Книга - Friedrich Arnold Brockhaus – Erster Theil

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Friedrich Arnold Brockhaus - Erster Theil
Heinrich Brockhaus




Heinrich Eduard Brockhaus

Friedrich Arnold Brockhaus - Erster Theil / Sein Leben und Wirken





Vorwort


Am 4. Mai dieses Jahres sind hundert Jahre seit dem Tage verflossen, an welchem geboren wurde. Dem Gedächtnisse des Verewigten sollen bei dieser Jubelfeier nachfolgende Blätter geweiht sein.


Friedrich Arnold Brockhaus

Kaum mehr als die Hälfte dieses Zeitraums war ihm zu leben vergönnt: am 20. August 1873 werden es funfzig Jahre, daß er im kräftigsten Mannesalter den Seinigen und seinem Wirken entrissen worden ist. Und nur achtzehn von den einundfunfzig Jahren seines Lebens wirkte er in dem Berufe, zu dessen hervorragendsten und verdientesten Vertretern er gehört.

Was er in dieser kurzen Spanne Zeit erstrebt und geschaffen, gibt ihm den Anspruch darauf, daß sein Gedächtniß in Ehren gehalten, sein Leben und Wirken der Nachwelt vorgeführt werde. Friedrich Arnold Brockhaus verdient ein Blatt in der Geschichte des deutschen Buchhandels, und der Versuch, ihm ein solches zu widmen, bedarf darum keiner Rechtfertigung.

Dagegen erscheint eine Erklärung nöthig, weshalb ein solcher Versuch nicht schon früher gemacht wurde.

Der Grund liegt hauptsächlich darin, daß für eine Biographie desselben nur ein ungenügendes, geringes und lückenhaftes Material vorhanden ist. Deshalb kam auch die bald nach seinem Tode von einem Freunde, Professor Friedrich Christian August Hasse in Dresden, gehegte Absicht, ihm ein literarisches Denkmal zu errichten, nicht zur Ausführung, obwol er vor Vielen dazu berufen und befähigt gewesen wäre. Aus gleichem Grunde trat in späterer Zeit der Gedanke an eine ausführlichere biographische Schilderung immer mehr in den Hintergrund, je weniger es trotz mehrfacher Bemühungen gelingen wollte, jene Lücken auszufüllen. Die an den Tagen des 13. und 14. Juli 1856 begangene Jubelfeier des funfzigjährigen Bestehens der Firma F. A. Brockhaus ließ den Wunsch nach einer Lebensschilderung ihres Begründers wieder lebhafter hervortreten, und sein hundertjähriger Geburtstag erschien als der passendste Zeitpunkt zur Ausführung.

Der Unterzeichnete, ein Enkel des Verstorbenen, übernahm die schwierige Aufgabe; er fühlt vor allem die Verpflichtung, sich wegen dieses Wagnisses zu entschuldigen, und muß dabei zunächst von sich selbst sprechen.

Wie mein Vater Heinrich Brockhaus, der seit dem Tode seines Vaters, bis 1850 zusammen mit seinem ältern Bruder Friedrich, an der Spitze des Geschäfts steht, und dessen funfzigjährige buchhändlerische Wirksamkeit wir gleichzeitig mit dem hundertjährigen Geburtstage seines Vaters feiern können, und wie mein jüngerer Bruder Heinrich Rudolf, habe ich es mir zur Lebensaufgabe gemacht, die Firma F. A. Brockhaus im Geiste ihres Gründers fortzuführen. Seit über 20 Jahren ihr angehörend, hegte ich von jeher den lebhaften Wunsch, mich mit dem Leben meines Großvaters näher bekannt zu machen und es dann auch Andern zu schildern. Meine hohe Achtung für ihn und sein Wirken als Buchhändler stieg immer mehr, je vertrauter ich mit seinen Schöpfungen wurde. Ich beschäftigte mich eingehend mit dem trotz der Lückenhaftigkeit sehr umfänglichen Material an Briefschaften sowie mit den Verlagsartikeln unserer Firma aus jener Zeit, und es gelang mir auch wenigstens von einigen Seiten wichtige Vervollständigungen jenes Materials zu erlangen. Als diese wichtige Vorarbeit beendigt war, erkannte ich freilich, daß es nur verhältnißmäßig Weniges sein würde, was ich daraus zusammenstellen könnte, doch aber mußte ich mir sagen, daß es zu bedauern wäre, sollte auch dieses Wenige verloren gehen. So ist es mir als Pflicht erschienen, lieber das zu geben, was ich geben konnte, als, vor der Schwierigkeit der Aufgabe zurückschreckend, die bessere Ausführung einer ungewissen Zukunft zu überlassen.

Denn auch die Ueberzeugung mußte ich bald gewinnen, daß ein ferner Stehender oder einer spätern Generation Angehörender noch weniger im Stande sein würde, ein einigermaßen treues Lebensbild meines Großvaters zu entwerfen. Ich habe ihn allerdings nicht mehr persönlich gekannt — er starb sechs Jahre vor meiner Geburt; aber außer meinem Vater theilte mir mein Onkel, Professor Hermann Brockhaus, der mich auch bei meiner Arbeit vielfach durch seinen Rath unterstützt hat, manches Nähere über mir sonst unbekannt gebliebene Verhältnisse mit, und ich konnte dadurch sowie durch mündlichen und schriftlichen Verkehr mit Männern, die ihn noch selbst gekannt hatten, jenen für einen Biographen stets mislichen Mangel einigermaßen ersetzen.

Als bloßen Versuch einer Biographie bitte ich aber meine Schilderung anzusehen und, wenn sie selbst geringe Erwartungen nicht befriedigen sollte, dies wenigstens zum Theil Umständen, die außer mir liegen, zuzuschreiben.

Ich bin nicht berufsmäßiger Schriftsteller, sondern praktischer Geschäftsmann; außer der selbst bei vollständiger Befähigung erforderlichen Uebung fehlte mir aber auch die zu einer bessern Lösung der Aufgabe nöthige Zeit.

Mit an der Spitze eines umfangreichen Geschäfts stehend, konnte ich nur die wenigen Stunden der Muße und die sonst der Erholung bestimmte Zeit zuerst auf die Lektüre der Tausende von Briefen sowie der einschlagenden Literatur, dann auf die Ausarbeitung verwenden. So habe ich auf dem Comptoir und zu Hause, auf dem Redactionsbureau und auf dem Reichstage, namentlich aber auf Erholungsreisen, in Dresden und Thüringen, im Seebade auf der Insel Wight und der Insel Sylt, seit Jahren fast jede freie Stunde, seltener einige Wochen, der Arbeit gewidmet. Eine zusammenhängende längere Zeit ausschließlich für sie zu gewinnen war mir unmöglich.

Meine nächste Absicht war ferner nur die: den Mitgliedern der Familie sowie den Angehörigen und Freunden unserer Firma ein Lebensbild von Friedrich Arnold Brockhaus darzubieten, aus seinen und aus den an ihn gerichteten Briefen das nach meiner Ansicht Wesentliche und Charakteristische mitzutheilen, und nur so viel, als zum bessern Verständniß desselben ganz nothwendig erschien, hinzuzufügen. Erst während der Arbeit gewann ich die Ansicht, daß meine Mittheilungen doch auch für weitere Kreise, zunächst für den deutschen Buchhandel, Interesse haben könnten, und ich entschloß mich deshalb, sie nicht, wie anfänglich beabsichtigt, blos als Manuscript für die Familie und für Freunde drucken zu lassen, sondern sie auch allgemein zugänglich zu machen. Ich hoffe damit zugleich meinerseits eine Anregung zu geben, daß auch andere Buchhandlungen künftig mehr als bisher Mittheilungen aus ihren Geschäftspapieren als Beiträge zu einer leider noch nicht geschriebenen Geschichte des deutschen Buchhandels veröffentlichen. Manche der abgedruckten Briefe und andern Actenstücke sowie die mit möglichster bibliographischer Genauigkeit angefertigten Uebersichten über die Verlagsthätigkeit meines Großvaters dürften wol auch auf ein literarhistorisches Interesse Anspruch machen. Bei letztern hat mir besonders der gleichzeitig mit diesem Buche von meinem Vater herausgegebene chronologische Katalog der von 1806 bis 1872 im Verlage der Firma F. A. Brockhaus erschienenen Werke, mit biographischen und literarischen Notizen, treffliche Dienste geleistet.

Was die bei meiner Arbeit befolgte Methode betrifft, so habe ich es mir zur Pflicht gemacht, die Auszüge aus Briefen und andern Aufzeichnungen meist mit den Worten der Verfasser wiederzugeben, nicht in Bearbeitung. Dieser wichtigste Bestandtheil der Arbeit ist von meinen mehr als verbindendes Glied dienenden Bemerkungen auch äußerlich durch den Druck unterschieden. Ich weiß, daß von Vielen die entgegengesetzte Art, die Verarbeitung von Briefen und sonstigen Actenstücken zu einer selbständigen neuen Schöpfung des Biographen, vorgezogen wird. »Friedrich Perthes' Leben« von dessen Sohne Clemens Theodor Perthes ist das mustergültige Beispiel einer in dieser Weise ausgeführten Biographie. Allein abgesehen davon, daß eine solche Behandlung einen Meister der Biographie verlangt, als welcher sich der Verfasser jenes Werks bewährt und dasselbe zu einer Zierde unserer Literatur gemacht hat, gestattete mir schon die Beschaffenheit meines Materials ein ähnliches Verfahren nicht. Aus manchen Lebensperioden meines Großvaters, zum Theil den wichtigsten, war so gut wie nichts vorhanden, über seine Jugend und sein erstes Mannesalter wesentlich nur ein von ihm selbst verfaßter Rückblick, während aus andern Jahren wieder zahlreichere Mittheilungen vorlagen. So blieb mir nach reiflicher Prüfung nichts Anderes übrig, als das Wenige, was ich fand, möglichst vollständig und wortgetreu zu veröffentlichen. Daraus erklärt und entschuldigt sich auch die größere Ausführlichkeit mancher minder wichtiger, die verhältnismäßige Kürze anderer wichtigerer Abschnitte.

Da ich den Namen Friedrich Perthes genannt habe, kann ich es mir nicht versagen, darauf hinzuweisen, daß der hundertjährige Geburtstag beider Männer beinahe zusammenfällt und daß ich diese Zeilen zum Gedächtniß von Friedrich Arnold Brockhaus gerade an dem hundertjährigen Geburtstage von Friedrich Perthes niederschreibe. Perthes und Brockhaus gehören unzertrennlich zueinander als zwei Männer, auf die der deutsche Buchhandel gleichmäßig stolz sein kann. Wie in ihrer Geburt, so berührten sie sich auch vielfach in ihrem Leben und Wirken als Buchhändler und als deutsche Patrioten; wie sie persönlich nahe befreundet waren, werden auch nach dem Tode ihre Namen zusammen fortleben.

Daß ich in dem von mir Geschilderten nicht allein den Gründer unserer Firma, sondern auch meinen Großvater verehre, hat mich nicht abgehalten, die erste Pflicht jedes gewissenhaften Biographen: immer die Wahrheit und zwar die volle Wahrheit zu sagen, auszuüben und obenan zu stellen. Ich habe dies auch in solchen Fällen gethan, wo die Erfüllung dieser Pflicht mir nicht leicht wurde, und alle entgegenstehenden Bedenken fallen lassen. Auch Privatverhältnisse glaubte ich nicht übergehen oder mich auf bloße Andeutungen darüber beschränken zu dürfen, wenn ihre Vorführung zur Schilderung des äußern Lebens oder zur Charakterisirung wesentlich erschien.

Auch einen andern Fehler, in den häufig Biographen verfallen, bin ich bestrebt gewesen zu vermeiden: den von mir oft empfundenen Uebelstand, daß der Geschilderte lediglich verherrlicht und als Mittelpunkt der ganzen Zeit, in der er gelebt und gewirkt, hingestellt wird.

Nur die Hälfte meiner Arbeit lege ich gegenwärtig vor und habe sie als ersten Theil bezeichnet, da sich während der Abfassung und nach schon begonnenem Drucke bald die Unthunlichkeit herausstellte, das Ganze in einem Bande und zu dem gebotenen Termine zu vollenden.

Dieser erste Theil schildert das Leben von Friedrich Arnold Brockhaus bis zu seiner Uebersiedelung nach Leipzig und zwar zunächst die Jugend und sein erstes Wirken in Dortmund, dann die Zeit in Amsterdam, darauf die Zwischenperiode vor seiner Niederlassung in Altenburg, endlich die in Altenburg verlebten Jahre. Das beigegebene Bildniß ist nach einem von dem Maler Vogel von Vogelstein in Dresden gezeichneten Porträt gestochen, das als sehr getroffen gilt.

Der zweite Theil ist dem leider nur sehr kurzen Wirken des Verewigten in Leipzig gewidmet und soll außer seiner dort entwickelten lebhaften Verlagsthätigkeit auch die zahlreichen literarischen Streitigkeiten schildern, in die er damals verwickelt wurde, seine Kämpfe gegen den Nachdruck und für eine gesetzliche Regelung der deutschen Preßgesetzgebung, die durch eine Recensur seines Verlags in Preußen entstandenen Schwierigkeiten, endlich die letzte Lebenszeit.

Diesen zweiten Theil hoffe ich dem ersten bald folgen lassen und damit das Werk vollständig vorlegen zu können.

Zum Schluß fühle ich noch die Verpflichtung, allen Denen zu danken, die mich durch Ueberlassung von Briefen, durch Ertheilung von Auskünften oder in anderer Weise bei meiner Arbeit unterstützt haben. Ihre Zahl ist so groß, daß ich darauf verzichten muß, ihnen hier einzeln meinen Dank auszusprechen.

Freilich kann ich aber auch nicht umhin, zugleich der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß mir aus Anlaß der Veröffentlichung dieses ersten Theils noch manche werthvolle Beiträge zur Ausfüllung der vorhandenen Lücken zufließen werden. Diese Ergänzungen sowie jede Berichtigung meiner Darstellung werde ich auf das gewissenhafteste und dankbarste benutzen.

Ich empfehle meine Arbeit dem Wohlwollen und der Nachsicht meiner Leser.

Leipzig, 21. April 1872.



    Dr. Heinrich Eduard Brockhaus.




Erster Abschnitt.

Anfänge





1.

Vorfahren


Die Familie, welcher Friedrich Arnold Brockhaus entstammt, gehört Westfalen an, wo sie sich durch zwei Jahrhunderte verfolgen läßt; sie ist dort noch jetzt in mehrern Zweigen vertreten, während er selbst und die von ihm gegründete Firma sich in Leipzig niedergelassen haben.

Die Vorfahren von Friedrich Arnold Brockhaus waren fast sämmtlich geistlichen Standes, und unter ihnen befindet sich eine Reihe verdienter evangelischer Pastoren; auch viele Glieder der in ihrem Vaterlande gebliebenen Zweige der Familie haben sich diesem Berufe wieder gewidmet.

Der Erste des Namens Brockhaus, von dessen Leben etwas bekannt ist, war Adolf Heinrich Brockhaus, Pastor zu St. — Thomä in Soest, geboren in Altena (einer kleinen Stadt im westfälischen Sauerlande, nahe bei Lüdenscheid), 1699 ordinirt und 25 Jahre lang, bis 1724, in seinem Amte wirkend. Im Kirchenbuche wird gesagt, daß er ein sehr tüchtiger, fleißiger, ehrsamer, von Allen geliebter Pastor war und an seiner Beerdigung die ganze Gemeinde theilnahm. Er war verheirathet mit Margarethe Katharine Sybel, einer alten Predigerfamilie in Soest angehörend, mit welcher die Familie Brockhaus noch mehrfach in Verwandtschaftsverhältnisse trat.

Aus früherer Zeit ist über die Familie nichts Sicheres zu erfahren, da die ältern Kirchenbücher von Altena nicht mehr vorhanden sind. Wir wissen deshalb auch nicht, ob die Familie schon länger in Altena lebte oder von anderswoher dahin gekommen war. In Altena wird zwar noch ein Vorfahr, Eberhardt Brockhaus aus Unna, seit 1665 als Vicar (zweiter Prediger) genannt[1 - In Heppe's Werke: »Zur Geschichte der evangelischen Kirche Rheinlands und Westfalens« (2 Bände, Iserlohn 1867-70), II, 32.]; aber auch über ihn und seine Verwandtschaft mit dem Pastor Adolf Heinrich ist nichts bekannt. Nach Familientraditionen sollen die Vorfahren schon seit den Anfängen der Reformation lutherische Prediger in Westfalen gewesen sein.

Mit dem bekannten holländischen Philologen und Dichter Brockhusius (eigentlich Jan van Broekhuizen, gewöhnlich Janus Broukhusius genannt), geb. 20. November 1649 zu Amsterdam, gest. 15. December 1707, scheint die westfälische Familie Brockhaus in keinem Zusammenhang zu stehen. Die vielfach verbreitete Annahme, daß dies der Fall sei, beruht außer auf der Aehnlichkeit beider Namen wahrscheinlich nur darauf, daß Friedrich Arnold Brockhaus eine Zeit lang in Amsterdam gelebt hat.

Mit dem Geschlechte der Erp oder Erpp von Brockhauß (auch Brockhuß und Brockhausen geschrieben) läßt sich ebensowenig eine Verwandtschaft nachweisen, obwol sie wahrscheinlich ist, da diese Familie gleichfalls aus Westfalen zu stammen scheint. Der Bekannteste aus derselben ist Simon Anton Erp von Brockhauß oder Brockhausen, geb. 14. Mai 1611 zu Lemgo, 1647 Professor der Rechte am Gymnasium zu Bremen, 1650 Rathsherr, 1665 Gesandter auf dem Reichstage zu Regensburg, später Bürgermeister von Bremen, gest. 18. November 1682.[2 - Vgl. Rotermund's »Lexikon aller Gelehrten, die seit der Reformation in Bremen gelebt haben, nebst Nachrichten von gebohrenen Bremern, die in andern Ländern Ehrenstellen bekleideten« (Theil 1, Bremen 1818).] Auf dem Titel seiner 1640 in Helmstedt gedruckten Doctordissertation: »De litis contestatione«, ist er ausdrücklich als Westfale bezeichnet. Nach mehrern auf der Bibliothek zu Bremen aufbewahrten Fliegenden Blättern hieß sein Vater Johann Erp von Brockhauß und war »Utriusque juris Doctor, der fürstlichen Aebtissin zu Hervord, Gräflich Bentheim-Tecklenburg'scher und Lippe'scher Geheimrath und Hofgerichtsassessor«, sein Großvater Tilemann Erp von Brockhauß war »Hochgräflich Hoy'scher und Lippe'scher Geheimrath und Drost zu Hoya, Ucht und Freudenberg«. Jahreszahlen sind bei Beiden nicht angegeben. Simon Anton hinterließ keine Söhne, nur zwei Töchter, sodaß mit ihm der Mannesstamm erlosch. Dagegen ist auf einer juristischen Dissertation aus Helmstedt: »De nuptiis«, 1654 gedruckt, als Verfasser Anton Christian Erp Brockhuß genannt, mit dem Zusatz Old. (aus Oldenburg), jedenfalls der Abkömmling eines andern oldenburger Zweigs der Familie.

In keiner verwandtschaftlichen Beziehung zu der westfälischen Familie Brockhaus scheint das pommersche Geschlecht Brockhausen zu stehen, das in alten Urkunden Brockhuß, später aber auch Bruckhausen und Brockhusen geschrieben wird. Der erste 1511 urkundlich Genannte dieses Geschlechts ist Jürgen Brockhuß zu Groß-Justin im Kreise Cammin. Ein Nachkomme desselben war der preußische Staatsminister Karl Friedrich Christian Georg von Brockhausen (gest. 1829).

Ein Sohn des zuersterwähnten Pastors zu St. — Thomä in Soest, ebenfalls mit Namen Adolf Heinrich Brockhaus, wurde 1740 von einer andern Gemeinde der Stadt Soest, der zu St. — Walpurgis, zum Pastor gewählt. Seine Tochter Josina verheirathete sich mit einem Pastor Sybel in Soest; ihr Enkel ist der Geschichtschreiber Heinrich von Sybel in Bonn.

Ein anderer, wahrscheinlich älterer Sohn des Pastors zu St. — Thomä, Johann Diederich Melchior Brockhaus, geb. 1. Februar 1706, wurde mit 23 Jahren, am 1. December 1728, zum Pastor in Meyerich bei Kirch-Welver erwählt (beide Orte liegen zwischen Soest und Hamm, das Dorf Meyerich westlich, die Kirche zu Welver östlich, von schönem Eichenwald umgeben; in Meyerich befindet sich das Pfarrhaus, während die Kirche der Gemeinde in Welver steht). Er starb 70 Jahre alt, am 16. November 1775, nachdem er sein Amt 47 Jahre lang bekleidet hatte.

Johann Diederich Melchior Brockhaus hat in dem Kirchenbuche von Welver außer den kirchlichen Notizen hier und da besondere Ereignisse aus seiner amtlichen Thätigkeit verzeichnet, die ihn selbst trefflich charakterisiren und zugleich als interessante Beiträge zur Zeit- und Sittengeschichte aufbewahrt zu werden verdienen.

Die erste und ausführlichste Mittheilung, durch die Ueberschrift »In memoriam successorum« als ein Fingerzeig für seine Amtsnachfolger bezeichnet, betrifft einen Conflict des eifrig protestantisch gesinnten Pastors mit einem katholischen Kloster. Dieses, ein Nonnenkloster, befand sich ganz in der Nähe der Kirche zu Welver, und seine Nachbarschaft scheint dem würdigen Pastor Melchior viel Sorge und Kampf bereitet zu haben.

Ueber die kirchlichen Verhältnisse daselbst sagt ein competenter Geschichtschreiber[3 - Heppe in seinem bereits genannten Werke, II, 462.]:



Die Reformation ward in Welver definitiv im Jahre 1565 eingeführt. Freilich werden schon vorher evangelische Prediger genannt; allein die Gemeinde war erst seit dem genannten Jahre dem evangelischen Bekenntniß entschieden zugethan. Nur das in Welver befindliche freiadeliche Cistercienserinnenkloster, welches über die Pfarrei das Collationsrecht hatte, blieb katholisch. Der evangelischen Gemeinde erwuchsen hieraus oft die schwersten Bedrängnisse. Namentlich hatte dieselbe zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs zu leiden, indem ihr durch Militärgewalt die Kirche entzogen und in derselben der katholische Gottesdienst restaurirt wurde. Doch bald nach dem Friedensschluß wurde am 19. December 1649 auf Befehl des Kurfürsten Friedrich Wilhelm durch den Drosten von Neuhoff zu Altena und den Richter Dr. Zahn zu Unna unter Hinzuziehung des Magistrats von Soest den Evangelischen die Pfarrkirche wieder überwiesen.

Späterhin machte das Kloster wiederholt den Versuch, durch seinen Beichtiger in der Gemeinde Parochialhandlungen verrichten zu lassen. Ein hierdurch veranlaßter heftiger Rechtsstreit wurde endlich durch ein Decret vom 1. September 1709 dahin entschieden, daß dem Kloster nur das Recht, innerhalb seiner Ringmauern (aber nicht außerhalb derselben) Ministerialhandlungen verrichten zu lassen, zuerkannt wurde.


Aus Anlaß dieser Verhältnisse entstanden natürlich häufige Reibungen zwischen dem evangelischen Pastor und der Aebtissin des katholischen Klosters. Die erwähnte eigenhändige Mittheilung des Pastors Melchior lautet:



Nachdem der zeitige evangelisch-lutherische Prediger zu Welver, Johann Diederich Melchior Brockhaus, vernommen, daß die Nonnen zu Welver bei ihrer abgöttischen Procession ihre Knechte pflegten zu gebrauchen, daß sie den sogenannten Himmel (worunter das abominabile[4 - Wol absichtlich für adorabile aus Erbitterung gegen das katholische Unwesen.] getragen wird) und die Fahnen (die vorhergetragen werden) müssen tragen, und anno 1732 vier lutherische Knechte aus hiesiger Gemeinde im Kloster wohnen, so habe ich als ihr Seelsorger dieselben Knechte zu vier verschiedenen Malen gewarnt, sich dieser Abgötterung nicht theilhaftig zu machen, auch bedroht, daß ich sie im Contraventionsfalle ohne vorhergehende Kirchenbuße nicht zum heiligen Nachtmahl administriren würde, nämlich 1) privatim, 2) im Beichtstuhl, 3) ordentlich auf der Kanzel Dom. VI. p. pascha und 4) am heiligen Pfingsttage nach der Nachmittagspredigt auf der Kanzel. Demungeachtet aber hat die damalige unruhige abdissin Biscopime zwei von diesen Knechten durch 4 Butten Bier dazu persuadirt oder gezwungen (wie so hernach coram protocollo ecclesiastico gestanden), daß Einer die Fahne, die Anderen den blauen Himmel tragen sollten und sind vor der monstrance in die Knie gefallen. Wie ich nun am folgenden Sonntage die Bosheit dieser Knechte öffentlich bestrafte und sie 2 mal ins Kirchengebet geschlossen, schickte die verwegene abdissin 3 Kerls zu mir ins Haus und ließ mich fragen, warum ich gegen ihre Knechte so scharf gepredigt. Darauf ich aber die Antwort gab, sie sollten den Nonnen wiedersagen, sie haben sich um mein Amt gar nicht zu kümmern und wäre ich allein verbunden Gott und unserm Könige Rechenschaft davon zu geben. Darauf fragte ich die 3 Kerls, wie sie daran kämen, daß sie mich in meinem Hause zur Rede stellten, nahm den Besen und jagte sie zum Hause heraus.

Wie nun nach einiger Zeit die Knechte zum heiligen Abendmahl gingen, mußten sie sich erst ordentlich durch die Kirchenbuße mit der Gemeinde aussöhnen.

Darauf wurde nun diese Sache in Cleve anhängig gemacht, da denn sowohl an den Großrichter, als an den Magistrath ein rescript kam, die Sache genau zu untersuchen und die interessirten persohnen eidlich abzuhören, damit die abdissine sich nicht zu beschweren habe.

Wie nun kurz darauf diese unruhige abdissine wegging und ich bei Installation der neuen abdissine ins Kloster zu Meßen genöthigt wurde, begehrte der Praelate von Campen nebst den Nonnen von mir, daß ich mich doch bemühen möchte, die Sache gütlich abzuthun. Die vorige abdissine sei eine unruhige Persona gewesen, sie wollten dergleichen nicht wieder anfangen. Darauf antwortete ich ihnen, wenn sie mir die Kosten wollten wiedergeben, die an diesen process gelegt, und daß sie es nicht wiederthun wollten, könnte die Sache liegenbleiben. Kurz darauf haben sie mir 10 Reichsthaler rechtlich ausbezahlt.


Nach einer Küsterwahl, die nicht nach seinem Willen erfolgte, schreibt Pastor Melchior ins Kirchenbuch:



Wenn nun dieser junge Mensch seinem Amte keine Genüge thun sollte und sonderlich die Jungens in der information versäumen, so fordere ich, daß die Verwahrlos'ten von meinen Händen nicht gefordert werden. Dem allwissenden Gott, wie auch meiner ganzen Gemeinde ist bekannt, daß ich auf ein tüchtiges subjectum sehe, nämlich auf den Schulmeister in Catrop. Ich habe aber der Gewalt weichen müssen. Was nun verwahrlos't und versäumt wird, das kommt auf die Menschen, welche diesem jungen Menschen dazu behülflich gewesen.


Bei einer andern Küsterwahl trägt der Pastor mit Stolz ins Kirchenbuch ein, daß er das katholische Kloster durch ein drastisches Mittel, wie er sie überhaupt geliebt zu haben scheint, verhinderte, an derselben theilzunehmen:



Das Kloster schickte (wie das wohl geschehen sollte) den Vogt in die evangelische Kirche, daß er im Namen des Klosters votiren sollte. Ich fragte ihn, was er wollte? Nichts. Darauf nahm ich den Chorstock[5 - Der Stock, an dem der Klingelbeutel befestigt ist.] und trieb ihn vor mir her zum großen Gelächter der ganzen Gemeinde aus der Kirche und ließ die Kirche zuschließen.

Ist also dieser Küster ohne consens und collation des Klosters erwählt, es ist auch bei der Wahl Niemand vom Rathhause zugegen gewesen; auch über 1½ Jahr von mir allein in Gegenwart des Lehnherrn auf dem Chor eingeführt und ist kein Vogt dabei gewesen.


Endlich hat der Pastor Melchior auch einen geheimnißvollen Vorfall verzeichnet, ohne hinzuzufügen, was er selbst davon halte:



1757, den 7. October, hat sich des Abends um 7 Uhr Folgendes in unserer Kirche zugetragen.

Wie die Fräuleins des Klosters Welver um bemerkte Zeit in ihre Kirche gehen wollten, sehen sie, daß es in unserer Kirche helle ist.

Wie sie nun vermuthen, es möchten Diebe in der Kirche sein, müssen nicht nur alle Bediente des Klosters, sondern auch die Leute, so zu Welver am Kirchhofe wohnen, unsere Kirche besetzen. Die auch sämmtlich das Licht in unsrer Kirche gesehen.

Wie nun der Küster gezwungen wird, die Kirche zu öffnen, ist das Licht auf einmal verschwunden. Die Leute sind durch die ganze Kirche gegangen, ob etwas darin wäre, haben aber nichts verspürt. Ob nun dieses eine Vorgeschichte ist, ob und wann es soll erfüllt werden, wird die Zeit lehren; Gott wende Alles zum Besten.


Einige nähere Lebensumstände dieses Mannes, des Großvaters von Friedrich Arnold Brockhaus und jedenfalls des hervorragendsten unter dessen Vorfahren, sind durch ein altes Buch erhalten, in das er außer seinen Ausgaben (aus deren Verzeichnung hervorgeht, daß er auch ein tüchtiger Oekonom und guter Haushalter war) dann und wann Nachrichten über seine Erlebnisse einschrieb.[6 - Dieses Buch befindet sich im Besitze des Buchhändlers Friedrich Volckmar in Leipzig, dessen Mutter, Johanna Justina, die jüngste Tochter des Pastors Melchior war; sie hat später ebenfalls mehrere interessante biographische Notizen eingetragen.]

Pastor Melchior verzeichnet darin zunächst den Tag seiner Geburt und Taufe und macht bei Nennung eines seiner Pathen, einer adelichen Dame, die Bemerkung: »welche aber nach der Zeit zum pabtum abgefallen und ihren eigenen Taufbund gebrochen«. Dann fährt er fort:



Gott gebe, daß mein nahme im Himmel unter der Zahl der außerwehlten auch möge angeschrieben stehen. Habe Dank, Du frommer Gott, daß Du mich wunderbarlich im mutterleibe gebildet, mit einer vernünftigen Seele und gesunden Gliedmaßen von frommen Eltern hast lassen gebohren werden und sonderlich in der heiligen Taufe einen ewigen Bund mit mir gemacht. Gib gnade, mein Gott, daß ich in diesem Bunde leben, leyden und sterben möge.


