Книга - Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid

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Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid
Marie Ebner-Eschenbach




Marie von Ebner-Eschenbach

Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid / Zwei Erzählungen





Rittmeister Brand





I


Dietrich Brand entstammte einer uralten angesehenen Kaufmannsfamilie. Seit fast einem Jahrhundert bestand das Rohseidengeschäft Brand & Co. in Ehren auf dem Wiener Platze. Es hatte seine Begründer und ihre nächsten Nachfolger reich gemacht und trotz der Ungunst der Verhältnisse in den letzten Decennien keinen Rückgang erfahren. Diesen Erfolg verdankte das Haus der Tüchtigkeit seines Chefs, und Niemand zweifelte, daß sein willensstarker und energischer Sohn sein Nachfolger werden würde. Durch lange Zeit blieb das streng, sogar vor einander bewahrte Geheimniß seiner Eltern: Dietrich zeigt zum Kaufmannsstande wenig Lust und Talent.

Trotzdem war es ein Tag des Entsetzens für sie, als er kam und ihnen seinen unerschütterlichen Entschluß kund that, nichts anderes zu werden, als wozu er sich im Innersten berufen fühlte, Soldat.

Warum Soldat, um Gotteswillen? Warum nicht Beamter oder Landwirth, wenn schon durchaus nicht Kaufmann? – Ja, weil er dazu beitragen wollte, die außer Rand und Band gerathenen Menschen wieder an Zucht zu gewöhnen. Weil er erziehen wollte, wie er von klein auf gethan. Das mußten die Eltern gelten lassen. An dem Hunde und Papagei seiner Mutter, an den Tauben und Spatzen, die er mit Weißbrotkrumen auf den Fenstersims lockte, an Allen hatte er – und mit Glück – erzogen. Im Sommer, wenn die Familie in ihrer Villa in Neuwaldegg Aufenthalt nahm, kamen die Kinder dran. Da war er immer von einem Trupp umgeben, den er commandirte und der ihm gehorchte, weil es sich von selbst versteht, daß man dem Dietrich Brand gehorcht.

Dem Vater wollte das Befehlshaberische im Wesen seines Sohnes nicht gefallen: »Aus Dir wird einmal ein Schulmeister,« sprach er zu ihm.

»Nicht ein Schulmeister, ein General,« antwortete Dietrich.

Ja, sie hätten es voraus sehen können und nicht schweigen sollen. Auch nicht zu den schweren Kämpfen, die er im Stillen bestand. Den Trübsinn, der ihn seit längerer Zeit ergriffen hatte, sein übles Aussehen, die rothen, überwachten Augen, mit denen er jeden Morgen zum Frühstück kam, erklärte Vater Brand für Symptome der Übergangsjahre, die einem weiter keine Sorgen zu machen brauchen. Das sagte er freilich nur, um »die Frau« zu beruhigen, die sich wieder ihm zur Liebe beruhigt stellte; denn die wahre Liebe, die Alles kann, kann sogar ihre eigenste Natur verleugnen, kann sogar lügen, wenn’s gilt.

Als Dietrich ihnen sein Vorhaben mittheilte, wußten die Beiden gar wohl: Leicht ist es ihm nicht geworden, unsere Luftschlösser nieder zu reißen und unsere Altershoffnungen bankerot zu machen.

Was ihnen anfangs ganz unauffindbar schien, war der Zusammenhang zwischen seiner Lust am Erziehen und seiner Liebe zum Militärstande. Er wies ihnen aber nach, daß kein anderer so viel Macht verleiht, auf den armen und ungebildeten Nächsten fördernden Einfluß zu nehmen. Und in diesem edelsten Stande giebt es wieder keine Waffengattung, die dem Erzieher so viel Möglichkeit bietet, sein Talent nutzbringend zu entfalten wie die Kavallerie. Das Wesen, dem ich meine Sorgfalt widme, wird zugleich angehalten, die seine einem anderen Wesen zu spenden – seinem Pferde. Da steht also der Mann gleichsam in der Mitte zwischen einer heilsamen Ursache und einer heilsamen Wirkung und erfährt zugleich zweifachen Nutzen. Deshalb wollte Dietrich Brand nicht nur Soldat, er wollte ein Reiter werden, ein schwer wiegender, ein Dragoner.

»Unser Sohn ist ein Feuergeist,« klagten die tiefbetrübten Eltern ihrem Vertrauensmanne, dem greisen Buchhalter; und er dachte bei sich: Zur Hälfte Feuergeist, zur Hälfte Pedant. Die Sorte setzt Alles durch.

Klug wie er war, befolgte er auch dieses Mal die bewährte Praxis, die ihm das Vertrauen des Herrn und der Frau Principal sicherte. Er rieth ihnen, das zu thun, was sie ohnehin gethan hätten – nachzugeben.

Der Vater versöhnte sich nie ganz mit der Berufswahl Dietrichs; aber das uneingeschränkte und einstimmige Lob, das seinem Sohne gezollt wurde, freute ihn doch. Was seine Vorgesetzten am meisten an ihm rühmten, um was seine Kameraden ihn am meisten beneideten, das war die unerschöpfliche Geduld, die ihn bei all’ seiner eisernen Strenge nie verließ.

»Hätten wir viele Offiziere wie Sie, würde unsere Armee zur grandiosesten Volkserziehungsanstalt der Welt,« hatte ein sehr hoher Herr zu Dietrich gesagt, und an diesen Ausspruch erinnerte man sich im Regimente noch lang, nachdem Brand aus ihm geschieden war.

Seine Mutter gerieth nach und nach in eine wahre Begeisterung für den Militärstand. Vom Tage der Ernennung ihres Sohnes zum Lieutenant begann sie den Militärschematismus zu studiren und fehlte bei keiner Revue auf der Schmelz. Remonte, Train, Ménage, Zug, Eskadron, Regiment, Division, in der Tour, außertourlich u. s. w. wurden für sie gebräuchliche Worte. Von allen kamen aber keine so oft über ihre Lippen wie die: »Mein Sohn, der Lieutenant.« Als sie sagen durfte: »Mein Sohn, der Oberlieutenant,« und als er in dieser Charge die Wiener Garnison bezog, da mußte Vater Brand mit ihr hinaus fahren auf den Exercirplatz zu jeder Truppenausrückung. Die Gattin an seiner Seite gerieth beim Defiliren der Regimenter in solche Extase, daß er sich fragte, ob der Sohn nicht am Ende von ihr die kriegerischen und heroischen Neigungen geerbt habe. Aber die erbliche Belastung wäre in dem Falle schwer nachweisbar gewesen, denn Frau Brand entstammte, wie ihr Gemahl, einer alten, friedfertigen Kaufmannsfamilie.

Im Winter wurde der Zug des Oberlieutenants Brand mit Puls- und Seelenwärmern, mit Socken und Flanellunterkleidern so reichlich versehen, daß die Leute sich durch ihr behagliches Aussehen vor allen Anderen auszeichneten. Frau Brand erlebte auch noch die Glückseligkeit, von ihrem Sohne, dem Rittmeister, sprechen zu können und ihren guten Alten dazu ein wenig schmunzeln zu sehen.

Zu der Kaiserrevue in dem Jahre, in dem Dietrich zum ersten Male eine Eskadron kommandirte, kam seine Mutter allein gefahren im schönen offenen Landauer. Die Pferde hatten schwarze Geschirre, und die Diener trugen schwarze Livrée, und im Wagen saß eine gebrochene Frau in Wittwentrauer. Noch ein Jahr, und der Rittmeister hatte keine Eltern mehr, er hatte auch sonst Niemanden, er hatte nur seinen Beruf.

Nein, man darf nicht sagen »nur«, wenn von einem Beruf die Rede ist, von einem vollen, ganzen. Der Beruf ist Alles, ist mehr als Eltern und Kinder, als die Geliebte, als der Freund. – So glaubte Dietrich wenigstens damals.




II


Wenn seine Mutter ihm gesagt hatte: »Du solltest doch endlich ans Heirathen denken,« war seine Antwort gewesen: »In Gottesnamen; nur nicht zu viel, nur nicht zu oft; mein Beruf läßt mir keine Zeit zu Nebenbeschäftigungen.«

Und gerade im ersten Sommer nach dem Tode der guten alten Frau verliebte er sich. Es geschah so sachte, so allmählich, daß er’s anfangs gar nicht merkte. Die Ehe seiner Eltern hatte ihn gelehrt, von der Liebe den höchsten Begriff zu haben. Sie kommt nicht, oder im Triumphe, die unwiderstehliche, allmächtige Siegerin. Und nun war sie erschienen ohne Sang und Klang, hatte sich ihm ins Herz geschlichen unter fremdem Namen in der bescheidenen Gestalt von Sympathie, Werthschätzung und tiefem Mitleid.

Die es ihm angethan hatte, hieß Sophie von Henning, und war die Tochter eines mährischen Landedelmannes, der sich, als Brands Eskadron in der Nähe seines Gutes einquartiert wurde, eben damit beschäftigte, die Reste seines einst ansehnlichen Vermögens in alle Winde zu streuen.

So lange seine, ihm weit überlegene Frau am Leben gewesen war, hatte sie verstanden, seiner Verschwendungssucht bis zu einem gewissen Grade Einhalt zu thun. Nach ihrem Tode, den er sechs Wochen lang leidenschaftlich betrauerte, erwachte er aus seinem Grame als ein verjüngter, lebensfreudiger Mensch. Er färbte seine Haare, unterzog sich einer Entfettungskur, machte jungen Damen den Hof, stellte kostbare Pferde in den baufälligen Marstall ein, steckte seine dörfliche Dienerschaft in Livréen von falscher Eleganz, und hielt offenes Haus.

Seine Tochter sah den Augenblick des unabwendbaren Zusammenbruches immer näher heran kommen, war aber dem leichtsinnigen Vater gegenüber ohnmächtig. Sie konnte nichts thun, als mühsam und unter Entbehrungen aller Art die Lücken und Risse verkleistern, die hinter der kläglichen Herrlichkeit des zu Grunde gehenden Haushaltes klafften.

Herr von Henning nahm die Hülfe Brands, der ihn schon mehrmals aus momentaner Verlegenheit gerettet hatte, mit der größten Unbefangenheit in Anspruch. Sobald der hart gesottene Optimist die Spur einer Neigung des Rittmeisters für Sophie wahrgenommen hatte, stand es ihm auch fest: Brand wird sein Schwiegersohn und rangirt ihn. In fröhlicher Weinlaune vergaß er sich einmal so weit, daß er in Gegenwart der Beiden Anspielungen auf diesen Zukunftsplan machte.

Von Stunde an veränderte Sophiens Benehmen gegen Brand sich völlig; keine Spur mehr des unbefangenen Vertrauens, mit dem sie ihm bisher begegnet war, auch keine auffallende Zurückhaltung, die wieder auszeichnend gewesen wäre. Gleichgültigkeit schien an die Stelle der stillen, tiefen Neigung getreten zu sein, die in ihr erwacht war, ihren Ernst hold durchsonnte, ihr stilles Wesen lieblich verklärte.

Aber Dietrich ließ sich nicht täuschen: er bewunderte die Seelenstärke, mit der sie ihre Neigung verleugnete, den Stolz, aus dem diese Selbstverleugnung entsprang. Zum ersten Male erwog er die Möglichkeit, seine goldene Freiheit aufzugeben und sich fürs Leben an ein anderes Wesen zu ketten. Dann hatte er die Wahl: austreten – den Gedanken schleuderte er nur so hinweg; oder: allen seinen Überzeugungen und Grundsätzen untreu werden und als verheiratheter Mann weiter dienen. Also – thun, was er von jeher verschworen hatte: eine Frau, und weiß Gott wie bald, auch Kinder nachschleppen in kleine Kavallerie-Garnisonen, immer bereit, das eben erst errichtete Zelt wieder abzubrechen.

Militärwirthschaften – er hatte ihrer genug vor Augen – waren ihm ein Greuel. Kaum hat die Familie sich seßhaft gemacht, wohnt leidlich, schickt die Kinder in die Dorfschule oder den Dorfschullehrer zu den Kindern, und schon wieder heißt es wandern. Die richtige »ärarische Frau« sagt dann zu ihrem Manne: »Du brauchst Dich um nichts kümmern, die Übersiedlung ist meine Sache.« Der Bagagewagen steht vor der Thür und daneben sie und überwacht das Aufladen der Einrichtungsstücke, der Betten, der Kisten. Ein Kind hängt sich an ihr Kleid, ein anderes ist in Gefahr, unter die Räder zu kommen, wie der Wagen sich in Bewegung setzt, ein drittes heult um sein Schaukelpferd, das ihm davon geführt wird. Der »ahnungsvolle Engel« sieht es im Geiste schon nach dem Überladen auf den Lastzug und von da wieder auf den Fuhrmannswagen mit drei Beinen ankommen, wenn’s gut geht. Die Tische und Stühle theilen sein Schicksal. Im unbekannten Lande, im neuen Haus, das meistens eine Hütte ist, wird dann geleimt, geflickt, die Bude wieder hergerichtet – fürs Auge.

So manche unternehmende Lieutenantsgattin lädt schon am Tage des Einrückens in die Station einige Offiziere zum Thee. Auf einer umgestürzten Kiste wird er servirt, aus schartigen Tassen getrunken. Wie der Hausrath aussieht, wie die Kinder untergebracht sind, darüber geht man hinweg mit Leichtsinn und Humor. – Aber haben muß man die, ein Pedant darf man nicht sein, für den die schönste Frau allen Reiz verliert, wenn er dahinter kommt, daß sie nicht Ordnung hält in ihrem Wäscheschrank. Ein solcher Mann darf seine Frau nicht in Lagen bringen, in denen die Schönheit der äußeren Lebensform gar zu oft verletzt werden muß.

Nein denn, und dreimal nein.

Und nun kam er auf den Gedanken, den er schon als völlig unausführbar verworfen hatte, zurück – den Dienst aufgeben.

Ja, er überlegte, erwog die große Frage aufs Neue. Konnte es einen besseren Beweis geben, daß er liebte, innig und tief? Aber das Resultat seines peinigenden Nachgrübelns war doch wieder »nein« gewesen. Und nun stand es fest, und kein Gott hätte daran rütteln können. Dem Rittmeister blutete das Herz. Man sagt das oft so leicht hin: Mir blutet das Herz. Erfahre es nur an dir selbst, wie das ist, wenn sich’s zusammenschnürt, immer fester, immer erstickender, bis man meint, die schweren, schmerzenden Tropfen hervorquellen zu fühlen, mit denen Frohsinn und Lebensfreude dahin fließen.

Er wußte auch: Sie leidet und vielleicht mehr als er selbst; sie hat ja nicht einen Beruf, der für Alles Trost bietet, sie hat nur elende Sorgen.

Seitdem Brand das Haus Henning mied, war dort ein Freier aufgetreten, der sich bisher vor dem brillanten Rittmeister bescheiden im Hintergrunde gehalten hatte, ein Herr von Müller, Major in Pension, von dem es hieß, daß er ein wohlhabender Mann sei und den traurigen Muth haben wolle, das verschuldete Gut Hennings zu übernehmen. Er knüpfte an dieses problematische Erlösungswerk die Hoffnung, Sophie werde sich entschließen, ihm ihre Hand zu reichen. Sie that es nicht, sie widerstand seinem treuen Werben, dem flehenden Beschwören ihres Vaters.

Brand hörte durch gemeinsame Bekannte ab und zu von ihr in der fernen Garnison, in die sein Regiment versetzt worden war.

Zwei Jahre gingen vorüber, da traf eine überraschende Kunde ein. Müllers Großmuth und Güte mußten Sophie endlich gerührt haben, sie war seine Frau geworden.




III


Nun erfuhr Brand, was heiße Reue ist. Er sagte sich, daß es doch besser gewesen wäre, im Kampfe gegen seine Herzensneigung zu unterliegen als zu siegen. Schade, schade um diese edle Sophie, die ihm herabgewürdigt schien durch eine nicht aus Liebe geschlossene Verbindung. Die Schuld an dem schweren Unrecht, das damit an ihr begangen wurde, maß er mit gutem Grunde sich selbst zu.

