen starrte sie nur auf sein Kinn.

Er baumelte etwas vor ihrem Gesicht – einen Bund mit Autoschlüsseln.

“Los geht’s”, sagte er leise. Er ging aus der Kabine und hatte anscheinend kein Problem damit, durch die große Blutlache auf dem Boden zu schreiten.

Maya blinzelte. Bei der Raststätte ging es gar nicht darum, sie die Toilette benutzen zu lassen. Dieser Attentäter hatte nicht ein Gramm Menschlichkeit bewiesen. Es war einfach nur eine Möglichkeit für ihn gewesen, Thompsons Wagen loszuwerden.

Weil die Polizei ihn suchen könnte.

Zumindest hoffte sie das. Falls ihr Vater noch nicht zurückgekehrt war, wäre es eher unwahrscheinlich, dass jemand das Verschwinden der Lawson Mädchen bemerkt hatte.

Maya trat so behutsam wie möglich auf, um die Blutpfütze zu vermeiden – und um nicht die Leiche auf dem Boden ansehen zu müssen. Jedes ihrer Gliedmaße fühlte sich weich wie Gelatine an. Sie fühlte sich schwach, machtlos gegen diesen Mann. All die Entschiedenheit, die sie vor nur einigen Minuten im Kleintransporter ihr Eigen nannte, hatte sich wie Zucker in kochendem Wasser aufgelöst.

Sie nahm Sara an der Hand. “Schau nicht hin”, flüsterte sie und lenkte ihre jüngere Schwester um den Körper der Frau. Sara starrte zur Decke hinauf und atmete tief durch ihren offenen Mund. Ihre Wangen waren erneut von Tränen überströmt. Ihr Gesicht war weiß wie ein Laken und ihre Hand fühlte sich feuchtkalt an.

Rais öffnete die Toilettentür nur ein paar Zentimeter und spähte nach draußen. Dann hielt er eine Hand hoch. “Wartet.”

Maya lugte um ihn herum und sah, wie ein beleibter Mann mit einer Fernfahrermütze von den Herrentoiletten wegging, während er sich die Hände an seinen Jeans abtrocknete. Sie drückte Saras Hand und glättete mit der anderen instinktiv ihr eigenes, ungekämmtes Haar.

Sie konnte diesen Mörder nicht bekämpfen, zumindest nicht, ohne eine eigene Waffe zu haben. Sie konnte auch nicht versuchen, die Hilfe eines Fremden zu beanspruchen, denn sonst könnte ihm das gleiche wie der toten Frau hinter ihnen widerfahren. Es gab jetzt nur noch eine Chance: sie mussten warten und hoffen, dass ihr Vater sie rettete… was er nur tun könnte, wenn er wüsste, wo sie waren. Doch es gab nichts, was ihm dabei helfen würde, sie zu finden. Maya hatte jedoch keine Möglichkeit, Hinweise oder Spuren zu hinterlassen.

Ihre Finger verworren sich in ihrem Haar und befreiten sich, indem sie ein paar lose Strähnen mit sich nahmen. Sie schüttelte sie aus der Hand und sie fielen langsam zu Boden.

Haar.

Sie hatte Haare. Und Haare konnte man testen – das war einfache Kriminalistik. Blut, Speichel, Haare. All diese Dinge konnten beweisen, dass sie an einem Ort war, und dass sie immer noch am Leben war, als sie sich dort aufhielt. Wenn die Behörden Thompsons Wagen fänden, würden sie auch auf die tote Frau stoßen, und dann würden sie Proben sammeln. Sie würden ihr Haar finden. Ihr Vater würde wissen, dass sie dort waren.

“Geht”, befahl Rais ihnen. “Raus.” Er hielt die Tür auf, während die beiden Mädchen, die sich an der Hand hielten, die Toilette verließen. Er folgte ihnen und blickte sich noch einmal um, um sicherzustellen, dass sie niemand beobachtete. Dann nahm er Mr. Thompsons schweren Smith & Wesson Revolver heraus und spielte damit in seiner Hand herum. Mit einer einzigen, forschen Bewegung schwang er den Griff der Waffe nach unten und schlug dabei den Knauf der geschlossenen Toilettentür ab.

“Das blaue Auto.” Er zeigte mit seinem Kinn darauf und steckte den Revolver weg. Die Mädchen gingen langsam auf den dunkelblauen Limousinenwagen zu, der, einige Plätze von Thompsons Kleintransporter weg, geparkt war. Saras Hand zitterte in Mayas – oder vielleicht war es auch Mayas, die zitterte, sie war sich nicht sicher.

Rais fuhr das Auto aus der Raststätte hinaus und auf die Bundesstraße, doch nicht in Richtung Süden, wohin sie zuvor gefahren waren. Stattdessen drehte er um und fuhr gen Norden. Maya verstand, was er tat. Wenn die Behörden Thompsons Wagen fänden, würden sie annehmen, dass er sich weiter nach Süden bewegte. Sie würden nach ihm und ihnen suchen, doch an den falschen Orten.

Maya riss sich ein paar weitere Haarsträhnen aus und ließ sie auf den Boden des Autos fallen. Sie stimmte dem Psychopathen, der sie entführt hatte, in einem zu. Ihr Schicksal wurde durch eine äußere Macht bestimmt, und in diesem Fall war er diese Macht. Und es war eines, das Maya noch nicht ganz verstehen konnte.

Jetzt hatten sie nur noch eine Möglichkeit, zu vermeiden, was auch immer dieses Schicksal für sie bereithielt.

“Papa wird kommen”, flüsterte sie in das Ohr ihrer Schwester. “Er wird uns finden.”

Sie versuchte, dabei nicht so unsicher zu klingen, wie sie sich fühlte.




Kapitel zwei


Reid Lawson eilte die Treppen seines Zuhause in Alexandria, Virginia hinauf. Seine Bewegungen erschienen hölzern, seine Beine fühlten sich immer noch benommen an von dem Schock, der ihm nur Minuten zuvor widerfahren war, doch sein Blick hatte den Ausdruck verbissener Entschlossenheit. Er nahm zwei Stufen auf einmal auf dem Weg zum zweiten Stockwerk, jedoch hatte er Angst vor dem, was er dort oben finden würde – oder besser gesagt, was er dort nicht finden würde.

Unten und draußen wimmelte es vor lauter Tätigkeit. Auf der Straße, vor seinem Haus, standen nicht weniger als vier Polizeiautos, zwei Kranken- und ein Feuerwehrwagen, die bei einer Situation wie dieser zum Protokoll gehörten. Uniformierte Polizisten versiegelten seine Eingangstür mit Sicherheitsklebeband in Form eines X. Die Spurensicherung nahm Proben von Thompsons Blut im Foyer und Haarfollikel von den Kissen seiner Töchter.

Reid konnte sich kaum noch daran erinnern, überhaupt die Behörden gerufen zu haben. Er hatte kaum noch Erinnerung daran, der Polizei eine Aussage gemacht zu haben, ein stammelndes Flickwerk aus fragmentierten Sätzen, das durch seinen kurzen, keuchenden Atem unterbrochen wurde, während sein Gehirn von entsetzlichen Möglichkeiten überflutet wurde.

Er hatte das Wochenende außerhalb mit einem Freund verbracht. Ein Nachbar hatte auf die Mädchen aufgepasst.

Der Nachbar war jetzt tot. Seine Mädchen waren verschwunden.

Reid tätigte einen Anruf, als er im Obergeschoss ankam, außerhalb der Reichweite von neugierigen Mithörern.

“Du hättest uns zuerst anrufen sollen”, begrüßte ihn Cartwright. Der Deputy Direktor Shawn Cartwright war der Leitende der Sonderabteilung und inoffiziell Reids Chef bei der CIA.

Sie hatten schon davon gehört. “Woher wusstest du es?”

“Du bist gekennzeichnet”, sagte Cartwright. “Wir alle sind es. Jedes Mal, wenn unsere Info in einem System auftaucht – Name, Adresse, Steuernummer, egal was – dann wird sie automatisch mit Vorrang zur nationalen Sicherheitsbehörde geschickt. Verdammt, du brauchst nur einen Strafzettel zu bekommen, und die Agentur weiß schon Bescheid, bevor die Polizei dich weiterfahren lässt.”

“Ich muss sie finden.” Jede Sekunde, die auf der Uhr vorbei tickte, klang wie ein donnernder Chor, der ihn daran erinnerte, dass er seine Töchter vielleicht nie wieder sehen würde, wenn er nicht sofort, in diesem Moment, aufbräche. “Ich habe Thompsons Leiche gesehen. Er ist schon seit mindestens vierundzwanzig Stunden tot. Das ist ein wichtiger Hinweis für uns. Ich brauche eine Ausrüstung, und ich muss gehen. Jetzt.”

Als seine Frau, Kate, zwei Jahre zuvor an einem Hirninfarkt verstorben war, fühlte er sich komplett taub. Ein benommenes, unbeteiligtes Gefühl hatte sich seiner bemächtigt. Nichts fühlte sich echt an, als ob er jeden Moment von einem Alptraum erwachen würde, um herauszufinden, dass sich alles nur in seinem Kopf abgespielt hatte.

Er war nicht für sie dagewesen. Er hatte an einer Konferenz über antike europäische Geschichte teilgenommen – nein, das stimmte nicht. Es war nur seine Deckung, während er in Wirklichkeit bei einem CIA-Einsatz in Bangladesch war und einem Hinweis über eine Terrorzelle nachging.

Doch er war damals nicht für Kate dagewesen. Er war auch nicht für seine Mädchen da, als sie entführt wurden.

Doch todsicher würde er jetzt für sie da sein.

“Wir werden dir helfen, Null”, versicherte Cartwright ihm. “Du bist einer von uns, und wir kümmern uns um die unseren. Wir schicken Techniker zu dir nach Hause, damit sie der Polizei bei den Ermittlungen helfen. Sie werden sich als Personal der inneren Sicherheit ausgeben. Unsere Spurensicherer arbeiten schneller, wir sollten eine Spur binnen der nächsten —”

“Ich weiß, wer es war”, unterbrach ihn Reid. “Er war es.” Es gab für Reid keine Zweifel daran, wer dafür verantwortlich war, wer eingebrochen und seine Mädchen entführt hatte. “Rais.” Er brauchte nur den Namen laut nennen, um seinen Zorn erneut auflodern zu lassen. Er begann in seiner Brust und weitete sich auf jedes einzelne seiner Gliedmaße aus. Er ballte seine Hände zu Fäusten, damit sie nicht zitterten. “Der Amun Attentäter, der aus der Schweiz entkam. Er war es.”

Cartwright seufzte. “Null, solange wir keine Beweise haben, können wir das nicht mit Sicherheit behaupten.”

“Ich schon. Ich weiß es. Er hat mir ein Foto von ihnen geschickt.” Er hatte ein Foto erhalten, das von Saras Handy auf Mayas geschickt wurde. Das Foto war von seinen Töchtern, die immer noch Schlafanzüge trugen und zusammengekauert auf dem Rücksitz von Thompsons Wagen saßen.

“Kent”, warnte der stellvertretende Direktor vorsichtig, “du hast dir eine Menge Leute zum Feind gemacht. Das bestätigt nicht —”

“Er war es. Ich weiß, dass er es war. Dieses Photo bestätigt, dass sie noch leben. Er stichelt. Jeder andere hätte einfach…” Er konnte es nicht über die Lippen bringen, doch jeglicher von der Unzahl von Gegnern, die Kent Steele sich über den Lauf seiner Karriere gemacht hatte, hätte die Mädchen aus Rache einfach umgebracht. Rais tat dies, weil er ein Fanatiker war, der glaubte, dass es sein Schicksal war, Kent Steele zu töten. Das bedeutete, dass der Attentäter letztendlich von Reid gefunden werden wollte – und hoffentlich würden dabei auch die Mädchen wieder auftauchen.

Ob sie aber noch am Leben sind, wenn ich sie finde… Er griff sich mit beiden Händen an die Stirn, als ob er so vielleicht einen Gedanken aus seinem Gehirn zerren könnte. Bleib jetzt klar im Kopf. Du darfst so nicht denken.

“Null? “ erkundigte sich Cartwright. “Bist du noch dran?”

Reid atmete tief ein, um sich zu beruhigen. “Ich bin da. Hör mal, wir müssen Thompsons Wagen orten. Es ist ein neueres Modell und hat ein Navigationsgerät. Außerdem hat er auch Mayas Handy. Ich bin mir sicher, dass die Agentur ihre Nummer hat.” Sowohl den Wagen als auch das Telefon könnte man orten. Stimmten die Standorte überein und Rais hatte sich noch keinem der beiden entledigt, so hätten sie schon eine zuverlässige Richtung, in der sie suchen könnten.

“Kent, hör zu…” versuchte Cartwright einzuwenden, doch Reid unterbrach ihn sofort.

“Wir wissen, dass Amun Mitglieder in den Vereinigten Staaten hat”, quasselte er sofort weiter. Zwei Terroristen hatten seinen Mädchen schon zuvor auf der New Jersey Uferpromenade nachgestellt. “Es ist also möglich, dass es innerhalb der US Grenzen einen geheimen Unterschlupf von Amun gibt. Wir sollten H-6 kontaktieren und versuchen, Informationen von den Gefangenen dort herauszufinden.” H-6 war ein geheimes Gefängnis der CIA in Marokko, in dem verhaftete Mitglieder der Terrorgruppe zur Zeit festgehalten wurden.

“Null—”, versuchte Cartwright erneut in die einseitige Unterhaltung einzugreifen.

“Ich packe ein Tasche und verschwinde hier in zwei Minuten”, erklärte Reid ihm, während er in sein Schlafzimmer eilte. Jeder Moment, der verstrich, war ein Moment, der seine Mädchen weiter von ihm entfernte. “Die Transportsicherheitsbehörde sollte alarmiert werden, falls er versucht, sie außer Landes zu bringen. Gebt auch den Häfen und Bahnhöfen Bescheid. Und die Highway Kameras – zu denen haben wir Zugang. Schick mir jemanden zu einem Treffen, sobald wir einen Hinweis haben. Ich brauche ein Auto, ein schnelles. Und ein Handy von der Agentur, einen GPS-Orter, Waffen —”

“Kent!” schrie Cartwright ins Telefon. “Jetzt warte doch mal eine Sekunde, okay?”

“Warten? Es geht hier um meine kleinen Mädchen, Cartwright. Ich brauche Informationen. Ich brauche Hilfe…”

Der Deputy Direktor seufzte tief, und Reid wusste sofort, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht stimmte.

“Du gehst nicht auf diesen Einsatz, Agent”, befahl ihm Cartwright. “Du bist da zu nah dran.”

Reids Brust bebte, seine Wut brach erneut aus. “Was redest du da?” fragt er leise. “Was für einen Mist redest du da? Ich gehe auf die Suche nach meinen Mädchen —”

“Das tust du nicht.”

“Das sind meine Kinder…”

“Hör dir doch einfach mal selbst zu”, antwortete Cartwright scharf. “Du zeterst. Du bist emotional. Das ist ein Interessenkonflikt. Wir können das nicht zulassen.”

“Du weißt genau, dass ich die beste Person dafür bin”, gab Reid eindringlich zurück. Niemand sonst würde auf die Suche nach seinen Kindern gehen. Das war seine Aufgabe. Er musste es tun.

“Tut mir leid, aber du hast einfach die Angewohnheit, die falsche Art von Aufmerksamkeit auf dich zu lenken”, sagte Cartwright, als sei dies eine Erklärung. “Die Bosse von oben versuchen, eine… wollen wir es eine Wiederholungsvorstellung nennen, zu vermeiden.”

Reid sträubte sich. Er wusste ganz genau, wovon Cartwright sprach, doch er konnte sich nicht wirklich daran erinnern. Vor zwei Jahren starb seine Frau, Kate, und Kent Steele vergrub seine Trauer in Arbeit. Er brach für Wochen alleine auf und unterbrach jegliche Kommunikation mit seinem Team, während er Mitglieder von Amun und Hinweise in ganz Europa verfolgte. Er weigerte sich, nach Hause zurückzukehren, als die CIA es ihm befahl. Er hörte auf niemanden – weder auf Maria Johansson, noch auf seinen besten Freund, Alan Reidigger. Soweit Reid verstand, hinterließ er einen Haufen Leichen in seinem Kielwasser, was die meisten nichts anderes als einen Amoklauf nannten. Dies war sogar der Hauptgrund, dass Aufrührer aus der ganzen Welt den Namen “Agent Null” mit genau so viel Angst wie Verachtung flüsterten.

Als es der CIA letztendlich zu viel wurde, schickten sie jemanden, um ihn stillzulegen. Sie schickten Reidigger nach ihm. Doch Alan brachte Kent Steele nicht um, er fand einen anderen Ausweg. Er verwendete einen experimentellen Gedächtnishemmer, der es ihm ermöglichte, alles über sein Leben in der CIA zu vergessen.

“Ich verstehe schon. Ihr habt Angst davor, was ich tun könnte.”

“Genau”, stimmte Cartwright ihm zu. “Damit triffst du den Nagel auf den Kopf.”

“Das solltet ihr auch.”

“Null”, warnte ihn der Deputy Direktor, “tu es nicht. Lass das einfach uns regeln, damit alles schnell, leise und sauber abläuft. Ich sage es dir nicht nochmal.”

Reid legte auf. Er würde seine Mädchen suchen, mit oder ohne die Hilfe der CIA.




Kapitel drei


Nachdem er das Gespräch mit dem Deputy Direktor abgewürgt hatte, stand Reid vor Saras Schlafzimmertür. Er hatte seine Hand am Türknauf. Er wollte nicht eintreten, doch er musste es tun.

Stattdessen lenkte er sich mit den ihm bekannten Details ab und ließ sie noch einmal vor sich abspielen: Reid hatte das Haus durch eine nicht abgeschlossene Tür betreten. Es gab keine Anzeichen von Einbruch, kein Fenster oder Türschloss war beschädigt. Thompson hatte versucht, ihn abzuwehren, es war zu einen Kampf gekommen. Letztendlich war der alte Mann jedoch an Messerstichen in der Brust erlegen. Keine Schüsse waren gefeuert worden, doch die Glock, die Reid in der Nähe der Eingangstür aufbewahrt hatte, war verschwunden. Das gleiche galt für die Smith & Wesson, die Thompson ständig an der Hüfte trug. Das bedeutete, dass Rais jetzt bewaffnet war.

Doch wohin würde er sie bringen? Keiner der Beweise am Tatort, zu dem sein Zuhause geworden war, führte zu einem Ziel.

In Saras Zimmer stand immer noch das Fenster offen und die Feuerleiter war weiterhin von der Fensterbank entrollt. Es schien, als hätten seine Töchter versucht, oder zumindest mit dem Gedanken gespielt, sie herunterzuklettern. Es war ihnen jedoch nicht gelungen.

Reid schloss seine Augen und atmete tief in seine Hände, er unterdrückte die sich androhenden weiteren Tränen, die neuen Angstgefühle. Stattdessen zog er das Aufladegerät ihres Handys, das immer noch neben ihrem Nachttisch angeschlossen war, aus der Steckdose.

Er hatte ihr Telefon auf dem Kellerboden gefunden, doch die Polizei darüber nicht informiert. Genauso wenig hatte er ihnen das Foto gezeigt, das auf das Handy geschickt wurde – das mit der Absicht geschickt wurde, es ihn sehen zu lassen. Er konnte das Handy nicht übergeben, obwohl es ganz klar ein Beweisstück war.

Er würde es vielleicht brauchen.

In seinem eigenen Schlafzimmer schloss Reid Saras Handy an die Steckdose, hinter seinem Bett, an. Er stellte es auf lautlos und aktivierte dann die Weiterleitung von Anrufen und Nachrichten zu seiner Nummer. Zum Schluss versteckte er es zwischen seiner Matratze und dem Lattenrost. Er wollte nicht, dass die Polizei es beschlagnahmte. Es musste aktiv bleiben, falls noch mehr Sticheleien ankämen. Sie würden zu seinen Anhaltspunkten werden.