Darauf erwähnt er seiner Studienzeit. Er ging im Februar 1724 (also 18 Jahre alt) nach Halle, aber schon am 6. Juli dieses Jahres nach Jena: »weil mir die collegia theologica in Halle nicht anstehen wollten«; von da reiste er am 2. August 1726 nach Leipzig und kam am 20. August 1727 über Frankfurt a. M., Köln und Altena (wo er einmal predigte, wahrscheinlich weil diese Stadt der Geburtsort seines inzwischen als Pastor in Soest verstorbenen Vaters war und dort noch Verwandte von ihm lebten) nach Hause zurück. Er machte sein Examen und predigte mehrmals, bezog indeß im Sommer 1728 nochmals die Universität Halle »wegen des königlichen Befehls, daß niemand sollte befördert werden, der nicht zuletzt in Halle studirt«. Am 28. August 1728 wieder in Soest angelangt, wurde er am 1. December zum Prediger nach Meyerich berufen, am 8. examinirt, am 9. ordinirt und am 12. December installirt.

Ueber seine Studienzeit schreibt er folgende Selbstanklage nieder, die indeß gleich der folgenden wol nicht ganz wörtlich zu nehmen ist:



Wie ich nun mein Universitätsleben zugebracht, ist dem allwissenden Gott am besten bekannt. Viel gutes habe ich daselbst gelernt, aber auch durch Müßiggang, Verschwendung und auf andere Gott allein bewußte Weise mich schwerlich versündiget.


Ach Gott, wenn mir das kömmet ein,
Was ich mein Tage u. s. w.

Dann fährt er fort, nach Erwähnung seiner Anstellung:



Ob es mir nun gleich an genugsamer geschicklichkeit fehlet, ich auch leyder sonderlich im Anfang meines ambtes Vieles versehen und also Blutschulden auf meine arme Seele geladen (!), so verspreche ich doch inskünftige zu verbessern, was ich bißanhero versehen habe, und glaube festiglich, daß mein getreuer Erlöser Jesus Christus mit seinem theuern Blut meine Blutschulden tilgen werde.


Die übrigen Notizen des Tagebuchs beziehen sich meist auf Ereignisse in seiner Familie. Er war dreimal verheirathet und hatte funfzehn Kinder (sechs Söhne und neun Töchter), von denen neun noch vor ihm starben, meist in sehr zartem Alter. Seine erste Frau starb im ersten Wochenbett und zwar, wie er bemerkt: »an eben dem Tage und in eben der Stunde, darinnen wir vorm Jahre waren copuliret; so war sie auch an eben demselben Tage vor 25 Jahren gebohren«; er fügt hinzu: »Gott gebe allen frommen Christen eine solche dreifach glückselige Stunde!« Mit seiner zweiten Frau, Maria Elisabeth, Tochter des Pastors Hennecke in Soest, war er fast zwanzig Jahre verheirathet und sie wurde die Mutter von zehn Kindern, darunter die beiden Söhne, die seinen Namen fortpflanzten. Zum dritten male verheirathete er sich in seinem funfzigsten Jahre mit Klara Dorothea Quante und lebte mit ihr ebenfalls fast zwanzig Jahre, bis an seinen Tod (1775), während seine Witwe, die ihm vier Kinder geboren hatte, erst 1808, 83 Jahre alt, starb.

Noch einige Aeußerungen des Pastors Melchior in seinem Tagebuche seien zu seiner Charakterisirung hier verzeichnet.

Beim Verlust eines dreijährigen Töchterchens schreibt er:



Mein halbes Herz ist mit ihr in die Erde gescharrt. Gott gebe, daß wir in kurzer Zeit im Himmel uns mögen wiedersehen.


Amen, Amen, komm du schöne
Freudenkrone, bleib nicht lange,
Deiner warte ich mit Verlangen.

Und bei einem ähnlichen Verluste:



Der Herr bescheere mir ein baldiges freudiges Wiedersehen dieses und meiner übrigen in der Herrlichkeit triumphirenden Kinder, nach seinem gnädigen Willen. Dulce meum terra tegit. Ich habe hier wenig guter Tag u. s. w.


Kaum 30 Jahre alt, wurde er von heftigen Leiden am Fuße heimgesucht; diese verloren sich nach einigen Jahren und er erreichte dann das Alter von 70 Jahren. Während seiner Leiden schreibt er einmal:



Doch ich will schweigen und meinen Mund nicht aufthun, der Herr wirds wohl machen! Ich werde doch gewiß endlich, wo nicht in dieser Zeit doch gewiß in der ewigkeit zu Gottes größe sagen: der Herr hat alles wohl gemacht!


Und nach seiner Genesung schreibt er:



Gelobet sei der Herr täglich, Er leget uns eine Last auf, aber er hilft uns auch.


Der unmittelbare Amtsnachfolger dieses ersten Pastors in Meyerich war sein zweiter Sohn Ludolph Wolrath (oder Wohlrath) Arnold Brockhaus, geb. am 6. September 1744, eine Zeit lang Lehrer am Gymnasium zu Soest, zum Pastor in Meyerich erwählt am 26. December 1775, also kaum sechs Wochen nach dem Tode seines Vaters. Er trat sein Amt 1776 am Sonntage Sexagesimä (11. Februar) an und bekleidete es 46 Jahre lang, bis 1822, wo er es, 78 Jahre alt, wegen Altersschwäche niederlegte; er starb am 6. Februar 1823.

Diese beiden Pastoren, Vater und Sohn, haben also zusammen fast ein volles Jahrhundert (93 Jahre lang) derselben Gemeinde vorgestanden. Sie sind auch Beide in der kleinen Kirche zu Welver beerdigt, wo ihre Grabstätten durch Leichensteine bezeichnet sind. Zu ihrem Gedächtniß hat Heinrich Brockhaus (der zweite Sohn von Friedrich Arnold) im Jahre 1869 der Kirche zu Welver ein von Professor Andreae in Dresden gemaltes Altarbild geschenkt.

Der zweite Pastor zu Meyerich, Ludolph Wolrath Arnold Brockhaus, hatte zwei Söhne, die sich beide gleichfalls dem geistlichen Berufe widmeten und zwar nicht in Meyerich, aber in andern westfälischen Gemeinden angestellt wurden: Ludolph Brockhaus, geb. am 28. September 1778, Pastor in Lüdenscheid, und Theodor Brockhaus, geb. am 18. Mai 1780, Pastor in Kierspe; Söhne und Enkel von ihnen wirken noch jetzt als Pastoren in westfälischen Gemeinden.

Ein zweiter Sohn des ersten Pastors zu Meyerich, der ältere Bruder des zweiten Pastors (die übrigen vier Söhne waren noch als Kinder gestorben) wurde der Stammvater des nicht-theologischen, kaufmännischen und buchhändlerischen Zweigs der Familie Brockhaus. Es war dies der Vater von Friedrich Arnold Brockhaus, Johann Adolf Heinrich (oder Henrich) Brockhaus, geb. zu Meyerich am 21. Mai 1739. Derselbe erlernte die Handlung in Hamm und zog dann nach der damals Freien Reichsstadt Dortmund, wo er 1767 Katharina Elisabeth Davidis (geb. am 22. März 1736), Witwe des Dr. med. Kirchhoff, heirathete und ein Materialwaarengeschäft begründete. Er war Mitglied des Raths und überhaupt in seiner Vaterstadt angesehen, wo er am 26. März 1811 starb.

Johann Adolf Heinrich Brockhaus hatte zwei Söhne, die er für seinen Beruf, den kaufmännischen, bestimmte.

Der ältere, Gottlieb Brockhaus, geb. am 4. September 1768, übernahm das väterliche Geschäft und blieb bis an sein Lebensende (30. Mai 1828) in Dortmund.

Der jüngere Sohn war Friedrich Arnold Brockhaus, dessen Leben und Wirken die nachfolgenden Blätter gewidmet sind.




2.

Jugendzeit und erstes Mannesalter


Friedrich Arnold Brockhaus wurde zu Dortmund am 4. Mai 1772 geboren. Nach dem Kirchenbuche der evangelischen Sanct-Reinoldi-Kirche daselbst (bei welcher sein Vater das Amt eines Diakonen bekleidete) erhielt er in der am 8. Mai im Hause des Predigers Mellmann vollzogenen Taufe die Namen David Arnold Friederich, doch scheint er den erstern Vornamen nie geführt zu haben und die beiden andern gebrauchte er in umgekehrter Reihenfolge; sein Rufname war Arnold. Taufzeugen waren: David Friedrich Davidis, Subdelegatus und Pastor zu Wennigern (wahrscheinlich der Bruder seiner Mutter), Ludolph Wolrath Arnold Brockhaus, Lector an dem Gymnasium zu Soest (der spätere Pastor zu Meyerich, ein jüngerer Bruder seines Vaters) und Jungfrau Maria Elisabeth Davidis (vermuthlich eine Schwester seiner Mutter).

Seine Jugendzeit verlebte er in Dortmund. Für den Kaufmannsstand, zu dem ihn sein Vater bestimmt hatte, zeigte er anfangs keine besondere Neigung, dagegen von frühester Jugend an das lebhafteste Interesse für die Literatur. Sein Vater suchte diese Neigung auf alle Art zu unterdrücken und stellte ihn deshalb, während er ihn das dortige Gymnasium besuchen ließ, in den Freistunden in seinem Verkaufsladen mit an. Mit 16 Jahren, 1788, gab er ihn nach Düsseldorf in die Lehre zu einem Kaufmanne Namens Friedrich Hoffmann, bei dem er die »Handlung« erlernen sollte. Dieser Aufenthalt dauerte fünf bis sechs Jahre und wurde von dem jungen Manne gut benutzt, sodaß ihn sein Principal trotz seiner Jugend bald zu größern Handlungsreisen verwendete und ihm nach und nach die wichtigsten Arbeiten übertrug. Derselbe scheint selbst die Absicht gehabt zu haben, ihn zu seinem Compagnon zu machen, und mit seiner Nichte, Maria Siebel, zu verheirathen; doch kam es zu einem Zerwürfniß zwischen Principal und Gehülfen, und Brockhaus verließ infolge dessen seine Stellung in Düsseldorf.

Mit 21 Jahren, 1793, ins älterliche Haus nach Dortmund zurückgekehrt, wo inzwischen (am 15. August 1789) seine von ihm stets hochverehrte Mutter gestorben war, wurde er vom Vater wieder in dessen Materialwaarenhandlung beschäftigt, fand aber an dem Verkehr mit den nach der Stadt kommenden Bauern, dem Abwiegen von Kaffee und Zucker begreiflicherweise jetzt noch weniger Gefallen als früher. Er hatte auf seinen Geschäftsreisen weitere Gesichtspunkte erhalten, die ihm die kleinbürgerlichen Verhältnisse seiner Vaterstadt und das Detailgeschäft seines Vaters verleideten; er fühlte, daß ihm für seinen künftigen Beruf als Kaufmann — denn mit diesem schien er sich jetzt doch ausgesöhnt zu haben — noch Vieles fehle, was er in Dortmund nicht erlernen könne, und bat deshalb den Vater, ihn in die Fremde ziehen zu lassen. Und welchen Ort wählte er aus? Keinen andern als den Schauplatz seiner spätern Hauptwirksamkeit als Buchhändler: Leipzig. Freilich dachte er dabei wol nicht an den Mittelpunkt des deutschen Buchhandels, sondern an die Handelsstadt, an die berühmten leipziger Messen, die auch von den dortmunder Kaufleuten regelmäßig besucht wurden. Aber gewiß hatte Leipzig als Buchhändlerstadt für ihn noch einen besondern Zauber, und daß dort zugleich eine Universität war, fiel auch mit in die Wagschale. Ja nach seinen eigenen Aeußerungen scheint es, daß er geradezu die Absicht hatte, auf der dortigen Universität zu studiren. Der Vater gab den Bitten des Sohnes nach. Vielleicht hatte er auch noch einen besondern Grund, den Sohn für einige Zeit aus Dortmund zu entfernen: ein Liebesverhältniß des Sohnes, das fast ein tragisches Ende genommen hätte.

Als der einundzwanzigjährige Jüngling aus der düsseldorfer Lehre zurückkehrte, traf er im älterlichen Hause eine Cousine aus dem benachbarten Soest, die Tochter der an einen dortigen Kaufmann verheiratheten Schwester seines Vaters, von dem Onkel zum längern Besuch eingeladen. Die beiden jungen Leute fanden aneinander Gefallen und besonders schien der junge Mann, der unter seinen Altersgenossen durch lebhaften Geist, höhere Bildung und Interesse an Kunst und Literatur hervorragte und viel von Düsseldorf und seinen Reisen zu erzählen wußte, einen tiefen Eindruck auf das Gemüth des in den einfachsten Verhältnissen aufgewachsenen Mädchens zu machen. Nach ihren eigenen Erzählungen in spätern Lebensjahren sprudelte er damals von Frohsinn und Lebensmuth über und hatte stets ein französisches Chanson auf der Zunge. Sein Vater war natürlich der Ansicht, daß der Sohn noch nicht ans Heirathen denken dürfe, und schritt energisch ein. Das Mädchen nahm sich die Sache sehr zu Herzen: sie stürzte sich aus Verzweiflung in den offenen Brunnen auf dem dortmunder Markte! Glücklich gerettet und zu ihren Aeltern nach Soest gebracht, zog sie sich bald tiefsinnig in ein dortiges Frauenstift zurück; später, nach Auflösung der Klöster und Stifter unter Napoleon's Herrschaft, trat sie indeß ins bürgerliche Leben zurück und heirathete 1809 (also erst in reiferm Alter, 16 Jahre nach dem Liebesverhältniß mit dem jungen Vetter) einen Kaufmann in Soest, wo sie 1843 starb. In ihrem Alter weilte sie immer gern bei der Erinnerung an jene Zeit und erkundigte sich mit Interesse nach allen Verhältnissen ihres verstorbenen Vetters. Wie auf diesen die vom Vater getroffene Entscheidung, die Verzweiflungsthat des Mädchens und ihr Schicksal eingewirkt, ist uns nicht bekannt. In spätern Jahren erkundigte auch er sich oft nach seiner Cousine, ohne sie indeß je wiederzusehen.

Im Sommer 1793 ging Brockhaus nach Leipzig und blieb dort fast anderthalb Jahre, bis Ende 1794. Mit regem Eifer widmete er sich seiner weitern Ausbildung: der Vervollkommnung in den neuern Sprachen sowie dem Studium der allgemeinen Wissenschaften, obwol er unsers Wissens weder in einem kaufmännischen Geschäft angestellt war, noch sich unter die Studirenden aufnehmen lassen konnte. Von Professoren der Universität, deren Vorlesungen er gehört, nennt er den Philosophen Ernst Platner, den Mathematiker und Physiker Hindenburg und den Chemiker Eschenbach. Auch an dem literarischen und buchhändlerischen Leben Leipzigs nahm er das lebhafteste Interesse. Sehr oft besuchte er unter anderm die Köhler'sche Buchhandlung, mit deren Besitzer er durch die mit diesem nahe befreundete dortmunder Familie Varnhagen in Berührung gekommen war, fleißig die neu erschienenen Bücher durchmusternd.

Nur ein einziger Brief von ihm ist aus dieser Zeit erhalten, der aber ein um so merkwürdigeres Actenstück bildet. Es ist dies ein förmlicher Verlagsantrag des noch nicht ganz 22 Jahre zählenden jungen Kaufmanns und Studenten an eine angesehene leipziger Verlagshandlung. Und daß dieser Verlagsantrag kein bloßes Project war, auch keine Gedichtsammlung oder kein Drama, wie sie mancher junge Mann dem Buchhändler als Erstlingswerk anbietet, sondern ein größeres ernstes Werk betraf, geht daraus hervor, daß er dem Briefe einen vollständigen »Plan« des auf 20 Druckbogen berechneten Buchs in Form eines »Prospectus« und sogar einen Theil des fertigen Manuscripts hinzufügt!

Der Brief lautet wörtlich folgendermaßen:


An die Herren Voß und Comp



Meine Herren!

Aus dem auf der andern Seite folgenden Prospectus werden Sie den Plan und aus den beifolgenden acht Bogen Manuscript die Behandlung eines Buchs sehen, das ich diese Ostermesse — etwa 20 Bogen in 8. stark — herausgeben möchte.

Ich biete es Ihnen zum Verlag an; muß Sie aber ersuchen, mir bis morgen Ihre Entscheidung darüber zukommen zu lassen; — sollten Sie mündlich mit mir darüber sprechen wollen, so wird mir Ihr Besuch morgen früh in der Zeit von 10-12 Uhr sehr angenehm sein.

Den 3. März 1794.

    Ihr ergebener Diener
    F. A. Brockhaus.
    Wohnt in Nr. 75 im Hay'schen
    Hause auf der Petersstraße bei dem
    Friseur Dieterich.

Die hier erwähnte »andere Seite« dieses Briefs mit dem »Plan« des Werks findet sich leider in dem Archiv der noch jetzt bestehenden Buchhandlung (die den Brief erst vor einigen Jahren auffand und der Firma F. A. Brockhaus freundlich überließ) ebenso wenig, als die acht Bogen des vermuthlich »Manuscript« gebliebenen Manuscripts vorhanden sind; wir würden daraus wenigstens ersehen haben, auf welche Gegenstände die Studien des jungen Autors in Leipzig vorzugsweise gerichtet waren. Vermuthlich ist ihm von Herrn Voß Beides zurückgegeben worden, und wahrscheinlich im Comptoir der Buchhandlung, nicht in seiner Wohnung, wohin er naiverweise seinen künftigen Verleger bestellt hatte. Ueberhaupt ist der Ton des Briefs, die Sicherheit des Auftretens, das Verlangen einer Entscheidung »bis morgen«, die kurze geschäftsmäßige Form charakteristisch für den Briefschreiber. Derselbe mochte damals nicht ahnen (wie es in der Festrede von Heinrich Brockhaus beim funfzigjährigen Jubiläum der Firma F. A. Brockhaus heißt), »daß er selbst und eine von ihm gegründete Buchhandlung im Laufe der Zeiten selbst so viele Verlagsanträge anzunehmen und — abzulehnen haben würde.«

In Leipzig knüpfte er mit dem Vertreter eines Hauses in Manchester an und wurde von diesem gegen Ende 1794 engagirt, einer in Livorno zu errichtenden Filiale jenes Hauses vorzustehen. In Amsterdam sollte er mit dem Engländer zusammentreffen und zuvor wollte er nur seinen Vater in Dortmund begrüßen. Da brach der Krieg zwischen Frankreich und Italien aus und das englische Haus vertagte seinen Plan auf günstigere Zeiten. Ein Anerbieten desselben, inzwischen eine Stelle auf dem Comptoir in Manchester anzunehmen, lehnte er ab und beschloß, vorläufig in Dortmund zu bleiben. Er etablirte sich auch bald darauf selbständig als Kaufmann, zuerst in Dortmund, dann in Arnheim und endlich in Amsterdam. Diese kaufmännische Wirksamkeit umfaßt die Jahre 1796-1805, also sein dreiundzwanzigstes bis dreiunddreißigstes Lebensjahr.

Brockhaus errichtete in Dortmund ein En-gros-Geschäft in englischen Manufacturen, besonders groben Wollenstoffen, und verband sich dazu mit einem Freunde, Wilhelm Mallinckrodt; Beide nahmen bald darauf noch einen dritten jungen Dortmunder, Gottfried Wilhelm Hiltrop, zum Associé an, und so wurde zwischen ihnen am 15. September 1796 ein Societätsvertrag abgeschlossen. Ihr Geschäft unter der Firma: »Brockhaus, Mallinckrodt und Hiltrop«, nahm bald den erfreulichsten Aufschwung; Brockhaus leitete das Comptoirgeschäft, Mallinckrodt machte die Reisen und hatte das Waarenlager unter sich, während Hiltrop von Anfang an nur eine untergeordnete Rolle spielte. Bald beschlossen denn auch die beiden Freunde, sich von Hiltrop, den sie wesentlich seines bedeutenden Vermögens halber zum Associé genommen hatten, wieder zu trennen, zumal er ihnen seines unverträglichen Charakters wegen lästig geworden war. Sie kündigten ihm im Jahre 1798, zahlten ihm seinen Antheil heraus und zeichneten ihre Firma nunmehr, vom 1. Januar 1799 an: »Brockhaus und Mallinckrodt«; Hiltrop gründete ein eigenes Geschäft gleicher Art in Dortmund. Bald darauf errichteten sie ein zweites Haus in Arnheim unter der Firma: »Mallinckrodt und Compagnie«, und Mallinckrodt zog zu dessen Leitung im Jahre 1801 nach Arnheim, während Brockhaus in Dortmund verblieb. Das Haus in Arnheim war besonders deshalb gegründet worden, weil der Hauptabsatz des dortmunder Geschäfts nach Holland stattfand. Ihr Geschäft nahm einen immer größern Umfang an und die beiden jungen Kaufleute erwarben in wenig Jahren ein bedeutendes Vermögen.

In diese Zeit fällt Beider Verheirathung. Brockhaus vermählte sich am 30. September 1798 mit der Tochter eines der angesehensten dortmunder Patricier, des Senators und Professors Johann Friedrich Beurhaus: Sophie Wilhelmine Arnoldine, geb. 24. December 1777; Mallinckrodt mit einer Freundin derselben. Brockhaus nannte später die ersten drei Jahre seiner Ehe (1798-1800) die glücklichsten seines Lebens. Am 17. Juli 1799 wurde ihm sein erstes Kind geboren: eine Tochter, Auguste; am 23. September 1800 sein erster Sohn: Friedrich.

Dieses Glück sollte aber nicht lange dauern und die Veranlassung dazu bildete der frühere Associé Beider, Hiltrop, obwol derselbe, als ein Verwandter der Familie Beurhaus, mit Brockhaus verwandt geworden war und später sogar sein Schwager wurde, indem er Elisabeth Beurhaus, eine Schwester von Brockhaus' Frau, heirathete. Aus einer geschäftlichen Angelegenheit entwickelten sich bald Verhältnisse der unangenehmsten Art, die zunächst auf Brockhaus' äußeres Leben entscheidenden Einfluß übten. Sie wurden die Ursache, daß er Dortmund verließ und nach Holland zog, ja selbst, daß er sich dort später dem Buchhandel widmete, dem er sich bei seinem Verbleiben in Dortmund schwerlich zugewendet haben würde.

Brockhaus wurde nebst seinem Associé Mallinckrodt von Hiltrop in einen Proceß verwickelt, der unter den Fehden und Anfechtungen, an denen sein Leben reich war, eine der hervorragendsten Stellen einnimmt und ihn mit kürzern oder längern Unterbrechungen bis an sein Lebensende verfolgte. Da der Proceß in dieser Zeit seinen Ursprung hat und mit ihm die nächsten Lebensschicksale von Brockhaus verknüpft sind, so müssen wir denselben jetzt im Zusammenhange erzählen, wenn dadurch auch der Zeit mehrfach vorgegriffen wird.




3.

Der Hiltrop'sche Proceß


Die beste Grundlage zu einer Schilderung dieses Processes, dessen vollständige Darstellung in vieler Hinsicht interessant wäre, hier aber zu weit führen würde, bietet eine von Brockhaus kaum ein Jahr vor seinem Tode veranstaltete und als Manuscript gedruckte Sammlung der darauf bezüglichen wichtigsten Actenstücke, die sowol seine eigenen Eingaben als die ergangenen Urtel, Gutachten u. s. w. enthält und somit ein unparteiisches Urtheil ermöglicht.[7 - Diese (nicht in den Buchhandel gekommene) Schrift führt den Titel: »Sammlung von eilf Actenstücken über und aus der Proceß-Sache des Herrn G. W. Hiltrop in Dortmund gegen die ehemalige Firma Brockhaus und Mallinckrodt ebendaselbst, oder jetzt gegen den Buchhändler Brockhaus in Leipzig. Als Manuscript gedruckt. 1. July 1822« (4. VIII, 158 S.). Später ausgegebenen Exemplaren ist noch ein zwölftes Actenstück vom 22. September 1822 (4 S.) beigefügt; noch später ist ein dreizehntes, ohne diese Ziffer und ohne Datum, gedruckt worden (18 S.).]

Der Ursprung des Processes und sein erster Verlauf war in Kürze folgender.

Im October 1799 fallirte das Bankhaus Simon Moritz Bethmann in London, mit dem sowol Hiltrop als die Firma Brockhaus & Mallinckrodt in Geschäftsverbindung (Wechselgeschäften) standen. Hiltrop hatte an Bethmann vom April bis September 1799 circa 2800 Pfd. St. remittirt und dagegen Fabrikanten und Kaufleute im Innern von England angewiesen, für Waaren, die sie ihm lieferten, auf Bethmann zu ziehen. Mehrere solche Wechsel waren auch gezogen und bezahlt worden, Hiltrop's Guthaben an Bethmann betrug aber bei Ausbruch des Concurses noch 1806 Pfd. St. Die Firma Brockhaus & Mallinckrodt, welche ebenfalls in einem längern Geschäftsverkehr mit Bethmann gestanden hatte, schuldete dagegen diesem Hause eine Summe von 2204 Pfd. St., die sich aber auf 774 Pfd. St. reducirte, da Bethmann ihnen mehrere Wechsel im Betrage von zusammen 1429 Pfd. St. zurückgegeben oder sie von den daraus entstandenen Verbindlichkeiten gegen die Masse von W. L. Popert u. Comp. in Hamburg (die in der damaligen allgemeinen Handelskrisis ebenfalls fallirten) liberirt hatte. Brockhaus & Mallinckrodt gaben Hiltrop aus freien Stücken Kenntniß von diesem Stande ihrer Rechnung mit Bethmann, um ihm dadurch zur Rettung eines Theils seines Verlustes behülflich zu sein. Hiltrop benutzte dies aber, um sofort unterm 25. November 1799 auf die Forderung der Bethmann'schen Masse an Brockhaus & Mallinckrodt gerichtlich Arrest legen zu lassen. Der Magistrat zu Dortmund bestätigte diese Maßregel.

Brockhaus & Mallinckrodt appellirten hiergegen an die höhern Reichsgerichte, besonders aus Rücksicht auf Bethmann in London, da diesem z. B. nur sechs Wochen Zeit zu Einreden gegeben wurde, während in dem damaligen harten Winter von 1799 auf 1800 der Postenlauf zwischen Cuxhaven und Harwich mehrere Monate lang unterbrochen war. Außerdem waren sie inzwischen von der Firma Gebrüder Bethmann in Frankfurt a. M. (Verwandte des londoner Hauses) beauftragt worden, eine Forderung an Hiltrop im Betrage von 8000 Thlr. frankfurter Wechselgeld (10000 Thlr. Berg. Courant) einzukassiren, und diese Forderung war ihnen selbst zu diesem Zweck cedirt worden: gewiß ein Beweis großen Vertrauens zu der jungen Firma von seiten jenes großen Hauses. Infolge alles dessen entschloß sich Hiltrop, der trotz seines frühern großen Vermögens infolge seiner geschäftlichen Unfähigkeit rasch in finanzielle Verlegenheiten gerathen war und auch von andern Gläubigern hart bedrängt wurde, zu einem gütlichen Vergleich, der durch Vermittelung des gemeinschaftlichen Schwagers von Hiltrop und Brockhaus, Erbsaß (später Justizcommissar) Heinrich Beurhaus zu Dortmund, unterm 24. April 1800 abgeschlossen wurde. Danach sollte der Proceß von Gebrüder Bethmann in Frankfurt gegen Hiltrop bis zur Erledigung des Processes von Hiltrop gegen Bethmann in London sistirt werden, Hiltrop von Brockhaus ein »Darlehn« von 1200 Pfd. St., das er ebenfalls erst nach Austrag dieser Sache zurückerstatten sollte, empfangen, Letzterm dagegen (resp. Beurhaus) seine Forderung an Bethmann in London cediren und für den Rest seiner Schuld bei Gebrüder Bethmann in Frankfurt Waaren an Zahlungsstatt geben, auch sein Conto-Corrent mit Bethmann in London als richtig anerkennen.

Schon fünf Monate nach Abschluß dieses Vergleichs machte indeß Hiltrop den Versuch, denselben umzustoßen, und zwar wieder auf eine ihm von Brockhaus vertraulich gemachte Mittheilung hin: daß die Bethmann'schen Massecuratoren in London jenen Vergleich nicht genehmigen wollten. Er fand an dem gegen Brockhaus sehr feindselig gesinnten Bürgermeister Schäffer in Dortmund einen bereitwilligen Helfer, der bei dem traurigen Zustand der damaligen reichsstädtischen Verfassung eigenmächtig verfahren konnte; durch ihn erreichte er, daß sein wiederholtes Arrestgesuch vom 15. September 1800 genehmigt und das Waarenlager von Brockhaus & Mallinckrodt (das einen Werth von mindestens 100000 Thlr. hatte) mit Arrest belegt und versiegelt wurde. Da alle Remonstrationen gegen diese, wie Brockhaus sich ausdrückt, »fürchterlichen, im höchsten Grade ungerechten Maßregeln, die den bürgerlichen Ruin der Beklagten augenblicklich nach sich ziehen mußten«, erfolglos blieben, so wendeten sich letztere an die höchsten Reichsgerichte um Schutz gegen Unterdrückung und forderten Genugthuung sowie Schadenersatz. Da schien endlich Hiltrop sein Unrecht einzusehen; er bat um Verzeihung für sein »kränkendes und übereiltes Betragen« und versprach, in Zukunft nur in dem ordentlichen Wege Rechtens gegen die Beklagten vorzugehen.

Das Verdienst, dieses Resultat herbeigeführt zu haben, durch welches die Angelegenheit wenigstens ihren gehässigen Charakter verlor, gebührt Hiltrop's Frau, Elisabeth, einer Schwester von Brockhaus' Frau. Sie wandte sich direct an Brockhaus, den von ihrem Manne so vielfach und so empfindlich Gekränkten, und bat ihn, das Verfahren ihres Mannes zu entschuldigen: gewiß ebenso ein Zeichen ihres richtigen Gefühls als Frau, wie der wahren Achtung und des vollen Vertrauens, das sie zu ihrem Schwager als einem Ehrenmanne hatte.

Sie schreibt in diesem Briefe, dessen Datum uns nicht bekannt ist:



Brockhaus! Brockhaus! Ich fordere Sie auf, mich anzuhören. Sehen Sie, mein Herz ist voll trüben Gedenkens über eine Geschichte, welche nie hätte geschehen müssen, und ich weiß mich an Niemand sicherer zu wenden als an Sie selbst. Sie beurtheilen die Sache gewiß richtig, davon bin ich überzeugt, und ich weiß auch, daß Sie glauben: Uebereilung ist kein Verbrechen. Dieses hat sich Hiltrop zu Schulden kommen lassen ... Brockhaus, Brockhaus, ich ahndete nichts von Allem, was geschehen ist, und flehe ich zu Ihnen, mich und mein armes Kind nicht unglücklich zu machen, da dieses doch jetzt nur einzig von Ihnen abhängt. Verzeihen Sie Hiltrop, der sich hat bereden lassen und leider jetzt mit Schaden einsehen muß, wie wenig man Leuten trauen darf. Es thut ihm auch für mich leid und er glaubt es sich nicht vergeben zu können, mir solche Unruhe zu machen, und hat mir deswegen gesagt, ich könnte die Sache ganz nach meinem Wunsche einrichten. Theurer Brockhaus, mein Herz will keine Feindschaft gegen Sie und Sophie, die immer mehr meine Freundin als Schwester war. Jetzt, ich weiß es, sind Sie aufgebracht gegen Hiltrop und über sonstiges Verfahren und wollen die Sache nach Wetzlar berichten. Brockhaus, Gott! dieses können und werden Sie nicht wollen. Lassen Sie Vergebung über Ihren gerechten Zorn siegen! Denken Sie, daß es Uebereilung ist, welches mein armes Mädchen noch so schwer büßen sollte; geben Sie mir Ihre Hand darauf, so nicht zu verfahren, und im voraus danke ich Ihnen für Ihre Güte. Daß es Güte ist, bin ich fähig zu fühlen ...