Alles, was Brand damals im Stillen litt, trat aber bald in den Hintergrund vor einem anderen wichtigen Ereigniß, das über seine ganze Zukunft entscheiden sollte.

Von Kind auf hatte er bedauert, daß er keine Geschwister gehabt, keinen schwachen, kleinen Bruder, den er hätte beschützen, leiten, erziehen können. Im Regimente fand er, was die Familie ihm schuldig geblieben war, den jüngern, etwas unselbständigen Kameraden, auf den er alle Bruderliebe, die in ihm geschlummert hatte, übertragen konnte, und der ihm dafür durch unbedingte Ergebenheit dankte.

Es war ein schöner, etwas zur Melancholie geneigter Mensch, dem das Leben mehr Bitternisse zu kosten gegeben hatte als gut ist für eine feine, scheue Natur. Früh verwaist, arm, die ganze Kindheit hindurch auf das Gnadenbrot angewiesen, das wohlhabende Verwandte ihm und seiner Schwester widerwillig reichten, schlug für ihn die erste glückliche Stunde, als seine Angehörigen seinem Drängen nachgaben und ihm erlaubten, in eine Militär-Erziehungsanstalt zu treten. »Er wird die harte Schule bald satt haben,« meinten sie, »und ungestümer herausstreben, als er hineingestrebt hat.« Sie irrten. Er bestand die harte Schule zum Verdruß der Onkel und Tanten, denen seine Ausdauer als eine weitgetriebene und ziemlich respektlose Rechthaberei erschien. Sobald die lange – oft endlos scheinende – Lehrzeit vorbei und er Offizier geworden war, hatte er seine Schwester zu sich nehmen wollen. Darüber lachte man nur. Einem zwanzigjährigen Lieutenant, wenn er auch ein Muster von Solidität ist, pflegt man nicht ein achtzehnjähriges Mädchen zur Vollendung ihrer Erziehung zu übergeben. »Ihr müßt warten,« sagten der Onkel-Vormund und seine Frau, denen es sehr angenehm war, eine unbesoldete Bonne im Hause zu haben, auf die man sich unbedingt verlassen konnte.

Die Geschwister warteten, bis die Ernennung Wildensteins zum Rittmeister nahe bevorstand und seine Schwester mündig gesprochen werden sollte. Sie hatten in dem kleinen, dunkeln Hofzimmer, das sie bewohnte, das letzte, kurze Wiedersehen vor der letzten Trennung gefeiert. »In drei Wochen also komme ich und hole Dich« – hatte er gesagt, und sich erhoben und ihr die Hand gereicht. Aber sie hatte die Hand nicht erfaßt, sie war in unaussprechlichen Jubel ausgebrochen. Die Schüchternheit, von der sie sonst in der Nähe des abgöttisch verehrten Bruders ergriffen wurde, verschwand. Sie stürzte in seine Arme, und ihre Glückseligkeit verrieth ihm, wie viel sie bisher gelitten hatte: So nahe der Augenblick, in dem die Sehnsucht ihres ganzen Lebens sich erfüllen sollte! So nahe die Erlösung! Es war kaum zu fassen, es berauschte sie, es stand vor ihr wie das plötzlich geöffnete Himmelsthor: »Ich werde bei Dir sein!« Sie lag an seiner Brust, die kleine, stille Dulderin, seine echte Schwester, so schweigsam und tapfer in ihrer Weise, wie er in der seinen – und weinte.

Da verlor er seine gewohnte Selbstbeherrschung, sein Herz überfloß. Sie erfuhr, daß er ihrer bedurfte, ihrer tröstenden, heilenden Nähe, der immer wach erhaltenen Überzeugung: da ist ein Wesen, für das ich leben muß. Wäre sie nicht, würde er selbst nicht mehr sein; er hätte längst den Qualen einer thörichten, verdammenswerthen und unüberwindlichen Liebe ein Ende gemacht. Als er seine Schwester in die Tiefen seiner Seele blicken ließ, lernte sie mit Entsetzen eine Leidenschaft kennen, von der bis jetzt nicht die leiseste Ahnung in ihr gedämmert hatte. Ihr Bruder liebte eine Unerreichbare, liebte wie nur einsame und verschlossene Menschen lieben, die bezaubernde junge Frau seines Obersten. Gräfin Erny ermuthigte ihn nicht – er betheuerte, daß sie es nie gethan habe. An Wahnsinn grenzte, sich einzubilden, der Wunsch vermöchte die Erfüllung zu erzwingen, es war Aberwitz, kühne Hoffnungen zu nähren. Er wollte sie austilgen, sich befreien, dem entnervenden Kampfe ein Ende machen, und zählte dabei auf die Hülfe seiner Schwester.

Als er sie verließ, blieb sie, im Innersten erschüttert, zurück. Erhört oder zurückgewiesen werden, fragte sie verwirrt und rathlos: Was ist das größere Unheil in dieser sündhaften Liebe? Aus ihrem Gleichgewicht gebracht, in unsäglicher Angst um ihn, hätte sie sich an seine Fersen heften, nicht mehr von ihm weichen mögen. Sie hatte so lange geduldig gelitten und gewartet; die zwanzig Tage, die sie noch von dem Zusammenleben mit ihm trennten, glaubte sie nicht überdauern zu können.

Sie schrieb ihm täglich; er beschäftigte sich mit den Vorbereitungen zu ihrem Empfang, und Rittmeister Brand, der sonst zu zetern und zu wettern pflegte, wenn die Ankunft einer Frau in der Station bevorstand, erwartete die Schwester des Freundes mit fast ebenso großer Ungeduld wie dieser selbst. Ehe noch ein Auge sie erblickt hatte, that sie Wunder: Brand sehnte ihr Erscheinen herbei, Wildenstein brachte es in der Selbstbeherrschung so weit, vierzehn Tage lang den Anblick der geliebten Frau zu meiden. Das war mehr, als er sich zugetraut hatte, und es gewährte ihm eine stolze schmerzvolle Freude, der Schwester schreiben zu können: »Wieder ein Tag, an dem ich sie nicht gesehen habe. Sei Du nur einmal da, und was mir jetzt als etwas Ungeheueres erscheint, wird mir leicht werden.«

Die Oberstin zeigte sich verstimmt; sie wollte Wildenstein nicht verlieren. Es verdroß sie nicht nur, es kränkte sie, daß er vermochte, den Gleichgültigen zu spielen, zu thun, als ob sie ihre Macht über ihn eingebüßt hätte.

Gräfin Erny war mehr als schön, sie war bildhübsch, lebenslustig, emotionsbedürftig und hatte Anwandlungen von Sentimentalität. Als fünfte Tochter eines unbegüterten, ungarischen Edelmannes geboren, bei reichen Verwandten aufgewachsen, kehrte sie nach deren Tod in das väterliche Haus zurück. Die kühle Aufnahme, die sie dort fand, that ihr weh, die kleinlichen Verhältnisse beengten sie. Nur fort, wieder fortkommen, heirathen, gleichviel wen, wenn er sie nur erlöst aus der Familie, in der sie das fünfte Rad am Wagen ist, war fortan ihr heißer Wunsch. Als ihr Vater ihr lachend mittheilte, der alte Oberst Graf Prach habe bei ihm um sie geworben, dachte sie einen Augenblick nach und rief dann entschlossen: »Hol’s der Kuckuck, ich nehm’ ihn!«

Er war freilich nicht verlockend, der unförmig dicke Oberst. Um ein Vierteljahrhundert älter als sie, so plump, wie sie zierlich, so langweilig, wie sie sprühend von guten Einfällen war. Allerdings hatte auch Prach eine kurze Blüthezeit gehabt, als er, ein junger Major, mit seinem Regimente die Garnison Wien bezog. Da war er in der Gesellschaft bis in exclusive Kreise vorgedrungen und hatte dort den Spitznamen: »Le bœuf à la mode« erhalten, denn Anlagen zum Dickwerden zeigte er schon damals und war auch nicht gescheiter als jetzt. Aber er konnte doch vor seiner Braut mit einst errungenen Erfolgen prahlen, und sie fühlte sich befriedigt in ihren Ansprüchen auf Glück, wenn sie die Frau eines Mannes wurde, der eine Stellung in der »großen Welt« hatte und Kommandant eines eleganten Kavallerieregiments war.

Kurz nach ihrer Verheirathung erlebte sie eine bittere Enttäuschung. Prach, der bisher immer von väterlicher Freundschaft und von der Unabhängigkeit gesprochen hatte, die Erny als regierende Frau Oberstin genießen sollte, wurde ein verliebter, eifersüchtiger Gatte und ein engherziger Haustyrann. Die schönen, glänzenden Augen der jungen Frau verschleierten sich allmählich, und die leise Trauer, von der die angeborene Munterkeit und Frische ihres Wesens nun oft gedämpft wurde, gab ihr einen neuen Reiz. Er wirkte auf keinen ihrer zahlreichen Verehrer so ergreifend wie auf Rittmeister Wildenstein.

Erny hatte mit ihm gespielt wie mit Allen, die ihr huldigten. Sie ließ sich gern den Hof machen in allen Ehren. Weiter als bis zu einem Handkuß brachten es bei ihr selbst die Unternehmendsten nicht. Seltsam war, daß fast Jeder, der in ihren Banden gelegen hatte, ihr Feind wurde von der Stunde an, in der er seine Eroberungspläne aufgab. Sie mußte eine gar unangenehme Manier haben, die Leute abblitzen zu lassen. Andere wieder, die ihr Glück bei ihr gar nicht versucht hatten, behandelten sie mehr wie einen lustigen Kameraden, denn als Respectsperson.

Herr von Wildenstein war ihr, von allem Anfang an, anders als alle Anderen begegnet. Er verehrte sie wie eine Königin, wie ein höheres Wesen. Ihr mochte das etwas komisch vorgekommen sein, nach und nach aber begann sie den Unterschied zwischen den Huldigungen, an die sie gewöhnt war und denen, die der junge Rittmeister ihr darbrachte, zu fühlen. Der Ton, den sie ihm gegenüber angeschlagen hatte, ihr gewöhnlicher, spielerischer, den Scherz herausfordernder Ton stimmte sich allmählich um. Sie mußte einen Blick in dieses Männerherz gethan haben, der ihr etwas völlig Neues, Schönes enthüllte: eine tiefe, ernste, an die Wurzeln des Lebens greifende Empfindung.

Und die wollte Erny nicht einbüßen, sie wußte sehr wohl, daß sie damit ihren besten Reichthum verlor. Sie beging eine große Unvorsichtigkeit, sie schrieb, sie beschied Wildenstein zu sich. Er kam nicht; sie erfuhr, daß er einen kurzen Urlaub nach Wien genommen hatte. Einige Tage hindurch waren die Briefe von seiner Schwester ausgeblieben, dann gab der Vormund traurige Nachricht von ihr. Sie hatte ihre Zöglinge in einer ansteckenden Krankheit gepflegt und lag nun selbst schwer darnieder.

Als Wildenstein zur bestimmten Frist zurückkehrte, kam er vom Begräbnisse seiner Schwester.

Die Gräfin äußerte ihr Mitgefühl in liebenswürdiger Weise, schonend und herzlich. Wildenstein und sie hatten die Rollen getauscht; sie zeigte sich ihm dankbar, wenn er einer Gelegenheit, ein freundlich tröstendes Wort von ihr zu hören, nicht auswich. Seine Leidenschaft schien erloschen, untergegangen in seinem tiefen Schmerz.

Und doch war der Oberst nie eifersüchtiger auf ihn gewesen als jetzt. Er bewachte, er belauschte seine Frau, er verschlang sie mit den Augen, wenn sie den Namen Wildenstein aussprach, er hätte den zweiten Rittmeister von der Erde forttilgen mögen – und den ersten dazu. Die Eifersucht auf den einen ließ ihn nicht schlafen, der Neid auf das Ansehen, die Beliebtheit, die der andere im Regimente genoß, raubte ihm den Appetit. Seine Anlage zur Grausamkeit, das Erbtheil vieler bornirter Menschen, entwickelte sich unter solchen Umständen zu üppiger Blüthe. Das Offizierscorps und die Mannschaft hatten schlechte Zeiten und waren überzeugt: es giebt keine Hoffnung auf bessere, bevor der Oberst die beiden Rittmeister »weggebissen« haben wird.

Mühe genug ließ er sich’s kosten.

Die Eskadron Brands lag in der Stabstation, und der Morgenritt des Obersten führte an der Reitschule vorbei. Alle Augenblicke war er da, spöttelte, nörgelte – raste, brachte die Leute zur Verzweiflung und Brand beinahe um seine Geduld.

Auch seiner Frau machte der Oberst das Leben schwer. Einmal, in einer Stunde der Empörung über ihn, ließ sie sich hinreißen, Wildenstein ihr Leid zu klagen. Das wurde für beide verhängnißvoll. Die lange zurückgedämpfte Empfindung im Herzen Wildensteins brach mit elementarer Macht hervor; er entrang der Geliebten ein halbes Geständniß ihrer Gegenliebe und drückte in an Wahnsinn grenzendem Entzücken den ersten Kuß auf nur schwach widerstrebende Lippen. Sie hatte ihm durch ihre Klage das Recht gegeben, sie zu beschützen, und dieses Recht war nun sein, und er wollte es wahren, es vertheidigen, und sie war sein. Um dieses höchste Gut sollte ihn keine Macht der Erde bringen. Aber nicht unrechtmäßig, nicht in Unehren wollte er sie besitzen. Er sprach von der Scheidung ihrer Ehe, von dem Eingehen einer neuen mit ihm. Er entrollte vor ihr ein Zukunftsbild, das ihm die Seligkeit auf Erden verkörperte, vor dem ihr aber graute. So hatte sie es nicht gemeint! Empörend und lächerlich erschien der gesellschaftlich hoch stehenden, an Luxus gewöhnten Frau die Zumuthung Wildensteins und er selbst als ein rücksichtsloser Egoist.

Am folgenden Tage erhielt er einen langen Brief von der Gräfin. Sie bat ihn, ihre »gestrige Übereilung« großmüthig zu verzeihen. Sie war seitdem von Reue gefoltert. Sie hatte schwer gegen ihren Gatten gefehlt, dem sie ja im Grunde keinen anderen Vorwurf machen durfte als den, daß er sie zu sehr liebe. Sie hatte sich auch an Wildenstein schwer versündigt, sie hatte ihn – freilich eine Selbstgetäuschte – über die Stärke ihrer Empfindung für ihn getäuscht. Sie würde sich nie entschließen können, ihren Pflichten untreu zu werden, ihren Gatten zu verlassen. »Ich bin in Ihrer Hand«, hieß es am Schlusse. »Sie können mich verderben, Sie sind ein edler Mensch, Sie werden es nicht thun. Ich hoffe, ich baue auf Sie, Sie werden die arme, kleine Erny nicht unglücklich machen wollen. Ich wage nicht, Sie um Ihre Freundschaft zu bitten, ich bitte nur, seien Sie nicht mein Feind.«




IV


Eines Abends in der Offiziersmenage, – auch der Oberst war da und saß an einem Tische mit Brand, – kam das Gespräch auf allgemeine militärische Verhältnisse. Die Herren geriethen in Eifer, Dietrich behandelte mit besonderer Wärme sein Lieblingsthema: Keine Institution ist zur Erfüllung des hohen Zweckes, die Menschen zu erziehen, so berufen und so fähig wie die Institution des Waffendienstes. Sie stellt die strengsten Anforderungen an die Pflichttreue, Ehrenhaftigkeit, den Mannesmuth. Sie verlangt blinden Gehorsam von den Geführten und deshalb von den Führern sehende Augen, klaren Vorausblick, scharfen Einblick. Sie verlangt von ihnen Gerechtigkeit und Strenge, denn nicht Freiheit braucht der Mensch, der Mensch braucht Zucht. Aber weise muß die Strenge sein; unweise Strenge wird immer Grausamkeit und unter dem grausamen Führer die Mannschaft zur wilden Rotte. Der Dutzendoffizier verroht, der tüchtige verbittert. Ein Fluch für die Armee ist Jeder, der Gewalt hat über Andere und nicht über sich selbst, ein Verräther, der unseren Stand dem Haß und der Verleumdung ausliefert.