Rasch stopfte er ein paar Kleidungsstücke in eine Tasche. Er wusste nicht, wie lange er wegbliebe, wie weit er gehen müsste. Bis zum Ende der Welt, falls notwendig.

Er zog seine Sportschuhe aus und wechselte zu Stiefeln. Er verstaute sein Portemonnaie in oder obersten Schublade seiner Kommode. In diesem Möbelstück, tief im Inneren eines Paar Herrenschuhen versteckt, befand sich ein Bündel von Banknoten, das er für einen Notfall zurückgelegt hatte. Es waren fast fünfhundert Dollar. Er nahm alles mit.

Auf der Kommode stand ein gerahmtes Foto seiner Mädchen. Seine Brust spannte sich beim bloßen Blick darauf an.

Maya hatte ihren Arm um Saras Schultern gelegt. Beide Mädchen hatten ein breites Lächeln auf den Lippen. Sie saßen ihm gegenüber in einem Fischrestaurant, während er dieses Foto gemacht hatte. Es stammte von einem Familienurlaub in Florida im letzten Jahr. Er konnte sich gut daran erinnern. Er hatte den Schnappschuss nur ein paar Momente, bevor ihr Essen serviert wurde, gemacht. Maya hatte einen Daiquiri ohne Rum vor sich. Sara einen Vanille-Milchshake.

Sie waren glücklich. Lächelten. Zufrieden. Sicher. Bevor er diese ganze Horrorgeschichte ausgelöst hatte, waren sie sicher. Als dieses Foto gemacht wurde, schien die reine Idee, dass sie von Radikalen verfolgt würden, die ihnen etwas antun wollten, von Mördern entführt, aus einer kranken Fantasiewelt zu stammen.

Das ist alles deine Schuld.

Er drehte den Rahmen um und riss die Rückseite auf. Während er dies tat, versprach er sich selbst etwas. Wenn er sie gefunden hatte – und er würde sie finden – dann wäre er fertig damit. Fertig mit der CIA. Fertig mit den geheimen Einsätzen. Fertig damit, die Welt zu retten.

Zum Teufel mit der Welt. Ich will einfach nur, dass meine Familie sicher ist und in Sicherheit bleibt.

Er würde weggehen, weit weg ziehen, ihre Namen ändern, falls notwendig. Das Einzige, was ihm für den Rest seines Lebens noch etwas bedeutete, wäre ihre Sicherheit, ihr Glück. Ihr Überleben.

Er nahm das Foto aus dem Rahmen, faltete es auf die Hälfte und steckte es in seine innere Jackentasche.

Er bräuchte eine Waffe. Er könnte wahrscheinlich eine in Thompsons Haus finden, direkt nebenan, würde er es schaffen, dort hineinzukommen, ohne dass die Polizei oder das Notfallpersonal ihn sähen —

Jemand räusperte sich lautstark im Flur, offensichtlich ein Warnsignal, das ihm galt, falls er einen Moment Zeit bräuchte, um sich zusammenzureißen.

“Mr. Lawson.” Der Mann trat in die Tür des Schlafzimmers. Er war klein und hatte einen Bauch, doch harte Falten standen in seinem Gesicht. “Mein Name ist Detective Noles von der Alexandria Polizeibehörde. Ich verstehe, dass dies ein besonders schwieriger Moment für sie ist. Ich weiß, dass sie den Kollegen vom Notdienst schon eine Aussage gemacht haben, doch ich habe noch einige weitere Fragen an Sie, die ich gerne in der Akte hätte. Würden Sie mich bitte auf das Revier begleiten?”

“Nein.” Reid griff nach seiner Tasche. “Ich werde jetzt meine Mädchen finden.” Er marschierte am Kriminalbeamten vorbei aus dem Zimmer.

Noles folgte ihm schnell. “Mr. Lawson, wir raten Bürgern stark davon ab, in Fällen wie diesen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Lassen Sie uns unseren Job machen. Am besten wäre es, Sie kämen an einem sicheren Ort unter, bei Freunden oder Familie, aber bleiben Sie bitte in der Nähe…”

Am Ende der Treppe hielt Reid an. “Detective, stehe ich bei der Entführung meiner eigenen Töchter unter Verdacht?” fragte er mit einer leisen, feindlichen Stimme.

Noles starrte geradeaus. Seine Nasenlöcher bliesen sich kurz auf. Reid wusste, dass der Beamte im Training gelernt hatte, diese Art von Situation feinfühlig anzugehen, um die Familien der Opfer nicht noch weiter zu traumatisieren.

Doch Reid war nicht traumatisiert. Er war wütend.

“Wie schon gesagt, ich habe nur ein paar weitere Fragen”, erklärte Noles vorsichtig. “Ich möchte Sie bitten, mich auf das Revier zu begleiten.”

“Ich lehne ihre Fragen ab”, gab Reid mit einem starren Blick zurück. “Ich steige jetzt in mein Auto ein. Wenn Sie mich irgendwo hinbringen wollen, dann müssen Sie das in Handschellen tun.” Er wollte diesen stämmigen Kriminalbeamten einfach nur loswerden. Für einen kurzen Moment dachte er sogar darüber nach, seine CIA-Referenzen zu erwähnen, doch er hatte nichts bei sich, mit dem er sie belegen könnte.

Noles sagte nichts, als Reid auf dem Absatz kehrt machte und das Haus in Richtung Auffahrt verließ.

Er folgte ihm dennoch durch die Tür und über den Rasen. “Mr. Lawson, ich werde Sie nur noch einmal darum bitten. Denken Sie doch einen Moment darüber nach, wie das aussieht, dass Sie ihre Tasche packen und aus dem Haus stürmen, das wir gerade durchsuchen.”

Ein Ruck von glühend heißem Zorn durchfuhr Reid, vom Ende seiner Wirbelsäule bis hoch in seinen Kopf. Fast hätte er seine Tasche zu Boden fallen lassen, um Detective Noles einen ordentlichen Kieferhaken zu verpassen, dafür, dass er auch nur entfernt darauf andeutete, dass er damit etwas zu tun gehabt hätte.

Noles war kein Anfänger; sicher konnte er die Körpersprache lesen, doch er drängte weiter. “Ihre Töchter werden vermisst und Ihr Nachbar ist tot. Das alles geschah, während Sie sich außer Hauses befanden, doch Sie haben kein handfestes Alibi. Sie können uns nicht erklären, wo oder bei wem Sie waren. Jetzt brechen Sie auf, als ob Sie etwas wüssten, von dem wir keine Ahnung haben. Ich habe Fragen, Mr. Lawson. Und ich werde meine Antworten bekommen.”

Mein Alibi. Reids wirkliches Alibi, die Wahrheit, war, dass er die letzten achtundvierzig Stunden damit verbracht hatte, einen verrückt gewordenen religiösen Anführer zu jagen, in dessen Besitz sich eine ausreichend große Ladung mutierter Pockenviren befand, um die Apokalypse auszulösen. Sein Alibi war, dass er gerade nach Hause zurückgekehrt war, nachdem er Millionen von Leben gerettet hatte, vielleicht sogar Milliarden, nur um herauszufinden, dass er die beiden Menschen, die ihm auf der ganzen Welt am wichtigsten waren, nirgendwo aufspüren konnte.

Doch er konnte nichts davon sagen, ganz egal, wie sehr er es wollte. Stattdessen schluckte Reid seinen Zorn hinunter und hielt sowohl seine Fäuste als auch seine Zunge unter Kontrolle. Er hielt neben seinem Auto an und drehte sich um, um den Kriminalbeamten anzusehen. Während er dies tat, bewegte sich die Hand des kleineren Mannes langsam auf seinen Gürtel – und seine Handschellen – zu.

Zwei uniformierte Polizisten, die draußen herumstanden, bemerkten die haarige Situation und traten ein paar vorsichtige Schritte näher, während auch ihre Hände sich in Richtung Gürtel bewegten.

Seitdem der Gedächtnishemmer aus seinem Kopf geschnitten wurde, fühlte sich Reid, als hätte er zwei Gehirne. Die eine Seite, die logische Professor Lawson Seite, riet ihm: Gib nach. Tu, was er von dir verlangt. Sonst stecken sie dich in den Knast, und dann kommst du nie zu deinen Mädchen.

Doch die andere Seite, seine Kent Steele Seite – der Geheimagent, der Abtrünnige, der Adrenalinsüchtige – war viel lauter. Sie schrie und wusste aus Erfahrung, dass jede Sekunde verzweifelt zählte.

Diese Seite gewann. Reid spannte sich an, bereit zu kämpfen.




Kapitel vier


Für einen scheinbar langen Augenblick bewegte sich niemand – weder Reid, noch Noles, noch die beiden Polizisten hinter dem Detective. Reid hielt seine Tasche fest in den Händen. Falls er versuchte, einzusteigen und wegzufahren, kämen die beiden Polizisten zweifellos auf ihn zu. Und er wusste, dass er dementsprechend reagieren würde.

Plötzlich hörte man Reifen quietschen. Alle wendeten ihren Blick auf einen schwarzen Geländewagen, der brüsk am Ende der Auffahrt, in einem neunzig Grad Winkel zu Reids eigenem Fahrzeug, anhielt und ihn somit blockierte. Jemand stieg aus und griff schnell ein, um die Situation zu entschärfen.

Watson? platzte Reid fast heraus.

John Watson war ebenfalls Agent im Außendienst, ein hochgewachsener Afroamerikaner, dessen Gesichtszüge immer passiv wirkten. Seinen rechten Arm trug er in einer dunkelblauen Schlinge, denn ein Irrläufer hatte ihn, nur einen Tag zuvor, in die Schulter getroffen, als er bei dem Einsatz mithalf, in dem es darum ging, die islamischen Radikalisten davon abzuhalten, den Virus freizusetzen.

“Detective.” Watson nickte zu Noles. “Mein Name ist Agent Hopkins, von der Behörde für innere Sicherheit.” Mit seiner gesunden Hand ließ er ein überzeugendes Abzeichen aufblinken. “Dieser Mann muss mit mir kommen.”

Noles runzelte die Stirn. Die Anspannung des vorherigen Moments hatte sich aufgelöst und wurde durch Verwirrung ersetzt. “Was ist jetzt los? Innere Sicherheit?”

Watson nickte ernst. “Wir glauben, dass die Entführung etwas mit einer noch nicht abgeschlossenen Ermittlung zu tun hat. Mr. Lawson muss mich begleiten. Jetzt sofort.”

“Jetzt warten Sie mal einen Moment.” Noles schüttelte den Kopf, immer noch verwirrt von dem plötzlichen Einmarsch und der schnellen Erklärung. “Sie können hier doch nicht einfach hereinplatzen und alles übernehmen —”

“Dieser Mann ist Gegenstand der Behörde”, unterbrach ihn Watson. Er sprach in einem leisen Tonfall, als würde er ein Geheimnis einer Verschwörung mitteilen, doch Reid wusste, dass es sich um einen Vorwand der CIA handelte. “Er ist ein WITSEC.”

Noles’ Augen weiteten sich so sehr, dass man meinen könnte, sie fielen ihm gleich aus dem Kopf. WITSEC, wusste Reid, war eine Abkürzung für das Zeugenschutzprogramm der Justizbehörde der USA. Doch Reid sagte gar nichts, er kreuzte nur seine Arme vor der Brust und schoss dem Polizeibeamten einen scharfen Blick zu.

“Trotzdem…” erwiderte Noles zögernd, “ich brauche hier mehr als nur ein beeindruckendes Abzeichen…” Plötzlich schrillte das Handy des Detectives mit einem lärmenden Klingelton.

“Ich nehme an, das wird die Bestätigung von meiner Behörde sein”, erklärte Watson, während Noles nach seinem Telefon griff. “Beantworten Sie diesen Anruf. Mr. Lawson, hier lang, bitte.”

Watson schritt weg und hinterließ einen verwirrten Detective Noles, der in sein Handy stammelte. Reid schulterte seine Tasche und folgte ihm, doch hielt inne, als sie den Geländewagen erreichten.

“Warte”, sagte er, bevor Watson auf der Fahrerseite einsteigen konnte. “Was soll das? Wohin geht es?”

“Darüber können wir sprechen, während wir fahren. Oder wir sprechen jetzt und vergeuden Zeit.”

Der einzige Grund, aus dem Reid sich Watsons Anwesenheit erklären konnte, war, dass die Agentur ihn gesandt hatte, um Agent Null abzuholen, damit sie ihn bewachen konnten.

Er schüttelte mit dem Kopf. “Ich gehe nicht nach Langley.”

“Ich auch nicht”, erwiderte Watson. “Ich bin hier, um dir zu helfen. Steig ein.” Er schlüpfte auf den Fahrersitz.

Reid zögerte für einen kurzen Moment. Er musste losfahren, doch er hatte kein Ziel. Er brauchte einen Hinweis. Und es gab keinen Grund, zu glauben, dass man ihn belog. Watson war einer der ehrlichsten und vorschriftsmäßigsten Agenten, die er jemals kennengelernt hatte.

Reid stieg auf der Beifahrerseite neben ihm ein. Seinen rechten Arm in der Schlinge musste Watson über seinen Körper hinweg greifen, um den Gang zu wechseln und mit einer Hand zu lenken. Sie fuhren binnen Sekunden ab und waren etwa zwanzig Stundenkilometer über der Höchstgeschwindigkeit. So kamen sie zwar schnell von der Stelle, doch vermieden eine Kontrolle.

Er warf einen Blick auf die schwarze Tasche, die auf Reids Schoß lag. “Wo wolltest du denn hin?”

“Ich muss sie finden, John.” Sein Blick verschwamm beim Gedanken an sie da draußen, alleine, in den Händen dieses mörderischen Verrückten.

“Allein? Unbewaffnet, mit einem zivilen Handy?” Agent Watson schüttelte den Kopf. “Du solltest es wirklich besser wissen.”

“Ich habe schon mit Cartwright gesprochen”, antwortete Reid bitter.

Watson schnaufte. “Glaubst du etwa, Cartwright stand alleine im Zimmer, als er mit dir sprach? Glaubst du, dass er eine sichere Leitung in einem Büro in Langley hat?”

Reid runzelte die Stirn. “Ich bin mir nicht sicher, dass ich dich verstehe. Es klingt, als ob du sagen wolltest, dass Cartwright möchte, dass ich genau das tue, was er mir verboten hat.”

Watson schüttelte den Kopf und nahm dabei nicht den Blick von der Straße. “Er weiß doch ganz genau, dass du das tun wirst, was er dir verboten hat, egal, ob er es will oder nicht. Er kennt dich besser als die meisten. Aus seiner Perspektive ist es am besten, weitere Probleme zu vermeiden, indem er dir dieses Mal Unterstützung bereitstellt.”

“Er hat dich geschickt”, murmelte Reid. Watson bestätigte es genauso wenig wie er es bestritt, doch das brauchte er gar nicht zu tun. Cartwright wusste, dass Null seine Mädchen suchen würde. Die Unterhaltung zwischen den beiden fand zu Gunsten anderer Ohren in Langley statt. Da Reid jedoch wusste, wie wichtig Protokoll für Watson war, verstand er nicht, warum er ihm half. “Und du? Warum tust du das hier?”

Watson zuckte nur mit den Achseln. “Da draußen sind zwei Kinder. Die haben Angst, sind allein und in schlechten Händen. Das gefällt mir nicht besonders.”

Das war keine wirkliche Antwort und vielleicht war es nicht mal die Wahrheit, aber Reid wusste, dass er von diesem stoischen Agenten keine weiteren Auskünfte bekäme.

Er war davon überzeugt, dass ein Teil von Cartwrights Einwilligung, ihm zu helfen, etwas mit Schuldbewusstsein zu tun hatte. Während seiner Abwesenheit hatte Reid den Deputy Direktor schon zwei Mal darum gebeten, seine Töchter in einen geheimen Unterschlupf zu bringen. Doch er hatte immer wieder Vorwände, sprach von Personalmangel, fehlenden Ressourcen… Und jetzt waren sie verschwunden.

Cartwright hätte das vermeiden können. Er hätte helfen können. Reid spürte erneut, wie sein Gesicht heiß vor Wut wurde, und erneut schluckte er die Wut hinunter. Das war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Jetzt musste er sie suchen. Alles andere war egal.

Ich werde sie finden. Ich werde sie zurückbekommen. Und ich werde Rais töten.

Reid nahm einen tiefen Atemzug. Er atmete durch die Nase ein und stieß die Luft durch den Mund aus. “Also, was wissen wir bis jetzt?”

Watson schüttelte seinen Kopf. “Nicht besonders viel. Wir haben es kurz nach dir herausgefunden, als du die Polizei anriefst. Doch die Agentur arbeitet dran. Wir sollten bald einen Hinweis haben.”

“Wer arbeitet dran? Irgendjemand, den ich kenne?”

“Direktor Mullen hat es der Sondereinsatzabteilung übergeben, also steht Riker an der Spitze…”

Reid zischte erneut laut. Weniger als achtundvierzig Stunden zuvor überkam eine Erinnerung Reid, über sein ehemaliges Leben als Agent Kent Steele. Sie war noch neblig und bruchstückhaft, doch es ging um eine Verschwörung, eine Art von Regierungsvertuschung. Ein ausstehender Krieg. Vor zwei Jahren wusste er davon – oder zumindest einen Teil davon – und arbeitete darauf hin, einen Fall aufzubauen. Egal, wie wenig er wusste, er war sich sicher, dass wenigstens einige Mitglieder der CIA darin verwickelt waren.

Ganz oben auf seiner Liste stand die neu ernannte Deputy Direktorin Ashleigh Riker, Leiterin der Sondereinsatzabteilung. Ungeachtet seines fehlenden Vertrauens in sie, war er sich sicher, dass sie nicht gerade ihr Bestes gäbe, seine Kinder aufzuspüren.

“Sie setzte einen neuen Typen darauf an, jung aber fähig”, fuhr Watson fort. “Sein Name ist Strickland. Er ist ein ehemaliger Ranger der Armee, ein hervorragender Fährtenfinder. Wenn überhaupt jemand herausfinden kann, wer das getan hat, dann er. Abgesehen von dir, natürlich.”

“Ich weiß, wer das getan hat, John.” Reid schüttelte verbittert seinen Kopf. Er dachte sofort an Maria. Sie war ebenfalls Agentin, eine Freundin, vielleicht auch mehr – und definitiv eine der Personen, denen Reid vertrauen konnte. Als er das letzte Mal von ihr gehört hatte, war Maria Johansson auf einem Einsatz, bei dem Rais in Russland aufgespürt wurde. “Ich muss Johansson kontaktieren. Sie muss wissen, was geschehen ist.” Er wusste, dass die CIA sie nicht zurückziehen würde, bis er beweisen konnte, dass es Rais war.

“Das wird dir nicht möglich sein – nicht, solange sie im Einsatz ist”, antwortete Watson. “Aber ich kann versuchen, sie auf andere Weise zu informieren. Sie ruft dich an, sobald sie eine sichere Leitung findet.”

Reid nickte. Er mochte es nicht, dass er Maria nicht kontaktieren konnte, doch er hatte keine Wahl. Persönliche Telefone wurden niemals auf Einsätze mitgenommen, und die CIA würde höchstwahrscheinlich ihre Aktivität überwachen.

“Erklärst du mir jetzt, wo wir hinfahren?” Fragte Reid. Er wurde nervös.

“Zu jemandem, der helfen kann. Hier.” Er warf Reid ein kleines, silbernes Flip-Telefon zu – eines jener Apparate, die von der CIA nicht aufgespürt werden konnten, solange sie nichts davon wussten und die Nummer nicht hatten. “Da sind ein paar Nummern einprogrammiert. Eine davon ist eine sichere Leitung zu mir. Eine andere zu Mitch.”