Brockhaus erfüllte die Bitte seiner Schwägerin; er verzichtete auf Genugthuung und Schadenersatz, wogegen Hiltrop am 3. October 1801 auf Cassation aller Maßregeln gegen die Firma Brockhaus & Mallinckrodt beim dortmunder Magistrat antrug, während der Proceß selbst seinen Fortgang hatte.

Indessen war Brockhaus der Aufenthalt in Dortmund durch die widrigen Erlebnisse der beiden letzten Jahre so verleidet worden, daß er mit dem Gedanken umging, das dortmunder Geschäft ganz aufzulösen und zu Mallinckrodt nach Arnheim zu ziehen. Er hatte deshalb schon im Sommer des Jahres 1801 eine Reise nach Holland gemacht, und als er im August von dort zurückkehrte, verbreitete sich in Dortmund das Gerücht, daß er die Stadt verlassen und nach Holland übersiedeln wolle. Die Sache war damals indeß nur ein Project, das, wie Brockhaus selbst sagt, »wahrscheinlich nie wäre ausgeführt worden«. Hiltrop wurde aber gerade dadurch veranlaßt, seinen Arrestantrag zu wiederholen, Brockhaus mußte eine bedeutende Caution stellen und wurde selbst persönlich verhaftet. Dies veranlaßte ihn, sein Vorhaben wirklich auszuführen. Er verließ seine Vaterstadt und zog noch im Spätherbst 1801 nach Arnheim, der am Rhein (Leck) gelegenen Hauptstadt der Provinz Geldern, wo er mit Mallinckrodt bereits ein Jahr vorher ein Haus errichtet hatte.

Arnheim bildete übrigens blos einen kurzen Durchgangspunkt für ihn. Die Hauptstadt und erste Handelsstadt Hollands, Amsterdam, schien ihm ein geeigneterer Wirkungskreis für seine Handelsspeculationen, besonders seinen Verkehr mit England, und so zog er schon im Winter von 1801 auf 1802 dorthin. Vorher trennte er sich geschäftlich von Mallinckrodt, um sein Glück allein weiter zu versuchen, und auch wol, weil Mallinckrodt ihm die durch Hiltrop verschuldete Störung ihres Geschäfts zum Vorwurf machte. Mallinckrodt blieb in Arnheim zurück und setzte das bisherige Geschäft allein fort, scheint aber seinen Associé, der ihn jedenfalls geistig bedeutend überragte, sehr vermißt zu haben. Er bewahrte für diesen stets regstes Interesse und vollste Hochachtung und besuchte ihn später in Leipzig. Durch Hiltrop's fortgesetzte Machinationen scheint er mehr noch als Brockhaus gelitten zu haben und dadurch in seinem Geschäfte wesentlich gestört worden zu sein. Hiltrop ging indeß erst in späterer Zeit, 1815, direct und separat gegen Mallinckrodt vor, als er in seinem Verfahren gegen Brockhaus nichts erreichen konnte. Er brachte es im Sommer 1822 bis zur Execution gegen Mallinckrodt, gewann dadurch aber nichts, da die hypothekarischen Gläubiger desselben den Ertrag der auf diese Weise verkauften Mallinckrodt'schen Grundstücke, Waaren und Mobilien völlig in Anspruch nahmen. So hatte Hiltrop die traurige Genugthuung erlebt, wenigstens den einen der von ihm Verfolgten geschäftlich und bürgerlich ruiniert zu haben, während Brockhaus' reger Geist sich bald andern Bahnen zuwandte, auf denen ihn Hiltrop zwar stören, aber nicht, wie es seine Absicht war, ebenfalls ruiniren konnte.

Denn allerdings ließ Hiltrop nicht nach in seinem Vorgehen gegen Brockhaus, das er, nachdem seine eigene bürgerliche und geschäftliche Stellung dadurch empfindlich gelitten hatte, zum alleinigen traurigen Geschäft seines Lebens gemacht zu haben scheint. Wir müssen deshalb hier wieder anknüpfen an den oben geschilderten ersten Verlauf dieses Processes und die weitern Stadien desselben vorführen.

Trotz der durch Hiltrop's Frau in so richtigem Gefühle angestrebten Aussöhnung und Hiltrop's Selbstdemüthigung war der Proceß über die Gültigkeit des am 24. April 1800 abgeschlossenen Vergleichs in Dortmund anhängig geblieben, während Mallinckrodt und Brockhaus seitdem in Arnheim und Amsterdam lebten. Die Acten sollten verschickt sein, waren aber von der dortmunder Behörde verloren worden! Erst im August 1805 wurden sie aus den Manualacten der Sachwalter wieder nothdürftig ergänzt und am 19. Juli 1806 erfolgte ein Rechtsspruch der göttinger Facultät, in welchem dem Kläger der Beweis, daß dem Verfahren der Beklagten gegen ihn ein »Betrug«(!) zu Grunde liege, nachgelassen wurde. Hiltrop trat die übrigen ihm auferlegten Beweise an; der Sachwalter der Beklagten, obwol sonst ein geschickter Jurist, wußte sich in diese kaufmännischen Verhältnisse nicht zu finden und übergab einen durchaus verfehlten Gegenbeweis, doch hatten die Beklagten selbst ein Promemoria darüber entworfen. Unterm 16. November 1809 wurde das den Beklagten ungünstige erste Urtheil seitens der herzoglich bergischen Regierung gefällt, verfaßt von dem Oberbergrichter Bölling in Essen. Es nahm den Beweis für geführt an und verurtheilte die Beklagten, an Hiltrop 606 Pfd. St. nebst Zinsen und Proceßkosten zu zahlen. Gegen dieses Erkenntniß appellirten Brockhaus und Mallinckrodt und ließen eine von Brockhaus selbst verfaßte »Rechtfertigung« dieser Appellation unterm 28. Februar 1810 (in Amsterdam) für ihre Freunde drucken. Sie belegten durch zwei Parere, von der Kaufmannschaft zu Leipzig (vom 6. April 1800, verfaßt vom Kramerconsulent Dr. Bahrt) und von der Kaufmannschaft zu Elberfeld (vom November 1801, verfaßt von dem Syndikus derselben, Dr. Brüninghaus), daß ihr Verfahren der Lage der Sache und dem kaufmännischen Geschäftsgange durchaus angemessen gewesen sei. Später erfolgten noch zwei Gutachten, welche sie ebenfalls von dem frivolen Vorwurfe eines »Betrugs« vollkommen freisprachen: das eine von dem Professor Dr. Dabelow in Halle, später in Dorpat, datirt Leipzig, 16. Juli 1810, das andere von der Juristenfacultät zu Halle vom Januar 1813. Dennoch wurde von dem neuerrichteten bergischen Appellationsgerichtshofe zu Düsseldorf unterm 24. November 1813 das Erkenntniß erster Instanz lediglich bestätigt. Dieses Urtheil kam jedoch nie zur Vollstreckung, vielleicht infolge der eingetretenen politischen Ereignisse; es wurde sogar dem inzwischen von Amsterdam nach Altenburg und später nach Leipzig übergesiedelten Brockhaus gar nicht publicirt, wie durch eine Bescheinigung der herzoglich sächsischen Landesregierung zu Altenburg vom 16. März 1822 ausdrücklich beglaubigt wird.

Hiltrop beruhigte sich aber nicht und reichte nach Verlauf mehrerer Jahre, am 17. August 1819, eine neue Klage gegen Brockhaus ein. Damit beginnt das dritte und letzte Stadium dieses langwierigen Processes. Das königlich preußische Oberlandesgericht zu Hamm bestätigte durch ein Erkenntniß vom 5. Januar 1822 die für den Beklagten ungünstigen Urtheile von 1809 und 1813, während es unterm 30. März 1822 eine von Brockhaus gegen einen Arrest auf ein Erbtheil seiner minorennen Kinder erhobene Klage im wesentlichen zu seinen Gunsten entschied. Gegen diese Erkenntnisse, insbesondere das erste, appellirte Brockhaus. Er verfaßte für den Justizcommissar Cappel in Hamm selbst eine ausführliche »Instruction« (worin er unter anderm sagt, daß diese Erkenntnisse »sich ebenso wenig mit den anerkanntesten Sätzen des Völkerrechts als mit dem Geiste der preußischen Proceßgesetzgebung, diesem Meisterstücke einer legislativen Weisheit, vereinbaren lassen«) und ließ die obenerwähnte »Sammlung von eilf Actenstücken« für das Gericht und für seine Freunde drucken (das Vorwort dazu ist aus Leipzig vom 1. Juli 1822 datirt). Indeß betätigte der zweite Senat des Oberlandesgerichts zu Münster unterm 28. September 1822 lediglich die frühern Erkenntnisse. Brockhaus gab sich aber noch immer nicht für besiegt, obwol er damals eben eine lebensgefährliche Krankheit überstanden hatte, deren Wiederholung er kaum ein Jahr darauf erlag: er ergriff das letzte Mittel, das ihm übrigblieb, und wandte sich an das Geheime Obertribunal zu Berlin mit der Bitte um Cassation, resp. Revision des Erkenntnisses von 1813. In dem von ihm selbst wieder verfaßten »Revisionsbericht« (der kein Datum hat, aber jedenfalls noch im Spätherbst 1822 geschrieben ist) betont er, daß ihn zu diesem Antrage außer dem bedeutenden Objecte des Processes (zuletzt gegen 10000 Thlr.) besonders der Umstand bestimme, wegen eines vermeintlichen »Betrugs« und infolge eines irrigerweise für »rechtskräftig« angenommenen Erkenntnisses verurtheilt zu werden.

Noch ehe die Antwort von Berlin erfolgt war, starb Brockhaus. Erst mehrere Jahre nach seinem Tode (1828) wurde der Proceß endlich von seinen Erben durch einen Vergleich mit Hiltrop beendigt; letzterer starb am 2. April 1845.

Das Urtheil des Geheimen Obertribunals in Berlin vom 2. April 1824 hatte die frühern Erkenntnisse bestätigt, doch war den Stadtgerichten zu Leipzig durch ein allerhöchstes Rescript der königlich sächsischen Landesregierung zu Dresden vom 23. October 1824 die Befolgung der betreffenden Requisitionen untersagt worden. Hiltrop ruhte trotzdem noch immer nicht, und um ihr in Preußen befindliches Eigenthum vor ihm zu schützen, sah sich die Firma F. A. Brockhaus veranlaßt, ihre Rechnung mit den preußischen Buchhandlungen in der Zeit vom 15. November 1824 bis 21. November 1828 unter der Firma »Literatur-Comptoir in Altenburg La B« zu führen, wozu der mit ihr seit langem befreundete Besitzer dieser Firma, Johann Friedrich Pierer in Altenburg, bereitwillig die Hand bot.

Dieser Proceß mußte hier, obwol er Brockhaus' Hauptthätigkeit, die buchhändlerische, nicht berührt, ausführlicher dargestellt werden, weil er ihn während seines ganzen Lebens beschäftigte und von ihm persönlich mit der größten Energie und Ausdauer betrieben wurde. Es war in der That, wie er sich selbst später ausdrückte, der »blutige Faden«, der sich durch sein ganzes Leben hindurchzog und auf dasselbe mehrfach entscheidend einwirkte: er hatte die Familie entzweit (obwol selbst fast alle Verwandten Hiltrop's auf Brockhaus' Seite traten und dessen Verfahren misbilligten); er hatte ihn aus seiner Vaterstadt vertrieben und war die Veranlassung, daß er diese nur noch einmal (1811) besuchte; er verfolgte ihn überallhin: nach Amsterdam, Altenburg und Leipzig, und nöthigte ihn gerade auch in den, durch andere Aufregungen ihm schon so verbitterten, letzten Jahren seines Lebens zu eigener aufreibender Thätigkeit.

Die Frage liegt hier nahe, ob denn im Laufe der 22 Jahre, die dieser Proceß dauerte, nie Versuche zu Vergleichen gemacht worden seien. Allerdings ist das geschehen und zwar — zur Ehre und Rechtfertigung von Brockhaus muß dies hervorgehoben werden — insbesondere von seiner Seite, jedoch, wie er selbst sagt, »von diesem einzig und allein nur aus dem Grunde, daß er gewünscht hat, Ruhe zu gewinnen und sich von dem Odiösen, was mit der Führung eines solchen Processes überhaupt und besonders in weiten Entfernungen verbunden ist, völlig befreit zu sehen: nie aber, daß er durch einen Vergleich habe anerkennen wollen, als ob seitens Brockhaus und Mallinckrodt je etwas in dieser Sache geschehen, was auf irgendeine Weise gegen kaufmännische Sitte und Ehre und gegen kaufmännische Ordnung oder gegen kaufmännisches Recht gewesen«. Abgesehen von dem unterm 24. April 1800 abgeschlossenen, aber bald wieder von Hiltrop umgestoßenen Vergleiche sowie davon, daß Brockhaus, wie früher berichtet, auf die Bitte von Hiltrop's Frau die Klage gegen diesen beim Reichskammergericht in Wetzlar unterließ, bot er 1816 oder 1817 Hiltrop zur Niederschlagung alles Zwistes eine jährliche Rente von 200 Thlr. an, die nach seinem Tode auf seine Kinder bis zur Volljährigkeit des jüngsten übergehen solle. Und als Hiltrop dies ablehnte, wollte sich Brockhaus 1821 selbst zur terminlichen Zahlung von 4000 Thlr. verstehen, einer Summe, die das, was Hiltrop ursprünglich an Bethmann in London verloren, bedeutend überstieg. Aber auch dieses Anerbieten war von Hiltrop unangenommen und sogar unbeachtet geblieben. Selbst noch 1822 erklärte er sich bereit, »wesentliche, wenn auch bei veränderter und günstigerer Lage der Sache nicht mehr so bedeutende Opfer zu bringen, wenn ihm dazu auf angemessene Weise die Hand geboten würde und der Gegner damit nicht zu lange warte«. So kann Brockhaus sicherlich nicht der Vorwurf der Unversöhnlichkeit, Streitsucht oder Rechthaberei gemacht werden. Eher könnte man ihn deshalb tadeln, daß er, zunächst aus Theilnahme für seinen frühern Associé Hiltrop und um diesen vor einem Verlust zu bewahren, sich in eine ihm ganz fremde Angelegenheit gemischt und dann im Anfange des Processes dem Gegner mehrfach selbst die Waffen gegen sich geliefert habe; er fühlte dies auch selbst und that in dieser Beziehung die für ihn charakteristische, aber gewiß nur ehrenvolle Aeußerung: es sei dies von seiner und Mallinckrodt's Seite besonders geschehen »aus Ueberspanntheit, da wir die Welt noch nicht nahmen, wie sie ist, sondern wie sie sein sollte, und die wir damals noch so einfältig waren, zu glauben, als ernte man von dem Haufen der Menschen für große und rechtschaffene Handlungen Dank ein.«

Der Hiltrop'sche Proceß hat übrigens, wie aus Vorstehendem wol hervorgegangen sein dürfte, außer dem persönlichen auch ein mannichfaltiges allgemeineres Interesse, und es mögen deshalb zum Schluß einige Stellen aus der mehrerwähnten Schrift folgen, die Brockhaus über den Proceß 1822 zusammenstellte, in der Hoffnung, daß sie »dem Sachkenner genügen werden, um sich über den Charakter der darin handelnden Personen und über die Natur der stattgefundenen und obschwebenden Verhältnisse zu orientiren«.

In treffendster Weise, mit scharfem Verstande, klarem weitblickenden Geiste und in prägnantem Stile charakterisirt er den Proceß und sein Verhalten in demselben mit folgenden Worten:



Bei einem Processe, der fast ein Vierteljahrhundert unter vier verschiedenen Gesetzgebungen und Gerichtsformen geführt worden ist und in welchem mehrere der Sachwalter die Sache selbst gar nicht begriffen haben, läuft die Wahrheit am Ende Gefahr, unter der Masse der stattgefundenen Verhandlungen und angehäuften Actenstöße völlig erdrückt oder erstickt zu werden, sodaß es die größte Noth thut, das Wichtige und Wesentliche von dem Unwichtigen und Unwesentlichen zu scheiden, um dem künftigen Referenten und endlichen Richter die Uebersicht und Beurtheilung zu erleichtern oder gar — nur möglich zu machen. Ohnehin haben die bloßen Juristen in Städten und Gegenden, wo kein großer Handelsverkehr ist, in der Beurtheilung verwickelter kaufmännischer Verhältnisse höherer Art selten große Stärke und gerathen nur gar zu leicht auf Abwege, die von der Wahrheit entfernen. Ich erinnere hier an die Verhandlungen im Fonk'schen Processe über dessen Handlungsbücher und Berechnungen ...

Der Proceß (Hiltrop) ist interessant durch den Wechsel der Gesetze und gerichtlichen Formen, unter deren Herrschaft er geführt wurde. Er begann zu einer Zeit, wo Dortmund noch als Freie Stadt dem Deutschen Reiche angehörte; er wurde fortgesetzt unter der fürstlich nassau-oranischen Regierung, unter der Herrschaft der französischen Gesetze, welche im Jahre 1811 im Großherzogthum Berg in Kraft getreten waren; er ist wieder aufgenommen unter der jetzigen königlich preußischen Regierung und wird jetzt nach preußischen Rechten und Formen verhandelt. Es ist für das Interesse der Rechtswissenschaft von großer Wichtigkeit, die Verhältnisse dieser verschiedenen Gesetzgebungen in ihrer Wechselwirkung und vorzüglich zu dem Zwecke zu betrachten, um die Bedingungen und Grenzen der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit richtig zu bezeichnen.

Er ist interessant durch die kaufmännischen Verhältnisse, welche ihm zu Grunde liegen, deren Combinationen sich die Richter der ersten und zweiten Instanz durchaus nicht klar zu machen vermocht haben, so einfach sie auch jedem Sachkundigen erscheinen müssen.

Er hat endlich in dem neuesten Abschnitte noch eine allgemeine Wichtigkeit durch die völkerrechtliche Frage gewonnen, inwiefern ein königlich preußischer Staatsbürger einen entfernten Ausländer zwingen kann, vor den königlich preußischen Gerichten sich als Beklagter zu stellen und den Vortheil aufzugeben, welcher mit der Verhandlung der Sache vor seinem ordentlichen Richter, in gewohnten Formen, nach bekannten Rechten, für ihn verknüpft ist. In der That würden die von dem königlichen Oberlandesgericht zu Hamm in erster Instanz hierüber aufgestellten Grundsätze alle Ausländer, welche in Preußen Geschäfte treiben, und alle benachbarten Regierungen zur besondern Aufmerksamkeit und zu abweichenden Maßregeln verpflichten. Diese wichtige völkerrechtliche Frage macht in der jetzigen Lage der Sache den Hauptpunkt des Streites aus. Der Gang der Sache ist nämlich folgender ...

So liegt die Sache in diesem Augenblicke; einfach an sich in jedem ihrer Abschnitte, so verworren auch der erste Anblick derselben sein mag. Zunächst dreht sie sich fast nur um Formalien, um Gerichtsstand und Rechtskraft. Man ist nur zu sehr geneigt, auf denjenigen, welcher mit der bloßen Form ficht, den Verdacht eines Bewußtseins des Unrechts in der Sache fallen zu lassen, und daher war dem Beklagten an nichts mehr gelegen als daran, zu zeigen, daß er sich gegen die Form nur im Vertheidigungsstande befindet, nicht aber sie zur Schutzwehr einer Ungerechtigkeit gebraucht. Man hat es ihm vielleicht verübelt, daß er die Entscheidung eines königlich preußischen Gerichtshofs so eifrig abzulehnen bemüht ist; allein man würde dabei aus den Augen gesetzt haben, welchen großen Werth es für einen Jeden hat, nur von seinem ordentlichen heimischen Gerichte nach bekannten Gesetzen und Formen gerichtet zu werden. Wer irgend eine Erfahrung in dieser Art gemacht hat, der vermag die großen Nachtheile zu würdigen, mit welchen schon die bloße Entfernung den Betrieb eines Rechtsstreites umgibt.

Man wird es unter diesen besondern Umständen dem Beklagten nicht verargen, wenn er durch den gegenwärtigen Abdruck der wichtigsten Actenstücke seines Processes sowol für das Urtheil seiner Richter als für die Meinung seiner Freunde (für das größere Publikum sind diese Blätter ohnehin nicht bestimmt) die Materialien in einer leichtern Uebersicht zu liefern bemüht war. Er will dasselbe nicht bestechen, nicht für sich einnehmen; denn er legt die Hauptsache so vollständig vor, daß sie auch seinem Gegner zu statten kommen mag, wenn er selbst sich in seinen Ansichten geirrt haben sollte. Allein ein mehr als zwanzigjähriger Proceß, eine so vielfache Verkettung rechtloser Formen und Fragen bedarf wol eines Fadens, in dessen Finden nicht immer gerade derjenige am glücklichsten ist, welcher ihn für sich und andere zu suchen bestellt ist. Der Erfahrene weiß, daß dies zu sagen weder Anmaßung noch ein Vorwurf ist, und dreimal wenigstens wurde schon in der gegenwärtigen Sache der richtige Weg verfehlt.


Wir verlassen hiermit diesen unerquicklichen Proceß, der uns weit über die Zeit hinausgeführt hat, die wir zunächst zu schildern haben, und versetzen uns wieder nach Amsterdam und dem Jahre 1801, in welchem Brockhaus sein Geschäft dorthin verlegte.

Zuvor sei indeß noch ein von Brockhaus selbst herrührender Rückblick auf sein Leben bis zu diesem Zeitpunkte mitgetheilt.




4.

Ein Rückblick


Brockhaus schrieb in spätern Jahren, wahrscheinlich erst 1818 oder 1820, einen Rückblick auf seine Erlebnisse nieder, um einer Schwägerin, die in trüben Verhältnissen seine Vertraute geworden war, einen nähern Einblick in sein Leben zu gewähren. »Sie kennen es nicht«, fügte er hinzu, »oder nur durch verworrene Sagen, und doch liegt in jeder Vergangenheit der Schlüssel und häufig die Bedingung der Gegenwart.«

Diese Selbstbiographie, die unsere bisherige Schilderung in manchen Punkten ergänzt und den Verfasser trefflich charakterisirt, leider aber nur bis zu dem Wendepunkte in seinem Leben reicht, an dem wir uns jetzt befinden, lautet:



Ich bin 1774 geboren.[8 - Diese Angabe ist ein seltsamer Irrthum, da Brockhaus nach dem dortmunder Kirchenbuche am 4. Mai 1772, nicht 1774, geboren ist. An dieser Selbsttäuschung scheint er auch später festgehalten zu haben, wie aus gelegentlichen Aeußerungen in seinen Briefen hervorgeht, und daraus erklärt sich auch, daß auf seinem Leichensteine ebenfalls diese falsche Jahreszahl angegeben war.] Mein Vater, Sohn eines benachbarten Predigers, hatte meine Mutter, die Tochter eines angesehenen Kaufmanns, als Witwe geheirathet. Zwei Kinder erster Ehe waren gestorben, und aus dieser Ehe entsprangen zwei Söhne, von denen ich der jüngste bin, und der älteste mein noch in Dortmund lebender Bruder ist. Mein Vater, der erst 1811 gestorben, war ein sehr braver und wackerer Mann, aber nicht transcendent. Meine Mutter dagegen war eine geistreiche, vortreffliche Frau, und ihr Bild steht noch immer als das Ideal einer vollendeten Hausfrau vor meiner Seele.

Ich war ein aufgeweckter Knabe mit einem brennenden Durst nach Kenntnissen aller Art, und einer wahren Bücherwuth. Noch schwebt es mir wie gestern in Andenken, und gibt dies zugleich ein Bild jener Zeit, wie ich das erste Buch kaufte und wie es ablief. Ich mußte für den Vater in den Bücherauctionen Folianten und Quartanten erstehen, die er in seinem Laden als Maculatur gebrauchte. Hier kam nun auch Voltaire's Leben von Karl XII. in der alten Uebersetzung unter den Hammer. Niemand bot etwas. Ich hatte das größte Gelüste nach dem Buch und wagte es, 2 Groschen zu bieten, und siehe da, ich erhielt es und war der glückliche Besitzer! Aber der Vater, ein strenger Mann, vermerkte es sehr übel, wie ihm überhaupt mein vieles Lesen in den Tod zuwider war, verwies mir meine Verschwendung, und ohne das Dazwischentreten der immer guten und verständigen Mutter hätte ich wol noch eine Ohrfeige dazu erhalten. Es ist, als ob ein Jahrhundert dazwischen läge zwischen dem, wie es damals war, und jetzt ist.

Im funfzehnten Jahre kam ich nach Düsseldorf in eine dortige große Schnitthandlung, die zugleich Bankiergeschäfte machte, in die Lehre. Mein Lehrherr hieß Hofmann, er lebt noch und ist mein Freund geblieben. Er zeichnete mich unter sechs andern Commis und Burschen sehr aus, und zu sehr. Er bekam den Einfall, sein Geschäft zu erweitern, da er ein sehr wohlhabender Mann war, und eine Großhandlung neben der bestehenden Schnitt- und Wechselhandlung zu errichten, und er warf auf mich, den jüngsten Lehrburschen, die Augen, dazu die ersten Reisen zu machen, weil in dortigen Gegenden Alles durch Reisediener besorgt werden muß, da die Messen zu fern liegen. So wurde ich unerfahrener Mensch in einem Alter von kaum 17 Jahren auf ziemlich große Reisen, die sich bis Hannover, Kassel, Koblenz, Lüttich, Cleve ausdehnten, geschickt, um die neuen Geschäfte zu gründen. Diese so frühen Reisen haben sehr nachtheilig auf mich eingewirkt. Meine Bildung war noch nicht vollendet und wurde dadurch ganz zerrissen, indem ich oft in Monaten nicht zu Hause kam, und anstatt geführt zu werden, wie es dem Jünglinge ziemt, mußte ich mich selbst führen. Gegen jetzt war damals eine große Sittenreinheit, aber dagegen wieder eine größere Roheit. Die gänzliche Freiheit, worin sich der siebzehnjährige Jüngling aber auf diesen Reisen befand, das fortwährende Gasthofleben und die stete Gesellschaft mit andern Reisedienern wirkte nothwendig nachtheilig auf Sitten und Charakter.

Indessen vollzog ich meine Geschäfte zur höchsten Zufriedenheit meines Herrn, ich bildete mich zu einem tüchtigen Geschäftsmann, und mir ward vor Ablauf der Lehrzeit und noch nicht 20 Jahr (der Auftrag?), das Geschäft auch nach Braunschweig auszudehnen und dort die Messen zu beziehen. Mein Herr blieb dabei fein zu Hause, und mir ganz allein war das schwierige und kitzliche Geschäft der ganzen ersten Organisation übertragen. Und unser Geschäft war höchst bedeutend. Auch hier ging Alles gut, und ich erntete Ehre und Lob die Fülle. Auf der vierten Messe hatte ich das Unglück, daß mir 100 Louisdor gestohlen wurden. Ich empfange solche vor Tisch, eben wie zum Essen geläutet wird, und bin dadurch behindert, sie in mein Bureau zu verschließen, lasse sie also auf dem Tische stehen. Wie ich nach Tisch wiederkomme, sind sie weg. Dieser Vorfall hatte auf mein Schicksal großen Einfluß. Herr Hofmann war darüber hart und ungerecht gegen mich, ich indignirte mich deshalb und bot ihm den successiven Ersatz an. Er war kleinsinnig genug, es anzunehmen, und dies empörte mich vollends. Ich sagte ihm auf und verließ sein Haus. Wäre dieser Vorfall nicht eingetreten, so wurde ich nach einigen Jahren gewiß Compagnon, und dies um so leichter, da sich eine zarte Neigung zu einer nahen Verwandten des Herrn Hofmann, Marie Sibel, in meiner Brust gebildet hatte, die gebilligt und mit Innigkeit erwiedert wurde. Ich hatte gegen Herrn Hofmann Unrecht, obgleich er nicht großmüthig handelte. Mein kecker Trotz kam mir später theuer zu stehen.

Ich ging in das väterliche Haus zurück. Meine gute Mutter sah ich nicht wieder! Meine Liebe für Literatur und die Wissenschaften hatte indessen nie geschlummert, und ihr, dieser Liebe, danke ich es gewiß, daß ich auf den vielen Reisen und bei dem steten Herumschwärmen nicht moralisch untergegangen war. Je mehr ich aber immer las, je mehr fühlte ich auch die Lücken in meinem Wissen, da nirgends ein solider Grund gelegt war. Der erste Schulunterricht war nach damaliger Zeit sehr schlecht gewesen, und ich hatte keine Zeit gefunden, ihn nachzuholen. Ich fühlte aber, daß ich mehr wissen müsse, um meinem aufstrebenden Geiste Genüge zu leisten und höhern Aufgaben des Lebens entsprechen zu können. So ungewöhnlich es daher auch war, so bewog ich meinen Vater doch dahin, daß er mir erlaubte, ein Jahr eine Akademie zu beziehen, und ich ging nun nach Leipzig, wo ich au 5me in der Petersstraße bei einem Perrückenmacher anderthalb ganz glückliche Jahre zubrachte und, ich darf es sagen, musterhaft lebte und musterhaft fleißig war. Ich erwarb mir insbesondere die neuern Sprachen und erlangte darin eine ziemliche Vollkommenheit im mündlichen und schriftlichen Ausdruck; außerdem saß ich stets zu Platner's und Hindenburg's und Eschenbach's Füßen, trieb Philosophie, Physik und Chemie, was aber aus Mangel an gründlicher Elementarbildung, die sich später nie ersetzen läßt, nicht tiefe Wurzeln gefaßt hat.

Nach Verlauf dieser glücklichen anderthalb Jahre engagirte ich mich bei einem englischen Hause in Manchester und war bestimmt, die Geschäfte desselben in Italien zu leiten. Wir gaben uns in Leipzig das Rendez-vous in Amsterdam, und ich reiste ab, um die Erlaubniß meines Vaters einzuholen und von ihm Abschied zu nehmen. Dieser, ein Mann im alten Stil, sah diesen Plan nicht gerne. Ich war zu einem Manne herangereift und galt für einen schönen Mann, ich hatte und zeigte mehr Talent und Geist und Bildung, als in meiner Vaterstadt an der Tagesordnung war — was war natürlicher, als daß der gute Vater auf mich Pläne baute und mich um sich zu behalten suchte? Bonaparte unterstützte ihn und trat mir hier zuerst in meinen Weg. Er war eben zum Heerführer der Armee ernannt, die gegen Italien focht. Seine Siege führten ihn schnell über die Alpen und ganz Italien wurde von ihm überzogen. Mein Haus in Manchester hob seine Commandite in Livorno, wohin ich gehen sollte, auf, meldete mir dies und bot mir en attendant mieux eine Stelle auf seinem Comptoire an. Die mochte ich nicht, und ich folgte nun williger den Wünschen des Vaters und um so leichter, da ich in unserm Städtchen eine Art Phänomen war und meine Eitelkeit täglich Triumphe feierte.