Er sah, während er sprach, dem Obersten fest ins Gesicht, und der erwiderte kein Wort, zog die giftigen Äuglein nur immer mehr zusammen. Plötzlich stand er auf, nickte den Herren, die alle zugleich seinem Beispiel folgten, kaum merklich zu und ging nach Hause.

Besonders zeitig fand er sich am nächsten Morgen auf der Reitschule ein, wo Brand Chargenreiten abhielt.

Schon als er vom Pferde stieg, sich in den breiten Hüften wiegte, die Beine warf, daß ihm die Kniescheiben knackten, und am staubfarbigen Schnurrbart ungeduldig zupfte, wußten seine unglücklichen Untergebenen: Der ist geladen. Gnade Gott Jedem, den er heute aufs Korn nimmt.

Der Oberst untersuchte die Packung, die Zäumung, die Bügelschnallung, tadelte Alles, fand auch die Wartung der Pferde, die Haltung der Reiter miserabel, unterzog die Abrichtung selbst einer herben Kritik.

»Herr Rittmeister Brand,« hieß es auf einmal, »Sie scheinen vorzugehen nach einem ganz neuen, eigens von Ihnen erfundenen Reglement. Ihre Unteroffiziere haben die schlechtesten Pferde.«

»Entschuldigen Herr Oberst, das ist nicht der Fall,« antwortete Brand.

»Wie, nicht der Fall?« Er bezeichnete ein Pferd in der Abtheilung Wildensteins, der eben aufgesessen war, und auf den Befehl, in die Reitschule zu kommen, wartete: »Der Braune dort im zweiten Glied ist mir lieber als alle Ihre Unteroffiziers-Pferde.«

»Aber auf einem Auge blind,« sprach Dietrich mit größter Ruhe.

Der Oberst schnaubte: »Was? … Sie … Den mein’ ich nicht. Den andern, den lichten, der ist das richtige Unteroffiziers-Pferd.«

»Er ist’s auch gewesen, aber Herr Oberst haben ihn selbst vor vierzehn Tagen als untauglich dazu erklärt.«

Das auf offener Reitschule, vor aller Mannschaft. Dem Obersten liefen dicke Schweißtropfen über die Hängebacken, er biß die Lippen und wendete sich der Abtheilung des zweiten Rittmeisters zu. Mit dem war der Kampf leichter aufzunehmen, der sollte jetzt büßen für den Freund und für sich selbst, hatte ihn der Regiments-Kommandant doch schon lange genug im Magen, den melancholischen Frechling, der es wagte, die Frau Oberstin anzuschmachten.

Die Nörgeleien begannen. Wildenstein erfuhr Rüge um Rüge, Spott um Spott. Was einen Menschen, der seine Schuldigkeit thut, und mehr als seine Schuldigkeit, nur reizen und demüthigen kann, folgte Schlag auf Schlag. Nun entsetzte sich der Oberst plötzlich über das Aussehen eines der Dragoner.

»Kommandiren Sie den Mann in die Mitte der Reitschule,« befahl er, und nachdem das geschehen war, betrachtete er den armen Teufel von Rekruten, einen blutjungen, plumpen, hochschultrigen Burschen, und schrie dann auf, mit geheucheltem Zorn: »Der ist ja bucklig. Sagen Sie mir einmal, Herr Rittmeister Wildenstein, wie heißt der Mann? – Wie er heißt, frag’ ich.«

Merkwürdig – der Rittmeister besinnt sich. Hat ihn das Gedächtniß verlassen, hat er nicht reden können, weil es schon so gekocht hat in ihm, er antwortete nicht. Da brach der Oberst in ein abscheuliches Lachen aus: »Ach ja, freilich, Männernamen merken Sie sich nicht. Freilich, freilich, wenn eine Amalia Rosenduft oder eine Eulalia Lilienstengel da oben säße, da hätten Sie nicht nöthig, erst lange nachzudenken. Ich muß Ihnen doch rathen, befassen Sie sich zeitweise wenigstens mit dem, was Ihre Pflicht ist.«

»Herr Oberst«, knirschte Wildenstein, und in seine Arme hätte Dietrich ihn nehmen, wegtragen hätte er ihn mögen. Er sieht es ihm an, es ist aus mit seiner Selbstbeherrschung, seiner Willenskraft, mit Allem.

»Schweigen Sie,« donnerte der Oberst ihn an. »Riskiren Sie nicht ein einziges Wort, man soll das Schicksal nicht versuchen, wenn man so wenig Glück hat wie Sie.«

Das war mit einer so schändlich gemeinen Ironie gesprochen, daß es Jeden anwiderte, der es mit anhören mußte. Wildenstein war leichenblaß: »Herr Oberst,« sprach er mit lauttönender Stimme, »ich dulde das nicht, das gehört nicht hierher.« Seine Hand ballte sich um den Säbelgriff, er trat auf den Kommandanten zu.

Brand sprang ihm nach, packte ihn und hielt ihn fest.

»Gehen Sie zum Profosen, ich mache Ihnen den Proceß,« sagte der Oberst. Er triumphirte; endlich war die Gelegenheit da, Herrn Rittmeister Wildenstein den Hals zu brechen.

Als der sich wendete, um zu gehorchen, stand Dietrich vor ihm und sah ihn unsagbar besorgt und beschwörend an. Wildenstein antwortete mit einem ernsten, entschlossenen Blick, einem Blick, der deutlich sprach für den verstehenden Freund: »Sag’ selbst, ist’s nicht genug?«

Nach dem Schluß der Reitschule ging Brand gerade aus ins Quartier seines Freundes. Da fand er ihn, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, auf dem Bette sitzend, neben ihm lag die abgeschossene Pistole; er hatte sich meisterlich ins Herz getroffen. Auf dem Tische war sein Geld ausgebreitet, zweiundvierzig Gulden, und ein Briefbogen, auf dem mit Bleistift geschrieben stand:

»Lieber Dietrich, zwanzig Gulden meinem Burschen, den Rest den Leuten meiner Abtheilung. Hab’ Dank für Deine Liebe und Treue. Auf Wiedersehen. Ich glaube dran.«

Dieser Tag und die darauf folgende Nacht waren die schwersten im ganzen Leben Dietrich Brands. Da muß er fürchterlich mit sich gerungen haben. Am Morgen war sein Entschluß gefaßt. Beim Begräbniß des Freundes hat er zum letzten Male den Säbel gezogen.

Nach der Heimkehr von der Beerdigung verfaßte er sein Gesuch um Enthebung von der Militärcharge.

Im ganzen Regimente rief der Entschluß Brands Bestürzung hervor. Aber das änderte nichts daran. Er that auch keinen Dienst mehr. Der Regimentsarzt stellte ihm ein Krankheitszeugniß aus und konnte es mit gutem Gewissen thun. Er war ehrlich besorgt und sagte: »Ein Nervenfieber oder der Wahnsinn – der Herr Rittmeister kann von Glück sagen, wenn er ohne eines von beiden durchkommt.«

Als das Gesuch des Rittmeisters bewilligt worden und er wieder in den Civilstand zurückgetreten war, schickte er seine Herausforderung dem Obersten zu. Der nahm sie an; seine Secundanten und die Brands einigten sich ohne Schwierigkeiten über die Bedingungen des Duells: Pistolen, zehn Schritte Barrière. Nie waren zwei Leute entschlossener, einander das Lebenslicht auszublasen. Der Oberst wußte: treff’ ich ihn nicht, bin ich ein todter Mann, und Brand hatte sich’s zugeschworen: dem grausamen Führer wird das Handwerk gelegt. – Gute Pistolenschützen waren beide. Und doch – die Anwesenden trauten ihren Augen nicht, der Oberst drückte los und – fehlte. Auch sein Gegner fehlte. Nachdem die Secundanten einen pflichtgemäßen und selbstverständlich nutzlosen Versöhnungsversuch gemacht hatten, wurden die Pistolen wieder geladen. Der Oberst zielte und traf Dietrich in die linke Schulter. Dieser zuckte. Die Secundanten wollten hinzu springen, doch winkte er sie fort, ließ den Obersten bis an die Barrière heran kommen und schoß ihn durch und durch. Die Kugel prallte an einem kleinen Baume ab, der Mann stürzte nieder ohne einen Laut. Für todt – nicht todt. Im Wagen schon, in dem sie ihn nach Hause brachten, erlangte er die Besinnung wieder. Es fand sich, daß die Kugel zwischen den Lungen durchgegangen war. Er genas nach verhältnißmäßig kurzem Siechthum. Aber Brand hatte ihm doch das Handwerk gelegt; der Oberst mußte den Dienst aufgeben, denn seine Stimme war zum Kommandiren zu schwach geworden.

Die Verwundung Dietrichs erwies sich als eine schwere; lange Zeit verging, ehe er die volle Gesundheit wieder erlangte.

Den Titel, dessen er sich entäußert, erhielt ihm die Tradition. Die Erinnerung an seine ehrenvolle Dienstzeit, an die Beliebtheit, die er genossen hatte, blieb unvergessen, und er, trotz all’ seines Protestirens, Verbietens und Verbittens, für Jeden, der ihn in früheren Jahren gekannt und in späteren von ihm gehört hatte: der Rittmeister Brand.




V


Gescheitert, wie Robinson, richtete er sich auf seiner Insel ein. Er änderte, als Feind der halben Maßregeln, seine Lebensweise aus dem Grunde, verschenkte seine Pferde, seine Waffen an arme, einstige Kameraden, zog nach der Stadt und vegetirte dort wie ein pensionirter Hofrath. Er mied die Kaffeehäuser, in denen Offiziere verkehrten, machte große Spaziergänge, besuchte Museen, Kunstausstellungen, Concerte, Theater und populäre Vorlesungen. Er holte manches nach, was ihm an litterarischer Bildung fehlte, las die Klassiker, las auch moderne Poeten, konnte sich erfreuen an einem schönen Buch, einem schönen Bildwerk und an guter Musik. Diese wohlthuenden Eindrücke gingen aber nicht tief; hinter der flüchtigen Wärme und dem Interesse, die sie erregten, schauerte es kalt, gähnte die Leere.

Der Zeit wilder Aufregung war eine unausbleibliche Reaktion gefolgt. Brand hatte einem gebieterischen Müssen gehorcht, als er Alles hingab, was den besten Inhalt seines Daseins ausmachte, um einen Verbrecher bestrafen zu können. Er hatte nicht rechts noch links geschaut, nur nach dem einen, einzigen Ziele hin; nicht gefragt: wenn es erreicht sein wird, was dann? Und als dieses »dann« zur Gegenwart wurde, erschien sie ihm recht öde, nutzlos und armselig, und der Blick in die Zukunft wie ein Blick ins Grab.

Die Wohnung, die er für sich und für seinen ehemaligen Privatdiener gemiethet hatte, lag im zweiten Stock eines schönen Hauses der Rathhausstraße, war hell und freundlich und zeichnete sich durch die höchste, eine wahrhaft erfinderische Reinlichkeit aus. Wer die drei Zimmer durchschritt, aus denen sie bestand, brauchte keinen besondern Scharfsinn, um zu erkennen: hier haust ein einfacher und solider Mann, der eine Vorliebe hat für mattgeschliffenes Nußholz und für die grüne Farbe.

Zwischen der Thür, die aus dem conventionell ausgestatteten Salon herein führte und dem ersten Fenster links, ragte ein hoher Bücherschrank fast bis zur Decke, und die Bücher darin waren nett gebunden und sorgfältig eingereiht. Dem Bücherschrank gegenüber, zwischen dem zweiten Fenster und der Thür des Schlafzimmers, machte sich ein großer Schreibtisch breit; ein Strohsessel mit runder, niederer Lehne stand vor ihm, und über ihm hingen zwei schöne Kupferstiche: Erzherzog Carl, nach dem Gemälde von Kellerhoven, und Laudon, nach L’Allemands prächtigem Reiterbilde.

Die Längswand wurde zur Hälfte von einer großen Ottomane, eine der Ecken von einem Kachelofen eingenommen, der in sanftem Maigrün schimmerte, die andere von einer Etagère mit Rauchrequisiten, Alles gediegen, lauter brave Arbeit von tüchtigen Handwerkern, natürlich auch der Tisch, die Fauteuils und die Stühle, die mit der Ottomane zusammen eine Familie bildeten. Sie wieder hatte ein würdiges vis-à-vis in der zwischen den Fenstern angebrachten Konsole, der Trägerin einer vortrefflichen, altdeutschen Uhr.

Neben ihr standen zwei Armleuchter aus Messing. Das mattfarbige und weichliche Silber wird in Brands Haushaltung nur in Gestalt von Eßbestecken geduldet. Wohl verpackt steht der Schatz an schönem Silbergeräth, der von seinen Eltern und Großeltern herstammt, im Schranke und wird auf Dietrichs nicht gerade lachende, aber auch nicht weinende Erben übergehen, entfernte, wohlhabende Verwandte. Mit Fug und Recht darf er sich sagen, daß sein Tod keinem seiner sogenannten Angehörigen eine Stunde trüben oder erheitern wird. Und dessen freut er sich. Wo er gleichgültig ist, will er auch gleichgültig lassen. Das Ärgste wäre ihm, in der Schuld eines Anderen zu stehen, ob sich’s nun um Gulden handelt oder um liebevolle Empfindungen.

Es war an einem heißen Mainachmittag des Jahres 1890, und Brand eben aus dem Restaurant zurückgekommen, in dem er seine einfache Mahlzeit einzunehmen pflegte. Die Sonne brannte mit sommerlichen Gluthen zur Erde nieder und machte jedes Fenster, das sie beschien, zu einem Brennspiegel, und jeden Pflasterstein zu einem kleinen Ofen.

Mit Behagen empfand der Heimgekehrte den Kontrast zwischen der drückenden Schwüle, dem grellen Lichte auf der Straße und der angenehmen Temperatur in seinem hohen, luftigen Zimmer. Leicht gedämpft durch die herabgelassenen Storen fiel das Licht herein, ein mildes, grünliches Licht, bei dem man ungemein gut lesen konnte. Brand zündete eine Cigarre an, setzte sich auf seinen Sessel vor den Schreibtisch und nahm ein Buch, das aufgeschlagen neben der Mappe gelegen hatte, zur Hand: Möllhausens Reisen im Felsengebirge Nordamerikas.

Von Zeit zu Zeit unterbrach er seine Lektüre, um einen Blick nach der riesigen Weltkarte zu werfen, die über der Ottomane hing. Einen scharfen, durchdringenden Blick aus seinen grauen, tiefliegenden Augen, die von ihrer ungewöhnlichen Sehkraft noch nichts verloren, obwohl achtundvierzig Jahre verflossen waren, seitdem sie sich zum ersten Male aufgeschlagen hatten. Dabei zog er seine dichten Brauen zusammen, und auf der viereckigen Stirn entstanden zwei tiefe Furchen, die ihm einen klugen und strengen Ausdruck gaben.

Eine halbe Stunde verging. Die Thür des Salons wurde geöffnet, und Jemand trat ein. Brand wußte, ohne sich umzusehen, wer es war. Er kannte den festen und zugleich diskreten Schritt, den sein Diener sich hatte angewöhnen müssen, er kannte auch dessen Art, die Thüre zu öffnen und zu schließen. Wer hatte sie ihm denn beigebracht?

»Die äußere Klinke gefaßt, Du Waldmensch. Eins! – niedergedrückt: Zwei! – Thür auf! – Vorwärts, und die andere Klinke gefaßt: Eins! – niedergedrückt: Zwei! – Thür zu! –«

Diese Übung zehnmal nach einander durch drei Tage wiederholt, und ein ehemaliger Waldmensch war für den ganzen Rest seines Lebens befähigt, als ein Gesitteter unter Gesitteten zu erscheinen. Ist solcher Gewinn nicht der kleinen Mühe werth?

Peter Peters war also eingetreten. Ein weiteres Lebenszeichen gab er nicht. »Was willst Du?« fragte Brand nach einer Weile, ohne sich umzusehen.