Reid blinzelte. Er kannte keinen Mitch. “Wer zum Teufel ist Mitch?”

Anstatt zu antworten, lenkte Watson den Geländewagen von der Straße hinunter und in die Einfahrt eine Karosseriewerkstatt namens Third Street Garage. Er fuhr in eine geöffnete Garagenbucht und parkte dort. Sobald er den Motor abgestellt hatte, schloss sie die Garagentür rumpelnd hinter ihnen.

Sie stiegen beide aus dem Auto aus, Reids Augen gewöhnten sich an die relative Dunkelheit. Dann flackerten die Lichter an, grelle, fluoreszierende Birnen, die Punkte in seiner Sicht schwimmen ließen.

Neben dem Geländewagen stand ein schwarzes Auto, ein Trans Am aus den späten achtziger Jahren, in der zweiten Garagenbucht. Er war nicht viel jünger als er, doch die Lackierung schien glänzend und neu.

Außerdem war da auch ein Mann. Er trug einen dunkelblauen Overall, der nur mit Mühe und Not verspritzte Ölflecken verdeckte. Seine Gesichtszüge wurden durch eine verhedderte Menge braunen Barts und eine tief in seine Stirn gezogene, rote Baseballmütze, deren Rand durch angetrockneten Schweiß entfärbt war, verdeckt. Der Mechaniker wischte langsam seine Hände an einem dreckigen, ölbeschmierten Lappen ab, während er Reid anstarrte.

“Das ist Mitch”, sagte Watson. “Mitch ist ein Freund.” Er warf Reid einen Schlüsselring zu und zeigte auf den Trans Am. “Er ist ein älteres Modell, weshalb er kein GPS hat. Er ist zuverlässig. Mitch hat ihn die letzten paar Jahre über in Ordnung gebracht. Versuche also, ihn nicht zu zerstören.”

“Danke.” Er hatte auf etwas Unverdächtigeres gehofft, doch er würde nehmen, was er bekommen konnte. “Was ist das für ein Ort hier?”

“”Das? Das ist eine Werkstatt, Kent. Die reparieren hier Autos.”

Reid rollte mit den Augen. “Du weißt, wovon ich spreche.”

“Die Agentur versucht jetzt schon, ihre Ohren und Augen auf dich zu lenken”, erklärte Watson. “Die werden deiner Fährte folgen, wie sie es nur können. Bei unserer Arbeit braucht man manchmal… Freunde von draußen, um es mal so zu nennen.” Er zeigte erneut auf den strammen Mechaniker. “Mitch ist eine Ressource für die CIA, jemand, den ich während meiner Zeit bei der Abteilung für nationale Ressourcen angeheuert habe. Er ist ein Experte, was, ähm, ‘Fahrzeugbeschaffung’ angeht. Wenn du irgendwo hin musst, dann rufst du ihn an.”

Reid nickte. Er wusste nicht, dass Watson bei der Ressourcenbeschaffung tätig war, bevor er ein Agent im Außendienst wurde – doch ehrlich gesagt war er sich nicht mal sicher, dass John Watson sein wirklicher Name war.

“Jetzt komm schon, ich habe ein paar Dinge für dich.” Watson öffnete den Kofferraum und zog den Reißverschluss eines schwarzen Seesacks aus Leinwand auf.

Reid tat einen Schritt zurück, er war beeindruckt. In dem Beutel befand sich eine Reihe von Zubehör, unter anderem Aufnahmegeräte, eine GPS-Verfolgungs-Einheit, ein Frequenzscanner und zwei Pistolen – eine Glock 22 und seine Lieblingsunterstützung, die Ruger LC9.

Er schüttelte seinen Kopf in Unglauben. “Wo hast du das alles her?”

Watson zuckte mit einer Achsel. “Ich hatte ein wenig Hilfe von einem gemeinsamen Freund.”

Reid musste gar nicht nachfragen. Bixby. Der exzentrische CIA-Ingenieur, der die meisten seiner wachen Stunden in einem unterirdischen Recherchen- und Entwicklungslabor unter Langley verbrachte.

“Du und er, ihr kennt euch schon eine ganze Weile, auch wenn du dich gar nicht dran erinnern kannst”, meinte Watson. “Doch dafür musste ich ihm auch versprechen, zu erwähnen, dass du ihm noch einige Tests schuldest.”

Reid nickte. Bixby war einer der Miterfinder des experimentellen Gedächtnishemmers, der in seinem Kopf installiert wurde, und der Ingenieur hatte darum gebeten, einige Tests an Reids Kopf vorzunehmen.

Der kann meinen Schädel öffnen, wenn das bedeutet, dass ich meine Mädchen zurückbekomme. Er spürte, wie eine weitere, überwältigende Welle der Gefühle über ihm zusammenbrach. Er verstand, dass es Leute gab, die bereit waren, die Regeln zu brechen, sich selbst in Gefahr zu bringen, um ihm zu helfen – Leute, von denen er sich kaum noch daran erinnern konnte, eine Beziehung zu ihnen zu haben. Er blinzelte, um die androhenden Tränen, die in seine Augen traten, zurückzuhalten.

“Danke John. Echt.”

“Bedank dich noch nicht bei mir. Wir haben ja gerade erst angefangen.” Watsons Telefon klingelte in seiner Jackentasche. “Das wird wohl Cartwright sein. Gib mir eine Minute.” Er wich in eine Ecke zurück, um den Anruf anzunehmen und sprach mit leiser Stimme.

Reid verschloss den Seesack und warf den Kofferraumdeckel zu. Während dies geschah, grummelte der Mechaniker und machte dabei ein Geräusch, das irgendwo zwischen einem Räuspern und einem Murmeln lag.

“Hast du… hast du was gesagt?” fragte Reid.

“Ich hab’ gesagt, dass es mir leid tut. Wegen deiner Kinder.” Mitchs Gesichtsausdruck war hinter dem gekräuselten Bart und der Baseballmütze gut versteckt, doch seine Stimme klang aufrichtig.

“Du weißt Bescheid… über sie?”

Der Mann nickte. “Es ist schon in den Nachrichten. Ihre Fotos und eine Telefonnummer, die man bei Hinweisen oder Sichtung anrufen kann.”

Reid biss sich auf die Lippe. Daran hatte er nicht gedacht, an die Publicity – und die unvermeidliche Verbindung zu ihm. Er dachte sofort an ihre Tante Linda, die in New York wohnte. Diese Art von Nachrichten verbreitete sich immer schnell. Wenn sie davon gehört hatte, dann wäre sie jetzt voller Sorge und würde immer wieder versuchen, Reids Nummer anzurufen, um Information zu bekommen, aber keiner ginge dran.

“Ich habe was”, erklärte Watson plötzlich. “Thompsons Wagen wurde an einer Raststätte siebzig Meilen südlich von hier, auf der I-95, gefunden. Eine Frau wurde tot am Tatort entdeckt. Ihre Gurgel war durchgeschnitten, das Auto weg und ihre Papiere verschwunden.”

“Wir wissen also nicht, wer sie war?” fragte Reid.

“Noch nicht. Doch wir arbeiten dran. Ich habe einen Techniker infiltriert, der die Ätherwellen der Polizei scannt und per Satellit ein Auge drauf behält. Sobald etwas berichtet wird, weißt du Bescheid.”

Reid grummelte. Ohne die Papiere würden sie nicht fähig sein, den Wagen zu finden. Es war zwar kein toller Hinweis, doch besser als nichts, und er wollte sich sofort auf die Fährtensuche machen. Er hatte die Tür des Trans Am schon geöffnet, als er fragte: “Welche Ausfahrt?”

Watson schüttelte den Kopf. “Fahr da nicht hin, Kent. Dort ist alles voll von Polizisten und ich bin mir sicher, dass Agent Strickland schon auf dem Weg ist.”

“Ich werde vorsichtig sein.” Er vertraute nicht darauf, dass die Polizei oder dieser Neueinsteiger alles finden würden, was er dort finden könnte. Falls Rais dieses Spiel so anginge, wie Reid es von ihm annahm, dann würde er dort außerdem einen weiteren Hinweis in Form einer Stichelei finden. Etwas, das nur für ihn gedacht war.

Das Foto seiner Mädchen leuchtete wieder in seiner Erinnerung auf. Jenes, das Rais von Mayas Telefon aus geschickt hatte, und es erinnerte ihn an noch etwas. “Hier, gib darauf für mich Acht.” Er gab Watson sein persönliches Handy. “Rais hat Saras Nummer, und ich habe ihr Telefon zu meinem weitergeleitet. Wenn irgendetwas ankommt, dann möchte ich davon erfahren.”

“Na klar. Der Tatort ist auf der Ausfahrt dreiundsechzig. Brauchst du sonst noch was?”

“Vergiss nicht, Maria Bescheid zu geben, mich anzurufen.” Er setzte sich hinter das Steuer des Sportwagens und nickte Watson zu. “Danke. Für deine Hilfe.”

“Ich tu’ das nicht für dich”, erinnerte ihn Watson ernst. “Ich mache das für die Kids. Und Null? Wenn das jemand herausfindet, wenn irgendwer mich verpfeift und die rauskriegen, was ich da mit dir mache, dann fliege ich raus. Verstehst du? Ich kann es mir nicht leisten, auf die schwarze Liste der Agentur gesetzt zu werden.”

Reids sofortige, instinktive Reaktion war ein kurzes Anschwellen seines Zornes – hier geht es um meine Kinder, und der hat Angst, auf die schwarze Liste gesetzt zu werden? – doch er würgte ihn so schnell herunter, wie er hochkam. Watson war ein unerwarteter Verbündeter in dieser Sache, und der Mann hielt seinen Hals für seine Mädchen hin. Nicht für ihn, sondern für zwei Kinder, die er nur kurz kennengelernt hatte.

Reid nickte steif. “Ich verstehe.” Zu dem ernsten, grummelnden Mechaniker fügte er noch hinzu: “Danke Mitch. Ich weiß deine Hilfe zu schätzen.”

Mitch grummelte seine Antwort und drückte auf den Knopf, der die Garagenbucht öffnete, während Reid in den Trans Am stieg. Der Innenraum war ganz aus schwarzem Leder, das sauber war und angenehm roch. Der Motor sprang sofort an und brummte unter der Motorhaube. Ein 1987 Modell, sagte ihm sein Gehirn. 5,0 Liter V8 Motor. Mindestens zweihundertfünfzig PS.

Er fuhr aus der Third Street Garage hinaus in Richtung Highway, seine Hände fest um das Lenkrad geschlossen. Die Horrorvorstellungen, die zuvor durch seinen Kopf wirbelten, wurden durch eine stählerne Entschlossenheit, eine harte Entschiedenheit ersetzt. Es gab eine Rufnummer. Die Polizei arbeitete daran. Die CIA saß an dem Fall. Und jetzt war auch er auf der Straße, um sie zu finden.

Ich bin auf dem Weg. Papa findet euch.

Und ihn.




Kapitel fünf


“Du solltest was essen.” Der Attentäter zeigte auf eine Kiste mit chinesischem Essen auf dem Nachttisch, der neben dem Bett stand.

Maya schüttelte den Kopf. Das Essen war schon lange kalt geworden und sie hatte keinen Hunger. Stattdessen saß sie mit hochgezogenen Knien auf dem Bett und Sara lehnte sich gegen sie, ihren Kopf auf dem Schoß der älteren Schwester. Die Mädchen waren durch Handschellen aneinandergefesselt, Mayas linkes Handgelenk mit Saras rechtem. Sie hatte keine Ahnung, wo er die Handschellen her hatte, doch der Attentäter hatte beide mehrmals gewarnt, dass wenn eine von ihnen versuchte, zu entkommen oder Lärm zu machen, die andere darunter litte.

Rais saß in einem Sessel in der Nähe der Tür des zwielichtigen Motelzimmers mit orangefarbenem Teppichboden und gelben Wänden. Das Zimmer roch modrig und das Bad stank nach Chlor. Sie waren schon seit Stunden hier. Der uralte Wecker verriet ihr in rechteckigen, roten LED-Ziffern, dass es halb drei morgens war. Der Fernseher war leise auf einen Nachrichtenkanal geschaltet.

Ein weißer Kombi war direkt vor der Tür geparkt. Der Attentäter hatte ihn nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Parkplatz eines Gebrauchtwagenhändlers gestohlen. Das war das dritte Mal, dass sie an diesem Tag das Auto gewechselt hatten, von Thompsons Kleintransporter, zum blauen Limousinenwagen und jetzt der weiße Kombi. Bei jedem Mal änderte Rais die Himmelsrichtung. Zuerst fuhr er nach Süden, dann zurück nach Norden und jetzt nordöstlich in Richtung Küste.

Maya verstand, was er tat. Es war ein Katz-und-Maus-Spiel. Er hinterließ die gestohlenen Fahrzeuge an verschiedenen Orten, damit die Behörden keine Ahnung hätten, wohin sie fahren würden. Ihr Motelzimmer war weniger als fünfzehn Kilometer entfernt von Bayonne, nicht weit von der Grenze zwischen New Jersey und New York. Das Motel an sich war ein längliches, derart heruntergekommenes und absolut widerliches Gebäude, dass man beim Vorbeifahren denken musste, es sei schon seit Jahren geschlossen.

Beide Mädchen hatten nicht viel geschlafen. Sara hatte hin und wieder ein Nickerchen in Mayas Armen gemacht, stahl sich zwanzig oder dreißig Minuten, bevor sie wieder erschreckt mit einem Wimmern von ihren Träumen aufwachte und sich daran erinnerte, wo sie war.

Maya hatte mit der Erschöpfung gerungen und versucht, so lange wie möglich wach zu bleiben – sie wusste, das Rais irgendwann schließlich auch schlafen musste. Das könnte ihnen die wertvollen wenigen Minuten verschaffen, die sie brauchten, um ihm zu entkommen. Doch das Motel lag in einem Industriepark. Als sie dort hineinfuhren, bemerkte sie keine weiteren Häuser in der Nähe oder Geschäfte, die um diese nächtliche Uhrzeit geöffnet waren. Sie war sich noch nicht mal sicher, ob jemand im Büro des Motels war. Sie könnten nirgendwo hin, sie könnten nur in die Nacht rennen, doch die Handschellen würden sie langsamer machen.

Letzten Endes war Maya ihrer Erschöpfung unterlegen und schlummerte gegen ihren Willen ein. Sie hatte weniger als eine Stunde geschlafen, als sie mit einem Keuchen aufwachte – und dann nochmal erschrocken keuchte, als sie Rais im Sessel nur drei Meter von sich sitzen sah.

Er starrte sie direkt an, mit weit geöffneten Augen. Er beobachtete sie nur.

Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken… eine ganze Minute verstrich, dann eine weitere. Sie beobachtete ihn, starrte zurück, ihre Angst vermische sich mit Neugier. Plötzlich ging ihr ein Licht auf.

Der schläft mit offenen Augen.

Sie war sich nicht sicher, ob das nicht noch beunruhigender war, als aufzuwachen und zu bemerken, dass er sie beobachtete.

Dann blinzelte er und sie hielt ein weiteres erschrockenes Keuchen zurück, bei dem ihr Herz bis in die Kehle schlug.

“Geschädigte Gesichtsnerven”, sagte er ruhig, fast flüsternd. “Ich habe gehört, dass das etwas verwirrend sein kann.” Er zeigte auf die Box mit dem restlichen chinesischen Essen, das einige Stunden zuvor auf ihr Zimmer geliefert worden war. “Du solltest was essen.”

Sie schüttelte den Kopf und hielt Sara auf ihrem Schoß fest.

Der Nachrichtensender wiederholte leise die wichtigsten Schlagzeilen des Tages. Man hielt eine Terrororganisation für die Freisetzung eines tödlichen Pockenvirus in Spanien und anderen Teilen Europas verantwortlich. Ihr Anführer und der Virus wurden in Gewahrsam genommen und auch einige weitere Mitglieder wurden verhaftet. Am Nachmittag hatten die Vereinigten Staaten offiziell ihr Reiseverbot in alle Länder, mit Ausnahme von Portugal, Spanien und Frankreich, wo es weiterhin isolierte Ausbrüche der mutierten Pocken gab, aufgehoben. Doch alle schienen zuversichtlich, dass die Weltgesundheitsorganisation die Situation unter Kontrolle hatte.

Maya hatte vermutet, dass man ihren Vater zur Unterstützung dieses Falles gesandt hatte. Sie fragte sich, ob er es war, der den Anführer gestellt hatte. Sie fragte sich, ob er wieder zurück im Land war. Sie fragte sich, ob er Mr. Thompsons Leiche gefunden hatte. Ob er bemerkt hatte, dass sie entführt worden waren – oder ob es überhaupt irgendjemand gemerkt hatte.

Rais saß in dem gelben Sessel und ein Handy lag auf der Armlehne. Es war ein älteres Modell, fast prähistorisch für heutige Umstände – es diente nur, um Anrufe zu tätigen und Nachrichten zu senden. Maya hatte gehört, dass man diese Dinger Prepaid-Handy im Fernsehen nannte. Man konnte es nicht mit dem Internet verbinden und es hatte auch kein GPS. Aus den Polizeisendungen wusste sie, dass man es nur durch die Telefonnummer orten konnte, die jemand haben musste.

Es schien, dass Rais auf etwas wartete. Einen Anruf oder eine Nachricht. Maya wollte verzweifelt wissen, wohin es ging, ob es überhaupt ein Ziel gab. Sie vermutete, dass Rais wollte, dass ihr Vater sie fand, sie aufspürte, doch der Attentäter war anscheinend nicht in Eile, irgendwo anzukommen. Welches Spiel er da wohl spielte, wunderte sie sich. Er stahl Autos und veränderte die Richtung, entkam den Behörden, und das alles in der Hoffnung, dass ihr Vater sie zuerst finden würde? Würden sie einfach von Ort zu Ort irren, bis es zu einer Auseinandersetzung kam?

Plötzlich tönte ein monophonischer Klingelton aus dem Handy neben Rais. Durch das grelle Geräusch zuckte Sara leicht in ihren Armen zusammen.

“Hallo.” Rais antwortete tonlos. “Ano.” Das erste Mal nach drei Stunden stand er aus dem Sessel auf, während er englisch für irgendeine Fremdsprache austauschte. Maya konnte bloß englisch und französisch sprechen, und sie erkannte eine Hand voll anderer Sprachen durch einzelne Wörter und Akzente, doch diese war ihr unbekannt. Sie bestand aus vielen Kehllauten, doch war nicht ganz unangenehm.

Russisch? dachte Sie. Nein. Polnisch vielleicht. Es hatte keinen Sinn, zu raten. Sie konnte sich nicht sicher sein und selbst, wenn sie wüsste, um welche Sprache es sich handelte, so würde sie dennoch nichts von dem Gesagten verstehen.

Sie hörte trotzdem zu und bemerkte, dass die Laute “z” und “-ski” häufig verwendet wurden. Sie versuchte, verwandte Worte aufzuschnappen, doch es schien keine zu geben.

Ein Wort stand jedoch heraus, und es ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.

“Dubrovnik”, sagte der Attentäter, als wolle er etwas bestätigen.

Dubrovnik? Erdkunde war eines ihrer Lieblingsfächer. Dubrovnik war eine Stadt im Südwesten Kroatiens, ein berühmter Hafen und ein beliebtes Urlaubsziel. Doch wichtiger als all das war die Andeutung, die dieses Wort bedeutete.

Es hieß, dass Rais vorhatte, sie außerhalb des Landes zu bringen.

“Ano”, sagte er (was wie eine Bejahung schien. Sie nahm an, dass es “Ja” bedeutete). Und dann: “Industriehafen Jersey”.

Abgesehen von “Hallo” waren da nur zwei englische Wörter in der ganzen Unterhaltung und sie hatte sie leicht hören können. Ihr Motel lag bereits in der Nähe von Bayonne, einen Katzensprung vom Industriehafen Jersey. Sie hatte ihn schon viele Male zuvor gesehen, wenn sie die Bücke von Jersey nach New York oder zurück überquerte. Da standen Stapel von bunten Frachtcontainern, die von Kränen auf riesige, dunkle Schiffe geladen wurden, die sie nach Übersee bringen würden.