Es dauerte nicht lange, als sich Gelegenheit zu einer Handelsverbindung zeigte. Diese wurde auch geschlossen mit einem wackern Freunde, Namens Mallinckrodt, und des Kapitals wegen, da die unserigen nicht zuzureichen schienen, mit einem Dritten, Namens Hiltrop, einem sehr reichen Menschen, den wir für dumm hielten und glaubten auf diese Weise benutzen zu dürfen. Dies war ein großes Unglück, dem ich unsägliche Leiden verdanke, denn dieser Mensch war freilich dumm, aber zugleich ein verworrener Phantast und von dem allerschlechtesten Charakter. Unser Geschäft bestand in englischen Manufacturwaaren im Großen, insbesondere in groben Wollartikeln, die in jenen Gegenden stark gebraucht wurden. Ich besorgte die Comptoirgeschäfte, Mallinckrodt die Reisen und das Waarengeschäft. Unsere Handlung hatte den glänzendsten Fortgang. Wir glaubten Hiltrop (den dritten Compagnon) entbehren zu können; wir separirten uns also von ihm und fanden ihn ab. Alles in der höchsten Ordnung und Rechtlichkeit.

Wir heiratheten nun. Ich meine Sophie, er (Mallinckrodt) eine Freundin von ihr. Sophie war 19, ich eben 24 Jahre alt.[9 - Auch diese Angabe ist eine irrthümliche und beruht auf der Annahme, daß er 1774 statt 1772 geboren sei; er war damals (30. September 1798) 26, seine Frau 20 Jahre alt.] Sie war aus der angesehensten Familie meiner Vaterstadt, ehemaligen Patriciern. Sie war liebenswürdig, selbst schön, nicht geistreich, aber verständig und von einem edlen und festen Charakter, der sich in den schwierigsten Lebensverhältnissen erprobt hat. Dabei brachte sie mir ein für dortige Gegenden sehr bedeutendes Vermögen zu. Wir waren die glücklichsten Menschen unter der Sonne. Ach, wenn ich dieser Rosenzeit meines Lebens, die drei volle Jahre dauerte, gedenke, so rollen, wie auch jetzt, die hellen Thränen aus meinen Augen, denn in ihnen genoß ich des höchsten menschlichen Glückes. In diesen Zeitraum fällt die Geburt von Auguste und von Fritz.

Aber nicht länger sollte unser Glück dauern. Unser Geschäft hatte einen höchst genialen Charakter angenommen, etwa oder ganz in der Art, wie ihn jetzt mein Buchhandel hat. Wir machten unerhörte Geschäfte, hatten einen grenzenlosen Credit und gewannen große Summen. Unser Geschäft hatte sich vorzüglich nach Holland gezogen; wir etablirten ein Haus in Arnheim, und mein Associé zog dahin. In dieser Epoche fielen die ungeheuern Bankrotte in Hamburg vor, von denen Sie wol mal werden gehört haben. Wir wurden zwar nicht direct, aber in einer indirecten Weise darin verflochten, die unserm Schicksal eine ganz andere Richtung gab. Jener unser erster Associé Hiltrop hatte nach seiner Trennung von uns ein ähnliches Geschäft, als es das unserige war, begonnen, aber freilich nicht mit unserer adresse und unserm Geiste; er hatte sich also bald verfitzt, und als vollends sein Bankier in London, ein Vetter der Bethmann in Frankfurt, die ihn aber ruhig fallen ließen, Bankrott machte und er an diesem 15000 Thaler zu verlieren befürchten mußte, kam er in Verzweiflung, und nicht fähig, sich selbst zu retten, warf er sich uns in die Arme. Wir retteten ihn, übernahmen seine Sachen, auch mit einem Verlust von nur einem Drittel seine Forderung an den falliten Bethmann, da wir mit diesem auch in Verbindung waren und uns schmeichelten, die Rechnungen compensiren zu können. Wir arrangirten sein Creditwesen und handelten in jeder Hinsicht mit der höchsten Großmuth und Liberalität, ohne jedoch das kaufmännische Princip dabei aus den Augen zu lassen.

Dieses accomodement für und mit Hiltrop sollte für uns die Ursache unübersehbarer Verdrießlichkeiten und Unglücks werden. Dortmund war damals noch eine Reichsstadt, und das Unwesen in den Gerichtsformen und bei Processen war bei der absoluten Unabhängigkeit der Reichsstädte in den ersten Instanzen dort grenzenlos. Unsere Handlung hatte einen Schwung genommen, von dem man sich in der altväterischen Stadt nie eine Idee gemacht hatte, und ob wir gleich, ich darf das sagen, unser Glück nicht durch Uebermuth geltend machten, im Gegentheil allenthalben helfend mit der höchsten Uneigennützigkeit eingriffen, so führte doch unsere Existenz und unser Geschäft einen train de vie mit sich, der dort neu war, großes Aufsehen machte und uns die heftigsten Neider und daraus Verleumder zuzog. Man hetzte jenen Phantasten Hiltrop, den wir vom Elend und Versinken allein und mit der vollkommensten Rechtlichkeit gerettet hatten, gegen uns auf, und dieser klagte nun gegen uns über jene stattgefundene Cession seiner Forderung an uns, und daß wir ihn dabei verletzt hätten. Der Proceß darüber nahm seinen Anfang, und da der Bürgermeister, die Seele von Allem, was in dem Städtchen geschah, mein erbitterter und entschiedener Feind war, so erwuchsen aus der Führung dieses unglücklichen Processes für mich (denn mein Associé war in Arnheim) namenlose Verdrießlichkeiten, und ich entschloß mich endlich, Dortmund ganz zu verlassen und nach Holland zu ziehen. Aber kaum verlautbarte dieser Entschluß, als mir erstlich eine ganz übertriebene Cautionsleistung für den obschwebenden Proceß abgefordert wurde und man sofort mit der Forderung von 10 Procent von unserm Vermögen auftrat. Beide Forderungen wurden mit einer Art von fanatischer Wuth bei unsern Widersprüchen verfolgt. An Hülfe war gar nicht zu denken, denn der Magistrat hatte und erkannte keine andere Behörde über sich als das Reichskammergericht in Wetzlar oder den Reichshofrath in Wien. Ich mußte Kränkungen über Kränkungen erleiden. Erst wurde unser ganzes Waarenlager mit Arrest belegt, meine Handlungsbücher wurden uns fortgenommen und untersucht, ich selbst am Ende persönlich arretirt. Ich mußte mich beugen und wenigstens die Caution für die 10 Procent Vermögenssteuer leisten. Der andern (Maßregel?) entging ich zu meinem Glücke durch Consequenz und Klugheit.

So verließen wir unsere Vaterstadt und kamen fast wie Geächtete in Arnheim an. Die Geschichte hatte das ungeheuerste Aufsehen gemacht, der Haufen der Menschen war, wie ganz in der Regel, gegen uns, die man hochfahrige, überklugseinwollende, vorwitzige Personen nannte, denen hier Recht geschehen sei; unser Credit litt dadurch außerordentlich, und im Auslande, wo man sich solchen Unsinn, als der dortmunder Magistrat begangen, gar nicht denken konnte, mußte man ganz irre werden, als wir anzeigen mußten, wir wohnen nicht mehr in Dortmund, sondern jetzt in Arnheim. Dazu kamen nun die reellen äußern Zerstörungen, die mit dieser gewaltsamen Geschäftsverpflanzung verbunden sein mußten, und der Umstand, daß Alles allerdings auf die Spitze getrieben war, indem wir das Geschäft aus dem Gesichtspunkt betrieben hatten: man muß das Eisen schmieden, solange es glühend ist; — kurz, unsere Lage wurde bei diesen Umständen höchst kritisch. Mein Associé, der blos das Waarengeschäft geleitet und von der einen Seite die großen geernteten Vortheile kannte, nicht aber alle die Fäden, die ich angesponnen, um das Geschäft in dieser Höhe zu erhalten, war nun höchst befremdet über die Stockungen in unserm Creditsystem. Er war unbillig genug gegen mich, der so unendlich gelitten und Alles allein hatte erdulden müssen, mir Vorwürfe zu machen, und ich war schwach genug, darüber so erbittert zu werden, daß ich ihm die Compagnieschaft aufsagte. Wir separirten uns also. Ich zahlte ihm ein Abfindungsquantum von baaren 60000 Gulden und übernahm das ganze Geschäft und zog nach Amsterdam. Dies war im Winter 1801 auf 1802.





Zweiter Abschnitt.

In Amsterdam





1.

Kaufmännische Thätigkeit


Als Brockhaus im Winter von 1801 auf 1802 Arnheim verließ und nach Amsterdam übersiedelte, um hier das früher mit Mallinckrodt betriebene Geschäft in englischen Manufacturen en gros allein und auf günstigerm Boden fortzusetzen, hatte er einen schweren Stand. Durch den Hiltrop'scheu Proceß und die Verlegung seines Geschäfts von Dortmund nach Arnheim hatte sein Credit schon leiden müssen, da die kaufmännische Welt die nähern Umstände und die eigentliche Veranlassung dazu nicht kannte. In Amsterdam hatte er somit eigentlich wieder von vorn anzufangen. Indeß verlor er den Muth nicht, und das Glück schien ihm auch bald wieder lächeln zu wollen.

Es waren damals die letzten Jahre der Batavischen Republik unter ihrem trefflichen Leiter, dem Großpensionär Schimmelpenninck; die frische Luft des Freistaats, der lebhafte Verkehr der großen Handelsstadt sagten ihm weit mehr zu, als die engen Verhältnisse der kleinen Provinzialstadt Arnheim und seiner freilich ebenfalls »freien« Vaterstadt Dortmund. Außerdem stand er in Amsterdam ganz auf eigenen Füßen und befand sich in neuer Umgebung; er hatte auf keinen Associé Rücksicht zu nehmen und wurde in der ersten Zeit wenigstens fast durch nichts mehr an frühere widrige Verhältnisse erinnert.

Alles das gab ihm eine zuversichtliche Stimmung. In dieser schreibt er am 18. Mai 1802 an seinen Bruder Gottlieb in Dortmund, mit dem er fortwährend in den herzlichsten Beziehungen verblieb:



Wir fügen uns in unsere hiesigen neuen Verhältnisse Alle recht gut, und wenn ich mal diejenigen der alten Handlung ganz in Ordnung habe sowie mein properes Geschäft in gehörigem Vertrieb, so hoffe ich, wird mir endlich Zufriedenheit und Ruhe zutheil werden; ich werde gewiß mich für abermalige zu große Geschäfte hüten. Darin fehlte Mallinckrodt und verführte er mich auch hauptsächlich. O ich danke Gott, daß ich von ihm ab bin und allein handeln kann, wie ich jetzt will. Ich könnte ihm große Vorwürfe machen — ich thue es nicht und ergebe mich in mein Schicksal. Die Zukunft verspricht mir auch ja so viel Gutes und ich hoffe, daß, wenn wir uns mal wiedersehen, wir Beide glücklicher sein werden als wie wir uns trennten.


Auch materiell unterstützte ihn der Bruder durch seinen Credit und wie er es sonst vermochte. Im Sommer 1804 besuchte er ihn in Amsterdam. Folgender bald nach dessen Abreise geschriebene Brief von Arnold Brockhaus an seinen Bruder Gottlieb (vom 4. September 1804) gibt von dem herzlichen Verhältniß zwischen Beiden und von der warmen Empfindung des Schreibers Zeugniß:


Theuerster Bruder!



Freilich: unsere höchsten Freuden grenzen oft nur um eine Linie an den herbsten Schmerz. Wie glücklich verflossen uns die wenigen Tage, die wir hier zusammen lebten und — was mir unschätzbar bleibt — auch mit einander verlebten. Aber der Abschied von Dir, theuerster Bruder, am Sonntag Morgen, — der zerriß mir die Seele. Bin ich doch nie von Schmerz, Betrübniß und Wehmuth so hingerissen, so aufgelöst gewesen, als in den Stunden. Mir selbst fast unbegreiflich war auch die Stimmung, worin ich mich befand. War es mir doch, als ob mit Dir alle meine Hoffnungen, alle meine Freuden, alle Annehmlichkeiten des Lebens dahinschwänden, als ob die Zukunft von jetzt an nur Grausen und Schrecknisse für mich haben werde, als ob wir uns nie wieder sehen würden, — als ob ich nichts Theueres mehr auf der Welt hätte!

Ich konnte mich auch nicht erholen. Nicht eine, sondern mehrere Stunden lang saß ich in Schmerz versunken, ohne ein anderes Bewußtsein auf der Seele, als daß oft unwillkürlich und gedankenlos helle Thränenbäche mir aus den Augen stürzten. Nur die Liebkosungen der Kinder, an dem Arme ihrer guten, mir so lieben Mutter, brachten mich endlich wieder zu mir selbst. Der Tag verfloß uns so in feierlicher Stille, und nur Du warst der Gegenstand unserer traulichen Reden. Könnten wir Dich doch in unserer Mitte haben! Könnten wir doch nur zusammen leben! Das war der ewige Wiederholungspunkt, worin sich unsere Wünsche alle begegneten.

Du eiltest in der Zwischenzeit der friedlichen Heimat zu. Jetzt ist der Bruder da, nun ist er da. Nun ist er in Amersfoort, Arnheim, Wesel — nun eilt er in die Arme seiner lieben Frau, seiner geliebten Kinder, jetzt drückt er sie froh an sein Herz, nun sind sie zu Hause im kleinen Stübchen, jetzt erzählt der Bruder von uns — und von Amsterdam, dem horchenden Lottchen, den erstaunenden Freunden! So warst Du uns stündlich und täglich gegenwärtig, so begleiteten wir Dich allenthalben und lebten in der süßesten Täuschung. Denn ach, — wie schrecklich mußte der Uebergang von der Stimmung sein, mit welcher Du in Bochum ankamst, bis Du es wieder verließest. Erinnerst Du Dich des Vorfalls, den Du uns von dem Bauer in Brakel erzähltest, der bei seiner Zurückkunft, wo er sein liebes Weib und seine Kinder zu überraschen gedachte, ersteres und seinen Liebling von diesen todt fand? War es mir doch, als Du es erzähltest, als ob mir eine geheime Ahndung aufstieg. Das Herz brach mir fast, als Du es erzähltest! Gott, wie schrecklich hattest Du hier selbst fühlen können, du gefühlvoller, edler, einfacher Mensch, was Du mit so innigem Affecte von Andern darstellen konntest!

Wir Alle, theuerster Bruder, haben an diesem Deinem harten Schicksale den innigsten Theil genommen und nehmen ihn noch immer. Gebe nur der gute Gott, daß sich noch Alles zum Besten lenke. Gebe er Dir Seelen- und Körperstärke, um die Gegenwart und die Zukunft ertragen zu können!

Wir bitten Dich innigst, uns doch jeden Posttag, wäre es auch nur mit wenigen Zeilen, die Lage der Umstände zu melden. Wir befürchten zwar Alles, hoffen aber auch noch Alles.


Ein weiteres sprechendes Zeugniß der Liebe zu seinem Bruder Gottlieb bietet ein Blatt, das dieser in seiner Wohnstube unter Glas und Rahmen aufbewahrte. Es enthält eine bekannte Stelle aus Schiller's »Braut von Messina« mit der Ueberschrift: »A. B. — G. B.« und wurde ihm wahrscheinlich einmal von seinem Bruder zum Geburtstage übersandt. Die Worte (von Isabella nach dem zweiten Auftreten des Chors gesprochen) lauten:

Feindlich ist die Welt
Und falsch gesinnt! Es liebt ein Jeder nur
Sich selbst; unsicher, los und wandelbar
Sind alle Bande, die das leichte Glück
Geflochten — Laune löst, was Laune knüpfte —
Nur die Natur ist redlich! Sie allein
Liegt an dem ew'gen Ankergrunde fest,
Wenn alles And're auf den sturmbewegten Wellen
Des Lebens unstet treibt. Die Neigung gibt
Den Freund — es gibt der Vortheil den Gefährten;
Wohl dem, dem die Geburt den Bruder gab!
Ihn kann das Glück nicht geben — anerschaffen
Ist ihm der Freund, und gegen eine Welt
Voll Kriegs und Truges steht er zwiefach da.

Sein nicht mehr bedeutendes Betriebskapital wußte Brockhaus auf geschickte Weise zu vergrößern, indem er das Vertrauen benutzte, das man ihm in Amsterdam von allen Seiten entgegenbrachte. So hatte sich schon in Dortmund ein französischer Emigrant an ihn angeschlossen und ihm nach und nach eine größere Summe anvertraut, worüber nun in Amsterdam am 1. Juni 1802 ein Document ausgestellt wurde; es war dies der frühere Prevôt von Valenciennes, Pierre Antoine Louis Lehardy de la Loge. Freilich entstanden ihm später manche Unannehmlichkeiten aus diesem Geldgeschäfte, da die nach dem Tode seines Freundes von dessen Erben geforderten Rückzahlungen des Kapitals gerade in eine sehr schwierige Zeit fielen. In ähnlicher Weise bot ihm ein anderer französischer Emigrant, ein früherer Militär, Charles Louis Remy la Motte de la Tournelle aus Rheims, ein kleines Kapital gegen eine Jahresrente an und Brockhaus schloß am 15. März 1802 darüber einen Vertrag mit ihm.

Aber auch in der kaufmännischen Welt gewann er rasch wieder bedeutenden Credit. Allerdings ließ er sich dadurch verleiten, trotz seiner guten Vorsätze wieder weiter zu gehen, als seine Kräfte erlaubten, und zudem traten bald politische Verhältnisse ein, die das kaufmännische Geschäft überhaupt sehr erschwerten. Es war die Zeit der Continentalsperre, jener rücksichtslosen Maßregel Bonaparte's gegen England, durch welche er dessen Macht zu brechen hoffte. Natürlich war es sein Streben, auch die Nachbarländer zu gleichem Vorgehen gegen England zu bestimmen, da er sich nur dann den gewünschten Erfolg versprechen konnte. So bot er auch seinen ganzen Einfluß auf, um die schwache Batavische Republik zu ähnlichen Maßregeln zu bringen, und diese vermochte dem Drängen des mächtigen Nachbars auf die Länge nicht zu widerstehen. Die strengsten Verordnungen wurden erlassen, um allen englischen Waaren den Eingang in die Republik unmöglich zu machen.

Dies war natürlich ein tödlicher Schlag für Brockhaus' eben im Wiederaufblühen begriffenes Geschäft, dessen Hauptbezugsquelle immer England gewesen war. Trotzdem verlor er den Muth nicht gleich, er suchte den veränderten Umständen gemäß neue Wege auf und noch bis in den Herbst des Jahres 1804 gelang es ihm, der ungünstigen Conjunctur die Spitze zu bieten. Allein die Verlegenheiten mehrten sich.

Unterm 30. September entwirft er dem Bruder folgendes anschauliche Bild seiner Lage:



Seit Deiner Abreise, lieber Bruder, habe ich viel Sorgen gehabt und noch sind sie leider nicht vorbei. Ich will mich mit Dir sehr offen unterhalten, gerade als ob wir traulich nebeneinander in der Mitternachtstunde säßen, wie wir es bei Deinem Hiersein so manchmal thaten.

Ich habe unglücklicherweise noch immer nicht die goldene Kunst erlernt, die Segel einzuziehen, wenn der Wind am vortheilhaftesten hineinweht. Durch das günstige Geschäft in diesem Jahre verführt, habe ich mich unglücklicherweise wieder zu tief hineingesteckt, und es ist mir deshalb was über dem Kopf zusammengeschlagen. Dazu kam die verdammte Speculation auf die Ladung des hier verkauften Schiffes, wovon mir noch 12000 Gulden in Leipzig festsitzen und die im Ganzen doch nicht gut rentirt. Drittens hatte es mir Anstrengung gekostet, um an Hofmann & de Bri gleich eine Summe von circa 1500 £ zu übermachen, in Absicht eines brillanten Debüts, da ich sonst noch ein paar Monate das Geld hätte halten können. Auch habe ich das Jahr zu viel comptant oder auf kurze Zeit gekauft ... Ich habe mich inzwischen gehalten, allen Engagements Genüge geleistet und denke, so Gott will, glücklich herauszukommen ... Es ist das Alles sehr schlimm gewesen und noch ist es nicht wieder im rechten Haken, allein so wie das Schlimme sehr nahe am Guten grenzt, so auch umgekehrt. Es wird hieraus für mich wahrscheinlich viel Gutes hervorgehen. Die Lehre, die ich jetzt erhalten, war scharf: meine Existenz stand auf einer Nadelspitze — die habe ich erhalten — , aber mein Credit hat tief gelitten und das ersetzt sich schwerer, ob ich gleich hier auf dem Platze keines besondern Credits bedarf. Ich habe es nämlich mir selbst, meinem theuern Weibe, meinen geliebten Kindern heilig gelobt: von jetzt an nur ein kleines Geschäft, das nur halb so groß ist als mein jetziges, haben zu wollen. Ich werde nicht wieder wankend werden, zuverlässig nicht, dazu ist mein Vornehmen diesmal zu bestimmt und raisonnirt. Das Gute wird also aus meinen gehabten Verlegenheiten sicher hervorgehen und ich blicke wirklich seit der Zeit schon mit mehr Heiterkeit in die Zukunft als vorher. Ich habe allen Ideen von weitläufigem und ausgebreitetem Geschäft auf das feierlichste entsagt, und fortan werde ich mich nie wieder dazu verführen lassen, noch von dem geraden Wege in meinen Transactionen abgehen ... Dies, lieber Bruder, waren die Sorgen und die Verlegenheiten, worin ich mich befunden habe. Sie waren groß, da sie alle wie ein Gewitter auf mich zusammenstürzten, allein sie waren auch nicht größer als ich sie Dir geschildert, und ich hoffe, daß ich so ziemlich dadurch bin. Ich habe außer dem brüderlichen Hange, Dir auch nichts verschweigen zu wollen, was mir Gutes und Uebles auf der Welt widerfährt, auch noch die Ursache, Dir darüber zu schreiben, da es möglich wäre, daß durch Königshoff oder sonst Jemanden etwas darüber nach Dortmund berichtet würde, und damit Du dann weißt, was davon zu halten.

Endlich noch eine brüderliche Mittheilung. Es ist unvermeidlich, lieber Bruder, daß der Uebergang von meinen ansehnlichern zu den kleinern Geschäften mich nicht geniren müßte, besonders da ich es als ersten Grundsatz festgesetzt, mich dazu auch nicht eines insoliden Hülfsmittels zu bedienen, ich vielmehr damit begonnen habe, solche zu succificiren. Ueberhaupt fühle ich, daß ich doch dem ausgedehnten Geschäfte nicht gewachsen war bei der hiesigen Solidität, und daß ein Manufacturgeschäft hier mit einem Fonds wie der meinige eigentlich nur die Hälfte desjenigen solide thun kann, was ich ganz that. Außer den Hülfsmitteln, die in mir selbst liegen und die dazu mit dienen sollen, jenen Zweck zu erreichen, möchte ich aber auch noch gern alle die ins Werk setzen, welche für mich erreichbar sind und die dazu mit beitragen könnten, d. h. ich möchte gern alle die Fonds disponibel haben, welche mir doch einmal gehören, durch unangenehme Dispute aber nun für mich ohne Nutzen sind ...


Im weitern Verlaufe des Briefs macht er Vorschläge, die sich darauf beziehen, daß er seinen Antheil an den gemeinschaftlichen Ländereien bei Dortmund (circa 6 Morgen) abtreten und verschiedene Familienverhältnisse geordnet haben möchte, wodurch er ein Kapital von 6000 Fl. zu erhalten hofft. Außerdem bittet er seinen Bruder, ihn selbst noch auf etwa ein Jahr mit einem besondern kleinen Kapitale von etwa 4000 holl. Fl. zu unterstützen. Dann fährt er fort:



Es soll sowol dies, als wenn ich jenes erhalte, nicht dazu dienen, meine Geschäfte zu erweitern. Nein, es ist und bleibt der heiligste und unabänderlichste Vorsatz bei mir, sie vielmehr sehr einschränken. Es soll aber dazu mit dienen, um mir Verbindungen ganz entbehrlich zu machen auf auswärtigen Plätzen, die, so wie sie sehr kostbar waren, mich auch stets genirten und meine Thätigkeit von meinem eigentlichen Geschäfte ablenkten. Ich habe vor, mich ganz aufs Reine zu setzen und endlich einmal mir selbst und meiner Familie zu leben. Dieser Uebergang kostet mir aber, wie Du denken kannst, sehr viel Mühe und erfordert auch neue Fonds, indem bei einem großen Geschäfte auch der Credit groß ist und eins das andere stopft. Daß Du mir das Kapital mit Sicherheit anvertrauen kannst, dafür bürgt Dir mein Ehrenwort, daß erstlich meine Sachen gut stehen, und zweitens, daß, möchten mich auch unglückliche Umstände ereilen, es mir die heiligste Pflicht sein würde, Dich vorzüglich zu decken. Ich weiß wol, lieber Bruder, daß Deine Einrichtungen und auch Deine Fonds es nicht erlauben, daß Du mich aus eigenen Mitteln bedeutend unterstützest, allein ich dachte, daß Deine Verbindungen Dir vielleicht Mittel an die Hand böten, hier oder da so ein Kapital von etwa bis zu 4000 Fl. zusammenzubringen. Solltest Du inzwischen keine Gelegenheit haben, so sagst Du es mir nur einfach und ich suche mich dann anders durchzuschlagen. Es braucht zwischen uns keiner Complimente darin. Ein Ja ein Ja, ein Wort ein Wort ... Kurz, lieber Bruder, Alles, was Du vermagst zu thun, das thue in diesem Augenblicke, der durch das Zusammentreffen mehrerer Umstände für mich sehr unangenehm ist. Die größte Krise habe ich zwar überwunden, allein geheilt bin ich noch nicht, und es wird mir noch große Anstrengungen kosten, ehe ich darüber bin ... Ich habe Dir Alles sagen und Dir nichts verschweigen wollen. Du und Sophie sind die einzigen Menschen auf der Erde, die meine wahrhaften Freunde sind. Ich kann und will Beiden nie etwas verhehlen. Es wird Alles gut gehen, nur der Augenblick war hart und ist es noch. Die herzlichste Umarmung!


Die Antwort auf diesen Brief liegt nicht vor. Doch ist kaum zu bezweifeln, daß der Bruder ihm auch in diesem Falle, wie in so manchen frühern, nach Kräften geholfen, denn unterm 26. August 1805 dankt er ihm, weil er »die 3000 Fl. wieder in seinen Händen gelassen«, mit dem Bemerken: wenn er sie gern zurückhaben wolle, so werde ihn dies nicht geniren, falls er nur etwas vorher davon unterrichtet sei. Jedenfalls gelang es Brockhaus, seine Verhältnisse zu ordnen, und seinem Vorsatze getreu schränkte er das kaufmännische Geschäft wesentlich ein. Im October 1804 scheint er mehrere Wochen in Wesel zugebracht zu haben, wahrscheinlich eben zur Abwickelung eines frühern größern Waarengeschäfts.

Diese Einschränkung in enge Verhältnisse konnte aber seinem regen, weitstrebenden Geiste nicht lange genügen, und da er theils wegen der Continentalsperre, theils nach den kaum überstandenen Bedrängnissen daran festhielt, sein Geschäft in englischen Waaren nicht wieder auszudehnen, so mochte für ihn der Gedanke nahe liegen, neben demselben ein anderes Geschäft zu betreiben, das seinem Geiste bessere Nahrung versprach und von dem er doch auch materielle Erfolge erwarten konnte.




2.

Errichtung einer Buchhandlung


Von Jugend auf von dem lebhaftesten Interesse für die Literatur erfüllt, hatte Brockhaus, wie schon erwähnt, eigentlich gegen seinen Willen, nur auf Wunsch seines Vaters und durch zufällige Umstände darauf hingeführt, den Kaufmannsstand erwählt. Mehr durch fremde als durch eigene Schuld und durch die Zeitverhältnisse an der Durchführung seiner kühn und großartig angelegten Handelsunternehmungen gehindert, griff er jetzt zu der Idee zurück, die ihn seit seinem Aufenthalte in Leipzig oft lebhaft beschäftigt haben mochte: sich dem Buchhandel zu widmen, als einem Berufe, in dem er seine kaufmännischen Kenntnisse verwerthen und doch zugleich seiner Lieblingsneigung, der Beschäftigung mit der Literatur, leben konnte. Er stand noch in dem ersten Mannesalter, dem dreiunddreißigsten Lebensjahre; er hatte reiche Erfahrungen gesammelt, deren Schwere seinen Geist in keiner Weise zu beugen vermochte; er lebte in den glücklichsten Familienverhältnissen, an der Seite einer geliebten Frau, von blühenden Kindern umgeben: noch in Arnheim war ihm am 12. Februar 1802 eine zweite Tochter, Karoline, am 4. Februar 1804 in Amsterdam ein zweiter Sohn, Heinrich, geboren worden. Sollte er den Muth sinken lassen und nicht vielmehr versuchen, ob ihm das Glück nicht auf einem andern Felde lächeln werde?

Im Sommer 1805 ging er an die Ausführung des neuen Plans, obwol seine Buchhandlung formell erst am 15. October 1805 eröffnet wurde und dieser also der Gründungstag der Firma F. A. Brockhaus ist. Von diesem Tage datirt sein erstes buchhändlerisches Circular, allerdings nicht mit seinem Namen, sondern mit der Firma »Rohloff und Compagnie« unterzeichnet. Als Ausländer konnte er nämlich nicht Mitglied der amsterdamer Buchhändlergilde werden, und so bewog er einen ihm bekannten wackern Mann, den Buchdrucker J. G. Rohloff, zu erlauben, daß das Geschäft auf dessen Namen geführt werde. Dieser war dabei weiter nicht betheiligt, als daß er eine kleine Entschädigung für das Hergeben seines Namens erhielt, und Brockhaus von Anfang an alleiniger Eigenthümer. Auch ließ Brockhaus den Namen Rohloff's schon nach kaum zwei Jahren, 1807, ganz verschwinden und wählte für seine Firma die schon in jenem ersten Circular zur Charakterisirung des neuen Geschäfts gebrauchte Bezeichnung: »Kunst- und Industrie-Comptoir«, ohne Hinzufügung eines Namens.[10 - Er behielt diese Firma auch später noch, in Leipzig und Altenburg, bei, sodaß sie auf den Verlagsartikeln bis 1814 abwechselnd mit den drei Städtenamen Amsterdam, Leipzig und Altenburg erscheint, bis er von 1814 an blos F. A. Brockhaus firmirte, zuerst Altenburg oder Leipzig, von 1817 an blos Leipzig als Verlagsort angebend.] Hierüber sagt er in einem Briefe:



Aus Zartgefühl trennte ich bei zunehmenden Geschäften Hrn. Rohloff von unserm Geschäfte, um auch nicht den Schatten von Besorglichkeit in der Seele des guten Mannes aufkommen zu lassen, die er doch haben mußte, da sein Name gebraucht wurde.


Jenes erste Circular, aus dem die Absichten des Begründers gleich deutlich hervorgehen, lautet:



    Amsterdam, den 15. October 1805.



Die Unterzeichneten haben die Ehre, Ihnen hiermit anzuzeigen, daß sie hierselbst ein Kunst- und Industrie-Comptoir errichtet haben, welches einerseits zur Absicht hat, nationale Wissenschaft und Kunst zu befördern und das Ausland damit bekannt zu machen, als andererseits: den Freunden der Wissenschaften und schönen Künste in den Vereinigten Niederlanden Gelegenheit zu geben, sich Alles, was das gebildetere Ausland, vorzüglich Frankreich, England, Deutschland und Italien, in diesen Hinsichten Merkwürdiges darbietet, schnell verschaffen zu können.