Peter zögerte, seine Stimme war furchtbar gepreßt, als er sie endlich erhob, um seine »gehorsamste Mittheilung« vorzubringen.

Eigentlich wurde die Mittheilung hinterbracht, denn er sagte, was er zu sagen hatte, in seines Herrn Rücken, der ihm wohl auch imponirte, aber doch nicht so sehr wie seines Herrn Gesicht.

Wenn er gesehen hätte, was auf dem vorging, während er sprach, würde er seine Rede schwerlich zu Ende gebracht haben. Bestürzung, Zorn, Wehmuth spiegelten sich in den Zügen des erregten Mannes, um als sein Diener schwieg, einer rasch erkämpften, eisernen Ruhe zu weichen. Jetzt wendete er plötzlich den Kopf. Er, der Sitzende, der Kleine maß den flehenden großen Peter von oben herunter und sagte, die Ellbogen auf die Sessellehne gestützt, die Cigarre zwischen den Zähnen: »Heirathen willst Du, wenn ich nichts dagegen habe? – Was soll ich dagegen haben? – Du heirathest und Du gehst. Einen mit Familie behafteten Diener kann ich nicht brauchen. Und wie heißt die Gans, die Dich nimmt?«

Nicht ein protestirendes Wort zu Gunsten seiner Erkorenen kam über Peters Lippen. »Du gehst.« Wie eine Pistolenkugel hatte es ihn getroffen. Er wunderte sich, daß er noch aufrecht stand. »Du gehst.« Diese – Unmöglichkeit hatte er nicht erwogen.

»Wie heißt sie?« wiederholte Brand.

Tonlos, mit verglasten Augen vor sich hinstarrend, gab Peter die Antwort: »Magdalena Sänftenträger. Kinderlose Wittwe. Das Delicatessengeschäft grad gegenüber gehört ihr. Wo ich zum Souper für den Herrn Rittmeister die kalte Küche hole.«

»Die kalte Küche, schön. Bei der haben die Herzen Feuer gefangen. Gut. Abgemacht. Geh’.«

Peter ging, und die grollenden Gedanken Brands folgten ihm nach. Der will heirathen, der will sich etabliren, einen Haushalt gründen, dieser Peter, an dem immer noch erzogen werden muß, der nichts kann und nichts ist ohne seinen Herrn. Wenn man nur denkt! – Zum zweiten Dragonerregiment war er gekommen vor zwölf Jahren, halb verhungert, der verwaiste Sohn einer armen Tagelöhnerin, die mit ihm in der Welt herumgezogen war, da- und dorthin, wo sie gerade Arbeit fand, der nie eine Schule regelmäßig besucht, nie einen ganzen Rock am Leib gehabt hatte. Und nun auf einmal gut genährt, gekleidet und bewohnt, von seinem Rittmeister mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt als der ärmste, im Zustande ärgster Verwahrlosung übernommene Rekrut. Man konnte Freude an ihm haben, an seinem physischen, geistigen und moralischen Gedeihen, an dem Glück, das sich auf seinem gutmüthigen, braunen Gesichte spiegelte – wenn er nicht gerade weinte – denn das war seine Schwäche. Viel zu leicht für einen Mann, einen Soldaten, traten ihm Thränen in die Augen. Der bärenhafte Bursche konnte nicht leiden sehen, am wenigsten Thiere. Er war allem Lebendigen ein Freund: er hielt sich für den Beneidenswerthesten auf Erden, als ihm ein Pferd anvertraut wurde. Keines im ganzem Regimente war besser gehalten als Peters Sinbad, und in verhältnißmäßig kurzer Zeit keines besser geritten. Auf dem Rücken des Thieres, dessen Gedanken er, und das seine Gedanken errieth, verlebte er seine glücklichsten Stunden.

Neun Jahre hatte er schon gedient und sich mit seinem Stande immer gleich zufrieden gefühlt, als die große Katastrophe im Leben Brands eintrat, als das Unerwartetste, Unglaublichste geschah, als er den Dienst aufgab. Da bewährte sich Peter Peters, da bethätigte er die Liebe und Dankbarkeit, die sich allmählich in ihm gesammelt, aber nie einen Ausdruck gefunden hatte. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, als ob es nicht anders sein könnte, brachte er sein Opfer. Er verließ den Dienst, das Regiment, seinen Sinbad und folgte dem Rittmeister, der ihn vor Jahresfrist zu seiner Ordonnanz gemacht hatte, »ins Civil«.

Dummer Peter, treuer Peter, dachte Brand, als diese Erinnerungen in ihm aufstiegen, und mit ihnen zugleich alle die anderen, die er nie wissentlich, nie mit Willen herauf beschwor, die er am liebsten ruhen ließ. Er seufzte schwer. Was vorbei ist, ist vorbei; ein Schwächling, der widerbellt gegen die Notwendigkeit. Wenn er noch so tief überlegte, mußte er sich sagen: Alles, was geschehen war, war regelrecht geschehen. Brand hatte gehandelt, wie er seinem Charakter nach handeln mußte, wie er, in dieselbe Lage versetzt, noch einmal handeln würde. Keine Reue – darüber nicht. Er ließ den Kopf auf die Brust sinken – darüber nicht!

Schattengleich zog eine schlanke Mädchengestalt an seinem innern Auge vorbei, und er streckte mechanisch abwehrend die Hand gegen sie aus, die in ihrer Lieblichkeit vor ihm aufgetaucht war.

Verdrießlich über die Träumerei, in die Peters scheinbare Treulosigkeit ihn versetzt hatte, richtete er sich entschlossen auf und schrieb an ein Dienstvermittlungsbureau, das er täglich in seiner Zeitung angekündigt fand. Dann erhielt Peter Peters den Befehl, den Brief abzugeben. Das war für den Mann ein großer Schmerz. Er hätte gern Einwand erhoben, und brachte es doch nur zu einem: »Aber Herr Rittmeister,« weil seine Stimme in einem Schluchzen erstickte, das um keinen Preis vor dem strammen Herrn laut werden durfte.

So trug er das unselige Schreiben ins nächste Postkästchen und ging dann, sich ausweinen, zu seiner Magdalena.

Am nächsten Vormittage schon stellte sich eine Anzahl Bedienter, vom Dienstvermittlungs-Bureau entsendet, dem Rittmeister vor. Er wählte den, dessen Äußeres den schärfsten Kontrast zu dem Äußern Peters bildete: einen feinen, wunderhübsch frisirten Menschen, der ausgezeichnet gute Manieren und wohlgepflegte Hände hatte.

Vier Wochen später, am Hochzeitstage seines Vorgängers, trat er den Dienst an, und zwar, wie er sich ausbedungen hatte, mit dem Range eines Kammerdieners.

Bevor Peter seine Braut zum Altar führte, mußte sie mit ihm zu Brand, der die schöne, von Kraft und Gesundheit strotzende Wittwe ernsthaft betrachtete und sprach:

»Stattlich, stattlich. Du hast Dir eine gewichtige Lebensgefährtin ausgesucht, Peter.«

Peter strich über seinen dicken, rothen, an den Enden leicht gelockten Schnurrbart und versetzte: »Ich mag die Mageren nicht.«

»Und ich,« sprach Magdalena und warf dabei einen zärtlichen Blick auf den Auserwählten, »habe mir vorgesetzt; wenn ich wieder heirathe, nehme ich einen Großen. Ein Kleiner kann grad so grob sein und macht kein Ansehen.«

Brand meinte, dem Peter seien noch andere gute Eigenschaften nachzurühmen als seine Größe, und als ganz armer Schlucker käme er ihr auch nicht ins Haus. Damit legte er ein auf zweitausend Gulden lautendes Sparkassenbuch in die Rechte des Bräutigams und schloß:

»Ich danke Dir für Deine treuen Dienste. Werde ein so braver Ehemann wie Du ein braver Diener warst. Leb’ wohl.«

Peter schluchzte laut während der ganzen Fahrt zur Kirche, und vor dem Altare stieß ihn der Bock so heftig, daß er sein »Ja« mehr bellte als sprach.

Vom Hochzeitsmahle sprang er auf, als eben die Torte mit den verschlungenen Lettern »P« und »M« servirt wurde, lief hinüber zum Herrn Rittmeister, um zu sehen, ob der »Neue« die Lampe angezündet und das Bad ordentlich hergerichtet habe. Und am nächsten Morgen kam er, sich zu überzeugen, wie denn der Kaffee gemacht und die türkische Pfeife gestopft worden war. Einmal da, blieb er auch gleich beim Aufräumen.

Als Brand ihn erblickte, fuhr er ihn an: »Was willst Du hier, närrischer Kerl? Geh’ zu Deiner Frau.«

Aus diesen Worten fühlte Peter die Eifersucht seines Herrn auf seine Herrin heraus, und Thränen traten ihm in die Augen. Die Eifersucht rührte ihn und der »närrische Kerl« auch. Wer besser dran war mit seiner Vernunft, wußte Peter gar gut, respektirte aber die Täuschung, in der der Rittmeister sich über diesen Punkt befand. Möge er nur in ihr fortleben und wenigstens die Freude haben, er, der sonst keine hat.

Um das grausame Lebewohl, das Brand gesprochen hatte, Lügen zu strafen, fand er sich alle Finger lang bei ihm ein und wünschte ihm eine gute, je weilige Tageszeit.

Arbeit gab es »drüben« immer. Der elegante Kammerdiener überließ ihm neidlos die ganze. Seine eigene Thätigkeit beschränkte sich darauf, das Haus durch seine Gegenwart zu schmücken. Aber auch das wurde ihm nach und nach lästig, und eines Abends verschwand er, nachdem er vorher mit seinen wohlgepflegten Händen den Schreibtisch Brands erbrochen und eine reich gefüllte Brieftasche daraus entnommen hatte.

Über diese kurze Majordomus-Epoche im rittmeisterlichen Intérieur wurden nicht viel Worte gemacht. Wie von selbst kam Alles ins alte Geleise. Höchstens, daß Peter früher als sonst die kalte Küche zum Souper holen ging und später als sonst zurückkehrte, wozu Brand regelmäßig bemerkte:

»Bist schon wieder da?«

Einmal fragte er: »Was sagt denn Deine Frau dazu, daß sie Dich so wenig sieht?« Und die Antwort lautete:

»Die sagt niemalen nichts. Die hat eine Kusin, der Ihrer trifft nur alle vier Wochen einmal nach Haus.«




VI


Genau am ersten Jahrestage ihrer Vermählung erschien Magdalena Peters bei Dietrich Brand und brachte ohne viel Umstände die Bitte vor, er möge, im Fall daß es ein Bub werden sollte, sich gütigst herbeilassen, ihn aus der Taufe zu heben. Die Erfüllung ihres Wunsches wurde ihr sogleich und mit großem, feierlichem Ernste zugesagt. Brand holte sofort die genaueren Erkundigungen über die Pflichten ein, die er mit der Taufpathenschaft auf sich nahm. Er gedachte sie pünktlich zu erfüllen und erhielt Gelegenheit dazu, denn es wurde ein Bub, ein niedlicher Peter junior.

Sein Vater übergoß ihn mit Thränen der Rührung, das Kindlein nieste, und Dietrich selbst, sehr bewegt durch den ihm völlig fremdartigen Anblick eines neugeborenen Menschen, führte Peter von der Wiege fort und sagte:

»Blamire Dich nicht vor Weib und Kind.«

Brands Fürsorge wuchs mit ihrem Gegenstande. Er schrieb sich Eigentumsrechte über das Knäblein zu und forderte, daß ohne Unterlaß an ihm erzogen werde.

Frau Magdalene verlor endlich die Geduld. »Dein Rittmeister«, sagte sie zu ihrem Manne, »wie der’s treibt. Bald wird Niemand mehr wissen, bin ich die Mutter, oder ist er’s!«

Peter hatte Mühe, sie mit der Versicherung zu beschwichtigen, darüber könne kein gescheidter Mensch im Zweifel sein.

Das Interesse, das der Rittmeister für den kleinen Peter gefaßt hatte, breitete sich allmählich auch auf andere Kinder aus. Man muß doch vergleichen, den Blick schärfen, Erfahrungen sammeln. Dietrich, der bisher ziemlich gleichgültig an Allem vorüber gegangen war, was nicht im Alter der Militärpflicht stand, begann nun, dem Kindervolke seine Aufmerksamkeit zu schenken. Es traf sich, daß er mit kleinen Schulbesuchern, Knaben und Mädchen, die mit ihm im selben Hause wohnten und denen er täglich auf der Treppe begegnete, einen Gruß tauschte. Zu dem Gruße kam bald eine Ansprache, und aus der entwickelten sich nach und nach förmliche Konversationen, die man nicht schon unterm Thor abbrechen wollte. Nicht selten geschah’s, daß Brand dem oder jenem jugendlichen Geschöpfe das Geleite gab bis zur Schule.

Er hatte sich zuerst an die Kinder der Armen gewendet und ihr Vertrauen, und bis zu einem gewissen Grade, das ihrer Eltern errungen. Dann schritt er an verfeinerte Gesellschaftskreise heran, machte auch da Glück und war bald wieder in seinem Elemente, konnte wieder erziehen. Er übte auch Gastfreundschaft. An jedem Samstag-Nachmittag wimmelte es von Jugend in seiner Wohnung; die verschiedensten Stände waren da durch auserlesene Exemplare vertreten. Entsprechende Kost für Kopf und Herz lieferte der Hausherr, das Ehepaar Peters sorgte für den Magen; Überladung, in irgend einer Weise, kam nicht vor. Glücklich, gesund, von frischem Eifer zur Bravheit beseelt, kehrten die Kinder heim.

Im Frühling des zweiten Jahres nach der Geburt Klein-Peters’ frühstückte Brand an jedem schönen Morgen, statt zu Hause, im Stadtpark und ging dann in den Kinderpark hinüber, wo sein Täufling im Korbwägelchen unweigerlich bis zehn Uhr zu schlafen hatte.

Dabei schenkte Brand aber auch fremden Kindern seine Aufmerksamkeit, sah ihren Spielen zu, ermunterte die Schüchternen, ging den Ungeschickten zur Hand, beschützte die Unterdrückten und hatte eine beneidenswerte Art, die Übermüthigen und Tyrannischen zurecht zu weisen. Durch eine kurze Bemerkung, einen Blick verstand er zu bändigen, ohne zu empören und zu erbittern.

Eines Tages war Dietrich vom Stadtpark auch noch in den Volksgarten gegangen. Er nahm dort Platz auf einer Bank mit der Aussicht auf das Grillparzer-Denkmal und freute sich, daß es wieder Frühling war, daß die Natur in erneuter Jugendherrlichkeit blühte und daß die Menschen ihrer pflegten, mit so viel Sorgfalt und Geschmack, wie es hier geschah in diesem kleinen irdischen Paradiese. Er freute sich auch, daß sie in all’ die Schönheit Schönes hingestellt haben, das edle Denkmal, das unsern Dichter veranschaulicht mit ergreifender Wahrheit, und die Werke seines Schöpfergeistes im beseelten Steine vor uns aufleben läßt.

Brand lächelte vor sich hin. Er gedachte der Äußerung, die eine seiner Cousinen jüngst gethan hatte: »Heirathe doch, es ist noch gerade Zeit. Du hast Kinder so gern, und eigene sind noch etwas ganz Anderes als fremde, und eine angenehme Häuslichkeit ist auch nicht zu verschmähen.«

Häuslichkeit, eigene Kinder – als ob ein Mensch ihrer bedürfe, der gewöhnt ist, sich überall häuslich einzurichten; dem alles Gute und Schöne in der Welt gehört, weil er es lieben und bewundern kann. Die glauben nur das zu besitzen, was sie an sich gerissen haben, das sind die ewig Unersättlichen und ewig Entbehrenden.

In seiner Nachbarschaft hatten sich drei fein aussehende Damen auf eine Bank niedergelassen; offenbar Gouvernanten in sehr wohlhabenden Häusern. Es waren zwei ältliche Engländerinnen, die in guter Laune und schlechtem Französisch ein eifriges Gespräch mit einer jungen – ihr tadelloser Accent verrieth’s – Pariserin führten. Ihre drei Zöglinge, nicht Kinder mehr und noch nicht Backfische, pendelten auf dem Wege zwischen ihren Bändigerinnen und Brand hin und her.