Ihr Herzschlag verdreifachte sich. Rais würde sie aus der USA, über den Industriehafen Jersey, nach Kroatien bringen. Und von dort aus… sie hatte keine Ahnung, und niemand anders würde sie haben. Es gab nur wenig Hoffnung, dass man sie jemals wieder fände.

Maya konnte das nicht zulassen. Ihre Entschlossenheit zurückzukämpfen wurde stärker. Ihre Entschiedenheit, etwas gegen diese Situation zu unternehmen, erwachte erneut in ihrem Inneren.

Das Trauma, Rais dabei zu beobachten, wie er die Gurgel der Frau im WC der Raststätte heute durchtrennt hatte, klang immer noch nach. Sie sah die Szene jedes Mal, wenn sie ihre Augen schloss. Der ausdruckslose, tote Blick. Die Blutlache, die fast ihre Füße berührte. Doch dann strich sie über das Haar ihrer Schwester und wusste, dass sie wortlos das gleiche Schicksal akzeptieren würde, wenn es bedeutete, dass ihre Schwester in Sicherheit und außerhalb der Reichweite dieses Mannes wäre.

Rais fuhr mit seiner Unterhaltung in dieser Fremdsprache fort, schnatterte in kurzen, betonten Sätzen. Er drehte sich um und öffnete die dicken Vorhänge ein wenig, nur ein paar Zentimeter, um auf den Parkplatz hinaus zu spähen.

Er stand mit dem Rücken zu ihr, vielleicht das erste Mal, seit sie in dem zwielichtigen Motel angekommen waren.

Maya streckte ihren Arm aus und öffnete vorsichtig die Schublade des Nachttisches. Es war das einzige, was sie erreichen konnte, da die Handschellen sie an ihre Schwester fesselten und sie nicht vom Bett aufstehen konnte. Ihr Blick huschte nervös zu Rais’ Rücken und dann zurück zur Schublade des Nachttisches.

Da lag eine Bibel drin, eine sehr alte, mit einem abgeblätterten, gebrochenen Rücken. Und neben ihr lag ein einfacher, blauer Kuli.

Sie nahm ihn heraus und schloss die Schublade erneut. Fast im selben Moment drehte sich Rais wieder um. Maya erstarrte und hielt den Kuli in ihrer geschlossenen Faust.

Doch er gab keine Acht auf sie. Es schien, als wäre er jetzt gelangweilt vom Anruf und wollte endlich auflegen. Etwas im Fernsehen erweckte seine Aufmerksamkeit für einige Sekunden und Maya versteckte den Kuli im elastischen Bund ihrer Flanellschlafanzughosen.

Der Attentäter grummelte ein halbherziges Auf Wiedersehen und beendete das Gespräch, indem er das Handy auf das Sofakissen warf. Er drehte sich zu ihnen um und musterte jedes Mädchen einzeln. Maya starrte geradeaus, ihr Blick so leer wie nur möglich, und gab vor, die Nachrichten zu sehen. Scheinbar zufriedengestellt nahm er erneut seine Position auf dem Sessel ein.

Maya strich sanft mit ihrer freien Hand über Saras Rücken, während ihre jüngere Schwester mit halb geschlossenen Augen den Fernseher, oder vielleicht auch gar nichts, anstarrte. Sara brauchte Stunden nach dem Vorfall in der Raststättentoilette, um mit dem Weinen aufzuhören, doch jetzt lag sie einfach da und ihr Blick war leer und verglast. Es schien, als sei nichts mehr von ihr übrig.

Maya strich mit ihren Finger über Saras Wirbelsäule, um sie zu trösten. Es gab keine Möglichkeit für die beiden, untereinander zu kommunizieren. Rais hatte es mehr als deutlich gemacht, dass es ihnen nicht erlaubt war, miteinander zu sprechen, es sei denn, sie würden gefragt. Maya konnte ihr keine Nachricht übermitteln, keinen Plan aushecken.

Obwohl… vielleicht brauche ich ja gar keine Worte, dachte sie.

Maya hörte für einen Moment auf, den Rücken ihrer Schwester zu berühren. Als sie erneut begann, verwendete sie ihren Zeigefinger, um heimlich und langsam die Form eines Buchstaben zwischen Saras Schulterblätter zu ziehen – ein großes D.

Für einen kleinen Moment hob Sara neugierig ihren Kopf an, doch sie schaute dabei Maya nicht an und sagte auch kein Wort. Maya hoffte verzweifelt, dass sie verstand.

R, zeichnete sie als nächstes.

Dann Ü.

Rais saß in dem Sessel in Mayas erweitertem Blickfeld. Sie wagte es nicht, zu ihm herüberzublicken, aus Angst, verdächtig zu erscheinen. Stattdessen starrte sie gerade vor sich hin, so wie sie es schon die ganze Zeit tat, und zeichnete die Buchstaben.

C. K.

Sie bewegte ihren Finger langsam, absichtlich. Zwischen jedem Buchstaben legte sie eine Pause von zwei Sekunden ein, zwischen den Worten wartete sie fünf Sekunden ab, bis sie ihre Nachricht vollendet hatte.

Drück meine Hand, falls du mich verstehst.

Maya sah nicht einmal, wie Sara sich bewegte. Doch aufgrund der Handschellen lagen ihre Hände nah beisammen und sie spürte wie kühle, klamme Finger sich für einen Moment eng um ihre legten.

Sie verstand. Sara hatte die Nachricht verstanden.

Maya begann von vorne, bewegte sich so langsam wie möglich. Es gab keine Eile und sie musste sicherstellen, dass Sara jedes Wort verstand.

Gibt es eine Möglichkeit, schrieb sie, dann rennst du weg.

Schau nicht zurück.

Warte nicht auf mich.

Finde Hilfe. Hole Papa.

Sara lag ruhig und bewegungslos während der ganzen Nachricht. Es war Viertel nach drei als Maya endlich fertig war. Anschließend spürte sie den kühlen Druck eines dünnen Fingers auf ihrer Handinnenfläche, die teilweise an Saras Wange geschmiegt war. Der Finger zeichnete ein Muster auf ihrer Hand, den Buchtaben N.

Nicht ohne dich, lautete Saras Nachricht.

Maya schloss ihre Augen und seufzte.

Du musst, schrieb sie zurück. Sonst sind wir beide verloren.

Sie gab Sara nicht die Chance, zurückzuschreiben. Nachdem sie ihre Nachricht beendet hatte, räusperte sie sich und sagte leise, “Ich muss aufs Klo.”

Rais runzelte die Stirn und zeigte auf die geöffnete Badezimmertür am anderen Ende des Raumes. “Nur zu.”

“Aber…” Maya hob ihren Arm mit der Handschelle an.

“Na und?” fragte der Attentäter. “Nimm sie mit. Du hast eine Hand frei.”

Maya biss sich auf die Lippe. Sie wusste, was er da tat. Das einzige Fenster im Badezimmer war klein, fast kaum groß genug für Maya. Es war ganz unmöglich zu entkommen, während sie an ihre Schwester gefesselt war.

Langsam schlüpfte sie vom Bett und stieß ihre Schwester an, damit sie mitkäme. Sara bewegte sich mechanisch, als ob sie vergessen hätte, wie sie ihre Gliedmaßen eigenständig verwenden müsste.

“Ich gebe dir eine Minute. Schließ nicht die Tür ab”, warnte Rais. “Solltest du es dennoch versuchen, dann trete ich sie ein.”

Maya ging voran und schloss die Tür zu dem winzigen Bad, das mit den beiden darin schon überfüllt war. Sie schaltete das Licht an – sie war sich ziemlich sicher, dass sie eine Kakerlake dabei sah, wie sie sich unter dem Waschbecken in Sicherheit brachte – und anschließend den Entlüfter, der laut über ihnen brummte.

“Ich werde nicht”, flüstere Sara fast sofort. “Ich gehe nicht ohne—”

Maya hielt sich schnell einen Finger an die Lippen, als Zeichen, dass sie still sein sollte. Es könnte gut sein, dass Rais an der anderen Seite der Tür stand und lauschte. Der ging keine Risiken ein.

Sie zog schnell den Kuli aus dem Bündchen ihrer Schlafanzughosen. Sie brauchte etwas, um darauf zu schreiben, doch es gab nur Toilettenpapier. Maya riss ein paar Stückchen ab und legte sie auf das kleine Waschbecken, doch jedes Mal, wenn sie mit dem Kuli darauf drückte, riss es ein. Sie versuchte es noch einmal, doch das Papier riss erneut.

Das ist sinnlos, dachte sie bitterlich. Der Duschvorhang würde ihr auch nichts bringen, er war nur ein Plastiktuch, das über der Badewanne hing. Das kleine Fenster hatte keine Vorhänge.

Doch es gab etwas, das sie verwenden konnte.

“Halt still”, flüsterte sie in das Ohr ihrer Schwester. Saras Pyjamahosen waren weiß mit einem aufgedruckten Ananasmuster – und sie hatten Taschen. Maya drehte eine der Taschen nach außen und riss sie, so vorsichtig wie möglich, ab, bis sie ein Dreieck mit rauen Kanten aus Stoff hatte, das zwar den Obstaufdruck auf der einen Seite hatte, aber auf der anderen ganz weiß war.

Sie glättete es flink auf dem Waschbecken und schrieb vorsichtig, während ihre Schwester dabei zuschaute. Der Kuli verhakte sich mehrere Male in dem Stoff, doch Maya biss sich auf die Lippe, um nicht vor Frust zu fluchen, während sie ihre Nachricht schrieb.

Industriehafen Jersey.

Dubrovnik.

Sie wollte noch mehr schreiben, doch ihr war schon fast die Zeit ausgegangen. Maya versteckte den Kuli unter dem Waschbecken und rollte die Stoffnachricht fest ein. Dann suchte sie verzweifelt nach einem Ort, an dem sie das Stück Stoff verstecken konnte. Sie konnte die Nachricht nicht einfach zusammen mit den Kuli unter das Waschbecken stecken, das wäre zu auffällig und Rais war gründlich. Die Dusche stand ganz außer Frage. Würde der Stoff nass, dann verliefe die Tinte.

Ein plötzliches Klopfen an der dünnen Badezimmertür erschrak beide.

“Die Minute ist um”, warnte Rais klar von der anderen Seite aus.

“Ich bin gleich fertig”, antwortete sie hastig. Sie hielt ihren Atem an, als sie den Deckel des Spülkasten anhob und hoffte, dass der brummende Entlüfter jegliche Kratzgeräusche überdeckte. Sie steckte die aufgerollte Nachricht durch die Kette des Spülmechanismus, hoch genug, sodass sie nicht das Wasser berührte.

“Ich sagte, dass du eine Minute hast. Ich öffne jetzt die Tür.”

“Geben Sie mir nur ein paar Sekunden, bitte!” bettelte Maya, während sie schnell den Deckel zurückschob. Dann riss sie sich noch ein paar Haare aus und ließ sie auf den geschlossenen Spülkasten fallen. Mit ein wenig Glück – mit viel Glück – würde jemand, der nach ihnen suchte, den Hinweis bemerken.

Sie konnte nur hoffen.

Der Knauf der Badezimmertür drehte sich. Maya spülte die Toilette und ging in die Hocke, um so zu tun, als zöge sie sich die Schlafanzughosen hoch.

Rais steckte seinen Kopf durch die offene Tür und blickte auf den Boden. Langsam ließ er seinen Blick an den zwei Mädchen hinaufwandern und inspizierte sie beide abwechselnd.

Maya hielt den Atem an. Sara griff nach der gefesselten Hand ihrer Schwester und ihre Finger verhakten sich ineinander.

“Bist du soweit?” fragte er langsam.

Sie nickte.

Er schaute angewidert nach rechts und links. “Wasch dir die Hände. Dieses Zimmer ist widerlich.”

Das tat Maya mit einer rauen, orangefarbenen Handseife, während Saras Handgelenk schlaff neben ihrem eigenen hing. Sie trocknete ihre Hände an dem braunen Handtuch und der Attentäter nickte.

“Zurück aufs Bett. Marsch.”

Sie führte Sara zurück in das Zimmer und auf das Bett. Rais wartete einen Moment und sah sich in dem kleinen Bad um. Dann schaltete er den sowohl Entlüfter als auch das Licht aus und kehrte zu seinem Sessel zurück.

Maya legte ihren Arm um Sara und hielt sie fest.

Papa wird die Nachricht finden, dachte sie verzweifelt. Er wird sie finden. Ich weiß es.




Kapitel sechs


Reid fuhr Richtung Süden auf der Bundesstraße und versuchte verzweifelt, nicht zu rasen, aber dennoch zügig voranzukommen, während er sich auf die Raststätte zubewegte, an der Thompsons Wagen zurückgelassen wurde. Trotz seiner Ungeduld, einen Hinweis, eine Spur zu finden, begann Optimismus sich in ihm auszubreiten, jetzt, wo er endlich auf der Straße war. Seine Trauer war immer noch da, sie lag ihm so schwer im Magen, als hätte er eine Kegelkugel verschluckt, doch nun war sie in einer Hülle von Entschlossenheit und Hartnäckigkeit verkapselt.

Er spürte jetzt schon, wie das bekannte Gefühl seiner Kent Steele Rolle die Zügel übernahm, während er den Highway in dem schwarzen Trans Am hinunterjagte, den Kofferraum voller Waffen und Geräte, die ihm zur Verfügung standen. Es gab eine Zeit und einen Ort, um Reid Lawson zu sein, doch dies war nicht der richtige Moment. Kent war ebenfalls ihr Vater, ob die Mädchen das wussten oder nicht. Kent war Kates Gatte. Und Kent war ein Mann, der handelte. Der wartete nicht darauf, dass die Polizei einen Hinweis fand, oder dass ein anderer Agent seinen Job übernahm.

Er würde sie finden. Er musste nur herausfinden, wohin sie fuhren.

Die Bundesstraße durch Virginia war vorwiegend gerade, zwei Spuren, auf beiden Seiten mit dichten Bäumen bepflanzt und absolut monoton. Reids Frust wuchs mit jeder Minute, die verstrich, in der er nicht schnell genug an sein Ziel kam.

Warum Richtung Süden? Dachte er. Wohin würde Rais sie bringen?

Was täte ich, wenn ich er wäre? Wohin würde ich fahren?

“Das ist es”, sagte er laut zu sich selbst, als eine Erkenntnis ihn wie ein Schlag auf den Kopf traf. Rais wollte gefunden werden – aber nicht von der Polizei, dem FBI oder einem anderen CIA Agenten. Er wollte einzig und allein von Kent Steele gefunden werden.

Ich darf nicht darüber nachdenken, was er täte. Ich muss darüber nachdenken, was ich täte. Was würde ich tun?

Die Agentur würde annehmen, dass Rais die Mädchen weiter in den Süden brächte, weil der Wagen südlich von Alexandria gefunden wurde. “Was bedeutet, dass ich…”

Seine Gedanken wurden von dem lautstarken Klingeln des Prepaid-Handys in der mittleren Konsole unterbrochen.

“Fahr Richtung Norden”, sage Watson sofort.

“Was hast du rausgefunden?”

“Dass es nichts an der Raststätte zu finden gibt. Dreh zuerst um. Dann reden wir weiter.”

Das musste man Reid nicht zwei Mal sagen. Er legte das Handy zurück in die Konsole, schaltete auf den dritten Gang zurück und schwang das Lenkrad nach links. Sonntags, um die Uhrzeit, waren nicht viele Autos auf dem Highway. Der Trans Am überkreuzte die leere Spur und rutschte seitwärts auf den grasigen Mittelstreifen. Die Reifen quietschten nicht gegen den Asphalt oder verloren ihren Halt, als der Boden unter ihnen weich wurde – Mitch musste wohl Hochleistungsradialreifen eingebaut haben. Der Trans Am schlingerte über den Mittelstreifen, das Vorderteil drehte sich nur ein wenig, als er eine Staubwolke hinter sich aufwühlte.

Reid steuerte das Auto geradeaus, während er den kargen, dünnen Streifen zwischen dem Highway überquerte. Als das Gefährt wieder Asphalt unter die Reifen bekam, kuppelte er, schaltete hoch und trat aufs Gas. Der Trans Am raste auf der entgegengesetzten Spur vorwärts wie ein Lichtblitz.

Reid kämpfte mit dem plötzlichen Rausch, der in seiner Brust aufkam. Sein Gehirn reagierte stark auf alles, was Adrenalin erzeugte. Es sehnte sich nach der Aufregung, der flüchtigen Möglichkeit, die Kontrolle zu verlieren und dem aufschreckenden Genuss, sie wieder zurückzuerlangen.

“Ich bin auf dem Weg nach Norden”, bestätigte Reid, als er das Handy wieder hochnahm. “Was hast du rausgefunden?”

“Einer meiner Techniker überwacht die Ätherwellen der Polizei. Mach dir keine Sorgen, ich vertraue ihm. Ein blauer Limousinenwagen wurde heute morgen auf einem Zweitwagengelände als verlassen gemeldet. In ihm fand man eine Handtasche, mit Papieren und Karten, die zu der Frau passen, die an der Raststätte umgebracht wurde.”

Reid runzelte die Stirn. Rais hatte das Auto gestohlen und sich ihm dann schnell entledigt. “Wo?”

“Darum geht’s ja. Etwa zwei Stunden nördlich von deinem jetzigen Standort, in Maryland.”

Er schnaufte sich vor Frust. “Zwei Stunden? Ich kann doch nicht so viel Zeit verplempern. Der hat schon einen Riesenvorsprung.”

“Ich arbeite dran”, sagte Watson rätselhaft. “Noch was. Der Händler sagte, dass ein Auto von seinem Gelände fehlt —ein weißer Kombi, acht Jahre alt. Wir können ihn mit nichts verfolgen, wir müssen abwarten, bis man ihn sichtet. Satellitenbilder wären da wie eine Nadel im Heuhaufen…”

“Nein”, meinte Reid. “Mach dir nicht die Mühe. Der Kombi ist wahrscheinlich nur eine weitere Sackgasse. Der spielt mit uns. Ändert die Richtung, versucht, uns davon abzuhalten, herauszufinden, wo er wirklich mit ihnen hin will.”

“Woher weißt du das?”

“Weil ich das tun würde.” Er dachte einen Moment nach. Rais war ihnen schon einen Schritt voraus. Sie müssten Vorsprung bei seinem Spiel gewinnen, oder zumindest mit ihm gleichziehen. “Lass deinen Techniker alle in den letzten zwölf Stunden zwischen hier und New York gestohlenen Fahrzeuge überprüfen.”

“Da wirfst du ein ganz schön weites Netz aus”, bemerkte Watson.

Er hatte recht. Reid wusste, dass in den USA etwa alle fünfundvierzig Sekunden ein Auto gestohlen wurde, was sich zu hunderttausenden jedes Jahr summierte. “OK, du kannst die zehn häufigsten gestohlenen Modelle davon ausnehmen”, erwiderte er. So lästig es ihm auch war, es zuzugeben, aber Rais war clever. Er wusste vermutlich, welche Autos er besser vermeiden und welche er anvisieren sollte. “Nimm alle teuren und prunkigen Wagen von der Liste, alle, die zu grelle Farben oder kennzeichnende Merkmalen haben, alle, die von der Polizei leicht zu finden sind. Und natürlich alle, die neu genug sind, um mit GPS ausgestattet sein zu können. Konzentrier dich auf Orte, an denen vermutlich nicht viele Leute sind —leere Gelände, geschlossene Geschäfte, Industrieparks, sowas.”

“Verstanden”, antwortete Watson. “Ich rufe dich zurück, wenn ich die Info habe.”