Wir werden uns bemühen, für die Batavische Republik einen Central- und Verbindungspunkt zwischen nationaler und fremder Kunst und Wissenschaft zu bilden und dadurch einem längst gefühlten und allgemein anerkannten Bedürfnisse abzuhelfen.

Jeder Auftrag des Auslandes, der sich also auf niederländische Literatur und Kunst bezieht, wird demnach ebenso pünktlich und sorgfältig ausgerichtet werden als wiederum alle inländischen Literatur- und Kunstfreunde Gelegenheit haben, durch uns alle Literatur-, Kunst- und Musikproducte des Auslandes schnell und zu billigen Preisen erhalten zu können. Zu beiden Arten von Aufträgen empfehlen wir uns also ergebenst und werden wir uns beeifern, das Zutrauen, um welches wir bitten, durch die That zu verdienen.

    Rohloff & Co.

Dasselbe Circular wurde gleichzeitig in französischer Sprache versandt. Der französische Text weicht nur darin von dem deutschen ab, daß es im ersten Satze heißt: »que les soussignés viennent d'établir en cette ville un Institut de Commerce, sous la raison: Bureau des Arts et des Belles-lettres«, woraus sich auch die bereits erwähnte, nach damaliger Sitte ohne weitere Anzeige 1807 erfolgte Umänderung der Firma: Rohloff & Co., in die von: Kunst- und Industrie-Comptoir, erklärt.

Nähere Mittheilungen über die Gründung des buchhändlerischen Etablissements enthält ein Brief von Brockhaus an seinen Bruder, dem er sich natürlich gedrungen fühlte, sofort Kenntniß davon zu geben. Er schreibt aus Amsterdam vom 26. August 1805:



Ich habe Dir neulich ein paar Worte von einer neuen Unternehmung gesagt, wobei ich mich interessirt habe.[11 - Jener frühere Brief ist nicht mehr vorhanden; es hätte sich aus demselben der genauere Zeitpunkt ergeben, von welchem an ihn die Idee, eine Buchhandlung zu errichten, beschäftigte.] Ich kann Dir jetzt etwas mehr darüber mittheilen. Ein paar angesehene und sehr wohlhabende Personen, Freunde der Wissenschaften und Künste, haben sich nämlich mit mir zu einem Institut wie das Weimarer und Wiener Industrie-Comptoir vereinigt, freilich sehr im Kleinen, um weniger selbst etwas zu produciren als fremde Sachen zu debitiren. Der Plan ist außer allem Zweifel ganz vortrefflich und verspricht, da durchaus noch nichts Aehnliches im ganzen Lande besteht, reiche Belohnung. Buch- und Kunst- und Musikalienhandel, activ und passiv, werden seine Vorwürfe sein. Wir haben einen Hauptdirector und ich bin Nebendirector, weil ich meiner sonstigen Geschäfte wegen nicht viel Zeit dazu verwenden kann. Ich werde Dir nächstens mal den Plan, wie wir ihn Schimmelpenninck vorgelegt haben, zur Einsicht mittheilen.[12 - Auch diese hier in Aussicht gestellte spätere Mittheilung findet sich nicht vor und ist vielleicht gar nicht erfolgt. Ebenso wenig hat sich der dem Großpensionär Schimmelpenninck vorgelegte »Plan« des neuen Etablissements auffinden lassen.] Wir haben von diesem trefflichen Manne die lebhafteste Ermunterung erhalten und das Versprechen, uns auf alle mögliche Weise zu unterstützen.

Fürchte nicht, lieber Bruder, daß es mich in zu große Weitläufigkeiten setzen werde. Das wird nicht der Fall sein und kann es nicht sein, besonders da ich mein eigentliches Geschäft blos sehr mäßig treiben und höchstens darin einen Umschlag von 100000 Fl. bezwecken werde. Du kennst übrigens meine Liebhaberei für Literatur und Kunst und kannst also denken, wie angenehm es für mich sein wird, mich auf diese Art damit zu beschäftigen. Das Museum, das jetzt an 250 Mitglieder hat, wird unser Institut, da einer der Directoren, Clifford, dabei interessirt ist, zu seinem Fournisseur wählen, und schon dadurch allein ist uns ein Absatz von 6000 Fl. sicher. Die Einrichtungen sind übrigens so getroffen oder werden es (denn noch ist die Sache erst im Werden), daß ich wenig Arbeit damit habe, und es wird mich dasselbe nicht verhindern, Euch dies Jahr noch zu besuchen, wenn nicht von andern Seiten vielleicht was dazwischen kommt.


Wer der in diesem Briefe erwähnte »Hauptdirector« des projectirten buchhändlerischen Geschäfts war, neben dem sich Brockhaus nur als »Nebendirector« bezeichnet, ist nicht bekannt. Entweder blieb die Ernennung eines solchen ein bloßes Project, wie sich überhaupt das Geschäft und Brockhaus' Wirksamkeit in demselben bald wesentlich anders gestaltete, als er sie sich zuerst gedacht hatte. Oder — und das ist das Wahrscheinlichere — unter dem »Hauptdirector« war derjenige gemeint, der dem Publikum und speciell der »Gilde« gegenüber mit seinem Namen hervorzutreten hatte, der Buchdrucker Rohloff, während Brockhaus unter dem Namen eines »Nebendirectors« factisch der eigentliche Leiter des Geschäfts wurde. Denn in einem spätern Briefe an seinen Bruder (vom 25. August 1807) sagt er ausdrücklich, daß er der »alleinige Eigenthümer« der Firma Rohloff & Co. gewesen sei. Auch die »angesehenen und sehr wohlhabenden Personen«, von denen er in jenem frühern Briefe sagt, daß sie mit ihm zur Gründung des Geschäfts sich vereinigt hätten, sind wol schwerlich als Mitbegründer und Miteigenthümer des Geschäfts anzusehen; es waren vielmehr »Freunde der Wissenschaften und Künste«, die als solche und als seine persönlichen Freunde ihm mit ihrem Einfluß und selbst mit materiellen Mitteln zur Seite standen. So schreibt er einmal an seinen Bruder: »Ein wackerer Mann, dem ich mich entdeckte, fand meine Idee sehr gut, und ich erhielt von diesem auch noch dazu ein Kapital von 6000 Fl.« Dieser »wackere Mann« kann jener ebenerwähnte Mitdirector des Museums, Clifford, oder der Großpensionär Schimmelpenninck gewesen sein. Von letzterem wurde Brockhaus jedenfalls auch materiell bei seinem neuen Unternehmen unterstützt, wie aus spätern Rechnungspapieren hervorgeht. Ferner nennt er später einmal dankbar folgende Namen als solcher Amsterdamer, die ihm in ähnlicher Weise zu Hülfe kamen, ohne daß uns Weiteres als eben diese Namen bekannt geworden: Gulcher, Falk, Hultmann, Rodde. Möglich ist indeß auch, daß es ursprünglich auf ein Actienunternehmen abgesehen war, das sich später zerschlug.

Aus dem oben mitgetheilten Briefe geht ferner hervor, daß Brockhaus zunächst durchaus nicht die Absicht hatte, sein »eigentliches« kaufmännisches Geschäft aufzugeben; er wollte dieses nur, wie er es schon Ende 1804 sich selbst und seinem Bruder versprochen hatte, nach den bösen Erfahrungen der letzten Zeit wesentlich einschränken und neben demselben, gewissermaßen als Liebhaberei, das neue buchhändlerische Geschäft betreiben. Dieses beabsichtigte Verhältniß kehrte sich allerdings bald um: das buchhändlerische Geschäft wurde die Hauptsache, das kaufmännische die Nebensache, sei es, daß er das letztere absichtlich immer mehr einschränkte, oder daß dasselbe immer weniger rentirte, sei es, daß das erstere sein Interesse und seine Thätigkeit mehr in Anspruch nahm als er sich gedacht hatte. Indeß gab er das kaufmännische Geschäft immer noch nicht ganz auf, sondern betrieb es nebenbei mehrere Jahre fort, bis zu seinem Weggange von Amsterdam, obwol er noch mehrmals sich ganz davon loszumachen versuchte. Eine solche Doppelstellung erscheint in unserer Zeit der Arbeitstheilung ungewöhnlich; damals und bei dem raschen Wechsel der politischen Verhältnisse kam sie öfter vor.

Des Zusammenhangs wegen mögen aus dem bereits erwähnten spätern Briefe an seinen Bruder vom 25. August 1807 einige Stellen gleich noch hier folgen:



Ich halte es für den glücklichsten Gedanken meines Lebens, daß ich, als vor zwei Jahren ich die Unmöglichkeit begriff, mein Geschäft in englischen Manufacturwaaren mit Glück, Ruhe und Segen fortführen zu können, um davon meine schwere Haushaltung und Ausgaben zu bestreiten, daß ich da den Entschluß faßte, hier ein Etablissement für Buch- und Kunsthandel zu errichten, wie es in unserm Lande keines gab, das mir ein gutes Auskommen versprach, keinen übergroßen Fonds erforderte und das meinem Genius vollkommen angemessen war. Indessen hatte ich zur Absicht, doch ein noyau für Manufacturgeschäfte beizubehalten, um in günstigern Zeiten es vielleicht wieder aufzufassen und weiter auszudehnen. Ich war zu der Zeit einer der Directoren unsers Museums und meine Idee wurde dadurch sehr begünstigt ... Durch die Kenntniß und durch die Thätigkeit, welche ich in das neue, meinem Sinne so angemessene Geschäft legte, wuchs solches bald bedeutend, und ich entschloß mich, den noyau, den ich noch von Manufacturen angehalten hatte, fahren zu lassen und mich ganz und allein dem neuen Geschäfte zu widmen, für welches, wie wol Jeder gestehen wird, der mich kennt, ich Jedem und mir selbst außerordentlich berechnet schien ... Antheil hat Niemand am ganzen Geschäfte als ich allein. Ich lasse indessen im Publikum die Idee gelten, als ob mehrere dabei interessirt wären.


Er erwähnt dann noch, daß er seine »andere sehr lucrative aber lästige Unternehmung« (den kaufmännischen noyau) zu verkaufen beabsichtige; indeß findet sich keine Notiz, ob und wann dieser Plan zur Ausführung gekommen.

Doch kehren wir zu dem Beginn seines buchhändlerischen Unternehmens im Sommer 1805 zurück, das er, wie alles im Leben, sofort mit lebhaftem Eifer und nach großartigen Gesichtspunkten anfaßte.

Noch vor Erlaß des Circulars schrieb er an einige größere Buchhandlungen, um gleich bei Eröffnung seines Geschäfts wohlgerüstet auftreten zu können. Nur zwei solcher Briefe sind uns erhalten, beide an Breitkopf & Härtel in Leipzig gerichtet.[13 - Unter Bezugnahme auf diese Correspondenz übersandte Brockhaus einige Wochen später demselben Hause sein Circular mit einer Nachschrift, und diesem Umstande verdankt die Firma F. A. Brockhaus das ihr von jenem Hause freundlich überlassene einzige Exemplar ihres Begründungscirculars. Sie erhielt dasselbe im Jahre 1856, aus Anlaß ihres am 13. und 14. Juli jenes Jahres gefeierten funfzigjährigen Jubiläums, das somit schon am 15. October 1855 hätte begangen werden können.]

In dem ersten, Amsterdam, 5. September 1805 datirt und noch nicht mit der Firma des neuen Geschäfts, sondern »A. Brockhaus« unterzeichnet, heißt es:



Einige Freunde der Literatur und schönen Künste haben sich entschlossen, hierselbst eine Buch- und Kunsthandlung anzulegen nach einem ganz neuen Plane, und dadurch für unsere Republik einem sehr gefühlten Bedürfnisse abzuhelfen. Es wird sich solche mit eigenem Verlage und mit Sortiment befassen und sich überhaupt bemühen, der Verbindungspunkt zwischen nationaler und ausländischer Wissenschaft und Kunst zu werden. Der vollkommene Mangel eines solchen Instituts in den Vereinigten Niederlanden, die glückliche Lage derselben zur Unterhaltung eines Verkehrs mit allen Nationen, selbst mit fremden Welttheilen, der Geist der Zeit überhaupt und endlich die Kenntnisse, der Eifer und die Mittel der Unternehmer — Alles dieses läßt der Unternehmung mit Wahrscheinlichkeit einen guten Erfolg hoffen.

Es sind noch einige Hindernisse, die in dem Zunft- und Gildenwesen ihre Ursachen haben, zu beseitigen, und wir müssen also die Herumsendung unserer Circulare, woraus Sie alles Nähere ersehen werden, so lange aussetzen. In einigen Wochen wird solches aber spätestens geschehen. Bis dahin habe ich, einer der Mitunternehmer, übernommen, schon einige Einleitungscorrespondenz anzufangen, und in dieser Qualität bin ich deshalb auch so frei, Ihnen das Gegenwärtige zu adressiren. Es soll sich dasselbe heute allein auf Ihren Musikverlag beziehen. Musikalienhandlung liegt vorzüglich mit im Plane unsers Instituts, da wir darin uns des besten Erfolgs schmeicheln dürfen, weil hierin fast nichts in unserer Republik gethan ist, unerachtet in derselben eine ausgezeichnete Liebhaberei für jede Gattung der Tonkunst statthat. Wir wünschen zu diesem Zwecke also mit den vorzüglichsten Musikalienhandlungen in Deutschland, der Schweiz und Frankreich in Verbindung zu treten und von denselben ihren Verlag in Commission zu erhalten, indem — wenigstens vor der Hand — es ganz unmöglich ist, sich selbigen gleich auf eigene Rechnung anzuschaffen.

Meine ergebenste Frage an Sie ist also hierdurch: ob Sie sich hierzu wol entschließen möchten, und wenn das: ob Sie sich, was wir wünschen müssen, auf uns für unsere Republik einschränken und künftige ähnliche Anfragen zurückweisen wollen, solange unser Verkehr und Vertrieb Ihnen ansteht, und drittens: welches Ihre Bedingungen, Vortheile und Rabatte sind, die Sie zugestehen.


Aus einer Notiz auf dem Briefe ist zu ersehen, daß Breitkopf & Härtel in Leipzig unterm 11. September antworteten:



40 Procent gegen Baarzahlung, wenn er für netto 100 Thlr. nimmt; das franco Remittirte tauschen wir gegen andere Sachen aus.


Darauf erwidert Brockhaus unterm 27. September:



Ihre Zuschrift vom 11. d. M. habe ich wohl erhalten und sie unserm Institute vorgelegt. Es hat dieses nichts dagegen, Ihnen zum Anfange comptant zu zahlen, jedoch unter der von Ihnen selbst angebotenen Bedingung, von Zeit zu Zeit das nicht Verkaufte gegen andere Artikel vertauschen zu können, und unter der, daß Sie uns anstatt 40: 50 Procent Rabatt geben. Wenn Ihnen dies convenirt, so wollen Sie für circa 400 Thlr. der neuesten und am meisten gesuchten Sachen — ein Sortiment von Allem — für uns auslegen und über Zwoll p. Adr. des Herrn F. L. Schlingemann an mich mit dem Postwagen absenden. Wir bitten Sie, diese Auswahl in jeder Rücksicht auf das sorgfältigste und geschmackvollste zu treffen. Es ist unser Debüt in diesem Artikel und also um so nöthiger. Den ungefähren Betrag de circa 200 Thlr. wollen Sie in zwei Monat dato in holländischen Ct. Fl. (Courant-Gulden) nach dem dortigen Course auf mich bei der Absendung entnehmen. Factura und Avis über Ihre Tratte erwarte mit der Briefpost.


Aus dieser Correspondenz ersieht man, wie leicht sich Brockhaus in die neuen Geschäftsverhältnisse fand, die ihm bisher ganz fremd waren, da er doch nie den Buchhandel oder gar den Musikalienhandel »erlernt« hatte, und wie umsichtig er sein Geschäft begann. Für die bestellten Musikalien fand er auch bald einen regelmäßigen Abnehmer, indem ihm die Direction des großen Concerts die Lieferung ihres Bedarfs übertrug; dies geschah indeß erst am 21. October, während er jene erste Bestellung bereits am 27. September aufgegeben hatte. Auch das Museum übertrug ihm sofort die Lieferung seiner Zeitungen und Bücher.

Um mit dem deutschen Buchhandel ordnungsmäßig verkehren zu können, hatte er, auch noch vor Erlaß seines Circulars, einen Commissionär in Leipzig gesucht und in der Person des Herrn Heinrich Gräff gefunden; er erwähnt seiner bereits am 5. September in dem ersten Briefe an Breitkopf & Härtel.

Aber noch kühnere Ideen hegte er gleich bei Beginn seiner buchhändlerischen Laufbahn: er dachte sofort auch an die Errichtung einer Buchdruckerei in Amsterdam! In demselben Briefe heißt es:



Durch Herrn Gräff habe ich mir auch schon eine Probe von Ihrer Schriftgießerei erbeten, da wir die Absicht haben, auch ehestens eine Druckerei anzulegen, wozu wir wol gezwungen sind, da in unserer ganzen Republik keine Buchdruckerei existirt, die nur etwas Erträgliches zu liefern im Stande wäre.


Dieses Project kam freilich damals nicht zur Ausführung, sondern erst in viel späterer Zeit (1818 in Leipzig), wie so manche Einrichtungen in dem von ihm begründeten Geschäfte, zu denen er noch den Keim gelegt hatte.

Daß er sich überhaupt auch für das seinem Ideenkreise ferner liegende technische Gebiet interessirte, geht noch aus folgendem, unterm 12. Juli 1805 an Professor Gubitz in Berlin gerichteten Briefe hervor, der zugleich zeigt, wie sorgfältig er schon damals die deutsche Journalliteratur verfolgte:



Durch die Discussionen, die unlängst zwischen Ihnen und Hrn. N. N. im »Freimüthigen« und in der »Zeitung für die elegante Welt« Platz gehabt und meiner Meinung nach sich auf eine sehr schmeichelhafte Weise für Sie und die schöne Kunst, der Sie mit einem so edlen Enthusiasmus anhangen, geendigt haben[14 - Gubitz hatte sich von seiner ersten Jugend an mit großem Eifer der Holzschneidekunst gewidmet, um deren Wiederbelebung und Vervollkommnung in Deutschland er sich bekanntlich große Verdienste erworben hat. Ueber die hier erwähnten Anfeindungen theilt sein Memoirenwerk: »Erlebnisse von F. W. Gubitz. Nach Erinnerungen und Aufzeichnungen« (3 Bände, Berlin 1868-69), I, 79 fg., Näheres mit.], bin ich auf Ihre Bemerkung: daß sich die Holzschneidekunst sehr zu unnachahmlichen Staatspapieren u. dgl. eigne, und durch die Anzeige, daß Sie sich mit Versuchen hierüber beschäftigten, insofern aufmerksam gemacht worden, daß ich einen Freund hierselbst, der einen sehr ansehnlichen Debit in gestochenen Wechseln (deutscher, holländischer und allen andern Sprachen), in Assignationen, Leistungen u. dgl. hat und der jährlich eine ganze Menge Platten abnutzt, ebenfalls aufmerksam gemacht habe, daß sich Formen aus Holz hierzu wol besser eignen und ihm einen ansehnlichern Vortheil abwerfen würden als Kupferplatten, die gleich abgenutzt sind. Mein Freund hat meine Idee sehr gut gefunden, und er hat mir demzufolge den Auftrag gegeben, mich mit Ihnen darüber zu unterhalten, welches zu thun ich mir hierdurch also die Freiheit nehme.

Meine ergebenste Frage an Sie wäre also: ob Sie sich auch wol schon mit solchen Gegenständen beschäftigt, als oben erwähnt, und ob Sie mir darüber nicht einige Proben einsenden können? Wenn das aber nicht wäre — ob Sie dann glauben, daß sich Ihre Kunst auch sehr zu Buchstaben und Zahlenzeichen eigne? Dann, was eine Platte, wie z. B. zu einliegendem Wechsel, kosten werde? Und endlich, ob Sie in den ersten drei Monaten wol Zeit haben würden, um ein halbes oder ganzes Dutzend von solchen und ähnlichen Formen fertig zu machen?

Recht sehr angenehm wird es mir sein, hierüber baldmöglichst und wenn's angeht mit umgehender Post ausführliche Antwort zu erhalten, und in dieser Erwartung habe ich die Ehre, mich Ihnen auf das höflichste und ergebenste zu empfehlen.


Als ein Zeichen von Vertrauen zu dem neuerrichteten Geschäfte darf es wol betrachtet werden, daß das altberühmte Haus Breitkopf & Härtel in Leipzig ihm schon auf den ersten Brief hin den Antrag machte, auch für den Vertrieb der Erzeugnisse seiner Pianofortefabrikation thätig zu sein. Diesen Vorschlag glaubte Brockhaus indeß doch vor der Hand ablehnen zu müssen. Er schrieb:



Zu einem Geschäft mit Pianoforten oder sonstigen Instrumenten sind wir noch nicht eingerichtet. Unser Institut ist erst im Beginnen und kann nicht Alles zugleich unternehmen. Auch hält man hier nicht viel von ausländischen Pianofortes, da man dafür hält, daß sie dem hiesigen feuchten Klima nicht widerständen, sodaß man fast nur einheimische von Van der Does, Meyer und andern ausgezeichneten Meistern gebraucht. Da ich mir indessen selbst eins anschaffen will, so dürfte ich mich vielleicht entschließen, dazu eins von Ihnen zu nehmen, und es könnte solches dann als Muster dienen. Melden Sie mir also gefälligst die Preise der verschiedenen Arten und Formen und melden Sie mir, welche jetzt die beliebtesten und gesuchtesten sind.


So nach allen Seiten hin blickend, legte Brockhaus mit sicherer Hand die Grundlagen zu seinem neuen Geschäfte.




3.

Erste journalistische Verlegerthätigkeit


Neben dem Sortimentsgeschäft: der Einführung ausländischer, besonders deutscher und französischer Literatur, mit Einschluß der musikalischen, nach Holland, widmete sich Brockhaus gleich im Beginne seiner buchhändlerischen Laufbahn mit fast noch größerm Eifer der Begründung eines Verlagsgeschäfts, das später die Hauptthätigkeit der von ihm begründeten Firma bilden sollte. Er fühlte, daß dieses allein seinem regen Geiste genügende Nahrung darbieten könne, wenn er auch wol noch keine Ahnung davon hatte, zu welchem Umfange dasselbe allmählich erwachsen werde. Und während er als Sortimentsbuchhändler von Anfang an die internationale Seite vorzugsweise ins Auge faßte und in seinem Geschäfte einen Mittelpunkt für den buchhändlerischen Verkehr der verschiedenen Nationen zu schaffen suchte (eine Idee, die von seiner Firma stets als ein Lieblingsgedanke gepflegt und, freilich erst lange nach seinem Tode, in einer Weise verwirklicht worden ist, wie sie ihm selbst vielleicht nur als Ideal vorgeschwebt haben mag), erfaßte er als Verleger zunächst die nationale Seite, indem er, um seinem Programm gemäß auch »nationale Wissenschaft und Kunst zu befördern«, journalistische Unternehmungen zu begründen suchte. Auch darin also hat er den Grund gelegt zu einer der Hauptthätigkeiten seines Hauses.

Als Deutscher in Holland lebend und durch Vorliebe besonders zur Literatur Frankreichs hingezogen, suchte er jeder dieser drei Richtungen gerecht zu werden; er begründete kurz nacheinander eine holländische politisch-literarische Zeitung: »De Ster«, eine deutsche zeitgeschichtliche Monatsschrift: Cramer's »Individualitäten«, endlich eine französische belletristische Vierteljahrsschrift: »Le Conservateur«.

Ueber diesen Beginn seiner Verlegerthätigkeit spricht er sich in einem Briefe an Karl Friedrich Cramer aus, der in dessen »Individualitäten« abgedruckt ist (wir kommen auf dieses Werk und seinen Verfasser bald näher zu sprechen) und auch seines sonstigen Inhalts wegen hier mitgetheilt zu werden verdient. Er schreibt aus Amsterdam vom 17. October 1805, also zwei Tage nach Erlaß seines Circulars:



Indem wir die Ehre haben, Ihnen angebogen ein Circular unsers hierselbst angefangenen Geschäfts zu übersenden, können wir uns das Vergnügen nicht versagen, uns noch näher mit Ihnen zu unterhalten; sowol weil wir wünschen, mit Ihnen in eine fortlaufende Geschäfts- und literarische Verbindung zu treten, als auch um Sie wegen Eines und Andern um Rath zu fragen.

Hr. B. (Brockhaus), Schreiber dieses, der vorzüglichere Unternehmer und Eigenthümer unsers Geschäfts, hat nämlich stets an Ihren Schicksalen den innigsten Theil genommen, und es gibt vielleicht wenige Personen, zu deren Individualität er sich von jeher so hingezogen gefühlt hätte als zu der Ihrigen. Als Knabe und Jüngling schon — er ist jetzo in den Dreißigern — interessirte ihn vielleicht kein Schriftsteller in dem Grade als Sie, mit Ihren rhapsodischen, kühnen, aber alles Edle und Schöne mit der innigsten Wärme umfassenden Schriften. Er schwärmte mit Ihnen bei der Morgenröthe der französischen Freiheit; Klopstock und Ihre Lieblingsschriftsteller waren die seinen; jede von Ihnen herausgegebene Schrift wurde von ihm mit Begierde gelesen; er litt mit Ihnen bei Ihrem Weggange von Kiel; er indignirte sich über die Xenien wider Sie; er begleitete Sie mit einem sorgsamen ängstlichen Auge nach Paris, wo er sich um dieselbe Zeit wegen Handlungsgeschäften gerade einige Wochen aufhielt, in denen Sie dort eben angekommen waren (kurz nach dem berühmten XIII. Vendémiaire), was er freilich nicht eher erfuhr als durch Reichardt's Journal.[15 - Hiernach ist also Brockhaus im October 1795 (der »berühmte XIII. Vendémiaire« ist der des Jahres IV, 5. October 1795, an welchem der Aufstand der pariser Sectionen oder der Nationalgarde gegen den Nationalconvent stattfand) in Paris gewesen, kurz vor oder nach seiner ersten Etablirung in Dortmund.] Seitdem forschte er nach, wo er nur konnte, ob es Ihnen wohlgehe; er suchte Alles zu lesen, was Sie von Zeit zu Zeit in Deutschland und Paris bekannt machten, und es ist ihm schwerlich etwas entgangen vom »Bardieten« an bis zu den »Tempelherren«, von der »hehren Jungfrau« bis zu Fischer's — seines persönlichen Freundes — »Valencia«.[16 - Letzteres Werk, »Gemälde von Valencia« von Christian August Fischer, erschien 1803 in Leipzig; die übrigen Namen sind Titel Cramer'scher Uebersetzungen: »Bardiete« ist Klopstock's »Hermannsschlacht«; »Die Tempelherren« heißt ein Trauerspiel von Raynouard.] Auch von den Arbeiten, wo Sie sich nicht nannten, wie oft im Journal »Frankreich«, in der »Eleganten Zeitung«, in den »Französischen Miscellen«, in den »Europäischen Annalen«, hat er Sie, und gewiß selten unrecht, errathen — Sie sehen also, daß wir uns wol als alte Bekannte constituiren können.

Damit Sie aber auch wissen, wer dieser Ihr unbekannter Freund ist, so wollen wir Ihnen das auch mit ein paar Worten sagen, Ihnen, der so viel auf Namen und individuelle Hinstellung hält. Ihr Freund heißt also .. Wilibald[17 - Dies ist der Name, mit welchem Cramer stets in seinem Werke Brockhaus bezeichnet; die Anwendung derartiger erfundener Namen statt der wirklichen war damals vielfach Sitte und eine specielle Liebhaberei Cramer's. Die oben angewendeten Punkte sind ebenfalls in dem Werke selbst gebraucht.], ist ein Westfälinger, von Dortmund gebürtig ... In Düsseldorf lernte er die Handlung. In Leipzig studirte er, wie man sagt .. nach Ablauf der Lehrzeit. Im Jahre 1798 etablirte er sich in seiner Vaterstadt und heirathete ein liebes Weib. Seine Handlung zog ihn im Jahre 1802 nach Holland, wo er sich denn diese Zeit her in Amsterdam niederließ und seine Handlung mit ... fortsetzt.[18 - Das hier weggelassene Wort enthielt schwerlich einen Namen, da Brockhaus in Amsterdam keinen Associé seines kaufmännischen Geschäfts hatte; es ist wol »Glück« oder ein ähnliches Wort absichtlich weggelassen.] Es geht ihm hier wohl und er lebt seinen Geschäften, seiner Familie und nebenher den Wissenschaften. Das jetzige Prohibitivsystem unserer Regierung gibt ihm in seiner Handlung mehr als gewöhnlich Muße, und aus alter Liebhaberei für Literatur und schöne Künste hat er die Idee zur Errichtung eines Kunst- und Industrie-Comptoirs gefaßt, und glaubt Zeit und Kenntnisse genug zu haben, es neben seinen andern Geschäften leiten zu können.

Die Geschäfte unsers Comptoirs sollen in Buch-, Musik- und Kunsthandel bestehen und in eigenen Verlagsunternehmungen, die uns dem Geiste der Zeit angemessen scheinen. Zu unsern Commissionen in Paris haben wir uns an Herrn Hinrichs gewendet ... besonders da wir bereits den ehrenvollen Auftrag erhalten, für das hiesige Museum alle und jede literarischen Neuigkeiten aller Sprachen zu liefern, ein Auftrag, der in jeder Hinsicht so wichtig für uns ist, daß wir ihm die größte Pünktlichkeit und Ordnung zu widmen schuldig sind. Wegen unsers Musiklagers bleibt es uns durchaus nothwendig, daß wir uns auf französische Musik legen. Die Mode will es; diese Musik ist jetzt hier à l'ordre du jour und da es in Amsterdam keine einzige gut oder auch nur einmal erträglich organisirte Musikhandlung gibt, so würden wir ...

Ich komme jetzt auf das Fach unserer eigenen Unternehmungen, die wir successive auszuführen suchen werden und worüber wir uns ebenfalls Ihren Rath und Beistand erbitten. Die ersten davon dürften sein:

1) eine holländische politisch-literarische Zeitung,

2) eine dergleichen für ...[19 - Hier ist von Cramer, als für den vorliegenden Fall unwichtig, wol ausgelassen: »französische Leser«; es ist damit jedenfalls die französische Zeitschrift »Le Conservateur« gemeint, von der später die Rede sein wird.]

Es gibt durchaus kein Land in der Welt, das ein größeres Interesse an dem Wechsel der Weltbegebenheiten nimmt als das unsere, weil keines ist, das den großen Herren in Westen, Süden, Osten und Norden so viel Geld geliehen als unsere Nation und wo ein so großer Handel mit Staatspapieren getrieben wird als hier. Man liest also in Holland mit verschlingender Neugier Alles, was nur wie eine Zeitung aussieht. Daher sind denn auch wol unsere Zeitungen ohne alle Ausnahme so schlecht und Wahrscheinlichkeit dafür, daß eine nach einem der jetzigen Zeit mehr angemessenen Plane vielen Beifall und einen brillanten Absatz haben würde. Wir haben also ...