Er konnte Einiges hören von ihrer laut und ungenirt geführten Konversation:

»Du, Aurora,« sagte das muntere Ding am linken Flügel, das in Blau gekleidet, blond, frisch und ein wenig untersetzt war, zu der in der Mitte Schreitenden, »Deine Stiefeletten sind hübscher als die meinen, aber ich habe einen hübscheren Fuß.«

»Und ich habe eine hübschere Taille,« fiel das Fräulein zur Rechten ein. »Die Deine ist ja viel zu lang.« Sie prangte havannafarbig, und man konnte schwerlich eine zierlichere Gestalt sehen.

Allerdings durfte sich die zwischen den Beiden wandelnde, eckige und blasse Aurora an persönlichen Vorzügen mit ihnen nicht vergleichen. Dafür aber schlug ihre Toilette die der Freundinnen völlig. Allerersten Ranges waren der hellgraue Stoff und die Mache des Kleides, und der Hut mit seiner breiten, genial aufgestülpten Krempe und feinem Federngewoge. Wenn eine Harpye ihn aufgesetzt hätte, Jedermann würde ausgerufen haben: »O wie anmuthig sehen Sie heute aus, meine Gnädige!«

Ihre Verhandlung eifrig fortführend, hatten sich die Fräulein mitten auf dem Wege aufgepflanzt, als von der Ringstraße, in der Richtung gegen den äußeren Burgplatz, zwei ärmlich gekleidete Kinder einher kamen. Ein Knabe von etwa sieben Jahren und ein viel jüngeres Mädchen. Der Knabe, hoch aufgeschossen und schmächtig, trug an einem Riemen am Arme eine der mit Wachsleinwand überzogenen Schachteln, in denen Modehändler ihre Waare verschicken. Das kleine Mädchen im ausgewaschenen Percailkleidchen, einen blauen, gestrickten Capuchon auf dem Kopfe, ein Tüchlein um die mageren Schultern geschlungen, hüpfte neben ihm her.

Beim Anblick der aufgeputzten Fräulein blieb sie plötzlich stehen und staunte, wie angenagelt vor Entzücken, zu ihnen hinauf. Besonders hingerissen schien sie von dem grauen Federhut; zu ihm kehrte ihr leuchtender Blick immer wieder zurück.

Sie wurde bemerkt, die Modedöckchen nahmen den Zoll naiver Bewunderung, den das Kind ihnen darbrachte, spöttisch auf, und die Blaue sprach:

»Wie dumm sie ist!«

»Und wie sie nach Armuth riecht,« setzte Aurora mit der langen Taille hinzu. »Meine Mama sagt, das ist der ärgste Geruch. Böhmische Spitzen riechen manchmal so.«

Die Kleine verstand sie nicht. Seelenvergnügt blieb sie regungslos wie ein hypnotisirtes Hühnchen, bewunderte weiter und bemerkte nicht, daß sie ausgelacht und verachtet wurde.

Der Auftritt hatte außer Brand noch einen Beobachter gehabt, einen sehr jugendlichen. Ein braunes, ungemein feinknochiges Bübchen verließ eine Gruppe Spielgenossen und kam auf die Verspottete zu mit einer herzigen und komischen Gebärde. Er verschränkte die Finger so fest er konnte und streckte die gerungenen Hände einmal ums andere mit heftigem Rucke von sich. So trat er, kämpfend mit Empörung und Rührung, vor das arme Kind hin und sagte im durchdrungensten Tone:

»Wenn sie nur zu mir käm’, in mein Haus, ich würd’ ihr geben, was ich nur hab!«

Sie sah ihn eine Weile überrascht und zweifelnd an, steckte zuerst ihr Zeigefingerchen in den Mund, zog es dann heraus und deutete schüchtern auf seine hundsledernen Handschuhe: »Die gieb mir.«

Sogleich fing er an, hastig an ihnen zu zerren, brachte sie auch herunter; als er sie aber der Kleinen reichte und sie danach griff, kam ihr Bruder ihr zuvor:

»Wir dürfen nichts annehmen. Du weißt, Annerl, die Mutter will’s nicht,« sagte er sehr sanft und sehr entschieden, und es war ein merkwürdig trauriger Klang in seiner Stimme. »Wir danken Ihnen vielmals, junger Herr; komm Annerl,« er zog seine Schwester mit sich fort.

Der abgewiesene Wohlthäter sah ihnen verdutzt und bestürzt nach. Dietrich stand auf und half ihm seine Handschuhe wieder anziehen, allein wäre er damit kaum fertig geworden.

»Wie alt bist Du?« fragte Brand, als die für sie beide sehr schwierige Arbeit zu Stande gebracht war.

»Fünf Jahre.«

»Wie heißest Du?«

Der Taufname des Bübleins war Fritz, sein Familienname der eines österreichischen Grafen- und Fürstengeschlechts.

»Fritz,« sagte der Rittmeister, »Du hast einen schönen Namen, weißt Du, was das heißt? Weißt Du auch, was es heißt, seinem Namen Ehre machen?«

Der Kleine hob seine prachtvollen, von langen dunklen Wimpern beschatteten Augen zu Brand empor und erwiderte ohne Zögern: »O ja.«

Dietrich verbiß ein Lächeln: »Nun, wenn Du das jetzt schon weißt, dann salutire – das heißt,« verbesserte er sich, »dann grüße ich Dich.«

Er lüftete den Hut, und der Kleine riß den seinen förmlich herunter, holte weit aus mit der Rechten und machte eine tiefe, respektvolle Verbeugung.

»Der verspricht, der verspricht,« dachte Brand: »so jung er ist, kennt er schon das Mitleid und die Ehrfurcht. Beim Mitleid und bei der Ehrfurcht fängt der Mensch an, sehr früh also bei diesem Fritzchen.«

Er verließ den Garten und folgte den Kindern, die »nach Armuth rochen.«




VII


Er hatte die kleinen Gestalten bald entdeckt, und bald auch hatte er sie eingeholt. Was war es doch, was ihn unwiderstehlich zu ihnen hinzog? Nicht Theilnahme, nicht sein immer reger Helfedrang allein. Es war mehr; ein tieferes, ein ganz eigenes Interesse, das besonders der Anblick des Knaben in ihm erweckt hatte. Er fragte sich, an wen er ihn mahne, mit seinen aschblonden Haaren, seiner durchsichtigen Haut, seiner Sprechweise, seiner Haltung, in der zwei Gegensätze sich so anmuthig vereinten: Stolz und Schüchternheit.

Die Kinder gingen über die beiden Burgplätze und verschwanden auf dem Kohlmarkt im Thorweg eines alten, stattlichen Hauses, einst das Eigenthum eines großen Herrn, jetzt das eines Pferdehändlers, und vermiethet an allerlei Parteien. Ein Schild mit der Aufschrift: »Madame Amélie« war unter dem Mittelfenster des ersten Stockes angebracht, und hinter den großen, blanken Spiegelscheiben blühte ein Garten von Hüten und Hauben, quollen aus halb geöffneten Kartons Bäche von Spitzen, Ströme von Gaze und Seidenstoffen hervor.

So wenig Dietrich Brand sich auch um die Berühmtheiten der Damenmodenwelt kümmerte, der Name Amélie Vernon war bis zu ihm gedrungen. Seine Cousinen sagten in einem Tone: »O Madame Vernon! Ja, Madame Vernon!« der so viel hieß wie: Erhaben über alle Kritik.

Eine solche Großmacht schickt ihre Waaren gewiß nicht durch Kinder aus. Was hatten die armen Beiden hier zu holen oder hierher zu bringen?

Er wollte es wissen und entschloß sich, auf ihre Rückkehr zu warten. Nach einer Viertelstunde erschien klein Annerl wieder und trug ein Weißbrot in der einen und einen Apfel in der anderen Hand. Blaß und müde kam ihr Bruder nach. Brand hielt ihn an und fragte auf gut Glück und in geschäftsmäßigem Tone, ob Madame Vernon zu Hause sei? Ja wohl, die Kinder kamen von ihr, hatten sie eben gesprochen.

»Und das hat sie mir geschenkt,« sagte Annerl, und hob ihr Weißbrot und ihren Apfel triumphirend in die Höhe.

»Und das darfst Du auch annehmen, die Mutter erlaubt es Dir, Annerl?«

»Ja, das erlaubt die Mutter, und auch Georg erlaubt’s.«

»Georg,« wiederholte Brand. »Dein Bruder, nicht wahr?« Er legte die Hand auf den kleinen, blauen Capuchon und sagte ziemlich unüberlegt: »Ich wäre froh, wenn ich Dir auch etwas schenken dürfte, Annerl.«

»Nein, nein, dank’, wir danken,« stieß Georg rasch hervor. Er war bei den Worten Dietrichs roth geworden über das ganze Gesicht bis unter die Haare, und seine Augen leuchteten plötzlich auf.

Jetzt wußte Brand, an wen ihn das Kind vom ersten Moment an erinnert hatte. Vergessene Unvergessene – arme Sophie! Dieses Erröthen, dieses Aufleuchten im Blicke hatten oft sein stilles Entzücken ausgemacht. Die ganze Reinheit, aller Stolz des Mädchens, das er liebte, sprachen aus ihnen. Was ihr das Blut in die Wangen und die Stirne trieb, war nicht Verwirrung, nicht Beschämung, es war ein schmerzliches Staunen, eine leidvolle Entrüstung: »Ich erröthe, ja, aber für Euch!« – Brand sah sie vor sich, wie damals in der peinlichen Stunde, in der der Riß zwischen ihnen entstanden war…

»Du heißest Georg Müller, mein lieber Junge,« sagte er zu dem Knaben.

Der erschrak und sah ihn voll Mißtrauen an. Wie kam der fremde Mann dazu, nach seinem Namen zu fragen? Er suchte seine Angst hinter einer trotzig abwehrenden Miene zu verbergen, ergriff die Hand seiner Schwester und hastete mit ihr davon.

Brand blickte ihnen nach: Ihre Kinder! ja gewiß – auch das Mädchen hatte Ähnlichkeit mit ihr in den Bewegungen, dem Gang, in der Art und Weise, den Kopf zu tragen. Im Forteilen noch wendete Annerl sich mehrmals um und lächelte den ernsten, alten Herrn an, vor dem davon zu laufen ihr Bruder sie zwang, und der ihr gar keine Furcht einflößte, o nein, nicht die mindeste!

Ihre Kinder – das waren sie, so hatte er sie gefunden. Die Wirklichkeit übertraf seine traurigsten Befürchtungen. Das scheue Wesen des Knaben, seine Beschäftigung, die Kleidung, das Aussehen der Kleinen. Alles, Alles an ihnen erzählte von Dürftigkeit, von Entbehrung, von einem harten Kampfe um das tägliche Brot.

Dietrich blieb noch eine Weile unter dem Thore stehen. Mit mächtiger Selbstüberwindung rang er die tiefe Gemütsbewegung nieder, die ihn ergriffen hatte: kein äußeres Zeichen durfte verrathen, was in ihm vorging.

Als ein sehr gelassener, fast übertrieben höflicher Mann betrat er den Modesalon und wurde von Fräulein Julie, einer gut erhaltenen Schönheit, »comme il faut« bis an die Spitzen ihrer langen, lanzenförmig zugeschnittenen Nägel, würdevoll empfangen. Sie schien befremdet, als er sie bat, fragen zu wollen, ob er die Ehre haben könne, mit Madame Vernon selbst und zwar privatim zu sprechen. Das Fräulein übernahm seine Karte, warf einen Blick darauf – und war elektrisirt.

»Dietrich Brand! Herr Rittmeister Brand …«

»Nein, mein Fräulein, Brand kurzweg; ich habe meinen Militär-Charakter abgelegt.«

Aber das wußte Fräulein Julie besser. Ablegen, einen solchen Charakter? Als ob man das könnte! Nie! O, sie hatte die Gnade, den Herrn Rittmeister zu kennen, hatte so viel von ihm gehört. O, und wer nicht? Und einige ihrer Verwandten hatten die Gnade gehabt, unter ihm zu dienen. Und nun wollte sie die Gnade haben, ihn der gnädigen Frau zu melden. Einen solchen Besuch werde sie sicherlich empfangen, wenn auch sonst keinen andern, denn die gnädige Frau sei heute nervos.

Sie enteilte, und Brand ließ ein mißbilligendes: »Hm, hm, nervos« vernehmen, worauf ihn einige der Magazins-Damen verstohlen anguckten. Andere kicherten vor sich hin, und ein lustiges Ding von einer Modistin, das eben einer ältlichen Kundin einen sehr jugendlichen Hut anprobirte, rang mit einem Lachkrampfe.

Nach kurzer Zeit war Fräulein Julie wieder da und ersuchte den Herrn Rittmeister, die Gnade zu haben, ihr zu Madame Vernon zu folgen. Sie geleitete ihn durch eine Reihe von Ateliers und Salons und verabschiedete sich mit einem wundervollen Knix, in den sie ihre ganze Seele legte, an der Thür des Boudoirs der Gebieterin.




VIII


Das war ein Schmuckkästchen. Die Wände mit hellblauem Seidenstoff verkleidet, die Möbel mit demselben Stoffe überzogen, Tische, Tischchen, Etagèren von den verschiedensten Formen, mit theils sehr kostbaren Nippesgegenständen besetzt, ein großer Ankleidespiegel mit vergoldetem Gestell, und mitten in all’ der Pracht die berühmte, geniale, viel umworbene Madame Amélie. Sie war schön und geschmackvoll angethan in einem spitzenbesetzten Schlafrock aus Atlas, der wie die Abendröthe schimmerte und eine zwei Meter lange Schleppe hatte. Der Anzug war ein Kunstwerk und machte so schlank als möglich; aber auch den höchsten Toilettenkünsten sind die Wege gewiesen; Anmuth konnten sie der vierschrötigen Gestalt nicht verleihen, die sich beim Eintreten Brands von dem Ruhebette erhob. Der Kopf Madame Amélies saß auf kräftigem Nacken und trug eine Fülle stark angegrauter Haare. Die gewellte, gelockte Frisur erinnerte in ihrem künstlichen, architektonischen Aufbau an die der römischen Kaiserinnen. Das Gesicht hatte einen ausgesprochenen Neger-Typus, aber die Augen waren schön und intelligent. Leider befanden sie und auch die Nase sich eben in einem Zustande, der nicht gleich errathen ließ, ob die Dame geweint hatte oder an Schnupfen litt.

Als Dietrich eintrat, rieb sie sich eben die Schläfen mit weißer Matteischer Elektrizität. Auf einem Tischchen neben ihr befanden sich allerlei Riechmittel; in einer mit heißem Wasser gefüllten Achatschale verdampften einige Tropfen Fichtennadelextrakt.

Brand dankte in seiner ritterlichen Weise für die Gunst, die Madame Vernon ihm erwies, ihn trotz ihres Unwohlseins zu empfangen. Er wollte ihre Güte nicht mißbrauchen, sie nicht lang in Anspruch nehmen; er kam nur, um sich von ihr Auskunft zu erbitten über die beiden Kinder, die eben bei ihr gewesen waren. Nicht Neugier leite ihn, sondern ein ernstes Interesse, dessen Grund er ihr, wenn sie es gestatte, ein nächstes Mal darlegen werde.

Madame Amélie versicherte ihn, daß sie bei einem Manne »de sa trempe« nur die edelsten Absichten voraussetze, zögerte aber doch mit der Antwort, als er nach dem Familiennamen der Kleinen fragte.

»Fürchten Sie nicht, ein Geheimniß zu verrathen,« sagte er und faßte sie scharf ins Auge. »Es sind die Kinder des Majors von Müller.«

Sie widersprach nicht.