“Danke.” Er legte das Telephon zurück in die mittlere Konsole. Er konnte keine zwei Stunden damit vergeuden, den Highway abzufahren. Er brauchte schneller etwas, oder einen besseren Hinweis darauf, wo seine Mädchen sich aufhalten könnten. Er fragte sich, ob Rais wieder die Richtung gewechselt hatte, vielleicht nördlich gefahren war, nur um anschließend in Richtung Westen, Land einwärts zu fahren, oder vielleicht sogar wieder die Route südlich aufgenommen hatte.

Er warf einen Blick hinüber, auf die Fahrspuren Richtung Süden. Ich frage mich, ob sie vielleicht grade an mir vorbeifahren, direkt neben mir. Ich würde es nicht mal bemerken.

Plötzlich wurden seine Gedanken durch ein schrilles, doch bekanntes, Geräusch übertönt – das stetige Schwellen und Fallen einer Polizeisirene. Reid fluchte leise, als er in den Rückspiegel blickte und bemerkte, wie ein Polizeiwagen mit blinkendem Blaulicht sich ihm an die Fersen geheftet hatte.

Das hat mir jetzt grade noch gefehlt. Der Polizist hatte ihn wahrscheinlich dabei beobachtet, wie er den Mittelstreifen überquerte. Er schaute noch mal. Der Wagen war ein Caprice. 5,7 Liter Motor. Höchstgeschwindigkeit zweihundertdreißig Stundenkilometer. Ich zweifle, dass der Trans Am da mithält. Trotz allem hatte er nicht vor, anzuhalten und wertvolle Zeit zu vergeuden.

Stattdessen trat er wieder aufs Gas und beschleunigte von den vorherigen hundertdreißig zu runden hundertsechzig Stundenkilometern. Der Polizeiwagen hielt dem Tempo stand und beschleunigte mühelos. Trotzdem behielt Reid beide Hände ruhig am Steuer, die Vertrautheit und Spannung einer Hochgeschwindigkeitsjagd im Auto kehrte zu ihm zurück.

Nur, dass er dieses Mal derjenige war, der gejagt wurde.

Das Telefon klingelte erneut. “Du hattest recht”, gab Watson zu. “Ich habe einen… warte mal, höre ich da etwa eine Sirene?”

“Richtig gehört”, brummelte Reid. “Kannst du da was tun?”

“Ich? Nicht bei einem inoffiziellen Einsatz.”

“Ich kann ihn nicht abschütteln…”

“Abschütteln nicht, aber austricksen”, antwortete Watson. “Ruf mal Mitch an.”

“Mitch anrufen?” wiederholte Reid verdutzt. “Und was genau soll ich dem sagen…? Hallo?”

Watson hatte schon wieder aufgelegt. Reid fluchte leise und überholte einen Minitransporter. Mit einer Hand schwang er zurück auf die linke Spur, während er mit dem Daumen der anderen das Flip-Telefon traktierte. Watson hatte erwähnt, dass er die Nummer des Mechanikers in das Gerät einprogrammiert hatte.

Er fand eine Nummer, die nur mit dem Buchstaben “M” markiert war und rief sie an, während die Sirene hinter ihm weiter heulte.

Jemand antwortete, aber sprach nicht.

“Mitch?” fragte er.

Der Mechaniker grummelte seine Antwort.

Hinter ihm ging der Polizist auf die rechte Spur und beschleunigte in einem Versuch, neben ihn zu kommen. Reid ruckte schnell am Steuer, der Trans Am schlüpfte einwandfrei in die Spur und blockierte somit den Polizeiwagen. Hinter den geschlossenen Fenstern und dem tosenden Motor konnte er leise das Echo einer Lautsprechanlage hören, durch die der Polizist ihn aufforderte, anzuhalten.

“Mitch, ich, äh…” Was soll ich dem bloß sagen? “Ich fahre hier ungefähr hundertachtzig auf der I-95 und werde von einem Bullen verfolgt.” Er blickte in den Rückspiegel und stöhnte, als er sah, wie ein zweiter Polizeiwagen, von einer Radarfalle aus, auf den Highway fuhr. “Nee, es sind schon zwei.”

“OK”, gab Mitch ruppig zurück. “Warte mal eine Minute.” Er klang müde, als sei eine Hochgeschwindigkeitspolizeijagd nicht aufregender als ein Gang zum Supermarkt.

“Auf was?”

“Ablenkung”, grummelte Mitch.

“Ich bin mir nicht so sicher, dass ich noch eine Minute habe”, protestierte Reid. “Die haben wahrscheinlich schon das Nummernschild.”

“Mach dir keine Sorgen darüber. Das ist eine Fälschung. Unregistriert.”

Das wird sie sicher nicht dazu inspirieren, die Jagd aufzugeben, dachte Reid verdrießlich. “Was denn für eine Ablenkung… Hallo? Mitch?” Ärgerlich warf er das Telefon auf den Beifahrersitz.

Mit beiden Hände wieder am Steuer lenkte Reid um einen Transporter herum, zurück auf die Überholspur und trat das Gaspedal bis zum Anschlag nach unten durch. Der Trans Am reagierte eifrig und zog volle Fahrt voraus, während die Tachonadel auf zweihundert sprang. Er flitzte um den viel langsameren Verkehr herum, benutzte dabei beide Spuren und den Haltestreifen, doch die beiden Polizeiwagen hielten mit ihm mit.

Ich kann sie nicht abhängen, aber austricksen. Komm schon Kent. Gib mir was. Das war ihm während des letzten Monats schon mehrmals geschehen. Seitdem der Gedächtnishemmer entfernt wurde, kam eine besondere Fähigkeit aus seinem früheren Leben als CIA-Agent plötzlich zurück, gerade dann, wenn er sie brauchte. Er wusste nicht, dass er arabisch sprach, bis er mit Terroristen konfrontiert war, die ihn folterten, um Informationen aus ihm herauszukriegen. Er wusste nicht, dass er drei Mörder im Handgefecht abwehren konnte, bis er um sein Leben kämpfen musste.

Das ist es. Ich muss mich nur in eine verzweifelte Lage bringen.

Reid griff die Handbremse hinter der Gangschaltung und zerrte sie nach oben. Plötzlich hörte man ein fürchterliches Kreischen aus dem Inneren des Trans Am und es roch, als ob etwas brennte. Gleichzeitig rissen seine Hände das Steuer nach rechts und der Trans Am schlingerte leicht. Sein Ende überkreuzte wieder den Mittelstreifen, als ob er versuchen würde, in die entgegengesetzte Richtung zu fahren.

Die beiden Polizeiwagen taten es ihm gleich, traten auf ihre Bremsen und versuchten, eine enge Wende zu vollbringen. Doch als sie auf die Bremsen traten und in Richtung Süden drehten, vollendete Reid seine Drehung um dreihundertsechzig Grad. Er ließ die Handbremse los, legte den Gang ein und drückte wieder aufs Gas. Der Sportwagen raste erneut voran und ließ die verwirrten Gesetzeshüter wortwörtlich im Staub zurück.

Reid stieß einen Jubelschrei aus, während sein Herz lautstark in seiner Brust klopfte. Seine Freude war jedoch nur von kurzer Dauer. Er hatte seinen Fuß fest auf dem Gaspedal und versuchte, seine Geschwindigkeit beizubehalten. Der Trans Am jedoch verlor an Kraft. Die Tachonadel sank auf hundertfünfzig, dann hundertvierzig und fiel weiter. Er war im fünften Gang, doch sein Handbremsenmanöver musste wohl einen Zylinder zerfetzt oder vielleicht Dreck in den Motor geschleudert haben.

Das ohrenbetäubende Heulen der Sirenen machte die schlechten Nachrichten noch schlimmer. Die beiden Polizeiwagen waren hinter ihm und holten schnell auf, jetzt stieß auch noch ein dritter hinzu. Der Verkehr auf dem Highway bewegte sich zur Seite, um Platz zu machen, während Reid von einer Spur zur andern wechseln musste. Er versuchte verzweifelt, seine Geschwindigkeit zu halten, doch es nützte nichts.

Er stöhnte. So wäre es ein Ding der Unmöglichkeit, die Patrouille abzuhängen. Sie waren schon auf sechzig Meter herangekommen und holten immer schneller auf. Die Wagen bildeten ein Dreieck, jeder auf einer Spur, und der Dritte fuhr in der Mitte hinter ihnen.

Die werden das PIT Manöver ausprobieren – sie wollen mein Auto umzingeln und mich zur Seite drängen.

Komm schon Mitch, wo ist meine Ablenkung? Er hatte keine Ahnung, was der Mechaniker geplant hatte, doch er konnte wirklich Hilfe brauchen, als die Polizeiwagen sich immer weiter an das versagende Sportauto annäherten.

Einen Moment später bekam er seine Antwort, als etwas Riesiges in seinen Blickfeld sprang.

Von der südwärts gerichteten Seite des Highways sprang ein Sattellaster mit mindestens hundertzehn Stundenkilometern über den Mittelstreifen. Seine enormen Reifen hüpften gewaltsam über die Furchen des Grases. Als er wieder auf Asphalt stieß – dieses Mal als Geisterfahrer – taumelte er gefährlich, wobei der silberne Tank, den er zog, seitwärts umfiel und ihn niederdrückte.




Kapitel sieben


Für einen Augenblick verfloss die Zeit langsamer, als Reid und das gesamte Auto sich im Schatten einer achtzehn-Räder-Maschine befanden, die fast vom Boden abhob.

Während dieses seltsam stillen Momentes konnte er ganz deutlich die großen, blauen Buchstaben lesen, die auf die Seite des Tanks schabloniert waren —“TRINKBAR” stand darauf – währender der Laster herunterkrachte, bereit, ihn, den Trans Am und alle Hoffnung, seine Mädchen zu finden, zu zerquetschen.

Sein Großhirn, das Zerebrum, schien sich im Schatten des riesigen Lasters abgeschaltet zu haben, doch seine Gliedmaßen bewegten sich, als hätten sie einen eigenen Willen. Sein Instinkt übernahm die Kontrolle, als seine rechte Hand wieder die Handbremse ergriff und daran zog. Seine linke Hand drehte das Steuer im Uhrzeigersinn und sein Fuß drückte das Gaspedal bis in die Gummifußmatte. Der Trans Am drehte sich seitlich und sprintete heraus, parallel zum Laster, zurück ins Sonnenlicht und aus seinem finsteren Schatten.

Reid spürte den Aufprall des Lasters gegen die Straße mehr, als er ihn hörte. Der silberne Tanker schlug auf das Pflaster zwischen den Trans Am und die Polizeiwagen und ließ ihnen weniger als dreißig Meter Bremsraum. Die Bremsen quietschten und die Wagen rutschten seitwärts, als der gewaltige Tank an den genieteten Nähten aufbrach und seine Last entleerte.

Vierunddreißigtausend Liter sauberes Wasser schossen heraus und flossen über die Polizeiwagen, schoben sie zurück wie eine aggressive Flutwelle.

Reid wartete nicht ab, um dieses Spektakel zu beobachten. Der Trans Am erreichte gerade noch hundertzwanzig Stundenkilometer mit dem Gaspedal bis zum Anschlag durchgetreten, also fuhr er besser geradeaus weiter den Highway hoch, so gut wie möglich. Die durchtränkten Polizisten würden sicherlich das verdächtige Auto mit den gefälschten Nummernschildern melden. Wenn er nicht bald von der Straße verschwände, gäbe es noch mehr Probleme.

Dann klingelte das alte Handy, auf dem Bildschirm erschien nur der Buchstabe M.

“Danke, Mitch”, antwortete Reid.

Der Mechaniker grummelte, es schien seine hauptsächliche Kommunikationsmethode.

“Du wusstest, wo ich war. Du weißt, wo ich jetzt bin.” Reid schüttelte den Kopf. “Du ortest das Auto, nicht wahr?”

“Johns Idee”, gab Mitch kurz zurück. “Er dachte, dass du in Probleme geraten würdest. Er hatte recht.” Reid begann zu widersprechen, doch Mitch unterbrach ihn. “Fahr die nächste Abfahrt hinunter. Bieg am River Drive rechts ab. Da ist ein Park mit einem Baseballplatz. Warte dort.”

“Auf was?”

“Transport.” Mitch legte auf. Reid schnaubte frustriert. Bei der Sache mit dem Trans Am ging es darum, geheim zu bleiben, erst gar nicht ins Netz der Agentur zu geraten – und nicht, die CIA mit jemand anderem auszutauschen, der ihn orten könnte.

Aber ohne die Ortung wärst du jetzt schon gefangen worden.

Er schluckte seine Wut herunter und folgte den Anweisungen. Er lenkte das Auto einen weiteren Kilometer später vom Highway herunter und auf den Park zu. Er hoffte, dass was auch immer Mitch für ihn bereit hielt, schnell war. Er musste rasch eine lange Strecke zurücklegen.

Im Park waren nur wenige Leute für einen Sonntag. Auf dem Baseballfeld spielten ein paar Kinder ein Aufsammelspiel, weshalb Reid den Trans Am auf dem Kieselparkplatz außerhalb des Maschendrahtzaunes hinter der ersten Basis parkte und wartete. Er wusste nicht, was er suchte, doch er wusste, dass er schnell weiterkommen musste. Darum öffnete er den Kofferraum, zog seinen Seesack heraus und wartete neben dem Auto auf das, was Mitch geplant hatte.

Er hatte die Vermutung, dass der raubärtige Mechaniker mehr als nur ein CIA-Helfer war. Er war ein “Experte in Fahrzeugbeschaffung”, hatte ihm Watson erklärt. Reid fragte sich, ob Mitch eine Ressource war, jemand wie Bixby, der exzentrische CIA-Ingenieur, der sich auf Waffen und mobile Ausrüstung spezialisiert hatte. Falls das der Fall sein sollte, wieso half er dann Reid? Mitchs ruppiges Aussehen und grummelndes Auftreten löste keine Erinnerung in Reids Kopf aus, wenn er an ihn dachte. Gab es da eine vergessene Geschichte?

Das Telefon klingelte in seiner Tasche. Es war Watson.

“Alles OK?” fragte der Agent.

“So OK wie möglich, wenn man die Umstände bedenkt. Mitchs Vorstellung von einer,Ablenkung’ ist allerdings vielleicht ein wenig übertrieben ehrgeizig.”

“Er macht nur seine Arbeit. Wie auch immer, deine Vermutung hat gestimmt. Mein Informant hat einen Report über einen zwölf Jahre alten Caddy gefunden, der heute morgen aus einem Industriepark in New Jersey gestohlen wurde. Er nahm eine Satellitenaufnahme von dem Ort. Rate mal, was er gesehen hat?”

“Den vermissten weißen Kombi”, riskierte Reid.

“Genau”, bestätigte Watson. “Der stand da auf dem Parkplatz eines Schrotthaufens namens Starlight Motel.”

New Jersey? Seine Hoffnung fiel. Rais hatte seine Mädchen noch weiter nördlich gebracht —seine zweistündige Fahrt hatte sich gerade um mindestens weitere neunzig Minuten verlängert, falls es überhaupt noch eine Hoffnung gab, sie einzuholen. Er könnte sie nach New York bringen. Ein großes Ballungszentrum, wo man leicht untertauchen kann. Reid musste sich ihm ein ganzes Stück annähern, bevor dies geschah.

“Die Agentur weiß noch nicht, was wir wissen”, fuhr Watson fort. “Sie haben keinen Grund, den gestohlenen Caddy mit deinen Mädchen in Verbindung zu bringen. Cartwright hat bestätigt, dass sie nur den Hinweisen folgen, die sie haben und Strickland in Richtung Norden nach Maryland schicken. Doch es ist nur eine Frage der Zeit. Fahr zuerst hin, damit du einen Vorsprung vor ihm hast.”

Reid überlegte einen Moment. Er vertraute Riker nicht, das war glasklar. Er war sich sogar nicht mal besonders sicher, was seinen eigenen Boss, den Deputy Direktor Cartwright betraf. Doch… “Watson, was weißt du über diesen Agenten Strickland?”

“Ich habe ihn nur ein oder zwei Mal getroffen. Er ist jung, gibt sich ein bisschen zu viel Mühe, zu gefallen, doch scheint ganz ordentlich. Vielleicht sogar vertrauenswürdig. Warum, worüber denkst du nach?”

“Ich überlege…” Reid konnte selbst nicht glauben, was er gleich vorschlagen würde, doch es ging um seine Töchter. Ihre Sicherheit war das Wichtigste, egal, was die wahrgenommenen Kosten wären. “Ich denke drüber nach, dass wir vielleicht nicht die einzigen mit diesen Informationen sein sollten. Wir brauchen alle Hilfe, die wir bekommen können. Ich vertraue zwar nicht drauf, dass Riker das Richtige tut, doch vielleicht tut es ja Strickland. Könntest du ihm die Info anonym zukommen lassen?”

“Ich glaube schon. Ich müsste sie durch eine meiner Ressourcen-Verbindungen einfiltrieren, doch das ist durchaus machbar.”

“Gut. Ich will, dass er unsere Info bekommt – doch erst nachdem ich da war, um es selbst zu sehen. Ich will nicht, dass er einen Vorsprung vor mir hat. Ich will nur, dass jemand weiß, was wir wissen.” Genauer gesagt wollte er, dass jemand, der nicht Cartwright war, wusste, was sie wussten. Denn sollte ich scheitern, dann brauche ich jemanden, der es schafft.

“Wie du wünscht.” Watson war einen Augenblick lang still. “Kent, es gibt da noch was. Strickland hat etwas an der Raststätte gefunden…”

“Was? Was hat er gefunden?”

“Haare”, erklärte Watson ihm. “Braunes Haar, an dem immer noch das Follikel hing. An der Wurzel ausgerissen.”

Reids Kehle trocknete aus. Er glaubte nicht, dass Rais die Mädchen umbringen wollte – er konnte es sich nicht erlauben, das zu glauben. Der Attentäter bräuchte sie lebendig, wenn er wollte, dass Kent Steele sie fände.

Doch der Gedanke war nur wenig tröstlich, als unwillkommene Bilder Reids Gedanken invadierten. Es waren Szenen, in denen Rais seine Tochter bei ihrem Haarschopf packte und sie dazu zwang, dorthin zu gehen, wohin er es befahl. Dass er sie verletzte. Und wenn er sie auch nur das kleinste Bisschen verletzte, dann würde Reid es ihm tausendfach zurückzahlen.

“Strickland dachte, es sei nichts besonderes”, fuhr Watson fort, “Doch die Polizei fand noch mehr auf dem Rücksitz des Autos der toten Frau. Als ob jemand sie dort absichtlich hinterlassen hätte. Wie eine…”

“Wie eine Spur”, murmelte Reid. Es war Maya. Er wusste es einfach. Sie war schlau, schlau genug, um etwas zu hinterlassen. Schlau genug, um zu wissen, dass der Tatort sorgfältig untersucht und ihre Haare gefunden würden. Sie war bei lebendigem Leibe – oder zumindest war sie das, als sie dort waren. Er war gleichzeitig stolz, dass seine Tochter so ein kluges Köpfchen hatte und reumütig, dass es überhaupt soweit gekommen war.

Oh Gott. Eine neue Erkenntnis machte sich sofort breit: wenn Maya ihr Haar absichtlich im WC der Raststätte hinterlassen hatte, dann war sie auch dort gewesen, als es geschah. Sie hatte dem Monster dabei zugesehen, wie er eine unschuldige Frau ermordet hatte. Und wenn Maya dort war… dann könnte auch Sara dabei gewesen sein. Sie beide waren von den Begebenheiten im Februar auf der Uferpromenade mental und emotional betroffen worden. Er wollte gar nicht an das Trauma denken, das jetzt durch ihre Köpfe ging.

“Watson, ich muss schnell nach New Jersey gelangen.”

“Ich arbeite dran”, gab der Agent zurück. “Bewege dich nicht, es ist gleich da.”

“Was ist gleich da?”