Das wären mithin unsere Zeitungsunternehmungen. Andere literarische werden wir jede Messe einige machen, um in Leipzig Tauschartikel zu haben, da wir viel deutsche Bücher beziehen müssen. Sollten Sie also selbst etwas auf dem Amboß haben oder von Ihren literarischen Freunden dergleichen wissen, so bitten wir Sie recht sehr, dabei an uns zu denken. Sie werden es so gut fühlen als wir, daß unser Comptoir als ein junges neues Geschäft doppelt vorsichtig bei der Wahl seiner Verlagsartikel sein muß, und uns also nur so was anrathen und anbieten, dessen Beifall und guter Aufnahme Sie sicher wären. Ich habe in einem der neuesten Stücke der »Französischen Miscellen« die Ursache ersehen, warum Sie Ihr hinreißend interessantes Tagebuch nicht fortgesetzt haben, daß Sie es aber fortsetzen wollen. Haben Sie dazu schon einen Verleger? Sonst bin ich Ihr Mann. Es würde mir sehr viel Freude machen, wenn wir dieses anziehende Werk herausgeben könnten. Melden Sie mir mit umgehender Post doch das Nähere hierüber.

Ich denke, sollten Daunon, Chenier, Riouffe, Oelsner, Ginguené u. a. nicht auch noch Memoiren oder andere Producte ähnlichen Inhalts in ihrem Pulte besitzen? ... Sie kennen diese Männer alle. Denken Sie dabei an uns. Wir bieten die Hand und besitzen jedes Mittel dazu; u. s. w.


Bevor wir Cramer's Antwort auf diesen Brief mittheilen und die daraus hervorgehende geschäftliche und freundschaftliche Verbindung zwischen beiden Männern schildern, haben wir über die holländische Zeitschrift »De Ster« (»Der Stern«) zu berichten, da sie Brockhaus' erstes Verlagsunternehmen war.

Die erste Nummer dieser Zeitschrift erschien am 11. März 1806. Ein Redacteur ist nicht genannt, jedenfalls besorgte Brockhaus selbst die Redaction. Auch ein Verleger ist auf dem Blatte nicht namhaft gemacht, wie überhaupt das Erforderniß solcher Angaben erst eine Erfindung der spätern Preßgesetzgebung ist. Die Ankündigungen sind entweder »Der Unternehmer« oder »Die Expedition des Stern« oder »Das Expeditions-Comptoir in der Warmoesstraat No. 2« unterzeichnet. Gedruckt wurde das Blatt von J. G. Rohloff, dem Firmaträger des Geschäfts.

Der »Ster«, der dreimal wöchentlich in Klein-Folio-Format erschien, war keine politische Zeitung, sondern eine politisch-literarische Zeitschrift. In dem von »den Unternehmern« in holländischer Sprache ausgegebenen Programme heißt es ausdrücklich:



Das hauptsächlichste Ziel ihrer Zeitschrift soll nicht das sein, die allgemeine Neugierde nach politischen Gegenständen auf die gewöhnliche Art zu befriedigen, vielmehr werden alle sogenannten posttäglichen Zeitungsnachrichten davon ausgeschlossen bleiben. Statt dessen werden die Sammler dahin trachten, ihrer Nation die nähere Verbindung der besondern Weltverhältnisse kennen zu lehren; den Fortschritt oder das Zurückgehen der Cultur und Aufklärung bei andern Völkern zu ihrer Wissenschaft zu bringen und ihr dadurch gewissermaßen einen Prüfstein für ihre eigenen in die Hand zu geben; Nachrichten vom Zustande des Handels, der Manufacturen und Fabriken in andern Ländern mitzutheilen; Bemerkungen über dasjenige, was in dieser Rücksicht in unserm eigenen Vaterlande Neues an den Tag tritt einzuschalten; das lesende Publikum durch geistvolle Aufsätze aller Art angenehm und lehrreich zu unterhalten; endlich durch unparteiische Beurtheilungen einen Versuch zu machen, auf unsere Sitten, gesellschaftlichen Einrichtungen, einige Zweige der Staatsverwaltung von einigem Einflusse zu sein: eine Aussicht allerdings sehr weiten Umfangs, deren Nützlichkeit aber Unternehmer und Redacteurs sich Mühe geben werden, nie aus dem Gesichte zu verlieren.


Diesem Programm gemäß brachte »De Ster« neben Besprechungen von literarischen und Theaterangelegenheiten, die den größten Raum einnehmen und eigenthümlicherweise bisweilen auch in französischer und deutscher Sprache geschrieben sind, keine politischen Nachrichten, sondern Erörterungen über die politische Lage Europas. Bei aller Bewunderung der Französischen Revolution und ihrer Principien, die nach der damaligen Zeitströmung begreiflich ist und von dem Herausgeber Brockhaus persönlich getheilt wurde, hielt sich das Blatt doch fern von einer Verherrlichung Napoleon's und verrieth durchaus keine Sympathien für dessen nivellirende Maßregeln und immer deutlicher hervortretende Absicht, der am 16. Mai 1795 mit französischer Hülfe proclamirten Batavischen Republik wieder ein Ende zu machen; ja seine Politik wird bald offen gemisbilligt, bald durch versteckte Satire angegriffen.

Am 29. April 1805 war die Verfassung der Batavischen Republik auf Napoleon's Wunsch zum dritten male umgeändert und der Patriot Rütger Jan Schimmelpenninck, in dem er ein gefügiges Werkzeug für seine Plane zu finden hoffte, als Groß- oder Rathspensionär (unter Erneuerung dieses alten holländischen Staatsamtes) mit fast unbeschränkter königlicher Macht an die Spitze derselben gestellt worden. Schimmelpenninck benutzte seine Stellung aufs beste, um die durch Gebietsabtretungen an Frankreich und England geschwächte und finanziell zerrüttete Republik wieder zu heben. Doch gelang ihm dies nur zum kleinsten Theile, während er dadurch Napoleon's Mistrauen erweckte. Als sich bald darauf ein Augenübel Schimmelpenninck's so verschlimmerte, daß dieser fast ganz erblindete, benutzte Napoleon diesen Umstand, um den ihm jetzt gefährlich erscheinenden Patrioten zu beseitigen und mit seinem langgehegten Plane offen hervorzutreten. Er schlug vor, seinen Bruder Ludwig Bonaparte zum König von Holland zu wählen. Vergebens bemühte sich Schimmelpenninck, diesem gewaltsamen Aufdrängen eines Fremdlings entgegenzuwirken; Napoleon's Wunsch war damals so gut wie ein Befehl, und am 5. Juni 1806 wurde sein Bruder zum König von Holland ausgerufen, die Batavische Republik war todt. Das Königreich Holland von Napoleon's Gnaden hatte freilich auch keinen langen Bestand: die neuen Unglücksfälle, die das Land trafen, veranlaßten den König schon am 1. Juli 1810 die Krone zu Gunsten seines ältesten Sohnes (des ältern Bruders Napoleon's III.) niederzulegen, doch Napoleon erkannte dies nicht an; ein Decret vom 9. Juli 1810 vereinigte das Königreich Holland mit dem französischen Kaiserreiche, und erst im Herbste 1813 wurde durch die Schlacht bei Leipzig auch Hollands staatliche Selbständigkeit wiederhergestellt.

Wir mußten an diese geschichtlichen Daten erinnern, weil durch sie die Haltung und das Schicksal der jungen Zeitschrift erklärt wird. Als »De Ster« am 11. März 1806 zu erscheinen begann, bestand die Batavische Republik noch, und die Zeitschrift wirkte im Sinne des mit Brockhaus persönlich befreundeten Großpensionärs Schimmelpenninck. Indeß schon in ihrer Nummer 37 vom 3. Juni hat sie die Umwandlung der Republik in ein Königreich zu melden; in der zweitfolgenden Nummer 39 vom 7. Juni muß sie erklären, daß sie »auf Wunsch der Herren Magistratspersonen der Stadt Amsterdam« nicht fortfahren kann, »betrachtende Artikel, den gegenwärtigen Zustand unsers Vaterlandes betreffend«, aufzunehmen; die nächste Nummer aber, Nr. 40 vom 10. Juni, ist zugleich die letzte: »De Ster« war durch königlichen Befehl vom 9. Juni unterdrückt worden! Gründe dieses Verbots sind in dem betreffenden Decrete nicht angegeben; sie lagen wol darin, daß die neuen Machthaber überhaupt kein politisches Blatt dulden wollten, das nicht ganz ihren Absichten huldigte.

Trotz dieses Schlags verlor übrigens Brockhaus den Muth nicht; er gründete sofort ein neues Blatt unter dem Titel »Amsterdamsch Avond-Journal« oder vielmehr er änderte nur den bisherigen Titel »De Ster« in jenen um, denn das neue Blatt gleicht dem alten vollständig, sowol äußerlich wie innerlich, und tritt selbst so offen als unmittelbare Fortsetzung desselben auf, daß Nr. 2 den Schluß eines in der letzten Nummer des »Ster« begonnenen Artikels bringt! In der vom 19. Juni (also nur neun Tage nach dem Erscheinen der letzten Nummer des »Ster«) datirten Nr. 1 ist ein Auszug aus einem königlichen Decrete vom 16. Juni abgedruckt, worin die Erlaubniß zu dem neuen Blatte ertheilt ist. Dieses hielt sich indeß noch weniger lange als das frühere; es erschienen davon nur zwanzig Nummern, die letzte am 2. August, ohne daß über den Grund seines Aufhörens etwas mitgetheilt ist.

Einige Aeußerungen Cramer's (in seinen »Individualitäten«) über den »Ster« mögen als die einzige uns bekannte öffentliche Besprechung und zur Charakterisirung der Zeitschrift wie ihres Begründers hier folgen.

Cramer schreibt aus Amsterdam vom 17. Februar 1806:



Es werden noch manche Sterne aufgehen, denke ich, am hiesigen sowie an allen Horizonten der Welt. Einer, an dem ich einen so lebhaften Antheil nehme, als hätte ich ihn selber hervorgerufen aus dem Nichts, ist der, den uns unser Freund Wilibald[20 - So nennt, wie schon bemerkt, Cramer seinen Freund Brockhaus stets in den »Individualitäten«.] gleich in seinem ersten Briefe an mich angekündigt hat, und womit er jetzo in voller Arbeit begriffen ist. Die Zeitung, die er so nach einem bereits in Engelland funkelnden benennt, aber die durchaus nicht ganz politisch sein soll, scheint nun, nach den vorläufigen unvermeidlichen Geburtswehen, ihrem ans Lichttreten ziemlich nah. Welch schönes Feld hat er darin, in Gemeinschaft mit so vielen der besten hiesigen Geister, die daran theilnehmen werden, für Wirkung auf Wissenschaft und Geschmack in all den mannichfaltigen Aesten und Zweigen des großen Baums der Erkenntniß Gutes und Böses vor sich! Es ist ein völlig jungfräulicher Boden; von keinem — zu meinem großen Verwundern! bisher in den sieben Provinzen urbar gemacht; eine Idee, um die man beneiden ihn muß. Ich will nicht sagen, daß sie unter den andern Couranten von Amsterdam, Rotterdam, Haag schimmern wird, »wie unter den Sternen der Mond«; — denn diese haben gar keinen Glanz; geben nichts als die magerste politische Kost, ohne jemals ein Fünkchen Raisonnement, in einem Schwall der tädiösesten Edictalcitationen, Tod- und Geburtannoncen, Nachrichten angekommener Schiffer, oder Gewürzkrämer- und anderer Notizen ersäuft, größtentheils auf schändlichem Papier mit noch schändlicher stumpfen Lettern gedruckt ... sie wird durch ihren Inhalt für denkende, gebildete Leser, für jeden Erkenntnißbegierigen ein Komet, ein wahres Phänomen von neuem Weltkörper sein. Alle möglichen literarischen auswärtigen Mittel, außer vielen inländischen, stehen ihm, der ein Kaufmann aus unsers Sieveking's Kategorie ist, zu Gebot; und da er im Kopfe den Zeug, aus Allem die Quintessenz zu wählen, besitzt, wird es sehr leicht für ihn werden, daß er an Interesse die »Freymüthigen«, die »Eleganten Zeitungen«, die »Auroren«, »Sphinxe«, und was weiß ich, wie sie alle heißen? so weit übertreffe, als der wieder aufgeweckte brüsselsche »Esprit des Journaux« nach dem ich unter allen Tag- und Monatsschriften in Paris am happigsten greife, die einzelnen Journale, aus denen ihn der Verfasser distillirt. Ueber die Organisation und Nativitätstellung dieses Sterns haben wir uns in den vergangenen Wochen fast tagtäglich unterredt; und uns gestern noch mit Bestimmung des emblematischen Druckerstockes dazu amüsirt. Einer aus Gille's Carte hat uns dazu zum Muster gedient, mit den gehörigen Veränderungen jedoch; so daß der blitzführende Adler unten in den siebenpfeiletragenden Löwen, und die Kaiserkrone in den batavischen Freiheitshut umgewandelt worden ist; zur Seite ein Eichen- und Lorbeerzweig, das Schöne zum Ernsten! — dessen Kreis der Stern denn durchstrahlt. Sobald was davon dem Telescop oder Auge sichtbar werden wird, gebe ich Dir weitere Nachricht.


Diese Nachricht findet sich in einem Briefe Cramer's vom 30. März, ebenfalls aus Amsterdam:



Als ich aus dem Ballet wieder zu Wilibald kam, fand ich seinen Landsmann, den Kaufmann Mallinckrodt aus Arnheim[21 - Der frühere Associé von Brockhaus.], noch bei ihm, einen vortrefflichen Gesellschafter und humanen Mann ... Vom »Sterne« hat er eben noch die ersten drei oder vier Blätter gesehen und einstecken gekonnt, die mit sehr piquanter Speise angefüllt sind; auf den ersten Netzwurf hat Wilibald doch gleich so viel Abonnenten gehabt, daß die Kosten gedeckt sind durch den Fang, und Tag vor Tag laufen der Schäflein mehr in die Hürden ein. Es stehen leckere politische, ästhetische, mercantilische Artikel drin; jedem Fremden, der holländisch mit Vergnügen lernen will, gibt der »Stern« die empfehlungswürdigste Uebungschrestomathie ab; schon erste der hiesigen Köpfe arbeiten daran (z. E. eine Kritik der Aufführung des Trauerspiels »Tancred«), es wird also eine Elite wahrscheinlich von Sprache, ein Schatz werden für das Lexikon und den Stil der Nation. Im vierten Stücke steht eine treffliche Uebersetzung von Sturzens Reise nach dem Deister, depaysirt, und hier nach Soesdyk hinversetzt; auch kömmt die hiesige Plantage darin vor. Ich denke: es wird den amsterdammer Damen gefallen, das Stück; und warum nicht den Rotterdammerinnen Haagerinnen, Delfterinnen, Gröningerinnen &c. auch? Giebt es Eine, in welcher Stadt auf der Erde es sei, der dies Schalksstück nicht aus dem Herzen und dem Wandel wie abgeschrieben gleichsam ist?


Cramer's schon mehrfach erwähnte »Individualitäten« waren das zweite journalistische Unternehmen des jungen Verlegers, ein deutsches neben dem holländischen »Ster« und dem französischen »Conservateur«. Denn wenn es uns auch nur in Buchform vorliegt, in vier Bändchen, die »Hefte« genannt sind, so zeigt doch die ganze innere und äußere Einrichtung (die Eintheilung in einzelne Abschnitte und Briefe mit fortlaufenden Daten, vom 2. August 1805 bis 26. September 1806) den journalistischen Charakter. Noch mehr geht dies aus dem am 15. März 1806 zwischen Brockhaus und Cramer darüber abgeschlossenen Verlagscontracte hervor. Danach handelte es sich um den in »freien Heften« herauszugebenden »ersten Jahrgang« eines Werks unter dem Titel: »Individualitäten aus und über Paris von Karl Friedrich Cramer und seinen Freunden.« Dieser erste Jahrgang sollte in zwölf Heften (die also wol als Monatshefte gedacht waren), jedes zu zwölf Bogen erscheinen; je drei Hefte sollten gleichzeitig einen zweiten Titel erhalten und dadurch als neue Theile des in den Jahren 1792-97 in Altona und Leipzig von Cramer herausgegebenen »Menschlichen Leben« bezeichnet werden. Das Werk sollte in Leipzig in der Breitkopf'schen Druckerei gedruckt werden und jedes Heft die Handschrift eines Gelehrten u. s. w. in einem Facsimile bringen, dessen Platte in Paris unter Cramer's Leitung zu stechen wäre. Ueber eine Fortsetzung des Werks in einem zweiten, dritten u. s. w. Jahrgange sollte neue Verständigung stattfinden. Also der Verleger in Amsterdam, der Redacteur in Paris, der Drucker in Leipzig, monatlich 12 Bogen (jährlich 144!), dazu artistische Beilagen und ein für damalige Zeiten und ein derartiges Monatsjournal ansehnliches Honorar (24 resp. 30 Francs für den Bogen klein Octav) — jedenfalls ein kühnes Unternehmen für einen angehenden deutschen Verleger im Auslande! Die Ausführung entsprach denn auch nur theilweise diesem Vorhaben: statt zwölf Heften erschienen nur vier (wenn auch meist mehr als zwölf Bogen enthaltend und jedes mit einem Facsimile) im Laufe von dreiviertel Jahren. Der Gehalt der Zeitschrift war indeß ein werthvoller, der ein etwas näheres Eingehen verdient, zumal darin auch einige biographische Mittheilungen über Brockhaus enthalten sind und der Herausgeber seinem Verleger persönlich nahetrat.

Vor allem müssen wir den Herausgeber selbst näher kennen lernen. Karl Friedlich Cramer war eine eigenthümliche Natur, in vieler Hinsicht der von Brockhaus ähnlich und diesen deshalb anziehend, wie Brockhaus in seinem ersten Briefe an ihn (vgl. S. 61 fg.) selbst schildert. Am 7. März 1752 in Quedlinburg geboren, wo sein Vater, der verdiente Kanzelredner Johann Andreas Cramer (auch als religiöser Dichter und Biograph Gellert's bekannt), damals Oberhofprediger war, kam er mit diesem noch als Kind nach Kopenhagen, dann nach Lübeck und Kiel. Er studirte in Göttingen, wo er Anfang 1773 in den Göttinger Dichterbund aufgenommen wurde, und lebte seitdem in Kiel, wo er erst Privatdocent, 1775 außerordentlicher und 1780 ordentlicher Professor der griechischen Sprache, der orientalischen Sprachen und der Homiletik an der Universität wurde. Als ein leidenschaftlicher Anhänger der Französischen Revolution wurde er 1794 seines Amtes entsetzt und selbst aus Kiel verwiesen. Den nächsten Anlaß dazu scheint er dadurch gegeben zu haben, daß er den bekannten französischen Revolutionsmann Péthion (der erst Jakobiner, dann Girondist war, als Royalist verdächtigt aus Paris entfloh und im Juli 1793 in der Gegend von Bordeaux todt aufgefunden wurde) in einer Ankündigung der Uebersetzung von dessen Werken einen Mann von »menschenfreundlichstem Geiste«, »einen Märtyrer seiner Rechtschaffenheit« genannt hatte! Nach kurzem Aufenthalt in Hamburg ging er 1795 nach Paris und errichtete dort eine Buchhandlung und Buchdruckerei, scheint damit aber schlechte Geschäfte gemacht und dabei sein ganzes Vermögen eingebüßt zu haben. Eine Zeit lang war er deshalb genöthigt, sich aus Paris zu entfernen. Er wendete sich nun wieder literarischen Arbeiten zu und starb in Paris am 8. December 1807.

Cramer war ein fruchtbarer, talentvoller und kenntnißreicher Schriftsteller, der lange Zeit auch großes Ansehen genoß, aber excentrisch und von einem Hang zum Sonderbaren beherrscht. Anfangs concentrirte sich seine literarische Thätigkeit um seinen fast 30 Jahre ältern Landsmann Klopstock (geb. 2. Juli 1724 in Quedlinburg), der mit Cramer's Vater befreundet war und z. B. 1754 dessen Berufung nach Kopenhagen veranlaßt hatte, nachdem dieser selbst 1751 auf Graf Bernstorff's Veranlassung dorthin gegangen war. Auch war der Göttinger Dichterbund, dem Cramer angehörte, der Mittelpunkt der damaligen begeisterten Verehrung Klopstock's. Cramer schrieb in den Jahren 1777-92 zwei große Werke über Klopstock, das eine aus zwei, das andere aus fünf Bänden bestehend, und übersetzte unter anderm dessen »Hermannsschlacht« ins Französische. Daß Klopstock auch seinerseits viel auf Cramer hielt, geht schon daraus hervor, daß er eine seiner schönsten Oden an ihn richtete; es ist die 1790 gedichtete Ode »An Cramer, den Franken«, in der er das französische Volk vor neuen Ueberschreitungen warnt, zugleich aber die Fürsten mahnt, sich durch das Gespenst des untergegangenen Königthums warnen zu lassen. Ein zweites Stadium der Schriftstellerlaufbahn Cramer's bildet das bereits erwähnte Werk »Menschliches Leben«, ein drittes umfaßt drei von ihm in Paris geschriebene Werke: ein »Tagebuch aus Paris« (2 Bände, Paris 1800), die »Individualitäten aus und über Paris« und ein gleichfalls von Brockhaus verlegtes Buch »Ansichten der Hauptstadt des französischen Kaiserreichs vom Jahre 1806 an. Von Pinkerton, Mercier und C. F. Cramer« (2 Bände, 1807-8), außerdem ein Wörterbuch der deutschen und französischen Sprache (2 Bände, Braunschweig und Paris 1805) und zahlreiche Uebersetzungen aus dem Französischen ins Deutsche und umgekehrt, auch aus dem Dänischen, sowie Artikel in französischen und deutschen Journalen.

Brockhaus trat mit Cramer erst im Herbst 1805 in Beziehungen, indem er am 17. October jenen Brief an ihn richtete, in welchem er ihm seine Verehrung aussprach und mehrere literarische Anträge stellte. Ihre Verbindung dauerte gerade nur zwei Jahre, da Cramer, wie eben erwähnt, am 8. December 1807 starb, war aber in dieser kurzen Zeit eine sehr freundschaftliche und selbst innige. Cramer antwortete auf den erwähnten Brief sofort am 24. October, sichtlich erfreut über die warme Begrüßung (seine Antwort folgt weiter unten) und es entspann sich daraus ein lebhafter Briefwechsel, ja Cramer kam im Februar des nächsten Jahres nach Amsterdam und blieb dort drei Monate, in täglichem geschäftlichen und persönlichen Verkehr mit Brockhaus. Als diesem am 28. Januar dieses Jahres (1806) der dritte Sohn geboren war, gab er ihm auf Cramer's Rath den Namen Hermann. Er schreibt darüber unterm 25. Februar folgende Worte an seinen Bruder Gottlieb, die am besten das Verhältniß zwischen ihm und Cramer charakterisiren:



Die Wahl dieses Namens machte mein Freund, der Professor Cramer aus Paris, der sich seit einigen Wochen hier aufhält und während seines hiesigen Aufenthalts unser unzertrennlicher Gesellschafter ist, da vielleicht keine zwei Menschen auf der Erde existiren, die eine größere Aehnlichkeit in ihren Neigungen, in ihrem Geschmacke und in ihren Ansichten der Welt zusammen haben, als wir Beide. Er ist überhaupt einer der interessantesten Menschen, die ich kenne, und ich rechne die Wochen, die ich mit ihm verlebt, zu den glücklichsten meines Lebens.


Cramer äußert sich seinerseits mehrfach in ähnlicher Weise über Brockhaus. So schreibt er aus Amsterdam unterm 30. März 1806 in den »Individualitäten«:



Fast alle meine Abende, wenn mir nicht gar zu arg von Morpheus zugesetzt wird, bring' ich bei unserm Freund Wilibald zu und seinem lieben Weibe, die an schöner deutscher Häuslichkeit, Gutheit, Freundlichkeit und Verstand zu meinen Idealen gehört; ich glaube mich manchmal in Eutin bei Vossen wieder zu sehen, dessen Ernestine sie sehr gleicht. Bei Erdäpfeln, fast noch nationaler hier, als die Canäle und Alexandriner sind, und die ich gebraten (à l'italienne) sehr gern mag, Fischen und trefflichem Beaunewein schwatzen wir oft bis tief in die Nächte hinein, schlummern dann und wann auch an der Torfglut des englischen Camins ein Duettchen zusammen; ich habe bei meiner Modehändlerin, Madame Müller, bei der ich, zehn Schritt ab von seinem Hause, mich einquartirt, meine Zerstreutheit so in Credit zu setzen gewußt, daß sie mir den Schlüssel zu ihrer Boutique anvertraut und ich in der Kunst, sie mit einer eisernen Stange wieder zu schließen, von ihr unterrichtet worden bin; so schlüpfe ich denn manchmal des Nachts um 12 oder 1 erst wieder zu mir herein.


Das obige schöne Wort über Brockhaus' Frau verdient um so mehr mitgetheilt zu werden, als uns über dieselbe sonst leider sehr wenig bekannt ist. Später richtet Cramer einmal einen (im vierten Hefte der »Individualitäten« abgedruckten) Brief »An Sophie« statt »an Ihren unmusikalischen Mann«, weil er über den Componisten Grétry spricht, und fügt hinzu:



Indem ich dies Stück Tagebuch schreibe, kömmt es mir vor als säße ich bei Ihnen und läse Ihnen daraus, indem Sie die Fliegen von der Wiege Ihres kleinen Hermann's verscheuchen ... ach! welch ein Name für mein Herz.


Brockhaus ließ in dieser Zeit auch das Porträt Cramer's für sich malen (wahrscheinlich von dem ihm befreundeten Scheffer, dem Vater Ary Scheffer's), und trennte sich später nur schwer davon, um es Cramer's Witwe zu schenken.

Cramer's früher schon erwähnte Antwort an Brockhaus, datirt Paris 2. Brumaire XIV (24. October 1805), lautet:



Seit langer Zeit ist mir kein lieber Brief zugekommen, der mir so viel Freude gemacht, als der Ihrige; Freund Kühnwille! der Sie sind. Wie sachte es einem so vielfach angefeindeten, gescheuchten, so oft vorschnell verurtheilten Ismael thut, wenn er in den arabischen Syrten auf einen Esau-Kühnwille trifft, einerlei zottigen Haares mit ihm; davon hat nur ein Wüstenbewohner Begriff. Eng verbündet er sich und willig mit ihm, der ihm so frank seine Gleichförmigkeit enthüllt; so viel Edles von jugendlichem Antheil ihm sagt; ihn kennt und erkennt; wie eng und wie gern, dazu schenken Sie ihm der Worte Weitläufigkeit wohl. Er fühlt es, daß seine Seele mit der Ihrigen gebrochen ward aus einerlei Gestein. Also kurz und bündig, wie er's izt kann, in dieser herben und schnöden Zeit, zur Sache. Er nimmt die ihm vorgelegten Materien sogleich Punktweise vor ...

Wegen Ihres dritten Gedankens, mein weitaussehender Herr: alors comme alors! Kömmt Zeit, kömmt auch Rath! Ich gehe mithin sogleich an Ihren vierten Punkt, der die Uebernehmung der Fortsetzung meines Tagebuches betrifft. Hätt' ich doch niemals geglaubt, ich Strauß, der seine Eier sogleich, wie er sie gelegt, im Sande vergißt, daß jenes seit acht Jahren verscharrte ausgebrütet worden sei; und ein klein Sträußchen geworden, das sich bis zu Ihnen nach Amsterdam hin verirrt! Ich wenigstens habe von keinem Menschen, über Aufnahme oder Nichtaufnahme davon (außer von Klopstock, der mir mit meinem »Marcus Sextus« darin seine vollste Zufriedenheit bezeugt) auch nur ein Sylbchen gehört. Es ward, da ich mich in Frankreich nicht mehr mit deutschem Verlage befassen gewollt, und August Campe mir dazu seine »Vermittlerschaft« versagt, von ihm wider meinen Wunsch an Kaven vertraut; bei dessen plötzlichem Hinschied auf einem Dorfe zwischen Hamburg und Lüneburg, es in seine Masse, dann justizmäßig in die Gläubigerklauen gerieth; so daß mir auch kein einziger kupferner Sechsling Billons nur dafür ward. Nun — da mich denn neulich von Ohngefähr, bei Gelegenheit Raynouard's, der Fortsetzungskitzel dazu stach, und Ihre Sympathie nebst Kühnwillen Sie hinreizt, zu meiner »rhapsodischen kühnen Manier« — wohlan, so seien Sie vor allen Andern dazu denn mein .. Mann. An Stoff, in meiner und meines Vaters Correspondenz, die gar manche Artikel von Ersten Nahmen aus unserm und andern Vaterlanden enthält, und meinem Umherblick auf den Wüsten und Aeckern der Menschheit, fehlt es mir eben nicht; unser Babylon hier reichte mir deren allein schon genug. Ich brauche gegen Sie, der sich auf Dotem und Nicht-Dotem Libellorum versteht, keiner weitläufigen Verständigung deshalb. Die »Individualitäten« werden ohngefähr geben, was mein »Menschliches Leben«, und jenes vergessene Ei, das von jenem den zwanzigsten Theil füllt, enthielt; und da es, Ihrem Wunsche gemäß, zu einer Art von periodischen Salmi (aber um Gotteswillen, in freien Heften! denken Sie ans .. Mühlenpferd!) gedeiht, gleich den »Sphinxen«, »Auroren«, »Freymüthigen«, »Eleganten« u. s. w., deren jedes »Pages« (siehe Diderot) und einige Quadersteine, nebst vielen Sandbröckeln, Moëllons, und Kalkausfüllseln, euch gibt; nicht bloß wilde Tellow-Ismaelitische Aufsätze reichen, im stricten und strictissimen Verstand, sondern auch, als Schnabelweide für die »Million«, eßbarere Hausmannskost, wie sie seit einigen Jahren, für den allgemeinen Gaumen der Neugier, in den »Miscellen«, »Politischen Annalen«, u. s. w. regelrechterer Art, und nicht ganz mit Verschmähung abseiten des Leservolks, gargekocht, zurechtgestutzt und aufgetischt worden sind. Ihr neuer Titel: »Individualitäten« bestimmt ihren .. Tadel und ihren Zweck; sie werden von Ismael Abdallah, der auch Artikel darin macht, herausgegeben und commentirt .. Die Tendenz dieser .. Kriegsnahmen ist Ihnen aus meinem »Tagebuche« bekannt.

Die Sosiasbedingungen dabei anlangend denn nun ... Ich erwarte über diese, mit der nächsten Post, Wilibald's Ja oder Nein: — (»Euer Ja sei Ja! und Euer Nein sei Nein!«) .. vielleicht schreibe ich Ihnen alsdann auch noch über ein andres Werk, das mich seit Jahr und Tag in poetischer und prosaischer Zweisprache beschäftiget; und das, von manchen Bauleuten verworfen bisher, zum Ecksteine Ihres jungen Buchhandels vielleicht wird. Dieser Marmor ist — wunderbar genug! von einem .. Weibe in England, aus dem schönsten parischen Bruche gehaun .. ich ciselire für Deutschland nur ein wenig daran; gelt, Sie haben wie jeder Andre, der nicht etwa der Berlepsch »Caledonia« las .. niemals etwas von .. Joanna Baillie gehört? Solch wunderbar Unbekanntbleiben, selbst in unserer alles Ausländische verschlingenden Lesenation, muß jeden Unbekannten für ein ähnlich Schicksal trösten darin. Für heute soviel genug, und .. Allah's heiligem und würdigem Schutze befohlen hiermit! ..