»Eines meiner besten Freunde und einstigen Kameraden,« fuhr er fort, »der vor drei Jahren in seiner Vaterstadt Klausenburg gestorben ist. Ein nur zu edler und großmüthiger Mensch.«

»Certainement,« fiel die Französin ein, »so großmüthig für Andere, daß die Seinen in der gêne zurückblieben.«

»Gêne?« wiederholte Brand mit qualvoll gepreßter Stimme. »Was ich eben gesehen habe, ist schlimmer als gêne. Diese Kinder sind schlecht genährt, schlecht gekleidet, sie darben.«

»Nun, jetzt eigentlich nicht mehr,« meinte Madame Vernon und widerstand nicht länger der Versuchung, »Monsieur Brand,« der ein so »noble cœur« war und so tiefe Theilnahme für die Hinterbliebenen seines Freundes hatte, die ganze Wahrheit zu sagen, und bei dieser Gelegenheit sich selbst in schönem Lichte zu zeigen.

Dietrich erfuhr nun Alles.

In der langen Krankheit des Majors waren die Reste des Vermögens aufgebraucht und leider sogar einige Schulden gemacht worden. Sophie mußte ihre Pension für Jahre hinaus verpfänden, um die dringendsten Gläubiger zu befriedigen. Sie wäre dem Elend preisgegeben gewesen, ohne ihr außergewöhnliches, dem der großen Wiener Modistin congeniales Talent. Mit ihren »doigts de fée« gewann sie den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder. Kärglich, wie sich von selbst versteht, »mon Dieu, en province!« bis eine Verwandte Madame Amélie’s und Gattin eines österreichischen Oberstlieutenants nach Klausenburg kam, dort erst die Werke Frau von Müllers, dann sie selbst kennen lernte und eine begeisterte Freundschaft und Bewunderung für sie faßte.

»Unglück und Talent, quels titres auf unsere Theilnahme, Monsieur,« sprach die Modistin mit einer pathetischen Gebärde.

Die Frau Oberstlieutenant brauchte nur einige Proben der Kunstfertigkeit Sophie Müllers an Madame Vernon zu schicken, um ihr Mitgefühl für die arme Wittwe zu erwecken. Amélie hatte ihr sogleich geschrieben und sie eingeladen, nach Wien zu kommen. Seit einem halben Jahre war sie da, stellte ihre Begabung und ihren Fleiß ausschließlich in den Dienst des Hauses Vernon und dürfte keinen Grund haben, es zu bereuen. Sie wurde besoldet wie keine zweite. Ihre Verhältnisse müssen sich jetzt schon gebessert haben.

»Müssen sich? Sie wissen nichts Genaues darüber?« fragte Brand.

»Das nicht. Frau von Müller spricht nie von sich. Sie ist sehr stolz, sehr zurückhaltend.« »Jawohl, sehr stolz.« Er beugte sich vor auf dem niederen Fauteuil, den Madame Amélie ihm angewiesen hatte, und wieder mußte sie den forschenden Blick seiner ernsten, grundehrlichen Augen eine ganze Weile hindurch aushalten und that es mit der Unbefangenheit eines vortrefflichen Gewissens. Plötzlich gab sie ihrem Kopfe einen kleinen Ruck, ein muthwilliges Lächeln glitt verschönernd über ihr derbes Gesicht, und sie sprach:

»Ja, ja, Monsieur, ich bin eine gute und brave personne, man kann auf mich zählen.«

Brand verneigte sich: »Gut und brav, ich bin überzeugt. Aber außerdem auch Gedankenleserin. Ich bewundere. Eine echte Künstlerin freilich hat immer etwas Divinatorisches.«

»O Monsieur!« Ihre Augen glänzten vor Freude über diese Schmeichelei: »Vous êtes aussi aimable que célèbre.«

Er lehnte ab; »Loben Sie mich nicht. Ich habe große Schwächen.«

»Zum Beispiel?«

»Unter Anderem eine gewisse Schwäche für Damen-Mode-Artikel,« erwiderte er scherzend. »Ich wäre zum Beispiel neugierig, die Putzgegenstände zu sehen, die Frau Major Sophie von Müller Ihnen eben geschickt hat. Ich möchte diese Putzgegenstände sogar an mich bringen.«

Amélie war erstaunt: »Sind Sie verheirathet?«

»Nicht im Geringsten. Aber ich habe Cousinen und sogar Nichten« …

»Die Brand heißen?« Beinahe wäre der Zusatz: »Brand tout court« ihr entwischt, doch verschluckte sie ihn noch rechtzeitig.

»Brand und anders,« erwiderte Dietrich.

»Anders?« Sie war auf einmal merkwürdig kühl geworden, sie bedauerte, auch nicht über ein Stück im Magazin verfügen zu können, der Bedarf war so groß, der Vorrath so klein, man mußte doch einige Auswahl haben für die älteren, werthen Kunden.

»Ich würde höhere Preise bezahlen als Ihre ältesten, werthesten Kunden,« sagte Dietrich langsam, nachdrücklich, aber auffallend sanft und fast liebreich.

»Bedaure. Ich habe eine große Verehrung für Herrn Rittmeister Brand, aber seine Nichten müssen warten.«

Da ergriff er ihre kleine, harte, bräunliche Hand und führte sie rasch an seine Lippen: »Respekt vor Ihnen Madame! Ihr Verdacht ist ganz unbegründet – Ihre brave Gesinnung steht wie ein Fels. Ich sehe voraus, daß sich eine gute Freundschaft zwischen uns bilden wird.«

Entzückt über seinen Handkuß, aber doch noch etwas unsicher, bat Amélie, ihr zu verzeihen, wenn sie ihm Unrecht gethan habe.

»Ich verzeihe jeder Frau jeden, auch den schnödesten Verdacht gegen jeden Mann in dem einen Punkte,« entgegnete er. »Wir verdienen es nicht besser – im Allgemeinen.«

Seine Worte wirkten wie ein Petroleumguß in glimmendes Feuer. Sie richtete sich auf, sie rückte näher zu ihm und brach flammend und hochathmend in einen Hymnus des Lobes aus. Rittmeister Brand war mehr als liebenswürdig und berühmt, er war einzig. Er kannte sein Geschlecht. O, und sie ebenfalls, wenn auch nur in einem Exemplar, in dem freilich die Fehlerhaftigkeit de tout le genre masculin vertreten war. O, wenn er ahnen könnte! wenn er wüßte …

Ein diskretes Klopfen an der Thür unterbrach sie.

Fräulein Julie zeigte sich, sie trug ein Karton unter dem Arme und meldete, die Fürstin A. habe sich für den Nachmittag ansagen lassen und da mußte Madame doch bestimmen, ob die heutige Sendung Sophie Müllers sogleich oder erst zuletzt vorgezeigt werden solle. Mit zierlichst gerundeten Handbewegungen entnahm sie dem eleganten Behältnisse nach einander vier Hüte und stellte sie auf Haubenstöckchen vor die Gebieterin hin:

Nein, das waren wieder Sachen! Sachen! Nicht eines dieser »Huterln« würde auch nur einen Tag alt werden im Salon. Die Fürstin A. würde gewiß zwei Stück nehmen und Prinzessin B. die andern zwei; sie waren wie geboren für die beiden Damen, und nur auf ihren Häuptern wollte Fräulein Julie sie sehen. Der Baronin C. dürften sie gar nicht vor Augen kommen, die kauft sonst den wirklichen Damen alle vier auf einmal weg.

Amélie prüfte jeden einzelnen Hut genau: »Ja, Madame Müller ist erstaunlich, sie übertrifft sich bei jeder neuen Leistung. Was für Ideen sie hat! Sehen Sie nur, Mr. Brand, wie die Aigrette auf diesem Spitzenhut placirt ist. Welche Grazie und welcher Geschmack in der Wahl der Farben, eine hebt die andere, und keine schlägt die andere. Den Hut verkaufen wir als Modell.«

»So schön! so schön!« fiel Julie ein, »und diese Nettigkeit! Alles wie aus dem Ei geschält.«

Brand blieb stumm und betrachtete die Hüte mit tief innerlichster Rührung. Dieses schimmernde, phantastische, kostbare Zeug hat der Mangel geschaffen, die Armuth hat es gemacht für den übermüthigsten Luxus. Die Schönheit dieses Zeuges ist wie Hauch, einige Regentropfen vernichten sie. Und dafür den Schlaf der Nächte, das Licht der Augen … Dafür!

Wieder wurde geklopft und angezeigt, daß der Wagen der Fürstin vorgefahren sei. Fräulein Julie raffte hastig ihre Waaren zusammen und eilte in den Salon.

Madame Amélie und Brand waren zugleich aufgestanden. Er verabschiedete sich sehr bewegt und sagte: »Der Wittwe meines Freundes muß geholfen werden. Helfen Sie mir helfen. Über das wie müssen wir uns berathen. Wann darf ich wiederkommen?«

»Kommen Sie morgen,« sprach sie huldvoll.




IX


Am selben Nachmittage lief Peter zu seiner Magdalena hinüber. Er hatte es sehr eilig, blieb aber doch einen Augenblick in Bewunderung vor dem breiten »hauchrein« geputzten Auslagenfenster des Ladens stehen. Wie köstlich sah der heute wieder aus, in seinem Reisig- und Blumenschmuck! Ein zierliches Gärtlein, in dem Schinken, geräucherte Zungen und Fische und allerhand Pasteten wuchsen. Auf der Marmorplatte im Fenster erhoben sich zwischen üppigen Hortensienstöckchen die appetitlichsten Wurstpyramiden, schimmerten rothe und gelbe Aspicrotunden. Hinter der frischlackirten Tafel, neben der großen Wage, deren Schüsseln wie Gold glänzten, prangte sie, die Herrin, in ihrem unverwüstlich jugendlichen Flor. Ihr Häubchen schien mit Schneeflocken garnirt, ihr kurzärmeliges Kleid und ihre Wangen hatten die selbe Centifolienrosenfarbe. Der Latz der weißen, mit einem Spitzenstreifen besetzten Schürze bedeckte die mächtige Brust, warf nicht eine Falte, hatte nicht das kleinste Flecklein. Frau Magdalena zerlegte eben mit spielender Meisterschaft ein junges, fettes Huhn.

Ein Herr, der vorüberging, warf einen Blick in den Laden, lächelte und sagte: »Zum Hineinbeißen!«

Peter sah ihn unwirsch an; er wußte nicht, ob das Huhn gemeint sei oder die Frau, rasch trat er ein und befahl ihr, verdrießlich wie Einer, der gerade einen kleinen Anfall von Eifersucht gehabt hat, das Huhn auf einem Teller anzurichten.

»Das thu’ ich ohnehin«, sagte sie, »es gehört für den Hofrath im zweiten Stock.«

Peter schüttelte den Kopf: »Wird nicht gehen: dem Hofrath giebst ein anderes, das da nehm’ ich gleich mit für meinen Herrn Rittmeister, der heute vergessen hat, ins Gasthaus zu gehen.«

»Was? Vergessen! Der was vergessen, das ist ja wie wenn die Uhr am Stephansthurm stehen geblieben wär.« Sie hatte das Huhn schon auf ein Schüsselchen gelegt, umgab es mit Rauten aus Aspic, verzierte es geschmackvoll mit kleinen Bouquets aus Petersilie, stellte das Ganze auf eine vor Neuheit schimmernde Serviette und hielt ihrem Manne die zusammengefalteten Enden hin. Statt diese zu ergreifen, trat Peter hinter die Pudel, gab der Gemahlin einen nachdrücklichen Kuß auf die Lippen, einen zweiten mitten in die blonden Löckchen hinein, die sich ihr übermüthig im Nacken kräuselten, und dachte: Teufel, Teufel, ich hab das Frauenzimmer alle Tage lieber!

»Wieso hat er denn vergessen ins Gasthaus zu gehen?«

Ja, Peter würde es sagen, wenn er’s wüßte. Der Herr kam nach Hause um eine halbe Stunde früher als sonst und: »Ich seh’ ihm’s gleich an, daß er noch nicht gespeist hat.«

»Was Du ihm nicht Alles ansiehst!«

»Natürlich, was ich ihm nicht Alles anseh’. Auch gleich, daß er nicht zugeben will, daß er vergessen hat, und wie ich sag’: »Haben denn gespeist?« sagt er: »Esse heute nicht; bring Thee und Cigarretten.« Den Speisezettel kenn’ ich von damals, wo er verliebt gewesen ist. Ich hab’ aber immer etwas dazu gegeben, und er hat’s hinunter geschlungen in der Zerstreutheit.«

Peter lief davon, und seine Frau rief ihm nach: »Du, zum Hinunterschlingen hätt’s ein mageres Hendel auch gethan. Verliebt, der alte Brand?« Es kam ihr unglaublich lächerlich vor. Aber, dachte sie, so übel wär’s am End’ nicht, vielleicht thät’ er sich dann weniger hineinmischen in der Erziehung von meinem Peterl.

Und wirklich kümmerte sich Brand in den nächsten Tagen ein bißchen weniger um Peterls physisches und moralisches Wohlergehen. Seine Gedanken waren augenscheinlich von etwas Bezwingendem erfüllt, das ihn manchmal erheiternd, manchmal betrübend, immer aber völlig in Anspruch nahm. Er machte auch sehr oft Besuche, zu denen er sich aufs Feinste kleidete. Peter war nicht der Mann, der seinem Herrn nachspürte, zur Spionage erniedrigte er sich nicht, aber seines Verstandes, seines Scharfsinns konnte er sich nicht entäußern, die Fähigkeit, richtige Schlüsse zu ziehen, konnte er nicht plötzlich los werden. An dem Tage, an dem er mit einem prachtvollen Bouquet zu Madame Amélie geschickt wurde, wußte er Alles.

Daß es eine marchande de modes war, kränkte ihn tief, das sagte er nicht einmal seiner Magdalena.

Der Verdacht Peter Peters’ war nicht unbegründet; sein Herr ging wirklich auf Eroberung aus. Aber nicht Liebe wollte er gewinnen, sondern Vertrauen, und errang es auch in einem Maße, das seine Erwartungen und sogar seine Wünsche überstieg. Madame Amélie machte ihn mit ihrem Lebenslauf bekannt und schüttete ihr ganzes, übervolles Herz vor ihm aus.

Sie stammte aus einer guten Pariser Familie, hatte in früher Jugend ihre Eltern und später dann durch die Unredlichkeit eines Verwandten ihr Vermögen verloren. Eine alte, alleinstehende Tante, Madame Justine Vernon, die in Wien ein einträgliches Modengeschäft führte, erbarmte sich ihrer Verlassenheit und nahm sie zu sich. Und nun kam das Talent zur Entfaltung, dem Amélie ihre späteren Erfolge verdanken sollte. Ein Talent, das sie, genau wie diese liebe Madame Müllér, ahnungslos besessen hatte, bis äußere Verhältnisse die schlummernde Gottesgabe in ihr weckten. Sehr bald zeigte sich, daß die Thätigkeit, die ihr aufgezwungen worden, eine ihren Anlagen und Fähigkeiten völlig zusagende war. Sie ging aber auch in ihr auf. Sie trat nach dem Tode Madame Vernons an die Spitze des Hauses, erweiterte das Geschäft zu einer Putzwaaren- und Konfektionshandlung, erwarb einen Wohlstand, der an Reichthum grenzte, und nahm eine Stellung ein, wie noch nie eine Modistin vor ihr. An Bewerbern hatte es ihr natürlich nicht gefehlt: »Die Männer sind so geldgierig und immer bereit, sich zu verkaufen.«

»Auf den Sklavenmarkt mit dieser Männer-Ausschußwaare!« murmelte Brand.

Aber Amélie Vernon dachte nicht daran, ihre Freiheit aufzugeben; sie war stolz auf ihre jungfräuliche Unabhängigkeit und bewahrte sie bis zu ihrem vierzigsten Jahre. Dann war das Verhängniß hereingebrochen mit dem Tode des alten und mit der Aufnahme des neuen Buchhalters, eines glänzend empfohlenen, jungen Menschen. Tüchtig in seinem Fache, verläßlich in Geldsachen, solid und rangirt, hieß es, und das glaubte Madame Amélie; aber auch hübsch, liebenswürdig, bezaubernd, und das sah Madame Amélie. Ach! der schöne Buchhalter spielte sich auf den schmachtenden Troubadour, und sie gab seinen Schwüren, seinem Flehen, seinen Thränen nach und erhob ihn zum Chef des Hauses und zu ihrem Gatten.