Watson antwortete, doch seine Antwort wurde durch das plötzliche, erschreckende Aufheulen einer Sirene, direkt hinter ihm, übertönt. Er drehte sich um, als ein Polizeiwagen über den Kieselsteinparkplatz auf ihn zu knirschte.

Ich habe jetzt keine Zeit dafür. Er ließ dass Telefon zuschnappen und steckte es sich in die Tasche. Das Fenster auf der Beifahrerseite war heruntergerollt, er konnte sehen, dass zwei Polizisten darin saßen. Das Auto fuhr direkt neben seines und die Tür ging auf.

“Mein Herr, legen sie den Sack zu Boden und ihre Hände auf den Kopf.” Der Polizist war jung, hatte einen Militärschnitt, trug eine Pilotensonnenbrille auf der Nase. Reid bemerkte, dass eine seiner Hände auf dem Halfter seiner Service-Pistole lag, der Knopf geöffnet.

Der Fahrer stieg ebenfalls aus. Er war älter, hatte etwa Reids Alter und einen kahl rasierten Kopf. Er stand hinter seiner offenen Tür und auch seine Hand befand sich in der Nähe seines Gürtels.

Reid zögerte, er war sich nicht sicher, was er tun sollte. Die örtliche Polizei musste wohl den Bericht der Highwaypolizei gehört haben. Es konnte nicht besonders schwer gewesen sein, den Trans Am mit den gefälschten Nummernschildern, der so offensichtlich neben dem Baseballplatz geparkt war, zu finden. Er rügte sich selbst dafür, so kopflos gewesen zu sein.

“Mein Herr, legen sie den Sack zu Boden und ihre Hände auf ihren Kopf!” schrie der junge Polizist lautstark.

Reid hatte nichts, mit dem er ihnen drohen konnte. Seine Waffen waren in dem Beutel und selbst, wenn er eine in der Hand hätte, dann würde er jetzt niemanden erschießen. Diese Polizisten dachten, sie würden einfach nur ihre Arbeit machen, den Flüchtling einer Highwayverfolgung festnehmen, der drei Wagen außer Gefecht gesetzt hatte, welche höchstwahrscheinlich weiterhin die Spuren der I-95 in Richtung Norden blockierten.

“Das ist hier nicht, was ihr denkt.” Während er dies von sich gab, legte er langsam den Seesack auf den Kieselboden. “Ich versuche nur, meine Töchter zu finden.” Er hielt beide Arme hoch, seine Fingerspitzen berührten sich knapp hinter seinen Ohren.

“Drehen Sie sich um”, befahl ihm der junge Polizist. Reid befolgte seinen Befehl. Er hörte das bekannte Klicken von Handschellen, als der Polizist ein Paar offene aus seiner Gürteltasche zog. Er wartete darauf, den kalten Biss von Stahl an seinen Handgelenken zu spüren.

“Sie haben das Recht zu schweigen…”

Sobald er Hautkontakt verspürte, wurde Reid aktiv. Er drehte sich um, griff das rechte Handgelenk des Polizisten mit seinem eigenen und drehte es in einem Winkel nach oben. Der Polizist schrie vor Schreck und Überraschung auf, doch Reid achtete vorsichtig darauf, es nicht so weit zu drehen, dass es brach. Er wollte die Polizisten nicht verletzen, wenn es irgendwie zu vermeiden war.

Mit derselben Bewegung schnappte er die offene Handschelle mit seiner linken Hand und schloss sie um das Handgelenk des Polizisten. Der Fahrer hatte sofort seine Waffe gezückt und brüllte verärgert.

“Zurück! Auf den Boden, jetzt!”

Reid stieß den jungen Polizisten mit beiden Armen nach vorne, der taumelnd in die offene Tür fiel. Sie fiel zu – oder versuchte das zumindest und rempelte dabei den älteren Polizisten nach hinten um. Reid rollte sich ab und kam auf seinen Knien direkt neben dem Mann an. Er zog die Glock aus dem Griff des Polizisten und warf sie über seine Schulter.

Der junge Polizist stand auf und versuchte, seine Pistole vom Halfter zu zerren. Reid ergriff die leere, baumelnde Hälfte der Handschelle, die vom Handgelenk des Polizisten hing und zog daran, was den Mann wiederum das Gleichgewicht kostete. Er fädelte die Handschellen durch das offene Fenster, riss den Polizisten in die Tür und ließ die offene Schelle um das Handgelenk des älteren Beamten zuschnappen.

Während die beiden gegeneinander und mit der Tür des Polizeiwagens kämpften, zog Reid die Pistole des jüngeren Polizisten heraus und zielte auf die beiden. Sie waren sofort still.

“Ich werde euch nicht erschießen”, erklärte er ihnen, während er seinen Seesack wieder aufhob. “Ich möchte nur, dass ihr still seid und euch für eine Minute oder so nicht bewegt.” Er zielte mit der Pistole auf den älteren Polizisten. “Nehmen Sie bitte ihre Hand herunter.”

Die freie Hand des Polizisten fiel von dem Funkgerät, das auf seiner Schulter angebracht war.

“Jetzt legen Sie doch bitte die Waffe weg”, gab der junge Beamte zurück und hielt seine freie Hand in einer beruhigenden Geste hoch. “Eine weitere Einheit ist auf dem Weg. Die werden Sie erschießen, wenn sie Sie sehen. Ich glaube nicht, dass das in Ihrem Interesse liegt.”

Blufft der? Nein, Reid konnte die Sirenen von weit weg hören. Vielleicht eine Minute weit weg. Mit viel Glück auch neunzig Sekunden. Was auch immer Mitch und Watson geplant hatten, es musst jetzt ankommen.

Die Jungs auf dem Baseballplatz hatten ihr Spiel unterbrochen und versteckten sich nun hinter dem nächsten Betonunterstand, von wo aus sie verängstigt die Szene beobachteten, die nur ein paar Meter entfernt von ihnen stattfand. Reid bemerkte aus seinem Augenwinkel, dass einer der Jungs auf einem Handy sprach, wahrscheinlich berichtete er den Vorfall.

Zumindest filmen sie es nicht, dachte er düster und hielt immer noch die Waffe auf die beiden Polizisten gerichtet. Jetzt mach schon, Mitch…

Der jüngere der beiden Beamten runzelte die Stirn in Richtung seines Partners. Sie schauten einander an und blickten dann gen Himmel, während ein neues Geräusch sich mit dem entfernten Heulen der Sirenen verband —ein jaulendes Brummen, wie ein grell heulender Motor.

Was ist das? Sicher kein Auto. Aber nicht laut genug für einen Hubschrauber oder ein Flugzeug…

Reid blickte ebenfalls hoch, doch er wusste nicht, aus welcher Richtung das Geräusch kam. Er musste sich nicht lange darüber wundern. Von der linken Seite des Baseballplatzes aus kam ein winziges Objekt in sein Blickfeld, es flog schnell durch die Luft, wie eine summende Biene. Seine Form konnte man nicht erkennen, es schien weiß zu sein, doch es war schwer, es direkt anzusehen.

Die Unterseite ist mit einer Reflexionsschicht bemalt, sagte Reids Gehirn ihm. Es hält die Augen davon ab, es anzuvisieren.

Das Objekt verlor an Höhe, gerade so, als würde es aus der Luft fallen. Während es über den Pitcherhügel flog, fiel etwas anderes aus ihm raus – ein Stahlkabel mit einer kurzen Stange am Ende, wie etwa eine einzige Leitersprosse. Ein Abseilkabel.

“Das muss wohl mein Gefährt sein”, murmelte er. Während die Polizisten ungläubig das wortwörtliche UFO anblickten, das da auf sie zuflog, warf Reid die Pistole auf die Kieselsteine. Er stellte sicher, dass er seinen Seesack fest im Griff hatte und als die Leitersprosse auf ihn zu schwang, griff er danach und hielt sich fest.

Er zog seinen Atem ein, weil er sofort in den Himmel gerissen wurde, sechs Meter binnen Sekunden, dann zehn, dann fünfzehn. Die Jungs auf dem Baseballplatz riefen und zeigten auf das fliegende Objekt, während dieses das Kabel schnell einzog und dabei gleichzeitig immer höher flog.

Er blickte hinunter und sah, dass zwei weitere Polizeiwagen mit kreischenden Reifen auf dem Parkplatz eintrafen, die Fahrer ausstiegen und nach oben schauten. Er war schon über fünfzig Meter in der Luft, als er das Cockpit erreichte und sich auf den einzelnen Platz setzte, der dort auf ihn wartete.

Reid schüttelte verwundert den Kopf. Das Gefährt, das ihn abgeholt hatte, war kaum mehr als eine kleine, eiförmige Schale mit vier parallelen Armen in Form eines X, von denen jede einen sich drehenden Rotor am Ende hatte. Er wusste, worum es sich hierbei handelte – ein Quadopter, eine Einpersonendrohne, komplett automatisiert und höchst experimentell.

Eine Erinnerung blitzte in seinem Gedächtnis auf: Ein Flachdach in Kandahar. Zwei Scharfschützen haben dich auf deinem Standort umzingelt. Du hast keine Ahnung, wo sie sind. Bewege dich und du stirbst. Dann ein Geräusch – ein helles Heulen, kaum mehr als ein Summen. Es erinnert dich an deinen Rasentrimmer zu Hause. Eine Form erscheint am Himmel. Man kann sie nur schwer erkennen. Du kannst sie kaum sehen, doch du weißt, dass Hilfe angekommen ist…

Die CIA hatte mit Maschinen wie diesen experimentiert, um Agenten aus heißen Zonen zu befreien. Er war ein Teil dieses Experiments gewesen.

Es gab keine Kontrollschalter vor ihm, nur einen LED-Bildschirm, der ihm mitteilte, dass sie sich mit dreihundertsiebenundvierzig Stundenkilometern durch die Luft bewegten und in etwa vierundfünfzig Minuten ankämen. Neben dem Bildschirm war ein Kopfhörer. Er hob ihn an und setzte ihn auf.

“Null.”

“Watson, verdammt, wie hast du den bekommen?”

“Habe ich nicht.”

“Mitch war es also”, stellte Reid fest und es bestätigte seine Vermutungen. “Der ist nicht nur eine,Aushilfe’, oder?”

“Der ist, was immer du möchtest, damit du darauf vertraust, dass er dir helfen will.”

Die Luftgeschwindigkeit des Quadopters erhöhte sich stetig und glich sich an etwas unter vierhundertachtzig Stundenkilometern an. Die geschätzte Ankunftszeit wurde um mehrere Minuten verkürzt.

“Und was ist mit der Agentur? fragte Reid. “Können die…?”

“Ihn orten? Nein. Zu klein und fliegt auf niedriger Höhe. Außerdem ist er außer Betrieb gelegt. Sie meinten, der Motor wäre zu laut, um ihn bei geheimen Einsätzen zu verwenden.

Er atmete erleichtert aus. Er hatte jetzt ein Ziel, dieses Starlight Motel in New Jersey und wenigstens war es keiner von Rais’ Tricks, der ihn dort hinführte. Falls sie noch dort waren, könnte er das alles beenden – oder es zumindest versuchen. Er konnte nicht die Tatsache ignorieren, dass dies nur in einer Konfrontation mit dem Attentäter enden könnte, und dass es seine Aufgabe war, die Mädchen aus dem Kreuzfeuer zu halten.

“Warte fünfundvierzig Minuten und schicke dann die Fährte zum Motel zu Strickland und der örtlichen Polizei”, bat er Watson. “Falls er da ist, will ich auch, dass alle anderen kommen.”

Bis zur Ankunft der CIA und der Polizei wären außerdem entweder seine Mädchen in Sicherheit, oder Reid Lawson wäre tot.




Kapitel acht


Maya zog ihre Schwester näher an sich heran. Die Handschellen rasselten zwischen ihren Handgelenken. Sarahs Hand war über ihre eigene Brust hochgezogen, ihre Hand hielt Mayas auf ihrer Schulter fest, als sie zusammengekauert auf dem Rücksitz des Autos saßen.

Der Attentäter fuhr das Auto entlang des Industriehafen Jersey. Der Frachtterminal war lang, Maya riet, dass es mehrere hundert Meter waren. Hohe Stapel von Containern türmten sich auf beiden Seiten auf und bildeten eine enge Gasse, die ihnen nicht mehr als einen halben Meter Raum auf jeder Seite der Autospiegel ließen.

Die Scheinwerfer waren ausgeschaltet und es war gefährlich dunkel, doch das schien Rais nicht weiter zu stören. Hin und wieder gab es eine kleine Unterbrechung zwischen den Frachtcontainern, sodass Maya helle Lichter in der Ferne, näher am Ufer, erblicken konnte. Sie vernahm sogar das Brummen von Maschinen. Mannschaften waren am Arbeiten. Es gab dort also Menschen. Doch das machte ihr nur wenig Hoffnung. Bisher hatte Rais bewiesen, dass er sorgfältig plante und sie bezweifelte, dass neugierige Blicke sie erreichten.

Sie müsste wohl selbst etwas unternehmen, um sie von der Abfahrt abzuhalten.

Die Uhr in der Mitte des Armaturenbretts sagte ihr, dass es vier Uhr morgens war. Weniger als eine Stunde war vergangen, seitdem sie die Notiz im Wassertank der Moteltoilette hinterlassen hatte. Kurz darauf war Rais plötzlich aufgestanden und hatte ihnen mitgeteilt, dass es Zeit war, aufzubrechen. Ohne jegliches weitere Wort der Erklärung hatte er sie aus dem Motelzimmer herausgeführt, jedoch nicht zum weißen Kombi, in dem sie angekommen waren. Stattdessen führte er sie zu einem älteren Auto, dass ein paar Türen weiter von ihrem Zimmer stand. Mühelos brach er die Autotür auf und setzte sie auf den Rücksitz. Dann riss Rais die Abdeckung über dem Zündschloss ab und schloss das Auto binnen Sekunden kurz.

Jetzt waren sie am Hafen, im Schutze der Dunkelheit und fuhren auf den nördlichen Punkt des Festlandes zu, wo der Beton endete und Newark Bay begann. Rais verminderte die Geschwindigkeit und parkte das Auto.

Maya schaute durch die Windschutzscheibe. Da stand ein Boot, für kommerzielle Standards war es recht klein. Von einem Ende zum anderen konnte es nicht mehr als zwanzig Meter lang sein. Es war mit würfelförmigen Stahlcontainern beladen, die etwa anderthalb mal anderthalb Meter groß waren. Abgesehen vom Mond und den Sternen kam das einzige Licht, an diesem Ende des Kais, von zwei kränklich gelben Glühbirnen auf dem Boot, eine am Bug und die andere am Heck.

Rais schaltete den Motor aus und saß einen langen Moment still da. Danach leuchtete er mit den Scheinwerfern auf, nur ein Mal. Zwei Männer kamen aus der Kabine des Bootes. Sie schauten in seine Richtung und kamen dann über die schmale Rampe zwischen Boot und Kai an Land.

Der Attentäter drehte sich auf seinem Sitz um und starrte Maya direkt an. Er sagte nur ein Wort, das er lang hinaus zog. “Warte.” Anschließend stieg er aus dem Auto aus, schloss die Tür erneut und stand nur ein paar Meter davon entfernt, als die Männer sich annäherten.

Maya biss die Zähne zusammen und versuchte, ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen. Würden sie dieses Boot betreten und das Ufer verlassen, dann verminderten sich ihre Chancen erheblich, jemals wieder gefunden zu werden. Sie konnte nicht hören, was die Männer sagten, sie vernahm nur leise Töne, als Rais sich mit ihnen unterhielt.

“Sara”, flüsterte sie. “Erinnerst du dich, was ich dir gesagt habe?”

“Ich kann das nicht.” Saras Stimme zitterte. “Ich werde das nicht…”

“Du musst es tun.” Sie waren immer noch aneinandergefesselt, doch die Rampe, über die man das Boot betrat, war schmal, kaum mehr als einen halben Meter breit. Sie müssten ihnen die Handschellen abnehmen, sagte sie sich. Und wenn sie das täten… “So bald ich mich bewege, rennst du los. Finde Leute, verstecke dich, falls notwendig. Du musst —”

Sie schaffte es nicht, auszusprechen. Die Hintertür wurde aufgerissen und Rais spähte zu ihnen herein. “Raus jetzt.”

Mayas Knie wurden weich, als sie aus dem Rücksitz glitt, gefolgt von Sara. Sie zwang sich dazu, die beiden Männer anzusehen, die von dem Boot herunter gekommen waren. Sie hatten beide helle Haut, mit dunklen Haaren und düsteren Gesichtszügen. Einer der beiden hatte einen dünnen Bart und kurzes Haar, er trug eine schwarze Lederjacke. Seine Arme waren über der Brust verschränkt. Der andere trug einen braunen Mantel und sein Haar war um die Ohren herum länger. Er hatte einen Schmierbauch, der über seinen Gürtel quoll, und ein spöttisches Grinsen auf den Lippen.

Dieser Mann, der stämmige, umlief langsam die beiden Mädchen. Er sagte etwas in einer Fremdsprache – Maya bemerkte, dass es dieselbe Sprache war, die Rais am Telefon im Motelzimmer verwendet hatte.

Dann sagte er ein einziges Wort auf englisch.

“Hübsch.” Er lachte. Sein Kumpane in der Lederjacke grinste. Rais stand stoisch da.

Dieses einzige Wort löste ein Verständnis in Mayas Gehirn aus und zog sich wie eisige Finger um ihren Hals. Da geschah etwas viel Heimtückischeres, als sie nur außer Landes zu bringen. Sie wollte nicht mal daran denken, geschweige denn, es ergründen. Das konnte nicht wahr sein. Nicht das. Nicht mit ihnen.

Ihr Blick fand Rais’ Kinn. Sie konnte es nicht aushalten, in seine grünen Augen zu sehen.

“Sie.” Ihre Stimme war leise, zitternd, sie rang um ihre Worte. “Sie sind ein Monster.”

Er seufzte sanft. “Vielleicht. Das ist alles nur eine Frage der Perspektive. Ich muss die See überqueren und ihr seid mein Tauschhandel. Mein Ticket, sozusagen.”

Mayas Mund wurde trocken. Sie weinte oder zitterte nicht. Sie fühlte sich einfach nur kalt.

Rais verkaufte sie.

“Ähm.” Jemand räusperte sich. Fünf Paar Augen schauten aufmerksam, als ein Neuankömmling in den trüben Schein der Bootslampen trat.

In Mayas Herz blitzte eine plötzliche Hoffnung auf. Der Mann war älter, vielleicht um die fünfzig, er trug Khakis und ein gebügeltes, weißes Hemd – er sah offiziell aus. Unter einem Arm hielt er einen weißen Schutzhelm. Rais hatte sofort die Glock gezückt und auf ihn gerichtet. Doch er schoss nicht. Andere würden es hören, merkte Maya.

“Heeey!” der Mann ließ seinen Helm fallen und hielt beide Hände hoch.

“Hey.” Der Ausländer in der schwarzen Lederjacke trat vor, zwischen die Waffe und den Neuankömmling. “Hey, ist gut,” sagte er mit einem Akzent. “Ist OK.”

Maya stand vor Verwirrung der Mund offen. OK?

Als Rais langsam die Pistole herunternahm, reichte der dünne Mann in seine Lederjacke und zog einen zerknitterten, braunen Umschlag heraus, der drei Mal gefaltet und mit Klebeband verschlossen war. Etwas Dickes, Rechteckiges war darin, wie ein Backstein.

Er übergab ihn, während der offiziell aussehende Mann seinen Schutzhelm wieder aufsammelte.

Mein Gott. Sie wusste genau, was in dem Umschlag war. Dieser Mann wurde bezahlt, um seine Mannschaften fernzuhalten, um diesen Teil des Kais freizuhalten.