Brockhaus erwiderte sofort mit folgendem Briefe, datirt Amsterdam, 7. November 1805:



Hätte ich den Raum von 50 oder 60 Meilen, der uns von einander trennt, am Dienstage, wo ich Ihren lieben Brief vom 24. October erhielt, doch durchfliegen können, um Sie an meine Brust zu drücken und Sie zum Zeugen meiner Empfindungen über Ihre freundschaftlichen gegen mich geäußerten Gesinnungen zu machen! Ja, in Wahrheit, ein sympathetischer Zug treibt mich zu Ihnen hin, und mit Kindlichkeit sehe ich zu Ihnen hinauf, Klopstock's, Gerstenberg's, Kunzens, Schulzens, Baggesen's Freund ist mir ...[22 - Wiederholt sei bemerkt, daß derartige Auslassungen einzelner Worte von Cramer selbst herrühren.] Aber so soll es auch mit der innigsten Liebe, Freundschaft und .. zwischen uns bestehn, bis Sie oder ich vom Freunde Charon in jenes unbekannte Land hinüber gesteuert werden. So lange wir aber noch hienieden pilgern, und uns mit dem prosaischen Troste des bürgerlichen Lebens herumschlagen, oder uns wenigstens durchzuwinden haben, lassen Sie uns Einer dem Andern nützlich sein; uns helfen und rathen; zusammen uns freuen und — dem Gemeinbesten frommen, wo und wie die Gelegenheit sich zeigt. Ich gebe Ihnen meine Hand, daß Sie auf mich wie auf Ihr eignes Selbst rechnen können. Wenn Sie mich einmal näher kennen, werden Sie mir, hoffe ich, ein Gleiches zusichern. Sehr wahrscheinlich komme ich noch im Winter auf einige Wochen zu Ihnen. Ich will Ihnen also lieber von meiner Sehnsucht nach dorten Nichts sagen; denn wo könnte meine Prosa Worte finden, mein glühendes Verlangen auszudrücken?

Das dem Freunde; jetzt dem Geschäftsmann und Verfasser! ... Ich komme zu dem mich am vorzüglichsten interessirenden Punkte davon: der Herausgabe Ihres »Tagebuchs«. Sie haben also so wenig Urtheile darüber vernommen? Ich glaube das wohl; und es ist auch wirklich in Deutschland sehr wenig bekannt geworden. Ich selbst habe mir unsägliche Mühe gegeben, ehe ich's erhalten konnte. Ich ruhte indeß eher nicht, bis ich's hatte; und seitdem hat es immer mit zu meiner Leibgarde gehört, die mich nicht verlassen darf. Noch gestern Abend habe ich meinem lieben Weibe die beiden schönen Briefe an Kunzen daraus vorgelesen und mich aufs neue an dem Freundschaftsbunde gefreut, der zwischen Ihnen und jenem Edlen muß geschlossen sein. Und dann las ich wieder die für mich hinreißende Stelle vor, wo Sie von dem Funde des Colchicum und Ihrer Begeisterung dabei erzählen. Ach, wie haben wir Sie recht lieb; wie unsern Bruder und unsre Jugendfreunde.

Ich nehme Ihre Vorschläge zur Herausgabe alle an ... Der von Ihnen gewählte Titel ist sehr gut; bis auf die Noms de guerre. Diese, liebster Freund, wünschte ich ließen Sie weg. Ich könnte Ihnen diesen Wunsch mit einer Menge von Gründen motiviren; ich unterlasse es aber, da Sie, glaube ich, den größten Theil derselben ahnden werden. Nur Das: daß ich sicher bin, daß dem Werke dadurch häufig der Eingang wird erschwert werden; besonders hier in unserer Republik, wo ich doch auf einen ansehnlichen Absatz rechnen muß ... Ich sagte vorhin: ich vermuthe, daß Sie meine übrigen Gründe wegen dieser Nahmen ahnden werden. Thun Sie Das aber nicht, so werde ich sie Ihnen nächstens mittheilen ... Ich wünschte, daß der Titel folgenden Zusatz erhielte: von Cramer »und seinen Freunden«, damit Sie von diesen einige bewegen möchten, dann und wann ... mitzutheilen.

Auch glaube ich, daß es sehr gut wäre, wenn Sie anfingen, Ihre im Journal »Frankreich« und anderswo zerstreuten Aufsätze und Briefe zu sammeln; und besonders, als Supplement zu den »Individualitäten«, oder als Vor- oder Nebenläufer derselben, herauszugeben. Es ist sehr Vieles darunter, das, in der großen Masse jetzo ersäuft, so aufs neue zusammengestellt, und allenfalls mit einigen neuen Schüsseln vermehrt, als Ihr specielles Eigenthum Aufnahme finden dürfte; einige Artikel, wo die Kurzsichtigkeit des Menschen scheiterte, als die Triumphgesänge über den 18. Fructidor, die Erwartungen von Mercier's »Neuem Paris« .. die allein, däucht mich, wären wegzulassen. Was denken Sie zu dieser Idee? und wenn Sie sie goutiren und ausführen können, bin ich Ihr Mann. Ihr ersticktes »Tagebuch« fände aufs neue einen Platz darin ... Da Sie mit Ihren Anspielungen ein solcher Sphinx nun einmal sind, und es nur wenig Oedipe im Leservolke gibt, so dächte ich gar sehr: Sie behielten allerdings Ihre exegetische Tagebuchmethode, mit den angehängten Anmerkungen und Citaten, unten und hinter den Capiteln, selbst auf die Gefahr hin ein Pedant ein wenig zu erscheinen, bei ...


Cramer ging auf alle Wünsche seines Verlegers ein: die Veränderung des Titels und selbst die Weglassung der »noms de guerre«, obwol nur ungern, da er die Manie der Kriegsnamen nun einmal liebe und sie von jeher geliebt habe; er beruft sich deshalb auf das Beispiel von Lorenz Sterne (Yorik), Jung-Stilling und Jean Paul.

Es würde zu weit führen, auf den Inhalt der »Individualitäten« hier näher einzugehen, obwol dieselben viele interessante Beiträge zur Beurtheilung jener Zeit enthalten. Klopstock, Mirabeau, Grétry — literarische, musikalische, Theaterzustände von Paris und Amsterdam — feuilletonistische Plaudereien über die verschiedenartigsten Themata: dies der bunte Inhalt jenes wunderlichen Mitteldings zwischen Zeitschrift und Buch. Es ist nicht zu verwundern, daß die »Individualitäten« keine weitere Verbreitung und kein längeres Leben hatten: Cramer war trotz seiner unleugbaren Genialität nicht der geeignete Herausgeber, Amsterdam und Paris waren nicht die richtigen Ausgangspunkte einer für Deutschland bestimmten literarisch-politischen Zeitschrift. Die Absicht, die der Verleger damit verfolgte, hat er später — im »Hermes« und im »Literarischen Wochenblatt« — besser zu verwirklichen vermocht.

Ein drittes journalistisches Unternehmen des jungen Verlegers neben der deutschen Monatsschrift und der holländischen Zeitung war, wie bereits erwähnt, eine französische Zeitschrift rein belletristischen Charakters: »Le Conservateur. Journal de littérature, de sciences et de beaux-arts.« Dieselbe trat Anfang 1807 ins Leben, war also ebenfalls schon im Laufe des Jahres 1806, gleichzeitig mit den beiden andern Zeitschriften, vorbereitet worden. Sie erschien in Monatsheften von acht bis zehn Octavbogen, wovon je drei einen Band mit besonderm Titel bildeten, und war somit äußerlich wie auch innerlich ganz wie die großen französischen Revuen unserer Tage, z. B. die »Revue des deux Mondes«, angelegt. Die Zeitschrift bestand anderthalb Jahre lang, bis Mitte 1808, sodaß im ganzen sechs Bände davon erschienen sind. Nur zwei derselben, der dritte und vierte Band, liegen uns vor, die zugleich wenigstens ein Inhaltsverzeichniß der ersten beiden Bände enthalten, während weder ein Prospect noch ein Vorwort oder Schlußwort vorhanden ist.

Den Inhalt dieser Zeitschrift bildeten historische (namentlich zeitgeschichtliche), biographische, kunstgeschichtliche und literargeschichtliche Abhandlungen; ferner Erzählungen, Novellen und Gedichte; drittens Berichte über neue literarische Erscheinungen und über die Theater von Paris und Amsterdam; endlich kleinere Artikel über Verschiedenes, »Variétés« genannt.

Unter den Mitarbeitern, die fast stets mit ihren Namen unterzeichnet sind, befinden sich die besten französischen Schriftsteller jener Zeit, wie Bonald, Boufflers, Chateaubriand, Chénier, Ch. de Dalberg, Despréz, Dubois, Guingené, Lacretelle, Lebrun, Legouvé, Mercier, Bernardin de Saint-Pierre, Charles de Villers u. s. w.

Diesen Namen entsprechend ist der Inhalt der Zeitschrift ein sehr gediegener, und manche Abhandlungen haben bleibenden Werth. Natürlich beschäftigt sich die Mehrzahl der Artikel mit Frankreich; indeß hat diese Zeitschrift ebenfalls einen entschieden internationalen Charakter, indem sie auch England, in zweiter Linie Holland und am meisten Deutschland berücksichtigt. Fast in jedem Hefte finden sich Artikel aus oder über Deutschland. So bringt gleich das erste Heft einen Brief des Professor Erhard über eine Audienz der Deputirten der Universität Leipzig bei dem Kaiser Napoleon. In demselben Hefte beginnt Charles de Villers (der später in nähere Beziehungen zu Brockhaus trat) eine sich durch drei Hefte erstreckende Abhandlung über die wesentlich verschiedene Weise, wie die französischen und die deutschen Dichter die Liebe behandeln, wozu später noch ein Nachtrag kommt, der durch eine Tabelle erläutert wird. Ferner schreibt Charles de Dalberg, »Prince-Primat de Germanie«, über den Einfluß der schönen Künste auf das allgemeine Wohlbefinden. Später folgt eine Beschreibung der Düsseldorfer Galerie als Bruchstück einer noch nicht veröffentlichten Reise, ohne Namensnennung. Daran schließt sich der Abdruck einer von dem »historiographe prussien« Johannes von Müller am 20. Januar 1807 in der berliner Akademie gehaltenen Rede über den Ruhm Friedrich's des Großen. Im Aprilhefte von 1807 erschien auch zuerst der später als besondere Schrift gedruckte (und von uns noch näher zu erwähnende) Brief von Charles de Villers an die Gräfin Fanny von Beauharnais über die Ereignisse in Lübeck am 6. November 1806, der Villers viele Unannehmlichkeiten bereitete; er schildert darin offen die von seinen Landsleuten bei der Erstürmung Lübecks begangenen Greuel. Vielleicht als Gegengewicht gegen diesen Aufsatz ist in demselben Hefte eine von Villers angefertigte Uebersetzung der Rede enthalten, welche der bekannte Kirchenhistoriker Henke am 2. December 1806 zur Jahresfeier der Krönung des Kaisers Napoleon in der Universitätskirche zu Helmstedt hielt.

Ehe wir uns den übrigen Verlagsunternehmungen von Brockhaus in dieser Zeit außer den drei journalistischen zuwenden, mögen noch zwei Briefe desselben an seinen Bruder Gottlieb einschaltet werden.

Der erste ist der schon oben erwähnte vom 25. Februar 1806, den er aus Anlaß der Geburt seines dritten Sohnes schrieb:



Hermann, lieber Bruder, so heißt das Schäflein, womit der Himmel unsere kleine Heerde wieder vermehrt hat. So hieß der Edelste der Deutschen! Wir müssen uns ja jetzt wohl an Namen halten! Wo sind jetzt Männer unter unserer Nation? Oder vielmehr unter unsern Fürsten? Würden wir sonst die Schmach kennen, die jetzt schwer beladen auf uns liegt? O der schändlichen Rolle Preußens! Freilich für die Menschheit ist es gut, daß Bonaparte mit seiner Herkuleskeule die Pinsel und Knaben mit einem Schlage dahingestreckt hat. Wie würde Deutschland von zahllosen, sich immer neu recrutirenden Armeen von Kosacken, Kalmucken, Kroaten, italienischen und französischen Völkern zerrissen, geplündert und zerfleischt worden sein, wenn die Vortheile der Armeen sich balancirt hätten und nicht Schläge wie die von Ulm und Austerlitz gefallen wären. Aber Deutschlands Ehre? — sie ist zernichtet. Unnennbar groß ist aber Bonaparte geworden! Es ist wirklich fast kein Mensch, es ist ein Halbgott. Wäre er immer, was er zu zeiten ist, als Mensch, denn über ihn als Krieger und Regenten kann nur eine Stimme sein, wer würde ihn nicht unbedingt verehren, ja vor ihm niedersinken?

Verzeih diese Digression, zu dem der Name meines kleinen Hermann mich verleitet.


Hier folgt die früher abgedruckte Stelle über Cramer, dem er die Wahl dieses Namens verdanke. Darauf heißt es weiter:



Ueber die politische Lage unsers Landes circuliren tausend Gerüchte. Sehr fatal ist es, daß Schimmelpenninck so gut wie blind ist, — und daß man wenig Wahrscheinlichkeit zur Besserung hat. Das gibt nun den besten Vorwand für ihn, sich zu entfernen, oder für die Franzosen, sich unsers Gouvernements zu bemächtigen. Man spricht von einem Könige von Batavien, das Louis, ein elender Mensch, sein würde, Ostfriesland soll mit unserem Lande vereinigt werden u. s. w., doch wer kann wissen? Daß Dortmund ebenfalls wieder unter andere Herrschaft kommen wird, ist auch wol sicher. Wol Darmstädtisch oder Braunschweigisch. Was denkt man bei Euch davon?

Mit unserer literarischen Entreprise geht es immer crescendo. Wir erhalten jetzt einen Factor aus Deutschland. Mit medio März wird ein eigenes Haus dazu bezogen. Die Unternehmung kann eben so hochwichtig als sehr lucrativ werden. Mit dem 11. März fängt sie mit der Herausgabe einer Zeitschrift an, deren Wichtigkeit nicht berechnet werden kann, wenn sie einschlägt. Es ist dies eine politisch-literarisch-historische Zeitung, wie noch keine ...


Hier schließt der erste Briefbogen, der zweite ist leider nicht mehr vorhanden; die eigenen Aeußerungen von Brockhaus über den »Ster« wären von besonderm Interesse gewesen.

Der zweite Brief ist der von ihm unterm 25. August 1807 geschriebene, dessen auf sein Etablissement bezügliche wichtigste Stellen bereits mitgetheilt wurden, während der in anderer Beziehung interessante Anfang desselben hier folgen möge. Er schreibt:



Dein Brief war meiner guten vortrefflichen Sophie und mir am Donnerstag, als wir ihn erhielten, ein Fest der Erquickung, und bis spät in die Nacht unterhielten wir uns über euch, ihr Lieben, über Vergangenheit, Zukunft, und wie es einst noch werden möchte! und werden könnte! und werden mag. So sitzen wir alle Abend, einen wie den andern, da ich allein niemahlen für mich ausgehe, wenn ich Abends 8 oder 9 Uhr vom Comptoir abkomme, zusammen und verplaudern dann süße, dann bittere Stunden, je nachdem der Gegenstand heiter oder traurig ist. Wie ich mich so an diese Häuslichkeit habe gewöhnen können, daß es mir auch unmöglich ist, nur eine Stunde oder ein paar es anderwärts auszuhalten, ohne von Langeweile und Ueberdruß bis zum Aeußersten gefoltert zu werden; wie ich auch gar nicht mehr für diese Abendgesellschaften, wo es lustig und fidel hergeht, passe und eine recht alberne Figur darin spielen würde; wenn ich über diese wie so manche Veränderung nachdenke, so fühle ich freilich wohl, welch einen großen Theil daran die Begebenheiten meines stürmischen Lebens haben, allein in dieser Hinsicht kann ich die Resultate davon doch nicht anders als höchst beglückend finden. Dieses innere Leben! diese Veredlung unserer ehelichen Verhältnisse und Rückwirkung von da auf unser ganzes Gemüth, wodurch dieses etwas Hehres und Heiliges erhalten, hat wirklich etwas so Beseligendes, daß ich nicht wünschen kann, es möchte anders sein.

Unsere Bekanntschaften sind jetzt noch eingeschränkter als ehemals, und nur mit zweien Familien stehen wir auf einem wahren freundschaftlichen Fuß: die eine ist die unsers Arztes, eines vortrefflichen Mannes, der ein edles wackeres Weib hat; — sie sind nie einen Augenblick an uns irre geworden und ihre Freundschaft und ihr Edelmuth hat alle Proben ausgehalten. Die andere ist eine wackere Künstlerfamilie: er ein Deutscher, sie eine Holländerin. Beide große Maler und sie wieder eine der liebenswürdigsten und gebildetesten Frauen, die ich kenne. Auch ihr zwölfjähriger Sohn ist schon großer Künstler. Alle drei: Vater, Mutter und Sohn, haben Baggesen gemalt, wie er hier war, und nach der Zeichnung der Mutter lassen wir jetzt einen Kupferstich machen. Sie wird auch Sophie und mich malen — für dich, mein bester theuerster Bruder, Schwester, Vater. Harry wird Gustchen und Fritz malen, und das sollst du auch haben. Außer diesen beiden Familien, mit denen wir innigst verbunden sind, haben wir nur noch ein paar Bekanntschaften: wir sehnen uns aber auch nicht nach mehreren, da uns diese genug sind. Desto mehr lebe und webe ich dagegen im Briefwechsel mit mehreren auswärtigen Freunden, der eine zweite Würze meines Lebens ist: Baggesen ist der erste darunter, von Villers, der berühmte Verfasser des unsterblichen Werks über die Reformation, der zweite, Professor Fischer in Würzburg und mehrere andere schließen sich an sie an. So lebe ich.


Die in diesem Briefe erwähnten beiden Familien waren die des Arztes Nieuwenhuys und des Malers Jan Baptist Scheffer nebst seiner Gattin Cornelia, Aeltern des hier als zwölfjähriger Knabe erwähnten, später berühmt gewordenen Malers Ary Scheffer. Jan Baptist Scheffer war in Manheim geboren; er ging nach Holland, wurde zum Hofmaler des Königs Ludwig ernannt, starb aber schon 1809 in Amsterdam. Seine Gattin Cornelia, eine Holländerin, war ebenfalls Künstlerin und eine sehr anmuthige, auch literarisch gebildete Frau. Später zog sie mit ihren Söhnen Ary und Heinrich nach Paris und starb dort 1839. Ary Scheffer war am 10. Februar 1795 in Dordrecht geboren, kam dann mit seinen Aeltern nach Amsterdam und verließ dieses erst 1812, um sich in Paris weiter auszubilden; hier wirkte er bis zu seinem 1858 erfolgten Tode. In Amsterdam war er der Spielgefährte der ältesten Kinder von Brockhaus gewesen.

Die hier erwähnten Porträts scheinen leider nicht mehr vorhanden zu sein; über ihren Verbleib hat sich auch bei spätern durch Ary Scheffer selbst angestellten Nachforschungen nichts ermitteln lassen.




4.

Weitere Verlagsthätigkeit


Gleich im Beginne seiner Verlegerlaufbahn entwickelte Brockhaus auch auf andern Gebieten der Literatur einen nicht minder regen, vielseitigen und für einen Anfänger kühnen Unternehmungsgeist als den eben geschilderten in der Herausgabe von Journalen.

Von Cramer verlegte er außer den »Individualitäten« zunächst noch Uebersetzungen von sechs Dramen der von diesem enthusiastisch verehrten und Shakspeare zur Seite gestellten englischen Dichterin Joanna Baillie (geb. 1762, gest. 1851). Sie erschienen noch 1806 unter dem von Cramer herrührenden Titel »Die Leidenschaften« in drei Theilen, deren jeder wieder einen ähnlichen charakterisirenden Titel führt: »Die Liebe«; »Der Haß«; »Der Ehrgeiz«, später (1808 und 1809) auch einzeln in sechs Separatausgaben unter ihren Originaltiteln.

Außerdem veröffentlichte er noch (1807 und 1808) Cramer's deutsche Bearbeitung der Werke des Engländers Pinkerton und des Franzosen Mercier über das damalige Paris unter dem Titel: »Ansichten der Hauptstadt des französischen Kaiserreichs vom Jahre 1806 an« (zwei Bände, jeder mit einem Titelkupfer), von Cramer durch eigene Beiträge vervollständigt. Die Idee zu diesem Werke scheint von Brockhaus ausgegangen zu sein; Cramer sagt darüber in dem Vorberichte:



Mein Freund Wilibald, Pflegevater meiner »Individualitäten«, glaubte daher (und vielleicht nicht mit Unrecht), daß dieses Gemälde eines Engländers (Pinkerton) ... eines deutschen Kupferstichs nicht unwerth ... Er trug mir dieses Geschäft auf ... bat mich endlich sogar, von dem Meinigen noch hinzuzuthun und Pinkerton's Gemälde mit einigen (wie ich es für gut finden würde) Verzierungen oder hors d'œuvres zu vermehren. Wenn ich (wünschte er weiter) den ersten großen Vorläufer aller dieser Maler — »notre maître à nous tous!« — Mercier, dazu bewegen könnte, mir sein Atelier zu öffnen ... so (meinte er) würde diese Vereinbarung eines Engelländers, Deutschen und Franzosen eine vielleicht nicht unpikante Sache sein, und an jener ursprünglich hauptsächlich britischen Zeichnung wenigstens nichts verderben.


Neben Cramer war Jens Baggesen, der bekannte dänische Dichter, der gleichzeitig auch in deutscher Sprache schrieb (geb. 15. Februar 1764 zu Korsör, gest. 3. October 1826 zu Hamburg), einer der ersten Schriftsteller, mit denen Brockhaus in geschäftliche und freundschaftliche Verbindung trat. Er schloß mit Baggesen schon am 17. Juni 1806 in Amsterdam, wo dieser damals zum Besuche war, einen Contract über eine neue umgearbeitete Auflage seines idyllischen Epos »Parthenais oder Die Alpenreise«, die 1808 erschien, und wenig Tage darauf (21. Juni) über eine Sammlung seiner Briefe, die aber erst 25 Jahre später (1831), als beide Contrahenten gestorben waren, herausgegeben wurde. Im folgenden Jahre (16. Juli 1807) wurde dann ein neuer Contract über Baggesen's neueste Gedichte abgeschlossen, die fast gleichzeitig mit der »Parthenais« (auch 1808) unter dem Titel: »Heideblumen. Vom Verfasser der Parthenais. Nebst einigen Proben der Oceania«, erschienen. Von der »Parthenais« verlegte er außerdem eine französische Uebersetzung in Prosa, von dem bekannten Gelehrten Fauriel gefertigt; hieran knüpfte sich eine längere Correspondenz zwischen Brockhaus und Fauriel über das durch Baggesen's Schuld vielfach getrübte Verhältniß zwischen diesem und Brockhaus, worüber wir weiter unten Näheres mittheilen.

Allein nicht blos journalistische und poetische Werke waren es, mit denen sich der junge Verleger beschäftigte; er wagte sich sofort auch an strengwissenschaftliche Werke größern Umfangs, deren Verlag zu allen Zeiten mit Opfern verbunden zu sein pflegt.

Schon 1807 erschien in seinem Verlage der erste starke Band einer lateinisch geschriebenen Geschichte der Botanik von dem gelehrten Arzt und Botaniker Kurt Sprengel in Halle: »Historia rei herbariae«, und im nächsten Jahre folgte der zweite Band; eine deutsche Bearbeitung desselben Werkes unter dem Titel: »Geschichte der Botanik«, erschien erst 1817-18 in seinem Verlage.

Fast gleichzeitig begann er ein noch umfangreicheres Werk desselben Verfassers zu verlegen: »Institutiones medicae«, in sechs Bänden, wovon der erste 1809 ausgegeben wurde, während die übrigen Bände in den Jahren 1810, 1813, 1814 und 1816, in einer für den Verleger theils seiner persönlichen, theils der politischen Verhältnisse wegen sehr schwierigen Zeit, erschienen. Indeß wurde bei diesem Werke sein Muth belohnt, indem er bereits wenige Jahre nach der Vollendung (1819) eine zweite vermehrte und verbesserte Auflage desselben veranstalten konnte.

Ein drittes wissenschaftliches Verlagswerk, das er gleich im Anfange seiner Verlegerthätigkeit übernahm, war die berühmte Naturgeschichte der Eingeweidewürmer von dem greifswalder (später berliner) Professor Karl Asmund Rudolphi (aus Stockholm); sie erschien unter dem Titel: »Entozoorum sive vermium intestinalium historia naturalis« (2 Bände, Band 2 in 2 Abtheilungen, 1808-10, mit 12 Kupfertafeln).

Ein viertes ebenfalls naturwissenschaftliches Werk, das er indeß wahrscheinlich nur als Commissionsartikel übernahm (auf dem Titel sind die Gebrüder van Cleef im Haag als Verleger genannt, während Heinsius' »Bücher-Lexikon« das Kunst- und Industrie-Comptoir in Amsterdam als solche bezeichnet) ist das Werk des bekannten französischen Botanikers Brisseau-Mirbel (damals im Haag, später in Paris) über eine Theorie des Gewächsbaues, mit französischem und deutschem Titel, herausgegeben von dem holländischen Dichter Bilderdijk, der sich vielfach auch mit naturwissenschaftlichen Studien beschäftigte. Eigenthümlicherweise ist der Text des Werks gleichzeitig französisch (links) und deutsch (rechts), während die Widmung an den König von Holland, die Vorrede Bilderdijk's und die ausführlichen Noten blos französisch sind. Bilderdijk entschuldigt sich in der Vorrede, daß er, in Amsterdam geboren, weder das Französische wie ein Pariser, noch das Deutsche wie ein »Sachse« schreibe; hiernach scheint auch die deutsche Uebersetzung von dem holländischen Dichter herzurühren.

Dem Jahre 1807 gehören noch drei Werke an, die von geringerer Bedeutung sind, aber gleich von Anfang an erkennen lassen, daß der Verleger die möglichste Vielseitigkeit seines Verlags erstrebte: ein französisches Reisehandbuch für Deutschland: »Itinéraire de l'Allemagne« (von dem Postmeister Raabe in Holzminden verfaßt), mit einer Karte; eine deutsche Uebersetzung des hauptsächlich nach Bossuet's Katechismus bearbeiteten, vom päpstlichen Legaten in Paris approbirten und von Napoleon obligatorisch eingeführten »Katechismus zum Gebrauche in allen Kirchen des französischen Kaiserreichs«; endlich eine deutsche Uebersetzung der berühmten Memoiren des französischen, in englische Dienste getretenen Schriftstellers Louis Dutens, der 1812 als britischer Historiograph in London starb, unter dem Titel: »Dutens Lebensbeschreibung oder Memoiren eines Gereiseten, der ausruht« (2 Bände), von dem durch sein Bibelwerk bekannten Johann Friedrich von Meyer in Frankfurt a. M. bearbeitet.

In dieser Zeit kam Brockhaus auch zuerst mit Villers in Beziehungen, die sich bald in freundschaftliche verwandelten und bis zu des Letztern Tode fortdauerten. Er veröffentlichte nämlich dessen berühmten »Brief an die Gräfin Fanny von Beauharnois«, worin Villers die Erstürmung Lübecks durch die Franzosen am 6. November 1806 und die dabei von denselben verübten Greuel als Augenzeuge schildert.

Charles François Dominique de Villers, geboren 4. November 1765 zu Bolchen in Lothringen, 1792 Artilleriehauptmann, floh bei Ausbruch des Revolutionskriegs 1793, von den Jakobinern bedroht, nach Deutschland, das fortan seine zweite Heimat wurde, und lebte meist in Lübeck, wo er viel mit der Familie Rodde verkehrte, besonders mit seiner geistreichen Freundin Dorothea Rodde, der Tochter des Geschichtschreibers Schlözer; 1811 wurde er zum Professor der Philologe an der Universität Göttingen ernannt, nachdem ihm 1809 wegen seiner »ausgezeichneten Verdienste um die deutsche Literatur« und besonders auch wegen seiner Bemühungen um das Wohl der Freien Hansestädte das Ehrenbürgerrecht von Bremen ertheilt worden war. Er wurde erst von französischer, dann von deutscher Seite mehrfach belästigt und starb 26. Februar 1815 in Leipzig.[23 - Diese und die folgenden Notizen sind meist einer kleinen Abhandlung des 1859 verstorbenen verdienstvollen Geschichtschreibers und Publicisten Professor Christian Friedrich Wurm in Hamburg entnommen, die unter dem Titel: »Beiträge zur Geschichte der Hansestädte in den Jahren 1806-1814. Aus den nachgelassenen Papieren von Carl von Villers«, in einem 1845 gedruckten Lectionsverzeichniß des Hamburgischen Akademischen Gymnasiums enthalten ist.] Villers machte es sich zur Lebensaufgabe, deutscher Literatur und deutschem Wesen dieselbe Anerkennung und Achtung in Frankreich zu verschaffen, die er selbst dafür empfand, und so beiden Ländern zu nützen. Wurm bemerkt über Villers:



Wie sehr es ihm Ernst war mit der wissenschaftlichen Erforschung deutscher Zustände, das beweisen seine größern Arbeiten: die Darstellung der Kant'schen Philosophie, und die gekrönte Preisschrift über die Folgen der Reformation für die politische Lage der verschiedenen Staaten Europas und für den Fortschritt der Aufklärung. Das letztere Werk ist in wiederholten starken Auflagen und in einer holländischen, zwei englischen und drei deutschen Uebersetzungen verbreitet.

In der Würdigung deutschen Geistes wetteiferten mit ihm Benjamin Constant und Frau von Staël. Mit Beiden war Villers innig befreundet. Constant hatte in Deutschland eine geistige Heimat gefunden, nur nach und nach söhnte er mit dem Entschluß sich aus, den die Ereignisse ihm fast wider Willen aufdrängten, seine wissenschaftliche Thätigkeit mit einer politischen in Paris zu vertauschen. Frau von Staël gefiel sich eine Weile in dem Gedanken, mit Villers vereint dahin zu arbeiten, daß der Gegensatz zwischen deutschem und französischem Wesen sich ausgleichen möge. Bald aber fand sie sich verletzt durch seine ausgesprochene Vorliebe für Deutschland, die sie ihm in tadelnden, selbst in harten Worten vorwarf. Als ihr selbst derselbe Vorwurf — freilich von ganz anderer Seite her und in ganz anderm Sinn — zurückgegeben ward, da flüchtete sie mit ihren Klagen zu dem alten Freunde.

Während ihrer langen Verbannung, der endlich der Sieg der fremden Waffen ein Ziel setzte, hatte ihre Liebe zur Heimat nur noch stärkere Wurzeln geschlagen. Anders war es mit Villers. Lebensschicksale, geistige Gewohnheiten hielten ihn von Frankreich fern, nicht irgendeine äußere, gebieterische Nothwendigkeit. In den frühern geflügelten Worten der Frau von Staël lag ein Stachel, den er tief und schmerzlich empfand. Glücklich, selbst inmitten einer ehrenvollen und vielbewunderten Thätigkeit, ist seine Lage nicht gewesen. Sie konnte es nicht sein.

Wir Deutschen sind am spätesten zu dem Bewußtsein gelangt, daß die Nationalität nichts Zufälliges, daß sie nicht ein Ding ist, das man nach Belieben festhalten oder abstreifen und vertauschen mag. Es würde besser um unser Vaterland bestellt sein, wenn wir eher aus unsern weltbürgerlichen Träumen erwacht wären. Nicht daß es an kräftigen Stimmen gefehlt hätte, die uns zuriefen, das heilige Feuer zu hüten. Aber wir, wir schliefen und träumten.[24 - Es sei hier bemerkt, daß diese patriotischen Klagen Wurm's im Jahre 1845 erhoben wurden.]