»Vor zwei Jahren, Monsieur. Ja! die Monate, die Wochen und Tage, die seitdem vergangen sind, kann ich zählen – die infidélités, die Édouard an mir begangen hat, nicht. Er betrügt mich wie ein Franzose, Ihr biederer Österreicher!« rief sie und sah Dietrich so feindselig an, als ob er ein Mitschuldiger ihres Ungetreuen wäre. O der Quäler! Wie sie ihn liebte, ihn haßte, ihm fluchen und ihn vertheidigen mußte in einem Athem, denn – war er schlecht, die Frauen waren schlechter. Sie stellten ihm nach, er konnte sich nicht retten vor ihnen. Damen, »de vraies dames« schickten ihm Bouquets. »Pauvre chéri!« aber ein – »fier misérable!« Heuchlerisch, gewissenlos und von einer Eitelkeit! … Wenn eine Frau gleichgültig an ihm vorbeigeht, fühlt er sich von ihr insultirt und nimmt sie en grippe. So z. B. Madame Müllér.«

»Frau Major von Müller?« Brand mußte sich fest anklammern an die Lehnen seines Fauteuils, um nicht in die Höhe zu fahren: »Dieser … Herr wird doch nicht wagen« … Er hielt inne, vollbrachte ein Meisterstück der Selbstbeherrschung und fragte gelassen und kühl: »Sie kommt zu Ihnen? Wann? Wie oft?«

Nun, früher, als sie ihrer Sache noch nicht ganz sicher war, kam sie allwöchentlich. Sie hatte die Bestellungen selbst abgeliefert und das Urtheil und die Rathschläge der Meisterin erbeten. Derer bedurfte sie jetzt nicht mehr und fand sich nur noch an jedem Letzten des Monats zur Abrechnung bei der Prinzipalin ein; zwischen Elf und Zwölf, die Stunde, in der der Chef im Bureau festgehalten ist. Höchst seltsam, aber – sie hat für ihn etwas Abstoßendes: »Was für eine steifleinene Person hast Du da aufgegabelt?« fragte er schon mehrmals. Die Majorin scheint bemerkt zu haben, daß sie ihm mißfällt, sie vermeidet, ihm zu begegnen, betritt die Ateliers nicht mehr, sondern kommt über die Seitentreppe direkt in den Privatsalon Amélies.

»So – weil sie ihm mißfällt? Das ist merkwürdig. Sie muß sich sehr geändert haben, wenn sie irgend Jemandem mißfallen kann.«

»Mir nicht, o mir nicht,« versicherte Amélie, »für mich hat sie etwas sehr Anziehendes, einen außerordentlichen charme. Und ihre Kinder sind entzückend, besonders der kleine Junge. Ich lasse ihn immer rufen, wenn er die Arbeiten seiner Mutter abliefern und Material zu neuen Arbeiten holen kommt. Er hat so touchante Augen. Um diesen Schatz beneide ich Madame Müllér. O, wenn der Himmel mir Kinderchen mit so touchanten Augen schenken wollte!«

Brand wartete ihr mit einer guten Lehre auf: »Den besten Trost für den Mangel an eigenen Kindern findet man in der Liebe zu denen der Anderen. Schließen Sie fremde Kinder ans Herz, Madame. Was mich betrifft, ich beabsichtige mich der Kinder meines verstorbenen Freundes anzunehmen. Zu dem Ende will ich sie aufsuchen, muß demnach wissen, wo sie wohnen, und bitte Sie, mir ihre Adresse mitzutheilen.«

Die war: VII. Bezirk, Berggasse Nr. 19, Erster Stock, Thür 6½. Aber hingehen? Amélie widerrieth es ihm. Sie hatte schon mehrmals bemerkt wie vorsichtig Frau von Müller jedem Zusammentreffen mit Bekannten aus früheren, besseren Tagen auswich. Sehr begreiflich das, wenn man so viel Charakter hat, so viel Stolz. Weder die Neugier noch das Mitleid sollen Einblick nehmen in ihre traurigen Verhältnisse. »Etwas gebessert haben sie sich übrigens schon. Madame Müller verrichtet nicht mehr alle Hausarbeit selbst, ihre Zeit ist kostbar geworden, ihre kunstreichen Hände brauchen Schonung; sie hat eine Magd aufgenommen.«

»Etwas gebessert haben sich die Verhältnisse der Frau Major, sagen Sie, Madame. Das ist zu wenig,« versetzte Brand, »sie müssen gut werden. Wir wollen dafür sorgen, wir Zwei. Sie haben mir Ihr Vertrauen geschenkt, Sie werden das meine nicht täuschen. Ich rechne auf Ihren Takt, Ihre Feinfühligkeit.«

»Feinfühligkeit? das ist Delicatesse? O, Sie können auf die meine zählen.«

Dietrich nahm ein Couvert aus seiner Tasche und legte es auf das Tischchen, auf dem heute eine blaue Matteische Elektrizität stand. »Erweisen Sie eine Wohlthat, Madame, unter dem Scheine eines entrichteten Honorars. Wenn Sie sagen: ‘ich habe alle Hüte, die Sie mir neulich geschickt haben, als Pariser Modelle verkauft und betheilige Sie mit fünfzig Prozent am Reingewinne’, das müßte doch eine hübsche Summe ausmachen. Nicht?«

Amélie zog die Augenbrauen in die Höhe. »O, Monsieur, so viel wie allgemein angenommen wird, kommt bei unserem Geschäfte nicht heraus. Doch will ich Mittel finden, Madame Müllér glauben zu machen, daß wir eben jetzt, die Saison ist ja sehr günstig, ungewöhnlich hohe Preise für unsere Arbeiten fordern konnten.«

»Thun Sie das, Madame,« sprach Brand mit großer Wärme. »Geben Sie mir meine Seelenruhe wieder; der Gedanke an die Kinder meines verstorbenen Kameraden läßt mich nicht schlafen.«




X


Brand ging in gedrückter Stimmung und mit sich selbst unzufrieden heim. Es mißfiel ihm, daß er eine Freundschaft für den seligen Major von Müller heuchelte, von der sein Herz nie etwas gewußt. Warum? Weil ihm der brave Mann, der genau das gethan hatte, was Dietrich hätte thun sollen, ein lebender Vorwurf war.

»Verzeih mir, Major«, sagte Brand unwillkürlich laut und trat in seiner Benommenheit einem dürftig gekleideten, schmalen, schüchternen Herrn, der bescheiden an ihm vorüberhuschte, auf den Fuß. Der Herr grüßte und – entschuldigte sich. Für einen Major gehalten zu werden, schmeichelte ihm; denn er war nur ein ganz kleiner Beamter.

»Verzeihung«, wiederholte Dietrich, zog den Hut und dachte: Demüthiges Menschlein, wenn Du wüßtest, wie klein ich mich fühle!

Sein Elend und seine Qual mußten ein Ende nehmen; er faßte einen großen Entschluß. Wenn er auch nicht wagen durfte, Frau von Müller zu besuchen, sehen mußte er sie. Morgen ist der letzte April, da tritt sie ihre Wanderung zu der Brotgeberin an, da will er sie erwarten vor ihrem Hause, will ihr folgen, vorerst unbemerkt. Wer weiß, vielleicht zeigt der Zufall sich günstig und bietet Brand Gelegenheit, sich ihr vorzustellen.

Er schlief wenig in dieser Nacht, verfiel erst gegen Morgen in einen unerquicklichen, durch wirre Träume gestörten Schlummer. Als er erwachte, war es fünf Uhr, und aus grauen Wolken, die den ganzen Himmel bedeckten, strömte dichter Regen nieder. Nach dem Frühstück ging Dietrich in die Wohnung hinüber, die er für das Ehepaar Peters im dritten Stock des Hauses gemiethet hatte, in dem das Geschäft Magdalenas sich befand. Er kam gerade zurecht zum Bade seines Täuflings, und Frau Peters erschrak nicht wenig, als sie ihn erblickte; denn das war die Gelegenheit, bei der Dietrich mit Ermahnungen am Wenigsten sparte und so oft gesagt hatte, daß es ihr schon »auf die Nerven« ging:

»Ja, meine Liebe, das Baden eines kleinen Kindes ist keine leichte Sache. Ich habe darüber in ganz vortrefflichen Büchern gelesen und auch gesprochen mit Widerhofer, Auchenthaler und Monti.«

Heute kein Wort, nicht einmal ein recht aufmerksames Zusehen, und als die Uhr Neun schlug, nahm er seinen Hut (seinen schönsten Cylinder bei dem Wetter) und ging und vergaß den Regenschirm. Zum Glück bemerkte Frau Peters es gleich und schickte ihm den Unentbehrlichen nach und dachte bei sich mit aufrichtigem Bedauern: »Der ist wirklich verliebt, und fest, der arme Alte!«

Es hatte ihn auf einmal gepackt: Vielleicht kommt sie heute früher als gewöhnlich zu Madame Vernon. Warum sie das thun sollte, da sie doch einen bestimmten Grund hat, zu keiner anderen Stunde als zwischen Elf und Zwölf zu kommen, wußte Brand nicht und konnte es nicht wissen. Aber möglich war’s ja doch, und wenn ein vernünftiger Mensch eine Möglichkeit einmal angenommen hat, dann richtet er sich auch nach ihr ein.

Er war ein guter Geher und erreichte in erstaunlich kurzer Zeit sein Ziel, die lange Berggasse. Sie machte ihrem Namen Ehre und stieg ziemlich steil in die Höhe. Zwischen ihren alten, niedrigen Häusern ragten hie und da neue, thurmartige Zinskasernen in den Himmel und raubten seinen Anblick ihrem armen Gegenüber und waren trotz ihres unverschämt protzigen Aussehens doch nur Wohnstätten der Armuth und der Noth.

Auch Nummer 19 hatte solch’ ein lichtraubendes vis-à-vis und schien aus Ehrfurcht vor ihm halb in die Kniee gesunken. Brand trat durch das schiefe Thor in einen elend gepflasterten Hof, der ein schmales, unregelmäßiges Viereck bildete. Rings um die zwei Geschosse liefen offene Gänge mit Geländern aus verbogenen Eisenstäben. Die Fenster waren klein und in defektem Zustande. Im Hofe unter einem Vordach über dem Eingang, der zu der Hausmeisterwohnung führte, beschäftigte sich ein derbes Weib mit dem Reinigen des Küchengeräthes und wurde dabei von einer Schar von Hühnern umgackert und von zwei Katzen umschmeichelt. Auf einem leeren Fasse saß ein schwarzer Kater; und ein kleines, steinaltes, kaffeebraunes Thierchen, mit weißen Pfoten und langen, flatternden Ohren, das beim Anblicke Brands eine Art Gebell erhob, mußte man erst eine Weile betrachten, um zu erkennen, daß es zum Hundegeschlecht gehörte.

Die Hausmeisterin musterte den durch das Hündlein Angekündigten vom Kopf bis zu den Füßen und fragte unfreundlich: »Was wünschen’s denn?«

Auf einem Gang des ersten Geschosses war eine alte Frau mit zerzausten Haaren und mit einer Brille auf der Nase, in einen fettigen Schlafrock gekleidet, erschienen, hatte sich ängstlich umgesehen, einen kleinen zerfetzten Teppich auf das Geländer gelegt, und angefangen, ihn so leise als möglich auszuklopfen.

Aber die Hausmeisterin bemerkte die geplante Unthat sogleich und hemmte ihre Fortsetzung durch energische, mit Schimpfworten reichlich gespickte Einsprache. Die erschrockene Alte raffte ihren Teppich zusammen und verschwand in der Thür, aus der sie getreten war.

Diesen Zwischenfall benutzte Brand, um sich aus dem Hause und aus der Nähe seiner groben Beherrscherin zu stehlen. Diese Person nach Sophie Müller zu fragen, widerte ihn an. Diese Person schien ihm so recht fähig, alle möglichen infamen Schlüsse aus der einfachen Erkundigung zu ziehen: »Wohnt hier Frau Major von Müller, und ist sie zu Hause?«

Nein, er wollte nicht fragen, er wollte warten; geduldig, mehr als geduldig, mit dem Wunsche sogar, sie möge noch nicht kommen. Ihr Anblick wird ihm eine große Gemütsbewegung verursachen. Er hatte sich das kaum eingestanden, als er sich auch sofort ins Gebet nahm. Und was weiter? Hat er eine feige Scheu vor Gemütsbewegungen? Ist es so weit mit ihm gekommen in dem Schlaraffenleben, das er führt, und vergißt er vor lauter Erziehen an Anderen die Erziehung seiner selbst? Gemütsbewegung, ja – es wird eine sein, und er wird sie aushalten.

Nach langem Auf- und Abgehen blieb er in der Nähe des Thores stehen. Unaufhörlich strömte der Regen nieder, Brand nahm sich unter den acht Wasserfäden, die von seinem Schirm herunterliefen, wie ein steinerner Wassergott aus. Es wurde halb Elf. Sie kommt nicht, das Wetter ist zu schlecht, dachte er und – wartete weiter, obwohl er recht gut merkte, daß er schon die Aufmerksamkeit einiger Schuhmacher erregt hatte, die an einem Fenster des gegenüber liegenden Hauses arbeiteten.

Zu jeder anderen Zeit würde er hingegangen sein und die jungen Leute gefragt haben, was sie zu gaffen und zu kichern hätten? Ob die Beobachtung der Passanten oder das Verfertigen von Schuhen ihre Pflicht und ihr Geschäft sei? Jetzt aber ließ er die Tröpfe ungehindert in dem Pfuhl ihrer Nichtsnutzigkeit versinken und blieb auf seinem Posten, bis die Uhr des nächsten Kirchthurms Elf schlug und der letzte Schein von Hoffnung, der noch in ihm glimmte, erlosch.

Und gerade in dem Augenblick, in dem er jede Hoffnung aufgegeben hatte, wurde sie erfüllt. Er war noch einige Schritte hinauf bis an das Thor von Nummer 21 gegangen, da war ihm, als ob er zurückgezogen würde an unsichtbaren, aber starken Fäden. Etwas Geheimnißvolles, nie Empfundenes zwang, ja zwang ihn, sich umzuwenden.

Da trat sie aus dem Hause. Er erkannte sie sogleich. Wie zögernd blieb sie ein paar Sekunden vor dem kleinen Wasserreservoir stehen, das sich zwischen der Schwelle und dem Trottoir gebildet hatte, sah zum trostlos grauen Himmel hinauf, öffnete rasch ihren Schirm, hob sich auf die Fußspitzen und schritt eilig und entschlossen des Weges.

Brand folgte ihr anfangs aus einiger Entfernung, dann wagte er sich näher heran, ging auf die andere Seite der Gasse, ging ihr vor, sah ihr ins Gesicht. Sie trug einen kleinen, schwarzen Schleier, hielt die Augen aufmerksam auf das Pflaster gerichtet und suchte die Steine aus, auf welche sie ihre schlanken, schmalen Füße setzte. Sie hatte ihren leichten und entschlossenen Gang, die anmuthig aufrechte Haltung behalten, die ihm so deutlich in der Erinnerung geblieben waren. Sie sah wie ein junges Mädchen aus, und fein und elegant in ihren alten Kleidern. O wie alt, wie abgetragen!

Brand verlangsamte seine Schritte und ging wieder hinter ihr her; und als ein Lümmel, der ihr entgegen kam, sie beinahe vom Trottoir gestoßen hätte, schob er ihn zur Seite mit solchem Nachdruck und so aggressiver Miene, daß der Mensch ein »Pardon« stammelte und sich davon machte.