Wut und Hilflosigkeit stiegen gleichzeitig in ihr auf. Sie wollte ihn anschreien – bitte, warten Sie, Hilfe – doch dann trafen ihre Blicke sich, nur für eine Sekunde, und sie wusste, dass es sinnlos war.

Da war keine Reue in seinen Augen. Keine Freundlichkeit. Kein Mitgefühl. Kein Ton entsprang ihrer Kehle.

Genauso schnell, wie er aufgetaucht war, verschwand der Mann auch wieder zurück in die Dunkelheit. “Eine Freude, ein Geschäft mit Ihnen zu machen”, murmelte er, als er verschwand.

Das kann nicht passieren. Sie fühlte sich taub. Niemals in ihrem ganzen Leben hatte sie jemanden getroffen, der tatenlos zusah, während Kinder ganz offensichtlich in Gefahr waren – und dann noch Geld annahm, um nichts zu tun.

Der schmierbäuchige Mann bellte etwas in seiner Fremdsprache und machte eine wage Bewegung in Richtung ihrer Hände. Rais antwortete Etwas, das wie ein knappes Argument klang, doch der andere Mann bestand darauf.

Der Attentäter sah verärgert aus, als er in seiner Tasche wühlte und einen kleinen, silbernen Schlüssel herauszog. Er griff nach der Kette der Handschellen und zwang die beiden dazu, ihre Handgelenke anzuheben. “Ich werde die euch jetzt abnehmen”, erklärte er ihnen. “Dann gehen wir auf das Boot. Wenn ihr lebendig auf das Festland zurück wollt, dann bleibt ihr besser still. Ihr tut, was man von euch verlangt.” Er steckte den Schlüssel in die Handschelle um Mayas Hand und öffnete sie. “Und denkt nicht mal dran, ins Wasser zu springen. Keiner von uns wird hinter euch herspringen. Wir werden euch dabei zusehen, wie ihr erfriert und untergeht. Das braucht nur ein paar Minuten.” Er öffnete Saras Handschelle und sie rieb instinktiv ihr wundes, gerötetes Handgelenk.

Jetzt. Mach schon. Du musst jetzt was tun, schrie Mayas Gehirn sie an, doch es schien, als könnte sie sich nicht bewegen.

Der Fremde in der schwarzen Lederjacke trat hervor und griff schroff nach ihrem Oberarm. Der plötzliche, körperliche Kontakt riss sie aus ihrer Lähmung und ließ sie handeln. Sie dachte nicht einmal darüber nach.

Ein Fuß schnellte in die Höhe und trat Rais in den Unterleib, so hart, wie sie es konnte.

Während dies geschah, blitzte eine Erinnerung durch ihr Gedächtnis. Sie brauchte nur einen Augenblick, doch es kam ihr viel länger vor, als ob alles um sie herum sich langsamer abspielte.

Kurz nachdem die Amun Terroristen versucht hatten, sie in New Jersey zu entführen, hatte ihr Vater sie eines Tages zur Seite genommen. Er musste seine Deckungsgeschichte aufrecht erhalten – sie waren Mitglieder einer Gang, die junge Mädchen als Teil einer Initiation entführten – doch er hatte ihr erklärt: Ich werde nicht immer für dich da sein. Es wird nicht immer jemanden geben, der dir hilft.

Maya spielte schon seit Jahren Fußball. Sie hatte einen kräftigen und gut positionierten Tritt. Ein zischender Atemzug entfloh Rais, als er sich vornüberbeugte und seine beiden Hände impulsiv zu seinem Unterleib flogen.

Wenn dich jemand angreift, insbesondere ein Mann, dann tut er das, weil er größer ist. Stärker. Er ist schwerer als du. Und deswegen glaubt er, er könne mit dir machen, was er wolle. Dass du keine Chance hast.

Sie riss ihren linken Arm nach unten, schnell und brutal, und befreite sich von dem Lederjackentypen. Sie schnellte vorwärts und überrumpelte ihn.

Du brauchst nicht fair zu kämpfen. Du tust, was immer du tun musst. Unterleib. Nase. Augen. Du beißt. Du schlägst um dich. Du schreist. Die kämpfen ja auch nicht fair. Warum solltest du es tun?

Maya drehte sich erneut um sich und schwang gleichzeitig ihren dünnen Arm in einem weiten Bogen. Rais war vornübergebeugt, sein Gesicht war ungefähr auf Augenhöhe mit ihr. Ihre Faust schlug auf der Seite seiner Nase ein.

Schmerz durchfuhr sofort ihre Hand, er begann an den Knöcheln und breitete sich nach oben aus, bis zu ihrem Ellenbogen. Sie schrie und griff danach. Doch auch Rais war von dem Hieb schwer angeschlagen, er fiel fast zu Boden.

Ein Arm griff sich um ihre Taille und zog sie zurück. Ihre Füße hoben vom Boden ab und traten ins Nichts, während sie mit beiden Armen um sich schlug. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie brüllte, bis eine dicke Hand sich über ihre Nase und ihren Mund legte und ihr damit sowohl ihre Stimme als auch ihren Atem abschnitt.

Doch dann sah sie sie – eine kleine Figur, die immer kleiner wurde. Sara rannte den Weg zurück, den sie gekommen waren und verschwand in der Dunkelheit der Frachtstapel.

Ich hab’s geschafft. Sie ist weg. Sie ist entkommen. Es war Maya egal, welches Schicksal sie nun heimsuchen würde. Hör nicht auf zu rennen, Sara. Renn immer weiter, finde Leute, finde Hilfe.

Eine weitere Figur schoss voran wie ein Pfeil – Rais. Er setzte Sara nach und verschwand ebenfalls in den Schatten. Er war schnell, viel schneller als Sarah, und es schien, als hätte er sich schnell von Mayas Angriff erholt.

Er wird sie nicht finden. Nicht in der Dunkelheit.

Mit der Hand, die über ihr Gesicht gepresst war, konnte sie nicht atmen. Sie kratzte daran, bis die Finger herunterrutschten, nur ein wenig, doch genug, um Luft durch die Nase einzuatmen. Der stämmige Mann hielt sie fest, einen Arm um ihre Hüfte, und ihre Füße reichten immer noch nicht zum Boden. Doch sie bekämpfte ihn nicht, sie hielt still und wartete ab.

Für mehrere lange Moment war der Kai ruhig. Das Gebrumme der Maschinen am anderen Ende des Hafens hallte durch die Nacht. Das machte es unwahrscheinlich, dass Mayas Schreie gehört worden waren. Sie und die zwei Männer warteten auf Rais’ Rückkehr – sie hoffte verzweifelt, dass er mit leeren Händen wieder auftauchte.

Ein kurzer Schrei erschütterte die Stille und Mayas Gliedmaßen erschlafften.

Rais kam wieder aus der Dunkelheit zurück. Er hatte Sara unter einem Arm, so wie man ein Surfboard trägt, die andere Hand war über ihren Mund gelegt, um sie still zu halten. Ihr Gesicht war knallrot und sie schluchzte, doch ihr Weinen erklang nur gedämpft.

Nein. Maya hatte versagt. Ihre Attacke hatte nichts genützt, sie hatte Sara nicht in Sicherheit gebracht.

Rais hielt ein paar Meter vor Maya an und starrte sie mit reiner Tobsucht in seinen hellgrünen Augen an. Ein dünnes Rinnsal aus Blut trat aus einem seiner Nasenlöcher, wo sie ihn geschlagen hatte.

“Ich hab’s dir gesagt”, zischte er. “Ich hab’ dich davor gewarnt, was passieren würde, wenn du etwas tätest. Jetzt musst du dabei zusehen.”

Maya strampelte erneut, versuchte zu schreien, doch der Mann hielt sie fest.

Rais rief barsch Etwas in der Fremdsprache zu dem Mann in der Lederjacke. Der eilte hinüber und nahm Sara. Er hielt sie fest und geknebelt.

Der Attentäter zog das lange Messer, jenes, das er verwendet hatte, um Mr. Thompson und die Frau in der Raststättentoilette zu ermorden. Er zog Saras Arm auf einer Seite heraus und hielt ihn fest.

Nein! Bitte tu ihr nicht weh. Tu das nicht. Lass es sein… Sie versuchte, Worte zu formen, sie herauszuschreien, doch sie kamen nur als gellende, gedämpfte Rufe hinaus.

Sara versuchte, sich zu entwinden, während sie weinte, doch Rais hielt ihren Arm in eisernem Griff. Er zog ihre Finger auseinander und steckte das Messer in den Raum zwischen Ringfinger und kleinem Finger.

“Du wirst zuschauen”, sagte er nochmals und starrte Maya dabei direkt an, “während ich deiner Schwester einen Finger abschneide. Er drückte das Messer gegen die Haut.

Nein, nein. Bitte, lieber Gott, nein…

Der Mann, der sie festhielt, der mit dem Schmierbauch, murmelte etwas.

Rais hielt inne und sah ihn genervt an.

Die beiden tauschten sich kurz aus, wovon Maya kein Wort verstand. Es war auch egal, denn ihr Blick war auf ihre kleine Schwester gerichtet, deren Augen zugekniffen waren, während Tränen ihr beide Wangen und die Hand hinunterliefen, die ihren Mund zuhielt.

Rais knurrte frustriert. Schließlich ließ er endlich Saras Hand los. Der dicke Mann ließ Maya los und gleichzeitig schubste der in der Lederjacke Sara vorwärts. Maya fing ihre Schwester in ihren Armen auf und hielt sie fest an sich.

Der Attentäter schritt vor und sprach leise. “Diesmal habt ihr noch Glück. Diese Ehrenmänner schlugen vor, dass ich keine Güter beschädige, bevor sie an ihren Zielort gelangen.”

Maya zitterte von Kopf bis Fuß, doch sie wagte es nicht, sich zu bewegen.

“Außerdem”, fügte er hinzu, “wo ihr hinkommt, ist es viel schlimmer, als alles, was ich euch antun könnte. Jetzt gehen wir alle an Bord. Denkt dran, ihr nützt ihnen nur, wenn ihr am Leben seid.”

Der Schmierbäuchige führte sie auf die Rampe, Sara hinter ihm und Maya direkt hinter ihr, als sie erschüttert das Boot betraten. Es hatte keinen Sinn, jetzt zurückzukämpfen. Ihre Hand pochte vor Schmerz an der Stelle, mit der sie Rais den Hieb versetzt hatte. Es waren drei Männer, aber sie waren nur zu zweit und er war schneller. Er hatte Sara in der Dunkelheit gefunden. Sie hatten keine Chance, allein zu entkommen.

Maya blickte über die Seite des Bootes auf das schwarze Wasser hinunter. Für den Bruchteil einer Sekunde spielte sie mit dem Gedanken, zu springen. Vielleicht war es besser, in seinen Tiefen zu erfrieren, als das Schicksal zu erleiden, das sie erwartete.

Doch das konnte sie nicht tun. Sie konnte Sara nicht allein lassen. Sie konnte nicht ihr letztes Bisschen Hoffnung verlieren.

Sie wurden zum Heck des Schiffes gebracht, wo der Mann in der Lederjacke einen Schlüsselbund herauszog und das Vorhängeschloss an der Tür eines Stahlcontainers, der in rostigem Orange bemalt war, öffnete.

Er öffnete die Tür und Maya keuchte vor Horror.

In der Kiste blinzelten im schwachen, gelben Licht mehrere andere junge Mädchen. Es waren mindestens vier oder fünf, die Maya sehen konnte.

Dann wurde sie von hinten geschubst und ins Innere gezwungen. Das Gleiche geschah mit Sara und sie fiel auf dem Boden des kleinen Containers auf die Knie. Als die Tür hinter ihnen zuschwang, kroch Maya zu Sara und nahm sie in ihre Arme.

Dann schlug die Tür zu und sie wurden in Finsternis getaucht.




Kapitel neun


Die Sonne ging schnell am grau bewölkten Himmel unter, während der Quadopter in Richtung Norden raste, um seine Fracht, einen gewissen, entschlossenen CIA Agenten und Vater, zum Starlight Motel in New Jersey zu bringen.

Seine geschätzte Ankunftszeit betrug fünf Minuten. Eine Nachricht auf dem Bildschirm blinkte eine Warnung: Auf den Einsatz vorbereiten. Er blickte aus der Seite des Cockpits heraus und sah, dass weit unter ihnen ein großes Industriegelände aus verschachtelten Lagerhallen und Produktionsanlagen still im Dunkeln lag und nur durch Punkte aus orangefarbenem Straßenlicht beleuchtet wurde.

Er öffnete den Reißverschluss des schwarzen Seesacks, der auf seinem Schoß lag. In ihm fand er zwei Halfter und zwei Pistolen. Reid wand sich in dem winzigen Cockpit aus seiner Jacke heraus und zog das Schulterhalfter an, das eine Standard Glock 22 enthielt – sie hatte keinen von Bixbys biometrischen high-tech Abzugsriegeln, über die damals die Glock 19 verfügt hatte. Er zog sich die Jacke wieder an und krempelte anschließend das Bein der Jeans hoch, um den Knöchelhalfter anzubringen, der die Ersatzwaffe seiner Wahl enthielt, die Ruger LC9. Es war eine kompakte Pistole mit einem dicken Zylinder, neun Millimeter Kaliber in einem, auf neun Runden vergrößerten, Box Magazin, das nur drei Zentimeter weiter als der Griff hervorstand.

Er hielt sich mit einer Hand an der Abseilsprosse fest, bereit, aus der bemannten Drohne auszusteigen, sobald sie eine sichere Höhe und Geschwindigkeit erreicht hatten. Er wollte sich gerade die Kopfhörer von den Ohren ziehen, als Watsons Stimme erklang.

“Null.”

“Gleich angekommen. Noch zwei Minuten —”

“Wir haben gerade eine weiteres Foto erhalten, Kent”, unterbrach ihn Watson. “Auf das Handy deiner Tochter geschickt.”

Eiskalte Finger aus Panik ergriffen Reids Herz. “Von ihnen?”

“Wie sie auf einem Bett sitzen”, bestätigte Watson. “Sieht so aus, als könnte es das Motel sein.”

“Könnt ihr die Nummer orten, von der es gesendet wurde?” fragte Reid hoffnungsvoll.

“Tut mir leid, er hat sich ihm schon entledigt.”

Seine Hoffnung fiel in sich zusammen. Rais war intelligent. Bisher hatte er nur Fotos von Orten geschickt, an denen er schon gewesen war, nicht, an denen er sich gerade aufhielt. Wenn es überhaupt eine Chance gab, dass Agent Null ihn irgendwie einholen könnte, dann wollte der Attentäter, dass das unter seinen Bedingungen geschähe. Während des ganzen Flugs im Quadopter war Reid auf nervöse Weise optimistisch wegen des Motel Tipps, begierig, Rais’ Spiel auf die Schliche zu kommen.

Doch wenn es ein Foto gab… dann war es gut möglich, dass sie schon weitergezogen waren.

Nein. Du darfst so nicht denken. Der will, dass du ihn findest. Genau aus diesem Grund hatte er ein Motel am Ende der Welt gewählt. Der ködert dich. Die sind hier. Die müssen hier sein.

“Sind sie OK? Sahen sie… sind sie verletzt…?”

“Sie sahen OK aus”, teilte Watson ihm mit. “Verunsichert. Verängstigt. Aber OK.”

Die Mitteilung auf dem Bildschirm veränderte sich, blinkte in roten Buchstaben: Einsatz. Einsatz.

Trotz des Fotos oder seiner Gedanken war er angekommen. Er musste es für sich selbst sehen. “Ich muss jetzt los.”

“Beeil dich”, riet ihm Watson. “Einer meiner Männer teilt einen gefälschten Hinweis über das Motel mit, der der Beschreibung von Rais und deinen Töchtern entspricht.”

“Danke, John.” Reid zog sich den Kopfhörer ab, versicherte sich, die Abseilsprosse fest im Griff zu haben und trat aus dem Quadopter.

Der kontrollierte Abstieg von fünfzehn Metern zum Boden war schneller, als er sich vorgestellt hatte und stahl ihm den Atem. Der bekannte Nervenkitzel, der Rausch von Adrenalin, strömte durch seine Adern, während der Wind in seinen Ohren sauste. Er ging beim Ankommen leicht in die Knie und landete in der Hocke auf dem Asphalt.

Sobald er die Abseilsprosse losgelassen hatte, sprang das Seil zurück zum Quadopter und die Drohne entschwirrte in die Nacht, um dorthin zurückzukehren, wo auch immer sie hergekommen war.

Reid blickte sich schnell um. Er war auf dem Parkplatz einer Lagerhalle gegenüber des schäbigen Motels, das nur durch ein paar gelbe Glühbirnen schwach beleuchtet war. Ein handgemaltes Schild, das am Straßenrand stand, sagte ihm, dass er am richtigen Ort angekommen war.

Er warf einen Blick nach links und rechts, während er über die leere Straße eilte. Es war still hier, erschreckend still. Drei Autos standen auf dem Parkplatz, verteilt über die lange Reihe von Zimmern, denen er gegenüber stand – und eines von ihnen war ganz offensichtlich der weiße Kombi, der aus dem Gebrauchtwagenhandel in Maryland gestohlen worden war.

Er war direkt vor einem Zimmer mit der Nummer 9 aus Messing an der Tür geparkt.

Im Zimmer war kein Licht an, es schien nicht so, als ob sich dort jemand im Moment aufhielt. Trotzdem legte er seinen Seesack vor der Tür ab und lauschte sorgfältig für etwa drei Sekunden.

Er hörte nichts, also zog er die Glock aus dem Schulterhalfter und trat die Tür ein.

Der Pfosten splitterte leicht, als die Tür aufflog und Reid eintrat, die Pistole in die Dunkelheit gerichtet. Doch nichts bewegte sich in den Schatten. Es gab keine Geräusche, niemand schrie überrascht auf oder versuchte, eine Waffe zu zücken.

Seine linke Hand tastete die Wand nach einem Lichtschalter ab und legte ihn um. Zimmer 9 hatte einen orangefarbenen Teppich und gelbe Tapeten, die sich an den Ecken einrollten. Das Zimmer war kürzlich gereinigt worden, soweit man im Starlight Motel von Reinigung sprechen konnte. Das Bett war hastig gemacht und es stank nach billigem Desinfektionsspray.

Doch es war leer. Sein Herz sank. Da war niemand hier – weder Sara noch Maya und auch nicht der Attentäter, der sie entführt hatte.

Reid ging vorsichtig voran und inspizierte das Zimmer. In der Nähe der Tür stand ein grüner Sessel. Der Stoff des Sitzkissens und der Rückenlehne war leicht entfärbt und hatte den Abdruck einer Person, die hier vor kurzem gesessen war. Er kniete sich daneben und umzeichnete die Form der Person mit seinen behandschuhten Fingerkuppen.

Jemand hatte hier stundenlang gesessen. Etwa eins-achtzig groß und neunzig Kilo schwer.

Er war es. Er hatte hier gesessen, neben dem Eingang, in der Nähe des Fensters.

Reid steckte seine Waffe zurück in den Halfter und zog vorsichtig die Bettdecke zurück. Die Laken waren beschmutzt, man hatte sie nicht ausgewechselt. Er inspizierte sie vorsichtig, hob jedes Kissen abwechselnd hoch, gab sich dabei Mühe, keine möglichen Beweise zu zerstören.

Er fand zwei blonde Haare, lange Strähnen, ohne die Wurzeln. Sie waren auf natürliche Weise ausgefallen. Auf dieselbe Art fand er ein einziges braunes Haar. Sie waren hier, zusammen, auf diesem Bett, während er dasaß und sie beobachtete. Doch warum? Warum hatte Rais sie hierher gebracht? Warum hatten sie angehalten? War es nur eine weitere List im Katz-und-Maus-Spiel des Attentäters, oder hatte er auf etwas gewartet?

Vielleicht hatte er auf mich gewartet. Ich brauchte zu lange, um den Hinweisen zu folgen. Jetzt sind sie schon wieder fort.