In dieser beschämenden Betrachtung liegt gutentheils der Schlüssel zu demjenigen, was Villers' Ruhm und was sein Unglück ausmachte. Gewiß, wenn irgend Einer, so war er berufen, den geistigen Verkehr zwischen Deutschland und Frankreich zu vermitteln. Aber er fand sich zwischen beide Nationen gestellt. Und er trat zu uns herüber, als die Gewaltherrschaft seiner Landsleute, ein unholder Alp, über unser Vaterland sich ausbreitete, und jegliches Eigenthümliche zu erdrücken drohte. Das Ritterliche seines Charakters hat ihn herübergeführt. Aber seinen Landsleuten gegenüber, wie sollt' er da den Schein abwehren, als habe er die eigene Heimat verleugnet?

Daß er uns näher angehörte, können wir nicht bezweifeln, da er selbst es eingestanden hat. Der Anlaß aber, bei welchem ihm das Bekenntniß entschlüpfte, war der bitterste, der unverdienteste, der ihm widerfahren konnte. Es war die unerhörte Behandlung, die er von der wiederhergestellten hannoverschen Regierung erfuhr; das absichtsvolle Misverständniß, als wär' er in Göttingen eben nur ein Eindringling des westfälischen Zwitterreichs gewesen; das Abfinden durch einen Gnadengehalt, in der Voraussetzung, er werde denselben in Frankreich verzehren. Durch die spätere Erlaubniß, in Göttingen zu bleiben, und durch eine Pensionszulage war das nicht wieder gut zu machen. Die Kränkung hat sein Herz gebrochen.

Uns Deutschen geziemt es, eingedenk zu sein, was er uns zum Opfer gebracht hat.


Villers' Brief an die Gräfin von Beauharnais wurde dadurch veranlaßt, daß diese, die Tante der Kaiserin Josephine, nach den schrecklichen Ereignissen von Lübeck der Villers wie ihr befreundeten Familie Rodde Theilnahme ausdrücken und ihre Hülfe anbieten ließ. Villers benutzte dies, um der einflußreichen geistvollen Dame, die in Paris seine persönliche Bekanntschaft gesucht hatte, die traurige Lage Lübecks vorzustellen. Der Brief, vom 15. December 1806 datirt, ging erst am 12. Februar 1807 an seine Adresse nach Paris; am 4. März traf die Antwort ein, daß die Gräfin bereit sei, dem Kaiser den Brief vorzulegen und aufs wärmste zu befürworten. Inzwischen hatte Villers denselben in Lübeck als Manuscript drucken lassen und sandte am 5. März vier Exemplare nach Paris, darunter eins an Bernadotte und eins an Daru. Gleichzeitig schickte er auch ein Exemplar an Brockhaus; dieser ließ schon im Aprilhefte seines »Conservateur« den Brief abdrucken (vgl. S. 78) und außerdem Separatausgaben davon in französischer und deutscher Sprache erscheinen, die großes Aufsehen erregten und rasch drei Auflagen erlebten. Auch zu diesen Separatausgaben hatte Brockhaus jedenfalls Villers' Zustimmung, denn in einem (nicht unterzeichneten) Vorberichte heißt es: der Brief sei erst blos als Manuscript gedruckt worden, »da aber diese Schrift schon hier und da herumgekommen und ihr Verfasser sah, wie zweifelhaft es sei, einer voreiligen unerlaubten Bekanntmachung zuvorkommen zu können, so hat er unserm Wunsche gern nachgegeben und uns den Druck erlaubt« u. s. w. Der Brief war gleichzeitig in Paris gedruckt, aber dort wie später auch in Amsterdam confiscirt worden. Wurm sagt darüber:



Hat nun bei den »hohen und höchsten Herrschaften« diese beredte Fürsprache irgend Etwas ausgewirkt? Nein, nicht das Mindeste. Aber die Darstellung selbst, die, wie sich erweisen läßt, nur für das Auge einiger Wenigen bestimmt war, hat mit einem male die größte Oeffentlichkeit erlangt. Wenige Flugschriften in jener bewegten Zeit sind so verschlungen worden. Der Eindruck war tief und nachhaltig. Ein richtiger Instinct sagte den Feldherren, daß der französischen Herrschaft, daß dem Vertrauen der Völker zu französischer Gerechtigkeit und zu französischem Schutz ein sehr schlechter Dienst geleistet sei, indem die Wahrheit an den Tag komme.

So fehlte es denn auch nicht an den Maßregeln, durch welche das böse Gewissen sich zu verrathen pflegt. Die Schrift von Villers ward in Paris confiscirt[25 - Auch in Amsterdam, wie bereits erwähnt.]: Baggesen, in einem ergötzlichen Brief, wünschte dem Verfasser Glück dazu. Die Aufregung unter den Franzosen war so groß, daß selbst die lübecker Censur sich endlich gemüßigt fand, die Buchhändleranzeige, welche die Schrift zum Verkauf anbot, zu streichen.

Bedenklicher war, daß Villers von sicherer Hand erfahren mußte, auch Bernadotte habe an der Schrift Anstoß genommen. Doch war das gute Vernehmen, wie man aus dem Schreiben eines Adjutanten des Prinzen ersieht, dadurch nicht auf die Dauer gestört. Keinenfalls ließ Villers sich irre machen. Er war sich keiner Uebertreibung bewußt, und erklärte dies öffentlich im Vorwort zu einer spätern Auflage.


Der von Wurm erwähnte Brief Baggesen's an Villers, aus Hamburg vom 27. Juni 1807 datirt, lautete:



Ich schicke Dir hier die ganze Saisirungsgeschichte aus Amsterdam und Paris, die, wie ich hoffe, Dich mehr freuen als befremden wird. In der That war es nicht leicht möglich, Dir und der Sache einen größern Dienst zu erweisen, als eben durch diesen erzdummen Streich der pariser Polizei geleistet worden ist. Eine Schrift, wovon schon mehrere tausend Exemplare im Umlauf sind, zu confisciren, hieß derselben außer dem Umlauf auch Einlauf — Interesse ins Unendliche — außer dem moralischen auch religiösen Einfluß und selbst (das Höchste, was in unsern Tagen ein Buch gewinnen kann) den Reiz der Sünde, vel quasi des Verbotenen, verschaffen. Wüßte ich nur mit Gewißheit, daß man auch meine Sachen auf diese Weise saisiren würde, den Augenblick gäbe ich die göttlichsten Dinger heraus — allein ich fürchte, man würde mich statt der Sachen saisiren. So wird dem großen Sieger mitgespielt! Wäre ich an seiner Stelle, ich setzte meine Polizei den Augenblick ab. Das Buch hätte sie, wenn sie ihr Geschäft recht verstanden, laufen lassen sollen und dagegen von einem lübecker Rathsherrn öffentlich bekannt machen lassen, daß der Verfasser nicht gewußt, was er geschrieben, daß sie (die Lübecker) betheuern können, es sei gerade das Gegentheil wahr u. s. w. Die Pariser, die nicht nach Lübeck laufen können, um Syndicus den oder den zu fragen: »Haben Sie das wirklich geschrieben?«, wären angeführt worden, wenigstens im Zweifel — jetzt wissen sie, was an der Sache ist.


Diese Schrift sollte aber für Villers doch noch verhängnißvoll werden. Vier Jahre nach ihrem Erscheinen, als er eben im Begriff stand, Lübeck zu verlassen, um einem Rufe an die Universität Göttingen Folge zu leisten, ließ ihn Marschall Davoust wegen derselben verhaften und seine Papiere durchsuchen. Da man nichts ihn Compromittirendes fand, ward er wieder freigelassen, aber aus den »von den französischen Waffen besetzten« Ländern verwiesen. Er verließ Lübeck am 8. März 1811, die Verfolgung ruhte auch in Göttingen nicht, und es ist unzweifelhaft, daß, wie Wurm sagt, die damit verknüpften Kränkungen sein Herz gebrochen haben; er starb, wie schon erwähnt, vier Jahre darauf (1815), kaum 50 Jahre alt.[26 - Vgl. über ihn W. von Bippen: »Charles von Villers und seine deutschen Bestrebungen«, in den »Preußischen Jahrbüchern«, herausgegeben von H. von Treitschke und W. Wehrenpfennig (27. Band, 3. Heft, Berlin1871). Dieser interessante und werthvolle Essay macht den dankenswerthen Versuch, »die Erinnerung an einen Mann wieder zu erwecken, der, ein geborener Franzose, einst von vielen der Besten unsers Volks geachtet, von manchen geliebt, der Ehrenbürger einer deutschen Stadt, jetzt fast der Vergessenheit anheimgefallen ist«. Wir verfolgten mit obiger Darstellung (die vor dem Erscheinen jenes Aufsatzes geschrieben wurde) den gleichen Zweck, und so möge es uns gestattet sein, hier den Wunsch und die Hoffnung auszusprechen, daß der dazu gewiß vorzugsweise geeignete und berufene Verfasser jenes Aufsatzes auf Grund des auf der hamburger Stadtbibliothek befindlichen und dieser von Dorothea Rodde geschenkten literarischen Nachlasses ihres Freundes dem deutschen Volke ein Lebensbild von Charles von Villers liefern möge, das in der gegenwärtigen Zeit doppelt willkommen sein würde.]

Brockhaus verlegte bald nach jenem Briefe noch ein anderes kleines Werk von Villers: eine französische Uebersetzung der 1808 bei Friedrich Perthes in Hamburg erschienenen Schrift »Der Kaufmann« von Johann Albert Heinrich Reimarus, dem eigentlich auf einem andern Gebiete, als Physiker, bekannten Sohne des Verfassers der »Wolfenbüttelschen Fragmente«, Hermann Samuel Reimarus. Die Uebersetzung führt den Titel »Le commerce« (1808) und ist mit einem Vorwort von Villers versehen.

Außerdem druckte Brockhaus 1807 in dem ersten Hefte seines »Conservateur« eine längere Abhandlung von Villers: »Sur la manière essentiellement différente, dont les poètes français et les allemands traitent l'amour«, und 1809 eine Schrift »Coup d'oeil sur l'état actuel de la littérature ancienne et de l'histoire en Allemagne«, die als ein Bericht an das Institut de France und in einer Nachschrift als eine Rechtfertigungsschrift seines »Coup d'oeil sur les universités allemandes« (Kassel 1808) bezeichnet ist.

Auch in späterer Zeit und bis zu Villers' Tode blieb Brockhaus mit demselben in geschäftlicher Verbindung. So verlegte er 1814 dessen letzte Schrift, in der die Wiederherstellung der drei Hansestädte warm befürwortet wird: »Constitutions des trois villes libres anséatiques, Lubeck, Brêmen et Hambourg. Avec un mémoire sur le rang que doivent occuper ces villes dans l'organisation commerciale de l'Europe.« Vorher noch hatte er auf Brockhaus' Wunsch und zugleich auf den der Frau von Staël eine Einführung zu ihrem berühmten Buche »De l'Allemagne«, datirt Göttingen, 20. Juli 1814, geschrieben, die mit einer neuen Ausgabe desselben 1815 bei Brockhaus erschien. Die erste 1810 in Paris in 10000 Exemplaren gedruckte Auflage dieses Buchs war dort vor der Ausgabe von der kaiserlichen Polizei confiscirt und vernichtet, die Verfasserin aber aus Frankreich verbannt worden. Sie ließ es darauf 1814 in London, 1815 in Genf und in Leipzig drucken und erst im folgenden Jahre konnte in Frankreich selbst wieder eine neue Auflage erscheinen.

Von größern Verlagsunternehmungen Brockhaus' aus dieser Zeit ist zunächst das »Historisch-militärische Handbuch für die Kriegsgeschichte der Jahre 1792 bis 1808« von dem ehemaligen niederländischen Oberstlieutenant A. G. Freiherrn von Groß (Amsterdam 1808) zu erwähnen. Dasselbe war von einem großen »Historisch-militärischen Atlas« in siebzehn in Kupfer gestochenen Tafeln begleitet, den Brockhaus in Weimar von Legationsrath Bertuch, Besitzer des Landes-Industrie-Comptoirs, herstellen ließ. Der Verfasser, 6. December 1756 geboren, diente zur Zeit der Revolutionskriege in der niederländischen Armee, vertheidigte unter anderm 1794 die Festung Grave gegen die Franzosen unter Pichegru, lebte dann zurückgezogen mit dem Titel eines herzoglich sachsen-weimarischen Kammerherrn in Weimar und starb daselbst am 18. November 1809. Er war als Militärschriftsteller geschätzt, namentlich wegen des genannten Werks und wegen eines frühern über die höhere Taktik (Gera 1804).

Im Jahre 1808 trat Brockhaus auch mit einem Manne in Verbindung, der ihn in die ersten, für ihn später so verhängnißvollen Conflicte mit der preußischen Regierung verwickelte. Es war der preußische Oberst August Ludwig Christian von Massenbach. Dieser, 1758 geboren, in dem unglücklichen Jahre 1806 Generalquartiermeister des Fürsten Hohenlohe, veranlaßte, wie es scheint durch eine irrthümliche Meldung, die Ergebung seines Corps bei Prenzlau. Deshalb in eine Untersuchung verwickelt, lebte er erst auf einem ihm vom Könige von Preußen geschenkten Landgute im Posenschen, dann in Würtemberg, und verfaßte dort drei Werke, die bei Brockhaus erschienen und großes Aufsehen erregten. Nachdem er wiederholt um seine Entlassung aus dem preußischen Kriegsdienste angehalten, stellte er 1817 an den preußischen Hof und an den König persönlich verschiedene Anträge, unter der Drohung, im Nichtgewährungsfalle wichtige in seinem Besitze befindliche Papiere zu veröffentlichen. Darauf in Würtemberg auf Ansuchen Preußens verhaftet, wurde er nach Küstrin gebracht, dort kriegsgerichtlich zu 14 Jahren Festungshaft verurtheilt (wegen beabsichtigten Landesverraths durch Bekanntmachung amtlicher Schriften), 1820 nach Glatz gebracht, aber 1826 vom Könige begnadigt. Er starb bald darauf, 27. November 1827.

Massenbach war ein geistvoller politischer und militärischer Schriftsteller, und seine Werke haben hohen Werth für die Zeitgeschichte. Indessen litt er an großer Selbstüberhebung, indem er fortwährend darzuthun suchte, daß er durch seine Rathschläge das Unglück des preußischen Staats abgewendet haben würde, wenn sie befolgt worden wären. Außerdem ließ er sich oft zu rücksichtslosen und unberechtigten Angriffen auf die leitenden Persönlichkeiten des preußischen Staates hinreißen.

Die erwähnten drei Werke Massenbach's sind: »Rückerinnerungen an große Männer« (2 Abtheilungen, Amsterdam 1808); »Memoiren zur Geschichte des preußischen Staats unter den Regierungen Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm III.« (3 Bände, Amsterdam 1809); »Historische Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Verfalls des preußischen Staats seit dem Jahre 1794 nebst meinem Tagebuche über den Feldzug von 1806« (2 Theile, Amsterdam 1809). Letzteres und das vorige Werk enthalten mehrere Karten und Pläne.

Noch drei andere Verlagswerke gehören in diese Zeit: »Parallelen« von Christian Daniel Voß (Professor des Staatsrechts und der Kameralwissenschaften in Halle, geb. 1761, gest. 1821), in zwei Theilen (1808 und 1811 erschienen), eine vergleichende Darstellung der Jahrhunderte Ludwig's XIV. und Napoleon's I.; Dschami's persischer Liebesroman »Medschnun und Leila«, aus dem Französischen übersetzt und erklärt von Anton Theodor Hartmann (damals in Oldenburg, später schwerinischer Consistorialrath und Professor in Rostock, verdienter Orientalist, geb. 1774, gest. 1838), 1808 in zwei Bändchen erschienen; endlich, ebenfalls 1808, das dramatische Gedicht »Aladdin oder die Wunderlampe« von Adam Oehlenschläger, dem bekannten dänischen Dichter (geb. 1779, gest. 1850), der seine meisten Werke gleichzeitig auch in deutscher Sprache veröffentlichte.

Mit diesen drei hervorragenden Schriftstellern trat Brockhaus dadurch in eine dauernde Verbindung, besonders mit Oehlenschläger.

Bei dieser für einen jungen Verleger mit beschränkten Mitteln staunenswerthen Ausdehnung seiner Unternehmungen war es nicht zu verwundern, daß Brockhaus bald wieder in finanzielle Verlegenheiten gerieth. Die Früchte seiner Arbeit, wenn es überhaupt zu solchen kam, reiften nicht so schnell, als seine sanguinische Natur es erwartete; auch war er als früherer Kaufmann noch nicht daran gewöhnt, daß der Verlagsbuchhändler im besten Falle ein Jahr lang auf das Erträgniß seiner Thätigkeit zu warten hat. Es handelte sich zwar nicht um so große Summen, wie in seinem frühern Geschäftsleben, aber um so ärgerlicher war ihm bei seinem regen Streben und dem guten Gang des Geschäfts das Ausbleiben der zum Fortbetriebe desselben erforderlichen mäßigen Gelder.

In seiner Sorge wandte er sich natürlich wieder an seinen »einzigen Freund«, wie er ihn oft nennt — seinen Bruder in Dortmund. Er schreibt ihm in dem bereits mehrfach erwähnten Briefe vom 25. August 1807:



In dieser Zeit faßte ich den Gedanken, vor meine Person und Familie aufs Land zu gehen und für mich nur die Direction der Verlagsunternehmungen zu halten, meine andere sehr lucrative, aber lästige Unternehmung[27 - Den Rest seines frühern kaufmännischen Geschäfts.] zu verkaufen, wenn ich 10000 Fl. dafür erhalten könnte, da mir 6000 Fl. dafür geboten wurden, und die Sortimentsgeschäfte mit Jemandem in Compagnie zu treiben, der sie dann leiten sollte. Es war mein Lieblingsgedanke, der auch um so eher ausführbar war, da ich auf dem Lande mit der Hälfte hätte leben können und ich die mir vorbehaltenen Geschäfte von dort so gut wie von hier (Amsterdam) hätte besorgen können. Indessen aus diesem Idyllenplane wurde nichts, und ich fuhr dann fort, unser Geschäft immer zu erweitern und zu consolidiren. Im Herbst vorigen Jahres bekam ich von Hannover einen sehr geschickten Commis, der seitdem den eigentlichen Sortimentshandel dirigirt und das Meßgeschäft (er war auch Ostern in Leipzig), und mein Departement ist dagegen Verlagsgeschäft, Correspondenz mit den Gelehrten und andere dahin einschlagende Arbeit ... Das Geschäft ist übrigens vortrefflich, und es wird und kann, wenn es so fort geht, mich nicht blos zu einem wohlhabenden Manne machen, sondern auch recht innig zufrieden mit meinem Schicksale und meiner Lage. Von unsern ostensibeln und inostensibeln Verlagsunternehmungen haben wir bisjetzt an keinem Schaden gehabt, an mehrern aber viel gewonnen. Ich werde Dir von beiden Arten (unter den letztern sind die berühmten »Vertrauten Briefe über die innern Verhältnisse am preußischen Hofe«[28 - Dieses damals großes Aufsehen erregende Werk, dessen weiterer Titel lautet: »seit dem Tode Friedrich's II.«, erschien 1807 anonym und war von dem vielgenannten Kriegsrath von Cölln verfaßt (geb. 1766, gest. 1820), der nach den für Preußen so traurigen Ereignissen von 1806 die preußische Verwaltung heftig angriff, deshalb 1808 in Untersuchung gezogen, später aber im Bureau des Staatskanzlers Hardenberg angestellt wurde. Die Schrift trägt die bekannte pseudonyme Firma »Peter Hammer« mit dem Verlagsort »Köln und Amsterdam«. Nach Obigem und nach andern Mittheilungen war Brockhaus jedenfalls bei dem Verlage derselben betheiligt, obwol sie in keinem seiner Verlagsberichte aufgeführt ist; in Heinsius' »Bücher-Lexikon« ist sein damaliger Commissionär in Leipzig, Heinrich Gräff, als Verleger genannt.], woran ich zum Viertel interessirt bin), mit Gelegenheit ein Exemplar senden, daß Du mal sehen kannst, was wir in diesem Fache getrieben haben. Außer diesen Verlagsunternehmungen ist unser Sortimentsgeschäft (Verkauf fremden Verlags hier im Lande) schon so bedeutend, daß wir monatlich im Durchschnitt an 3000 Fl. debitiren. Es wird Dir bekannt sein, daß man auf Bücher an 33 Procent Rabatt hat, und ist ein solcher Umsatz also sehr ansehnlich, und kann sich derselbe, besonders wenn wir mal Frieden bekommen, noch sehr vermehren. Da wir nun sogar unser Sortiment großentheils wieder gegen Verlag changiren und wir am Verlag wieder stark verdienen, so ist es mathematisch klar, daß mein jetziges Geschäft recht sehr vortheilhaft ist und ich, ohne daß ich mir unberufen schmeichele, die wahrhaft glücklichsten Resultate davon erwarten kann.

Nur in einem, aber in einem sehr wesentlichen Punkte finde ich mich gedrückt, und ich erzähle Dir diesen nun um so eher, da ich auf Sophiens Rath Dich darin zu meinem Vertrauten mache. Ich hätte es ohne diesen nicht übers Herz bringen können, da es nun einmal leider mein Charakter ist, daß ich mich lieber hindrücke und hinwürme, als über solche Sachen laut zu werden. Es ist dies, daß, da wir bei diesen Geschäften Alles und Alles auf Jahresrechnung stellen müssen und wir etwa nur ein Funfzigstel baar verkaufen, alles Andere aber nicht vor dem Anfang des folgenden Jahres einkommt, daß es mir da gegen Ende des Jahres knapp in Casse wird, weil wir so unsaglich viel an Porten, Frachten, Papieren, Buchdrucker- und Buchbinderlohnen beständig ausgeben müssen, dabei die schweren Haushaltungsausgaben, Miethen und Abgaben zu tragen haben, die alle so viele beständige Ausgaben erfordern, wogegen wir im Laufe des Jahres fast nichts, sondern Alles erst im Januar und Februar einnehmen. Dies genirt mich nun in diesem Jahre besonders, da ich für mehrere Unternehmungen ein Ansehnliches habe aufwenden müssen, das sich aber erst zu Ostern 1808 rentirt. Recht sehr wünschte ich also, mit einigen Fonds in diesem Jahre ausgeholfen zu werden, und ich frage Dich nun darum, ob Du das möglich machen kannst, sei es durch Dich selbst oder durch Deinen Credit ...






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notes



1


In Heppe's Werke: »Zur Geschichte der evangelischen Kirche Rheinlands und Westfalens« (2 Bände, Iserlohn 1867-70), II, 32.




2


Vgl. Rotermund's »Lexikon aller Gelehrten, die seit der Reformation in Bremen gelebt haben, nebst Nachrichten von gebohrenen Bremern, die in andern Ländern Ehrenstellen bekleideten« (Theil 1, Bremen 1818).




3


Heppe in seinem bereits genannten Werke, II, 462.




4


Wol absichtlich für adorabile aus Erbitterung gegen das katholische Unwesen.




5


Der Stock, an dem der Klingelbeutel befestigt ist.




6


Dieses Buch befindet sich im Besitze des Buchhändlers Friedrich Volckmar in Leipzig, dessen Mutter, Johanna Justina, die jüngste Tochter des Pastors Melchior war; sie hat später ebenfalls mehrere interessante biographische Notizen eingetragen.




7


Diese (nicht in den Buchhandel gekommene) Schrift führt den Titel: »Sammlung von eilf Actenstücken über und aus der Proceß-Sache des Herrn G. W. Hiltrop in Dortmund gegen die ehemalige Firma Brockhaus und Mallinckrodt ebendaselbst, oder jetzt gegen den Buchhändler Brockhaus in Leipzig. Als Manuscript gedruckt. 1. July 1822« (4. VIII, 158 S.). Später ausgegebenen Exemplaren ist noch ein zwölftes Actenstück vom 22. September 1822 (4 S.) beigefügt; noch später ist ein dreizehntes, ohne diese Ziffer und ohne Datum, gedruckt worden (18 S.).




8


Diese Angabe ist ein seltsamer Irrthum, da Brockhaus nach dem dortmunder Kirchenbuche am 4. Mai 1772, nicht 1774, geboren ist. An dieser Selbsttäuschung scheint er auch später festgehalten zu haben, wie aus gelegentlichen Aeußerungen in seinen Briefen hervorgeht, und daraus erklärt sich auch, daß auf seinem Leichensteine ebenfalls diese falsche Jahreszahl angegeben war.




9


Auch diese Angabe ist eine irrthümliche und beruht auf der Annahme, daß er 1774 statt 1772 geboren sei; er war damals (30. September 1798) 26, seine Frau 20 Jahre alt.




10


Er behielt diese Firma auch später noch, in Leipzig und Altenburg, bei, sodaß sie auf den Verlagsartikeln bis 1814 abwechselnd mit den drei Städtenamen Amsterdam, Leipzig und Altenburg erscheint, bis er von 1814 an blos F. A. Brockhaus firmirte, zuerst Altenburg oder Leipzig, von 1817 an blos Leipzig als Verlagsort angebend.




11


Jener frühere Brief ist nicht mehr vorhanden; es hätte sich aus demselben der genauere Zeitpunkt ergeben, von welchem an ihn die Idee, eine Buchhandlung zu errichten, beschäftigte.




12


Auch diese hier in Aussicht gestellte spätere Mittheilung findet sich nicht vor und ist vielleicht gar nicht erfolgt. Ebenso wenig hat sich der dem Großpensionär Schimmelpenninck vorgelegte »Plan« des neuen Etablissements auffinden lassen.




13


Unter Bezugnahme auf diese Correspondenz übersandte Brockhaus einige Wochen später demselben Hause sein Circular mit einer Nachschrift, und diesem Umstande verdankt die Firma F. A. Brockhaus das ihr von jenem Hause freundlich überlassene einzige Exemplar ihres Begründungscirculars. Sie erhielt dasselbe im Jahre 1856, aus Anlaß ihres am 13. und 14. Juli jenes Jahres gefeierten funfzigjährigen Jubiläums, das somit schon am 15. October 1855 hätte begangen werden können.




14


Gubitz hatte sich von seiner ersten Jugend an mit großem Eifer der Holzschneidekunst gewidmet, um deren Wiederbelebung und Vervollkommnung in Deutschland er sich bekanntlich große Verdienste erworben hat. Ueber die hier erwähnten Anfeindungen theilt sein Memoirenwerk: »Erlebnisse von F. W. Gubitz. Nach Erinnerungen und Aufzeichnungen« (3 Bände, Berlin 1868-69), I, 79 fg., Näheres mit.




15


Hiernach ist also Brockhaus im October 1795 (der »berühmte XIII. Vendémiaire« ist der des Jahres IV, 5. October 1795, an welchem der Aufstand der pariser Sectionen oder der Nationalgarde gegen den Nationalconvent stattfand) in Paris gewesen, kurz vor oder nach seiner ersten Etablirung in Dortmund.




16


Letzteres Werk, »Gemälde von Valencia« von Christian August Fischer, erschien 1803 in Leipzig; die übrigen Namen sind Titel Cramer'scher Uebersetzungen: »Bardiete« ist Klopstock's »Hermannsschlacht«; »Die Tempelherren« heißt ein Trauerspiel von Raynouard.




17


Dies ist der Name, mit welchem Cramer stets in seinem Werke Brockhaus bezeichnet; die Anwendung derartiger erfundener Namen statt der wirklichen war damals vielfach Sitte und eine specielle Liebhaberei Cramer's. Die oben angewendeten Punkte sind ebenfalls in dem Werke selbst gebraucht.




18


Das hier weggelassene Wort enthielt schwerlich einen Namen, da Brockhaus in Amsterdam keinen Associé seines kaufmännischen Geschäfts hatte; es ist wol »Glück« oder ein ähnliches Wort absichtlich weggelassen.




19


Hier ist von Cramer, als für den vorliegenden Fall unwichtig, wol ausgelassen: »französische Leser«; es ist damit jedenfalls die französische Zeitschrift »Le Conservateur« gemeint, von der später die Rede sein wird.




20


So nennt, wie schon bemerkt, Cramer seinen Freund Brockhaus stets in den »Individualitäten«.




21


Der frühere Associé von Brockhaus.




22


Wiederholt sei bemerkt, daß derartige Auslassungen einzelner Worte von Cramer selbst herrühren.




23


Diese und die folgenden Notizen sind meist einer kleinen Abhandlung des 1859 verstorbenen verdienstvollen Geschichtschreibers und Publicisten Professor Christian Friedrich Wurm in Hamburg entnommen, die unter dem Titel: »Beiträge zur Geschichte der Hansestädte in den Jahren 1806-1814. Aus den nachgelassenen Papieren von Carl von Villers«, in einem 1845 gedruckten Lectionsverzeichniß des Hamburgischen Akademischen Gymnasiums enthalten ist.




24


Es sei hier bemerkt, daß diese patriotischen Klagen Wurm's im Jahre 1845 erhoben wurden.




25


Auch in Amsterdam, wie bereits erwähnt.




26


Vgl. über ihn W. von Bippen: »Charles von Villers und seine deutschen Bestrebungen«, in den »Preußischen Jahrbüchern«, herausgegeben von H. von Treitschke und W. Wehrenpfennig (27. Band, 3. Heft, Berlin1871). Dieser interessante und werthvolle Essay macht den dankenswerthen Versuch, »die Erinnerung an einen Mann wieder zu erwecken, der, ein geborener Franzose, einst von vielen der Besten unsers Volks geachtet, von manchen geliebt, der Ehrenbürger einer deutschen Stadt, jetzt fast der Vergessenheit anheimgefallen ist«. Wir verfolgten mit obiger Darstellung (die vor dem Erscheinen jenes Aufsatzes geschrieben wurde) den gleichen Zweck, und so möge es uns gestattet sein, hier den Wunsch und die Hoffnung auszusprechen, daß der dazu gewiß vorzugsweise geeignete und berufene Verfasser jenes Aufsatzes auf Grund des auf der hamburger Stadtbibliothek befindlichen und dieser von Dorothea Rodde geschenkten literarischen Nachlasses ihres Freundes dem deutschen Volke ein Lebensbild von Charles von Villers liefern möge, das in der gegenwärtigen Zeit doppelt willkommen sein würde.




27


Den Rest seines frühern kaufmännischen Geschäfts.




28


Dieses damals großes Aufsehen erregende Werk, dessen weiterer Titel lautet: »seit dem Tode Friedrich's II.«, erschien 1807 anonym und war von dem vielgenannten Kriegsrath von Cölln verfaßt (geb. 1766, gest. 1820), der nach den für Preußen so traurigen Ereignissen von 1806 die preußische Verwaltung heftig angriff, deshalb 1808 in Untersuchung gezogen, später aber im Bureau des Staatskanzlers Hardenberg angestellt wurde. Die Schrift trägt die bekannte pseudonyme Firma »Peter Hammer« mit dem Verlagsort »Köln und Amsterdam«. Nach Obigem und nach andern Mittheilungen war Brockhaus jedenfalls bei dem Verlage derselben betheiligt, obwol sie in keinem seiner Verlagsberichte aufgeführt ist; in Heinsius' »Bücher-Lexikon« ist sein damaliger Commissionär in Leipzig, Heinrich Gräff, als Verleger genannt.



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