Sie waren am Ziele. Frau von Müller lief mehr als sie ging ins Haus, und Brand dachte daran, heim zu gehen. Aber er that es nicht, er brachte sich nicht fort. Er hatte ja die Möglichkeit, sie noch einmal zu sehen, ihr noch einmal zu folgen, sie vielleicht noch einmal in Schutz zu nehmen vor irgend einem Lümmel und sich dann ein Wort des Dankes von ihr zu verdienen … Daß sie doch in eine große Gefahr gerathen möchte, daß er ihr Leben um den Preis seines eigenen retten und ihr sterbend sagen könnte: »Frau von Müller, jetzt sind wir quitt!«

Sie war nicht die breite Treppe zum ersten Stockwerk hinaufgestiegen, die links in die Salons führte, sondern die Seitentreppe rechts, über die man zur Privatwohnung Madame Amélies gelangte. Brand hatte sich in den Hof zurückgezogen und beobachtete von dort aus, was unter dem Thorwege vorging. Nach kaum zehn Minuten kam Sophie die kleine Treppe wieder herab. Ihre Wangen waren leicht geröthet, ein heller Ausdruck von Freude verklärte ihr Gesicht. Die angenehme Überraschung, die Brand ihr zugedacht, war gelungen; Madame Amélie hatte ihre Sache gut gemacht.

Mit großer Raschheit eilte Frau von Müller vorwärts und wäre beinahe an einen großen, breiten, nach der neuesten Mode gekleideten Herrn angeprallt, der plötzlich und ebenfalls sehr rasch aus der Thür der gegenüber liegenden Treppe getreten war. Brand erkannte in ihm das Urbild der vielen Porträts, die das Zimmer seiner Gattin schmückten, den Chef des Hauses, Herrn Eduard Weiß. Das waren seine impertinent blauen, vorgehenden Augen, seine üppigen Backenbärte, die schwellenden Lippen, die – um mit Amélie zu sprechen – unter dem blonden Schnurrbart hervorblinkten, wie rother Mohn ans dem Weizenfelde.

Er lachte laut auf über den Schrecken, mit dem Sophie vor ihm zurückgefahren war, und sprach, ohne den Hut zu rücken: »Seh’n Sie, da haben Sie’s. Zur Strafe, daß Sie immer vor mir davonlaufen, wirft Sie der Zufall in meine Arme.«

Sie wendete sich und eilte dem Ausgang zu; Eduard vertrat ihr den Weg:

»Nein, nein, Sie bleiben! Warum so scheu? Hab’ ich Sie beleidigt, oder fürchten Sie, daß ich Ihnen gefährlich werden könntet Wenn das wäre, schöne Frau, wenn ich das hoffen dürfte« …

Zärtlich, mit elegischer Gebärde, streckte er die fein behandschuhte Rechte aus, um ihren Arm zu fassen; aber im selben Augenblick legte sich eine nervige Faust auf den seinen, und eine gebieterische Stimme befahl:

»Platz da, Herr!«

Betroffen sah Eduard sich um und maß den kleinen, unscheinbaren Mann, der ihn angerufen hatte, mit einem häßlichen, verächtlichen Blicke. Dieser Mann lüftete jetzt vor Frau von Müller den Hut wie vor einer Königin und fragte ehrfurchtsvoll:

»Darf ein alter Bekannter Ihnen sein Geleit anbieten, gnädige Frau?«

Sie war zurückgewichen. Ein leises Beben durchrieselte ihren ganzen Körper, mit groß geöffneten Augen starrte sie ihn an, ihre Oberlippe zog sich ein wenig in die Höhe, man sah, wie ihre weißen Zähne sich fest auf einander klemmten.

»Herr Rittmeister Brand,« sprach sie zagend, fast unhörbar.

»Brand?« wiederholte Herr Eduard eingeschüchtert. Rittmeister Brand, von dem Amélie in den letzten Tagen so oft und mit so herausforderndem Entzücken sprach? Derselbe Brand, von dem man wußte, daß er den Dienst aufgegeben hatte, um sich mit seinem Obersten duelliren zu können. War er’s? war er’s nicht? Für alle Fälle fand Herr Weiß es gerathen, die Augen zu senken.

Sophie hatte ihre Fassung bald wieder gewonnen. Ruhig, höflich, aber unwiderruflich entschieden sprach sie, als Brand seinen Antrag wiederholte: »Ich danke Ihnen, Herr Rittmeister, nein, nein.«

Dietrich trat schweigend zur Seite, und sie schritt an ihm vorbei und hinaus in den strömenden Regen, in den Sturm, der sich erhoben hatte und die Straßen durchfegte.

Eduard machte einen zaghaften Versuch, ihr zu folgen. Aber Brand sah zu ihm hinauf (er reichte ihm genau bis zum Ohrläppchen) und sprach:

»Ich bitte Sie um eine kurze Unterredung. Ich begleite Sie auf Ihr Comptoir.«

»Ich komme von dort,« versetzte der schöne Mann und wußte nicht recht, ob er mehr Grund zur Entrüstung oder zur Bestürzung habe. »Ich gehe jetzt aus. Ich habe zu thun.«

»Auch ich habe zu thun, und zwar mit Ihnen,« sagte Dietrich bestimmt, aber gar nicht agressiv. Dem Chef lief es trotzdem eiskalt über den Rücken, und er fragte sich, ob das vielleicht die Art der Herren vom Militär sei, einen Civilisten zum Duell heraus zu fordern. Zum Duell! Diesem Unsinn, diesem Verbrechen, das jeder vernünftige und rechtgläubige Mensch verabscheut. Aber Gottlob, beschwichtigte er sich, wir haben ein Gesetz, und dieses hat einen Paragraphen, der Schutz gewährt gegen Bedrohung am Leben. Diese Erwägung gab ihm einige Sicherheit und den Muth, zu sagen:

»Eigentlich weiß ich nicht … Mit wem hab’ ich denn eigentlich die Ehre?«

»Eine ganz berechtigte Frage, Herr Eduard Weiß. Ich habe versäumt, mich Ihnen vorzustellen. Mein Name ist Dietrich Brand.«

»Also wirklich … Meine Frau hat schon öfters das Vergnügen gehabt, Herr Rittmeister« …

»Nicht mehr. Ich habe meinen Militärcharakter abgelegt.«

»Ja so, also richtig, also – bitte.«

Wenn Du nur nicht so verflucht martialisch aussähest, Du alte Tugendpolizei, dachte Eduard.

Er hatte den Gast in das ebenso elegant wie gediegen eingerichtete Comptoir geführt, wies ihm dort einen bequemen Fauteuil an und setzte sich ihm gegenüber an den Schreibtisch. Da hatte er die Taster der elektrischen Glocken in der Nähe. Ihr Anblick und der des Telephons an der Wand war ihm erfreulich. Es berührte ihn auch angenehm, als er aus dem zweiten Zimmer die süße Stimme Fräulein Juliens, die mit dem Zuschneider konferirte, herüberflöten hörte.

Brand nahm von dem ihm angebotenen Platz nur so viel in Anspruch, als seine schmächtige Gestalt durchaus brauchte. Er saß kerzengerade, mit fest geschlossenen Beinen, und als Eduard ihm den Hut, den er in der Hand behalten hatte, abnehmen wollte, lehnte er kurz ab: »Nicht nöthig. Ich habe Ihnen nur mitzutheilen, daß der verstorbene Major von Müller ein Kamerad von mir gewesen ist. Erst neulich habe ich erfahren, daß seine Wittwe hier lebt. In wie traurigen Verhältnissen, theilte Ihre Frau Gemahlin mir mit. Ich bin nun entschlossen, Frau von Müller und ihre Kinder in meine Obhut zu nehmen. Soeben war ich Zeuge des Benehmens, das Sie sich gegen diese Dame erlauben; wohl nur, weil sie von Ihnen für schutzlos gehalten wird. Sie ist es nicht mehr. Wer sie beleidigt mit einem einzigen Worte, einem einzigen Blick, beleidigt mich. Ich aber versichere Ihnen, daß ich Beleidigungen nicht dulde. Das lassen Sie sich gesagt sein.«

Er stand auf, und Eduard folgte seinem Beispiel. Er sprach nicht, er verbeugte sich nur, über sein wohlgenährtes Gesicht flog ein Ausdruck … Alles zugleich, cynisch, frech, feige.

Brand nahm sich zusammen; er wollte seinen Zorn nicht überwallen lassen. Das kostete ihn einen schweren Kampf. Unbegreiflich! Seinen Soldaten gegenüber war seine Ruhe unerschütterlich, seine Geduld unerschöpflich gewesen. Wie kam dieser Bengel zu der Ehre, ihn dergestalt in Aufregung zu bringen?




XI


Diese Frage war nicht die einzige, die ihn bedrängte. Das erste Wiedersehen zwischen Sophie und ihm war für sie ein mit Schrecken verbundenes, für ihn ein glückliches gewesen, denn er hatte ihr einen Dienst leisten dürfen. Was aber nun? Ihr gleich, ihr heute noch einen Besuch abstatten, ginge nicht an. Es sähe gar zu hungrig aus nach Lob und Dank, und wahrlich dadurch, daß man einen Zudringlichen fern gehalten hat, erwirbt man doch zu allerletzt das Recht, selbst zudringlich zu sein. Andererseits wieder – verfluchtes Dilemma! – möchte er doch um keinen Preis gleichgültig und theilnahmslos erscheinen.

Vierundzwanzig Stunden lang ertrug Brand die Zweifelsqualen. Länger nicht.

Am nächsten Tag war das Wetter schön, er hatte Klein-Peterl im Stadtpark besucht und wie gewöhnlich unter der fröhlich spielenden Jugend lehr- und segensreich gewaltet. Als es Zwölf schlug, als die Zeit wiederkehrte, zu der die tapfere Frau gestern ausgewandert war, um den Ertrag ihrer Arbeit heimzuholen, als sie vor seinem Geiste stand, wie er sie mit Augen gesehen hatte, in ihrer lieblichen Verwirrung beim unerwarteten Wiedersehen – da war’s beschlossen: »Um Drei bin ich bei ihr.«

Die Stunde schien ihm die passendste für einen ersten Besuch. Es ist eine so hübsche Stunde, diese dritte – nach der Mittagshöhe. Sie lastet nicht mehr drückend schwül und ist doch kräftig von Sonnenlicht durchtränkt. Die dritte Nachmittagsstunde hat manche Analogie mit gewissen gesetzten Jahren im Leben …

Brand ging ins Restaurant, rascher als nothwendig gewesen wäre, und hatte, nach Hause zurückgekehrt, schon um halb zwei Uhr seine Cigarre fertig geraucht. Dann wurde Toilette gemacht. Cylinder Nr. 2, dunkelgrauer Straßenanzug Nr. 2. Alles sehr einfach, aber bürsten mußte Peter den Hut, den Anzug, die Stiefel, daß ihm das Herz weh that um den Filz, das Tuch und das Leder. Brand warf sogar einen Blick in den Spiegel, schüttelte den Kopf und sah unzufrieden aus. Ist auch an seinem Lebenstage früher Nachmittag … oder naht schon der Abend?

Es muß heute eine Andere sein, dachte Peter. Zu den Besuchen bei der »Marchand’ Mod’« wird nur Garderobe Nr. 1 angelegt. Nun ja, von so einer Putzgredl will man sich nicht spotten lassen.

»Jetzt geh’ ich,« sagte Brand, und hinter den armseligen Worten schwoll es empor wie komprimirter Jubel, dem man ein bißchen Luft macht. »Wohin glaubst Du wohl?« setzte er nach kurzem Nachdenken hinzu, und sah den guten Peter, und wußte selbst nicht warum, streng an: »Zur Frau Major von Müller.«

Peter war verblüfft; er gestand sich ungern, daß er nicht wußte, was er denken sollte von seinem Rittmeister. So stieß er denn einen Seufzer aus und sprach: »Die Frau Major von Müller, ja. Belieben jetzt in Klausenburg zu sein, die Frau Major.«

»Sie war dort, ist jetzt in Wien.«

»Da muß sie g’rad hergereist sein, Herr Rittmeister, stotterte Peter, und ein Licht ging ihm auf, sonnenhell, sonnengroß, und er platzte aufleuchtenden Blickes heraus: »Die Frau Major sind jetzt auch eine Witib.«

»Was – auch? Wer – auch?« Ein solcher Esel! setzte er im Stillen hinzu, ob man mit einem solchen Esel ein Wort reden darf, das nicht absolut zum Dienst gehört.

Die kleine Verstimmung Brands verflog im Augenblick, in dem er aus dem Hause trat. So schlecht das Wetter gestern gewesen, so wunderschön war es heute. In strahlender Herrlichkeit stand die Sonne am lichtblauen Himmel; ein verklärender, wie von Millionen winziger Fünkchen durchschimmerter Dunst lag über den Prachtbauten der Ringstraße und über den fernen Bergen. Das alte, ewig junge Wien prangte im Frühlingsschmuck seiner Alleen, Rasenplätze und Gärten: aber noch lag ein winterlicher Hauch in der Luft und gab ihr etwas Kerniges, Stärkendes. Jeder Blick trank Schönheit, jeder Athemzug Kraft, und mit jedem Schritte, den Brand vorwärts machte, steigerte sich sein Glücksgefühl, und sein Unternehmungsgeist wirbelte, wirbelte empor, bis er ins Übermüthige umschlug.

Dietrich trat in einen äußerst eleganten Spielereiladen und kaufte dort den gediegensten Malkasten, der sich auf Lager fand, und die größte Pariser Puppe: ein Wickelkind, von einem lebendigen nur dadurch zu unterscheiden, daß es im zartesten Alter schon beim leisesten Drucke »Papa« und »Mama« quietschte.

Da Brand durchaus nicht wünschte, beladen wie er war, einem Bekannten zu begegnen, nahm er einen Wagen und fuhr bis an die Ecke der Berggasse. Indessen fühlte er sich auch hier nicht ganz behaglich: die Puppe war schlecht verpackt, aus einem Spalt des Papiers kam eine ihrer blonden Locken zum Vorschein, und aus einem anderen ihre rosenfarbige Hand, und mit der schlug sie einem seiner Grundsätze ins Gesicht. Wie oft hatte er Mütter und Gouvernanten gewarnt: »Von dem Tragen großer Puppen werden die Kinder schief.« Und was wird Frau von Müller sagen, wird sie es nicht taktlos finden, daß er gleich beim ersten Besuche mit Geschenken angerückt kommt?

Er verwünschte den Ankauf, zu dem ihn der berauschende Einfluß der Frühlingsluft verleitet hatte und würde seine Übereilung gar zu gern ungeschehen gemacht haben. Die Gasse war ziemlich öde, die wenigen Menschen, die er traf, schenkten ihm keine Aufmerksamkeit; er glaubte etwas wagen zu dürfen, er unternahm den Versuch, sein Paket hinter ein Hausthor zu legen. Aber das unselige Puppenzeug quietschte, und ein angetrunkener Maurer, der plötzlich, wie aus einer Versenkung, auftauchte (es dürfte die Kellerstiege gewesen sein, erklärte Brand sich später), schrie ihn an, das Haus sei kein Findelhaus, er möge sein Kind wo anders weglegen.

In der Entrüstung über diese stupide Verdächtigung fand Dietrich seine Seelenstärke wieder. Mit dem Bewußtsein, daß er Frau von Müller gegenüber nur eine Ungeschicklichkeit, nicht aber ein Unrecht begehe, verfolgte er seinen Weg, erreichte sein Ziel und stieg die schmale Wendeltreppe des alten Hauses mit ihren gefährlich ausgetretenen Stufen empor. Auf dem Gange wendete er sich nach rechts. Dicht neben der Thür 6½ befand sich ein Fenster, das ein weißer Vorhang von innen verhüllte. Brand zog an dem Glockenstrang, und dabei durchzuckte es ihn vom Wirbel bis zur Sohle wie ein elektrischer Schlag.

Alter Mann! alter Mann, was sind das für Gefühle? So war Dir ja zu Muthe, als Du, ein zwanzigjähriger Lieutenant, der unvergeßlich schönen Frau Bürgermeisterin von Wilna zum Geburtstag gratuliren gingst, mit einem Rosenbouquet.

Die Glocke tönte, wie sie zu tönen pflegt in den Wohnungen der Armen: »Bring was, bring was!« sagt sie. Ein Zipfel des Vorhangs wurde in die Höhe gehoben und hinter der sehr sauber geputzten Fensterscheibe erschien ein ältliches, gutmüthiges Frauengesicht. Brand wurde mit prüfendem Blick gemustert und schien einen Vertrauen einflößenden Eindruck zu machen; der Vorhang sank wieder, die Thür öffnete sich.





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