Falls Watson den gefälschten Hinweis hatte melden lassen, würde die Polizei binnen Minuten beim Motel sein, und Strickland war wahrscheinlich schon im Helikopter. Doch Reid weigerte sich, zu gehen, ohne etwas gefunden zu haben. Sonst wäre alles umsonst gewesen, eine weitere Sackgasse.

Er eilte zur Rezeption des Motels.

Der Teppich war grün und grob unter seinen Stiefeln, er erinnerte ihn an Kunstrasen. Es stank nach Zigarettenrauch. Hinter der Theke war ein dunkler Korridor und dahinter konnte Reid hören, dass ein Radio oder ein Fernsehgerät leise spielte.

Er schellte die Serviceglocke auf der Theke, ein disharmonisches Geräusch klang aus dem stillen Büro.

“Hmmm.” Er hörte ein sanftes Grummeln aus dem Hinterzimmer, doch niemand trat heraus.

Reid klingelte drei Mal schnell hintereinander.

“Ja Mann! Himmelherrgott.” Eine männliche Stimme. “Ich komm’ ja schon.” Ein junger Mann trat aus dem Hinterzimmer hervor. Er war Mitte Zwanzig oder Anfang Dreißig. Aufgrund seiner schlechten Haut und seiner geröteten Augen, die er sich rieb, als wäre er gerade aus einem Nickerchen aufgewacht, fiel es Reid schwer, sein Alter zu schätzen. Ein kleiner Silberring zierte sein linkes Nasenloch und sein schmutzig blondes Haar war in verwahrloste Rastas gebunden.

Er starrte Reid eine Weile an, als würde ihn das bloße Konzept, dass jemand durch die Rezeptionstür trat, schon nerven. “Ja? Was?”

“Ich brauche eine Auskunft”, gab ihm Reid zu verstehen. “Hier war kürzlich ein Mann, hellhäutig, Anfang Dreißig oder so, mit zwei jugendlichen Mädchen. Eine braunhaarig, und eine jüngere, blond. Er fuhr diesen weißen Kombi hier. Sie waren in Zimmer neun —”

“Bist du ein Bulle?” unterbrach ihn der Rezeptionist.

Reid wurde schnell sauer. “Nein. Ich bin kein Bulle.” Er wollte noch hinzufügen, dass er der Vater der beiden Mädchen war, doch er hielt sich zurück. Er wollte nicht, dass dieser Rezeptionist ihn noch weiter identifizieren könnte, als es ihm jetzt schon möglich war.

“Schau Mann, ich weiß gar nichts von irgendwelchen Teenies”, beharrte der Rezeptionist. “Was die Leute hier machen, ist ihre Sache —”

“Ich will nur wissen, wann er hier war. Ob du die beiden Mädchen gesehen hast. Ich will wissen, welchen Namen dir der Mann gegeben hat. Ob er bar oder mit einer Karte gezahlt hat. Falls es mit Karte war, dann gib mir die letzten vier Ziffern. Und ich will wissen, ob er irgendwas gesagt hat, oder ob du was gehört hast, das mich darauf hinweisen könnte, wohin er von hier aus weitergefahren ist.”

Der Rezeptionist starrte ihn einen langen Moment lang an, und dann stieß er ein rauhes Lachen aus. “Mann, schau dich doch mal um. Das ist hier nicht die Art von Ort, an dem wir Namen oder Kreditkarten oder Sonstiges aufschreiben. Leute mieten hier Zimmer stundenweise, wenn du verstehst, was ich damit meine.”

Reids Nasenflügel blähten sich auf. Er hatte jetzt wirklich die Nase voll von diesem Idioten. “Es muss doch was geben, was du mir sagen kannst. Wann haben sie eingecheckt? Wann ausgecheckt? Was hat er dir gesagt?”

Der Rezeptionist warf ihm einen wissenden Blick zu. “Was ist es dir wert? Für fünfzig Dollar sag’ ich dir alles, was du wissen willst.”

Reids Zorn entzündete sich wie ein Feuerball, als er über die Theke griff, den jungen Rezeptionisten am T-Shirt packte und ihn nach vorne riss, wobei der fast das Gleichgewicht verlor. “Du hast keine Ahnung, wovon du mich hier abhältst”, knurrte er in das Gesicht des Jünglings, “oder wie weit ich gehe, um es zu bekommen. Du sagst mir jetzt, was ich wissen will, oder du wirst dich für die absehbare Zukunft durch einen Strohhalm ernähren müssen.”

Der Rezeptionist hielt die Hände hoch, seine Augen aufgerissen, während Reid ihn schüttelte. “Ja, Mann! Ist ja in Ordnung! Da, unter der Theke, ist ein, ähm, Register… lass’ mich das holen und ich schau für dich nach. Ich sag’ dir schon, wann sie hier waren, OK?”

Reid zischte einen Atemzug und ließ den jungen Typen los. Der taumelte zurück, glättete sein T-Shirt und griff dann nach etwas Ungesehenem unter der Theke.

“An einem Ort wie diesen”, erklärte der Rezeptionist langsam, “mit der Art von Leuten, die hierher kommen… die legen Wert auf ihre Privatsphäre, verstehst du? Die mögen das nicht, wenn man hinter ihnen herschnüffelt.” Er trat zwei Schritte zurück und zog seinen rechten Arm unter der Theke hervor… dabei ergriff er den braunen Schaft einer abgesägten zwölf-Kaliber Schrotflinte.

Reid seufzte reuevoll und schüttelte seinen Kopf. “Du wirst dir wünschen, das nicht getan zu haben.” Der Rezeptionist vergeudete seine Zeit, um Gesindel wie Rais zu beschützen – nicht, dass er wusste, worin Rais verwickelt war, oder andere schleimige Typen, Zuhälter, Menschenhändler und desgleichen.

“Geh’ zurück in die Vorstadt, Mann.” Der Lauf der Schrotflinte war auf ihn gerichtet, doch er zitterte. Reid hatte den Eindruck, dass der Junge sie verwendet hatte, um zu drohen, doch sie noch niemals wirklich abgefeuert hatte.

Er hatte keine Zweifel daran, dass er schneller abziehen könnte als der Rezeptionist. Er würde nicht mal zögern, ihn in die Schulter oder ins Bein zu schießen, wenn das bedeutete, er bekäme, was er bräuchte. Doch er wollte keinen Schuss abfeuern. Das würde man im Umkreis eines Kilometers im Industriepark hören. Es könnte möglicherweise Gäste im Motel erschrecken – jemand könnte sogar auf die Idee kommen, die Polizei zu rufen, und er konnte diese Art von Aufmerksamkeit gerade wirklich nicht gebrauchen.

Stattdessen ging er die Sache anders an. “Bist du dir sicher, dass das Ding geladen ist?” fragte er.

Der Rezeptionist blickte für eine zweifelhafte Sekunde auf die Flinte. In diesem Moment, während sein Blick abgewandt war, legte Reid eine Hand fest auf die Theke und sprang mit Leichtigkeit darüber. Gleichzeitig schwang er sein rechtes Bein hervor und trat die Schrotflinte aus der Hand des Rezeptionisten. Sobald seine Füße wieder den Boden berührt hatten, lehnte er sich nach vorne und schwang seinen Ellenbogen in die Nase des Jungen. Ein scharfes Keuchen entrang seiner Kehle, als Blut aus beiden seiner Nasenlöcher floss.

Dann, nur zur Sicherheit, ergriff Reid eine faustvoll dreckiger Rastas und schlug das Gesicht des Typen in die Theke.

Der Rezeptionist brach auf dem rauen, grünen Teppich zusammen und stöhnte, während er Blut aus seiner Nase und den aufgeplatzten Lippen auf den Boden spuckte. Er ächzte und versuchte, auf die Knie zu kommen. “Du… oh, Gott… du hast mir die verdammte Nase gebrochen, Mann!”

Reid schnappte sich die Schrotflinte. “Das ist jetzt dein kleinstes Problem.” Er drückte den Lauf in die schmutzig blonden Rastas.

Der Rezeptionist fiel sofort auf den Bauch und wimmerte. “Nein… bring mich nicht um… bitte mach das nicht… bitte… bring mich nicht um…”

“Gib mir dein Telefon.”

“Ich hab’… ich hab’ keins…”

Reid beugte sich vornüber und tastete den Typen schnell ab. Er sagte die Wahrheit, er hatte kein Telefon, doch er hatte ein Portemonnaie. Reid öffnete es und überprüfte den Führerschein.

“George,” spöttelte Reid. Der Rezeptionist sah nicht gerade wie ein George aus. “Hast du ein Auto hier, George?”

“Ich… ich hab’ ein Geländemotorrad… es ist hinten gep-parkt…”

“Das reicht schon. Das Folgende wird jetzt passieren, George. Ich nehme dein Motorrad. Du, du wirst hier raus laufen. Oder rennen, falls du das bevorzugst. Du gehst zum Krankenhaus und lässt dir die Nase untersuchen. Du wirst ihnen sagen, dass du dir in einer Bar einen Faustschlag eingehandelt hast. Du wirst kein Wort von diesem Ort oder von mir erwähnen. “ Er lehnte sich über ihn und fuhr mit leiser Stimme fort. “Ich bin nämlich ein Polizei-Informant, George. Und wenn ich auch nur eine Erwähnung, auch nur ein Wort über einen Mann höre, der zu meiner Beschreibung passt, dann komme ich zum…”, er schaute erneut auf den Ausweis, “Apartment 121B auf der Cedar Road, und ich bring’ deine Schrotflinte mit. Hast du das alles gecheckt?”

“Gecheckt, Mann, ich hab’s gecheckt,” brabbelte der Rezeptionist, dem Blut und Speichel von den Lippen hingen. “Ich hab’s gecheckt, ich schwör’, alles gecheckt.”

“Jetzt nochmal, der Mann mit den Mädchen. Wann waren sie hier?”

“Da war ein… ein Typ, wie du schon sagtest, aber ich hab’ keine Mädels gesehen…”

“Aber du hast einen Mann gesehen, der dieser Beschreibung entsprach?”

“Ja, ja. Der war echt ernst. Hat kaum was gesagt. Kam letzte Nacht rein, es war schon dunkel, und hat für die Nacht bar bezahlt…”

“Wann ist er abgefahren?”

“Weiß ich nicht! Irgendwann nachts. Hat die Tür offen gelassen, sonst hätte ich gar nicht mitgekriegt, dass er weg war…”

Während der Nacht? Reids Herz sank. Er hatte gehofft, doch er hatte nicht wirklich darauf gezählt, seine Töchter im Motel zu finden – doch er dachte, er würde aufholen. Wenn sie einen ganzen Tag Vorsprung hatten… dann könnten sie überall sein.

Reid ließ das Portemonnaie fallen und schritt zurück, dabei nahm er den Lauf der Schrotflinte vom Kopf des Jungen.

“Geh.”

Der Rezeptionist hob seinen Geldbeutel auf und rannte durch den dunklen Korridor, stolperte dabei einmal und fiel auf seine Hände, bevor er in die Nacht hinausstürzte.

Reid nahm die Patronen aus der Flinte, vier insgesamt, und stopfte sie in seine Jackentasche. Da ihr Lauf und Schaft abgesägt waren, handelte es sich um eine illegale Waffe, die wahrscheinlich auch vor den Veränderungen nicht registriert worden war. Er wischte seine Fingerspuren von der Waffe, bevor er sie wieder unter die Theke legte.

Er brauchte nicht noch mehr Ärger in seinem Leben. Er hatte so oder so schon genug.

Die Polizei würde jeden Moment ankommen, doch er konnte nicht gehen, ohne weitere Hinweise zu haben. Er eilte zurück zu der aufgebrochenen Tür von Zimmer neun und suchte nochmals, doch jetzt war es ihm egal, ob er alles wieder zurücklegte oder vorsichtig behandelte. Er riss die Kissen und Laken vom Bett. Er suchte unter dem Bett und dem Sessel. Er zog alle Schubladen der vergammelten Nachttische und der Kommode auf, doch fand nichts, außer einer alten Bibel mit einem gesplitterten, gebrochenen Rücken. Er blätterte durch die Seiten und schüttelte sie aus, im Fall eines Falles.

Bei jeder Gelegenheit hatte Maya bisher Etwas absichtlich hinterlassen. Laut des Rezeptionisten hatten die Mädchen hier den Großteil einer Nacht verbracht.

Reid eilte in das Badezimmer. Es stank scharf nach Chlor. Er durchsuchte die Duschzelle, das Waschbecken, den Frisiertisch mit dem gesprungenen Spiegel. Er öffnete das einzelne, kleine Schränkchen unter dem Waschbecken und fand dort zwei Extra-Rollen Toilettenpapier, eine Dose mit Raumspray und seltsamerweise einen blauen Kuli.

Reid drehte gleichzeitig die Heißwasserhähne des Waschbeckens und der Dusche auf und schloss die Tür zum winzigen Bad, damit es sich mit Dampf füllte. Er prüfte den Spiegel in der Hoffnung, dass Maya vielleicht eine unsichtbare Nachricht geschrieben hatte, die nur durch die Kondensation auftreten würde – doch da war keine Nachricht. Wieder nichts.

Irgendwas verpasse ich. Sie hat einen Hinweis hinterlassen. Ich weiß es einfach.

Sirenen tönten in der Ferne, ihr Klang trieb durch die offene Motelzimmertür zu ihm. Die Polizei war auf dem Weg. Er schnaufte vor Frust und trat mit seinem Stiefel gegen die Toilettenschüssel, so hart, dass das Porzellan abplatzte.

Er sah hinunter und blinzelte.

Ich hätte das sehen sollen. Hätte es wissen sollen.

Auf dem Spülkasten lag ein einzelnes Haar, braun, lang, die weiße Wurzel hing noch daran. Er fiel auf die Hände und Knie und fand noch weitere auf dem Boden verstreut. Das war Mayas Haar, absichtlich vom Kopf gerissen – um ihm einen Hinweis zu geben.

Er hob den Deckel vom Spülkasten ab.

Reid langte hinein und löste das eingerollte Stückchen Stoff, das in die Abzugskette eingefädelt war. Er rollte es in seinen Fingern aus, die sofort begannen, zu zittern, als er das bekannte Ananasmuster wiedererkannte.

Sara.

Der Fetzen war dreieckig. Er bemerkte, dass er aus ihrem Lieblingsschlafanzug herausgerissen war.

Er hielt den Stofffetzen an sein Gesicht. Es könnte seine Einbildung gewesen sein, doch er roch immer noch nach ihr, nach seinem kleinen Mädchen.

Er drehte den Stoff auf die andere Seite um, die ganz weiß war. Dort standen drei Worte in blauer Tinte geschrieben.

“Nein”, flüsterte er heiser.

Industriehafen Jersey. Dubrovnik.

Reid stürzte aus dem Bad, so schnell, wie er nur konnte.

Rais versuchte, seine Mädchen außer Landes zu bringen… wenn er es nicht schon geschafft hatte.




Kapitel zehn


Nein, nein, nein… Als Reid über den orangenen Teppich von Zimmer neun hastete, fühlte es sich an, als könnten seine Beine sich nicht schnell genug bewegen, als ob jeder Muskel sich anstrengte, auf ein unmögliches Tempo zu reagieren. Er musste an den Hafen gelangen.

Er verstand es jetzt. Die Autos, die Richtungsänderungen, sogar der Mord der Frau in der Raststättentoilette – all das würde die Behörden verwirren, ließ Rais verzweifelt und ziellos aussehen, als ob er nicht wüsste, was er tat.

Er wusste aber verdammt genau, was er tat. Er brachte Reids Mädchen nach Europa – und von dort aus Gott weiß wohin. Mit zwölf Stunden Vorsprung konnten sie überall auf der Welt sein. Weg von der Gerichtsbarkeit und der Polizei. Weg von ihm…

Er hob seinen Seesack auf, ohne dabei anzuhalten und rannte weiter, parallel zu der Reihe von Motelzimmern, in Richtung Rezeption. Er hatte die Sirenen kaum gehört, war sich nicht einmal ihres gellenden Heulens bewusst, bis er plötzlich von Scheinwerferlicht überflutet wurde.

Drei Polizeiwagen hielten mit quietschenden Reifen auf dem engen Parkplatz des Starlight Motels. Reid blinzelte im grellen Schein, als die Polizisten ausstiegen, ungesehen hinter den blendenden Scheinwerfern, und so viele Warnungen gleichzeitig riefen, dass man keine von ihnen verstehen konnte.

Er hielt nicht an. Er konnte jetzt nicht anhalten. Reid rannte weiter, um die Ecke des Motels und dahinter. Wie George schon gesagt hatte, wartete dort ein Geländemotorrad, ziemlich gealtert und nicht gerade in bester Form.

Reid sprang darauf und hievte seinen Seesack sicher auf seine Schulter. Er zog die Kupplung durch und warf den Motor mit dem Kickstarter an. Es stotterte einmal und kam dann mit einem lauten Jaulen zum Leben, stark und robust unter ihm. Trotz seines Erscheinungsbildes schien es, dass der Rezeptionist sich ordentlich um die Teile des Motorrads gekümmert hatte, auf die es ankam.

Die verfolgenden Polizisten kamen um die Ecke, ihre schnellen Schritte wurden vom Röhren des Motorrads übertönt. Sie hielten ihre Hände warnend vor sich. Zwei von ihnen zückten ihre Waffen.

Reid ließ die Kupplung los und drehte an der linken Lenkstange, öffnete dabei den Gasgriff ganz. Das Motorrad buckelte so stark, dass er fast herunterfiel, doch er lehnte sich im letzten Moment nach vorn und das Gefährt sprang vorwärts in Richtung Polizisten wie ein Schuss. Es blieb ihnen nichts übrig, als aus dem Weg zu springen.

Er bremste kaum, als er zur Straße gelangte, ließ das Ende des Motorrads herumschwingen und stabilisierte es mit seinem rechten Fuß. Lauter noch als der kreischende Motor war ein weiteres Geräusch – ein sich annähernder Helikopter. Ein schneller Blick über seine Schultern zeigte ihm einen schwarzen Huey, der auf dem Parkplatz gegenüber des Starlight landete, derselbe Parkplatz, zu dem ihn auch der Quadopter gebracht hatte.





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“Sie werden nicht schlafen können, bis sie AGENT NULL ausgelesen haben. Ein großartiges Werk mit einer Reihe von Charakteren, die ausgereift und unterhaltsam sind. Die Beschreibung der Actionszenen entführt uns in eine Realität, die sich fast wie im Kino mit Surround-Sound und 3D-Effekt anfühlt (es würde sich großartig als Hollywood-Film machen). Ich kann die Fortsetzung kaum erwarten.“ – Roberto Mattos, Books and Movie Reviews

Als CIA-Agent Null in JAGD AUF NULL (Buch #3) erfährt, dass seine beiden Teenager-Mädchen entführt wurden und sich auf dem Weg zu einem Menschenhandelsring nach Osteuropa befinden, beginnt er eine rasante Verfolgungsjagd quer durch ganz Europa und hinterlässt dabei eine Spur der Verwüstung, während er alle Regeln bricht, sein eigenes Leben riskiert und alles tut, um seine Töchter zurückzubekommen. Kent, der von der CIA zum Rückzug aufgefordert wird, weigert sich. Ohne die Unterstützung der Agentur, mit Maulwürfen und Auftragskillern zu allen Seiten, mit einer Geliebten, der er kaum vertrauen kann und während er selbst ins Visier genommen wird, muss sich Agent Null zahlreichen Gegnern stellen, um seine Mädchen zurückzubekommen. Gegen den tödlichsten Menschenhandelsring Europas, dessen politische Verbindungen bis an die Spitze reichen, ist dies ein unmöglicher Kampf – ein Mann gegen eine Armee – ein Gefecht, das nur Agent Null führen kann. Ihm wird bewusst, dass seine eigene Identität jedoch das möglicherweise verhängnisvollste Geheimnis von allen ist.

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